1891 / 66 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 17 Mar 1891 18:00:01 GMT) scan diff

der Teleki'schen Expedition und von Borelli sehr wahrscheinlich er⸗ scheint. Bisher ist eine Erforschung des Juba nur einmal ernstlich versucht worden von Baron Cl. von der Decken, welcher nach dem Schiffbruch seines kleinen Dampfers „Welf“ im Jahre 1865 in Bardera ermordet wurde.

Statistik und Volkswirthschaft. Zur Arbeiterbewegung. 8

Aus dem Saarrevier schreibt man der „Frkf. daß die Versammlung der Ausschußmitglieder der kalischen Gruben vom 15. d. M. sich in ihrer ü⸗ wiegenden Mehrbeit fis 1 b 2 usgesprochen habe; sie sei schließlich polizeilich aufgelöf . Len. d. gestrige N. 65 d. Bl.). Wie der „Rh.⸗Westf. Ztg.“ aus Saarbrücken geschrieben wird, haben die Aus⸗ schußmitglieder der Grube „Schwalbach“, welche zur Berg⸗ inspektion I gehört, der einzigen unter den 11 Inspektionen, welche sich an den großen Strifes im Jahre 1889 nicht berheiligte, folgende Erklärung erlassen: Die Belegschaft der Grube „Schwalbach“ betheiligt sich nicht an dem inter⸗ nationalen Kongreß zu Paris und wird auch zu den durch die Beschickung mit Delegirten entstehenden Kosten nichts beitragen. Dieselbe vertraut auf die Worte Seiner Majestät und will mit französischen und belgischen Umstürzlern nichts zu thun haben. Die Kameraden wollen wohl ihre Lage verbessern, aber auch treu zu Staat und Kirche halten. Schwalbach, den 13. März 1891. ie Ausschußmitglieder. 8 fand am letzten Sonntag eine allgemeine Bergarbeiterversammlung statt zur Gründung einer Zahl⸗ stelle für den deutschen Reichsverband der Bergleute In nächster Zeit wird der Schles. Ztg.“ zufolge der Bergmann Siegel aus Westfalen das schlesische Bergrevier bereisen und dasselbe, fells er von den Knappen gewählt wird, auf dem internationalen Bergarbeiter⸗Kongreß in Paris als Dele⸗ girter vertreten. Als Bervollmächtigte zum

Reichsverband der Bergleute sind in Ober⸗Waldenburg die Bergleute Richter, Simon und Uber, in Waldenburg die Bergleute Springer, Baumann und Illner gewählt worden. Die Stimmung der Bergleute ist ruhig, und im Allgemeinen herrscht vorläufig noch keineswegs die Absicht, die Bewilligung der Forderungen im Wege eines Strikes zu erzwingen. Gleichwohl ist die Lage ernst. Die in Westfalen und im Rheinlande entstandene Bewegung zu Gunsten der in Bochum vom Delegirtentage des deutschen Bergarbeiterverbandes aufgestellten Forde⸗ rungen hat das niederschlesische Kohlenrevier doch zweifellos ergriffen, und ein Ausstand der Bergleute in jenen Revieren würde sich sicher auf das niederschlesische Revier bald übertragen.

Aus Chemnitz wird der „Frkf. Ztg.“ unter dem 15. d. M. ge⸗ schrieben: Der in den letzten Wochen viel besprochene Wirker⸗ strike in Thalheim hat mit einer Niederlage der Arbeiter jetzt sein Ende erreicht. (Vgl. Nr. 34 d. Bl. u. fla.) Nach Lage der Verhältnisse war dieser Ausgang von vornherein so ziemlich gewiß. Die Arbeiter haben sich den Bedingungen der Fabrikanten unterwerfen müssen. Es treten nicht nur die Lohnabzüge ein, um die gestritten wurde, sondern leider werden auch viele Arbeiter keine Beschäftigung wieder finden. .

In Leipzig wurde am Sonntag in einer zahlreich be⸗ suchten Versammlung der Kürschnergehülfen von Lin⸗ denau das Ergebniß der Unterhandlungen mit den Arbeitgebern über den von den Gehülfen aufgestellten Lohntarif mitgetheilt. Der Tarif ist hiernach von einigen Prinzipalen ganz, von anderen nur mit gewissen Einschränkungen anerkannt worden. Die Versammlung setzte, wie die „Lpz. Ztg.“ be⸗ richtet, um eine Einigung berbeizuführen, einige von den Arbeitgebern als zu hoch bezeichnete Ansätze herab, beschloß aber, den Tarif nunmehr unter allen Umständen aufrecht zu erhalten und nöthigenfalls mit Ein⸗ stellung der Arbeit durchzuführen Eine von 300 Personen besuchte Arbeiterversammlung beschloß, dem Leipziger Arbeiterverein beizutreten und die Errichtung eines besonderen Vereinslokals in Kleinzschocher zu betreiben. Die meisten der Anwesenden ließen sich sofort in den Verein aufnehmen. 1 8

Gegen die von den österreichischen sozialdemokratischen Arbeitern beschlossene Feier des 1. Mai durch Ruhenlassen der Arbeit richtet sich folgende Meldung des „Vorwärts“ aus Prag: Die Generalversammlung des Centralvereins der nord⸗ böhmischen Wollindustriellen beschloß, gestützt auf die zu⸗ stimmende Erklärung der befragten 207 Industriellen des Reichenberger Bezirks, den 1. Mai als Feiertag nicht anzuerkennen und den Betrieb, wie an jedem Wochentage, aufrecht zu erhalten.

Ein Wolff'sches Telegramm aus Rom meldet: Die beschäfti⸗ gungslosen Arbeiter, welche gestern wegen des Regens und der polizeilichen Maßregeln kein Meeting abhalten konnten, ver⸗ einigten sich heute in größerer Zahl und versuchten, sich von den höher gelegenen Quartieren in einem Zuge nach der inneren Stadt zu begeben und dort die üblichen Proteste vorzunehmen. Die Polizei schritt ein und verhaftete nach den gesetzlichen Aufford erungen zum Auseinandergehen etwa 20 der Demonstranten. b 8

Kunst und Wissenschaft.

Die Goethe⸗Gesellschaft wird ihre Generalversammlung am Freitag, 8. Mai, in Weimar abbalten; Donnerstag, 7. Mai, wird eine Vorstandssitzung vorausgehen. Den Festvortrag am 8. Mai hält Professor Dr. Veit Valentin aus Frankfurt a. M. über „Die klassische Walpurgisnacht“.

