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Von den 50 Paragraphen der Fabrikor dnung der Gebr. Stumm in Neunkirchen enthielten 36 Strafbestimmungen bis zu 10 ℳ, und in 4—5 werde sofortige Entlassung dekretirt. Sie mache mehr den Eindruck eines Strafgesetzbuches. Nach §. 36 sei es allen Meistern und Arbeitern untersagt, gegen einander gerichtliche Klagen zu führen oder sich zu verheirathen, ohne vorher dem Chef davon Nachricht zu geben; Zuwiderhandelnde würden mit 3 bis 10 ℳ be⸗ straft, in schweren Fällen trete Entlassung ein. D. as sei ein Eingriff in die Rechte der Arbeiter, denn danach könne der Arbeitgeber den Arbeitern das Heirathen verbieten. Solche Bestimmungen vertrügen nicht mit den jetzigen Anschauungen von Menschenwürde, und ie Arbeiter würden sich das nicht gefallen lassen, wenn sie nicht om Arbeitgeber abhängig wären. Solche Bestimmungen würden ber trotz des §. 134 b noch möglich bleiben, denn die Fabrik⸗ rdnungen sollten von den unteren Verwaltungsbehörden genehmigt werden, in Preußen also von den Landräthen, in Sachsen von der Amtshauptmannschaft. Wenn er sich einen Landrath wie den Abg. von Kleist⸗Retzow denke, fürchte er allerdings, daß §. 134 b nicht viel nützen werde. Die Gebrüder Stumm verlangten von ihren Arbeitern auch, daß sie durch ihr Verhalten außerhalb des Betriebes der Firma Ehre machten; namentlich sei ihnen das uner⸗ te Schießen auf den Straßen bei Hochzeiten und in der Neujahrs⸗ nacht u. dergl. streng verboten. Dazu müßten die Arbeiter natürlich durch ein wohlorganisirtes Spionirsystem ständig überwacht werden. Wenn so z. B. das unerlaubte Schießen verboten werde, in welcher Rolle befänden sich denn die Königlichen Behörden dem gegenüber! Die sächsische Staatsbahnverwaltung habe vorgeschrieben, daß die ufzunehmenden Arbeiter in den Werkstätten nicht unter 16 und nicht über 35 Jahre alt sein sollten. Wenn eine ähnliche Bestimmung von Privatunternehmern erlassen werde, wo solle man denn hin? Daß eine untere Verwaltungsbehörde im Königreich Sachsen es nicht wagen werde, gegen eine solche Fabrikordnung einer Staatsbehörde Einspruch zu erheben, unterliege keinem Zweifel, und ebenso werde es in Preußen sein. Ueber alle Vergehungen des Arbeiters entscheide allein der Arbeitgeber, der Arbeiter habe keine Macht dagegen. Eine große Zahl von Fabrikordnungen schreibe vor, daß die Arbeiter hre Genossen denunziren sollten, wenn diese sich gegen die Interessen ihrer Arbeitgeber vergingen. Durch die Vor⸗ chriften auf den Kaiserlichen Werften, wonach die Arbeiter die Arbeit nicht verlassen dürften, um sich bessere Arbeitsbedingungen zu verschaffen, werde das Koalitionsrecht der Arbeiter vernichtet. Wo blieben da die schönen Versicherungen, die man fortgesetzt mache, daß man das Koalitionsrecht der Arbeiter nicht antasten wolle? Auch die politische Gesinnung der Arbeiter werde auf den Kaiserlichen Werften bestraft. Was der Arbeiter in politischer Beziehung außerhalb seiner Arbeitsstellung thue, gehe den Unternehmer nichts an. Werde nach 134 b eine Bestimmung unmöglich werden, wonach den Arbeitern die Betheiligung an politischen Vereinen irgendwelcher Art verboten ei? Bei einem späteren Paragraphen müsse man eine besondere Be⸗ hörde installiren, welche darüber wache, daß. solche Bestimmungen unmöglich seien. Ihre Anträge, die Ziffern 3 und 5 zu streichen, müsse seine Partei, nachdem die Abstimmung bei §. 125 und §. 134 gegen ihre Auffassung ausgefallen sei, zurückziehen. In Fällen, wo es sich um einen von dem Arbeiter angerichteten Schaden handele, ver⸗ lange seine Partei, daß über einen solchen Fall nicht der Arbeitgeber entscheide, sondern das Gewerbegericht, an welches sich der Unternehmer sofort zu wenden habe, wenn er sich nicht mit dem Arbeiter verständige. Die Arbeiterausschüsse lehne seine Partei in der vorgeschlagenen Form ab, denn danach seien sie nicht, was sie sein sollten: von den Arbei⸗ tern frei gewählte Vertrauenskörper. Es liege vollständig in der Hand der Unternehmer, wie sie die Arbeiterausschüsse zusammensetzen wollten. Die Arbeitskammern seien ganz etwas Anderes, sie seien für größere Bezirke gewählte Vertretungskörper und öffentliche Be⸗ hörden. Die Arbeiterausschüsse hätten gar keine selbständige Initiative, sondern könnten nur ihre Meinung über das äußern, was den Arbeitgebern gut dünke. Daß solche Scheineinrichtungen ihren Zweck verfehlten, unterliege keinem Zweifel. Außerordentlich bedenklich sei, daß die Arbeiterausschüsse, welche völlig in der Hand der Arbeit⸗ geber lägen, die Arbeiter unter 21 Jahren unter ihre Vormundschaft stellen könnten. Es könne diesen Arbeitern z. B. verboten werden, einem Verein anzugehören. Es könne ihnen befohlen werden, zur Kirche zu gehen u. dergl. Der Arbeiter solle ein vollständig freier Mann sein, der nur seine Arbeitskraft für eine gewisse Zeit den Unternehmern verkaufe. Außerhalb der Arbeit habe ihm Niemand etwas zu befehlen. Diese Bestimmung verletze auch staatsbürgerliche Rechte, denn nach dem preußischen Vereinsgesetz könnten bereits Leute unter 18 Jahren politischen Vereinen angehören.
