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agraph noch verschlimmert; wolle der doch gar die Namen der adurch gemaßregelten Arbeiter veröffentlicht sehen, was, wenn s die Arbeiter mit Namen von Arbeitgebern thäten, von den Ge⸗ ichten mehrfach als grober Unfug und Verrufserklärung bestraft werden würde. 8 8 Abg Dr. Hirsch: Es werde ihm schwer, einem so verdienstvollen Mann, wie dem Abg. Dr. Gutfleisch, mit dem er viele Jahre Schulter Schulter für die Arbeiterinteressen kämpfe, in dieser so wichtigen Frage entgegenzutreten. Er erkläre, daß er und ein Theil seiner Freunde gegen den Antrag Gutfleisch stimmen würden. Es sei also ine Fälschung, wenn der Abg. Singer, nachdem der Abg. Dr. Gut⸗ fleisch schon gestern seine Ausführungen nur für seine Person abgegeben habe, die Annahme desselben für ein Brandmal der freisinnigen Partei halte. Er (Redner) beschäftige sich seit mehreren Jahrzehnten mit der Frage des Kontraktbruchs, und nach eingehenden theoretischen und raktischen Studien habe er erkannt, daß alle Ausnahmebestimmungen traf⸗ und privatrechtlicher Natur das Uebel nur verschlimmerten. Darum habe er sich schon im Jahre 1874 gegen die Be⸗ strafung des Kontraktbruchs erklärt, und da er den bezüglichen Aus⸗ führungen der Abgg. Payer und Bebel völlig beitrete, nehme er die Geduld des Hauses dafür nicht länger in Anspruch; Vieles von den Ausführungen dieser Abgeordneten sei in seinem damaligen Gut⸗ chten und in dem, was er und seine Freunde in der Kommission erklärt ätten, enthalten. Die Uebereinstimmung dieser drei Fraktionen in dieser Frage folge ja schon aus den Ausführungen des unsterblichen Lasker hieruber. Aber darum wolle er nicht etwa Alles, was der Abg. Bebel gesagt habe, unterschreiben. Vor allen Dingen müsse er die Darstellung des Abg. Bebel auch heute wieder zurückweisen, als ob durch §. 119 a eine Verschlechterung der Arbeiter herbeigeführt werde, die früher nicht bestanden habe. Es sei hier insofern durchaus nichts Neues geschaffen, als der §. 119a mit dem vorliegenden Paragraphen nichts zu thun habe. Der Handels⸗Minister habe einen Anterschied festzustellen versucht zwischen dem Arbeiterkontraktbruch und allen anderen Kontraktbrüchen und den ersteren als allein gemein⸗ gefährlich bezeichnet, Lägen nicht auch Kontraktbrüche in Lieferungs⸗, Mieths⸗, Schuldverhältnissen u. dergl. in großer Zahl und Schwere vor, wo die Existenz Eines oder Vieler gefaͤhrdet werde, ja wo nicht nur Schaden, sondern auch Schande über Viele gebracht werde? Wenn Jemand z. B. im Vertrauen auf ein gegebenes Wort Werthe aus der Hand gebe und selbst Verpflichtungen übernehme, durch den Kontraktbruch seiner Schuldner aber selbst kontraktbrüchig, vielleicht bankerott werde, und so seiner und seiner Familie Ehre ruinire, lasse sich diese Rechtsverletzung mit ihrer schweren Schädigung gleichstellen der Verweigerung einer noch nicht bezahlten Arbeitsleistung vor der rechtzeitigen Kündigung? Trotzdem solle für jenen Fall nur das Civilrecht maßgebend sein, während in dem zweiten Fall eine dem Strafverfahren ähnliche Entschädigung ohne Nachweis des Schadens eintreten solle. Die vorgebrachten Ziffern bewiesen nachgewiesenermaßen gar nicht, daß der Kontraktbruch bei den Arbeitern stärker sei, als in anderen Klassen. Um ein richtiges Bild zu gewinnen, müßte man außerdem nicht ein einzelnes Jahr herausgreifen, sondern die ganze Zeit seit Gewährung der Koalitionsfreiheit in Betracht ziehen, also über die letzten 20 Jahre eine Statistik auf⸗ stellen. Es würde sich herausstellen, daß seit 1875—87, also in 13 Jahren, Arbeitseinstellungen, geschweige denn Kontraktbrüche bei den Arbeitern überhaupt fast nicht vorgekommen seien. Ehe man solche Vorwürfe gegen einen großen ehrenhaften Stand schleudere, sollte man wenigstens die Grundlagen und Regeln einer ordent⸗ lichen Statistik beobachten. Diese Bestimmung sei nicht dazu an⸗ gethan, die Zufriedenheit unter den Arbeitern zu fördern, im Gegen⸗ theil, die Folgen würden verhängnißvoll sein für die ganze soziale Frage. Gegen die elementare Macht der Ausstände würden solche Vorschriften nicht ausreichen. Diese Ausstände hätten innere Gründe; die Arbeiter wollten fortschreiten zu Wohlstand, Intelligenz und Sittlichkeit. Diese Bewegungen bekundeten, wenn sie auch auf falschen Wegen erfolgten, doch ein richtiges Ziel. Gegen so mächtige Strö⸗ mungen wolle man mit derartigen Zwirnsfäden etwas ausrichten? Die großen Betriebe würden übrigens durch diese Bestimmungen garnicht getroffen. Was bleibe also übrig? Nur die Verbitterung in den Arbeiterkreisen, und zwar nicht nur in denjenigen, welche jetzt schon extremen Richtungen zuneigten, sondern weit darüber hinaus. Der Arbeiter habe zwar kein Organ für juristische Feinheiten, aber ein tarkes instinktives Gefühl für sein Recht und seine Interessen. Alle Diejenigen, die den sozialen Frieden wollten, müßten die Bestimmung tief bedauern, und deshalb lege er Verwahrung ein egen eine solche Verschlechterung des Gesetzes, das im Uebrigen rotz mancher Mängel wohl fähig gewesen wäre, mehr und mehr en Arbeitern den guten Willen der Regierung und des Reichstages u zeigen. Durch eine solche Bestimmung aber müsse der Eindruck n das Gegentheil umschlagen. Abg. Hitze: Der Abg. Bebel habe eine eingehende Rede über en Bergarbeiterstrike gehalten. Auf den Bergbau habe aber §. 