1891 / 61 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 11 Mar 1891 18:00:01 GMT) scan diff

das machen will, nachdem das Haus hier mit sehr großer Majorität die Mehrüberschüsse der Einkommensteuer bestimmt hat zur Entlastung von Grund und Boden. Das ist doch nun eine bereits getroffene Entscheidung, und ich weiß daher nicht, wie Hr. Dr. Bachem nun noch die bereits verwendeten Ueberschüsse wieder gleichfalls zu anderen Zwecken verwenden will. Wenn man aber ver⸗ gleicht, wer denn nun eher den Anspruch naturgemäß hier hat, der Grund und Boden oder die Gewerbe, so darf man doch nicht ver⸗ kennen, daß der ärmste kleine Hausbesitzer heute 4 % vom Brutto⸗ ertrage zu zahlen hat, während hier der kleine Gewerbetreibende ½ % nach Maßzabe des Ertrages seines Gewerbebetriebes zu zahlen auf⸗ gefordert wird. Ich glaube also ich habe das schon mehrfach ausgeführt —, wenn man einmal mit der Verminderung der Belastung durch Ertragsteuern beginnen will, so hat die Staatsregierung ganz recht, wenn sie sagt, es muß zuerst bei dem Grund und Boden be⸗ gonnen werden und es muß ein richtiges Verhältniß und eine ent⸗ sprechende Entlastung zugleich durchgeführt werden bei der Gewerbe⸗ steuer. Hier reformirt sich die Gewerbesteuer in sich; die großen Betriebe werden schärfer herangezogen, und die gesammten Erträg⸗ nisse, die daraus mehr erwachsen, kommen den kleinen Betrieben zu Gute. Das ist eine Reform, die man nicht so leichter Hand von sich abweisen sollte. (Bravo! rechts.)

Abg. Broemel: Auch die Deutschfreisinnigen seien Freunde des Antrags Metzner, wenn sie auch nicht verkennten, daß er ebenfalls Ungleichheiten mit sich bringen werde. Nach der Vorlage werde aber im Schankgewerbe in Berlin nur eine Steuerbefreiung von 5 % der vorhandenen Schankgewerbebetriebe eintreten, in Breslau dagegen 29, Kottbus 43, Krefeld 35 %. Bei solcher Ungleichheit müsse man mit der Steuerbefreiung weiter hinausgehen. Der Abg. Eberhard gehe davon aus, daß ein Gewerbetreibender mit 1500 Ein⸗ nahmen noch nicht so übel dastände, aber er übersehe, daß diese 1500 nicht Reinertrag, sondern Rohertrag seien. Die Probe⸗ veranlagung könne er allein nicht als maßgebend gelten lassen, es sei ein großer Unterschied, ob eine Veranlagung nur auf dem Papier zur Probe, oder für wirkliche steuerliche Zwecke erfolge. Diese Steuer⸗ befreiung nach der Vorlage werde wesentlich den kleinen Städten und dem platten Lande zu Gute kommen, aber die kleinen Gewerbe⸗ treibenden in den größeren Städten hätten, auch wenn der Rohertrag hhres Geschäftes über 1500 hinausreiche, wahrlich keinen leichteren

ampf um das Dasein zu kämpfen als die in den kleinen Städten. Der Antrag Metzner treffe ungefähr das Richtige und enthalte auch keine so starke Abweichung von der Vorlage, daß man von einer Uebertreibung sprechen könne. Er werde es freudig begrüßen, wenn auf diese Weise das Resultat herbei⸗ geführt werde, daß man bei diesem Gesetz nicht strikte daran fest⸗ halte, den bisherigen Erfrag wieder herauszubekommen. Der Finanz⸗ Mixister behandele die Grund⸗ und Gebäudesteuer durchweg als eine Stäeuer, welche auf eine Linie mit der Gewerbesteuer zu stellen sei, und berufe sich darauf, daß Grund⸗ und Gebäudebesitz eine so viel höhere Ertragssteuer zu tragen habe. Da müsse er von dem Finanz⸗ Minister Miquel an den früheren Reichskanzler appelliren. Fürst Bismarck habe die Grundsteuer als Realsteuer charakterisirt, welche sie ihrer Natur nach auch sei. Er könne die Folgerungen des Finanz⸗ Ministers ganz und gar nicht anerkennen. Gerade gegenüber der Er⸗ leichterung des Grundbesitzes durch das Einkommensteuergesetz müsse man hier die Gewerbetreibenden berücksichtigen und deshalb den Antrag Metzner annehmen.

Darauf wird §. 6 unter Ablehnung des Antrages Metzner unverändert angenommen.

§. 8. bestimmt, daß Betriebe, die allein nach der Höhe des Anlage⸗ und Betriebskapitals geschätzt werden sollen, auf An⸗ trag des Steuerpflichtigen in die entsprechende Klasse versetzt werden können, wenn der erzielte Ertrag nachweislich zwei Jahre lang die Höhe von 30 000 in Klasse I, 15 000 Mℳ in Klaässe II, 3000 in Klasse III nicht erreicht hat. Auf Konsumvereine und Konsumanstalten, sowie auf gegenseitige Versicherungsgesellschaften soll nach dem Zusatz der Kommission diese Bestimmung keine Anwendung finden.

Abg. von Itzenplitz beantragt, auch die gegenseitigen Versicherungsgesellschaften nicht auszunehmen.

Abg. Bohtz: Er halte es für ungerecht, gerade bei den kleinsten Einkommen das thatsächliche Heruntergehen der Einkünfte nicht auf die Besteuerung einwirken lassen zu wollen. Wie die jetzigen Be⸗ stimmungen seien, müsse von einem Betriebe, der 3000 Anlage⸗ kapital erfordere, auch bei einem Einkommen von nur 1200 Steuer bezahlt werden, während ein Gewerbe, das ohne Kapital betrieben werden könne, erst bei 1500 steuerpflichtig werde. Gerade die Betriebe, zu welchen Kapital nöthig sei, sollten günstiger gestellt werden, als die anderen. Denke man z. B. an eine Zimmerver⸗ mietherin in Berlin. Wenn dieselbe drei oder vier Zimmer möbliren solle, so seien 3000 bald verbraucht. Wenn die Einnahme aber unter 1200 bleibe, so solle man doch dieses geringe Einkommen steuerfrei lassen; er werde einen dahin gehenden Antrag stellen.

