1891 / 91 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Schut jugendlicher Arbeiter mehr entwickelt, als in fast allen Staaten, aber in anberen Staaten seien durch die Art der praklischen Durch⸗ führung der Gesetzgebung doch große Erleichterungen geschaffen. Man sage, die von seiner Partet beantragten Erleichterungen der lugendlichen Arbeiter könnten von der Industrie nicht ertragen werden; aber vasselbe habe man früher gesagt, als es sich um die Einführung der jetzt bestehenden Einrichtungen gehandelt habe, und voch sei damals die Industrie nicht untergegangen, sondern habe sich noch mehr entwickelt, gleichzeitig aber habe das Schulwesen sich gehoben, weil die Kinder mehr Zeit darauf verwenden tönnten, und die Kindersterblichkeit habe abgenommen; ebenso werhe es guch bei Annahme bder Antraäge seiner Partei ergehen. Im Jahre 1871 habe der konservative Abg. Wagener gesagt: Wenn dem Kapital 200 % Gewinn in Aussicht stehen, wird es waghalsig, stehen ihm 1000 % in Aussicht, so verliert es alle Scheu vor dem Gesetz, es tritt dann auf den Gesetzen herum; wie wahr das sei, zeigten die vielen Bestrasfungen wegen Uebertretung der Vorschriften über die 2 e⸗ schäftigung jugendlicher Arbeiter; demgegenübet müsse das Haus enblich einmal sich aufraffen, und bdarum bitte er im Interesse der jugenblichen Acbeiter, die Anträge seiner Partei anzunehmen.

Abg. Möller: Mit seinen Uebertreibungen habe der Vorredner auf den Reichstag keinen Eindruck gemacht, er glaube auch nicht, auf vas Publikum, füͤr das sie berechnet gewesen seien. E handele sich hier gar nicht um Kinderacbeit, denn die ganze Inpustrie sei einig in ihrer Abschaffung; es handele sich nur darum, Autznahmen ba zu⸗ zulassen, wo der Bundesrath es genehmige, und wo nach äcztlichem Attest die Körperkräfte ausreichten; die Kommission habe die dab in gehende Reglerungsforderung abgelehnt, aber piele Mitglieder des Hauses wollten den Kern dieser Bestimmung haben, und hoffentlich werde sich eine Form dafuüͤr sinden lassen. Seine Partei halte en für nützlich und für ethisch, Kinder am Müßiggang auf der Straße zu hindern; Maͤdchen, die aus der Schule entlassen seien, könne man im Hause verwenden, Knaben aber seien in diesem Alter gar nicht zu ver⸗ wenden, wenn man sie nicht in die Fabriken schicke. (Abg. Stolle: Und wie ist es bei anderen Stäanden?) In anderen Ständen seien die Knaben eben läager in der Schule, so., lange, bis sie in irgend eine gewerbliche oder fonstige Beschästigung ein⸗ träten Bei Kindern, die in Fabriken gehen sollten, bestehe in ganz Deutschland eine Pause nach der Eatlassung aus der Schule, dic hald Wochen, bald Monate, in Bayern nach den dort bestehenden Zuständen ein Jahr dauere, und es frage sich, ob man nicht mit Rücksicht auf diese bayerischen Zustände das Gesetz fixiren solle, und er hoffe, daß es gelingen werde, alle diese jetzt bestehenden Lücken zu beseltigen. In Bezug auf die Ausbdehnung des Schutzes der jugendlichen Arbeiter, die die Sozlaldemokraten beantragten, be⸗ ziehe er sich völlig auf das vom Regierungskommissar Gesagte.

Abg. Dr. Hirsch: Es sei hier vom sozialdemokratischen Antrag zu dem vorliegenden Paragraphen die Rede. Im Interesse Per Wahrheit betoöone er, daß diese als sozialdemokratisch bezeichneten An⸗ träge schon vor vielen Jahren von der Fortschritts⸗ und der freisinnigen Partet gestellt worden seien und daß auch der vorliegende Antrag in der Kommisston von den freisinnigen Abgeordneten eingebracht sei. Seine Partei habe sich schon lange dahin erklärt, daß der Schutz der Augendlichen Arbeiter eine Ausgabe des Staats und gesetzlich zu regeln sei. Der Abg. Wöllmer habe es durchaus nicht so hingestellt, uls ob die bayerische Industrie ein Interesse hätte an der Ablehnung des Antrags des Verbots der jugendlichen Arbeiter von nicht 14 Jahren. Es sollte auch durch Beschluß des Reichstages keine irgendwie geartete Pression auf Bayern ausgeübt werden, aber es sei die moralische Pflicht eines Einzelstaats bezüglich seiner Partikulargesetzgebung, guf die Gesammtzustände Rücksicht zu nehmen und dem allgemeinen Zuge des Reichs zu solgen. Das sei keine Verletzung der ver⸗ sassungsmäßigen Selbständigkeit eines Einzelstaats. Die Stellung der Reichsregierung zu der vorliegenden Frage werde gekennzeichnet durch den in der Kommission abgelehnten Absatz 4; es handele sich darum, 13 lährige Kinder täglich 10 Stunden lang denn darauf werde es doch hinauslaufen in Fabriken zu beschäftigen; das wäre ein direkter Rückschritt gegenüber dem jetzt Jahre lang bestehenden Kinderschutz. Man sage, in der Zwischenzeit würden die Kinder verwahrlost werden; aber in Bayern gäbe es doch sehr wiele Kinder auch in städtischen Bezirken —, die, wenn sie mit 13 Jahren aus der Schule entlassen seien, nicht in die Fa⸗ briken einträten, schon deswegen, weil in vielen Bezirken keine Fabriken existirten, und diese seien doch durchaus nicht verwahrlost, sondern die Eltern wüßten sie sorgfältig vor Ver⸗ lotterang und Verwahrlosung zu schützen. Er begreife nicht, wie von der Regierung heute der Wunsch habe ausgesprochen werden können, die Nr. 4 wieder in das Gesetz aufzunehmen. Es handele sich hier eraths; in welchem Sinne aber dieselbe

gegeben werden werde, folge schon daraus, daß der Bundesrath diese Bestimmung vorgeschlagen habe. Er werde fast immer die Ge⸗ ehmigung ertheilen. Er (Redner) hoffe, daß sich für dieses rückschritt⸗ Beginnen keine Mehrheit Hause finden werde,

unter 14 . lang in dumpfer, ermüdender und d Fabrikarbeit zu

Man möge sich 8 klar machen, man möge denken

diese kleinen Wesen, nge in die Atmosphäre einer Fabrik eingestellt werden sollten! Die Fabrik sei übrigens häufig nicht der Ort, wo die jeser Kinder gefördert werden könne, Die schweren Uebelstände, die man von r Annahme des Antrages Partei erwarte, hätten sich in der Schweiz, als man dort

2 Eiarichtungen getroffen ze Wäre die deutsche

wäre Arbeitermangel vor⸗

en, daß auch 16 bis 18lährige ten. Man habe aber einen Ueber⸗ Industrie

Dentzogen

18. Jahr seien d

er d geißt atwickelung, die Zeit des Aufschwunges, welche hefruchtend wirke fuͤr die ganze künftige

Wentn da der jange Arbeiter bis zu 13 Stunden täglich

was bleibe ihm übrt. . e der kostbarsten Guüͤter?

erde einfach zum Arbeitethier herab ürdigt. In diesem Alter

de meist der Pessimisuros und womöglich die Hinneigung und der Uebertritt zur extremsften Partei. Er wisse ja, daß sein Appell noch anerbört dei der Majorität verhallen verde. Aber kommen werde der Tag, wo von allen Seiten anerkannt werde, daß nicht materielle Reichthümer das Höchste der Nation seiten, sondern der Mensch selbst, insbesondere die körperlich und geistig gesunde, idealsteebende Jugend!