Der Gemeinderath von Straßburg hat der M. „A. Z“ zufolge eine Summe von 400 000 für den Bau einer Kunst⸗ bandwerkerschule bewilligt, welche im ehemaligen botanischen Garten daselbst in einfachem Renaissancestil erbaut werden soll.

Zur deutschen Ausstellung in London sind die organisatorischen Vorbereiturgen Seitens des General⸗Direktoriums und des deutschen Ehrencomités, soweit dieselben in Deutschland zu betreiben waren, zum Abschluß gekommen. Die Hrrn. John R. Whitley, B. W. Vogts, Vorsitzender des Vereins Berliner Industrieller, sowie der durch seine Organisation der deutschen Aus⸗ stellung in Melbourne bekannte Regierungs⸗Baumeister Jaffé und die beiden Münchener Künstler Seidl und Dülfer haben sich jetzt nach London begeben, um daselbst die Arrangements für Raumverthei⸗ lung und Dekoration in Angriff zu nehmen, während die Vertretung in Deutschland in den Händen des General⸗Sekretärs Hermann Hillger, des bewährten Abtheilungsleiters der vorjährigen Bremer Ausstellung, ruht. Die Arsstellung deutscher Kunstwerke in London dürfte die schönste und vornehmste aller bisher veranstalteten deutschen Kunstausstellungen werden. Auch die Anmeldungen von Ausstellungs⸗ objekten der Industrie, die Anfangs nur langsam einliefen, kommen jetzt in beschleunigtem Tempo. Bis Anfang März waren schon 300 industrielle Aussteller und 4 größere Kollektiv⸗Ausstellungen angemeldet. Als Schlußtermin für die Anmeldungen ist, wie wir hören, endgültig der 31. März angesetzt. Weiter wird bekannt, daß jedem Aussteller in gleicher Weise wie auf der 1879er Gewerbeausstellung zu Berlin eine künstlerisch ausgeführte Erinnerungsmedaille eingehändigt werden wird, sowie daß die Ehrendiplome für jeden einzelnen Fall die Be⸗ gründung der Zuerkennung enthalten sollen. 6

Der Generalausschuß des internationalen Kongresses für Hygiene und Demogravphie, welcher in London stattfinden soll, trat am Montag zu einer Sitzung zusammen, in welcher der den Vorsitz führende Prinz von Wales die Mittheilung machte, Ihre Majestät die Königin Victoria habe eingewilligt, das Protektorat des Kongresses zu übernehmen. .

Der Verein der Pariser Architekten hat, wie der „Hann. C.“ erfährt, die Einladung des Berliner Architektenvere sich an der Berliner Kunstausstellung zu betheiligen, abgelehnt.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗

Maßregeln.

Der Gesundheitsstand in Berlin blieb auch in der Woche vom 1. bis 7. März cr. ein ziemlich günstiger und auch die Sterb⸗ lichkeit fast die gleiche wie in der vorhergegangenen Woche (von je 1000 Einwohnern starben, aufs Jahr berechnet, 20,5). Das Vor⸗ kommen von akuten Darmkrankheiten zeigte eine weitere Abnahme, doch erlagen noch immer 88 Personen diesen Krankheitsformen. Die Theilnahme des Säuglingsalters an der Sterblichkeit blieb die gleiche wie in der Vorwoche; von je 10 000 Lebenden starben, aufs Jahr be⸗ rechnet, 84 Säuglinge. Auch akute Entzündungen der Athmungs⸗ organe kamen häufig zum Vorschein und endeten nicht selten tödtlich. Das Auftreten der Infektionskrankheiten blieb meist das gleich beschränkte wie in der Vorwoche. Erkrankungen an Masern, Scharlach und Unterleibstyphus kamen nur wenig häufiger und in keinem Stadttheile in nennenswerther Zahl zur Meldung. Erkrankungen an Diphtherie haben abgenommen und traten nur in dem Tempelhofer Vorstadt⸗Bezirk etwas häufiger zu Tage. Erkrankungen an Kindbettfieber wurden etwas mehr (4) zur Anzeige gebracht. Erkrankungen an rosenartiger Entzündung des Zellgewebes der Haut kamen noch häufig, aber doch etwas seltener als in der vorangegangenen Woche zur ärztlichen Behandlung. Auch gelangte wieder eine Erkrankung an Pocken zur Meldung. Der Keuchhusten rief noch zahlreiche Erkrankungen hervor; die Zahl der Opfer stieg auf 10. Rheumatische Beschwerden aller Art zeigten gegen die Vorwoche keine wesentliche Veränderung in ihrem Vorkommen. :

Aus Lissabon vom 16. März wird dem „W. T. B.“ berichtet Ein Matrose von einer aus New⸗Orleans kommenden hier eingetroffenen italienischen Barke ist in einem hiesigen Kranken⸗ hause am gelben Fieber gestorben. Es sind in Folge dessen strenge Vorsichtsmaßregeln ergriffen worden.

Submissionen im Auslande.

Ohne Datum. Natal Harbour Board: Lieferung eines Baggers.

Näheres an Ort und Stelle. 3 II. Spanien.

30. April. Direccion general de Obras püblicas Madrid: Aus⸗ schreiben einer Konzession zur Erbauung und Betrieb einer Dampf⸗ bahn von Valencia nach Villanueva del Grao.

Näheres in spanischer Sprache beim „Reichs⸗Anzeiger“.

Verkehrs⸗Anstalten.

Hamburg, 16. März. (W. T. B.) Der Postdampfer „Rhaetia“ der Hamburg⸗Amerikanischen Packetfahrt⸗ Aktiengesellschaft hat, von New⸗York kommend, heute Morgen Seilly passirt.

17. März. (W. T. B.) Der Postdampfer „Polynesia“ er Hamburg ⸗Amerikanischen Packetfahrt⸗Aktien⸗

sellschaft hat, von New⸗York kommend, gestern Mittag Lizard

ssirt. 16. März. (W T. B.) Die Union⸗Dampfer „German“ und „Moor“ haben heute auf der Ausreise die Ca⸗ narischen Inseln passirt.

17. März. (W. T. B.) Der Castle⸗Dampfer „Dunottar“ ist am Sonntag auf der Heimreise in London angekommen. Der Castle⸗Dampfer „Norham Castle“ hat am Montag auf der Ausreise Lissabon passirt.

