1891 / 93 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 20 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Abg. Paver: Er fürchte, daß die Annahme des Antrages Gutfleisch den Arbeiterinnen nicht zum Vortbeil, sondern eher zum Nachtheil gereichen werde, weil die Frauen entweder für die ihnen am Mittag zugegebene halbstündige Pause am Abend die gleiche Zeit nach⸗ exerzieren oder eine entsprechende Einbuße am Lohn erleiden müßten. Zugleich werde durch diese Pause der Verheiratheten eine solche Störung des ganzen Betriebes eintreten, daß man sie überhaupt möglichst wenig anstellen werde; diese Nachtheile seien so groß, daß seine Partei es fuͤr besser halte, zu ihrer Vermeidung auf ie mit dem Antrage Gutfleisch verbundenen geringen Vortheile zu verzichten. Durch die Zurückziehung des Antrages Schädler werde er sich nicht zu einem gleichen Verhalten verführen lassen, im Gegentheil werde er ihn nun erst recht aufrecht erhalten, damit Diejenigen ihre Gesinnung bethätigen könnten, welche, ohne auf dem Boden des sozialdemokratischen Antrages zu stehen, doch einen elfstündigen Arbeitstag für Frauen nicht aufrecht erbalten wollten. Ueber das Ziel, das seine Partei anstrebe, sei sie, wenn er den Staats⸗ Minister richtig verstanden habe, mit der Regierung einverstanden, eine Differenz bestehe nur hinsichtlich des Tempos, in dem der zehn⸗ stündige Frauenarbeitstag erreicht werden solle. Seine Partei er⸗ kenne die Bedeutung des vorliegenden Materials an, tbeile aber die daran geknüpften Befürchtungen der Regierung nicht. Auf die per⸗ sönlichen Erfahrungen mehrerer hervorragender Mitglieder ihrer ven gestützt, glaubten die Mitglieder der Volkspartei den berechtigten Inter⸗ ssen der Industrie und der Arbeitgeber mit ihrem Antrage nicht ent⸗ egen zu treten; ein mathematischer Beweis könne weder für ibre Ansicht, noch für die der Regierung beigebracht werden, der einzige Nachweis liege im Versuch, und den glaubten sie wagen zu dürfen. Er wolle wie der Abg. Dr. Schädler der Hausfrau die für die Besorgung der Arbeit nothwendige Zeit gewähren, aber auch den Nichtverheiratheten, welche einst Hausfrauen werden könnten und wollten, die Möglichkeit geben, sich auf diesen Beruf vorzubereiten. Bei der jetzigen bis zur Erschöpfung ausgedehnten Arbeitszeit sei aber eine Uebung in den häuslichen Arbeiten durchaus unmöglich. Die Annahme des Antrages seiner Partei werde der Industrie Opfer auferlegen; aber da, wie der Staats⸗. linister selbst zugegeben habe, nirgends ein größeres Unrecht eden sei, als auf dem Ge⸗ biete der Ausnutzung der Frau in der Industrie, und da der Vortheil dieses alten Unrechts der Industrie ju C gekommen sei, so werde sie die mit der Beseitigung des Unrechts ve undenen Schäden auf ch nehmen müssen. Seine Partei maßen abgeschreckt durch die Erklärung des Staats⸗Ministers, mahme ihres An⸗ trages die ganze Vorlage gefährden würde, 2 age sei ihm dadurch nicht gemacht, denn so lange es si Gefährdung handele, liege noch die Möglichkeit vor, daß Regierung den gefaßten Beschluß nochmals prüfe, end er sei ük ugt, diese Prüfung werde nicht zum Scheitern des Geseszes fübren.

