1891 / 88 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

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Jahr hindurch gleichmäßig beschäftigt, im Handwerk aber fehle es manchmal an Arbeit, manchmal dränge sie. Ganz allgemein lasse sich die Nachtarbeit der Lehrlinge nicht verbieten, im Bäckergewerbe z. B. sei sie nöthig, wenn man am Morgen frisches Brot haben Die Enquete, die der Abg. Bebel über das Bäckergewerbe an⸗ gestellt habe, sei lückenhaft, sie umfasse nur 1 % der Betriebe, und es seien die von den Gehülfen gemachten Angaben unrichtig. Wenn in der Ausbildung der Handwerkslehrlinge Mißstände herrschten, so trügen daran die Innungsgegner die Schuld; denn in den alten Innungen sei die Lehrlingsausbildung aufs Beste geregelt gewesen, und das sei sie auch jetzt; die Meister würden jetzt übrigens in dieser Beziehung scharf kontrolirt. Wer also die Lehrlingsausbildung sicherstellen wolle, müsse für Zwangsinnungen sein. . Abg. Eberty: Die Innungen könnten sich nur bei denen, die nicht ibre Gegner, sondern ihre Mahner seien, dafür bedanken, daß Innungen jetzt mehr für das Lehrlingswesen geschehe als ohne diesen Druck wäre das nicht der Fall. Der Antrag sei in seinem zweiten Theil durchaus annehmbar und nothwendig Er besitze ein Aktenstück, in dem nachgewiesen daß Musikerlehrlinge bei Nacht in Vorstadlokalen aufspielen müßten, die nach den Angaben eines früheren Polizeibeamten zur niedrigsten Gattung gehörten und in denen Gesindel beiderlei Geschlechts verkehre; das beweise, daß bier die Lehrlinge über die Zwecke der Ausbildung hinaus vom Lehrherrn verwendet, also ausgebeutet würden. Das sei überall da der Fall, wo die Konkurrenz stark sei: so namentlich im Bäcker⸗ und im Musikergewerbe. Junge Leute im Alter bis zu 20 Jahren gehörten im Interesse ihrer körperlichen Entwickelung und damit sie die für ihre Weiterbildung nöthigen Kräfte sammeln könnten, bei Nacht ins Bett. Was die Lehrlinge, die in Nachtlokalen aufspielten, zu sehen bekämen, wirke wie Gift auf sie ein und Grauen habe ihn (den Redner) erfaßt, als er diese Thatsachen erfahren habe. Die jungen Leute sollten nicht mehr als zehn Stunden täglich arbeiten müssen, wo mehr geleistet werden müsse, möge man ältere und stärkere Kräfte, Gehülfen, einstellen; wo in einer Werkstatt ein bis zwei Gehülfen und dabei sieben bis zehn Lehrlinge beschäftigt seien, liege der Ver⸗ dacht nahe, daß die Ausbildung der Lehrlinge vernachlässigt werde und sie ausgebeutet würden. Der erste Theil des Antrags Auer sei ihm (dem Redner) in seiner Tragweite nicht verständlich. Der Lehrling sei in jedem ordentlichen Meisterhause ein Theil der Familie, das wolle auch der Gesetzgeber erhalten wissen, und die Annahme des ersten Theiles des Auer'schen Antrages würde dem entgegenwirken; darum werde er (Redner) gegen diesen ersten Theil stimmen, er bitte aber, den zweiten Theil des Antrages anzunehmen. Abg. Bebel: Er gebe dem Regierungskommissar zu, daß in den Staats⸗ und vielen Privatbetrieben die Lehrlingsverhältnisse sich gegen früher gebessert hätten, aber viele Verbesserungen müßten noch eingeführt werden. Bei den Lehrlingen sei das Verhältniß noch un⸗ günstiger als es sich durch die Enquete ergeben habe. Da seien nur 1e aller vorbandenen Lehrlinge im Großbetriebe beschäftigt. Nun seien ja im §. 154 gewisse Schutzmaßregeln der Einführung durch die Einzelregierungen anheim gegeben; das sei ein Lückenbüßer, nach⸗ dem man sich auf weitere Konzessionen nicht habe einlassen wollen, und selbstverständlich werde seine Partei, so sehr sie bedauere, daß nicht mehr geschehe, doch für diese Bestimmungen nothwendig stim⸗ men, aber der Schutz der jugendlichen Arbeiter müsse allgemein ge⸗ setzlich bestimmt werden, und es dürfe nicht, wenn die jetzt bestehende Arbeitszeit von 18 Stunden auf 12 Stunden herabgesetzt werde, dies als ein großer Triumph betrachtet werden; sie dürften höchstens 10 Stunden arbeiten. Gerade der Abg. Metzner müsse wissen, wie in seiner Heimathsprovinz die Lehrlinge ausgebeutet würden. Daß seine (des Redners) Enquete über das Bäckergewerbe einen beschränkten Umfang habe, habe er selbst zugegeben, aber daß die dort behaupteten Thatsachen

richtig seien, bestätige auch der Ober⸗Bürgermeister von Dortmund.

Dann habe es auch der Staats⸗Minister Freiherr von Berlepsch zu⸗ gegeben. Häufig komme es vor, daß gar kein Gehülfe im Betriebe beschäftigt sei, sondern nur 6—7 Lehrlinge, namentlich in der Schuh⸗

macherei und bei der Schneiderei, ebenso in der Hausindustrie. Dieser Ausbeutung der Lehrlinge müsse man abhelfen. In der Eisenindustrie in dem Bergischen Landestheil müßten die Lehrlinge von 4 ½ Uhr früh bis 8 und 9 Uhr Abends arbeiten. Das müsse man als un⸗ merschlich bezeichnen. Die Rücksicht auf die Unternehmer veranlasse eben die Regierungen, von den ihnen zustehenden Vollmachten nur einen eingeschränkten Gebrauch zu machen. Daß der erste sozial⸗ demokratische Antrag eine Verschlechterung bedeute, bestreite er ent⸗ schieden; als er in der Kommission einen ähnlichen Antrag ein⸗ gebracht, habe man eingewendet, er gehe nicht weit genug, jetzt habe er ihn geändert, um diesem Einwand zu entgehen da sage man, er gehe zu weit. Botengänge, die zum Handwerksbetrieb gehörten, Abtragen der Waare u. dergl. sollten durch seinen Antrag nicht be⸗ rührt werden, aber Kinderwarten, Stubenreinigen u. s. w. gehörten nicht zur Lehrlingsausbildung, und enn der Mann später diese Arbeiten machen müsse, so lehre es ihn der Augen⸗ blick. Dienstmädchenarbeit brauche ein Lehrling nicht zu machen. Wenn der Abg. Metzner auf die Innungen rekurrire, so be⸗ merke er (Redner), er habe unter der Herrschaft der Innungen gelernt und gearbeitet, damals seien die Verhältnisse schlimmer gewesen, als sie jetzt seien; nicht die Jnnungsmeister aber hätten die Verhältnisse ver⸗ bessert, sondern der Kulturfortschritt und die Agitation der Arbeiter⸗ führer. Wenn man nur durch Ausbeutung von Lehrlingen frische Semmeln bekommen könnte, so würde er lieber auf diesen Genuß verzichten. Aber das sei gar nicht nöthig. Die Gesellen und der Meister gerügten, um die Waaren über Nacht zu backen, und die Lehrlinge brauchten erst um 5 Uhr aufgeweckt zu werden, um die Waaren auszutragen. Uebrigens, viele der Herren, die hier Opposition machten gegen seinen Antrag, würden das Frühstück noch früh genug bekommen, wenn man erst früh um 5 Uhr zu backen anfange. (Heiterkeit.) Er habe sich lange überlegt, ob er nicht die Zeit der Lehrlingsausbildung überhaupt gesetzlich auf drei Jahre zu beschränken beantragen sollte. Eine längere Lehrlingszeit, z. B. von fünf Jahren in der Glashüttenindustrie, sei entschieden Ausbeutung. Wenn in Oesterreich die Lehrzeit auf vier Jahre beschränkt sei, so würden bei der durchschnittlich höheren Intelligenz des deutschen Volkes hier wohl drei Jahre genügen; er habe darauf verzichtet, dergleichen zu bean⸗ tragen, aber wer der Ansicht sei, daß der Staat der Ausbeutung der Lehrlinge entgegentreten müsse, der werde den sozialdemokratischen Vorschlägen beitreten müssen.