Geheimer Finanz⸗Rath Burghart: Die Regierung könne einem solchen Antrage nicht beistimmen. Es werde dadurch die im vorigen Paragraphen festgesetzte Steuergrenze wieder verwischt. In allen Steuergesetzen, die mit dem unsrigen verglichen werden könnten, sei das Kapital von 3000 an Höhe durchaus nicht erreicht, sondern es seien höchstens 700 als Grenze angesetzt. 3000 sei ja an sich noch kein großes Kapital, aber es sei doch immer ein Betriebs⸗ kapital, und der Steuersatz, der diese Gewerbe treffe, sei ein so niedriger, daß er kaum in Betracht komme. Er bitte also, der An⸗ regung des Abg. Bohtz keine Folge zu geben.

Abg. Dr. Hammacher: Auch er halte den Steuersatz, der diese mit kleinem Anlagekapital betriebenen Gewerbe treffe, für so niedrig, daß er Niemanden drücken dürfte. Hauptsächlich aber bitte er, unter Ablehnung des Antrages von Itzenplitz den Kommissionsvorschlag aufrecht zu erhalten. Bei Konsumanstalten und Konsumvereinen richte sich die Besteuerung wesentlich nach der Höhe des Betriebs⸗ kapitals. Ueberhaupt sei die Heranziehung von solchen Konsum⸗ vereinen und Anstalten zur Steuer eine technisch sehr schwierige und dürfte auch finanziell keine erheblichen Beträge liefern. Die Kom⸗ mission sei mit Annahme dieses Vorschlages den Ausführungen der Regierung beigetreten, und er bitte desbhalb, nicht wieder dadurch, daß die Besteuerung der Konsumanstalten von der Höhe des Einkommens abhängig gemacht würde, eine Inkongruenz in die Behandlung dieser Anstalten hineinzutragen.

Abg. Bohtz: Wenn er auch seinen Antrag für in der Gerech⸗ tigkeit begründet halte, so verzichte er doch bei der jetzigen Stimmung des Hauses darauf, ihn einzubringen, behalte sich das aber für die dritte Lesung vor.

Der Paragraph wird unter Annahme des Antrages von Itzenplitz, im Uebrigen in der Kommissionsfassung ange⸗ nommen.

Nach §. 9 soll die Steuer in der ersten Klasse eins vom Hundert des Ertrages ausmachen, und zwar bei einem Ertrag von 50 000 bis 548 000 524 ℳ, von da ab für jede um 4800 steigende Stufe um 48 mehr.

Abg. vom Heede: Die Großtindustrie werde hier in einer solchen Höhe von der Steuer getroffen, daß ihre Besteuerung der der Landwirthschaft durchaus gleichkomme, wenn letztere auch durch die Grund⸗ und Gebäudesteuer doppelt getroffen werde. Hier sei zu bedenken, daß durch die neuere Fassung der Einkommensteuer die Froß⸗ industrie ganz anders getroffen werde, als man früher beabsichtigt habe, und da müsse mit Rücksicht darauf eigentlich eine Ermäßigung in der Gewerbesteuer eintreten. Außerdem sei die Großindustrie durch die sozialpolitische Gesetzgebung, durch Prämien und Kassenbeiträge der⸗

artig belastet, daß ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt ernstlich in Frage gestellt werde. In England vermeide man solche Belastungen der Großindustrie aus diesem Grunde aufs Aengstlichste. Hier aber, fürchte er, dürfte ein Antrag auf Er⸗ niedrigung des Steuergesetzes nicht angenommen werden. Sowie man den Ueberschuß aus der Einkommensteuer zur Erleichterung der Grund⸗ und Gebäudelasten verwende, so solle man, nachdem die Ein⸗ kommensteuerquote für die höheren Klassen erhöbt sei, auch Er⸗ leichterungen in der Gewerbesteuer aus den Ueberschüssen eintreten lassen. Er glaube, daß das Haus einem solchen Vorschlage nicht bei⸗ treten werde, möchte aber darauf hinweisen, daß die Verhältnisse der Großindustrie eine erneute Berücksichtigung verdienten, und hoffe eine solche von der Zukunft.

Abg. Broemel: In der That sei durch die Veränderung in den Einkommensteuersätzen die Bedeutung dieses Paragraphen für die Großindustrie wesentlich verändert; er wundere sich aber über die resignirte Stimmung des Abg. vom Heede. Er empfehle ihm doch, die Bedenken, die er habe und in Bezug auf die er ihm ganz Recht gebe, praktisch wirksam werden zu lassen, und zwar halte er den §. 81,. in dem eine Herabsetzung der Steuersätze bei Ueberschreitung gewisser Erträgnisse ausgesprochen werde, für den Punkt, wo eine solche praktische Wirksamkeit einzusetzen habe.

Abg. von Eynern: Er stehe diesem Gesetz und den hier ge⸗ troffenen Spezialbestimmungen im Ganzen sympathisch gegenüber. Im Uebrigen behalte er sich vor, bei der dritten Lesung den Beschwer⸗ nissen vorzubeugen, welche Seitens großer industrieller Kreise gegenüber den staatlichen Belastungen und den daraus hervorgehenden Er⸗ scheinungen vorgebracht werden müßten, und zwar, wie er hoffe, in Gegenwart des Verkehrs⸗ und des Handels⸗Ministers.

8 9 wird angenommen. §. 10 bestimmt, daß die Veranlagungsbezirke für die erste Klasse die Provinzen bezw. die Stadt Berlin sein sollen. Nach

. 11 und 12 sollen die Veranlagungsbezirke für die Klasse II. die Regierungsbezirke, für die Klassen III und IV die Kreise sein.

Die §§. 10 bis 12 werden ohne Debatte genehmigt.

Nach §§. 13 und 14 sollen die Steuerpflichtigen eines Veranlagungsbezirks eine Steuergesellschaft bilden, die Mittel⸗ sätze sollen betragen für die Klasse II 300 (156 480 ℳ), für Klasse III 80 (32 192 ℳ), für Klasse IV 16

(4 36 ℳ)