Geheimer Regierungs⸗Rath Dr. Kön Payper, daß Differenzen zwischen ihm und des Tempos der Herbeiführung des 5 beständen. Aber einen so beschleuntg chritt, wie habe auch die Schweiz nicht vorgenommen, sondern jetzt bestehende abgekürzte Arbeitszeit nur im Lau eingeführt. Die deutsche Regierung könne ni venn sie nicht die Industrie im Ko u sehr schwächen wolle. Es handel urrenz mit Oesterreich, Frankreich, En allen diesen Ländern hätten die 8 Arbeitstag, außer in England, körperliche Entwickelung der Arbeiterinnen nie Deutschland, sodaß sie in der kurzen Arbeitszei als die deutschen Fabrikarbeiterinnen. Der Zunahme der Fabrikarbeiterinnen bingewiesen zum Theil daraus, daß jetzt viele Beschäf industrieller Natur gewesen, in i sei die prozentuale Zunahme als die der Fabrikarbeiter. In Vermehrung der Zahl der Fabrik konstatiren. Die Erklärung der Worte als ob nach Annahme des Antrages Pave noch einmal prüfen wolle, sei nicht richtig; dieses Antrages würde das Gesetz wirklich ge den Antrag Gutfleisch anlange, den die Regierer bekämpft habe, so hätten erneute 1 eugung gebracht, daß seine Annahme keine ür die Industrie im Gefolge haben würde, 4 mehr gegen diesen Antrag nichts mehr einzuwenden Behandlung der Wöchnerinnen anlange, so dürf mission vorgeschlagene Schonung allen begri

Abg. Freiherr von Münch tritt für empfiehlt außerdem für den Fall der Annahme Antrages Betreffs der Wöchnerinnen folgenden des von der Arbeiterin beigebrachten Zeugnifse nesung darf sie nach drei Wochen wieder bes das Kind todtgeboren war oder gestorben ist.“ Abg. Bebel: Die Hülflosigkeit der F

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im gesellschaftlichen und Familienleben, dann

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8 schaff nheit machten es nothwendig, dafür zu Körper durch zu große Arbeit geschädigt werde. mal der ganzen industriellen Verhältnisse, arbeit immer größere Dimensionen annehme. darin seinen Grund, daß Spinnen, Weben, ziehen u. dgl. Großgewerbe geworden seien darin, daß die Technik von Jahr zu J und immer mehr an die Stelle gelernten kräfte ungelernte treten könnten. biete di arbeit noch besondere Vortheile für n Unternehmer, die Frauen unendlich mehr bieten ließen als die Männer verschiedensten Wünschen gegenüber viel nachgiebi ihre Ansprüche auf Lohn weit geringer seien als die der Männer. D. Geheime Regierungs⸗Rath Dr. Königs habe die Zunahme der weib⸗ lichen Arbeitskräfte in Abrede gestellt unter Berufung auf Aeußerun⸗ gen von Fabrikinspektoren; diesen ständen aber zahlreiche Aeußerungen anderer Fabrikinspektoren gegenüber, die das Gegentheil besagten. Nach dem einstimmigen Zeugniß aller Fabrikinspektoren sei von Jahr zu Jahr die Zahl der Arbeiterinnen in der Textilindustrie größer geworden, sodaß sie die der Männer schon bedeutend überrage. Aehnlich lägen die Dinge in der Cigarrenfabrikation, in den Porzellan⸗ fabriken, in der Metallbearbeitung, besonders in der Anfertigung von Kochgeschirren, in der Industrie der Steine und Erden und in der Hüttenindustrie. Ein solches Ueberhandnehmen der Frauenarbeit werde nothwendiger Weise Einfluß üben auf das ganze soziale und Familienleben. Die Schonung der Fücntn vor Ueberanstrengung in den Betrieben sei aber esonders nothwendig, weil auf der Gesundheit und Kraft der Frau eine gesunde Fortentwickelung der Nation beruhe. Die Sta⸗ tistik beweise, daß die Zahl der Militärdiensttauglichen in den großen Industriecentren stetig zurückgehe. In dem Maße, wie die Groß⸗ industrie immer mehr um sich greife und auf das Land hinaus⸗ getragen werde, in demselben Maße bestehe die Gefahr, daß die Degeneration der Nation immer mehr zunehme und die Quellen der militärischen Vertheidigung des Landes versiegten. Es sei durchaus nothwendig, daß das Gesetz ausreichende Mittel an die Hand gebe, um diesem Uebelstande entgegenzutreten. Welche große Wirkung diese industrielle Arbeit der Frauen habe, zeige z. B. auch die Statistik der Sterblichkeit der Kinder unter einem Jahre. In Industrie⸗ bezirken habe sie für das Jahr 1885 in Sachsen 30, 40 ja sogar 50 %, betragen, während die Sterblichkeit des gesammten Landes nur 28,5 % ausgemacht habe. Diesen Zuständen müsse Einhalt geboten werden. Er verwahre sich aber entschieden dagegen, daß Maßnahmen getroffen würden, die darauf hinausgingen, die Frauen aus Nageabenenh. und den Gewerben überhaupt zu entfernen. Das sei eine Unmöglichkeit. Man würde dadurch nach dem ganzen bisberigen Entwickelungsprozeß Katastrophen über Tausende und Hunderttausende von Familien herbei⸗