Abz. Grillenberger: Er könne dem bayerischen Regterungs⸗ vertreter nur bestätigen, daß in b d

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um eine Befugniß des Bunde .

E erör Jahren zehn

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ayerischen Regierungs⸗ und

Abgeordnetenkreisen keine Geneigtheit bestehe, die dortice Schulgesetz⸗ gebung i der Weise zu ändern, daß die Eaklassung aus der Schule erst mit 14 Jahren stattfinde. Allerdings sei die bayerische Volks⸗ schole nicht schlecht, aber damit urchaus nicht gesagt, daß die Hinmfügung des achten Schultah nüzlich sein könnte. Die Arbeiterkreise hätten gegen diese Verär ug nichts einzuwenden, denn es sei ein unhaltbarer Zustand, z ein Vakuum zwischen der Schulentlassung und dem Eintritt in die Fabeik bestehde. Allein a gar nicht zu der in Centrumskreisen so verhaßten

gel des achten Schuljahres zu greifen, man brauche einfach

ginn des Schulbesuchs auf das siebente Lebensjahr zu setzen,

dann v die ganze partikulare Streitfrage aus der Welt geschafft. Er möchte der Leitung des Reichstagscentrums er wisse nicht, oh nach dem Tode des Abg. Windtborst eine solche bestehe rathen, auf ihre bayerischen Parteigenossen insofern einzuwirken, als sie diese haherische Schulangelengenheit nicht als ein Hinderniß einer vernün ftigen Arbeiterschutzgesetzgebung in den Weg stellten. Der Aba. Graf Ballestrem u Gen, hätten ja schon 1877 einen solchen Antrag gestet, wie seine (des Redners) Partei heute; wenn das Centrum also kon⸗ sequent set, so müsse es für diesen Antrag stimmen. Es komme dier nicht auf die ahsoluten, sondern auf die verbältnißmäßigen Zahlen an. Bavpern sei hauptsächlich ein Agrikulturland und habe darum weniger Induftriearhetter. Die Angaben der Fabrilinspek⸗

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toren seien nicht zuverlässig. Die Inspektionsbezirke seien so groß, vaß die Inspektoren gar nicht in der Lage seien, herumzukommen

und eine genaue Statistik aufzunehmen. Es würden viel, viel mehr Kinder in den Fabriken beschäftigt, als in der offiziellen Statistik angegeben werde. (Abg. Bebel: Sehr richtig!) Wenn der Ober⸗ Regierungs⸗Rath Landmann nicht an die Degenerirung der Arbeiter alaube, so möge er den Bericht des Fabrikinspektors Kopf aus Nürnberg aus den Jahren 1888, 1889 und den neuesten Bericht nachlesen. Daraus ergebe sich, daß die wirthschaftlichen Verhältnisse der Arbeiter in Mittel⸗ und Oberfranken jämmerliche seien. Wenn wirklich Fabrikinspektoren gewünscht hätten, man möge die zehnstündige Arbeitszeit für Kinder vor 14 Jahren einführen, so beweise dies nur, daß die Fabrikinspektoren den Einflüsterungen der Unternehmer ihr Ohr schenkten. Der Abg. Möller habe gesagt, die Aus⸗ führungen des Abg. Stolle seien Uebertreibungen und machten keinen Eindruck. Natürlich, was gegen die Religion des heiligen Profits dies sei die tonangebende Religion bei den nationalliberalen Kapitalisten verstoße, das werde bei ihnen niemals Eindeuck machen. Was der Abg. Möller als eine Uebertreibung habe hinstellen wollen, sei nichts Anderes gewesen, als ein Citat aus der Rede des konservativen Abg. Wagener. Die Ueber⸗ treibung sei also nicht bei seiner (des Redners) Partei zu suchen. Der Geheime Regierungs⸗Rath Dr. Königs babe gemeint, von einer Einschränkung der Arbeitszeit bei 16 bis I8 jährigen Arbeitern könne „zur Zeit“ keine Rede sein. Denselben Einwand habe man schon vor 20 Jahren erhoben. Wann werde denn endlich die Zeit kommen? Nachdem man die Einführung eines allgemeinen 10 stündige Normal⸗ arbeitstages abgelehnt habe, wolle seine Partei ihn wenigstens für die jugendlichen Arbeiter bis zum 18. Lebensjahre durchsetzen. Die internationale Konferenz habe im vorigen Jahre sogar die 10 stündige Arbeitszeit für Arbeiter bis 16 Jahren empfohlen. Diese Konferenz sei allerdings keine mustergültige Versammlung für seine Partei ge⸗ wesen, etz sei eine Bourgeoisversammlung gewesen. Es sei haupt⸗ sächlich auf das Drängen der Italiener und der anderen südlichen Völker zurückzuführen, daß man 12jährige Kinder als reif zur Fabrikarbeit erklärt habe. Daß der Abg Troeltsch als Groß⸗ industrieller für eine Ausdehnung der Kinderarbeit eingetreten sei, nehme er (Redner) ihm nicht übel. Seine bissigen Angriffe auf die Sozialdemokratie hätte er ihm aber eigentlich nicht zugetraut. Was seine (des Redners) Aeußerung in der ersten Lesung betreffe, daß man dem Unternehmerthum eins auf den Kopf geben müsse, so habe er diesen Ausdruck gebraucht in dem Sinne, daß man gegenüber der Brutalisirung der Arbeitgeber den Spieß umkehren und dem Unter⸗ nehmerthum für seine gegen den Arbeiterstand geübte Frechheit eins auf den Kopf geben müsse, daran halte er noch heute fest. Daß der Abg. Freiherr von Stumm sich darüber aufhalte, finde er (Redner) sogar richtig, es beweise nur, daß er (Redner) das Richtige damit getroffen habe. 8