Abg. Broemel: Es sei nicht zu verkennen, daß durch das System der Mittelsätze das Veranlagungsgeschäft im Interess Steyerpflichtigen erleichtert und vereinfacht werden könne. Diesem Vorzuge ständen aber sehr große Mängel gegenüber. Das System der Mittelsätze verstoße vor Allem gegen den fundamentalen Grund⸗ satz der allgemeinen Gleichheit der Besteuerung. Es sei allen heut zu Tage in Fleisch und Blut übergegangen, daß überall, wo dasselbe Objekt zur Stener herangezogen werde, dieses dem gleichen Steuersatz unterworfen werde. Hier werde ein System gewählt, wo innerhalb der einzelnen Abtheilungen mit sehr weitem Spielraum die verschiedenartigsten Steuersätze für das gleiche Objekt festgestellt würden. Die Steuerlast werde also in den verschiedensten Theilen der Monarchie eine sehr verschiedene sein. Es sollten Steuer⸗ gesellschaften gebildet werden innerhalb jeder einzelnen Abtheilung, gleichviel, wie hoch die Zahl der desonders Leistungsfähigen innerhalb der Steuergesellschaft sei. Die Regierung zähle nur nach Gewerbebetricben und verlange den Durchschnittssatz der Abtheilung aufgebracht von der Gesammtzahl der Gewerbebetriebe. Nun könne es sehr wohl vorkommen, daß die Verschiedenheit der Zusammensetzung der Steuerpflichtigen innerhalb der Steuergesellschaften zu sehr großen Verschiedenheiten in der Steuerbelastung überhaupt führe. Die Berufung an den Minister oder das Ober⸗Verwaltungsgericht stehe allerdings frei, sie helfe aber in den Fällen nichts, wo die Ver⸗ anlagung des Steuerpflichtigen aus der Zusammensetzung der Steuer⸗ gesellschaft sich entwickele. Beide könnten die Zusammensetzung der Gesellschaften nicht ändern. Gewiß werde hin und wieder eine ge⸗ wisse Latitude bei der Bemessung der Mittelsätze Platz greifen, diese wiege aber die Ungleichheit der Steuersätze nicht auf, den Ausfall an der Steuer hätten eben die anderen Steuerpflichtigen derselben Ge⸗ sellschaft zu tragen. Es bestehe eine fortwährende Steuerunsicher⸗ heit, nur die Minimal⸗ und Maximalsätze ständen fest, seien aber so berechnet, daß die höheren Beträge verhältnißmäßig höher besteuert würden, als die niederen. Seine Entwürfe hätten in der Kommission wenig Beachtung gefunden, wenn sie auch nicht durch Gründe wider⸗ legt worden seien. Er habe deshalb darauf verzichtet, einen An⸗ trag einzubringen, welcher eine Umarbeitung des Gesetzes verlange. Er hoffe, daß selbst, wenn dieses System angenommen werde, doch die Thorheit des Gesetzes durch die Weisheit praktischer Männer einigermaßen erträglich werde gemacht werden.

General⸗Steuer⸗Direktor Burghart: Man möge ruhig die Thorheit des Gesetzes durch die Weisheit der Praxis ausgleichen lassen; im Uebrigen, so ganz schwach sei das Gesetz auch in theoretischer Beziehung nicht. Soweit bis jetzt die Vertreter der Wissenschaft sich über dieses Gesetz geäußert hätten, habe man sich seines Wissens nur lobend und anerkennend darüber ausgesprochen. Der Vorredner habe selbst anerkannt, daß sein Antrag wenig Anklang gefunden habe, und er scheine zu wünschen, daß die Gewerbesteuer wie die Gebäudesteuer bemessen werde. Der große Unterschied sei nur der, daß bei der Gebäudesteuer die Veranlagungen auf eine längere Reihe von Jahren von der betreffenden sachverständigen Kommission festgestellt würden, während dies bei der Gewerbesteuer unmöglich sei. Der Vorredner stelle es so dar, als wenn die Steuersätze nach dem gemischten Systeme durch das ganze Land verschieden seien. Nun stelle man sich einmal vor, wie die Sache werden würde, wenn nach seinem Vorschlage jedes Gewerbe ohne Unterschied einen Prozentsatz seines Ertrages steuerte. Bei der Einkommensteuer habe man auch ganz gleiche Sätze durch die ganze Monarchie, man sei aber durch die Erfahrung dahin getrieben, daß man bei der Ein⸗ kommensteuer ganz neue Kautelen habe einführen müssen, wie z. B. die Deklarationspflicht. Der Gewerbetreibende lasse sich viel lieber eine gewisse Ungleichheit der Steuersätze gefallen, als daß er deklarire. Wie oft habe man gehört, daß der Kaufmann sehr gerne zahle, ohne zu mucksen, mehr als er zu zahlen schuldig sei, wenn er nur nicht seine Verhältnisse offenzulegen brauche. Bei den Mittel⸗ sätzen kämen gar nicht einmal so schroffe Unterschiede vor, wie in Bapern, wo die Deklaration bestehe. Die Ungleichheit in Preußen werde im Uebrigen schon dadurch ausgeglichen werden, daß man in den bestimmten Bezirken zu einer relativ viel vollkommeneren Gleich⸗ heit gelange, weil die Steuervertheilung von vornherein keinen anderen Zweck habe, als eine relative Gleichheit zu schaffen. Die Hauptsache sei, daß Jeder wisse, daß er ebenso besteuert werde wie sein Nachbar, nicht, daß in Memel und Saarbrücken die gleiche Steuer bezahlt werde. Vor Allem habe man durch dieses System das Odium der Fiskalität abgehalten. Vollkommen sei es freilich so wenig, wie alles Menschliche, aber man habe nur überall Zustimmung zu dieser Einrichtung gefunden. Zur Erfüllung der von dem Abg. Broemel gestellten Aufgabe würden die erforderlichen Organe in genügender Zahl nicht zu Gebote stehen. (Beifall rechts.)

Die §§. 15 bis 21 (Steuerausschüsse und deren Befugnisse) werden ohne Debatte angenommen.

Zu §. 22, welcher von der Ermittelung des Ertrages handelt und anführt, welche Werthverminderung ꝛc. vom Er⸗ trag abgezogen werden könne, beantragt Abg. Broemel, daß auch die Zinsen von Schulden, welche Behufs Anlagen oder Erweiterungen ꝛc. aufgenommen sind, vom Ertrag abgezogen werden können.

Abg. Schreiber: Einen Abzug der Schuldzinsen könne er nicht für nöthig erachten, so lange nicht auch bei der Grund⸗ und Gebäudesteuer die Schuldzinsen abgezogen würden. Nach dem An⸗ trage Broemel brauche der Gewerbetreibende nur sein Kapital aus

se der

seinem Betriebe herauszuziehen, es anderswo zinstragend anzulegen und für den Betrieb seines Geschäftes fremdes Kapital aufzunehmen. So könne er die Zinsen des letzteren abziehen, während sein eigenes Kapital so lange Licht zu erfassen sein würde, so lange man keine

Kapitalrentensteuer habe. Der Antrag Broemel würde also zahlreiche

Hinterziehungen an Gewerbesteuer zur Folge haben.