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führen, wofür Niemand die Verantwortung übernehmen könne. Nun

entstehe die Frage: Kann die Frauenarbeit eingeschränkt werden in dem Maße, wie seine Partei es beantrage? Er betone, daß die Schweizer Gesetzgebung Nacht⸗ und Sonntagsarbeit der Frauen unter keinen Umständen zulasse. Insofern gehe also die Schweiz erheblich weiter, als man es jetzt hier wolle. Daß ein finanzieller Ausfall für die Frauen, den sie kaum zu ertragen vermöchten, durch die Herabsetzung der Arbeitszeit von 12 auf 10 Stunden eintrete, bestreite er ganz entschieden. Der Abg. Dr. Barth habe gestern ausgeführt, daß eine Verkürzung der Arbeitszeit in Verbindung mit einer Erhöhung der Löhne eine Vertheuerung der Produktion und Konkurrenzunfähig⸗ keit der Nation oder eine erhebliche Einschränkung des Ver⸗ brauchs nothwendig zur Folge habe. Nun sei z. B. in der Textilindustrie des Rheinlandes die Arbeitszeit ver hältnißmäßig die kürzeste und der Lohn der höchste, in der Schlesiens die Arbeitszeit die längste und in Folge der starken Heranziehung der Seg. der Lohn am Niedrigsten, die Differenz des Lohnes betrase nahezu 50 %. Wäre die Behauptung des Abg. Dr. Barth richtig, so müßten doch die rheinischen Industriellen mit den schlesischen überhaupt nicht kon⸗ kurriren können. Sie konkurrirten aber doch und zwar namentlich, weil der rheinische Arbeiter von kräftigerer Natur und größerer In⸗ telligenz sei. In der schlesischen Montanindustrie seien 15 000 Frauen beschäftigt, in der rheinischen fast gar keine. Auch bei der Nachtarbeit seien in Schlesien die Frauen mit 40 % betheiligt, im Rheinlande gar nicht, und wären die Löhne für die Konkurrenz einer Industrie maß⸗ gebend, so müßte die schlesische Montanindustrie die gesammte Montan⸗ industrie Deutschlands aus dem Felde schlagen. Wenn man aber frage, wer die besten Montanprodukte liefere und auf diesem Gebiete am Konkurrenzfähigsten sei, so sei es nicht Schlesien, sondern das Rhbein⸗ land. Für Drechslergesellen sei der Lohn heute um 50 % höher als in den sechziger Jahren, die Arbeitszeit aber um 10 % niedriger und doch seien die Drechslerprodukte erheblich billiger geworden. Es kämen eben noch andere Faktoren in Frage, durch die diese Dinge vollständig ausgeglichen würden. Im Zeitungsgewerbe seien die Löhne der Schriftsetzer in 20 Jahren um 40 % gestiegen, die Arbeitszeit habe 10 15 % abgenommen und die Zeitungen seien billiger geworden: die Massenproduktion habe das möglich gemacht. Ebenso würde sich die Lage der Frauen bessern, wenn man mit der Herabsetzung der Ar⸗ beitszeit nur einmal den Anfang und die Probe machen wollte, Die „Kölnische Zeitung“ habe im vorigen Jahre eine Mittheilung eines Fabrikanten aus dem Wupperthale erhalten, der einfach erklärt habe, es unterliege gar keinem Zweifel, daß mit einer zehneinhalb⸗ stündigen Arbeitszeit das Maximum der Leistungsfähigkeit der Arbeiter erreicht sei. Als im Jahre 1888 in Oesterreich die elfstündige Arbeitszeit auch für die Textilindustrie eingeführt worden sei, habe eine große Spinnerei in der Nähe von Eger den Versuch mit einer zehnstündigen gemacht, und das Resultat sei gewesen, daß der wöchentliche Lohn um 25 Kreuzer für die Woche und dementsprechend die Produktion sich gesteigert habe. Dieselbe Er⸗ fahrung habe man in der Schweiz gemacht. Selbst der Geheime Re⸗ gierungs⸗Rath Dr. Königs erwähne eine Spinnerei in der Schweiz, in welcher es infolge der technischen Einrichtungen kein Arbeiter länger als zehn Stunden aushalten könne. Gerade in den Industrien, welche auf dem Weltmarkt in Frage kämen, könne kein Uaternehmer mehr seine Maschinen so abschreiben wie früher, weil dieserben, ehe sie abge⸗ ieben seien, schon wieder verbessert seien. Aus allen diesen Gründen mehr als zehn Stunden Arbeits⸗