125 berhaupt keine Anwendung. Es sei das eine Aufwirbelung von Staub gewesen, den er auf das Centrum habe werfen wollen. (Beifall m Centrum.) Gewiß sei §. 125 eine Ausnahmebestimmung, aber nicht nehr als der ganze Arbeiterschutz. Der Arbeitsvertrag sei mit einer Reihe von Kautelen versehen worden, und da liege es nahe, ihn auch nach dieser Richtung zu regeln. Die Bestimmung sei ebenso für und egen die Arbeiter wie für und gegen die Arbeitgeber gerichtet. Sie sei keineswegs zu Gunsten der Arbeitgeber allein, die man durch ieses Gesetz gewissermaßen unter Polizeiaufsicht stelle. Von Strafe oder Buße sei nicht die Rede. Es handele sich um eine fixirte Ent⸗ chädigung. Daß sie auch dann gezahlt werden müsse, wenn kein Schaden nachgewiesen sei, habe in der Erfahrung seinen Grund, daß der Schaden chwer nachzuweisen sei, sowohl für den Arbeiter, als für den Arbeit⸗ geber. Die fixirte Entschädigung mache Beweisaufnahme, Kosten und Prozesse überflüssig. Bei einer fixirten Entschädigung sei es natürlich, daß sie in dem einen Falle zu hoch, in dem anderen zu niedrig sei. In den meisten Fällen werde sie zu niedrig sein. Im Uebrigen komme sie sowohl dem Arbeiter wie dem Arbeitgeber zu gute, ja dem Arbeiter noch mehr. Der Arbeiter werde im Falle seiner kontraktwidrigen Entlassung einfach volle Zahlung seines Lohnes ver⸗ langen, wenn er keine andere Arbeit finde. Wenn er aber andere Arbeit finde, so werde er den Lohn aus dem Arbeitsvertrage einziehen und außerdem die fixirte Entschädigung nehmen, während der Arbeitgeber auf die fixirte Entschädigung allein angewiesen sei. Könne der Arbeiter ohne Entschädigung die Arbeit verlassen, so werde er das vielfach in leichtsinniger Weise thun, und die Folgen würden sein, daß der Arbeitgeber sich auf eine Kündigungsfrist überhaupt nicht mehr ein⸗ ließe, und, was wichtiger sei, die Theilnahme des Arbeitgebers für den Arbeiter, das Gefühl der Verantwortung für dessen Wohl würde sich vermindern. Gerade wenn man den Arbeitern wohlwolle, wenn man wolle, daß sie von dem Koalitionsrecht den rechten Gebrauch machten, müsse man den §. 125 gutheißen. Auch diese Bestimmung sei eine Schutzbestimmung für den Arbeiter, indem sie erleichtere, daß die Ehre des deutschen Arbeiterstandes intakt bleibe; und insofern liege sie auch im Interesse der ganzen Gesellschaft. Wenn man diese Frage als eine Machtfrage hinstelle, so seien die Arbeiter die Geschädigten; denn die Arbeiter seien die Schwächeren. (Beifall im Centrum.)
Abg. Möller: Es handele sich bei diesem Paragraphen gar nicht um große Fabriken, sondern um kleine Betriebe, und bei diesen sei der Kontraktbruch ganz besonders als unsittlich zu betrachten. So fasse man die Sachen auch in England auf, und es sei ihm versichert
worden, daß von 12⸗ oder 1500 Strikes im vorigen Jahre nur drei mit einem Kontraktbruch verbunden gewesen seien. hahin müsse die gesunde Arbeiterbewegung führen. Die Natur der Dinge werde dahin führen, daß die Organisation der Arbeiter, aber auch der Arbeit⸗ eber fortschreite. Die Organisation der Arbeitgeber sei hervorgerufen urch die brof Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Einer Koalition der Arbeiter sei er für seine Person nie entgegengetreten. Er wisse sehr wohl, daß er sich damit in Widerspruch befinde mit einem gsroßen Theil seiner Erwerbsgenossen, aber das hindere ihn nicht 8 das auszusprechen. Weil es den Sozialdemokraten nicht passe, da ihnen der Kontraktbruch zum Vorwurf gemacht werde, darum
wollten sie die Kündigungsfrist vollständig über Bord werfen. Die Kündigungsfrist müsse aber aufrechterhalten werden. Die §§. 125, 119 a und 134 hätten gegenüber der Regierungsvorlage eine erhebliche Abschwächung erfahren. Die Sozialdemokraten seien gegen diese Be⸗ stimmung, weil sie den Kontraktbruch nicht glaubten entbehren zu können als ein illoyales Kampfmittel. Der Abg. Bebel habe von der großen Dividende der Bergwerksgesellschaften gesprochen. Er habe dabei aber nur die drei letzten Jahre herangezogen. Der Bergbau sei und werde bleiben ein Lotteriespiel. Nehme man den Durch⸗ schnitt der letzten 20 oder 15 Jahre, so kämen nur sehr geringe Zinsen heraus. Der große Strike von 1889 sei gewissermaßen eine Epidemie gewesen wie die Cholera. Die Bergwerksbesitzer hätten daran keine Schuld. Was die Hausindustrie anbetreffe, so bestehe bei der großen Mehrzahl eine Kündigungsfrist überhaupt nicht, auch in der Ziegeleibranche bestehe sie nicht überall. Er bitte, die An⸗ träge Auer und Payer abzulehnen. (Beifall.)
Damit schließt die Diskussion.
In der Abstimmung wird zunächst der Antrag Krause auf Streichung der Bestimmung, daß die Forderung der Entschädigung an den Nachweis eines Schadens nicht gebun⸗ den sein soll, abgelehnt. Der unveränderte erste Absatz wird darauf nach einem Antrage Hartmann und Genossen als besonderer §. 124 b von dem bisherigen §. 125 abgetrennt. Die Abstimmung über den neuen §. 124b ist eine na⸗ mentliche. Sie ergiebt 143 Stimmen für, 51 dagegen.
Da nur 194 Mitglieder anwesend sind, ist das Haus nicht beschlußfähig. Die Sitzung muß abgebrochen werden.
Schluß 5 ¼ Uhr.
Statistik und Volkswirthschaft.