Abg. Broemel: Der Mangel einer Kapitalrentensteuer könne nicht dazu führen, hier das erborgte Kapital zur Gewerbesteuer heranzuziehen. Die Vorlage bedeute für die Gewerbetreibenden eine Verschlechterung gegen den jetzt bestehenden Zustand. Wenn auch bei der Grund⸗ und Gebäudesteuer ein Schuldzinsenabzug nicht statt⸗ finde, so habe doch die Gewerbesteuer einen von jenen Steuern ganz verschiedenen Charakter. Man wolle doch die Besteuerung nach der wirthschaftlichen Leistungsfähigkeit einrichten; das geschehe hier aber nicht, wenn das erborgte Kapital nicht berücksichtigt werde. Ein mit erborgtem Kapital arbeitender Gewerbetreibender sei viel schlimmer daran, bei einem Verlust stehe er unmittelbar vor einer Katastrophe. Einem solchen nicht die Schuldzinsen abzuziehen, würde eine schärfere Verletzung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirthschaftlichen Leistungsfähigkeit sein. Der Antrag verändere die Grundlagen des Gesetzes nicht und beeinträchtige auch den finanziellen Ertrag desselben in keiner Weise.

Abg. Dr. Hammacher: Der Antrag Broemel befinde sich im

Widerspruch mit dem Grundgedanken der Gewerbesteuer. Er bedeute nichts Anderes, als die Besteuerung nach dem Reingewinn, also eine Einkommensteuer. (Sehr richtig! rechts) Vom Standpunkt der Gerechtigkeit könne man dem Antrage zustimmen, und er würde ihm folgen, wenn man erst die Grundlage für eine solche Besteuerung zu finden häfte; aber man wöolle das Gewerbesteuergesetz im Rahmen der gesammten Steuerreform behandeln. Die Gewerbesteuer sei wie die Grund⸗ und Gebäudesteuer eine Realsteuer, und seine Partei wolle jetzt an den Grundlagen der Realsteuern nicht rütteln. Der Antrag verlasse aber den Boden der ganzen Steuerreform. Man könne hier die Schuldenzinsen ebenso wenig abziehen wie bei der Grund⸗ und Gebäudesteuer. Eine Verschlechterung gegen den jetzigen Zustand trete nicht ein, schon jetzt werde auf die Schulden keine Rücksicht genommen, nur der Umfang des Geschäfts sei für die Besteuerung maßgebend.

Ein Fabriketablissement werde deshalb, weil es vor dem Bankerott

stehe, nicht von der Gewerbesteuer befreit. Er bitte den Antrag ab zulehnen.

Regierungs⸗Rath Jungck: Der Abzug der Schuldzinsen sei mit der Natur einer Realsteuer absolut unvereinbar. Der Abg. Broemel irre, wenn er glaube, daß künftighin die Gewerbetreibenden schlechter gestellt sein würden als bisher. Die bisherige Besteuerung richte sich lediglich nach dem Umfange des Betriebes ohne Rücksicht, ob das arbeitende Kapital geborgt sei oder nicht.

Abg. von Eynern: Nach Annahme des vorliegenden Antrages werde der ganze Gewerbestand sich nach frembem Kapital umsehen und das eigene irgendwo anders gewinnbringend anlegen. Durch die Gewerbesteuer solle die Arbeit besteuert werden. Ob das dabei ver wandte Kapital dem gehöre, der die Arbeit betreibe, oder einem Anderen, sei völlig gleichgültig. Zum Ertrag der Arbeit geböre auch das Erträgniß von dem fremden Kapital. Der Antrag würde den ganzen Gewerbestand demoralistren. Daß ein Etablissement mit geborgtem Kapital bei Verlust ungünstiger daran sei, wisse jeder, und das habe mir der Gewerbesteuer nichts zu thun. Das Haus habe keine Veranlassung, Leute, die mit ihren Unternehmungen über ihre Verhältnisse hinaus⸗ gingen, zu berücksichtigen. b

Darauf wird der §. 22 unter Ablehnung des Antrages Broemel angenommen. 8

Nach §. 26 kann der Steuerausschuß Sachverständige und Auskunftspersonen vernehmen oder die eidliche Ver nehmung veranlassen. Nach der L1“ sollte der Steuerausschuß nur die eidliche Vernehmung veranlassen dürfen.

Abg. Brandenburg beantragt, die Regierungsvorlage wieder herzustellen, und wird darin vom Abg. Bachem unterstützt.

Abg. Eberhard: Bei der Heiligkeit des Eides sollte dieser an die Stelle gesetzt werden, wo er bisher abgenommen zu werden pflege; dem gegenüber sei ihm nachgewiesen, daß schon jetzt viele Verwaltungsgesetze die Vereidigung an anderer, als an Gerichtsstelle zuließen. Darauf habe er seinen Widerspruch aufgegeben und empfehle nunmehr die Annahme des Kommissionsvorschlages, der viel Ersparnisse an Zeit, Umständen und auch Kosten herbeiführe.

§. 26 wird unverändert angenommen.

Die §§. 30 bis 38 enthalten die Vorschriften über die Berufung. Nach der Vorlage und den Kommissionsbeschlüssen soll die Berufung für die Klasse I vom Steuerausschuß an den Finanz⸗Minister gehen, für die übrigen Klassen an die Bezirksregierung. Gegen die Entscheidung über die Berufung steht die Beschwerde beim Steuergerichtshofe zu. Abg. von Tiedemann beantragt, die Berufung in allen Fällen an die

Bezirksregierung und die Beschwerden darüber an das Ober⸗

Verwaltungsgericht gehen zu lassen, während Abg. Robert⸗ Tornow beantragt, für die erste Klasse die Berufung an den Finanz⸗Minister aufrecht zu erhalten, aber die Beschwerde an das Ober⸗Verwaltungsgericht, nicht an den Steuergerichtshof gehen zu lassen.

Abg. von Rauchhaupt:

Die Regierungsvorlage sowohl wie

der Antrag Tiedemann hätten die mißliche Seite, daß sie die erste

Berufung an den Minister einführten, dann aber an späterer Stelle die Berufung an das Ober⸗Verwaltungsgericht, resp. an das Steuer⸗ gericht. Durch eine solche Instanzenordnung werde der Minister diesen Verwaltungen untergeordnet sein, was er nicht für wünschens⸗ werth halte. Er halte es deshalb für besser, wenn man auch hier gleich die Berufung von der Steuerkommission in der ersten Klasse an das Verwaltungsgericht oder an das Ober⸗Verwaltungsgericht direkt einführe mit Umgehung des Ministers.