ehnstündige Arbeitszeit bereits seit

eingeführt, als in Deutschland

Fabrikgesetzgebung gedacht habe.

Und die ickelu ndustrie habe es dahin gebracht, daß die Arbeitszeit 2 3 3 worden sei und die Frauen in der tilindustrie nur 54 —56 Stunden in der Woche, also etwas über 9 Stunden täglich beschäftigt würden. Wenn die is Endustrie dabei durchkomme und doppelt so hohe Löhne bezahle f Industrie, wenn sie trotzdem den Kampf auf dem Weltm siegreich bestehen könne, brauche Deutschland nicht zu befürchten z seine Industrie durch die Ein⸗ stündi imal itszeit geschädigt werde. Es sei die Produktion verringere; jede Ar⸗ ig noch immer der Jadustrie zum Vortheil und die Produktion gesteigert. Würde wirklich eine stri s- gt, so hätten die Industriellen Mittel genug,

en möglichst rasch auszugleichen. Be⸗

af die Frauen und Mädchen, im

utung, welche sie für die physische und

Nation als Kindergebärerinnen und müsse man ein solches Gesetz schaffen. I des Familien⸗ und sittlichen Lebens seien dem Centrum und den Kon⸗ wirksamen Maß⸗

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nsten Anträge zurück⸗

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gen Maximal nur eine pl P ihren Anträgen ft stimmung dokumentirt wie der Arbeiterschutz verwirkliche.

Abg. Freiherr von Münch ändert seinen Antra der elfstündige Arbeitstag für alle Arbeiterinne gelten soll.

Abg. Möller: Seine Partei habe hier praktische Gründe geltend zu machen gegenüber den prinzipiellen von der Gegenseite. Vom bogienischen Standpunkt allein könnte seine Partei dem beantragten Marimalarbeitstag vollständig zustimmen, denn sie erkenne an, daß es sehr wünschenswerth sei, die übermäßige Arbeitszeit abzukürzen, und man habe zu diesem Ziel auch mit der Vorlage einen großen Schritt gethan. Man habe in diesem Paragraphen drei gewaltige Schritte nach der humanitären Seite gethan. Erstens werde die Nachtarbeit der Frauen verboten, zweitens werde ein Maximal⸗ arbeitstag für die Frauen eingeführt und drittens werde die Schon⸗ zeit der Wöchnerinnen auf 4 bezw. 6 Wochen ausgedehnt. Es handele sich darum, wie weit man auf dieser Bahn vorschreiten könne. Er erkenne dankbar an, daß der Abg. Bebel heute ruhiger und sachlicher diese Materie behandelt habe, als es sonst von seiner Partei zu geschehen pflege, aber er habe eigentlich nicht das bewiesen, was er habe beweisen wollen. Alle Argumente, die der Abg. Bebel für die gesetzliche Fixirung eines zehnstündigen Arbeitstages angeführt habe, sprächen für den elf⸗ stündigen. Es sei doch selbstverständlich, daß eine durch Hunger und Entbehrung herabgekommene Bevölkerung, wie die Weber im Eulen⸗ ebirge, nicht so viel leisten und verdienen könne trotz größerer Arbeflszeit als die Textilarbeiter im Westen. Ueberall, wo die Textilindustrie, Spinnerei und Weberei, neu gegründet werde, habe man mit zwölf⸗ und dreizehnstündiger Arbeitszeit angefangen, und in dem Maße, wie die Leute an Leistungsfähigkeit zunähmen, setze man dann successive die Arbeitszeit herab. In einem großen Theile der mechanischen Webereien des Westens werde nur noch zehn Stunden täglich gearbeitet. So lasse sich diese Forderung auf dem Wege der natürlichen Entwickelung allmählich erfüllen, aber die sofortige Einführung einer solchen Maximalarbeitszeit für ganz Deutschland durch Gesetz sei nicht angängig. Die Bildung großer Städte, die Schaffung industrieller Wasserköpfe sei allerdings nicht förderlich für eine solche natürliche Entwicklung, aber auf dem Lande würden äußerst selten verheirathete Frauen in den Fabriken beschäftigt. Das Verbot der Nachtarbeit der Frauen habe eine einschneidende Wirkun auf das wirthschaftliche Leben. Die Fabriken würden ihren Betrie bedeutend ausdehnen und neue Betriebsanlagen machen müssen, um die bisherige Höhe der Produktion zu erreichen. Da dies in manchen Fällen schwer sein werde, müsse man auch Ausnahmen zulassen. Was der Abg. Ulrich von der Frauenarbeit in den oberschlesischen Bergwerken mitgetheilt habe, erfordere insofern eine Richtigstellung,