Abg. Bock⸗Magdeburg: Der Regierungskommissar habe bei seinen Ausführungen wenig Kenntniß des gewerblichen Lebens ver⸗ rathen, und er (Redner) werde in dem Folgenden den Nachweis dafür erbringen. Nach seiner Kenntniß der Verhältnisse werde sich der ganze Gewerbestand sehr leicht auf die zehnstündige Arbeitszeit der Lehrlinge einrichten. Gegenwärtig gehe die Ausbeutung der Lehrlings⸗ kraft über alles Maß hinaus. In dem Schuhmachergewerbe, dem er angehöre, werde die Lehrliagszüchterei und ⸗Ausnutzung besonders stark getrieben. In großen Landstrichen Schlesiens, Thüringens, Sachsens seien Gesellen kaum noch vorhanden, dagegen hielten die Arbeitgeber dort 5 bis 8 bis 10 Lehrlinge. Hätten einige aus⸗ gelernt, so würden sie ersetzt; was aus ihnen werde, darum küm⸗ merten sich die Meister nicht. Diese Lehrlinge müßten in einer Art arbeiten, die jeder Beschreibung spotte; sie würden viel stärker heran⸗ gezogen als die Gesellen; selbst am Sonntag seien sie nicht frei, sondern müßten austragen, was im Laufe der Woche fertig geworden. Gegen folche nichtswürdige Ausbeutung sollte der Reichstag schützend eingreifen. Wenn der Abg. Metzner meine, daß die Lehrlinge bei den Innungsmeistern besser geschützt seien, so verweise er (Redner) ihn darauf, daß die Regierung, die es gewiß nur ungern gethan habe, in den verschiedensten Fällen die Privilegten des 100 e der Gewerbeordnung den Innungen wieder habe entziehen müssen, weil sich die Innungen eben als unfähig erwiesen hätten. Die Innungsmeister seien nicht Förderer der gewerblichen Ausbildung der Arbeiter; wer in oteser Richtung thätig sei, werde vielmehr von ihnen als sozialistisch angehaucht be⸗ zeichnet. Daß für das Schuhmachergewerbe und andere die Lehrzeit zu hoch bemessen sei, gehe schon daraus hervor, daß sie für Lehrlinge mit einem gewissen Lehroeld schon nach drei und theilweise nach zwei

““ . Jahren beendet sei. Aus er längeren Zeit wolle nur der Unternehmer

den Gewinn ziehen. In den ersten Jahren sei die Ausbeutung nicht so groß, erst wenn der Lehrling anfange, sich günstig verwerthen zu lassen, beginne bei dem Arbeitgeber die Begier, ihn auszubeuten.

Früher habe es immer geheißen, man müßte nicht sowohl die älteren Arbeiter, die sich selbst helfen könnten, als die jüngeren schützen. Nun, hier sei dam die Gelegenheit. Er bitte, für den sozialdemokrati⸗ schen Antrag zu stimmen.

Regierungs⸗Rath Dr. Wilhelmi: Der Vorredner habe ihm jede Kenntniß von dem gewerblichen Leben abgesprochen und die Zusage gegeben, dafür den Nachweis zu erbringen. Er (Redner) begnüge sich zu konstatiren, daß er nicht nur den Nachweis nicht er⸗ bracht, sondern nicht einmal den geringsten Versuch gemacht, den Nachweis anzutreten. Seine Ausführunzen beruhten auf seinen per⸗ sönlichen Anschauungen im In⸗ und Auslande und auf den Mit⸗ theilungen der Fabrikaufsichtsbeamten, aus denen die Herren auf jener Seite mehr gelernt haben sollten. Die Behauptung des Abg. Bebel, daß drei Jahre in jedem Gewerbe zur Ausbildung genügten, treffe für eine ganze Reihe von Gewerben nicht zu. Wenn der Abg. Bebel sich mit den Leuten, die wirklich von der Sache etwas verständen, ins Benehmen setzen wollte, so würde er eine andere Meinung erhalten, als er sie hier dem Hause vorgetragen habe. Daß der Abg. Bebel von der Ausdehnung der Bestimmung der §§. 135 bis 139 auf Lehrlinge sich nicht diel verspreche, sei ihm (Redner) nicht verwunderlich. Das liege auf derselben Linie mit den Be⸗ hauptungen, die die Sozialdemokraten von dem ganzen Wesen dieser Vorlage überhaupt vorzutragen pflegten. Diese Ausdehnung der Schutzvorschriften Kaiserlicher Verordnung zu überlassen, verdiene den Vorzug gegenüber dem Antrage Bebel. Letzterer schablonisire die zehnstündige Arbeitszeit; der Vorschlag der Vorlage dagegen gestatte die Berücksichtigung der Arbeit jedes einzelngen Gewerbes und biete in Folge dessen die Möglichkeit, diese Schutzbestimmungen ein⸗ zuführen, ohne die schwer schädigende Wirkung nach sich zu ziehen, die die Schablone zur Folge haben würde. Außerdem leide der Antrag an dem großen Fehler, daß er in keiner Weise eine Kontrole vorsehe. Was der Abg. Eberty über das Lehrlingswesen bei den Musikern in Berlin vorgetragen habe, lasse das Einschreiten der Be⸗ hörden nach der Gewerbeordnung zu, denn der Lehrherr sei verpflichtet, den Lehrling zu guten Sitten anzuhalten.