Zur Arbeiterbewegung. 8
Aus Halle wird dem „Vorwärts“ über den dritten Kon der Bau⸗ und gewerblichen Hülfsarbeiter, der am 6. d. M. dort eröffnet wurde, geschrieben, daß nach dem über die Thätigkeit der Agitations⸗Kommisston erstatteten Bericht sämmtliche im vorigen Sommer unte nommenen Strikes erfolglos gewesen sind. In einem Falle (Neumünster) trugen die Maurer insofern die Schuld, als je die Arbeiten der Bauarbeiter mitverrichteten und dadurch den Strike illusorisch machten. Die Agitations⸗Kommission hielt es für nothwendig, ein Mitglied fest anzustellen, welches die laufenden Geschäfte zu erledigen habe und die kleineren Agitations⸗ touren besorge. Was die AÄgitation in diesem Jahre betrifft, so wurde bemerkt, daß es bei dem Mangel an Geldmitteln nicht möglich war, eine so umfängliche Agitation zu entfalten wie im Vorjahre. Der Kostenersparniß halber habe man die Agitation für Ost⸗ und Westpreußen an Stettin, für Sachsen und Schlesien an Berlin abgegeben. Der Berichterstatter schloß sein kurzes Re⸗ ferat mit den Worten: Es sei besser, 5000 ℳ zur Agitation zu verwenden, als 500 ℳ für einen Strike. Ueber die „örtliche Berichterstattung“ führen wir an, daß in Dortmund 10 stündige Arbeitszeit bei 30 ₰ Stundenlohn besteht, in Berlin desgleichen; in Berlin sind von 10 000 Bauarbeitern nur 600 organisirt, in Reinickendorf von 650 nur 100. In Mecklenburg be⸗ steht ein Stundenlohn von 18— 20 ₰, die Arbeitszeit beträgt 10, i einzelnen Fabriken aber bis zu 18 Stunden. Aus Hamburg wurde mitgetheilt, daß dort 2500 Arbeiter organisirt seien; u. s. w.
In Leipzig hat das Gewerkschaftskartell kürzlich über seine pekuniären Erfolge Rechnung abgelegt. Die Einnahmen vom 1. Januar bis 31. März 1891 haben hiernach 1510 ℳ, die Aus⸗ gaben 1387 ℳ betragen. Seit seinem Bestehen (August 1890) hat das Kartell eine Gesammteinnahme von 2887 ℳ erzielt. Dieses Ergebniß wurde, wie die „Lei z. Ztg. mittheilt, mit Recht sehr absprechend beurtheilt. Auch über die schwache Betheiligung der Vertreter an den Sitzungen wurde geklagt. Dem Kartell gehören gegenwärtig 40 Gewerkschaften an. — Die selbständigen Barbiere, Frifeure und Perrückenmacher sowie deren Gehülfen hielten vorgestern eine von 180 Personen besuchte Versammlung ab. Angehörige der Innung schienen sich nicht betheiligt zu haben. Ein Hr. Harder aus Dresden schilderte in einem Vortrag die Lage der Barbiere u. s. w. als eine traurige und erhoffte eine Besserung nur von dem Anschluß der Gewerkschaft an die „moderne“ Arbeiterbewegung, d. h. Sozialdemokratie.
Den Bericht über den Ende März in Altenburg abgehbaltenen Verbandstag der Buchbinder (vgl. Nr. 83 d. Bl.) ergänzt und berichtigt der „Vorwärts“ durch folgende Mittheilungen: An⸗ wesend waren 45 Delegirte, welche 45 Vereine vertraten, 6 Vereine hatten Kostenersparniß halber keinen Delegirten gesandt, sondern schriftlich ihr Einverständniß bekundet. Nach dem Bericht des Ver⸗ bandsvorsitzenden A. Dietrich⸗Stuttgart umfaßt der Ver⸗ band 51, zum 1. April durch den Zutritt eines weiteren 52 Vereine. Seit dem letzten Verbandstage sind 22 Vereine beigetreten resp. neu gebildet worden, 7 Vereine ausgetreten resp. eingegangen. Die Mitgliederzahl beträgt ca. 3000; die Auflage de „Buchbinder⸗Zeitung“ 4000. Verbesserungen durch Lohnerhöhung oder Verkürzung der Arbeitszeit wurden in den letzten zwei Jahren in Stuttgart, Hannover, Stettin, Breslau, Magdeburg und Nürnberg gefordert und großentheils durchgeführt. Der Bestand der Verbandskasse betrug ca. 12 000 ℳ, jedoch wurde in Anbetracht einer regeren Agitation und um besser auf alle Angriffe vorbe⸗ reitet zu sein, eine Erhöhung der Beiträge von 40 auf 50 ₰ be⸗ schlossen, die jeder Verein pro Mitglied und Monat zu entrichten hat. Die wichtigste Aenderung war die Möglichkeit des Beitritts der Arbeiterinnen. Die Mitglieder sollen angehalten werden, die Gründung von Arbeiterinnenvereinen zu beschleunigen. Eine Reso⸗ lution zu Gunsten einer Vereinigung der graphischen Ge⸗ werbe fand einstimmig Annahme; ebenso wurde die Beschickung des Gewerkschafts⸗Kongresses durch zwei Vertreter beschlossen.
In Braunschweig erklärten, wie man der „Nat.⸗Ztg.“ schreibt, die Sozialdemokraten den Boykott über die Balhorn'sche Aktienbrauerei. Sämmtliche übrigen Brauereien beschlossen solidarisch die Schadloshaltung der in Verruf erklärten Brauerei. 8
Hier in Berlin haben, wie dasselbe Blatt berichtet, die Ge⸗ hülfen der Lederwaaren⸗Fabrik von L. Landes u. Co. wegen Lohn herabsetzung die Arbeit eingestellt. — Eine sozial⸗ demokratische Volksversammlung für den vierten Berliner Reichs⸗ tagswahlkreis nahm vorgestern folgende Resolution an: In Erwägung der vorkommenden Unregelmäßigkeiten, welche durch dieplanlose Ein⸗ berufung von öffentlichen Partei⸗ und Volksversammlungen entstehen, die auch vielfach des Charakters einer Volksversammlung entbehren, und in weiterer Erwägung, daß alle Parteiangelegenheiten nur vor das Forum der Genossen gehören, mithin auch nur vor von diesen ein⸗
esetzten Organen ihre Erledigung finden können, empfiehlt die Ver⸗ ammlung den Genossen, nur solche Versammlungen als Partei⸗ versammlungen zu betrachten, welche von den Vertrauens⸗ männern einberufen werden, oder die zum Mindesten neben dem Namen des Einberufers auf der Einladung den Vermerk haben: Im Einverständniß mit den Vertrauensleuten.
In Wien dauert die Ausstandsbewegung der Bäcker⸗ gehülfen noch fort; wie ein Wolff'sches Telegramm vom gestrigen Tage meldet, striken etwa 1300 Gehülfen, während etwa 1000 die Arbeit fortsetzen. Die zur Beilegung des Ausstandes eingeleiteten Verhandlungen blieben bisher ohne Erfolg.
Aus Reichenberg wird delerral gemeldet, daß die dortige Handelskammer bheschlossen hat, in einem dringlichen Gesuche den Handels⸗Minister zu bitten, durch öffentliche Kundmachung die Arbeiter auf die gesetzlichen Folgen des Rechtsbruches vöß eine eigenmächtige Einstellung der Arbeit am 1. Mai zu ver⸗ weisen.
In Antwerpen hat sich, wie ein Brüsseler Telegramm des Wolff'schen Bureaus meldet, ein Arbeiterinnenverband, der
erste dieser Art
1“ “ in Belgien, gebildet.