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als es sich da nicht um bergmännische Arbeit, sondern um Arbeiten in den Aufbereitungsanstalten handele, die man den Frauen nicht abschneiden sollte, wenn man nicht die Existenz vieler Familien direkt gefährden wolle. Redner schließt sich bezüglich der Anträge den Aeußerungen des Geheimen Regierungs⸗Raths Dr. Königs an und bittet, nur den von dem Abg. Dr. Gutfleisch und ihm gestellten An⸗ trag anzunehmen. 8 1

Abg. Hitze: Nicht die Rücksicht auf den bloßen Wunsch der Regierung und auf die Unternehmer habe seine Partei zur Zurückziehung des Antrages Schädler bewogen, sondern der Umstand, daß die An⸗ nahme dieses Antrages das Zustandekommen der Vorlage nach der Erklärung des Staats⸗Ministers in Frage stellen würde. (Zustimmung im Centrum.) Seine Partei werde nach wie vor Alles thun, um die Arbeiter aufzuklären, auch über ihre falschen Freunde, aber sie müsse Alles ablehnen, was das Zustandekommen der Vorlage gefährde; gerade weil sie die entscheidende Partei sei, müssen sie das thun. Eine Minoritätspartei, die wisse, daß alle ihre Anträge ganz ohne Erfolg seien, brauche solche Rücksicht nicht zu nehmen. Ihr diene diese Vorlage nur als Anlaß, um die Klagen des Arbeiterstandes hier vorzubringen, sie könne sich den Luxus langer Reden und den Luxus ihrer Anträge gestatten. Aber eine Partei, die sich ihrer verantwortlichen Stellung bewußt sei, der es darauf ankomme, daß die Vorlage noch in dieser Session zu Stande komme, müsse es sich doppelt überlegen, ob sie leichtsinniger Weise einen Antrag aufrecht erhalte, von dem die verbundeten Regierungen erklärten, daß durch dessen Annahme das Zustande⸗ kommen der Vorlage gefährdet würde. Seine Partei sei nicht so erpicht darauf, diese Vorlage zu diskreditiren. Sie erkenne dankbar an, daß die verbündeten Regierungen endlich einmal den ernstlichen Ver⸗ such machten, einer Menge von Mißständen auf dem Arbeitergebiete zu steuern und daher nehme sie die Vorlage als im Großen und Ganzen befrie⸗ digend an. Sie nehme auch hier den Sperling in der Hand an, felbst auf die Gefahr, daß sie die Taube auf dem Dache verliere. Man müsse umsomehr besorgt sein, die Vorlage zu gefährden, als große Strömungen gegen sie im Lande vorhanden seien, das wisse der Abg. Bebel sehr gut. Das ganze Zusammenstehen des Reichstages sei nöthig, um diesen Strömungen entgegenzutreten, damit das Gesetz nicht einseitige Mache, sondern der Ausdruck des Volksbewußtseins werde. Nicht die Mitglieder des Centrums, sondern die Sozialdemokraten seien es, welche die Verabschiedung der Vorlage hinzögen; nach ihren Wünschen würde man noch das nächste Jahr hier darüber sitzen. Bei jeder Bestim⸗ mung hätten sie sich vorgesetzt, Mißtrauen zu erregen, das sei ihre Aufgabe, das begreife er vollständig; sie wollten von dieser Wohl⸗ that des Arbeiterschutzes nichts wissen. Seine Partei fordere nicht möglichst Viel, um Wenig zu erreichen, sondern habe sich zu einer Zeit, wo der Arbeiterschutz aussichtslos gewesen sei, mit geringen For⸗ deruagen begnügt; das Centrum hätte nichts erreicht, wenn es so maßlos wie die Sozialdemokraten in seinen Ansprüchen gewesen wäre. Wer mehr für das Gelingen gethan habe, die Soztialdemokraten oder die Centrumspartei, darüber überlasse er das Urtbeil dem deutschen Volke.