Abg. Eberty: Er gabe dem zweiten Theil des Antrags Auer vor der Vorlage den Vorzug. Er könne nicht einsehen, warum nicht die Nachtarbeit der Lehrlinge ohne Weiteres verboten werden sollte. Des Nachts gehörten die jungen Leute ins Bett und ihrer Beschäftigung während der Nacht sollte in keiner Weise Vorschub geleistet werden. Wenn die Thatsachen, die er angeführt habe, richtig seien und er habe keinen Grund, diese Richtigkeit zu bezweifeln —, so seien sie eine Mahnung für den Reichstag, für die Nacht ‚die Be⸗ schäftigung der Lehrlinge ein für alle Mal zu verbieten. Es lägen leine Gründe vor, mit der allgemeinen Klausel sich zufrieden zu geben. Der Arbeiterschutz müsse vor allen Dingen bei der Jugend und bei den Frauen, die sich nicht selbst schützen könnten, Anwendung finden. Der Reichstag könne hier ohne Parteirücksicht etwas be⸗ schließen, was der Heranbildung des jungen Geschlechtes nur förder⸗ lich sein könne. 8 .““

8 Abg. Bebel: Der Regierungskommissar hätte statt der allge⸗ meinen Behauptung, daß die dreijährige Ausbildung nicht genüge, lieber einige Gewerbe dieser Art nennen sollen. Bis dahin bleibe er (Redner) dabei, daß seine Auffassung die richtige sei. Der sozial⸗ demokratische Antrag verdiene deshalb vor der Vorlage den Vorzug, weil diese Alles in das Belieben des Bundesraths setze. Die Vor⸗ schriften für die Kontrole der Bestimmungen in diesem Antrage hätte seine Partei bei den späteren Paragraphen in Vorschlag ge⸗ bracht, wenn der Antrag Aussicht auf Annahme hätte.

Damit schließt die Diskussion.

§. 126 wird unverändert angenommen. §§. 127 bis 133 gelangen ohne wesentliche Debatte zur Annahme; des⸗ gleichen die §§. 133a 133e, welche als Abschnitt IIIa neu in die Gewerbeordnung eingefügt werden und die Verhältnisse der Betriebsbeamten, Werkmeister und Techniker regeln sollen.

Abschnitt 1V, §§. 134— 139a, betrifft die Verhältnisse der Fabrikarbeiter. 8 b

Nach §. 134, Abs. 1, finden auf Fabrikarbeiter die Be⸗ stimmungen über die Verhältnisse der Gesellen bezw. Lehrlinge Anwendung. 2

Nach Abs. 2 (von der Kommission hinzugefügt) soll den Unternehmern von Fabriken, in denen regelmäßig mindestens zwanzig Arbeiter beschäftigt werden, untersagt sein, für den Fall des Kontraktbruchs durch den Arbeiter als Schadensersatz die Verwirkung des rückständigen Lohnes über den Betrag des durchschnittlichen Wochenlohns hinaus auszudehnen. Auf Ar⸗ beiter und Arbeitgeber dieser Fabriken findet die Bestimmung wegen der Entschädigung (§. 125, Abs. 1, jetzt §. 124 b) keine Anwendung. 8 3

Die Abgg. Auer und Genossen wollen den zweiten Absatz streichen.

Phan. Frohme: Man werfe den Arbeitern Kontraktbruch und ihren Führern die Begünstigung des Kontraktbruchs vor, ohne zu sehen, daß die Arbeitgeber auf alle mögliche Weise die 14 tägige Kündigungsfrist zu umgehen suchten. Namentlich nähmen sie die politische Stellung der betreffenden Arbeiter zum Ausgangspunkt ihrer Maßregeln. In Hamburg sei letzthin ein Arbeiter, der auf Erfüllung des Vertrages geklagt habe, abgewiesen worden, weil er sich einer Agitation gegen seinen Unternehmer schuldig gemacht habe. Es sei nicht zulässig, daß der Arbeiter in öffentlicher Versammlung die Geschäftsführung seines Arbeitgebers in abfälliger Weise kritisire. Daraus sei eine Verdächtigung der Betriebsleitung konstruirt und dem Unternehmer die Berechtigaung zugesprochen, den Arbeiter ohne Kündiaung zu entlassen. Dergleichen Fälle ständen nicht vereinzelt da. Er erinnere an das Vorgehen der Arbeitgeberkoalitionen. Der über ganz Deutschland verbreitete Verband der deutschen Metall⸗ industriellen habe dem Berliner Polizei⸗Präsidium 3000 überwiesen für diejenigen Beamten, die aus Anlaß des 1. Mai gegen die Arbeiter vorgegangen seien und den Behörden ihre thatkräftige Unterstützung geleistet hätten, d. h. im Dienste des Unter⸗ nehmerthums Spitzelei getrieben hätten, unter Umständen provokatorisch vorgegangen seien. Danach könne kein vernünftiger Mensch glauben, daß man in Preußen noch in einem Rechtsstaate lebe. Selbst der Kriegs⸗Minister sei mit gewissen Unternehmer⸗ koalitionen in ein intimes Verhältniß getreten. Von einem Miß⸗ brauch des Koalitionsrechts Seitens der Arbeitgeber höre man nie etwas, während man die Arbeiter aus den geringfügigsten Anlässen, z. B. in Hamburg, ins Gefängniß werfe und wie Verbrecher be⸗ handele. Vor 1 Jahren sei ein Berliner Obermeister auf Grund des § 153 zu der geringsten Geldstrafe verurtheilt, in der Berufungs⸗ instanz aber freigesprochen. Gegen die Arbeiter werde der geringste Verstoß gegen §. 153 unnachsichtlich geahndet. Es habe sich eine förmliche Klassenjustiz herausgebildet. Finde §. 125 auch auf die Fabrikarbeiter Anwendung, so werde der Unternehmerwillkür gegen die Arbeiter geradezu Thür und Thor geöffnet. Es sei schon so weit gekommen, daß die Behörden auf Grund des bekannten Putt⸗ kamer'schen Strikeerlasses sich das Recht herausgenommen hätten, Arbeiter, von denen sie natürlich auch nicht den geringsten Anhalt gehabt, daß sie eine 1., Handlung begehen wollten, in rücksichts⸗ loser Weise zu maßregeln. 8 Durch diesen Paragraphen würden die Fabrikarbeiter zu Staatsbürgern zweiter Klasse gemacht, indem man sie unter ein besonderes civiles, darum aber um so gehässigeres Aus⸗ nahmegesetz stelle. Man habe sich namentlich auf die Bergarbeiter⸗ statistik bezogen, um zu beweisen, daß rechtswidrige Kontraktbrüche vorkämen. Die Statistik des Kommissionsberichts theile mit, daß eine große Anzahl von Bergarbeitern kontraktbrüchig gewesen sei, aber