Sebastopol, 17. März. (W. T. B.) Sämmtliche Häfen des Schwarzen Meeres sind nunmehr eisfrei, die Häfen des Asow⸗Meeres sind dagegen noch geschlossen.

Theater und Musik.

Königliche Theater.

In der Vorstellung des „Tannhäuser“ am Mittwoch im Opern⸗ hause sind die Damen Sucher und Leisinger, die Hrrn. Sylrva, Betz, Krolop und Mödlinger beschäftigt. In der Donnerstags⸗Aufführung der Oper „Mignon“ tritt Hr. Philipp als Wilhelm Meister in der Fortsetzung seines Gastspiels auf. Frl. Rothauser singt die Titelrolle, Fr. Herzog zum ersten Male die Partie der Philine, Hr. Oberhauser den Lothacio.

Den Billetverkauf zu dem am Sonntag, 22. März, im Opern⸗ hause stattfindenden Abendconcert der Königlichen Kapelle (Gedächtnißfeier für Wilhelm Taubert) hat die Hof⸗Musikhandlung von Bote und Bock übernommen.

Residenz⸗Theater.

Zu dem Vorverkauf für das Gastspiel Adolf Sonnenthal's, der am Montag beginnt, ist der Andrang so groß, daß es gerathen er⸗ scheint, nicht bis zum letzten Augenblick mit dem Billeterwerb für dieses hervorragende künstlerische Ereigniß zu warten. Gesteigert wird der Verkehr an der Kasse noch durch die vermehrte Nachfrage nach den Aufführungen des unverwüstlichen „seligen Toupinel“, die mit dem Beginn des Sonnenthal'schen Gastspiels ihr Ende erreichen müssen.

Belle⸗Alliance⸗Theater.

Der gestrigen Aufführung von „Richelien“ mit Ernesto Rossi wohnte Seine Hoheit der Herzog Ernst Günther zu Schleswig⸗ Holstein bei.

Die wirklich meisterhafte Leistung, welche Ernesto Rossi als Lear bietet, hat eine ganze Reihe von Zuschriften an die Direktion veranlaßt, welche alle in dem Wunsche gipfeln, Rossi noch einmal in dieser seiner Glanzrolle zu sehen. Demzufolge wird morgen statt „Macheth“ zum voraussichtlich letzten Male „König Lear“ gegeben

werden. Adolph⸗Ernst⸗Theater.

„Adam und Eva“, das jetzige Repertoirestück, geht demnächst an drei großen auswärtigen Bühnen in Scene: am Lobe⸗Theater in Breslau, am Stadt⸗Theater in Königsberg und am Residenz⸗Theater in Hannover.

Philharmonie.

Das zehnte Concert des Hrn. von Bülow, das gestern wieder vor ausverkauftem Hause stattfand, brachte zwar keine Novität, doch waren die dargebotenen musikalischen Genüsse in bohem Grade inter⸗ essant. Die dritte Symphonie von Niels Gade machte den Anfang. Das klare und in der Formgestaltung vollendete Werk wurde musterhaft ausgeführt. Der dritte Satz, der durch seinen Melodienreiz besonders fesselt, wurde wiederholt. Eine Steigerung der künstlerischen Leistungen bildete das hierauf folgende Klavier⸗Concert (D-moll) op. 15 von Brahms, in welchem der Komponist dem Orchester bekanntlich eine sehr bedeutende Rolle zuertheilt hat, sodaß dasselbe sogar mehrmals allein thätig ist. Die geistreiche Durchführung der öoriginellen Motive, die auch den Pianisten reichlich beschäftigt, fesselt den Zuhörer von Anfang bis zum Ende des Werks. Eugen d’Albert, der zur Zeit wohl der vorzüglichste Interpret der Brahms'schen Klavierkompositionen ist, trug dieses schöne Concert mit einer so sicheren Beherrschung aller Schwierigkeiten und mit einem so edlen Feuer der Begeisterung für das Werk vor, daß mehrmaliger Hervorruf erfolgte. Den Beschluß des Abends machte Beethoven's C⸗moll- Symphonie, deren Ausführung zu den glänzendsten Leistungen der Philharmonischen Kapelle gehört. Daß dem Concertgeber auch an diesem Abend wiederum enthusiastische Akklamationen gespendet wurden, bedarf kaum noch der Bestätigung. Seiner energischen und einsichts⸗ vollen Führung gern folgend, bewährte sich auch das Orchester wiederum ganz vorzüglich.

7

14““

„Die Grundsteinlegung für die Kaiser Wilhelm⸗Gedachtniß⸗ Kirche in Charlottenburg, an der Ecke der Hardenbergstraße und des Kurfürsten⸗Dammes, wird auf Befehl und in Gegenwart Seiner

Majestät des Kaisers und Königs am Palmsonntag, 22. März, dem Geburtstage Kaiser Wilhelm's I., Nachmittags 3 Uhr,

wird das Kaiserliche Zelt für die Höchsten Herrschaften von Pionieren aufgeschlagen, und es werden seitlich längs des Kur⸗ fürsten⸗Dammes und der Hardenbergstraße Podien und Tribünen aufgezimmert. Zu der Feier werden Abordnungen der Garde und anderer Truppentheile mit ihren Feldzeichen befohlen und ebenso Musikcorps unter Leitung des Königlichen Musik⸗Dirigenten Frese. Während des Segens ertönen Kanonenschüsse. Eine be⸗ schränkte Anzahl von Tribünen⸗Plätzen wird dem Publikum zur Ver⸗ fügung gestellt, und zwar sind die betreffenden Eintrittskarten, jede für fünf Mark, in dem Baubureau des Maurermeisters E. Deutsch in der Ansbacherstraße 56 bis einschließlich Sonnabend, täg⸗ lich von 9 bis 6 Uhr, zu haben.