Abg. Singer: Der Abg. Hitze habe zwar nicht zum H. 137 gesprochen... (Vize⸗Präsident Graf Ballestrem: Der Vor⸗ redner habe einen Angriff auf ihn und seine Freunde zurückgewiesen. Wenn der Abg. Singer oder einer seiner Freunde einen Angriff zurück⸗ wiesen, dann werde er (Redner) ihn auch nicht unterbrechen.) Der Abg. Hitze habe eine Vorlesung gehalten, die doch etwas deplaeirt gewesen sei. Der Umstand, daß seine (des Redners) Partei in der Minorität sei, entbinde sie nicht von der Verpflichtung, Anträge zu stellen, welche einerseits die heutige Gesellschaftsordnung nicht in Frage stellten, andererseits aber den Namen Arbeiterschutz wirklich verdienten. Man werfe seiner Partei vor, daß sie durch lange Reden die Verabschiedung des Gesetzes aufhalte. Unter der Voraussetzung, daß dieses Gesetz zu Stande komme, halte seine Partei es allerdings für richtiger, sich länger damit zu beschäftigen als die Majorität, welche mit Eile dieses Gesetz aus der Welt schaffen wolle. Die Partei des Vorredners sei aber auch sonst am Wenigsten berech⸗ tigt, den Vorwurf zu erheben, daß die Sozialdemokraten durch lange Reden die Verabschiedung des Gesetzes hinderten. Man denke nur an den Kulturkampf und die Reden der Herren vom Centrum, welche mit nie versagender Ausdauer und bewundernswürdiger Zäbigkeit immer und immer wieder die Schäden des Kulturkampfes dargelegt hätten. Wer aber diese Vergangenheit habe, sollte andere Parteien nicht mit Vorwürfen überhäufen. Wenn das Centrum behaupte, es sei besonders tolerant gegen die Sozialdemokraten, so glaubten diese das einfach nicht; wenn man der Beschlußfähigkeit sicher wäre, würde man schon durch Schlußanträge die Sozialdemokraten mund⸗ todt machen. Charakteristisch sei, daß man ihnen den Vorwurf machen könne, sie stellten hohe Forderungen, um sehr wenig zu er⸗ reichen. Der Abg. Hitze sei sich seiner Verantwortung als Mitglied einer entscheidenden Fraktion bewußt. Müsse diese Verantwortung aber zu den Vorgängen führen, wie sie im Centrum täglich zur Er⸗ cheinung kämen? Vor zwei Jahren hätten die Herren vom Centrum en 8 ag auf Annahme eines elfstündigen Normalarbeitstages estellt; heute, wo größer