Bayerischer Bundesbevollmächtigter Ober⸗Regierungs⸗ Rath Landmann: Darüber, ob das System des Volksschulwesens in Bayern verbesserungsbedürftig sei oder nicht, darüber wolle er mit dem Vorredner nicht rechten. Dagegen müsse er seiner Behauptung ent⸗ gegentreten, daß die von den bayerischen Fabrikinspektoren ge brachten Zahlen über die in den Fabriken beschäftigten Kinder un⸗ richtig seien. Es gehöre ein hoher Grad von wie solle man nur sagen von Gewandtheit dazu, um einem amtlichen Bericht gegenüber ohne irgend eine Begründung zu behaupten, daß die darin vorgebrachten Zahlen unrichtig seien. Er fordere die Abgg. Geillenberger und Bebel, welcher letztere die Aeußerung des Abg. Grillenberger mit einem „Sehr richtig“ begleitet habe, auf, ihre Behauptungen näher zu begründen. Er stütze sich auf amtliche Berichte von Beamten, an deren Wahrheitsliebe, Gewissen⸗ baftigkeit und Pflichttreue nicht zu zweifeln sei. Wenn der Abg. Grillenberger seine Meinung darauf stütze, daß die Zahl der Fabrik⸗ inspektoren in Bayern zu gering sei, so sei das zunächst eine Sache, die mit dem vorliegenden Gesetz nicht zusammenhänge. Denn die Zablen der in den Fabriken beschäftigten Kinder würden nicht ir der Weise ermittelt, daß der Fabrikinspektor herumgehe und die Kinder zähle, sondern zum großen Theil beruhten diese Zahlen auf den Be⸗ richten der Orts⸗ und Polizeibehörden, die von den Fabrikinspektoren gesammelt würden. Er wisse nicht, welche Aeußerungen des Fabrik⸗ inspektors Kopf der Abg. Grillenberger gemeint habe. Er (Redner) könne in seinem letzten Bericht nicht finden, was seine Ansicht bekämpfe. Es gehe vielmehr aus diesem Bericht hervor, daß Mißstände in dem betreffenden Aufsichtsbezirk in Bezug auf die Kinderarbeit nicht vorhanden seien. Dagegen werde es als ein Mizßstand empfunden, daß die Kinder, die aus der Schule entlassen seien, blos sechs Stun⸗ den beschäftigt würden. Uebrigens habe dies der Abg. Grillenberger selbst anerkannt, indem er gesagt habe, es sei ein unhaltbarer Zustand, daß ein Vakuum bestehe zwischen dem Verlassen der Schule und dem Eintritt in die Fabrik.

Abg. Bebel: Er habe allerdings mit gutem Grunde zu der oben bemängelten Aeußerung des Abg. Grillenberger „sehr richtig“ ge⸗ sagt Ein höberer Koͤniglich sächsischer Beamter habe ihm erklärt, die Höhe der Zahl der in den sächsischen Fabriken beschäftigten Kinder sei auf die umfängliche und gewissenhafte statistische Auf⸗ nahme zurückzuführen. Die Statistiken der übrigen Bundes⸗ staaten seien damit nicht zu vergleichen, denn es würde in den verschiedenen deutschen Staaten eme ganz ungleichmäßige Methode angewendet; daß dies speziell auch für Bayvern zutreffe, habe er (Redner) daraus entnommen, daß der Obe Regierungs⸗Rath Landmann in der Kommission bei diesem Paragraphen eine Zahl der beschäftigten Kinder in Bayern angegeben habe, die, sofern ihn (den Redner) sein Gedächtniß nicht trͤge, bedeutend niedriger gewesen sei fuͤr das Königreich Bayxern, als im letzten Bericht allein für die Rheinpfalz angegeben sei. . ] Abeiger gescseervon. Ralh Landmann: Er entsinne sich seiner damaligen Aeußerung nicht genau. Jedenfalls habe er sich auf das nächste ihm zur Verfügung stehende Material, auf den gedruckten Bericht gestützt, und selbstverständlich seien die Zahlen des letzten Berichtes andere als die des vorhergehenden. 8 1

Geheimer Regierungs⸗Rath Dr. Königs: Er könne nur bestä⸗ tigen, was der Ober⸗Regierungs Rath Landmann bereits gesagt, daß diese Bestimmungen durchaus nicht allein wegen Bayern in die Vor⸗ lage aufgenommen worden seien. Die Berichte der Fabrikinspektoren bärten schon seit Jahren betont, zu welchen schädlichen Wirkungen es führe, daß die aus der Schule entlassenen Kinder nich zur Arbeit kommen könnten Das sei durchaus kein arbeiterfeindlicher, sondern ein arbeiterfreundlicher Vorschlag. 8 8

Abg. Grillenberger: Was seine „Gewar

sich herausgestellt, daß in einzelnen Bezirke

ispektors mit dem, was die Arbeiter selbs 8 en Kinder gefunden hätten, nicht übereingestimmt hab ich seien in Bayern mehr Kinder beschäftigt, als die Fabrik⸗ bektoren angegeben hätten.

Abg. Beel: . habe dem Ober-⸗Regierungs⸗Rath Landmann nicht vorgeworfen, daß er etwas Unrichtiges gesagt dabe. sondern nur gesagt, das seine Angaben in der Kommission in Widerspruch ständen mit den Angaben im neuesten Bericht.

Damit schließt die Diskussion. 8 1 16

In der Abstimmung werden die Anträge Auer und Ge⸗

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nossen, sowie der Antrag Münch abgelehnt, §. 135 un⸗ verändert angenommen. b 1

Nach §. 136 sollen die Arbeitsstunden der jugendlichen Arbeiter nicht vor 5 ½ Uhr Morgens beginnen und nicht übder 8 ½ Uhr Adends dauern. An jedem Arbeitstage müssen zwischen den Arbeitsstunden regelmäßige Pausen gewährt werden. Für jugendliche Arbeiter, welche nur sechs Stunden beschäftigt werden, muß die Pause mindestens eine halbe Stunde detragen; fuͤr die anderen ist mindestens Mittags eine ein, Vormittags und Nachmittags je eine halbstündige Pause zu gewähren.

An Sonn⸗ und Festtagen, sowie während der von dem

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ordentlichen Seelsorger für den Katechumenen⸗ und Konfir⸗ manden⸗, Beicht⸗ und Kommunionunterricht bestimmten Stunden dürfen jugendliche Arbeiter nicht beschäftigt werden.

Die Abgg. Auer und Genossen wollen die Arbeit erst von 6 Uhr ab beginnen und um 7 Uhr endigen lassen; sie wollen ferner für die jugendlichen Leute und die Arbeiter bis zu 18 Jahren die Nachtarbeit verbieten, und verlangen, daß diesen auch event. während der Arbeitszeit die Zeit zum Besuch der Fortbildungsschule gewährt werden soll.