Der neue Verband beschloß seine Zugehörigkeit zur Arbeiterpartei.
Wie aus Paris telegraphisch berichtet wird, kam es gestern in 8 Pantin zwischen strikenden und neu aufgenommenen ausländi⸗
schen Arbeitern der Glasfabrik Viddie zu Thätlichkeiten, sodaß die Gendarmerie einschritt und mehrere Verhaftungen vornahm.
— Die Maifeier scheint dieses Mal in Paris nicht bedeutender werden zu wollen, als letztes Jahr. Im Schoße des Organisations⸗-
comités für dieselbe herrscht der „Frkf. Ztg.“ zufolge die größte Uneinig⸗ keit zwischen den Blanquisten und Marxisten (Guesdisten) und den Allemanisten (der einen Die gestrige Sitzung des Comités war und man konnte sich nicht über die Frage einigen, ob eine Abordnung der Arbeiter nach der Kammer geschickt werden solle. Die ausständischen Fellfärber (nicht Weißgerber, wie einige
Blätter berichteten) hielten Mittwoch Abend eine neue Versammlung
ab, in der sie die Fortsetzung ihres Strikes beschlossen. Was sie noch mehr zu erbittern scheint, als die Weigerung der Färberei⸗ besitzer Sanouer und Jacquelin, ihnen ohne Unterschied 60 Centimes für die Stunde zu sichern, ist der „Mgdb. Ztg.“ zufolge die Wahr⸗ nehmung, daß sie größtentheils schon ersetzt sind. Fällen üblich, suchen jetzt die Strikenden die Arbeiter, die geblieben n.- und mißhandeln sogar die Arbeiterinnen. (Vergl. K 8 .)
Einem „Wolff’schen Telegramm“ aus Epinac zufolge, haben mehrere Lyoner Glasfabrikanten in Folge von Strikes ihre
Fabriken dorthin verlegt, deren Betrieb am 1. Mai beginnen soll.
Die Rädelsführer der Lyoner Strikenden, welche den Versuch
machten, die Arbeiter in Epinac gegen das neue Unternehmen aufzu⸗
hetzen, sind von der Bevölkerung gezwungen worden, schleunigst ab:
zureisen.
Bureaus“: Die Bemühungen der Konvention sämmtlicher Bergarbeiter der Vereinigten Staaten, ein Kompromiß
zwischen Arbeitgebern und Arbeitern zu Stande zu bringen, haben
nicht zum Ziele geführt. Man befürchtet infolge dessen, daß der
Ausstand sich noch weiter ausdehnen und bis zum 1. Mai Die Ritter der Arbeit und der Arbeiterbund fahren fort, die Forderung der Arbeiter auf acht⸗
75 000 Ausständige umfassen könne.
stündigen Arbeitstag zu unterstützen.
Nach Mittheilung des Statistischen Amts der Stadt
Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom
29. März bis inkl. 4. April cr. zur Anmeldung gekommen: 633 Ehe⸗
schließungen, 864 Lebendgeborene, 19 Todtgeborene, 449 Sterbefälle.
Mannigfaltiges.
Der Verein für die Besserung der Strafgefangenen
hält am Montag, 13. April, Abends 7 Uhr, im Bürgersaale des
Rathhauses, Königstraße 15 — 18, seine Generalversammlung ab. Auf
der Tagesordnung steht: 1) Jahresbericht und Rechnungslage durch den Geheimen Ober⸗Justiz⸗Rath Dr. Starke, 2) Das Christenthum
im Strafvollzuge (Dircktor Dr. Krohne), 3) Die Thätigkeit des
Arbeitsnachweise⸗Bureaus (Hr. Bischoff).
Spandau, 9. April. Das Comité für die Errichtung eines 8
Kaiser Friedrich⸗Denkmals hat nach einer Miztbeilung des
„Anz. f. d. H.“ beschlossen, daß das Denkmal nach dem Entwurf des Bildhauers Manthe in der Bildgießerei von Castner Nachf.,
Berlin, ausgeführt werde. Man hofft, daß am 1. Juni nächste Jahres die Enthüllung wird bewerkstelligt werden können.
Westerland, 8. April. Sylter Stahlquelle.
Autoritäten empfohlen wird, ist ein früheres Beginnen der Kurzeit in diesem Jahre bedingt. Kurbedürftige, besonders Blutarme und Bleichsüchtige,
welche nicht baden, sondern nur die gemeinsamen Heilwirkungen der Seeluft, des Eisenwassers und einer Milchkur, welch letztere, da die Milch hier bei dem prächtigen Viehstand und den weiten vorzüglichen Weideplätzen ganz besonders gut und voll ist, nur empfohlen werden . in der ersten Hälfte des Mai und im Juni, also der Vorsaison, die günstigsten Verhältnisse für eine derartige Kur vor. Es ist Sorge getragen, daß junge Damen und Kinder, welche ohne Begleitung Angehöriger zum Kuraufenthalt
kann, genießen wollen, finden gerade
kommen, in vorzüglich gelegenen Wohnhäusern feinster Familien liebe
volle Aufnahme, sowie volle Pension und Familienanschluß bei soliden Preisen finden und auf gemeinsamen Ausflügen Gelegenheit haben, die reichen Naturschönheiten der Insel kennen zu lernen. Durch Ver⸗ anstaltung von Gesellschaftsspielen und sonstige Unterhaltungen wird
man für vielseitige Abwechselung bemüht sein.
Einbeck, 9. April. In dem in unserer Nähe liegenden Ort Hullersen ist nach einer Meldung der „N. Pr. Ztg.“ die große
Düserberg'sche Pappenfabrik vollständig niedergebrannt
Das Feuer soll auf dem Trockenboden entstanden sein. Die Fabrik war bei der Magdeburger Feuer⸗Versicherungs⸗Gesellschaft mit 180000. ℳ
versichert.
Großengottern, 8. April. Das seltene Fest der diaman tenen Hochzeit haben, wie der „N. Pr. Z.“ mitgetheilt wird, vergangenen Sonntag die Otto'schen Eheleute hier gefeiert.
Jubelbräutigam ist 89, die Jubelbraut 85 Jahre alt. Superintendent
Giesecke überreichte bei der kirchlichen Feier die von Seiner Majestät dem Kaiser gespendete Ehejubiläums⸗Medaille mit einer herzlichen Ansprache.
samem Fallen und die Hochwassergefahr daher vorüber.