Der Magistrat hat, wie die „N. A. Z.“ erfährt, bei der Stadt⸗

vollzogen werden. In der Nähe des Treffpunktes beider Straßenzüge

verordnetenversammlung beantragt, dieselbe möge sich damit einver-⸗

standen erklären, daß der mit der Neuen Berliner Pferdebahn⸗ Gesellschaft abgeschlossene Vertrag vom 31. Mai 1881/15 August 1885 folgende Abänderungen bezw. Ergänzungen erhalte: Die Gesellschaft wird von dem weiteren Ausbau der Linie Frankfurter Allee Rummelsburg befreit; die Stadtgemeinde ertheilt der Gesell⸗ schaft die Genehmigung zum Bau einer neuen Pferdebahnlinie von Weißensee durch die Prenzlauer Chaussee bezw. Allee, Danziger⸗ und Weißenburgerstraße bis zum Anschluß an die das Schönhauser Thor bereits berührenden Linien der Großen Berliner Pferdeeisenbahn. Die Dauer des Vertrages wird bis zum 31. Dezember 1911 verlängert. Als Gegenleistung hierfür hat sich die Neue Berliner Pferdebahn verpflichtet: 1) Eine Pferdebahnlinie vom Bahnhof Friedrichsberg nach der im Bau be⸗ griffenen städtischen Irrenanstalt bei Lichtenberg zu führen. Jedoch soll die Gesellschaft nur dann hierzu verpflichtet sein, wenn die außerhalb der Stadt Berlin zur Genehmigung berufenen Behörden für die Gesellschaft decartige, über die bei der Stadt Berlin üblichen Bedingungen hinausgehenden Forderungen stellen, daß der Gesellschaft nach billigem Ermessen des Magistrats die Annahme derselben nicht zugemuthet werden kann; 2) die an die Stadt Berlin zu zahlende prozentuale Abgabe von der Bruttoeinnahme in Zukunft nach den⸗ selben Grundsätzen, wie dies mit der Großen Berliner Pferde⸗Eisen⸗ bahn vereinbart ist, zu berechnen; 3) Arbeiterwagen mit entsprechender Fahrpreis⸗Ermäßigung einzuführen.

Ueber den ältesten Altersrenten⸗Empfänger theilt die „Voss. Ztg.“ Folgendes mit. Es ist der am 15. Oktober 1799 ge⸗ borene Webermeister J. G. Matthes, Langestraße 64, Hof vier Treppen, wohnhaft, welcher in naher Zeit sein fünfundsechzigjähriges Meisterjubiläum begehen kann. Der jetzt im 92. Lebensjahre stehende Greis webt noch gegenwärtig auf seinem Webstuhl Tucher für die Firma Gebr. Bruck im „Werderhause“. Er hat beinahe funfzig Jahre hindurch zahlreiche Lehrlinge herangebildet. 8

Der hochbetagte Prediger D. Thomas, Archidiakonus an der hiesigen St. Nikolai⸗Kirche, ist nach einer Meldung der „N. Pr. Z.“

gestern früh 7 Uhr nach längerem Leiden verschieden. Die Be-

stattung erfolgt am Mittwoch, 18. d. M., Mittags 1 Uhr, von der Nikolai⸗Kirche aus, woselbst um diese Zeit eine Trauerfeier für den Verstorbenen stattfindet.

Es dürfte den Lesern noch erinnerlich sein, daß am 20. Sep⸗ tember v. J. am Kanal bei dem Eingang zum Potsdamer Güter⸗ bahnhof zwei achtjaͤhrige Schulknaben von einem schweren Roll⸗ wagen überfahren und getödtet wurden. Drei hiesige Schulklassen hatten an einem Tage unter Führung ihrer Lehrer und Lehrerinnen den Zoologischen Garten besucht. Auf dem Rückwege kamen sie an jener Stelle vorüber. Die Lehrer waren bei den Straßenübergängen aufs Eifrigste bemüht, einen Unglücksfall zu verhindern. Die Knaben hatten auch schon fast sämmtlich den Fahrdamm überschritten, als ein schwerer Rollwagen in schnellster Gangart angefahren kam. Die beiden kleinsten Knaben befanden sich noch auf dem Fahrdamm und wurden, ehe sie forteilen konnten, überfahren. Ihre Köpfe waren voll⸗

ständig zerquetscht. Der Kutscher des Wagens kümmerte sich um das,

was er angerichtet, nicht weiter, sondern versuchte zu entkommen, indem er noch schärfer als vorher auf seine Pferde einhieb. Es gelang jedoch ihn einzuholen und zu verhaften. Derselbe, Namens Gustav Winckel, hatte sich der „N. Pr. Z.“ zufolge deshalb gestern vor der dritten Straf⸗ kammer des Landgerichts Berlin I. wegen fahrlässiger Tödtung zu verantworten. Staatsanwalt Stephan beantragte, mit Rücksicht auf die große Rohheit und Fahrlässigkeit, die der Angeklagte bewiesen, und mit Rücksicht auf den Umstand, daß der Angeklagte einer ähn⸗ lichen Strafthat wegen schon einmal vorbestraft ist, eine dreijährige Gefängnißstrafe. Der Gerichtshof erkannte auf zwei Jahre Gefängniß und beschloß, mit Rücksicht auf die Höhe der Strafe, den Angeklagten sofort in Haft zu nehmen.

London, 17. März. Das englische Schiff „British Peeur“, welches sich auf der Fahrt nach Kalkutta via Trinidad befand, kollidirte, wie das „W. T. B.“ mittheilt, am Freitag mit dem Dampfer „Roxburgh Castle“ aus New⸗Castle, 150 Meilen süd⸗ lich von den Scilly⸗Inseln. Der Dampfer „Rorburgh Castle“ sank. Von der Mannschaft sind 22 Personen ertrunken, der Kapitän und der Seemann wurden gerettet.

Die fünfte deutsche Kochkunst⸗Ausstellung, die im Februar d. J. unter dem Protektorat Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Friedrich Karl in Berlin stattfand, hat im letzten Heft der „Illustrirten Frauen⸗Zeitung“ eine höchst interessante, illustrative Erläuterung erfahren. Zu den anmuthigen Bildern hat Detlev von Geyern einen Essay geschrieben, in dem er verschiedene neue Gesichtspunkte entwickelt, die für künftige Ausstellungen dieser Art gewiß nicht ohne Beachtung bleiben werden. Der übrige Theil des Hestes ist ebenfalls textlich wie illustrativ glänzend ausgestattet. Das Beiblatt enthält neben vielem Anderen sehr hübsche Handarbeits⸗ Vorlagen für unsere Damen.