Abg. Uhlendorff befürwortet einen Antrag, welcher den jugendlichen Zieglern die Möglichkeit gewähren solle, ihre Arbeit auch vor 5 ½ Uhr Morgens zu beginnen. Es handle sich bei dem Ziegelei⸗ gewerbe nicht um eine Beschäftigung ungesunder Natur. Die Ziegler seien in der Regel in luftigen Räumen oder in der freien Natur thätig, die Thätigkeit der jugendlichen Ziegler sei auch keine mühsame, sondern beweglicher Art. Es set nicht abzusehen, warum für diese Arbeiter Vorschriften gelten sollten, die für die landwirthschaftlichen Arbeiter nicht gälten. Dazu komme, daß die jugendlichen Ziegler nur während der Zeit vom 1. April bis 1. Oktober beschäftigt würden. Bei Annahme des Antrages würden sie des Morgens frühber die Arbeit beginnen, aber dafür während der heißen Mittagsstunden mehr der Ruhe pflegen können. Nach Mittheilungen aus Zieglerkreisen sei dem frühzeitigen Beginn der Arbeit mit geringerer Arbeitszeit der Vor⸗ zug zu geben vor späterem Beginn mit längerer Arbeitszeit. Der Bundesrath sei zwar in der Lage, Ausnahmen von der Regel des Gesetzes zuzulassen, aber an anderer Stelle seien ebenfalls Ausnahmen bereits in dem Gesetze selbst festgesetzt. Aus allen diesen Gründen empfeble sich die Annahme des Antrages. 1

Abg. Wurm: Seine Partei sei mit dem Antrage Uhlendorff durchaus nicht einverstanden. Das Bischen Ordnung, das durch das Gesetz in die abscheulichen Mißstände im Ziegeleigewerbe gebracht werden könne, würde damit durchbrochen werden. In der Praxis fähen die Dinge anders aus, als der Abg. Uhlendorff meine. Man werde, wenn sein Antrag Annahme finde verlangen, daß auch der jugendliche Ziegler so lange arbeite wie der erwachsene. Es feble ia jede Kontrole darüber, ob die Arbeitszeit für die jugendlichen Ar⸗ beiter wirklich nur zehn Stunden dauere; eine Abweichung von dieser Vorschrift würde erst zu Tage treten, wenn etwa der Fabrikinspektor bei einer unvermutheten Revision sie entdeckte. Der Antrag seiner Partei nehme mehr Rücksicht auf die nothwendige Nachtruhe als die Vorlage und der Kommissionsbeschluß. Die Nachtruhe und auch die Abendruhe sei für die Jugend sehr nothwendig. Man bringe den Kindern der arbeitenden Klassen nicht das Interesse entgegen, das die Kinder im Allgemeinen sonst fänden. Welche tiefsinnigen Betrachtungen würden nicht darüber angestellt, daß der Gymnasiast nicht zu viel mit Schularbeiten belästigt werde? Nirgends aber werde der Wunsch laut, daß auch den Arbeiterkindern die Möglichkeit gegeben werde, den Körper in solcher Frische in die Fortbildungsschule zu bringen, daß sie den Unterricht wirklich mit Erfolg genießen könnten. Dahin ziele der zweite Antrag seiner Partei. Es sei bekannt, daß von Seiten der Unternehmer die Fortbildungsschulen nicht gerade mit günstigen Augen angesehen würden. Deshalb sei hier ein gesetzlicher Zwang nöthig, wenn auch anerkannt werden solle, daß eine größere Anzahl von Arbeitgebern den guten Willen habe, den jugendlichen Arbeitern die nöthige Zeit auch während der Arbeitszeit zu gewähren. Die Klagen vieler Fabrik⸗Inspektoren, daß die Fortbildungsschulen schlecht besucht würden und die jugendlichen Arbeiter nichts lernen wollten, rührten daher, daß nach zehnstündiger Arbeitszeit sie nicht noch 2—3 Stunden in die Schule gehen könnten. Er hboffe, daß der Antrag seiner Partei bei allen Denen, die für die Fortbildung der jugendlichen Arbeiter Interesse hätten, Zustimmung fiaden werde.

Der Antrag Auer, soweit er sich auf die jungen Leute bis zu 18 Jahren bezieht, wird zurückgezogen. 1“

Abg. Dr. Hartmann bestreitet das Bedürfniß besonderer Regelung für die Ziegeleien; für derartige Saisonbetriebe habe der Bundesrath die Verordnungsbefugniß.

Geheimer Ober⸗Regierungs Rath Lohmann hält die Erweiterung der Nachtruhe, wie sie von sozialdemokratischer Seite vorgeschlagen werde, weder für nöthig, noch für zweckmäßig. Die Dauer der Be⸗ schäftigung der jugendlichen Arbeiter hänge davon nicht ab. Daß die Stunden innegehalten würden, dafür sorge der Aufsichtsbeamte. Für die Industrie wäre aber die Bestimmung außerordentlich be⸗ lästigend. §. 136 wird unverändert angenommen.

Die Abgg. Auer und Genossen beantragen einen neuen §. 136 a, nach welchem für alle über 14 Jahre alten Arbeiter der zehnstündige Normalarbeitstag eingefuhrt werden soll, und zwar vom Tage des Inkrafttretens des Gesetzes an. Vom 1. Januar 1894 soll der Normalarbeitstag 9, vom 1. Januar 1898 nur 8 Stunden betragen. 8

Abg. Grillenberger: Für seine Partei sei der Normal⸗ arbeitstag der Grund⸗ und Eckstein jedes wirklichen Acbeiterschutzgesetzes. Man werfe ihr vor, Palliativmittel vorzuschlagen, aber diese Palliativ⸗ mittel nützten wenigstens dem Arbeiter etwas, während das, was in diesem Gesetze bisher geschaffen sei keine einschneidende Verbesserung biete; theilweise werde sogar der jetzige Zustand dadarch verschlechtert, und bezüglich der Koalitionsfreibeit sei, wenn man da auf die Regierungsvorlage zurückgreife, eine abermalige Verschlechterung zu erwarten. Man werfe ihr ferner vor, daß sie die historische Entwickelung nicht berücksichtige, aber hätte man ihre Anträge ange⸗ nommen, so hätte man gerade einer vernünftigen successiven Fort⸗ entwickelung Vorschub geleistet. Wolle man wirkt die Versöhnung zwischen Arbeitgebern und Arbeitern, so sollte man nicht in einer solchen organisirten Weise Alles niederstimmen, was seine Partei vor Diese Vorschläge gingen noch lange nicht so weit, wie große Massen aufgeklärter Arbeiter wünschten, die seine Partei anfeindeten, weil sie nicht weit genug gehe. Allerdings seien die Industrieverhältnisse heute so, daß noch viel mehr geboten werden könnte. Der §. 136a sei einer der einschneidendsten des Ge⸗ setzes, namentlich durch seine Abstufungen. Seine Partei wolle nur nümaͤblich zum achtstündigen Arbeitstag kommen. Sie sei deshalb vielfach gehäfsig angegriffen worden, aber Regierung und Reichstag hielten gleichfalls für die Durchführung solcher Reformen Abstufungen für nothwendig. Man müsse der Industrie Zeit lassen, sich darauf einzurichten. Außerdem wünschten auch die Arbeiter nicht solche Ver⸗ kürzung der Arbeitszeit, so lange nicht eine Verständigung darüber zwischen den Hauptkonkurrenzländern Europas herbeigeführt sei. In England sei der zehnstündige Normalarbeitstag theils durch Gesetz, theils durch Usus berrits eingeführt. Die deutsche Industrie sei vollständig reif für einen achtstündigen Normalarbeitstag, wie er in allen Kulturländern jetzt gefordert werde. Seine Partei wolle aber stufenweise vorgehn, um sich nicht dem Vorwurfe auszu⸗ setzen, sie wollte die deutsche Industrie konkurrenzunfähig machen. In der Zwischenzeit wünsche sie, daß internationale Vereinbarungen über weitere Verkürzung der Arbeitszeit gepflogen würden. So werde man schließlich auch zum