die amtliche Denkschrift über die Lage der Bergarbeiter beweise, daß

in den meisten Fällen die Arbeitgeber selbst den Kontrakt gebrochen hätten. Die Vertragstreue, das sittliche Moment sei also bei den Arbeitgebern nicht vorhanden, aber vom Arbeiter werde es verlangt, er werde unter Ausnahmebestimmungen gestellt. Das Gesetz sollte wenigstens klar aussprechen, was unter „rechtswidrigem“ Kontraktbruch verstanden werden solle. Im Gesetz stehe nicht, was der Abg. von Puttkamer hier angeführt habe, daß das naive Unrecht nicht unter diese Ausnahmebestimmung fallen solle; im Gesetz sei aus⸗ drücklich nur von der rechtswidrigen Auflösung des Kontraktes die Rede. In einem Schreiben von Tischlern an einen Arbeitgeber, worin die Lohnerhöhung unter Androhung der Sperre gefordert worden, sei die Anstrebung eines rechtswidrigen Vermögensvortheils gerichtlich gefunden worden; das Reichsgericht habe sogar jede Forderung höheren Lohnes durch die Arbeiter für rechtswidrig erklärt. Was solle nun werden, wenn ein Arbeiter einem Fachverein angehöre und in Folge eines Beschlusses dieses Vereins eine Lobnerhöhung fordere? Durch kon⸗ kludente Handlungen würde der Arbeiter dann eine Erpressung be⸗ gangen haben. Werde §. 134 Gesetz, so werde der Werth. des Koalitionsrechts illusorisch. Von Tag zu Tag schärfer gingen die Unternehmer vor; dennoch blieben sie von Polizei und Staatsanwalt ungeschoren. Der Arbeiter aber müsse verurtheilt werden, gleichviel, ob er die Tragweite seiner Handlungen über⸗ sehe oder nicht, ob er naiv oder böswillig Unrecht begehe. Die neueste Enthüllung, die in London gedruckte Broschüre „Ein Komplot gegen die Arbeiterklasse“, zeige bezüglich der Metall⸗ industrie recht deutlich, daß die einzelnen Vereine der Unternehmer auf diesem Gebiete völlig gesetzwidrig handelten, sich als politische Vereine gerirten, mit einander in Verbindung träten, also nach preußischem Vereinsrecht aufgelöst werden müßten, ohne daß ihnen von den Behörden das Geringste in den Weg gelegt werde. Kein Staatsanwalt finde sich, der dagegen einschreite, wohl aber tanzten der Berliner Polizei⸗Präsident, der preußische Kriegs⸗ Minister, die sämmtlichen Eisenbahndirektionen nach der Pfeife dieser Unternehmerverbände und erfüllten gehorsamst alle ihre Wünsche.

Abg. Dr. Gutfleisch: Der Antrag der Kommission habe auch verhindern sollen, daß die Ausbedingung von Konpventional⸗ strafen über den Betrag eines Wochenlohnes hinaus erfolge, er sei also gerade im Interesse der Arbeiter gestellt. Da aber die Fassung „als Schadensersatz“ diese Lücke nicht vollständig ausfülle, so beantrage er, diese Worte zu streichen.

—. 134 wird mit diesem Antrag angenommen. b

Um 5 ½¼ Uhr wird die Fortsetzung der Berathung auf Dienstag, 11 Uhr, vertagt.

8 8 Haus der Abgeordneten. 7. Sitzung vom Montag, 13. April.

Der Sitzung wohnt der Minister des Innern Herr⸗ furth bei.

Die zweite Berathung der Landgemeindeordnung wird fortgesetzt und zwar beim Abschnitt IV Gemeindevertre⸗ tung (§§. 49— 65).

§. 49 bestimmt: In denjenigen Landgemeinden, in welchen die Zahl der Stimmberechtigten mehr als 40 (in der Vorlage stand 30) beträgt, tritt mit dem Zeitpunkte, wo die Liste der Stimmberechtigten diese Zahl nachweist, an die Stelle der Ge⸗ meindeversammlung eine Gemeindevertretung.

Die Landgemeinden sind berechtigt und, Falls der Kreis⸗ ausschuß auf Antrag Betheiligter oder im öffentlichen Interesse dies beschließt, verpflichtet, auch bei einer geringeren Anzahl von Stimmberechtigten eine Gemeindevertretung im Wege ortsstatutarischer Anordnung einzuführen. b

Die Gemeindevertretung besteht aus den gewählten Ge⸗ meindeverordneten, deren Zahl mindestens das Dreifache der zuerst genannten betragen muß. Diese Zahl kann durch Orts⸗ statut auf 12, 15, 18 oder höchstens 24 erhöht werden.

Abg. von Huene beantragt, an die Stelle der beiden ersten Absätze zu setzen: „Die Landgemeinden sind berechtigt, an Stelle der Gemeindeversammlung eine gewählte Gemeinde⸗ vertretung im Wege ortsstatutarischer Anordnung einzuführen.“

Eventuell soll an die Stelle der Zahl 40 die Zahl 80 gesetzt und die Worte „und, was der Kreisausschuß .. . ver⸗ pflichtet“ gestrichen werden.

Abg. Bachem: Die Abgeordneten aus dem Rheinlande hätten sich um die Angelegenheiten der sieben östlichen Provinzen, um die es sich hier handele, darum anscheinend zu wenig gekümmert, weil sie von deren Angelegenheiten eben durchaus kein Verständniß hätten. Bei diesem gerenwärtigen Punkt glaubten sie aber doch für das be⸗ stehende Recht eintreten zu sollen, wie es sich in dem Antrage Huene dokumenttre. Es scheine ihnen nirgends gut, ohne zwingende Gründe Neuerungen einzuführen, und das sei eben die Erklärung, warum sie hier etwas ganz Anderes verträten, als das, was sie bei dem Antrage, betreffend die Städteordnung der Rbheinlande, bezweckt hätten. Dort habe es sich um Stadtgemeinden gehandelt, hier um Landgemeinden, dort um rheinisches Recht, hier um das Recht der östlichen Landes⸗ theile. Ueberall wollten sie das Bestehende aufrecht erhalten; das sei derselbe Standpunkt, den sie auch der Besteuerung der ehemals Reichsunmittelbaren gegenüber einnähmen. Sie hingen dabei in keiner Weise an den Schößen der konservativen Partei, sondern unabhängig von der linken und von der rechten Seite folgten sie nur ihrer Ueberzeugung und könnten ihr Verhalten wohl rechtfertigen, und alle Versuche von Parteien, sie zu beeinflussen, würden, wie es in den Prinzipien und durch die Organisation ihrer Partei eigentlich selbst⸗ verständlich sei, von ihnen abprallen, und den Nutzen ihres Verhaltens werde die Landgemeindeordnung haben.