Staats⸗Minister Freiherr von Berlepsch: “
Meine Herren! Ich habe die Absicht, einige Bemerkungen zu dem Beschlusse der Kommission zum zweiten Absatz des §. 134 b zu machen, wonach die Höhe der Strafen, bezüglich deren Be⸗ stimmungen in die Arbeitsordnung aufgenommen werden dürfen, nach
oben hin auf den Betrag des ortsüblichen Tagelohnes begrenzt worden ist, während die Regierungsvorlage dies Strafmaximum auf den Betrag des doppelten ortsüblichen Tagelohnes fest⸗ gesetzt hatte. An sich ist in den Reden dieses hohen Hauses, auch in den Reden in der Kommissionsberathung und in den Anträgen,
hier vorliegen, ein erhebliches und ernstliches Bedenken gegen
Geldstrafe als nothwendiges Mittel zur Aufrechterhaltung der Disziplin an sich nicht vorgebracht worden. Die beiden Herren Vorredner haben zwar ihre persönliche Auffassung dahin gekennzeichnet, daß die Festsetzung von Geldstrafen zur Aufrechterhaltung der Disziplin in Fabrikbetrieben überhaupt nicht erforderlich sei, daß man auch durch andere Mittel das, was nothwendig sei, erreichen könne. Es hat insbesondere Hr. Abg. Dr. Hirsch ausgesprochen, daß es seiner Auffassung nach mit unserer ganzen Rechtsanschauung sich nicht vertrüge, derartige Strafbefugnisse dem Unternehmer oder Fabrikanten zu übertragen. Diese Ansicht halte ich indeß nicht für zutreffend. Mit unserer Rechtsauffassung ist eine Uebertragung der Befugniß der Festsetzung von Konventionalstrafen zweifellos vereinbar. Es handelt sich hier eben nicht um die Uebertragung einer strafrechtlichen Befugniß, sondern um die Frage, ob Jemand befugt ist, mit einem Anderen eine Konventionalstrafe zu verabreden; und unsere bisherige Rechtsauffassung geht zweifellos dahin, daß für diese Befugniß eine Beschränkung überhaupt nicht existirt. Hr. Abg. Dr. Hirsch hätte deshalb meines Erachtens sich richtiger dahin ausgedrückt, daß unsere Rechtsauffassung bisher dahin ging, daß eine Beschränkung der Befugniß, Strafen im Fabrikbetrieb, in der Fabrikordnung festzusetzen, nicht existirt, und daß wir diese Beschränkung jetzt erst durch das vorliegende Gesetz in unsere Gesetz⸗ gebung einführen. Daß die Mehrheit dieses Hauses damit vollständig einverstanden ist, geht ja aus alledem hervor, was wir bisher gehört haben.
Nun muß ich ja zugeben, daß es eine Reihe von Betrieben giebt, wo man in der That ohne Geldstrafen auskommen kann. Es giebt auch eine ganze Anzahl von Betrieben, wo man mit geringeren Geldstrafen, z. B. mit solchen, welche die Höhe des ortsüblichen Tagelohns nicht überschreiten, auskommt. Das werden vorwiegend solche Betriebe sein, wo wenig gefährliche Maschinen in Anwendung sind, wo eine kleine Arbeiterzahl, vielleicht nur in geschlossenen Räumen, beschäftigt ist, wo eine seßhafte kontinuirliche Arbeiterschaft vorhanden ist, die nicht nur mit der Person des Arbeitgebers in be⸗ sonderen persönlichen Beziehungen steht, sondern die sich auch unter⸗
einander kennt, — das letzte ist meines Erachtens ein sehr wichtiger Faktor bei der Beurtheilung dieser Frage. In solchen Betrieben können allerdings geringe Geldstrafen, sowie Verweise und War⸗ nungen, namentlich Verweise vor versammelter Belegschaft, von er⸗ heblicher Wirkung sein; ich will das in keiner Weise bestreiten. Aber andererseits ist es auch außer jedem Zweifel, daß es eine große An⸗ zahl von Betrieben giebt, wo man eines kräftigen, wirksamen Straf⸗ mittels nicht entbehren kann, um die Ordnung und Disziplin im Be⸗ trieb aufrecht zu erhalten. Das sind namentlich diejenigen Betriebe, wo die beiden Faktoren der Häufigkeit der gefährlichen Maschinen und der großen Arbeitermasse zusammenkommen. Mir scheint es auf der Hand zu liegen, daß man da, wo täglich gleichzeitig in einem Be⸗ triebe Tausende von Arbeitern beschäftigt sind, wo in Folge dessen die Beaufsichtigung eine ungemein viel schwierigere ist, als in kleineren Betrieben, ohne wirksame Strafmittel nicht auskommen kann. Es trifft dies noch mehr zu, wenn die Arbeiterbevölkerung keine seß⸗ hafte ist, sondern die Arbeiter häufig die Arbeitsstelle wechseln. In welch hohem Maße das oft der Fall ist, haben ja Erhebungen ergeben, die in der letzten Zeit stattgefunden haben. In großen Eisenbetrieben bilden darnach fast 50 % der Arbeiterschaft ein fluktuirendes Element. Leuten gegenüber, die kommen und gehen — ich mache ihnen das nicht zum Vorwurf, ich erwähne nur die That⸗ sache —, ist aber, um die Disziplin des Betriebes aufrecht zu er⸗ halten, ein wirksames Strafmittel nothwendig, und ein solches kann man nicht in Verwarnungen und Verweisen sehen, sondern nur in einer auch wirklich kräftigen und wirksamen Geldstrafe.
Nun hat die Regierungsvorlage als das Strafmaß, über welches nicht hinausgegangen werden darf, den doppelten Betrag des ortsüblichen Tagelohnes angenommen; sie hat diesen Maßstab mit Rücksicht darauf gewählt, daß damit eine völlig klare, unanfechtbare Grundlage gegeben ist, und die Bedenken, die gegen die Gerechtigkeit dieses Maßstabes vorgebracht worden sind, scheinen mir doch nicht aus⸗ schlaggebend zu sein. Denn wir wollen ja nicht, daß der doppelte ortsübliche Tagelohn als Strafe stets verhängt werden solle, sondern wir wollen mit diesem Betrage nur die Grenze festsetzen, über die hinaus nicht bestraft werden kann.
Ich möchte hier darauf aufmerksam machen, daß bis jetzt meines Wissens in keiner Gesetzgebung der Welt den Arbeitgebern die Befugniß zur Verhängung von Geldstrafen völlig genommen worden ist. Auch Grenzen für die Befugniß, Konventionalstrafen zu erheben, sind bisher lediglich in der Schweiz gezogen worden. In Oesterreich ist es nicht geschehen; auch in England bestehen meines Wissens — ich glaube, das ist auch schon erwähnt worden — Bestimmungen in dieser Richtung nicht.