Der große Spielplatz im Westen der Stadt wird am 10. April wieder eröffnet werden. Die Einrichtungen des Platzes sind neuerdings wesentlich vervollkommnet und verbessert; vor Allem ist eine Wasserleitung angelegt, sodaß die Rasenflächen jetzt besprengt werden können. Für Lawn Tennis sind vier Spielplätze errichtet. Auch für die Leitung und Ordnung soll besser gesorgt werden. Ein Turnlehrer wird als Spielleiter fungiren, außerdem werden sowohl Vor⸗ wie Nachmittags Kindergärtnerinnen anwesend sein. Die Ober⸗ aufsicht werden nach wie vor die Mitglieder des Vorstandes und nelchusses führen. Die Spielplatzgesellschaft zählt z. Z. 150 Mit⸗ glieder.

Tilsit, 16. März.

Der Eisgang auf dem Memelstrom hat laut Meldung des „W. T. B.“ begonnen.

Sowinemünde, 15. März. Der Heringsfang an unserer Küste ist nach einer Mittheilung der „N. St. Z.“ diesmal ein sehr er⸗ giebiger; gestern trafen sieben Ahlbecker und Ostswiner Fischerboote voll beladen mit Heringen hier ein, die zwar bedeutend kleiner als die schwedischen, aber viel schmackhafter als diese sind. Ein großer Theil der Heringe wird geräuchert und in diesem Zustande nach 1i verschickt. Das Wall (80 Stück) Heringe kostete gestern 4

.

Breslau, 14. März. Auf der Station Olkacz, unweit der deutsch⸗russischen Grenze, stießen, wie die „Mgdb. Z.“ mittheilt, gestern Nacht ein Personenzug und ein Güterzug zusammen. Drei Personen vom Zugpersonal und zwei Reisende wurden getödtet, mehrere andere Personen wurden verwundet.

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

No. 66.

8 Haus der Abgeordneten. 59. Sitzung vom Montag, 16. März 18ĩ91.

Der Sitzung wohnten der Minister des Innern Herr⸗ furth und der Justiz⸗Minister Dr. von Schelling bei.

Fortsetzung der zweiten Berathung des Etats und zwar des Etats des Ministeriums des Innern.

Die Einnahmen werden ohne Debatte genehmigt.

Es folgt der Titel „Gehalt des Ministers“.

Abg. Dr. Lotichius giebt dem Wunsch Ausdruck, daß das E kommen der Rentmeister in der Rheinprovinz verbessert werden möge. Auch die Landbürgermeister dieser Provinz empfehle er dem Wohl⸗ wollen des Ministers.

Minister des Innern Herrfurth:

Die Gravamina, welche der Hr. Abg. Lotichius soeben aus⸗

gesprochen hat, muß ich an sich als begründet anerkennen, und ich

habe auch meinerseits bereits die Einleitungen getroffen, denselben insoweit Abhülfe zu verschaffen, als dies Seitens der Königlichen Staatsregierung überhaupt möglich ist. Ich gestatte mir jedoch in Betreff des ersten Punktes der Bezüge derjenigen Königlichen Rent⸗ meister, welche Eemeindeeinnehmer sind, darauf aufmerksam zu machen, daß an sich die Frage, welche Ansprüche die zur Zeit im Amt befindlichen Gemeindeeinnehmer zu erheben berechtigt sind, eine Frage des Privatrechts ist und daß ich eine bindende Anordnung für die Gemeinden zu treffen, in dieser Beziehung nicht befugt bin. Ich habe den Ober⸗Präsidenten der Rheinprovinz beauftragt, dahin zu wirken, daß diese Frage in einer den berechtigten Interessen dieser Gemeindeempfänger entsprechenden Weise gleichmäßig geregelt werde. Wenn sich aber Gemeinden weigern würden, eine höhere Vergütung an die Gemeindeerheber zu leisten und dabei sich auf die Verträge beziehen, welche mit den betreffenden Gemeindeeinnehmern abgeschlossen sind, so kann ich, da es sich hierbei um privatrechtliche Fragen handelt, sie nicht zwingen. Ebensowenig bin ich aber der Hr. Abg. Lotichius will ja nicht bloß für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft die Frage regeln in der Lage, für die Zukunft bindende Anordnungen zu treffen. Denn nach §. 79 der rheinischen Landgemeindeordnung hat über die Frage, welche Remuneration die betreffenden Gemeindeempfänger erhalten sollen, der Kreisausschuß Beschluß zu fassen, und ich kann nach dieser Richtung hin den Kreis⸗ ausschuß nicht mit einer bindenden Anweisung versehen.

Die zweite Frage, die Pensionsberechtigung der Bürger⸗

meister betreffend, kann nur gelöst werden im Wege der Gesetz⸗ gebung. Der Hr. Abg. Lotichius hat bereits angeführt, daß ein der⸗ artiger Gesetzentwurf in der Vorberathung ist und dem Provinzial⸗ Landtage in der Rheinprovinz vorgelegen hat. Sobald der Gesetz⸗ entwurf, welcher in diesem hohen Hause und dem Herrenhause bereits Annahme gefunden hat und welcher sich auf die Anwendung der Pensionsnovelle von 1881 auf die Gemeindebeamten bezieht, in der Gesetz⸗Sammlung publizirt sein wird, wird jener erstbezeichnete Gesetzentwurf dem hohen Hause vorgelegt werden. Derselbe ist bereits vollständig vorbereitet, und ich glaube, daß er unmittelbar nach der Osterpause an den Landtag gelangen wird. Abg. von Czarlinski: Die erfolgte Zulassung russischer Arbeiter in die östlichen Provinzen zum Ersatz für die ausgewanderten In⸗ dustrie⸗ und landwirthschaftlichen Arbeiter sei sehr dankenswerth, allein es sei zu beklagen, daß den Leuten nur der zeitweilige Aufenthalt hier in Preußen gestattet werde. Die Verhältnisse in Rußland seien jetzt nicht mehr so schlimm, daß die Leute zur Auswanderung sich gedrängt fühlten und herüberkämen, weil die Lebensbedingungen hier günstiger seien. Wenn sie nur einige Zeit sich hier aufhalten dürften und demnächst wie Vagabonden behandelt würden, so würden diese Leute nicht in genügender Anzahl kommen. Ferner sei es höchst bedenklich, daß nur einzelne hinüberkommen dürften und die Familie in Rußland lassen müßten. Dadurch werde das Familienleben gelockert und die Unsittlichkeit gefördert. Unsere eigenen Arbeiter würden nicht in so großer Zahl namentlich nach Süd⸗Amerika aus⸗ wandern, wenn sie das Recht hätten, ihre Kinder in polnischer Sprache unterrichten zu dürfen. Man möge doch endlich hierin den Polen Gleichberechtigung mit den anderen Staatsbürgern geben. Besonders zu be⸗ klagen sei aber, daß immer noch Ausweisungen von Russen aus dem Osten der Monarchie erfolgten. So seien erst kürzlich wieder zwei solcher Leute ausgewiesen worden. Es würde doch besser sein, man behielte diese einmal im Lande befindlichen Leute da, als daß man immer wieder Fremde heranziehe. Bei der letzten preußischen Volks⸗ zaͤhlung ferner sei in den Formularen auf die Bedürfnisse der pol⸗ nischen Bevölkerung nicht genügend Rücksicht genommen worden. Schließlich weise er auf die Ausbreitung der sozialdemokratischen Tendenzen hin, welche nicht auf polnischem Boden entstanden, sondern ans Berlin dorthin importirt seien und glücklicherweise noch keinen großen Umfang angenommen hätten. Um einer solchen Ausbreitung nicht selbst die Wege zu ebnen, möchte er den Minister dringend bitten, doch die erscheinenden sozialdemokratischen Blätter nicht polizeilich verfolgen zu lassen, wodurch der sozialdemokratischen Richtung nur der Nimbus des Märtyrerthums verliehen werde.