General⸗Steuer⸗Direktor Burghart: Der Abg. von Rauchhaupt

gehe von einem Mißverständniß aus; es handele sich hier nicht um

die Einführung eines neuen Rechtsmittels, sondern hier sei von einem

Stadium die Rede, wo man noch ganz unter sich sei, wo man dem Censiten noch kein Wort gesagt habe. Der Steuerausschuß fasse etwa einen Beschluß, der vom Vorsitzenden nicht gebilligt werde; darüber entscheide der Finanz⸗Minister, um die Veranlagung nun erst in Gang zu bringen. Dann erst werde die Sache dem Censiten mit⸗ getheilt, und nun erst träten die diesem zustehenden, in §. 35 ent haltenen Rechtsmittel ein. Also ob man den Steuergerichtshof oder das Oberste Verwaltungsgericht einführen würde, die Einwendungen des Abg. von Rauchhaupt seien bier nicht angebracht. 3

Abg. v. Tiedemann (Bomst) begründet seinen Antrag mit dem Hinweis auf die im Einkommensteuergesetz vorgenommene Ein⸗ setzung des Ober⸗Verwaltungsgerichts an Stelle des Steuer⸗ gerichtshofes.

Abg. Schreiber tritt gleichfalls für den Antrag Tiedemann ein und bittet, den Antrag Robert⸗Tornow abzulehnen.

Mit dem Antrage Tiedemann werden die Paragraphen angenommen; ebenso ohne Debatte die §§. 39 bis 58, welche sich auf die Steuererhebung, die Geschäftsführung der Steuer⸗ ausschüsse, die An⸗ und Abmeldung des Gewerbes ꝛc. beziehen.

Darauf wird gegen 2 Uhr die weitere Berathung vertagt.

zum

No. 61.

Personalveränderungen.

Königlich Preußische Armee.

Offiziere, Portepee⸗Fähnriche ꝛc. Ernennungen, Beförderungen und Versetzungen. Im aktiven Heere. Berlin, 5. März. Frhr. v. Reitzenstein, Oberst⸗Lt. à la suite des Fuß⸗Art. Regts. von Dieskau (Schles.) Nr. 6 und Erster Art. Offizter vom Platz in Thorn, unter Verleihung des Ranges eines Regts Commandeurs, zur Vertretung des Commandeurs des Fuß⸗ Art. Regts. von Linger (Ostpreuß) Nr. 1, nach Königsberg kom⸗ mandirt.

Berlin, 7. März. v. Funck, Gen. Major von der Armee,

kommandirt zur Vertretung des Direktors des Millitär⸗ Oekonomie⸗Departements im Kriegs⸗Ministerium, unter Versetzung in das Kriegs⸗Ministerium, zum Direktor des Miilitär⸗ Oekonomie⸗Dpartements ernannt. Pohl, Sec. Lt. vom 4. Thüring Inf. Regt. Nr. 72, als außeretatsm. Sec. Lt. in das Feld⸗Art. Regt. Nr. 36 versetzt. Winterberger, Hauptm. à la suite des Inf. Regts. Nr. 97 und vom Neben⸗Etat des Großen Generalstabes, Ver⸗ messungs Dirigent bei der topographischen Abtheil. der Landesaufnahme, unter Entbindung von diesem Verhältniß, dem genannten Regt. aggregirt. Deneke, Pr. Lt. vom Feld⸗Art. Regt. Nr. 15, von dem zur Dienstleistung bei dem Großen Generalstabe ent⸗ unden.

Abschiedsbewilligungen. Im aktiven Heere. Berlin, 5. März. Tolsdorff, Sec. Lt. vom Feld⸗Art. Regt. Prinz August von Preußen (Ostpreuß.) Nr. 1, mit Pension der Abschie d bewilligt.

Berlin, 7. März. Stockmarr, Gen. Lt. und Direktor des Militär⸗Oekonomie⸗Departements im Kriegs⸗Ministerium, in Geneh⸗ migung seines Abschiedsgesuchs mit Pension zur Disp. gestellt.

Evangelische Militär⸗Geistliche.

Durch Verfügung des Evangelischen Feldpropstes der Armee. 16. Februar. Walther, Pastor in Gispersleben bei Erfurt, zum Div. Pfarrer der 13. Div in Minden ernannt. Die Garn. Pfarrstelle in Minden wird fortan als Div. Pfarrstelle der 13. Div. geführt.

4. März. Dr. Heine, Garn. Pfarrer in Minden, als Div.

Pfarrer der 8. Div. nach Erfurt versetzt.

XIII. (Königlich Württembergisches) Armee⸗Corps.

Offiziere, Portepee⸗Fähnriche ꝛc. Ernennungen, Beförderungen und Versetzungen. Im aktiven Heere. 5. März. v. Fack, Gen. Major z D. und Kommandant des Ehren⸗Invaliden⸗Corps, v. Reibel, Gen. Major z. D. und Com⸗ mandeur des Landjäger⸗Corps, vom 1. Januar 1890, Frhr. v. Wöllwarth⸗Lauterburg II., Major à la suite der Armee,

ein Patent ihrer Charge verliehen.

Abschiedsbewilligungen. Im aktiven Heere. 5. März. Graf zur Lippe⸗Biesterfeld⸗Falkenflucht, Oberst a. D., zuletzt Commandeur des Ulan. Regts. König Wilhelm Nr. 20, der Charakter als Gen. Major, Heinburg, Pr. Lt. a. D,, zuletzt im Fuß⸗Art. Bat. Nr. 13, unter Ertheilung der Erlaubniß zum Tragen dieses Bataillons, der Charakter als Hauptmann, verliehen.

Beamte der Militär⸗Verwaltung.

5. März. Rost, Garn. Verwalt. Ob er⸗Insp., der Titel Garn.

Verwalt. Direktor verliehen.

Nr. 10 des „Centralblatts der Bauverwaltung“, herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Ar⸗ heiten, hat folgenden Inhalt: Amtliches: Rund⸗Erlaß vom 18. Februar 1891, betreffend die Feststellung der den Bauinspektoren der allgemeinen Bauverwaltung für Nebenarbeiten zu gewährenden Vergütungen. Personal⸗Nachrichten. Nichtamtliches: Neubau des Reichstagshauses. Zum fuͤnfundzwanzigjährigen Dienstjubiläum

Dr. August von Essenwein's. Herstellung der Leibung des Hudson⸗ unnels. Der neue Hafen bei Straßburg i. E. Vermischtes: Preisertheilung für Entwürfe zu einer reformirten Kirche in Enge bei Zürich. Versuche über den Abfluß des Wassers bei voll⸗ kommenen Ueberfällen. Ausstellung des Raschdorff'schen Dom⸗ Entwurfs. Gipsdielen. Hebelverschluß für Fenster mit fest⸗ stehenden Pfosten.