Nun sind die verbündeten Regierungen der Meinung, daß Strafen in Höhe des einfachen ortsüblichen Tagelohns für diejenigen Be⸗ triebe, die ich mir erlaubt habe zu skizziren, und für schwerere Verstöße absolut nicht als hinreichend anzusehen sind, und daß die Fassung, welche die Kommission hier für die geeignete gehalten hat, zu ernsten Bedenken Anlaß bietet. Es sind ja schon von dem Hrn. Abg. Freiherrn von Stumm eine Reihe von Fällen angeführt worden, die für die Ordnung des Betriebes, für das Wohl und die Sicherheit der Arbeiter selbst von solcher Be⸗ deutung sind, daß es im eigenen Interesse der Arbeiter liegt, wenn wirksame Strafen festgesetzt werden: Fälle wie Thätlichkeiten gegen die Mitarbeiter, Verstöße gegen die Vor⸗ schriften, welche zur Wahrung der Sicherheit des Betriebes in Ergänzung der Unfallverhütungsvorschriften erlassen worden sind. Es sind als solche weiter Verstöße gegen die guten Sitten und nach Auffassung der Regierung auch unbedingt Verstöße gegen die Ordnung des Betriebes anzusehen, weil davon die Sicherheit und die Kontinuität des Betriebes in hohem Maße abhängen.
Nun, meine Herren, möchte ich weiterhin doch darauf aufmerksam machen, daß die Frage der Höhe der Strafen in ihrer Schärfe ganz außerordentlich mit dem Augenblicke verliert, wo die Bestimmung getroffen wird, daß die Strafe nicht zum Besten des Arbeitgebers verwendet werden darf, sondern nur zum Besten des Arbeiters, und wo vorgeschrieben ist, daß in die Arbeitsordnung Bestimmungen aufzu⸗ nehmen sind, die diese Art der Verwendungen regeln. Ich bitte Sie, weiter sich ins Gedächtniß zurückzurufen die Bestimmung, daß die Arbeiterschaft über die Arbeitsordnung gehört werden soll, daß die Arbeitsordnung der unteren Verwaltungsbehörde vorgelegt werden soll, damit diese prüfe, ob sie in ihren einzelnen Bestimmungen dem Gesetz entspricht, endlich die Vorschrift, daß ein Bußenverzeichniß geführt werden soll, aus dem der Aufsichtsbeamte sich überzeugen kann, ob eine übermäßige Handhabung der Strafbefugniß stattfindet. Alle diese Vorschriften ziehen die Strafbestimmungen der Fabrik⸗ ordnungen in die Oeffentlichkeit; sie entrücken sie dem Gebiete des Privatrechts, in dem sie bisher gelegen haben, und unterziehen sie der Beurtheilung nach dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses.
Darin liegt meiner Auffassung nach ein derartiger Fortschritt zu Gunsten der Arbeiter gegenüber dem bisherigen Zustand, daß ich glaube, der Reichstag sollte nicht zögern, auf der anderen Seite auch dem Unternehmer die Mittel zu gewähren, deren er nicht nur in seinem, sondern zweifellos auch in dem Interesse seiner Arbeiter dringend bedarf, um Ordnung und Zucht in seinem Betriebe aufrecht zu erhalten.
Ich bitte Sie deshalb, meine Herren, den Antrag der Kom⸗ mission nicht anzunehmen. Da zur Zeit eine Möglichkeit, die Re⸗ gierungsvorlage herzustellen, leider nicht vorliegt, so muß ich mich dahin aussprechen, daß ich es für das Richtigste halte, den Antrag des Hrn. von Stumm anzunehmen, der vorschlägt, daß als das Maximalmaß der Strafbestimmungen der durchschnittliche Tages⸗ arbeitsverdienst gelten solle. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Dr. Schädler: Der Antrag Auer gehe insofern zu weit, als nach ihm ein zweites schweres Vergehen eines Arbeiters in derselben Lohnperiode, in der er schon einmal bestraft sei, straflos bleiben müsse. Nach der anderen Seite sei seiner Partei der Antrag Stumm zu weit gehend, zumal sie keine Garantie dafür habe, ob der Mann nicht für ein geringes Vergehen gleich mit dem Verlust des vollen Tages⸗ verdtenstes bestraft werde, von dem er — und das sei wohl zu be⸗ achten — und auch seine Familie leben solle. Das Wort des Abg. Bebel, er wolle in der Fabrik keine Disziplinlosigkeit und keine Anarchie, werde allseitiger Zustimmung begegnen. Der Disziplinlosigkeit follten eben die Strafbestimmungen entgegenwirken. Prämien, die man für diesen Zweck vorgeschlagen habe, würden nicht genügen; Ermahnung, Drohung, Appellation an das Ehrgefühl würden ja vielfach helfen, aber wenn sie versagten, so könne man den Mann doch nicht, wie bei gewissen Parteien die gegen die Parteidisziplin Verstoßenden, gleich an die Luft fliegen lassen, denn dann wäre eben er mit seiner Familie
brotlos, sondern man müsse auch Geldstrafen einführen. Seine Partei !
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sei gegen jede Maßlosigkeit der Strafe bezüglich der Art sowohl wie der Größe, zumal unmäßige Strasen leicht den Verdacht erwecken könnten, als handle es sich um eine Bereicherung des Arbeitgebers. Seine Partei stehe auf dem Boden der Kommissionsbeschlüsse, wenngl ich sie manches Bedenken dagegen habe. Das erste Bedenken habe sie gegen die Worte „ortsüblicher Tagelohn“, weil danach dasselbe Vergehen hier mit dieser, dort mit jener Strafe bedroht sei. Vielleicht wäre es besser, die Vergehen in solche leichterer und solche schwererer Natur zu theilen, zu den ersten etwa einmalige Verspätung zu rechnen, zu den letzteren Thätlichkeiten gegen die Mitarbeiter, schwere beharrliche Verstöße gegen die guten Sitten, sowie gegen die zur Sicherheit des Betriebes und zur Durchführung der Gewerbeordnung getroffenen Einrichtungen. Seine Partei stimme nichtsdestoweniger der Kom⸗ missionsfassung zu, weil ja nicht immer die höchste zulässige Geld⸗ strafe eintreten müsse, sondern sicherlich vernünftige Unterschiede gemacht werden würden; dann beruhige ihn die Bestimmung, daß jedem Arbeiter vor Uebernahme der Arbeit von der Fabrikordnung Kenntniß gegeben werden müsse, ferner die Bestimmung, daß die Strafgelder nicht dem Unternehmer gehörten, sondern zum Besten der Arbeiter verwandt werden müßten, und endlich die Einführung der Bußbücher, die dem Fabrikinspektor vorgelegt werden müßten und nach deren Inbalt die Unternehmer wohl auch einzelnen Aufsehern und Bear en, die zuviel Strafen verhängten, entgegen⸗ treten würden. Au hm seien Betriebe bekannt, in denen man ohne Strafbestimmungen auskomme, aber da lägen die Verhältnisse eben ganz besonders. Die Arbeiterausschüsse begrüße seine Partei mit Freuden, sie halte sie für mehr als Scheinausschüsse, sie würden ein vermit⸗ telndes Organ zwischen Arbeitern und Arbeitgebern sein. Unter der Bedingung, daß der Arbeiterausschuß gehört werde und zu⸗ stimme, stimme seine Partei auch dem letzten Abschnitt des §. 134 b zu, denn darin liege eine Garantie einer maßvollen, zweckmäßigen Ausführung dieser Bestimmung und einer erziehlichen Ein⸗ wirkung derselben auf die Jugend; seine Partei weise nämlich dem Arbeitgeber eine sittliche Aufgabe zu, wie sie auch in der Fabrik selbst eine sittliche Gemeinschaft sehe. Sie erblicke in dem erwähnten Abschnitt keine Bevormundung des Arbeiters, sondern eine Unterstützung der elterlichen Autorität in der Erziehung, die sich nach ihrer Meinung über die Entlaässung aus der Schule hinaus erstrecken müsse. Wenn der Abg. Freiberr von Stumm gesagt habe, daß, wer nicht für seinen Antrag auftrete, das Fundament des Staats untergrabe und zugleich die Axt an die Wurzel der Monarchie lege, so nehme er (Redner) an, daß er ebenfalls von der Anschauung ausgehe, daß die Parteien des Hauses im redlichsten Be⸗ streben hierher gekommen seien, zu arbeiten zum Wohle des Volkes, und daß ihnen nichts ferner liege, als das Fundament des Staats zu untergraben.