Minister des Innern Herrfurth:

Von den Seitens des Hrn. Abg. von Czarlinski vorgebrachten einzelnen Beschwerden bin ich eingehender nur auf drei zu antworten im Stande. In Betreff derjenigen Frage, welche sich auf die statistischen Aufnahmen bezieht, liegt mir das Formular augenblicklich nicht vor; ich bin aber auch nicht berechtigt, in dieser Beziehung irgend welche Aenderungen zu treffen, da das Formular für die allge⸗ meine Volkszählung vom Reich festgestellt wird.

Eine zweite von ihm zur Sprache gebrachte Frage habe ich bei der Unruhe im Hause nicht vollständig verstehen können; sie schien sich auf Lokale für Ersatzaushebungen zu beziehen. Ich muß mir weitere Erörterungen vorbehalten, bis der stenographische Bericht mir vorliegt.

Die übrigen drei Punkte beziehen sich zunächst auf die von mir getroffene Anordnung in Betreff der Zulassung polnischer Arbeiter in Preußen als Ersatz für den Arbeitermangel, an welchem sowohl die Industrie wie die Landwirthschaft leidet. Der Hr. Abg. von Czarlinski ist im Allgemeinen mit der von mirgetroffenen An⸗ ordnung einverstanden, bemängelt aber zwei Beschränkungen, die in derselben enthalten sind: nämlich daß thunlichst nur eine zeitweise Zu⸗ lassung erfolgen soll auf diejenige Zeit, in welcher der betreffende Arbeitermangel hervortritt, also in der Landwirthschaft namentlich nur

Berlin, Dienstag, den 17. März

für die Zeit des Frühlings, Sommers und Herbstes, und zweitens, daß töunlichst nicht Familien zugelassen werden sollen, sondern nur einzelne ledige Arbeiter. Er sagt: eine Einwanderung der Arbeiter kann voraussichtlich nur dann in größerer Zahl erwartet werden, wenn sie sicher sind, hier eine bessere Existenz zu finden. Diese bessere Existenz liegt wesentlich in en höheren Löhnen, die sie für ihre Arbeit beziehen, und es ist notorisch, daß ebenso, wie die Löhne in den östlichen Provinzen zurück⸗ stehen gegen die Löhne in den mittleren und westlichen Provinzen, so die Löhne in Rußland erheblich zurückstehen gegen die Löhne in unseren östlichen Provinzen, und daß dieser höhere Lohn ein hinreichendes Anreizungsmittel ist, damit russische Arbeiter die Lücken bei uns aus⸗ füllen, welche in Folge einestheils der Auswanderung nach dem Aus⸗ lande, anderentheils in Folge der sogenannten Sachsengängerei ge⸗ rissen worden sind. Und, meine Herren, die Argumente, welche der Hr. Abg. von Czarlinski gegen jene Beschränkungen einwendet, finden ihre Widerlegung in der Thatsache der Sachsengängerei selbst. Die Sachsengängerei besteht eben darin, daß ledige, arbeits⸗ fähige Personen des höheren Lohnes wegen zeitweise aus den Ostprovinzen in die Mittel⸗ und Westprovinzen ziehen. Wollen wir einen Ersatz für diese Sachsengängerei, so bleibt eben nichts übrig, als daß wir eine Art Preußengängereiorganisiren, und das ist durch diese Verfügung in der Weise geschehen, daß die Möglichkeit gegeben ist, für die Zeit, in welcher ledige, arbeitsfähige Personen aus den Ostprovinzen in die Mittel⸗ und Westprovinzen ziehen, einen Ersatz zu finden durch die aus Rußland kommenden ledigen arbeits⸗ fähigen Personen, welche für dieselbe Zeit dann diese Dienste leisten.

Was die Einwanderung von Familien anlangt, so ist die Maßnahme, welche ich getroffen habe, eben wesentlich nur für den Zweck getroffen, Ersatz für den Arbeitermangel zu schaffen, nicht aber eine Einwanderung russischer und galizischer Be⸗ völkerung zu organisiren. Aber ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, es ist keineswegs die Aufnahme von Arbeiterfamilien unbedingt ausgeschlossen worden, vielmehr ist überall da, wo nach der besonderen Organisation des landwirthschaftlichen Betriebes die Arbeiter nur durch Familien ihren Ersatz finden können, also überall da, wo das System der Instleute existirt, den Ober⸗Präsidenten die Ermächtigung ertheilt worden, auch die Ein⸗ wanderung von Familien zuzulassen.