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achtstündigen Normalarbeitstage kommen. Man möge die Sozialdemokraten für Optimisten halten und denken, sie seien einige Jahrzehnte zu früh daran, aber das Maschinenwesen werde fortgesetzt so verbessert, daß menschliche Arbeits⸗ kräfte frei und auf die Straße gesetzt würden. Diesen traurigen Zu⸗ ständen könne nur mit einer fortschreitenden Verkürzung der Aebetts⸗ zeit entgegengetreten werden. Schon Helvetius habe vor hundert Jahren erklärt, daß die Arbeitslosigkeit nur durch Verkürzung der Arbeitszeit gemildert werden könnte. In zahlreichen Industrien Deutschlands sei der zehnstündige Normalarbeitstag bereits eingeführt, in weniger zahlreichen der neunstündige und in einzelnen Betrieben sogar der achtstündige. Man sage, man koͤnne dies also dem freien Arbeitsvertrag überlassen; es würde sich dies auch ohne gesetzliche Regelung von selber machen; aber einerseits der Unverstand der Massen, andererseits die Profitwuth der Unternehmer hindere ein Ein⸗ treten zum Besten der Arbeiter. Nur durch Eingreifen der Gesetzgebung koͤnne etwas Fruchtbares und Mauerhaftes geschaffen werden. Die freiwilligen Zugeständnisse könnten jeder Zeit zurückgezogen werden,

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ebenso was durch Strikes ꝛc. erzwungen und ertrotzt oder durch ütliche Vereinbarung erreicht sei. Gerade in Zeiten, wo man mit Handelskrisen zu rechnen habe und es den Arbeitern schlecht gehe, also eine Beschränkung der Produktion nothwendig wäre, ließen die Unter⸗ nehmer den Arbeiter länger arbeiten, weil sie deren Widerstands⸗ fähigkeit in solchen Zeiten für geringer hielten. Wie die Freiheit des Arbeitsvertrages aussehe, bewiesen am Besten die Ent⸗ büllungen der letzten Tage in der sozialdemokratischen Presse, in welcher Weise die Unternehmerverbände in Verbindung mit Königlich preußischen Behörden das Koalitionsrecht der Arbeiter unmöglich machten. Es heiße da, es sollten Listen der sogenannten wüsten Agitatoren aufgestellt werden, und die Presse versuche das auf jenes Gebiet binüberzuspielen, daß es sich bloß darum handele, sozial⸗ demokratische Agitatoren von der nationalen Industrie fernzuhalten. Das sei nicht wahr. Es handele sich darum, jede Bewegung der Arbeiter zur Erzielung einer kürzeren Arbeitszeit oder eines Normal⸗ arbeitstages oder höherer Löhne unmöglich zu machen. Es handele sich nicht um sozialdemokratische Agitatoren, sondern nur um Leute, die durch das Vertrauen ihrer Kameraden an die Spitze von Lohn⸗ kommissionen oder Fachvereinen gestellt seien. Solche Leute sich vom