Schwerin.
einer gewissen Ordnung neben einander lagen. waren die Gräber durch eine Steinschicht, unter welcher sich wiede
eine Kohlenschicht befand. Nicht eine der aufgefundenen Leichen hatte die Lage von Westen gegen Osten, vielmehr lagen sie von Süden
gegen Norden oder umgekehrt, mehrere auch wieder in anderer Richtung. Namentlich wurden Messer gefunden, nicht aber, wie früher, Sargnägel. An Schläfenringen fand man nur einen einzigen von Bronze. Eigenthümlicherweise entdeckte man gebrannte Urnen⸗ scherben zwischen den Grabstätten. Nur eine einzige nothdürftig erhaltene Urne konnte man ans Tageslicht fördern. Hr. Dr. Beltz konnte zwei Kisten mit Fragmenten nach Schwerin senden, um sie, gereinigt und geordnet, später dem Museum zu üvergeben.
„Prag, 10. April. Die Elbe ist laut Meldung der „D. B. 8 so bedeutend gestiegen, daß der Landungsplatz 2. böhmischen Kordbahn in Tetschen überschwemmt ist und der Umschlag daselbst eingestellt werden mußte.
Madrid, 10. April. Der von San Sebastian kommende Personenzug stürzte, wie der „N. Pr. Z.“ telegraphirt wird, Fn Abend zwischen San Sebastian und Pasages in Folge eines Bergsturzes, der den Schienenweg mit Geröll übersch und den Aquädukt bei Pasages zerstört hatte, in die Tiefe. Vier Personen wurden getödtet und andere schwer verletzt. Drei Wagen des schwach⸗ besetzten Zuges wurden vollständig zertrümmert.
“ . 8
11““ b Von den Taback⸗- arbeiterinnen ließen sich neunzig als Mitglieder einschreiben.
Gruppe der Possibilisten). äußerst stürmisch,
Wie in solchen
Aus Pittsburg berichtet ein Telegramm des „Wolff schen
Durch die im vorigen Jahre neu erbohrte Stahlquelle in Westerland aaf Sylt, deren Wasser wegen des außerordentlich hohen, kaum anderswo erreichten Eisengehalts und des gleichzeitig stärksten Salzgehalts, welcher der Verdauungsthätigkeit zu gute kommt, von bedeutendsten ärztlichen
Köln, 10. April. Das Wasser des Ober⸗Rheins ist in lang-
Bei einer Untersuchung der Wendengräber bei Zehlendorf durch Hrn. Dr. Beltz von hier wurde, wie der „N. A. Z“ berichtet wird, eine größere Zahl von Gräbern aufgedeckt und mehr oder weniger gut erhaltene Gerippe vorgefunden, die in
Leicht zu entdecken
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Zweite Beilage
8⸗-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗?
Haus der Abgeordneten. 65. Sitzung vom Freitag, 10. April 1891.
Der Sitzung wohnt der Minister des Innern Herr⸗ furth bei. 1 1 Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Lesung des Entwurfs einer Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie. Die Abgg. von Rauchhaupt u. Gen. beantragen, folgenden neuen §. 14a einzufügen:
„ Bis zum Erlaß eines Kommunalsteuergesetzes können die bisher
ür Vertheilung der Gemeindeabgaben statutarisch oder observanz⸗
mäßig bestehenden Maßstäbe mit Genehmigung des Kreisausschusses
durch Beschluß der Gemeinde aufrecht erhalten werden.“ 8 Abg. Hobrecht: Der §. 14a habe nach seiner Meinung vor⸗ aussichtlich keine große Tragweite in praktischer Hinsicht, er werde aber vielleicht wiederbolte Aenderungen der Vertheilung der Lasten vermeiden helfen. Die Regierung und auch die Kommission wollten es dem freien Er⸗ messen der Gemeinden überlassen, ob und wie weit sie die Ge⸗ werbesteuer resp. die Gewerbebetriebe zu den Gemeindelasten heran⸗ ziehen wollten. Die Antragsteller hätten das geändert, die Heran⸗ ziehung zur Gewerbesteuer zur Pflicht gemacht und es für nothwendig gehalten, in dieser Beziehung eine Frist zu setzen im Interesse der Gemeindeangehörigen. Sie hätten dies gegen den Rath des Ministers des Innern gethan, und obwohl auch von anderer Seite darauf hingewiesen worden sei, daß durch diese Be⸗ stimmung eine Gefahr herbeigeführt werde, wenn das Gemeinde⸗ steuergesez komme, daß nämlich dann wiederholt Verän⸗ derungen der Lastenvertheilung eintreten müßten. Sie hätten dies gethan, weil sie damit eine Forderung der Gerechtigkeit zu erfüllen glaubten. Es sei ja richtig, daß die Frage der Vertheilung der Lasten gesetzlich festgestellt werden solle. In dieser Beziehung müsse man die Gemeinden schützen gegen etwaige Unzulänglichkeiten ihrer eigenen Organe. Durch eine konsequente Ab⸗ lösungsgesetzgebung seien die wirthschaftlichen Verbältnisse der Ge⸗ meinden viel einfacher und geregelter geworden, als es früher der Fall gewesen sei. Dagegen hätten sich an Stelle der früheren wirth⸗ schaftlichen Thätigkeit der Gemeinden sozialpolitische Aufgaben ent⸗ wickelt: die Sorge für Hyziene, Armen⸗, Kirchen⸗, Schulpflege u. s. w. Die Kosten dazu müßten von den Gemeindeangehörigen auf⸗ gebracht werden, und da sei der brauchbarste Maßstab der der Prästationsföhigkeit. Nun wollten die Antragsteller, wie er zugebe, in einem beschränkten Umfange die Verpflichtung dem gestern gefaßten Beschlusse gemäß, welcher ja als im Sinne der Gerechtigkeit liegend betrachtet werden könne, aufheben und dem Kreisausschusse das Recht übertragen, Abweichungen davon einzufübren. Sie erklärten es als ein Mißtrauensvotum gegen die Selbstverwaltung, wenn man dies nicht zulassen wolle; aber wenn man Aufgaden der Gesetz⸗ gebung der Verwaltung überlasse, so gebe man damit eben den verfassungsmäßigen Organen der Gesetzgebung ein Mißtrauensvotum. Obwohl die Sache keine große Tragweite habe, liege darin doch die Gefahr, zu versuchen, alte bestehende Ungerechtig⸗ keiten fortbestehen zu lassen, und diese Gefahr sei um so größer, als die unter diesen Härten Leidenden selten die Kraft oder den Muth hätten, sich dagegen zu wehren. Deshalb bitte er, den §. 14 a abzulehnen. Sollte das Haus ihn aber annehmen wollen, so sei es zum Mindesten nothwendig, daß auch dieselbe Frist von 3 Jahren, die im § 142 angenommen sei, auch hier festgehalten werde.