Der Hr. Abg. von Czarlinski hat sodann bemängelt, daß noch Ausweisungen stattfänden, und gesagt, das stehe in direktem Widerspruch mit der Maßnahme der Zulassung der Arbeiter. In dieser Beziehung entgegne ich ihm, daß neue Ausweisungen über⸗ haupt nur veranlaßt worden sind, wenn sich Ausländer lästig gemacht haben, und daß die Fälle, welche er zur Sprache gebracht hat, sich vielmehr auf Ausländer beziehen, die auf Grund der Verfügung vom Jahre 1885 schon früher angeordnet und welche nur nicht zur Aus⸗ führung gebracht worden sind, in dem einen Falle, weil die Ueber⸗ nahme Seitens der russischen Behörden Anfangs verweigert wurde, in dem anderen Falle, weil der Betreffende sich der Maßnahme der Ausweisung dadurch entzogen hat, daß er latiticte. Nun ist das, glaube ich, zweifellos, daß bei solchen früher erfolgten Aus⸗ weisungen der Umstand, daß Jemand sich heimlich der Ausweisung entzogen hat, oder daß die Verhandlungen über seine Uebernahme erst später zum Abschluß gebracht worden sind, keinen hinreichenden Grund bieten kann, um von einer früher ge⸗ troffenen Anordnung wieder zurückzutreten.

Was endlich den Import sozialdemokratischer Ten⸗ denzen durch polnische Zeitungen von Berlin aus auslangt, so ist es richtig, daß eine hier erscheinende sozialdemokratische Zeitung in polnischen Uebersetzungen und wohl noch versetzt mit einzelnen speziell für die polnischen Landestheile versehenen Artikeln in Oberschlesien, Posen, Westpreußen verbreitet wird. Es ist auch richtig, daß ich an⸗ gegangen worden bin, gegen eine derartige Verbreitung der Zeitungen einzuschreiten mit Rücksicht darauf, daß einzelne Artikel derselben sich als strafwürdig herausstellten und zu einer strafgerichtlichen Ver⸗ folgung eigneten. Meine Herren, ich bin mit dem Hrn. Abg. von Czarlinski dahin einverstanden, daß, soweit es sich nicht um eine strafgerichtliche Verfolgung handelt, die Polizei weder berechtigt ist, noch daß es zweck⸗ mäßig sein würde, im Verwaltungswege einzuschreiten. Aber so weit, wie es sich um strafbare Handlungen handelt, ist die Staatsregierung so berechtigt wie verpflichtet, ein Einschreiten zu veranlassen, und wenn die betreffenden Artikel, welche mir durch ein Mitglied dieses hohen Hauses mitgetheilt worden sind, sich als solche ergeben, so wird allerdings von mir der Staatsanwalt ersucht werden, die straf⸗ gerichtliche Verfolgung eintreten zu lassen.

Abg. Szmula verliest aus der erwähnten sozialdemokratischen Zeitung verschiedene Stellen, in welchen die Arbeiter zur Gewalt auf⸗ gestachelt werden. Speziell in den östlichen Landestheilen, welche bisher weniger von der Sozialdemokratie beeinflußt seien, müßten solche Vorgänge mit aller Aufmerksamkeit verfolgt werden, und man müßte Mittel finden, dort der Sozialdemokratie den Boden zu entziehen. Die an der Spitze der Arbeitervereine stehenden Geistlichen ver⸗ möchten ihren Pflichten in dieser Beziehung nicht voll zu genügen; denn obwohl die Arbeiter sich um Tausende vermehrt hätten, sei keine Vermehrung der Geistlichkeit eingetreten. Manche Geistlichen seien in -. von Ueberarbeitung und Aerger plötzlich gestorben. In den

örfern könnten die Lehrer die Geistlichen unterstützen; dazu be⸗ dürfe es aber einer vollständigen Aenderung unseres Schul⸗ aufsichtsgesetzes. Die polnische Muttersprache müsse wieder zur Gel⸗ tung gebracht werden. Ein Kreis⸗Schulinspektor habe einem Lehrer verbieten wollen, mit seinen Angehörigen polnisch zu sprechen. Die Beamten sollten den Arbeitern mit gutem Beispiel vorangehen, was aber leider oft nicht der Fall sei. Ein Hüttenbeamter habe zu Ar⸗ beitern, welche Sonntags Urlaub hätten haben wollen, gesagt: „Was wollt Ihr in die Kirche gehen, um Euch Heiligenbilder anzusehen? Bleibt lieber zu Hause.“ Ein Königlicher Landrath in Oberschlesien habe zu einem Geistlichen gesagt: „Ich will lieber, daß die Sozialdemokratie hier eindringt, als daß die polnische Sprache wieder eingeführt wird.“ (Hört, hört! im Centrum.) Der Minister habe also Veranlassung, solche Beamte durch andere zu ersetzen, welche der Bevölkerung wohlwollend gegenüberständen. Einer Bevölkerung, die mit voller

Liebe und Treue am Herrscherhause hänge, müsse man Beamte geben, die das Vertrauen derselben hätten. Die sogenannten Schlafhäuser

1891.

in den übervölkerten Bergdistrikten seien gut gedacht, aber bei dem Ver⸗ halten mancher Hausväter dienten sie leicht der Unzucht und würden zu Bordellen. Der Minister müsse dafür sorgen, daß nur solche Haus⸗ väter an ihre Stelle gesetzt würden, welche ein christliches Dasein förderten. Auch die Konsumvereine könnten gegen die Bestrebungen der Sozialdemokratie wirken. Der Sachsengängerei müsse große Auf⸗ merksamkeit geschenkt werden. Die Zulassung der fremden Arbeiter genüge nicht, denn es handele sich nicht nur um einen Ersatz für die Sachsengänger, sondern auch für die ausgewanderten verheiratheten Arbeiter. Die Regierung solle von ihren kleinlichen Reskripten gegen die Polen abgehen; denn es handele sich hier um eine große Sache. (Beifall.)

Abg. Korsch beklagt, daß den Berliner Schutzleuten durch ihren Dienst die Sonntagsruhe außerordentlich erschwert und die Sonntags⸗ beiligung unmöglich gemacht werde. Er habe geglaub, daß der dies⸗ jährige Etat eine Vermehrung der Berliner Schutzleute vorsehen werde, welche die Sonntagsruhe ermöglicht haben würde. Da es aber nicht geschehen, frage er den Minister im Einverständniß mit seinen Freunden, ob wenigstens im nächstjährigen Etat eine Vermehrung der Schutzleute stattfinden werde.