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Leibe fernzuhalten, seien die Unternehmerverbindungen bestimmt, und dazu hätten sich die Königlich preußischen Behörden hergegeben. Mit keinem Worte trieben die Gegner so viel Mißbrauch wie mit dem Worte „Freiheit“. Wenn bei dieser Freiheit der Arbeiter zum Sklaven werde, müsse der Begriff der Freiheit beschränkt werden. Das Prinzip, daß der Staat sich nicht in wirthschaftliche Verhältnisse zu mischen habe, hätten bei diesem Gesetz nicht nur nationalliberale, sondern auch freisinnige Elemente durchlöchert. Des⸗ halb dürfe man es auch nicht aufrecht erhalten gegenüber der Forde⸗ rung nach einem Normalarbeitstag. Daß der Arbeiter davon den größten Schaden habe, sei nicht richtig. Statistisch sei nachgewiesen, daß im Staate Massachusetts bei kürzerer Arbeitszeit höhere Löhne erzielt würden; ebenso weise der Schweizer Fabrikinspektor nach, daß sich die Befürchtungen, die sich an die Reduktion der Arbeitszeit von zwölf auf elf Stunden in der Schweiz geknüpft, sich nicht be⸗ stätigt hätten. Es werde bei kürzerer Arbeitszeit jetzt eine wesentlich höhere Produktion erzielt einfach schon dadurch, daß man die alten Maschinen schneller laufen lasse, und noch viel mehr durch verbesserte neue Maschinen. Die kürzere Arbeitszeit würde das Vagabundenthum wesentlich verringern, da neue Arbeitskräfte eingestelt werden müßten. Einen Ausfall an Profit, der sicherlich nur sehr gering wäre, könne das Kapital sehr wohl tragen, zumal im Interesse einer Hebung der Arbeiterklasse. Die Regierung sage, zur Zeit gehe es nicht, das seien Ausflüchte, aber keine Gegengründe. In den Bureaux, Kanzleien, Comptoirs werde läng⸗ stens acht Stunden gearbeitet, und zwar nicht schwere körperliche Arbeit, sondern sehr oft nur leichte mechanische. Die Herren Cbefs in den Comptoirs arbeiteten nur viel weniger als 8 Stunden. (Widerspruch bei den Nationalliberalen.) Einzelne mögen ja hier und da ein paar Stunden länger arbeiten, dafür gingen sie aber auch Wochen und Monate nach der Riviera oder anderswohin zur Erbolung. Man habe ja hier im Reichstage mitunter auch eine längere Arbeitszeit als die gewöhnliche Normalarbeitszeit, und diese Herren arbeiteten dann in ihrem eigenen Interesse länger, während die Arbeiter es im Interesse der Unternehmer thun müßten, und je länger sie arbeiteten, desto schlechter werde ihre Lebenshaltung. Maꝛ wende ein. §. 120 e führe, indem er für gesundheitsgefährliche Betriebe die Festsetzung einer kurzen Frist vorsehe, eine Art fakultativen Normalarbeitstages ein; das sei ein Beweis mehr, daß seine Partei Recht habe, denn überall werde durch die lange Arbeitszeit die Gesund⸗ hbeit geschädigt. Wolle man konsequent sein, so müsse man § 120 e so oft anwenden, daß man dasselbe haben werde, was seine Partet anstrebe; da sei es doch besser. man regele die Sache gleich gesetzlich. Seine Partei wolle cinen Maximal⸗Arbeitstag festsetzen, den einzelnen Gewerben es überlassend, durch freie Vereinbarung kürzere Arbeits⸗ zeiten zu erreichen; von einer Schematisirung sei dabei also keine Rede. Auf der einen Seite erwarte man Alles von einem freien Arbeits⸗ vertrage, auf der anderen wolle man Nichts von einer Koalitions⸗ freiheit wissen und erwarte Alles von der Regierung: in der Praxis aber führe Beides zur schrankenlosen Ausbeutung der Arbeiter durch 8 Kapital. Wenn man Alles von der Regierung erwarte, so führe zur bloßen Bureaukratie, und wie auch diese schließlich immer die der Bourgeoisie nehme, dafür sei Staats⸗Minister von Berlepsch ein lehrreiches Beispiel. Aus ganz Holze sei denn doch der f Minister von Puttkamer, der den Willen, bessere langen, gleichviel ob mit oder ohne für einen rechtswidrigen erkläre. In reich bestehe der elfstündige Normalarbeitstag ad dungen des Abg. Dr. Buhl, daß man dort mit dem Normal⸗ arbeitstage nicht zufrieden sei, daß die Zahl der Ausnahmen größer sei als die der Nichtausnahmen, und daß namentlich die Arbeiter mit den dortigen Zuständen nicht zufrieden wären, würden mehrfach widerlegt, und zwar gerade von Arbeitern der betreffenden Länder. Seit 1888 führe man in Oesterreich den Normalarbeitstag strikte durch, in der Schweiz bestehe eine lebhafte Agitation, um zum zehn⸗ stündigen überzugehen, und der Geheime Regierungs⸗Rath Dr. Königs selbst gebe zu, daß man sich dort gegen den zehnstündigen Normal⸗ arbeitstag nur sträube, weil man die Konkurrenz Deutschlands, wo man gar keinen Normalarbeitstag habe, fürchte. Dann sei der Widerstand der Regierung und des Geheimen Regierungs⸗Raths Dr. Königs selbst unbegreiflich, er erkläre sich nur aus ihrer Furcht vor dem allmächtigen Kapitalismus. Dieser Vorwurf könne der Re⸗ gierung nicht erspart bleiben. Hier, in der Presse, in Ver⸗ sammlungen werde man ihn stets wiederholen. Für die Bergleute fordere seine Partei Nichts, als was sie schon Jahrhunderte lang besessen und was ihnen nur die Profitwuth der Unter⸗ nehmer genommen habe. Nun hätten sich die Vertreter der Bergwerksindustrie neuerdings wieder zusammengethan und im Einverständniß mit Regierungsvertretern erklärt, sie würden auf die achtstündige Schicht der Bergleute nicht eingehen. Dem gegenüber müsse doch auf einen Namen hingewiesen werden, der allein ein ganzes Programm bedeute: Müllensiefen, der habe diese Forderung und die Forderung höheren Lohnes für Ueberschichten zugestanden, er habe es mit übernommen, für diese Forderungen einzutreten; natürlich hätten die Nationalliberalen, die seine Wahl unterstützt, diese Verpflichtung mit übernommen, und sie würden also einstimmig die 11“ der Bergleute zugestehen. In England seien die Arbeits⸗ tunden unter Tage 8 Stunden 36 Minuten, die wirkliche Arbeitszeit 7 Stunden 25,8 Minuten, und das Alles ohne gesetzlichen Normal⸗ arbeitstag, nur durch die strikte Durchführung des Koalitionsrechts. In der so hoch entwickelten englischen Maschinenindustrie be⸗ trage die tägliche Arbeitszeit weniger als neun Stunden, die Forderung des zehnstündigen Arbeitstages könne nicht aus Furcht vor Konkurrenz zurückgewiesen werden. Schon Cobden habe gesagt, daß der Normalarbeitstag bessere Arbeitsverhältnisse herbeiführen werde, und gerade diese strebe seine Partei an, gerade sie würden aber von der Klasse der Arbeitgeber, gegen welche auch der einzelne humane Arbeitgeber nicht aufkommen könne, bekämpft. Seine Partei erwarte und hoffe, daß die Zeit nicht so fern sein werde, wo die Regierung und die Mehrheit nachgeben müsse, wenn sie nicht die Lebenzhaltung der Arbeiter und also der ganzen Nation aufs Tiefste zerrütten wolle. 1 2. Nach bieser Rede wird um 5 ½⁴ Uhr die Fortsetzung der Berathung auf Freitag 11 Uhr vertagt.

Haus der Abgeordneten. 70. Sitzung vom Donnerstag, 16. April.

Der Sitzung wohnt der Minister des Innern Herr⸗ furth bei. Die zweite Berathung der Landgemeindeordnung

legener Gemeinden und Gutsbezirke Behufs Wahrnehmung kommunaler Angelegenheiten (§§. 126 bis 135). §. 126 in der Fassung der Kommission lautet: Landgemeinden und Gutsbezirke können mit nachbarlich be⸗ legenen Gemeinden oder Gutsbezirken zur Wahrnehmung einzelner kommunaler Angelegenheiten nach Anhörung der betheiligten Ge⸗ meinden und Gutsbesitzer durch Beschluß des Kreisausschusses ver⸗ bunden werden, wenn die Betheiligten damit einverstanden sind. Wenn ein Einverständniß der Betheiligten nicht zu erzielen ist, kann, sofern das öffentliche Interesse dies erheischt, die Bildung eines solchen Verbandes durch den Ober⸗Präsidenten erfolgen, nach⸗ dem die Zustimmung der Betheiligten im Beschlußverfahren durch den Kreisausschuß ersetzt worden ist.

- Bei der Verbindung von Landgemeinden und Gutsbezirken mit Stadtgemeinden tritt an die Stelle des Kreisausschusses der Bezirksausschuß. 1 8 1 „Vorstehende Bestimmungen finden auf die Fälle der Ver⸗ änderung der Verbände in ihrer Zusammensetzung sowie der Auf⸗ lösung derselben sinngemäße Anwendung.

Abg. Freiherr von Huene beantragte folgenden 5. Absatz hinzuzufügen:

Für die Bildung von Schulverbänden bleibt besondere gesetz⸗

liche Regelung vorbehalten.