Statistik und Volkswirthschaft.

Die durchschnittliche Größe und der durchschnittliche Grundsteuer⸗Reinertrag der einzelnen Besitzung in den preußischen Provinzen.

Vor Kurzem*) haben wir aus dem statistischen Beitrage, welchen der Direktor des Königlich preußischen Statistischen Bureaus zu den veränderlichen Tafeln des Königlich preußischen Normal⸗Kalenders für 1892 geliefert hat, die Vertheilung des ländlichen Grundeigen⸗ thums für den Staat und die Provinzen dargestellt. Das Verhältniß der nutzbaren Fläche zur Zahl der ländlichen Privatbesitzungen gelangt auch zum Auͤsdruck, wenn man erstere durch letztere theilt, sodaß

damit die durchschnittliche Größe der einzelnen Besitzung

für die verschiedenen Besitzklassen gewonnen wird. Dieselbe stellt sich auf Hektar grundbesitz Grundbesitz besitz Beris

6 60,6 26,2

59,5 28,0

24,2

22,9

13,2

13,6

5 16,6

45,8 171

15,7

9,4

Ostpreußen. Westpreußen. 38 Brandenburg . Pommern II“ 64 üeae,eeu“ 358, ““ 138, Schleswig⸗Holstein Hannover. Westfalen 8 Hessen⸗Nassau. . v 8,5 dem preußischen Staat überhaupt 16,9 3,0 Die Durchschnittszahlen des Staats finden sich genau in keiner Provinz wieder; die durchschnittliche Größe beim Großgrundbesitz und beim Parzellenbesitz in Schlesien, beim mittleren und Klein besitz in Schleswig⸗Holstein kommen jenen noch am Nächsten. Unter ein⸗ ander zeigen die Verhältnißzahlen der einzelnen Provinzen noch viel erheblichere Abweichungen. So beträgt die durchschnittliche Größe einer Liegenschaft beim Großgrundbesitz in Posen das 8sfache derjenigen in der Rheinprovinz; eine Besitzung mittlerer Größe in Ostpreußen ist durchschyittlich 3 Mal so groß als im Rheinlande, ein Anwesen beim Klein⸗ und Parzellenbesitz in Westpreußen etwa

vom 10. Fe⸗

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*) Nr. 36 des „Reichs⸗ und Staats⸗Anzeigers“ b ruar 1891.

34 bezw. 2 ½ Mal größer als in der Rheinprovinz bezw. in Hessen⸗ gi. 1 Verfährt mon mit dem gesammten Grundsteuer⸗Reinertrage und der Zahl der Besitzungen wie oben, so erhält mon den durch⸗ schnittlichen Grundsteuer⸗Reinertrag für jedes An⸗ wesen. Diese Rechnung ergiebt für den Staat und seine Landes⸗ theile folgende Verhältnißzahlen. Es stellt sich für jede einzelne Liegenschaft der durchschnittliche e. öüö auf Mark Groß⸗ Klein⸗ Parzellen⸗ grundbesitz mittleren besitz

Ostpreußen 8 4255 Westpreußen. 1 3912 Brandenburg ... 5501 Pemnmern 6127 Z“ 1 5910 Schlesien. 4980 L 8“ 4082 Schleswig⸗Holstein... 3367 Hannbvrer 2836 Wertsalen 3126 Hessen⸗-Nassau ... 3056 Rheinlande 3190 dem preußischen Staat überhauvpt 4191

Die durchschnittlichen Grundsteuer⸗Reinerträge der einzelnen Liegen⸗ schaften in den Provinzen stimmen zwar auch nicht mit denen des Staats oder unter einander überein; doch sind hier die Unterschiede bedeutend geringer. Es erreichen die höchsten Beträge nur beim Großgründ⸗ und beim Parzellenbesitze etwas mehr als das Doppelte der niedrigsten.

Welchem Maßstabe der Abgrenzung der einzelnen Besitzklassen von einander nun der Vorzug zu geben ist, ob dem nach dem Flächeninhalt oder nach dem Grundsteuer⸗Reinertrage ist schwer zu entscheiden; letzterer verbürgt jedenfalls eine größere Gleichartiakeit als ersterer, da die Besitzungen mit einer gleich großen Fläche in den verschiedenen Landestheilen zu große Verschie⸗ denheiten, insbesondere bezüglich der Ertragsfähigkeit, aufweisen. Am Zutreffendsten würde die Feststellung des Begriffs der großen, mitt⸗ leren, kleinen und der Parzellengüter wohl unter Verbindung von Flächeninhalt und Grundsteuer⸗Reinertrag erfolgen, da die Eigenart einer Liegenschaft sich sowohl nach der Fläche, mit andern Worten nach der zur Bewirthschaftung erforderlichen Arbeitskraft und Umsicht, wie auch nach der Ertragsfähigkeit, d. h. nach dem aus der Besitzung zu erzielenden Einkommen, bestimmt.

Zur landwirthschaftlichen Lage

Aus dem Reg.⸗Bez. Danzig wird berichtet: Der Wohlstand der landwirthschaftlichen Bevölkerung hat sich im Allgemeinen nicht gehoben. Die Ernte des letzten Jahres war zwar eine verhältniß⸗ mäßig günstige; die erheblich gestiegenen Arbeitslöhne jedoch schmälern und übersteigen sogar vielfach die landwirthschaftlichen Einnahmen. Eigentliche Nothstände sind aber nirgends aufgetreten. Die Lage des Arbeiterstandes ist nicht ungünstig. Die Zuckerfabriken und die noth⸗ wendige Beseitigung der vielfachen Schneeverwehungen haben unter Anderem reichliche Arbeit bei hohen Lohnsätzen geboten.

Zur Arbeiterbewegung. 3

Wie der „Rh.⸗Westf. Ztg.“ aus Silschede geschrieben wird, besteht die Zechenverwaltung der Zeche „Ver. Trappe“ den strikenden Arbeitern gegenüber auf der Entgegennahme des Abkehrscheines und sieht die Wiederanlegung zur Arbeit als Eingehung eines neuen Vertragsverhältnisses an.