Minister des Innern Herrfurth:

Im Allgemeinen kann ich mich in Betreff der Anfragen des Hrn. Abg. Korsch nur auf dasjenige beziehen, was ich hinsichtlich der⸗ selben Angelegenheit im vorigen Jahre hier ausgeführt habe: Ich muß anerkennen, daß die Sonntagsruhe für die Schutzmänner nach der jetzigen Organisation nothwendiger Weise eine sehr be⸗ schränkte ist und daß eine größere Sonntagsruhe für sie wünschenswerth ist, daß dieselbe abe nur gewährt werden kann, wenn eine erhebliche Vermehrung der Schutz⸗ mannschaft eintreten würde. Diese Frage der Vermehrung der Schutzmannschaft steht im Zusammenhang mit einer andern Frage, welche im Verfolg der Verhandlungen über das Gesetz über die Kosten der Königlichen Polizeiverwaltungen in Stadtgemeinden einer ein⸗ gehenden Erwägung unterliegt, nämlich mit der Frage, ob es nicht thunlich und zweckmäßig sein möchte, das Nachtwachtwesen, welches in den Gemeinden mit Königlicher Polizeiverwaltung überall, auch in Berlin, ein städtisches ist, auf den Staat zu übernehmen. Mit dieser Uebernahme würde alsdann eine sehr erhebliche Vermeh⸗ rung der Schutzmannschaften verbunden sein, diese Vermehrung aber voraussichtlich dann auch die Möglichkeit gewähren, in ausgedehnterem Maße die wünschenswerthe Sonntagsruhe den Schutzmännern zu Theil werden zu lassen. Aber es handelt sich hier das muß ich bHervorheben um sehr be⸗ deutende Kostenbeträge. Es würden, wenn das Nachtwachtwesen von den Städten auf die Königlichen Polizeiverwaltungen übernommen würde und an Stelle der städtischen Nachtwächter die nächtliche Sicherheit durch Schutzmänner mit ausgeübt werden sollte, die Kosten dieses Nachtwachtwesens nach den angestellten Ermittelungen beinahe verdreifacht werden. An Stelle von 1 400 000 ℳ, welche in den ein⸗ undzwanzig Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung jetzt städtischer⸗ seits für das Nachtwachtwesen ausgegeben werden, würde die Summe von mehr als 3 600 000 erforderlich werden. Es ist, glaube ich, 1

nicht anzunehmen, daß dieses hohe Haus, selbst wenn der Herr Finanz-

Minister sich bereit finden lassen wollte, eine solche Er⸗ höhung eintreten zu lassen, dazu seinerseits ohne Weiteres die Zustimmung geben wird. Es wird sich die Vermehrung der Schutzleute nur schaffen lassen durch eine neue organische Ein⸗ richtung, welche in Verbindung gebracht werden muß mit einer ander⸗ weitigen Gestaltung des Gesetzes über die Kosten der Königlichen Polizeiverwaltung in den Städten. Für eine bezügliche Vorlage sind die Vorbereitungen bereits so weit gefördert, daß ich allerdings hoffe, in der nächsten Session dem hohen Hause einen solchen veränderten Entwurf vorlegen zu können.

Abg. Rickert: Er halte die Einschränkungen für die Zulassung russisch⸗polnischer Arbeiter auch für zu scharf, insbesondere, wenn an⸗ geordnet werde, daß die Arbeitgeber die Arbeiter, sobald sie sie nicht mehr brauchten, wieder zurückschicken sollten. Das sei ja ganz un⸗ möglich. Neue Ausweisungen, sagte der Minister, kämen nicht mehr vor. Aber es seien Ausweisungen wieder aufgenommen worden, die jahrelang sistirt gewesen seien. Ueber einen solchen Fall, in welchem die Maßregel als besonders grausame Härte erscheine, habe er Ver⸗ anlassung genommen, dem Minister Bericht zu erstatten. Man solle doch etwas mehr menschliches Wohlwollen üben. Er habe eigent⸗ lich für eine etwas untergeordnete Sache das Wort ge⸗ nommen: die Formen des amtlichen Verkehrs zwischen den Behörden ꝛc. Der Landrath im Kreise Namslau verlange von den Gemeindevorstehern in den Berichten das „gehorsamst“ statt des „ergebenst“. Verfügungen in eben diesem Sinne seien auch ander⸗ wärts von den Landräthen erlassen worden. Er meine, die Gemeinde⸗ vorsteher thäten besser, auch das „ganz ergebenst“ fortzulassen, wie es der Landrath in Danzig in einer Verfügung vom 28. Januar d. J. angeordnet habe. Derartige Eigenthümlichkeiten unseres deutschen Kanzleistils paßten nicht mehr zur heutigen Zeit. Um den Schwierig⸗ keiten in der Unterscheidung zwischen „Wohlgeboren“ und „Hochwohl⸗ geboren“ zu entgeben, habe er in seinen dienstlichen Schreiben gewöhnlich Jeden, der es nach seinem Vermuthen nicht als Ironie nehmen würde, mit „Hochwohlgeboren“ angeredet. Ueber diese Unter⸗ scheidung habe einmal die „Kreuz⸗Zeitung“ im Briefkasten die Aus⸗ kunft gegeben, daß auch Herren vom Adel keinen Anspruch auf das Prädikat „Hochwohlgeboren“ hätten, wenn sie „eine niedrige Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft als Kaufleute, Handwerker oder Bauern einnehmen.“ Das sei charakteristisch: der Bauer, der viel umworbene, ein „niedriger“ Stand! Und ebenso der Handwerker! Der Kaufmann werde sich darüber weniger wundern. Der Reichs⸗ kanzler habe die Neujahrsgratulationen abgeschafft; vielleicht verständige er sich mit seinen Kollegen auch darüber, daß die veralteten Auswüchse des Kanzleistils abgeschnitten würden. (Bravol links.)

Minister des Innern Herrfurth:

Der Hr. Abg. Rickert hat zunächst die Frage wegen der Zu⸗ lassung der polnischen Arbeiter wieder zur Diskussion ge⸗ zogen und, ebenso wie der Hr. Abg. Szmula, bemängelt, daß die Maßregel nicht ausreichend sei, um dem Bedürfniß Abhülfe zu schaffen. Ich mache zunächst darauf aufmerksam, daß diese Verfügung vom 26. November z. Z. sich ganz ausdrücklich als eine Probemaß⸗ nahme charakterisirt, die auf Zeit getroffen ist und welche eine ent⸗ sprechende Abänderung finden wird, wenn sich herausstellen sollte, daß dieselbe nicht ausreicht oder daß sie zu weit geht. Der von dem Abg. Rickert erwähnte Punkt 3 ist in der Ministerialverfügung über⸗