Abg. Wöllmer: Die Argumente des Abg. Freiherrn von Stumm über die Strafen in der Fabrikordnung gehörten einer zurück⸗ liegenden Zeit an. Namhafte Fabrikbesitzer sähen von, Strafen fast ganz ab und gäben ihnen mehr den Charakter einer statistischen Ge⸗ bühr. In einer großen Berliner Maschinenfabrik würden lediglich Strafen für Verspätungen verhängt in Höhe von 10 J. Was die Strafen der Krankenkassen betreffe, so übersehe der Abg. Freiherr von Stumm, daß es sich bei diesen um eine Straffestsetzung inter pares handele, bei der Fabrikordnung dagegen um eine einseitige Festsetzung. Nach den Erklärungen des Vorredners werde die Strafbestimmung wohl nach der Kommissionsfassung ungeachtet der Aufforderung des Handels⸗Ministers zur Annahme gelangen. Die Arbeiterausschüsse seien der erste Anfang, der Keim zu weiteren Ge⸗ staltungen, welche dazu dienen sollten, auf das Arbeitsverhältniß ge⸗ wisse konstitutionelle Formen zu übertragen; sie sollten hauptsächlich die Gleichberechtigung der Arbeiter auch äußerlich markiren helfen. Sei die hier gebotene Gestalt eine unvollkommene, so dürfe man deshalb das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, wie es der Abg. Bebel thue. Die Entfernung aller sittlichen Ge⸗ walten aus dem Alrbeitsverhältniß sei nach seiner festen Ueberzeugung auch nicht der Wunsch der Sozialdemokraten selbst; denn sonst würden sie auch für dieses Febeiterschasgese nicht ein⸗ treten können. Die Mitwirkung der Arbeiterausschüsse bei den Wohl⸗ fahrtseinrichtungen der Betriebe billige seine Partei daher, nicht aber die Uebertragung von Befugnissen betreffs der Ueberwachung des Ver⸗ haltens der minderjährigen Arbeiter außerhalb der Arbeit. Junge Leute von 19, 20, 21 Jahren könne man nicht anders bezüglich ihres Verhaltens kontrolliren, als solche von 22, 23, 24, 25 Jahren. Damit würde man zwei Kategorien von Arbeitern schaffen und ungünstig auf die ganze Gestaltung des kameradschaftlichen Ver⸗ hältnisses einwirken. Sollten diese Befugnisse durchaus den Aus⸗ schüssen übertragen werden, so möge man sie beschränken auf die jungen Leute unter 18 Jahren, denn mit 18 Jahren beginne die Strafmündigkeit und hböre das Bedürfniß einer solchen besonderen Bevormundung auf, es werde zu diesem Zeitpunkte auch die gewerb⸗ liche, wirthschaftliche Mündigkeit erreicht.
Abg. Möller: Wenn der Reichstag dies Gesetz noch verab⸗ schieden wolle, halte er die Mitglieder bei der Geschäftslage des Haufes für verpflichtet, sich kurz zu fassen, und er (Redner) werde dieser Pflicht um so eher nachkommen, als die schweren Bedenken der Unternehmerkreise gegen die Fabrikordnungen, Bedenken, welche er in vollem Maße theile, von anderer Seite schon eingehend vorgetragen seien. Seine Partei hoffe, daß bis zur dritten Lesung eine anderweitige Ordnung der Strafe und des Strafmaximums sich werde erreichen lassen; geschehe dies nicht, so werde sie in dritter Lesung für den Antrag Stumm stimmen. Sämmtliche sonstigen Abänderungsanträge werde seine Partei ablehnen, für die Arbeiter⸗ ausschüsse im Sinne und Umfange des letzten Satzes des §. 134 b werde sie eintreten.
Abg. Freiherr von Stumm tritt den von den Abgg. Bebel und Dr. Hirsch ihm gemachten Vorwürfen entgegen. Die Bestimmungen über Vergehen außerhalb des Betriebes würden aus seiner Arbeits⸗ ordnung und aus allen anderen wegfallen, weil derartige Bestim⸗ mungen für Vergehen außerhalb des Betriebes nicht mehr in den Arbeitsordnungen enthalten sein sollten. Aber er werde das bisherige Verfahren mit derselben Entschiedenheit wie bisher durchführen. Niemand könne ihn hindern, durch besondere Bekanntmachungen zu erklären, daß er sich um das Privatserhalten der Arbeiter wie bisher kümmern werde, daß wer eine Ehe eingehe, wer ein Geschäft anfange, ohne ihm seine Absicht mitzutheilen oder sonst diese Bestimmungen verletze, zuerst verwarnt und im Wiederholungsfalle gekündigt werde. Diese Art der Ahndung werde eben viel schärfer sein als die bisherige, und das wolle er durch seinen Antrag gerade vermeiden. Von einem Verbot des Heirathens sei übrigens bekanntlich in seiner Arbeits⸗ ordnung gar nicht die Rede. Die Arbeitsordnung der Gebrüder Stumm solle die härteste in Deutschland sein. Die höchsten Straf⸗ maße seien in seinem Betriebe wohl niemals angewendet worden; die zeitweilige Ablegung, die härteste aller Strafen, sei bei ihm seit vielen Jahren schon an die Zustimmung des Arbeiters gebunden. Bei einem Strafmaximum von 1,80 oder 2 ℳ müsse er natürlich die zeit⸗ weilige Ablegung öfter zur Anwendung bringen, also die Strafe ver schärfen. Für die Vorschriften, welche seine Arbeitsordnung bezüglich des Verhaltens der Arbeiter außerhalb des Betriebes enthalte, seien ihm die Behörde, die Landräthe, die Bürgermeister außerordentlich dankbar. Uebrigens hindere die Arbeiter nichts, in die Arbeitsordnungen hineinschreiben zu lassen, daß auch der Arbeitgeber strafbar sein solle, wenn er sich betrinke u. dergl. Der Antrag Schädler sei nicht acceptabel, denn er wolle die Strafverschärfung gerade für die Verstöße gegen die Ordnung des Betriebes nicht, wo sie gerade am Allernothwendigsten sei. Die Schluß⸗ ausführungen seiner ersten Rede hätten natürlich besagen sollen, daß es das Resultat der hier vorgeschlagenen Bestimmungen sein werde, daß die Axt an die Wurzel der Monarchie gelegt werde.