Aus Hermsdorf (Kreis Waldenburg) schreibt man der „Schles. Volksztg.“: „Die Bergleute des gesammten Waldenburger Kohlenreviers haben nun ihre endgültigen Forderungen an die Grubenvorstände und Direktoren eingereicht und bis zum 20. d. M. zustimmende Antwort verlangt. Bemerkt sei, daß die Forderungen zum größten Theil dergestalt sind, daß ein Eingehen auf dieselben kaum möglich sein wird.“ (Vgl. die gestrige Nummer 60 d. Bl.) Mit dieser Meldung steht im Einklang, daß, wie die Schl. Ztg.“ mittheilt, am letzten Sonntag an zahlreichen Orten des Waldenburger Kohlenreviers Bergarbeiter⸗Versammlungen stattgefunden haben, deren Tagesordnung durchgängig den Beitritt zum Allgemeinen deutschen Bergarbeiter⸗Verbande betraf. An die Verwaltung der konsolidirten Fürstensteiner Gruben waren die Bergarbeiter mit ihren Forderungen bis Montag Mittag noch nicht herangetreten. Die Grubenverwaltungen des Reviers sind darauf gefaßt, daß ihre Ar⸗ beiter, deren Forderungen diesmal zweifellos nicht erfüllt werden, in den Strike eintreten, sobald sonst in Deutschland ein Bergarbeiter⸗ strike entstehen sollte.

In Iserlohn besteht, wie der „Rh.⸗Westf. Ztg.“ berichtet wird, seit einem Jahre ein Nadelarbeiterverein, der bereits eine große Mitgliederzahl besitzt. Derselbe hat in dem verflossenen Jahre bei einer Ausgabe von 917 noch einen Ueberschuß von 716 erzielt. In einer jüngst abgehaltenen Versammlung de; Vereins wurde in Bezug auf die zwischen Kopf⸗⸗ schleifern einer Fabrik und ihrem Arbeitgeber entstandenen Lohnstreitigkeiten der Beschluß gefaßt, die betreffenden Arbeiter mit allen gesetzlich und moralisch berechtigten Mitteln zu unterstützen. Von einem früher in Aachen beschästigt ge⸗ wesenen Nadelarbeiter wurden Grüße von den dortigen Arbeiteen überbracht. Derselbe regte ferner die Gründung eines deutschen Nadelarbeiter⸗Verbandesan. Die Versammlung beschloß, in einer auf den ersten Sonntag nach Ostern einzuberufenden öffentlichen Versammlung der Nadelarbeiter und Nadelarbeiterinnen, zu der auch Delegirte von Aachen erwartet werden, dieser Frage näher zu treten.

In einer Arbeiterversammlung, welche der Allgemeine Arbeiterverein Sudenburg in Magdeburg berufen hatte, wurde am Montag auch über die „Agitation auf dem Lande“ verhandelt, die allen Ernstes betrieben Verein will sogenannte Diskutirgruppen einrichten, und hier sollen die Agitatoren für das Land ausgebildet werden durch Wort und Schrift. Erst sollen die „neugebackenen Agitatoren’ kleinere Vorträge in den Diskutirgruppen selbst und dann in den Monatsversammlungen des Vereins im zweiten Theil der Tagesord⸗ nung halten. Wenn sie so ihre Prüfung bestanden haben, dann sollen sie hinaus aufs Land, um die ländlichen Arbeiter der Sozialdemokratie zuzuführen.

In Leipzig wurde in einer Versammlung der Töpfer⸗ gehülfen am Montag die von den Arbeitgebern beabsichtigte Herabsetzung der Löhne besprochen. Ein Arbeitgeber hatte seine Gehülfen nicht nach dem im Jahre 1889 verein⸗ barten, sondern rnach dem um 25 % niedrigeren Lohntarif von 1886 abgelohnt, und die übrigen Arbeitgeber hatten hieraus Veranlassung genommen, von den Gehülfen die allgemeine Ein⸗ haltung des 1889er Tarifs zu fordern, widrigenfalls auch sie, die Arbeitgeber, der Konkurrenz halber auf die niedrigeren Lohnsätze von 1886 zurückgreifen würden. Der erwähnte Arbeitgeber gab eine Auf⸗ klärung dahin, daß er durch das Unterbieten von Konkurrenten gezwungen worden sei, die Töpferarbeiten auf einem Bau niedriger als sonst zu bezahlen, daß er sich aber nach Fertigstellung dieser Arbeiten wieder nach dem

werden soll. Der

1891.

Tarif von 1889 richten werde. Auf seine Veranlassung wurde be⸗ schlossen, zum Zwecke gütlicher Verhandlung mit den Arbeitgebern eine Kommission einzusetzen. Eine Versammlung der Korb⸗ machergehülfen im Elysium nahm zunächst einen Bericht über den Verlauf der am 20. Februar in Luckenwalde abgehaltenen Generalversammlung des Deutschen Korbmacherverbandes entgegen. Danach zählt der Verband 1459 Mitglieder. Im Berichtsjahr haben die Einnahmen der Verbands⸗Hauptkasse 2418 bei 1392 Aus⸗ gaben, die Einnahmen des Reservefonds 1605 bei 1680 Ausgaben betragen. Das Verbandsstatut ist-dahin abgeändert worden, daß allen in der Korbmacher⸗Industrie beschäftigten Arbeitern und Arbeiterinnen der Beitritt zum Verband gestattet sein soll. Der Verband be⸗ absichtigt, der nach der Anregung der vorjährigen Gewerkschafts⸗ konferenz in Berlin zu gründenden Holzarbeiter⸗Union bei⸗ zutreten, dagegen den nächsten internationalen Gewerkschaftskongreß nicht zu beschicen. Die Lohnkommission berichtete, daß sie mit einer Kommission der Innung gemeinschaäftlich den Ent⸗ wurf eines Lohntarifs ausgearbeitet habe, der der Innung dem⸗ nächst zur Beschlußfassung vorliegen werde. In einer von etwa vierhundert Lithographen, Steindruckern u s. w. besuchten Versamm⸗ lung theilte, wie wir der „Lpz. Ztg“ entnehmen, der Vertrauens⸗ mann über den Stand der Neunstundenbewegung im graphischen Gewerbe unter Anderem mit, daß von den etwa 1300 in lithographischen Anstalten und Steindruckereien Beschäftigten sich bis jetzt 950 bereit erklärt hätten, für die Einführung des neun⸗ stündigen Arbeitstages einzutreten. Die Feier des 1. Mai an⸗ langend, so will sich die Versammlung den Beschlüssen des Gewerk⸗ schaftskartells anschließen.