Abg. Freiherr von Zedlitz beantragt: den Absatz 3 bier zu streichen und ihn als §. 135a an den Schluß des Abschnitts zu stellen. 1 1

Abg. von Meyer (Arnswalde): Bei der ersten Lesung habe er erklärt, daß die Gutsbezirke mustergültige Armenpflege hätten. Er müsse das berichtigen; die Behauptung treffe nur noch für Pom⸗ mern und einen Theil von Brandenburg zu, aber namentlich nicht mehr für Sachsen. Es komme jetzt schon vielfach vor, daß die Arbeiter des Gutes in der benachbarten Landgemeinde wohnten, welcher letzteren dann auch die Armenlast obliege. Es solle aber auch vorkommen, daß zwei Landgemeinden ihre Tagelöhner alljährlich „Verwechselt das Bäumchen“ spielen ließen; die Tagelöhner der einen Gemeinde zögen in die andere und umgekehrt, um beiden Gemeinden die Armenlast zu ersparen.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa: Seine Freunde würden entsprechend dem abgeschlossenen Kompromiß für den §. 126 stimmen; sie könnten auch nicht für den Antrag von Huene stimmen, welcher die Schulverbände von diesem Gesetz ausschließen wolle. Nicht unerhebliche Gründe rechtfertigten das Vorgehen der Staats⸗ regterung, wie es hier in Aussicht genommen sei; die Vorschrift sei annehmbar, weil die Kommission die Zustimmung der Selbstverwal⸗ tungskörperschaften zur Bildung solcher Verbände eingefügt habe. Die Bildung solcher Verbände könne manche Zusammenlegung von Landgemeinden und Gutsbezirken zu einer Gemeinde nach §. 2 über⸗ flüssig machen. 1“

Abn. Freiherr von Zedlitz spricht sich gegen den Antrag ron Huene aus. Schulverbände hätten nur da gebildet werden köͤnnen, wo die Schule Sache der Gemeinde sei, aber nicht, wo die Schule in der Hand von Sozietäten sei. Es liege aber kein Grund vor, Schulverbände dort nicht zu bilden, wo die Gemeinden die Schule

reitaà hz „G mvns se s. bereits bätten. Redner empfiehlt dann seinen Antrag, der lediglich eine redaktionelle Bedeutung habe.

5. 28 I. E

Minister des Innern Herrfurth:

Ich folge meinerseits sehr gern dem Beispiel des Hrn. Abg. Freiherrn von Zedlitz, indem ich in Betreff der Erörterung der Be⸗ stimmungen dieses überaus wichtigen Paragraphen mir die äußerste Beschränkung auferlege; denn dieser §. 126 und die folgenden Para⸗ graphen sind ebenfalls Gegenstand des Kompromisses ge⸗ wesen, und ich gehöre zu denen, welche an diesem Komnpromiß zu rütteln lovaler Weise überhaupt nicht berechtigt und willens sind.

Ich beschränke mich deshalb ebenso wie Hr. Abg. von Zedlitz auf die Erörterung der zu diesem Paragraphen gestellten Anträge und erkläre mich zunächst unbedingt einverstanden mit dem Antrag, den Freiherr von Zedlitz selbst gestellt hat. Ich halte ihn, obwohl er wesentlich redaktioneller Natur ist, für eine erhebliche Verbesserung, zumal er im Zusammenhang steht mit dem vorläufig ausgesetzten Antrage des Hrn. Abg. Bohtz, der meines Erachtens die ganz richtigen Kon⸗ sequenzen zieht.

jedoch etwas anderer von Zedlitz in Betreff des Antrages regierung legte gleichzeitig mit der ein schulgesetz v Bestimmungen über die; dieser Schul enthielt. Wenn nun jetzt keine Auss handen ist, Gesetz gleichzeitig zur Verabschiedung gelangt, so möchte es öchst bedenklich erscheinen, nunmehr ohne We anzunehmen, ß bis zum Erlasse eines Volksschulgesetzes die ndgemeindeordnung auf die Bildung der chulverbänder Anwendung hätten.

In dem Punhkte bin ich mit Hrn. von Zedlitz durchaus einver⸗ standen, wo Sozietätsschulen nach dem landrechtlichen Prinzipe iegen, überhau die Landgemeindeordnung keine An⸗ wendung sonach wesentlich nur um die Provinzen Ostpreußen und Westpreuß handeln . Aber auch für diese möchte ich r Bestimmungen dieses Paragraphen auf die Schulverbänd unlich ist, und zwar s aus dem Grunde, wei in Schulaufsichts⸗ e nicht der genügende ihre Entscheidungen ist, und weil ich glaube, iese Konstruktion der mehr der vorübergehenden e, wi ) in Zweck⸗

ommen kann ielf ommen wird,

für die Bildun von eignet. würde deshalb einen Widerspruch gegen den Antrag von Huene nicht erheben, allerdings aber mit dem Hrn. von Zedlitz annehmen, daß er besser bei den Uebergangsbestimmungen, etwa bei §. 142 seine Stelle finde.

Wenn ich mich hierauf beschränke, so geschieht es aber auch ferner noch aus dem Grunde, weil ich sehr großen Werth darauf lege, daß heute die Landgemeindeordnung in der zweiten Be⸗ rathung abgeschlossen werde und wir spätestens zu Beginn der nächsten Woche in die dritte Berathung treten können. Denn, meine Herren, die Geschäftslage des Herrenhauses ist eine solche, daß die Verzögerung der dritten Berathung hier um wenige Tage eine Ver⸗ zögerung im Herrenhause um mehrere Wochen zur Folge haben und sogar das Zustandekommen des Gesetzes selbst gefährden könnte. Ich werde mich deshalb auch bei den folgenden Paragraphen, wenn ich Veranlassung habe zu sprechen, immer möglichst kurz fassen.

Abg. Freiherr von Huene iieht seinen Antrag bei diesem §. 126 zurück und beantragt, ihn im §. 142 einzufügen. Den §. 126 werde das Centrum jetzt annehmen, da die Anwendung desselben auf die Schulverbände ausgeschlossen sei. 8

Abg. Sombart bedauert, daß die Regierung sich auf ein solches Kompromiß eingelassen habe, und empfiehlt statt der Zweckverbände die Sammtgemeinden, welche viel besser fungiren würden, als die für einzelne kommunale Zwecke zusammengelegten Gemeinden. 1.—

Abg. von Rauchdaupt erklärt, die Konservativen wünschten, daß die Schullast eine Kommunallast werden solle. Die dritte Lesung

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wird fortgesetzt beim IV. Titel: Verbindung nachbarlich be⸗

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jedenfalls noch nicht beginnen, bis dahin könnten die Parteien mit ihren Vereinbarungen noch nicht fertig sein. Außerdem müßten auch die Landwirthe des Hauses einmal auf ein paar Tage nach Hause gehen; denn es ständen große Kalamitäten bevor, es müßten vielleicht sämmtliche Felder umgepflügt werden. Wenn dadurch die Fertigstellung der Landgemeindeordnung um einige Tage verzögert werde, so sei das kein Unglück. (Lebhafter Beifall rechts.)

Präsident von Köller: Die Frage, wann das Haus in die dritte Lesung eintreten werde, bleibe einem späteren Stadtum vorbehalten. (Heiterkeit.)

§. 126 wird nach dem Antrage des Abg. Freiherrn von Zedlitz angenommen.

§. 127 Absatz 2 wird auf Antrag des Abg. Bohtz im letzten Satz gefaßt: „Insbesondere können einzelne Gemeinden oder Gutsbezirke im Verhältnisse zu anderen zu Voraus⸗ leistungen verpflichtet werden, wenn letztere für gewisse Ver⸗ bandszwecke bereits vor der Verbindung für sich allein in genügender Weise Fürsorge getroffen haben oder aus anderen Gründen nur einen geringeren Vortheil von der Verbindung haben, als erstere“. 8 8

In §. 129 wird auf Antrag des Abg. Bohtz beschlossen, daß das Statut des Gemeindeverbandes außer im Regierungs⸗ blatt auch im Kreisblatt veröffentlicht werden muß.