Abg. von Tiedemann (Labischin): Im Gegensatz zum Abg. Bachem, der eine Art von Generaldebatte wieder begonnen habe, be⸗ schränke er sich auf den vorliegenden Paragraphen und empfehle die

Aufrechterhaltung der Kommissionsbeschlüsse. Nach seiner Meinung

sei es wünschenswerth, die Gemeindevertretung so viel wie möglich zu begünstigen. Jetzt habe man nur wenige Gemeinden, in denen 80 Gemeindevertreter oder mehr stimmfähig seien. Nach dem neuen Gesetz werde aber die Zahl der stimmfähigen Gemeindemitglieder in

außerordentlichen Proportionen wachsen, und es würden namentlich

solche Elemente neu hinzukommen, mit denen ein parlamentarischer Verkehr kaum durchführbar sein werde, und er begreife nicht, wie dann der Dorfschulze rubig und sachlich Beschlüsse einer solchen Ge⸗ meindeversammlung herbeiführen solle. Diesen neuen Gemeinden gegenüber könne man noch gar nicht von neuem Recht sprechen, und

jedenfalls sei das Stimmrecht des Einzelnen besser gewahrt, wenn 1

er das Recht habe, bei der Wahl des Gemeindevertreters mitzu⸗

wirken, als wenn er in einer mehr oder weniger turbulenten Ver⸗

sammlung seine Stimme abgeben könne. Abg. von Schalsch

Antrag von einem Drittel der Stimmberechtigten.“

Abg. Freiherr von Huene: Er sei grundsätzlich kein Freund der Gemeindevertretungen, gebe aber zu, daß sie da zweckmäßiger Weise eintreten würden, wo die Gemeinde so roß sei, daß eine Verhandlung

1 G t n. ich erscheine. Er wisse nicht, ob es richtig sei, daß jetzt nur sehr wenige Gemeinden über 80 Köpfe hätten. Schon aus sozialpolitischen Gründen sei es wünschens⸗ werth, die einzelnen Gemeindemitglieder möglichst viel in direkte

der ganzen Gemeinde nicht mehr thun

Verbindung mit der Erledigung der Gemeindeangelegenheiten zu

bringen. Wenn Gemeindevertretungen hier allgemein eingeführt würden, so werde man in jeder Gemeinde eigentlich deren zwei

haben: die eine davon sitze im Rathhaus, die andere sitze im Wirths⸗

haus. Uebrigens würden nicht immer alle Gemeindemitglieder einer

Versammlung beiwohnen, sondern aus Krankheit, aus Abwesenheit,

80 Stimmende haben,

a beantragt, in dem Absatz 2 an Stelle der Worte „auf Antrag Betheiligter“ zu setzen: „auf

uch aus Faulheit und ähnlichen Gründen werde eine Anzahl fehlen. Die Frauen, die Unmündigen würden persönlich nicht da sein können, und so werde eine Gemeindeversammlung kaum sondern im Allgemeinen aus 40—50 Mit⸗ gliedern bestehen. Eine ganze Anzahl werde sich auch gern von den Gemeindeangelegenheiten drücken, um sich nicht nach einer ge⸗ wissen Richtung hin zu engagiren. Ganz bedenklich sei aber bei dem Kommissionsvorschlage, daß, wenn die Gemeinde einmal beschlossen habe, eine Gemeindevertretung zu wählen, sie sich der eigenen Ab⸗ stimmung für immer begeben habe und damit werde man in späteren Zeiten große Verbitterung schaffen. Er werde deshalb, um wenigstens Etwas zu retten, wenn seine Anträge abgelehnt würden, für den Antrag Schalscha stimmen. Wenn er diesem Antrage auch nicht freundlich gegenüberstehe, so sei er doch immer besser als der Kommissionsvorschlag. Wenn man hier wieder auf den Kreis⸗ ausschuß als auf die genügende Korrektur gegen ungeeignete Ge⸗ meindebeschlüsse hinweise, so bemerke er dagegen, daß der Kreis⸗ ausschuß nicht das richtige Urtheil darüber habe, was in der Ge⸗ meinde öffentliche, was Privatinteressen seien. Nun sollten Kommission der Gemeindevorsteher und die

der Versammlung der Gemeindevertreter angehören,

w sie häufig aus 32 Mitgliedern bestehen. Sei es

nun wirklich ein so großer Unterschied, ob man 32 Gemeinde⸗ vertreter oder 40 Gemeindemitglieder in einer Versammlung habe? Im Gegentheil, die Gemeindeversammlung werde sich dann leichter eiten lassen, denn da gebe es Viele, die schwiegen, wer aber einmal gewählt sei, der werde auch bei jeder Gelegenheit reden wollen. Auch sei zu bedenken, daß in der Gemeindevertretung der Vorsteher und die Schöffen nach einem anderen Wahlsystem gewählt seien als die übrigen Mitglieder der Gemeindevertretung. Das sei un⸗ gefähr dasselbe, als wenn in den Städten der Magistrat der Stadt⸗ erordneten⸗VBersammlung angehören solle, was staatsrechtlich un⸗

ulässig sei. Minister des Innern Herrfurth:

Meine Herren! Die in dem §. 49 behandelte Frage ist meines Erachtens zwar nicht von einer prinzipiellen, aber von einer eminent praktischen Bedeutung. Der Prinzipalantrag des Hrn. Abg. Freiherrn von Huene, den er allerdings so halb und halb selbst als aussichtslos bezeichnet hat, will das bisher in den Ostprovinzen

bestehende Verhältniß aufrecht erhalteu. Hr. von Huene hat mit Recht angeführt, daß in neuerer Zeit, wie es auch in den Motiven Ausdruck gefunden hat, die Zahl derjenigen Gemeinden, welche eine gewählte Gemeindevertretung eingeführt haben, sich vermehrt hat. Es ist dies geschehen in Folge einer von mir gegebenen Anregung, wodurch die Landräthe darauf hingewiesen worden sind, in größeren Gemeinden auf Beschlüsse hinzuwirken, durch welche eine solche Ge⸗ meindevertretung eingeführt wird. Immerhin sind in noch nicht 8 % sämmtlicher Gemeinden der Ostprovinzen gewählte Gemeinde⸗ vertretungen vorhanden, und die Zahl von Landgemeinden ist nicht gering, in denen die Zahl der Mitglieder der Gemeindeversammlung rheblich größer ist als die Zahl der Stadtverordnetenversammlung on Berlin, als die Zahl der Vertreter des Deutschen Reichs im Reichstage, als die Zahl der Vertreter des preußischen Staates hier

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n diesem Hause. Meine Herren, es sind die sämmtlichen Behörden zur gutacht⸗