Hier in Berlin waren die in der Juwelen⸗, Gold⸗ und Silberwaaren⸗Industrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen Behufs Besprechung ihrer Lage zu einer öffent⸗ lichen Versammlung zum gestrigen Abend berufen. Die Gold⸗ schmiede⸗Innung war vertreten durch den Innungsmeister Lange, welcher, wie die „Voss. Ztg.“ berichtet, die vom Referenten vorgeführten Mißstände im Gewerbe nicht leugnete und die Bereitwilligkeit der In⸗ nung ausdrückte, zur Abstellung derselben thatkräftig mitzuwirken. Die beleuchteten Mißstände sind in der Hauptsache die sogenannte „Lehrlingszüchterei“ und die Saisonarbeit, dann aber auch die unzureichenden Löhne, das Ueberhandnehmen der Frauenarbeit, die ungesunden Werkstätten, die verschiedenen Lohnzahlungen, die Kündigungsverhältnisse ꝛc. Die Versammlung bekundete in einer Resolution ihre Uebereinstimmung mit den Darlegungen des Referenten und verpflichtete sich, um eine wirthschaftliche Besserstellung zu erreichen, dem Verbande der deutschen Gold⸗ und Silberarbeiter und verwandten Berufsgenossen beizutreten, sowie dahin zu streben, daß auch die weiblichen Arbeitskräfte Mitglieder des Verbandes werden. Hinsichtlich der Maifeier wurde beschlossen, am Abend des 1 Mai eine Versammlung einzuberufen, am 3. Mai aber einen Ausflug zu machen. In der Fabrik von Richard Weber u. Co. haben, wie der „Vorwärts“ mittheilt, die Eisendreher, fünf an der Zahl, die Arbeit niedergelegt, weil ihnen eine zehnprozentige Lohnreduktion angekündigt wurde. Ferner haben die Arveiter und Arbeiterinnen der Firma Laue u. Co., Grüner Weg 104, wegen Lohnkürzung die Arbeit niedergelegt. In Friedenau sind in einer Schlosserei drei polnische Ar⸗ beiter als Schmiede beschäftigt. Mit ihnen geriethen die deutschen Arbeiter in Unfrieden. Um diesen Zuständen ein Ende zu machen, forderten die deutschen Arbeiter die Entlassung der Polen. Der Meister lehnte es ab, auf den Vorschlag einzugehen. Daraufhin legten von den dreizehn deutschen Arbeitern elf die Arbeit nieder.

Einer telegraphischen Meldung aus Lüttich zufolge dauert der Strike in den Stahlwerken von Cockerill fort; die Hälfte der Arbeiter ist ausständig. Morgen soll eine Sitzung des Schieds⸗ gerichts stattfinden. Die Arbeiter verhalten sich ruhig.

Kunst und Wissenschaft.

Der Minister des Innern hat dem Verein Berliner Künstler die Genehmigung ertheilt, mit der in diesem Jahre in Berlin stattsindenden internationalen Kunst⸗ ausstellung eine Ausspielung von Kunstwerken (Oel⸗ gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Kupferstichen ꝛc.) zu ver⸗ binden und die zu derselben auszugebenden 500 000 Loose zu je 1 im ganzen Staatsgebiet zu vertreiben. Zur Ver⸗ loosung sind 7310 in zwei Ziehungen auszuspielende Gewinne im Gesammtwerthe von 300 000 bestimmt.

Auf dem Balneologen⸗Kongreß, der in diesen Tagen in Berlin abgehalten wurde, sprach Dr. Roempler⸗Görbersdorf über den heutigen Stand der Phthiseo⸗Prophvlaxis. Derselbe wies zunächst, wie auch spätere Redner, deren Themata sich auf ähnlichem Gebiete bewegten, darauf hin, daß, als er vor einem Jahre das betreffende Thema gewählt, er selbst⸗ verständlich keine Ahnung davon hätte haben können, welch ge⸗ waltiger Umschwung inzwischen hier Platz greifen würde. Darauf sprach sich Redner mit großer Anerkennung über die Seitens der preußischen Behörden obligatorisch gemachten Vorbeugungsmaßregeln gegen Schwindsucht in alleu der staatlichen Aufsicht unterstehenden Anstalten aus und trat unker Bezugnahme auf seine eigenen lang⸗ jährigen Beobachtungen den Lehren der eingefleischten Kontagionisten entgegen, indem er das System der Prädisposition, sowie dasjenige der unbedingten Erblichkeit in ihre richtigen Grenzen zurückwies. Er schloß seine mit Beifall aufgenommenen Ausführungen mit einem warmen Appell an die Leiter von Bädern und Heilanstalten, auf prophylaktischem Gebiete dem entsetzlichen Feinde der Menschheit zu Leibe zu gehen, da es nach Schreiber das Ideal der Medizin sei, die Krankheiten zu verhüten, nicht zu kuriren. In dem folgenden Vortrage über die Bedeutung der Hydro⸗ therapie für die Klinik betonte Prof. Winternitz⸗Wien ie mangelnde Berücksichtigung der Hydrotherapie in den Kliniken, um socann an der Hand verschiedener Einzelfälle die günstigen Er⸗ folge zu kennzeichnen, welche er mit der hydrotherapeutischen Be⸗ bandlungsweise, namentlich bei Neuralgie und Rheumatismus, erzielt habe, und auch Scharlach, Masern, Blattern als geeignete Objekte der Hydrotherapie zu bezeichnen, denen die Schule gerecht werden müsse. Nachdem sodann auf Anregung des Medi⸗ zinal⸗Raths Groedel⸗Nauheim, welcher beantragt hatte, der Kongreß möge Schritte thun zur allge meinen Einführung des hunderttheiligen Thermometers bei Bezeichnung von Badetemperaturen, sowohl in der Praxis, als auch in wissenschaftlichen Arbeiten, der Vorstand mit der weiteren Verfolgung dieser Angelegen⸗ heit beauftragt worden, sprach der Direktor des städtischen Kranken⸗ hauses in Moabit Paul Guttmann über Anwendung des Koch'schen Heilverfahrens bei Lungentuberkulösen. Redner hob zu Beginn seiner Ausführungen, deren Inhalt zum großen Theile bereits in der zuständigen Fachpresse veröffentlicht worden, her⸗ vor, daß higasichtlich des Anwendungsmodus der Koch'schen Lymphe noch „vieles der Aufklärurg und des Studiums bedürftig sei, daß aber die bereits gemachten Beobach⸗ turgenz ausreichten, die Ziele zu bezeichnen, welche sich mit dem Koch'schen Heilverfahren erreichen ließen. Die spezifische Wirkung des Tuberkulins sei thatsächlich bewiesen, denn überall, wo sich tuberkulöse Gewebe fänden, träten nach Anwendung des Mittels gewisse Ver⸗

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