Ferner wird auf Antrag des Abg. Freiherrn von Zedlitz in §. 129 u. ff., sowie in der Ueberschrift des Abschnittes das Wort „Landgemeinden“ überall durch „Gemeinden“ ersetzt, nachdem durch die Kommissionsbeschlüsse das Gesetz auch auf Stadtgemeinden Anwendung finden kann.

Bei §. 131 konstatirt auf Anregung des Abg. Bohtz

der Minister des Innern Herrfurth, daß unter den Verbandsvorstehern eventuell auch Bürgermeister zu ver⸗ stehen sind.

In §. 135 wird auf Antrag von Zedlitz das Wort „Ge⸗ meinden“ sinngemäß durch „Landgemeinden“ ersetzt.

Bei Titel V Aufsicht des Staats (§. 136 141) bean⸗ tragt Abg. Bohtz, folgenden Zusatz:

Sofern einem Gemeindeverband eine Stadtgemeinde angehört, wird die Aufsicht des Staats über die Verwaltung der Angelegen⸗ heiten dieses Verbands von dem Regierungs⸗Präsidenten, in höherer und letzter Instanz von dem Ober⸗Präsidenten, unbeschadet der in den Gesetzen geordneten Mitwirkung des Bezirksausschusses und des Provinzialraths, geübt.

Nuach Begründung dieses Antrages durch den Antragsteller nimmt das Wort 8

Minister des Innern Herrfurth:

Die Ausführungen des Abg. Bohtz sind zutreffend. Nachdem im vorhergehenden Abschnitt die Stadtgemeinden angefügt sind, müssen wir in Betreff der Aufsicht des Staats hier auch entsprechende Bestim⸗ mungen aufnehmen. Ich möchte jedoch den Abg. Bohtz fragen, ob er es nicht auch für zweckmäßig erachten möchte, in derselben Weise, wie dies von dem Hrn. Abg. Freiherrn. von Zedlitz bei dem vorigen Abschnitt geschehen ist, diese Bestimmung als einen Zusatzparagraphen an den Schluß zu setzen, damit dann Alles dadurch gedeckt wird, was etwa in Betreff der §§. 137 ff. zu modifiziren ist. Ich glaube, die Sache würde klarer werden, wenn man es nicht in §. 136 hineinbrächte,

sondern als §. 141 a in etwas anderer Fassung formulirte, also etwa in der Fassung: Wo bei derartigen Verbänden Stadtgemeinden be⸗ theiligt sind, wird die Aufsicht in der und der Weise ausgeübt u. s. w.

Der Antrag wird als §. 141 a angenommen.

Der VI. Titel (§. 142 144) enthält die Ausführungen

und Uebergangsbestimmungen. Niach §. 142 tritt das Gesetz mit dem 1. April 1892 in Kraft. Die Kommission hat folgenden Zusatz gemacht, und zwar als Absatz 3 und 4: 8

Priratrechte dürfen durch dieses Gesetz nicht entzogen oder ge

b werden. Oeffentlich rechtliche Verhältnisse, welche au

Titel beruhen, bleiben insoweit in Kraft, als dies

bisherigen allgemeinen und besonderen gesetzliche

a, Ordnungen, Gewohnheitsrechten und Observanzen ab

weichende Bestimmungen enthalten. Eine solche Abweichung wir nicht vermuthet.

Die bereits bestehenden Ortsstatuten, allgemeinen Gewohnheits rechte und Observanzen bleiben, soweit dieses Gesetz ortsstatutarische Regelung zuläßt, einstweilen, längstens auf drei Jahre, in Kraft.

Hierzu liegt vor der bei §. 126 zurückgezogene Antrag von Huene, wonach das Gesetz auf die Schulverbände kein Anwendung finden soll.

Nach dem von der Kommission antragt:

1) Abg. Dr. Avenarius: Den Absatz 3 zu streichen und

im Absatz 4 hinter „die“ einzuschalten „bei Verkündigung dieses Gesetzes“.

2) Abg. Schmidt (Warburg): In dem Absatz 3 statt der Sätze 2 und 3 folgenden Satz zu setzen: 8

„Oeffentlich rechtliche Verhältnisse, welche erweislich nich auf Rechtsnormen (Cesetzlichen Vorschriften, Gewohnheitsrechten Observanzen), sondern auf besonderem Titel beruhen, bleiben in Kraft.“

3) Abg. Freiherr von Zedlitz: Den Eingang des dritten Absatzes folgendermaßen zu fassen:

„Rechte und Pflichten, welche auf besonderen Titeln des öffentlichen Rechts beruhen, bleiben insoweit“ u. s. w., wie in den Kommissionsbeschlüssen. Abg. Freiherr von Huene empfiehlt seinen Antrag, dessen Annahme der Minister ebenfalls angerathen habe. Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa bittet Namens der Konservativen, den von der Kommission beschlossenen Zusatz anzu⸗ nehmen. Abg. Freiherr von Zedlitz empfiehlt die Ablehnung An⸗ trages von Huene. Nach der Regierungsinstruktion hätten die Be⸗ zirksregierungen schon jetzt Einfluß auf die Veränderung von verbänden, könnten also auch bei Zweckverbänden für die Schule ihre Meinung geltend machen. Es sei aber zweckmäßig, schon jetzt solche Schulverbände auf Grund dieses Zusatzes in einzelnen Fällen bilden zu können. Redner bittet um Annahme seines Antrages zum Absatz 3.

Minister des Innern Herrfurth: 8 kann zunächst nur die Bitte wiederholen, den Antrag des

gemachten Zusatz be⸗

Hrn. Freiherrn von Huene anzunehmen. Der letzte Absatz des §. 142

in der Regierungsvorlage ging von der Voraussetzung aus, daß das gleichzeitig mit der Landgemeindeordnung vorgelegte Volksschulgesetz nun zum Abschluß kommen würde, und hierauf, auf das Volksschul⸗ gesetz bezieht sich die Bezugnahme in dem letzten Absatz. Wenn Sie jetzt, nachdem es sicher ist, daß das Volksschulgesetz nicht schon in dieser Session zum Abschluß gelangen wird, eine derartige Be⸗ stimmung nicht aufnehmen, so kommt man allerdings zu der Folgerung, die, wie ich glaube, ganz richtig von dem Hrn. Frhrn. von Zedlitz gezogen worden ist. Ven den Provinzen, in welchen die Landgemeinde⸗ ordnung Geltung erlangen soll, findet in Betreff der Schule dieses Gesetz keine Anwendung für die Sozietätsschulen in Posen, Schlesien,

der Vorlage dürfe nicht überstürzt werden. Am Montag könne sie

Pommern, Brandenburg und Sachsen, es findet aber An⸗