Abg. Freiherr von Huene: Der Abg, Hobrecht habe den gestern gefaßten Beschluß, den er als einen gerechten bezeichne, doch wohl nicht selbst für so gerecht gehalten, und wenn er sage, die Prästations⸗ fähigkeit müsse als GthünSf für die Vertheilung der Lasten maß⸗ gebend sein, so mache er (Redner) darauf aufmerksam, daß durch das neue Gewerbesteuergesetz dieser Begriff sehr geändert werde. Der §. 14a wolle keine prinzipiellen Aenderungen schaffen, sondern er diene nur praktischen Zwecken. Man wolle da, wo die Lastenvertheilung im Großen und Ganzen gut geregelt sei, den Gemeinden die Möglichkeit lassen, die sehr schwierigen und sonst vom Gesetz vorgeschriebenen Aenderungen nicht einzu⸗ führen; die Thätigkeit des Kreisausschusses hierbei beschränke sich auf die gesetzlich vorgeschriebene Beaufsichtigung der Gemeindebeschluüsse von finanzieller Bedeutung. §. 14a genüge nicht, um hierbei die event. Frist zu lassen, und darum sei es besser, wenn eine bestimmte Frist angesetzt werde. Da im nächsten Jahre eine Kommunalsteuer⸗ Gesetzgebung zu erwarten sei, so sei es praktischer, von den drei Jahren abzusehen. Denn im Folle der Annahme des §. 14a könne beim Erlaß einer Gemeindesteuer⸗Gesetzgebung eine nöthige Korrektion leicht getroffen werden. Er bitte also, den Antrag an⸗ zunehmen.
. 2. 2 ”
Minister des Innern Herrfurth:: 8
Ich kann Namens der Staatsregierung nur dringend bitten, dem neu einzufügenden §. 14 a Ihre Zustimmung zu versagen. (Hört, hört!)
Meine Herren, dieser Paragraph ist meines Erachtens geeignet, die allerschwersten Bedenken hervorzurufen, denn er wird die Wirkungen des Gesetzes in sehr wesentlichen Theilen vollständig paralysiren (sehr richtig!); er würde möglicherweise die Durchführung desselben in einzelnen Fällen gefährden.
Ich gebe zu, daß die Bestimmungen, welche in Betreff der Gemeind eabgaben in den Entwurf aufgenommen sind, möglicherweise in nicht zu ferner Zeit eine Abänderung erleiden würden. (Hört, hört! rechts.) Dieser Zeitpunkt läßt sich aber heute noch nicht über⸗ sehen, bis jetzt ist immer nur von dem Zeitpunkte die Rede gewesen, wo der Entwurf eines Kommunalsteuergesetzes ausgearbeitet und eingebracht werden wird. Es kommt aber darauf an, wann dieser Entwurf zum Abschluß gelangen wird, und es ist sehr leicht möglich, daß zwischen diesem Zeitpunkt sich doch noch ein sehr er⸗ hebliches Spatium herausstellen wird.
Die Regelung; des Gemeindeabgabenwesens aufzuschieben bis zum Abschluß eines Kommunalsteuergesetzes, ist meines Erachtens un⸗ zulässig. Man kann nicht die ganze Landgemeindeordnung abhängig machen von dem Erlaß eines Kommunalsteuergesetzes; umgekehrt würde es richtiger sein. Die Kumulation der Berathung der Land ⸗ gemeindeordnung mit der Berathung des Kommunalsteuergesetzes würde noch viel größere Bedenken erregen, als die Kumulation der⸗ selben mit dem Einkommensteuergesetz, welche gestern von verschiedenen Seiten angegriffen worden ist.
Der Hr. Abg. von Gneist hat bei der ersten Berathung des Gesetzentwurfs gesagt: „die neue Landgemeinde“ ordnung, das ist gleichbedeutend mit der Steuerregelung der Gemeindelasten.. — Ich gehe nicht so weit; ich nehme an, daß die Regelung der Verbandsbildung und die Organisation
innerhalb dieser Verbände, namentlich die Regelung des Stimmrechts,
wendung
des Hrn. Abg. von rung Betreffs des Kommunalsteuergesetzes. Er Worten nicht gefolgt zu sein, wenn er eine Differenz Hrn. Finanz⸗Ministers vorhanden. daß ich den Zeitpunkt ins Auge fasse, wo das Kommunalsteuergesetz zum Abschluß gebracht sein wird, nicht den Zeitpunkt der Fertig⸗ stellung und Einbringung eines Entwurfs. Meine Herren, die Kö⸗ nigliche Staatsregierung kann ihrerseits sich nur verpflichten zur Ein⸗ bringung eines Gesetzentwurfs; wann derselbe zum Abschluß gelangen wird, das ist abhängig davon, wann und in welcher Weise die Zu⸗ stimmung der Majoritäten beider Häuser des Landtages wird erzielt werden können. Und wer die Schwierigkeiten kennt, mit denen das
Berlin, Sonnabend, den 11. April
ebenso wichtig ist wie die Regelung der Gemeindelasten.
eliminiren — und das geschieht, sobald Sie den Bestimmungen keinen dispositiven, sondern lediglich einen subjektiven Charakter beilegen, und das ist der Sinn des §. 14 a, — dann muß ich sagen: dann ist allerdings die Landgemeindeordnung ein Messer ohne Heft; die Klinge würden Sie ihm nehmen, wenn sie später auch noch gewisse Anträge annehmen sollten, welche die Regelung des Stimmrechts lediglich der Disposition des Kreisausschusses unter⸗ stellen wollen. (Sehr wahr! bei den Nationalliberalen.) Die Regelung des Gemeindeabgabenwesens ist ein so integrirender Bestandtheil der Regelung der ländlichen Gemeindeverhält⸗ nisse, daß es mir nicht zulässig erscheint, diese Frage rechtlich ungelöst zu lassen und zu sagen: nur da, wo bis jetzt überhaupt kein Ortsstatut und keine Observanz besteht, oder da, wo die Gemeinden sie nicht beibehalten wollen, nur da sollen die Bestimmungen dieses Gesetzes in Kraft treten. Ich halte es für un⸗ zulässig, daß man den Gemeinden in einem Gesetz sagt: ihr sollt die Gemeindeabgaben in der hier im Gesetz bezeichneten Weise auf⸗ bringen, ihr könnt es aber auch anders machen, ihr könnt auch alles beim Alten lassen.
Dazu kommt, daß unter den observanzmäßigen Maßstäben, deren Beibehaltung gestattet werden soll, sich soviel Eigenthümlichkeiten finden, daß es vielleicht in einer Reihe von Fällen kaum möglich sein würde, danach die Frage des Stimmrechts, wie sie in § 42, 3 des Ge⸗ setzes gestellt ist, überhaupt zu lösen. Bei denjenigen observanzmäßigen und statutarlsch bestehenden Maßstäben, bei denen auch die Miether mit einem bestimmten Fixum herangezogen würden, sobald sie einen eigenen Hausstand haben, würde es überhaupt kein Kriterium für die Entscheidung der Frage dafür geben, ob, sofern das Einkommen des betreffenden Miethers
weniger als 900 ℳ beträgt, derselbe überhaupt noch für wahlberechtigt
zu erachten sein möchte.