Er habe der Partei des Abg. Dr. Schädler gewiß keinen Vorwurf
machen wollen. Soweit koöͤnne er (Redner) aber nicht gehen wie der Abg. Dr. Schädler, daß keine Partei in diesem Hause einen solchen
Rekurs an den Chef zu nehmen. Das könne ja auch bei sofortiger
Vorwurf verdiene. Es gebe hier allerdings eine Partei, welche die Arxt an die Wurzeln der Monarchie legen möchte.
Abg. Oechelhäuser erklärt, daß er auf die Arbeiterausschüsse später zurückkommen werde. Vorläufig gebe er nur seiner großen Befriedigung darüber Ausdruck, daß diese Ausschüsse von den Sozialdemokraten angefeindet würden.
Abg. Bebel: Die heutigen Besprechungen der Arbeitsordnung des Abg. Freiherrn von Stumm würden in weiten Kreisen, nament⸗ lich auch bei seinen eigenen Arbeitern, einen anderen Eindruck machen, als er selbst gehofft habe. Er (Redner) wisse ja freilich, daß der Abg. Freiherr von Stumm jede Opposition seiner Arbeiter mit den schärfsten und rücksichtslosesten Mitteln bekämpfe. Die Be⸗ hauptung, daß durch die neuen Bestimmungen an seiner Fabrikordnung nichts geändert werde, sei ihm (Redner) un⸗ begreiflich. Die Maximalstrafe werde künftig selbst bei hohem durchschnittlichen Arbeitslohne nur 2 bis 2 ½ ℳ be⸗ tragen, während in den von ihm angezogenen Paragraphen der Arbeitsordnung des Abg. Freiherrn von Stumm keine einzige Strafe unter 3 ℳ enthalten sei. Die Ausführungen des Abg. Frei⸗ berrn von Stumm bewiesen, daß nach dem Inkrafttreten des Ge⸗ setzes an den Bestimmungen seiner Arbeitsordnung nicht viel ge⸗ ändert werden würde und daß die Willkür des Arbeitgebers seinen Arbeitern gegenüber nach wie vor in Kraft bleiben solle. Weun man soweit gehe, selbst das Heirathen zu verbieten, so sei diese Willkür höchstens noch bei den Junkern anzutreffen, die den Gedanken, daß die ländlichen Arbeiter ihre Hörigen seien, auch nicht fallen lassen könnten; sie selbst heiratheten, ohne irgend Jemand zu fragen, und manche von ihnen begnügten sich nicht einmal mit einer Frau. Dem Arbeiter aber müsse auch hier vorgeschrieben werden, wie er sich verhalten solle. Durch die Befürwortung
des Stumm'schen Antrages gehe der Handels⸗Minister sogar
über die Regierungsvorlage hinaus, die Strafen würden für einen
Theil der Arbeiter höher sein. Die Herren, welche durch subtile
Unterscheidungen die Frage zu lösen versuchten und glaubten, nach⸗ weisen zu müssen, daß für mancherlei Verhältnisse die festgesetzten Strafen nicht ausreichten, möchten doch beachten, daß nicht gesagt sei, wie oft die Strafen verhängt werden dürften; der Unternehmer könnte auch aus einem Vergehen deren mehrere machen und jedes einzelne dann mit dem Strafmaximum belegen. Eine ganze Reihe bisher mit minimalen Strafen bedachter Vergehen würde jetzt mit höheren Strafen belegt werden. Die Unternehmer würden jedenfalls in Hülle und Fülle Mittel und Wege finden, die Strafen zu häufen, darum sel ein Korrektiv durchaus nöthig gewesen Strafen seien nicht die rechten Mittel, um die Arbeiter zur Gewissenhaftig⸗ keit in ihrer Arbeit und zur Vorsicht anzuhalten. In der „Hibernia“ solle das Unglück nur durch die Ueberarbeitung des betreffenden Arbeiters hervorgerufen sein, die wieder eine Folge der Akkordbedin⸗ gungen gewesen sei. Lasse man deshalb lieber das fluchwürdige Akkord⸗ system in den Betrieben fallen, welches mittelbar an vielen schweren Unalücksfällen schuld sei, die durch Außerachtlassung von Vorsichts⸗ maßregeln entstanden seien.
Abg. Freiherr von Stumm: Was der Abg. Bebel gegen seine (des Redners) Ausführungen vorgebracht habe, beweise nur, daß er auch seine zweite Rede nicht verstanden habe. Im Westen hätten alle größeren Arbeitgeber Bestimmungen Betreffs der Heirath ihrer Arbeiter getroffen. Er halte es auch für die Pflicht jedes Arbeit⸗
gebers, der einen geschlossenen Arbeiterstand habe, nach dieser Rich⸗
tung Fürsorge zu treffen. Ein einzelnes Vergehen dreimal zu be⸗ strafen, widerstreite dem klaren Wortlaut der Bestimmung.
Damit schließt die Diskussion.
In der Abstimmung werden die sozialdemokratischen An⸗ träge, der Antrag des Abg. Freiherrn von Stumm und der Antrag Gutfleisch⸗Hirsch abgelehnt; §. 134 b im Ganzen wird angenommen.
Nach §. 134 soll der Inhalt der Arbeitsordnung, soweit er dem Gesetze nicht zuwiderläuft, für Arbeitgeber und Arbeiter rechtsverbindlich sein.
Abg. Frohme: Dieser §, 134c wolle den Arbeiter auf eine Arbeitsordnung verpflichten, deren einzelne Festsetzungen garnicht genau umschrieben seien. Wenn in eine Arbeitsordnung aufgenommen werde, daß ein Arbeiter nicht Mitglied einer gewerkschaftlichen Vereinigung werden dürfe, solle auch hierauf die Rechtsverbindlichkeit zutreffen? In der weiteren Kritik dieser Vorschrift kommt Redner auf den Ver⸗ band der deutschen Metallindustriellen zurück, der sich nach den neuesten Enthüllungen mit der Polizei und den oberen Staatsbehörden zum gemeingefährlichsten Anarchismus verbunden habe. (Präsident von Lebvetzow rügt diesen Ausdruck.) Namentlich bedenklich sei diese Rechtsverbindlichkeit, wenn man die Unbestimmtheit der Strafen und die Willkür der Arbeitgeber in dieser Beziehung in Betracht ziehe.