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achtlichen Aeußerung über diese Frage aufgefordert und sie haben sich, war nicht mit voller Einstimmigkeit, aber mit einer ganz über⸗

piegenden Majorität dafür ausgesprochen, daß ein dringendes Be⸗ ürfniß vorliege, in dieser Beziehung Wandel zu schaffen. Ich gebe em Hrn. Abg. Freiherrn von Huene ausdrücklich zu: es ist dieses Gutachten kein einstimmiges gewesen, und die Gründe, die gegen

ine solche Vorschrift aufgeführt worden sind ich glaube, es andelt sich um zwei oder drei Regierungsbezirke sind auf Seite 77 der Motive der Regierung ausdrücklich angegeben. Im lebrigen hat sich die ganz überwiegende Mehrzahl der Behörden aus praktischen Gründen dafür ausgesprochen, daß eine Anderung eintreten nüsse, daß eine feste Zahl festgesetzt werden müsse, bei welcher die Einführung der Gemeindevertretung obligatorisch ist. Allerdings gehen un die Gutachten über die Höhe dieser Zahl sehr weit auseinander. Ein Theil der Behörden wollte die Zahl nach Maßgabe der Ein⸗ wohner bestimmen. Das ist aber als unpraktisch verworfen, da es icht darauf ankommt, wieviel Einwohner eine Gemeinde hat, sondern wieviel Mitglieder zur Gemeindeversammlung gehören. Die große Majorität der Behörden hat sich daher dafür ausgesprochen, nach diesem Kriterium die Zahl zu bestimmen. Fast einstimmig waren sie der Ansicht, daß die Zahl, welche in den westlichen Provinzen 18 beträgt, zu niedrig gegriffen sei. Die Mehrzahl der Gutachten schwankt zwischen 25 bis 40 Gemeindemitgliedern, einzelne gingen noch höher hinauf; bis auf 80, die Zahl des Eventualantrages des Hrn. Abg. Freiherrn von Huene, ist keine einzige Behörde in ihren Vorschlägen gekommen. Nun hatte die Staatsregierung ihrer⸗

seits sich an das Mittel von 30 gehalten, die Kommission hat die Zahl auf 40 erhöht, und ich will zugeben, daß ich auch die Zahl von 40 namentlich im Hinblick darauf, daß keineswegs immer die sämmt⸗

lichen zum Erscheinen Berechtigten in den Gemeindeversamm⸗ lungen erscheinen wohl als eine annehmbare Normalzahl ansehen kann, und ich will gegen den Beschluß der Kommission in dieser Beziehung einen Einspruch nicht erheben. Wohl aber glaube ich, daß die Zahl von 80 ganz erheblich zu hoch gegriffen sein würde. Ich möchte deshalb meinerseits bitten, daß Sie unter Ablehnung des Prinzipal⸗ und Eventualantrages des Hrn. von Huene dem Kommissions⸗ beschluß in Absatz 1 unverändert beitreten. Was den Antrag auf Veränderung des Absatzes 1 anlangt, so hat die Staatsregierung allerdings nur eine fakultative Einführung der Gemeindevertretung bei einer geringen Anzahl durch Ortsstatut vorgesehen, nicht aber den Fall ins Auge gefaßt, daß wider Willen der Gemeindeversammlung eine Gemeindevertretung durch Anordnung des Kreisausschusses eingeführt werden kann. Ich will jedoch uch hiergegen keinen Widerspruch meinerseits erheben, obwohl ich llerdinss dem Hrn. Abg. Freiherrn von Huene beitrete, daß, enn nicht ein einziger der Betheiligten einen derartigen Antrag stellt, man wohl kaum den Fall wird konstruiren können, daß das öffentliche Interesse es erfordere, und ich möchte glauben, daß diese Bestimmung ohne Bedenken weggelassen werden könnte, ja daß es sogar eine Verbesserung ist, wenn sie wegfällt. Zweifelhaft erscheint es mir allerdings, ob es zweckmäßig sein würde, die Zahl er Betheiligten, von welchen ein solches Einschreiten des reisausschusses abhängig gemacht werden soll, zu nor⸗ miren und zwar nach dem Antrage v. Schalscha auf ½ der Stimmberechtigten. Ich glaube, er hat das Drittel mit Rücksicht uf die Dreitheilung nach den Steuern in der Gemeinde vorgeschlagen, hat dies aber nicht zum Ausdruck gebracht, denn er will

nicht, daß diejenigen, welche ½ der Steuern aufbringen, einen solchen

Antrag stellen können, sondern er will die Zahl auf ein Dritttheil

der Kopfzahl normiren. Wenn man überhaupt die Quote feststellen will, dann ist sie mit ½ zu hoch gegriffen. Ich erinnere daran, daß, wenn man es überhaupt thun wollte ich halte es nicht für er⸗ forderlich die Quote von †¼ genügen würde, welche sich in unserer

Antrags auf Einberufung der Kreisversammlung. Ich möchte aber glauben, daß man es dem Kreisausschuß überlassen kann, wenn überhaupt nur ein Antrag von einem Betheiligten vorliegt, zu prüfen, ob die Verhältnisse derartig sind, daß ein Einschreiten nöthig ist, und das kann nöthig werden gerade mit Rücksicht darauf, daß das Kliquen⸗ und Koteriewesen viel eher Raum in der Gemeindeversamm⸗ lung als innerhalb der Gemeindevertretung findet, und es kann aller⸗ dings vorkommen, daß durch solches Kliquen⸗ und Koteriewesen die Gemeindeninteressen gefährdet werden, daß namentlich eine Ueber⸗ lastung der Wohlhabenderen herbeigeführt werden könnte.

Ich möchte daher meinerseits glauben, daß die Anträge der Hrrn. Abgg. von Huene und von Schalscha abzulehnen, die Anträge der Kommission anzunehmen sein möchten, der Absatz 1 unverändert, Absatz 2 mit der Maßgabe, daß die Worte „oder im öffentlichen Interesse“ in Wegfall gebracht werden.

Abg. Hansen erklärt sich für die möglichst ausgedehnte Ein⸗ führung von Gemeindevertretungen. In den Gemeindeversammlungen würden die Leute mit starker Stimme und kräftigen Lungen das Uebergewicht haben; die ruhigen Elemente würden zu Hause bleiben. Deshalb müsse ihnen Gelegenheit gegeben werden, im kleineren Kreise der Gemeindevertretung zur Geltung zu kommen. Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa: Seine Freunde erkennten es als einen Vorzug gegen den jetzigen Zustand an, daß zwangsweise, wo es angezeigt sei, eine Gemeindevertretung auch wider den Willen der Gemeinde eingeführt werden könne. Das sei bisher keineswegs überall da, wo es nöthig gewesen sei, durchzusetzen gewesen. Sie könnten nicht sür den Antrag Huene stimmen, der die Einführung der Gemeindevertretung nur von dem Antrage der Gemeinde⸗ versammlung abhängig machen wolle, und ebenso wenig könnten sie die Erhöhung der Zahl 80 acceptiren. Andererseits hätten sie gegen §. 49 in der Kommissionsfassung auch nicht unerhebliche Bedenken. Sie könnten sich mit der Zahl 40, wie überhaupt mit einer be⸗ stimmten Zahl nicht befreunden, müßten vielmehr anerkennen, daß auch da, wo nicht 40 vorhanden seien, sehr wohl die Verhältnisse eine Gemeindevertretung erforderlich machen könnten. Sie könnten auch as Bedenken nicht ganz abweisen, daß über die Zahl 40 hinaus es rathsam sein könne, eine Gemeindevertretung nicht einzuführen. Deshalb möchten sie die Befugnisse des Kreisausschusses zur Ein⸗ setzung einer Gemeindevertretung nicht beschränken. Bei §. 48 seien ihre Wünsche nicht berücksichtigt worden, sie hofften jedoch, daß bis zur dritten Lesung eine Verständigung möglich sein werde, und wünschten, daß das Centrum mit ihnen gehe, womit er jedoch nicht sagen wolle, daß es sich an ihre Rockschöße hängen solle. Seine Partei sei zu bescheiden, um einer so großen Partei einen solchen Gedanken an⸗ zusinnen. Aber sie hoffe, daß das Centrum mit ihr Schulter an Schulter gehen und daß es möglich sein werde, ihren Prinzipien und den Wünschen der Regierung entsprechend, denen sie ja, soweit es ihre Prirzipien gestatteten, entgegenkomme, acceptable Beschlüsse zu fassen. Um sich ihre volle Freiheit zu wahren, wolle sie vor der Hand diesen Paragraphen so lassen wie er sei. (Beifall rechts) Abg. Dr. Ritter: Er wünsche, daß die Kommissionsfassung