Ich glaube also auch sagen zu können, daß nicht nur in Betreff des Gemeindeabgabenwesens das Gesetz wirkungslos gemacht wer⸗ den würde, sondern daß der §. 14 a auch die Durchführung des Ge⸗ setzes in anderen Punkten gefährden würde. Ich kann daher nur die dringende Bitte wiederholen, dem neuhinzugefügten §. 14 a Ihre Zustimmung zu versagen.
Abg. von Tiedemann (Labischin): Von den 24 453 Gemeinden des preußischen Staats würden schon jetzt in 19087 die Gemeinde⸗ abgaben durch Zuschläge zu den Staatssteuern erhoben und zwar in Höhe von 18 420 000 ℳ gegenüber einem Gesammtertrag an Gemeindeabgaben von 20 900 000 ℳ Der Antrag vürde also nur auf eine kleine Anzahl von Gemeinden An⸗ finden. Aber das allein zwinge ihn nicht, gegen
den Antrag zu stimmen, sondern derselbe rufe auch sehr
erhebliche prinzipielle Bedenken hervor. Er verneine die Frage, ob das
Steuersoll der einzelnen Gemeindeangehörigen anders als im Wege
der Gesetzgebung geregelt werden solle. Die Vorlage ziehe ja dem b
Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden gewisse feste Grenzen, und die
seien absolut nothwendig, weil es sich hier um Fragen des öffent⸗ lichen Rechts handele und weil die Gemeinden in ihrem Lebens⸗ interesse selbst wünschten müßten, daß solche Fragen nur nach be⸗ stimmten Gesetzen geregelt würden. Nichts rufe so viele Beschwerden bei der Frage der Besteuerung hervor, wie die der Observanz. In zahlreichen Fällen fühlten sich Einzelne beschwert, indem sie meinten, das Recht des Stärkeren werde zu Ungunsten des Schwächeren gebraucht. Es liege kein Interesse vor, einen Zustand zu erhalten, der sehr bedenkliche Schattenseiten habe. Kommunalsteuergesetzes den Zustand lasse, so wisse man ja gar nicht, wann das Kommunalsteuergesetz zur Verabschiedung kommen werde. Komme es bald, so belaste man die Landgemeindeordnung mit einem sehr überflüssigen Paragraphen. Jahren, so mache man einen Zustand zu einem dauernden, der mit dem ganzen Prinzip der Landgemeindeordnung in Widerspruch stehe. ghan Freunde würden daher in überwiegender Mehrheit gegen § 14 a timmen.
Wenn man bis zum Erlaß eines
Komme es aber erst nach langen
Abg. Hobrecht beantragt, im §. 14 a hinter „Kommunal⸗
steuergesetzes“ zu setzen „längstens jedoch auf drei Jahre“.
Abg. Dr. v. Heydebrand und der Lasa: Auch in den
Gemeinden, welche ihre Gemeindesteuern an das Staatssteuersystem angeschlossen hätten, beständen noch sehr wesentliche Abweichungen, so daß auch für viele dieser Gemeinden der Paragraph Geltung haben würde. Es dauere Jahre lang, ehe den Leuten auf dem Lande die Tragweite der Bestimmungen dieser Landgemeindeordnung vollständig werde klar werden, und da wolle man die bestehenden Maßstäbe für die Steuervertheilung in Tausenden von Gemeinden ändern, bloß weil hier einige Normativbestimmungen gegeben worden seien. Die Gemeinden müßten durchaus in ihren hältnissen ruhig Die Erklärung des Ministers bezüglich des Zustandekommens eines Kommunalsteuergesetzes stehe im Widerspruch mit den Aeußerungen des Finanz⸗Ministers beim Einkommenstcuergesetz. eine baldige Regelung der Ueberweisung der Grund⸗ und Gebäude⸗ steuer und der Kommunalbesteuerung zugesagt. Seine Partei oceceptire es nicht, daß das Kommunalsteuergesetz ad calendas graecas verschoben werde, es müsse vielmehr bald kommen. Und wenn dieses Gesetz komme, so müsse in den Gemeinden Alles wieder über den Haufen geworfen werden. Die Sache habe sehr wohl eine erhebliche praktische Bedeutung. (Zustimmung rechts.) ruhe in die Gemeinden hineinzutragen, bitte er, den Antrag anzu⸗ nehmen, und zwar ohne die Zeitbeschränkung, die der Abg. Hobrecht beantrage. (Beifall rechts)
geordneten Ver⸗
gelassen werden. (Sehr richtig! rechts.)
Derselbe habe
Minister des Innern Herrfurth:
Ich möchte nur Verwahrung einlegen gegen eine Unterstellung Heydebrand in Bezug auf meine Erklä⸗ scheint meinen annimmt, es sei Erklärungen und denen des Ich habe ausdrücklich erklärt,
zwischen meinen
Wenn Sie aber die hierauf bezügliche Bestimmung hier aus dem Gesetze
Um nicht Un⸗
Kommunalsteuergesetz — auch ohne die Frage der Ueberweisung der Grund⸗ und Gebäudesteuer — belastet ist, und dann noch diese Frage mit hinzunimmt, sowie die Frage der Umgestaltung des Ueberwei⸗ sungsgesetzes von 1885, die damit im Zusammenhang steht, der wird allerdings wohl in Zweifel darüber kommen, ob es wirklich auch gelingen wird, zu dem von der Regierung einzubringenden Gesetz⸗ entwurf alsbald die Zustimmung beider Häuser zu erzielen. Ich erinnere daran, daß ein so bestimmtes Desiderium, wie es jetzt gestellt wird, ebenso vor langer Zeit in Bezug auf die Deklarationspflicht bei der Staatseinkommensteuer gestellt worden ist, und ich erinnere daran, daß die Königliche Staatsregierung Gesetzentwürfe, welche die Deklarationspflicht bei den Staatssteuern einführen sollten, ihrerseits vor einer Reihe von Jahren vorgelegt hat und wir heute erst die Hoffnung haben, daß die Sache nunmehr endlich zum Abschluß gelangt.