Abg. Freiherr von Stumm beantragt, in der Kommis⸗ sionsfassung die Bestimmung, daß die Strafen ohne Verzug festgesetzt und zur Kenntniß des Arbeiters gebracht werden müssen, dahin zu ändern, daß die festgesetzten Strafen ohne Verzug dem Arbeiter zur Kenntniß gebracht werden müssen.
Die Abgg. Dr. Gutfleisch, Dr. Hartmann und Ge⸗ nossen beantragen, in §. 134 c. ausdrücklich auszusprechen, daß in dem Arbeitsvertrage andere Gründe für Entlassung und Austritt aus der Arbeit nicht vereinbart werden dürfen, als in der Arbeitsordnung oder in den §§. 123 und 124 vor⸗ gesehen sind.
Abg. Freiherr von Stumm: Sein Antrag entspreche eigentlich der Absicht der Kommission, nur die Redaktionskommission habe die jetzige Fassung hereingebracht. So wie §. 134c jetzt laute, werde er den Arbeitern die Möglichkeit eines Rekurses gegen die Straffest⸗ setzung völlig nehmen. Er bitte, den Arbeitern das Danaergeschenk zu ersparen und seinen Antrag anzunehmen.
Abg. Dr. Gutfleisch: Die Antragsteller hätten ihren Antrag gestellt, um die Auslegung des Gesetzes zu fixiren und namentlich um die Befugnisse der Arbeitsordnung abzugrenzen; sie hofften, daß dieser wohl auch den Sozialdemokraten genehme Antrag Annahme finden werde. Die Redaktionskommission habe allerdings den Para⸗ graphen materiell geändert, aber das darauf aufmerksam gemachte Plenum der Kommission hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, allerdings sei der Abg. Freiherr von Stumm in der betreffenden Sitzung nicht anwesend gewesen. Im Uebrigen bitte er (Redner) um Ablehnung des Antrages Stumm; denn die Folgen, die der Abg. Freiherr von Stumm befürchte, werde der Kommissionsvorschlag darum nicht haben, weil unter „Verzug“ gleich dem juristischen „mora“ nur „strafbarer Verzug“ zu verstehen sei, also ein Rekurs und darauf folgende Untersuchung dadurch durchaus nicht ausgeschlossen sei.
Abg. Möller empfiehlt den Antrag Stumm zur Annahme.
Abg. Freiherr von Stumm zieht seinen vorher gestellten Antrag zurück und beantragt, dafür zu sagen: „Strafen müssen nach ihrer Festsetzung ohne Verzug den Arbeitern zur Kenntniß gebracht werden.“
Abg. Freiherr von Stumm: In Fällen, wo der Arbeitgeber, z. B. er, wochenlang von der Arbeitsstätte entfernt sei, könne leicht bei der Verfolgung eines Rekurses durch irgend eine Versäumniß ein „straf⸗ bares Verschulden“ entstehen, immer sei der Arbeiter durch solche Fälle benachtheiligt und darum bitte er um Annahme seines Antrages.
Gegen den Antrag Stumm macht Abg. Schmidt (Elberfeld) geltend, daß gerade die Verhältnisse, welche den großen Bergarbeiter⸗ strike hervorgerufen hätten, die Veranlassung gewesen seien, die an⸗ gefochtene Bestimmung in die Vorlage zu bringen. Nichts hätte die Arbeiter mehr erbittert, als die nachträgliche Festsetzung der Strafe; erst bei der Monatsabrechnung habe man dem Arbeiter für genullte Wagen, für sonstige Verstöße so und so viel abgezogen. Man sollte düse gerade im Interesse des Arbeiters diese Bestimmung bestehen assen.
Abg. Singer: Der Abg. Freiherr von Stumm wolle dem Arbeiter die Möglichkelt wahren, bei Verhängung einer Strafe den
Festsetzung der Strafe geschehen. Die Strafen müßten verhängt werden unter voller Kenntniß der Strafumstände, während die Darstellung einer Unthat auf dem Papier, wonach der Arbeitgeber beim Rekurse urtheilen müßte, immer viel schlimmer aussehe. Die Fassung der Kommissionsvorlage verdiene den Vorzug vor dem Antrage Stumm. Die Arbeiter könnten es als ein Recht beanspruchen, daß die Strafe sofort festgesetzt werde, damit sie wüßten, wie weit sie sich in ihren wirthschaftlichen Ausgaben einzuschränken hätten. §. 134 c wird mit dem Antrag Gutfleisch unter Ablehnung
des Antrages Stumm angenommen.
Um 4 ¾ Uhr wird die Fortsetzung der Berathung auf Mittwoch 11 Uhr vertagt.
Haus der Abgeordneten. 68. Sitzung vom Dienstag, 14. April.
Der Sitzung wohnen der Vize⸗Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher und der Minister des Innern Herrfurth bei.
Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Berathung der Landgemeindeordnung.
§. 59 lautet:
„Jeder Wähler muß dem Wahlvorstande mündlich zu Protokoll erklären, wem er seine Stimme geben will. Er hat so viele Per⸗ sonen zu bezeichnen, als zu wählen sind.
Bezüglich der Stellvertretung bei der Wahl kommen die Be⸗
stimmungen im §. 47 zur Anwendung.
Die Abgg. Eberty und Rickert beantragen, statt §. 59. zu setzen: 8
Die Wahlen erfolgen darn 2.
Die Wahlen erfolgen durch Stimmzettel, welche durch die i der Reihe, in welcher sie in der Wäͤhlerliste ,888 e 8 8 gelegt werden.
Jeder Wähler hat auf dem Stimnzettel viel P en zu bezeichnen, als zu wählen sind. CEIWo
Die während des Wabhlakts erscheinenden Wähler können an der noch nicht geschlossenen Wahl theilnehmen.
§. 59 a.
Der Wahlvorstand erklärt, sobald keine Stimme mehr abzu⸗ geben ist, die Wahl für geschlossen und stellt das Resultat der Wahl fest.
Ungültig sind Stimmzettel,
1) welche keinen oder keinen lesbaren Namen enthalten,
2) auf welchen die Person des Gewählten nicht unzweifelhaft zu erkennen ist,
3) welche einen Protest oder Vorbehalt enthalten,
4) auf welchen mehr Namen als zu wählende Personen ver zeichnet sind oder der Name einer nicht wählbaren Person ent⸗ halten ist.“
DFS9. 9 Meyer (Arnswalde) tritt für die Vorlage ein, weil die öffentliche Abstimmung die eigentliche konstitutionelle Form der Wahl sei; Jeder müsse den Muth seiner Ueberzeugung haben.
„Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa tritt ebenfalls für die öffentliche Abstimmung ein. Auf die nähere Darlegung der Gründe, weshalb die Konservativen gegen den freisinnigen Antrag stimmten, wolle er sich nicht einlassen.
Abg. Dr. Rickert: Nicht der Muth der Ueberzeugung sei das Noth⸗ wendigste, sondern daß die wirkliche Herzensmeinung der Wähler zum Ausdruck kommen könne. In anderen Staaten herrsche in den Land⸗ gemeinden die geheime Wabl. (Zuruf: Wollen wir nicht nachmachen!) Das sage man auf der konservativen Seite immer, wenn ihr das Beispiel nicht passe. Wenn aber das fremde Beispiel passe, dann halte man es seiner (des Redners) Partei vor, ebenso wie dem Minister der Herr von Rochow, der Mann des beschränkten Unterthanenverstandes als Muster eines konservativen Ministers vorgehalten worden sei. Die geheime Stimmenabgabe sei ein Schutz der Schwachen gegen die Uebermacht der Starken, ein Schutzmittel gegen Unfrieden und Fehde.
Minister des Innern Herrfurth:
Wenn ich die Stimmung des Hauses recht verstehe, so ist es wohl kaum erforderlich, in eine sehr eingehende Erörterung der von Hrn. Abg. Rickert und Gen. gestellten Anträge einzugehen; sie haben meines Erachtens wenig Aussicht auf eine Annahme im Hause. Meine Herren, der Hr. Abg. Rickert hat sich sehr erwärmt für die geheime Wahl. Ich persönlich stehe der Frage, ob öffentliches oder geheimes Wahlrecht, kühler gegenüber, denn ich sage mir: die Frage ist mehr eine technische als eine prinzipielle;: die Fragen, ob allgemeines, ob direktes, ob gleiches Wahlrecht, oder nicht, stattfinden soll, das sind grundsätzliche Fragen, denn sie berühren den Inhalt des Wahlrechts; die Frage aber, ob öffentliche oder geheime Wahl stattfinden soll, ist mehr eine Frage der Technik; sie berührt die Form der Ausübung der Wahl. Nun, meine Herren, haben wir in unseren staatlichen kommunalen Ver⸗ fassungsgesetzen für die Stadtgemeinden wie für die Landgemeinden zur Zeit bei der Wahl der Gemeindeverordneten die öffentliche Stimm⸗ gebung, und als es sich darum handelte, diese Frage für die Land⸗ gemeinden der Ostprovinzen zu entscheiden, hat die Königliche Staats⸗ regierung geglaubt, sich an dieses bestehende Recht halten zu müssen, weil sie der Ansicht war, daß, wenn sich auch gar manches für ein geheimes Wahlrecht, namentlich in größeren Städten, anführen läßt aus technischen Gründen, diese Gründe bei den Landgemeinden und namentlich bei den Landgemeinden des Ostens am wenigsten zutreffen.
Was die technischen Gründe anlangt, so gebe ich dem Hrn. Abg. Rickert zu, daß nach manchen Richtungen hin derartige Vortheile vor⸗ handen sind; die geheime Wahl ist rascher, bequemer, mit geringerem Zeitaufwand für die Wähler verbunden, und es ist deshalb — wir haben ja ein solches Beispiel kürzlich in Kiel gehabt, wo durch die Vornahme der Stadtverordnetenwahlen in öffentlicher Wahl große Unzuträglichkeiten entstanden — wohl erwägenswerth, ob man nicht die Einführung der geheimen Wahl namentlich für die Städte in Aussicht nehmen soll. Diese Frage ist für mich durchaus diskutabel; aber dieses Echauffement für das geheime Wahlrecht — als Palladium der Schwachen gegen die Starken, als Panacée gegen alle Fehden, welche innerhalb der Ge⸗ meinde entstehen können —, das verstehe ich nicht. Meine Herren, es ist ja richtig, daß vor langer Zeit einmal von Allerhöchster Stelle ausgesprochen worden ist, das geheime Wahlrecht biete eine Garantie gegen die „Influenzirung der Wahlen“, es biete eine Garantie für einen wahren Ausdruck der Meinungen der Wähler. Ich glaube, meine Herren, die Erfahrungen, die wir inzwischen mit dem geheimen Wahlrecht gemacht haben, haben den Beweis dafür geliefert, daß das eine etwas zu optimistische An⸗ sicht war. (Sehr richtig! rechts.)
Es ist ein eigenes Ding mit der Beeinflussung der Wahlen. Wenn Die der Sache auf den Grund gehen, werden Sie finden: es ist ungeheuer schwer, ja, ich glaube, es kommt verhältniß⸗ mäͤßig selten vor, daß eine ganz objektive, ganz unbeeinflußte
Wahl stattfindet. Nicht die Rücksicht, daß die und jene Personen
vorzugsweise geeignet seien, die Interessen der Gemeinde wahrzunehmen, giebt in der Mehrzahl der Fölle den Ausschlag; gerade für die Wahl von Personen kommen persöliche und politische Sympathien und Antipathien, Rücksichten der Freundschaft und Verwandtschaft, auch wohl der Hinblick auf die Wabrung eigener Interessen un⸗ bewußt fast überall mit zur Sprache, und ich glaube, wenn Sie die Wahlfreiheit in diesem idealen Sinne nehmen wollen, so haben wir nur in den allerseltensten Fällen eine ganz un⸗ beeinflußte Wahl. (Sehr richtig!)
Nun spricht ja der Hr. Abg. Rickert nicht von diesen, ich möchte sagen, Beeinflussungen von innen heraus, sondern von der Be⸗ einflussung von außen, und da ist doch dieses Lob des geheimen Wahlrechts auch keineswegs ein so uneingeschränktes und unantastbares. Ich will nicht soweit gehen, zu sagen, der Unterschied zwischen dem geheimen und öffentlichen Wahlrecht sei der, daß beide der Beein⸗ flussung von außen Raum lassen, das eine mehr der legitimen Be⸗ einflussung, das andere mehr der illegitimen. Es ist auch richtig — das wird der Hr. Abg. Rickert mir wohl zugeben —, daß beim öffent⸗ lichen Wahlrecht nicht bloß etwa, wie er es annimmt, Feigheit und Furcht den Ausschlag geben, sondern daß dabei auch Pietät und Rücksicht auf berechtigte Autorität mitwirken können, (sehr richtig! rechts), während auf der anderen Seite, beim geheimen Wahlrecht, dem Neid, der Mißgunst und der agitatorischen Aufhetzerei ein weiter Spielraum gewährt wird. (Lebhafter Beifall rechts, Widerspruch links.)