angenommen und der Antrag Huene abgelehnt werde. Bei großen Gemeinden würden sich die eingesessenen Elemente sträuben, eine Gemeindevertretung zu schaffen, und dann habe man ein Konglomerat von Stimmen, welches in manchen Gemeinden bis zu 2000 gehen könnte, und da werde der Wille der Unangesessenen ausschlaggebend sein. Deshalb müsse hier der Gesetzgeber den Willen zur Einführung einer Gemeindevertretung vorschreiben. Den Abg. Bachem mache er darauf aufmerksam, daß man im Osten Dörfer habe, die größer als rheinische Städte seien und bis 10 000 Einwohner faßten. Die verschiedenen Interessen der Gemeindeangehörigen könnten nicht durch die Gesammt⸗ heit der Gemeinderersammlung so gut wie durch gewählte Gemeinde⸗ vertretungen wahrgenommen werden. Gerade nach den Beschlüssen zu §. 48 müsse man einen Riegel vorschieben, daß nicht eine Majorisirung der Angesessenen durch die Nichtangesessenen eintrete. Ein Zwang auf die Gemeinde müsse allerdings ausgeübt werden können. Man müsse zum Kreisausschuß das Vertrauen haben, daß er das öffentliche Interesse in jedem Falle richtig würdigen werde. Deshalb meine er auch nicht, daß man die Worte „im oͤffentlichen Interesse“ streichen solle. Er sei auch gegen den Antrag Schalscha, der nur unnöthige Schwierigkeiten hervorrufe. Die gewählten Ge⸗ meindevertretungen seien nöthig, wenn man nicht in manchen Gemeinden große Volksversammlungen bekommen wolle, welche nur eine Reinkultur für die Sozialdemokratie seien. Auf eine Bemerkung des Abg. von Strombeck er⸗ 3 s GS G 5 klärt der Minister des Innern Herrfurth: Meine Herren! Ich werde jetzt erst auf diesen Zweifel auf⸗ merksam gemacht, und ich muß das Bedenken für nicht ganz unberech⸗ tigt erklären. Ich glaube, ez wird sich das Bedenken vielleicht am Richtigsten dadurch heben lassen, daß man bei §. 72 in dem Absatz, betreffend die Erhöhung der Zahl der Schöffen, die Maximalzahl von sechs einführt; dann stehen beide Paragraphen vollständig mit ein⸗ ander im Einklange. Abg. Dr. Krause spricht sich gegen den Antrag von Huene aus. Abg. Rickert: Habe denn der Abg. Freiherr von Huene für achtzig Mitglieder einer Gemeindeversammlung die genügenden Lokale? (Zaruf des Hrn. von Huene: Oh ja!) In der Gemeindevertretung werde Jeder ein größeres Gefühl der Verantwortlichkeit haben als in der Gemeindeversammlung. Den Gemeinden könne man die Sache nicht allein überlassen, die Sache müsse gesetzlich gemacht werden. Abg. von Schalscha erklärt sich für den Antrag von Huene und empfiehlt seinen Antrag nur als das geringere Uebel gegenüber der Vorlage Derselbe solle die Einführung der Gemeindevertretungen erschweren; denn der Antrag eines Betheiligten, welcher nach dem Beschlusse der Kommission genüge, sei durchaus unzureichend. Es könne dabei leicht bestellte Arbeit gemacht und einer Landgemeinde eine Vertretung aufgezwungen werden. Zu dieser Aenderung liege ebenso wenig wie zur ganzen Landgemeindeordnung eine Noth⸗ wendigkeit vor. 3

Minister des Innern Herrfurth: Die Ausführungen des Hrn. von Schalcha veranlassen mich, noch einmal auf die von ihm zuletzt beregte Frage, die auch bereits der Hr. Freiherr von Huene berührt hatte, zurückzukommen, nämlich auf die Frage, ob es richtig ist, daß, wenn einmal eine Gemeinde⸗ vertretung gewählt worden ist, dann für alle Zeiten die Gemeindeversammlung abgedankt habe, und nie wieder auf die Gemeindeversammlung mehr zurückgegangen werden könne. Das trifft meines Erachtens nicht zu. Dieser Fall kann ja überhaupt nur in Frage kommen, wenn weniger als die Normalzahl von 40 oder, wie Hr. von Huene will, 80 stimmfähige Gemeindemitglieder vorhanden sind. Solange mehr vorhanden sind, muß eine Gemeindevertretung eingeführt und beibehalten werden, dann darf sie ihre Rechte nicht mehr an eine Gemeindeversammlung abtreten; wenn aber eine Ge⸗ meindevertretung gebildet ist auf Grund des Absatzes 2, wenn also weniger Mitglieder als die Normalzahl vorhanden sind, so ist sie

Gesetzgebung häufig findet, z. B. in der Kreisordnung bezüglich des

vertretung kann auf demselben Wege, wie sie gebildet worden ist, wieder aufgehoben werden. Ich glaube nicht, daß der §. 139 hierfür der richtige Weg sein würde. In Betreff der Interpretation des §. 139 trete ich Hrn. von Schalscha bei; aber ich glaube, daß, wenn sich die Gemeindevertretung überzeugt: wir könnnen hier mit der Gemeindeversammlung auskommen, und es ist zweckmäßig, an die Stelle der Gemeindevertretung wieder eine Gem eindeversammlung treten zu lassen, sie durch ein neues Orts⸗ statut, welches das bisherige Ortsstatut aufhebt, die Gemeinde⸗ versammlung wieder einführen kann, und dann tritt von selbst oder auf ausdrücklichen Beschluß die Gemeindeversammlung wieder an die Stelle der Gemeindevertretung.

Abg. Gerlich erklärt sich für seine Person für den Antrag von Huene.