Abg. Rickert: Die Lebhaftigkeit, mit welcher die Ausführungen des Abg. von Heydebrand von den Konservativen begleitet worden sei, gebe ein Bild von der Bedeutung dieses Paragraphen. Das sei das erste Loch, das die Konservativen in die Landgemeindeordnung machten. Nachher kämen die anderen Löcher, die sie hineinstogen wollten. Das Prinzip der Landgemeindeordnung sei doch, aus dem statutarischen und observanzmäßigen Zustande herauszukommen. Mit diesem Paragraphen behalte man die alten verrotteten Zustände. Schon daß die Konservativen sich gegen den Antrag Hobrecht kühl verhalten
bätten, sei bezeichnend. Auch für andere Gesetze habe man lange Jahre gebraucht; auch an einem Kommunalsteuergesetz habe man schon einmal pro nihilo gearbeitet, und das könne sich wiederholen. Seien die Konservativen denn so sicher, daß sie von einer Kommunalsteuergesetz⸗Vorlage der Regierung so entzückt sein würden? Er wolle hoffen, daß sie es nicht seien, daß vielmehr die Vorlage wirklich rationelle Wege der Besteuerung verfolge. Und trotzdem wollten sie den § 14 a ohne Fristbestimmung aufnehmen. Die Zahlen des Abg. von Tiedemann bewiesen auch, daß die Frage eine große Bedeutung habe, daß es sich um Tausende von Gemeinden handele. Er hätte von dem Minister Mittheilungen über den Umfang und die Art der jetzigen Observanzen gewünscht, um einen Maßstab zur Beurtheilung der Frage zu haben. Sei es bei solchen Eigenthümlichkeiten in einzelnen Gemeinden, wie der Minister anführe, nicht geradezu korrumpirend, wenn solche un⸗ gerechte Steuervertheilung beibehalten werde? Das Haus möge nicht den Wegen der konservativen Partei folgen. Er habe Respekt vor der geschichtlichen Entwickelung und sei kein Anhänger der Schablone; aber es gebe Dinge, die für das ganze Land gesetzlich geregelt werden müßten. Gerade auf dem empfindlichen Gebiete der Be⸗ steuerung müßten allgemeine Normen gelten. Er wiederhole: die Annahme des Antrages sei das erste große Loch, das die Konservativen in die Landgemeindeordnung stießen.
Abg. Dr. Krause: Die Konservativen wollten gar keine vor⸗ übergehende Bestimmung einführen, sondern sie wollten die Normen überhaupt nicht eintreten lassen, denn sonst würden sie eine bestimmte Frist in den §. 14 a hineinschließen und nicht die Bestimmung „bis zum Erlaß des Kommunalsteuergesetzes“, welches vielleicht überhaupt nicht zu Stande komme. Redner empfiehlt den Antrag des Abg. Hobrecht, den §. 14a nur auf drei Jahre gelten zu lassen. 8 „Abg. Dr. Ritter erklärt sich gegen den Antrag, weil derselbe ein Vorläufer des Antrages wegen des Stimmrechtes sei, dessen Regelung durch ortsstatutarische und observanzmäßige Vorschriften nicht gestattet werden dürfe. Für die nicht angesessenen Mitglieder der Gemeinde böten die Obserpanzen gar keinen Platz.
„Abg. Gerlich erklärt sich für den Antrag der Konservativen, weil die Staatssteuern durchaus nicht die gerechtesten seien, so z. B. die Grundsteuer. Es bestehe eine allgemeine Mißstimmung im Lande wegen der Landgemeindeordnung (Zustimmung rechts), deshalb solle man die Landgemeindeordnung nicht noch unangenehmer machen da⸗ durch, daß man den Leuten einen unbequemen Steuermaßstab auf⸗ dringe. Man solle damit warten bis zum neuen Kommunalsteuergesetz.
Minister des Innern Herrfurth:
Wenn der Abg. Gerlich für sein Votum zu Gunsten des §. 14 a keine anderen Gründe anzuführen weiß, als die er eben dargelegt hat, dann kann er getrost gegen denselben stimmen. Denn, meine Herren, seine ganze Polemik richtete sich nicht gegen die Weglassung des §. 14 a, sondern gegen die Bestimmungen des §. 14, für welche er, soviel ich mich entsinne, gestern selbst gestimmt hat. Er hat, wie es scheint, übersehen, daß im §. 13, Absatz 2 ausdrücklich die Möglichkeit gegeben ist (sehr richtig! links), an Stelle von Zuschlägen zur Grund⸗ steuer, welche der Herr Abgeordnete perhorresceirt, besondere Abgaben von Grund und Gebäuden einzuführen, und daß dasjenige, was er erreichen will, erreicht werden kann und besser erreicht werden wird auf dem Boden dieser Bestimmung, als durch die Beibehaltung der alten observanzmäßig oder statutarisch ein⸗ geführten Maßstäbe, bei denen von der Mehrzahl, soweit ich sie kenne, das Wort gilt, daß sie zwar alt, aber nicht gut sind.
Abg. Freiherr von Zedlitz stellt fest, daß der Standpunkt des Abg. Gerlich innerhalb der freikonservativen Partei ein ganz isolirter sei. Der Zweck, den er verfolge, werde durch die Vorschriften der Kommissionsbeschlüsse besser erreicht, ohne Aufgabe des gesetzlichen Standpunktes, als durch den Antrag von Rauchhaupt.
Abg. von Rauchhaupt: Er würde den Antrag ebenso⸗ gut bei den Schluß⸗ und Uebergangsbestimmungen haben stellen können, habe ihn aber aus praktischen Rücksichten hier gestellt. Die Land⸗ gemeindeordnung trete ja nicht von selbst in Kraft, sobald sie in der Gesetzsammlung' abgedruckt sei. Erst müsse festgestellt werden, ob die Gemeinde alle Personen mit unter 900 ℳ Einkommen und die nicht angesessenen zur Steuer heranziehen wolle; ob sie stimmberech⸗ tigt sein sollten; ob die Zahl der stimmberechtigten so groß sei, daß eine Gemeindevertretung eingeführt werde. Erst diese neue Gemeinde⸗ vertretung, welche sich erst eine Versassung geben müsse, könne dann über die Besteuerung beschließen. Warum deshalb die Observanzen so schnell beseitigen? Wünsche der Minister des Innern die Obser⸗ vanzen schnell beseitigt, dann müsse eben das Kommunalsteuergesetz baldigst vorgelegt und durchgebracht werden. Einen Druck auf die Regierung wolle seine Partei durch ihren Antrag ausüben. (Beifall rechts.)
Minister des Innern Herrfurth:
Meine Herren! Der Hr. Abg. von Rauchhaupt bemüht sich ver⸗ geblich, einen Widerspruch zwischen meiner Erklärung und der des Herrn Finanz⸗Ministers oder gar zwischen meiner Erklärung und dem Wortlaut des Einkommensteuergesetzes zu konstruiren.
Meine Herren, ich habe von dem Zeitpunkte gesprochen, wo das Kommunalsteuergesetz zum Abschluß gelangt sein wird. Der Herr Finanz⸗Minister hat sich nicht verpflichtet — ich habe den Wortlaut seiner Rede nicht vor mir, aber ich glaube
dies mit Sicherheit sagen zu können — er hat sich nicht verpflichtet,