Ich glaube, meine Herren, das häͤlt sich ziemlich die Wage, wenigstens insoweit, daß Sie nicht ganz unbedingt in allen Fällen diesem geheimen Wahlrecht den Vorzug geben dürfen, wenngleich ich es an sich keineswegs perhorreszire; denn ich habe es ja im §. 77 für die Wahl der Gemeindevorsteher vorgeschlagen, und Ihre Kommission hat, soviel ich weiß, das fast einstimmig angenommen.
Wenn nun der Hr. Abg. Rickert in rührender Uebereinstimmung mit dem Hrn. Abg. von Meyer (Arnswalde) der Regierung zum Vorwurf macht diese Inkonsequenz, dieses eigenthümliche, sonderbare Verfahren, daß sie die Gemeindevertreter öffentlich wählen lasse und dann den Gemeindevertretern zumuthe, Schöffen und Gemeinde⸗ vorsteher geheim zu wählen, ja, dann muß ich sagen: die beiden Herren sind doch ebenso sonderbar und eigenthümlich; denn sie sind gewählt als Vertreter des Landes in öffentlicher Wahl, und hier wählen sie ihren Präsidenten und ihre Kommissionen mit Zettelwahl. (Heiterkeit.) Wenn der Abg. von Meyer einen Antrag auf Abände⸗ rung des §. 77 stellen will, so muß ich meine Verwunderung aus⸗ sprechen, daß er bis jetzt noch keinen Antrag gestellt hat auf Abände⸗ rung der Geschäftsordnung dieses hohen Hauses, dessen Mitglieder, in öffentlicher Wahl gewählt, hier mit Zettelwahlen abstimmen bei der Präsidentenwahl und bei allen anderen Wahlen des hohen Hauses. (Sehr gut! rechts.)
1 Abg. Friedberg hält es für eine Herxabsetzung des deutschen Volkscharakters, daß den Wählern nicht der Muth ihrer Ueberzeugung zugetraut werde. Die öffentliche Abstimmung sei die allein eines deutschen Mannes würdige.
Abg. Dr. Freiherr von Huene: Das Centrum werde für den Antrag Rickert stimmen. (Zuruf rechts: Natürlich!) Die öffentliche Abstimmung würde ja ein Ideal sein, wenn jeder Wähler wirklich von allen Einflüssen frei an den Wahltisch träte. Allein die Wahl⸗ prüfungen im Reichstage und Landtage bewiesen das Gegentheil. Uebrigens seien nicht bloß die Junker auf dem Lande, sondern auch andere mächtige Persönlichkeiten (Zuruf: Schlotjunker!) geneigt, die Wahlen zu beeinflussen. Durch die traurigen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte sei seine Partei gewöhnt, wie man gegen sie das öffentliche Wahlverfahren mißbraucht habe. Deshalb sehe sie in dem geheimen Wahlrecht trotz aller Mängel desselben einen Schutz der Minorität. Eine Nothwendigkeit für die öffentliche Abstimmung liege nicht vor. Besonders sei die Berufung auf die Städteordnung nicht zutreffend; Alles, was ihm an der Landgemeindeordnung nicht gefalle, stamme aus der Städteordnung. Die öffentliche Abstimmung werde auf dem Lande sehr viel Verwirrung anrichten und wahrscheinlich eine ganze Anzahl konfuser Wahlen zur Folge haben. Ob seine Partei die Landgemeindeordnung annehme oder ablehne, mache für ihre Stellung im Lande nichts aus. Sie werde sie ablehnen, wenn sie so gestaltet werde, daß sie ihr nicht gefalle. Er bitte also, sich durch ein ablehnendes Votum von der Seite seiner Partei nicht über⸗ raschen zu lassen.
Abg. von. Jazdzewski erklärt, daß die Polen für den An⸗
trag Rickert stimmen würden. Abg. Eberty: Bei den Nationalliberalen stehe heute die Ent⸗ scheidung. Wenn seine Freunde mit einem Antrag auf Verfassungs⸗ änderung bezüglich des Stimmrechts kämen, dann lehne man die Zustimmung ab, weil man den Antrag für einen agitatorischen halte. Komme seine Partei bei einer passenden gesetzgeberischen Gelegenheit mit solchem Antrage, so wolle man erst recht nicht dafür stimmen. Daß im Lande allgemein die geheime Wahl verlangt werde, sei bekannt. Würde eine geheime Abstimmung darüber stattfinden können, so würde sich eine ungeheure Majorität dafür ergeben. Bei der heute wieder im Hause herrschenden großen Unruhe, die es einem schwer mache, überhaupt zu sprechen, könne er nur bitten, für den Antrag seiner Partei zu stimmen.
Abg. Rickert protestirt dagegen, daß er irgend welche Miz⸗ achtung des deutschen Volkscharakters bekundet habe. Der Abg. Friedberg habe das aber zu seinem Feldzug gegen die geheime Wahl gebraucht.
Abg. Dr. Friedberg: Er habe sich nicht gegen die geheime Wahl überhaupt erklärt, sondern sie als ungeeignet für die Gemeinde⸗ wahlen erklärt.
Damit schließt die Diskussion.
In namentlicher Abstimmung wird darauf der Antrag Rickert mit 182 gegen 91 Stimmen abgelehnt (dafür stimmen Centrum, Polen und Freisinnige); §. 59 wird unverändert angenommen. Die §§. 60 und 61, welche Vorschriften über die Wahl enthalten, werden genehmigt, ebenso §. 62 mit der Aenderung, daß die neugewählten Gemeindevertreter mit dem der Wahl folgenden 1. April (statt 1. Januar) in ihr Amt eingeführt werden sollen.
Bei §. 65, dem letzten des Abschnitts „Gemeinde⸗ vertretung“ fragt
Abg. Schmidt (Warburg), ob die Gemeindevertreter unbesoldeten Gemeindebeamten zu rechnen seien.
Minister des Innern Herrfurth:
Meine Herren! Ich kann diese Fragen unbedingt bejahen und glaube, es bedarf dazu nicht einmal einer besonderen Interpretation, sondern eine ausdrückliche Bestimmung dieses Gesetzes stellt die Frage gänzlich außer Zweifel. Es heißt nämlich in §. 41 zu 2:
Das Gemeinderecht umfaßt 2) das Recht zur Uebernahme unbesoldeter Aemter in der Verwaltung und Vertretung der Gemeinde.
Daraus ist meines Erachtens mit logischer Nothwendigkeit zu folgern, daß das unbesoldete Gemeindeamt in diesem Sinne auch das Amt eines Gemeindeverordneten mit umfaßt, wenngleich selbstredend