Der Antrag von Huene wird gegen die Stimmen des Centrums, der Polen und der Abgg. von Meyer⸗Arnswalde, von Below⸗Saleske und Gerlich abgelehnt; ebenso der Antrag von Schalscha, §. 49 wird unverändert angenommen. Nach §. 50 sollen die Stimmberechtigten für die Wahlen der Gemeindevertretung in drei Klassen nach der Steuer ge⸗ theilt werden; jede Klasse soll ein Drittel der Gemeinde⸗ verordneten aus der Zahl der Gemeindeglieder wählen.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa will die Ge⸗ cnsdes nur aus der Zahl der Stimmberechtigten wählen

Minister des Innern Herrfurth:

Wenn ich den Wortlaut des Antrages des Hrn. Abg. von Heyde⸗ brand und seine jetzigen Ausführungen recht verstanden habe, so beabsichtigt er, den Kreis der aktiv Wahlberechtigten und der passiv Wahlberechtigten gleichmäßig abzugrenzen. In diesem Sinne auf⸗ gefaßt, kann ich seinem Antrag meinerseits zustimmen und darin eine Verbesserung der Regierungsvorlage erkennen. Ich glaube aber, es wird dann noch eine Aenderung und Ergänzung eines Paragraphen stattfinden müssen, der inzwischen bereits Annahme gefunden hat. Es ist im §. 42 ausdrücklich vorgesehen, daß Jemand das Recht, als Gemeindevertreter zu fungiren, verliert, sobald er persönlich das Stimmrecht verliert. Nun kann aber bei Annahme des Antrages von Heydebrand der Fall vorkommen, daß ein Vertreter eines Stimmberechtigten, der nicht Gemeindemitglied ist, in die Gemeindevertretung gewählt wird und seinerseits später das Recht der Stellvertretung verliert. Also z. B. ein Stiefvater be⸗ wirthschaftet das Grundstück des Stiefsohnes; er hat in Folge dessen das Recht der Stellvertretung und kann als solcher in die Gemeinde⸗ vertretung gewählt werden. Nachdem er gewählt ist, giebt er die Bewirthschaftung ab; er ist nun nicht mehr Stellvertreter, und er kann dann meines Erachtens auch nicht mehr Mitglied der Gemeinde⸗ vertretung sein. Also ich glaube, bei der dritten Lesung wird eine Ergänzung des §. 42 nach dieser Richtung in Erwägung zu ziehen sein wenn der vorliegende Antrag angenommen wird. In dieser Voraussetzung glaube ich mich aber mit dem Antrage einverstanden erklären zu können.

Abg. von Strombeck empfiehlt gleichfalls den Antrag, glaubt aber, daß es in Folge dessen nothwendig werden würde, in Bezng auf die Großjährigkeit der Vertreter Bestimmungen zu treffen. Redner hält es nicht für ausgeschlossen, daß bei dem Dreiklassenwahlsystem Ungleichheiten der Wahlberechtigung eintreten könnten.

Minister des Innern Herrfurth:

Meine Herren! Ich habe keinen Zweifel darüber, daß bei der Einführung des Dreiklassenwahlsystems, also bei der Wahl einer Gemeindevertretung, innerhalb der Klasse die Stimmen der Mitglieder dieser Klasse gleich sind und daß innerhalb der einzelnen Klassen dem Eeinen oder dem Anderen eine Mehrzahl von Stimmen nicht beigelegt werden kann. Die Bestimmung des §. 48 Absatz 3, welche gestern nicht angenommen worden ist, ist eben nur ein Surrogat dafür, daß im Uebrigen eine Bevorzugung durch Eintheilung in Steuer⸗ klassen nicht stattfindet. Greift das Dreiklassenwahlsystem Platz, so ist innerhalb der Klassen das Stimmrecht das gleiche. b Bei §. 50 a, welcher von der Bildung von Wahlbezirken bei Vorhandensein von mehr als 500 Wählern in einer Klasse oder von mehreren Ortschaften handelt, weist Abg. von Rauchhaupt auf die Unz uträglichkeit hin, daß in ersterem Falle der Gemeindevorsteher, im zweiten Falle der Kreis⸗ ausschuß die Abgrenzung der Bezirke zu bestimmen habe.

Minister des Innern Herrfurth: 3

Der §. 50 a ist aus der Initiative Ihrer Kommission hervor⸗ gegangen und die Königliche Staatsregierung ist nur mitschuldig am Absatz 2 desselben. Aber §. 50 a ist, wie eben Hr. von Rauchhaupt mit Recht ausgeführt hat, keineswegs eine neue Er⸗ findung der Kommission, sondern sie hat nur Bestimmungen zu⸗ sammengeschrieben, die sich einmal in der Städteordnung für die östlichen und westlichen Provinzen, sodann in der Land⸗ gemeindeordnung für die Rheinprovinz und endlich in dem Zuständig⸗ keitsgesetz vorfinden.

Nun gebe ich Ihnen zunächst zu: Der Fehler, der in der 2. Zeile des Absatzes 1 gemacht worden ist, steht genau wörtlich so in der Städte⸗ ordnung, wo es heißt:

Gehören zu einer Abtheilung mehr als 500 Wähler, so kann die Wahl derselben nach dazu gebildeten Wahlbezirken geschehen.

Das Wort „derselben“ ist offenbar falsch; man sagt hier: Die

Wahl derselben statt das Wählen derselben, man meint das aktive Wählen und nicht das passive Gewählt werden, die Vornahme der Wahl. Ich glaube, deswegen ist es eine ganz richtige Korrektur, wenn das Wort „derselben“ ganz wegfällt. Im Uebrigen ist die Konstruktion, wonach beim Vor⸗ handensein von 500 Wählern der Gemeindevorstand zu bestimmen hat, daß eine Wahl nach Wahlbezirken stattfinden soll, daß aber im anderen Falle, wo es sich um eine Ge⸗ meinde handelt, die aus mehreren Ortschaften besteht, der Kreis⸗ ausschuß eintritt, zurückzuführen auf die Bestimmungen des §. 32 des Zuständigkeitsgesetzes, in welchem es heißt: 9

Der Kreisausschuß beschließt, soweit die Beschlußfassung nach den Gemeindeverfassungsgesetzen der Aufsichtsbehörde zusteht, über die Zahl der aus jeder einzelnen Ortschaft einer Gemeinde zu wählenden Mitglieder der Gemeindevertretung.

Endlich ist der Absatz 2 entnommen dem §. 47 der rheinischen Gemeindeordnung, wo wörtlich dieselbe Bestimmung wie hier im Absatz 2 vorhanden ist. Es heißt hier:

Bei Gemeinden, welche mehrere Ortschaften enthalten, kann der Kreisausschuß nach Verhältniß der Einwohnerzahl bestimmen,

gebildet durch Ortsstatut, und die Einrichtung einer Gemeinde⸗

wieviel Mitglieder der Gemeindevertretung aus jeder einzelnen Ort⸗ schaft zu wählen sind. 1