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t ihre Macht noch viel er sei, ihre Stellung eine viel günstigere, da träten sie von diesem Stand⸗ punkt zurück! Benutze eine große Partei ihre Machtstellung dazu, iore Anträge nicht wieder aufzunehmen, aus Furcht, daß sie angenommen werden könnten, so sei das kein Beweis für die Festigkeit der Ueber⸗ zeugung und dafür, daß man die Konsequenzen der gestellten Anträge wirklich wolle. Auch bei dem Centrum schienen Rücksichten auf den Unternehmer nicht ganz ausgeschlossen zu sein. Im Fabrikinspektions⸗ bericht von Baden werde ausdrücklich erwähnt, daß das Entgegen⸗ kommen katholischer Geistlicher gegen ungerechtfertigte Anforderungen der Fabrikanten so weit gehe, daß sie die Messe schon um 4 Uhr Morgens läsen an gewissen katholischen Feiertagen, sodaß die ver⸗ heiratheten Frauen in den betreffenden Betrieben dann bis spät Abends beiten müßten. aeb deh ne Gutfleisch: Er würde für den zehnstündigen Normal⸗ arbeitstag stimmen, wenn Aussicht auf das Zustandekommen des Ge⸗ setzes dann noch bliebe, müsse aber in Uebereinstimmung mit dem Abg. Hitze glauben, daß man mit solchem Beschluß den dem Gesetze seindlichen Tendenzen im Lande nur Vorschub leisten würde. Die Verzögerung der Berathung wäre vielleicht keine bloße Verzögerung, sondern sie könnte das ganze Gesetz auf unabsehbare Zeit vereiteln. Aber Derjenige sei der bessere Arbeiterfreund, der einen wenn auch mäßigen Arbeiterschutz jetzt schon gewähren wolle, als Derjenige, der unabsehbare Hoffnungen errege, aber ihre Verwirklichung auf unab⸗ sehbare Zeit verzögere. (Beifall links.) b Abg. Hitze: Er habe nicht gesagt, daß die Sozialdemokraten ihre Anträge stellten, weil sie wüßten, daß sie nicht angenommen würden, sondern er habe gesagt, die Sozialdemokraten dürften wohl Anträge stellen, durch deren Annahme das Gesetz der Regierung unannehmbar werde, weil diese Anträge ohnehin nicht angenommen würden, eine Mehrheitspartei aber dürfe das nicht. Gewiß habe das Centrum seine Angelegenheiten und Klagen stets im Reichstage vorge⸗ bracht, das dürfe das Centrum auch, aber die Sozialdemokraten dürften darüber die Annahme eines Gesetzentwurfs nicht verzögern. Seine Partei wolle das Gesetz nicht aus der Welt, sondern in die Welt schaffen. Was den Vorwurf betreffe, daß die badischen Arbeiterinnen von den Geistlichen angehalten würden, früh zur Messe

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zu kommen, so verstehe er nicht, wie daraus den Geistlichen ein Vor⸗

wurf gemacht werden könne.

Abg. Bebel: Der Abg. Singer habe keinen Vorwurf gegen die badischen Geistlichen erhoben, sondern er habe darauf hingewiesen, daß dort die Arbeiterinnen, nachdem sie früh Morgens zur Messe gegangen seien, eine zwölfstündige Arbeitszeit leisten müßten. Er weise zur Kennzeichnung des Verhaltens der Centrumspartei auf die Thatsache hin, daß 1887 das Centrum und die Nationalliberalen einstimmig ein Arbeiterschutzgeset angenommen hätten mit dem elfstündigen Normalarbeitstage und mit einer Bestimmung, entsprechend dem Antrage Schädler. Damals habe man dieselbe Einwendung emacht, wie heute, das Centrum sei fest geblieben. Die Regierung habe die Sache nicht angenommen. Heute, wo die Aussicht dafür, daß etwas

zu Stande komme, größer geworden sei, trete das Centrum von jenem

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für den elfstündigen Normalarbeitstag und

Sttandpunkt zurück. Er müsse also sagen, 9 das Centrum damals V ür die zehn Stunden für die verheiratheten Frauen nur gestimmt habe, weil es gewußt habe,

es würde Beides von der Regierung nicht angenommen werden.

„Abg. Hitze: Der elfstündige Normalarbeitstag sei nie vom Reichstage angenommen worden. Man wisse heute, daß er weder vom Reichstage noch von der Regierung angenommen werden würde, was Damals habe das Centrum also keine an sich brauchbare Vorlage gefährdet, was es heute mit Auf⸗ Den letzten Vorwurf des Abg.

man damals nicht gewußt habe. rechterhaltung seines Antrages thäte.

Bebel müsse er entschieden zurückweisen. In der Abstimmung wird

Berathung um 4 ½ Uhr auf Montag 12 Uhr vertagt.

§. 137 mit dem Antrage Gut⸗ fleisch Möller unter Ablehnung aller übrigen Amendements einstimmig angenommen, ebenso ohne Debatte eine Reso⸗ lution, welche von der Kommission vorgeschlagen ist und die verbündeten Regierungen auffordert, gemäß dem Beschluß, die Ruhezeit für Wöchnerinnen von drei auf vier Wochen zu erhöhen, auch das Krankenkassengesetz entsprechend zu ändern.

Nachdem noch §. 138, der für die beabsichtigte Beschäf⸗ tigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern die schriftliche Anzeige bei der Polizeibehörde vorschreibt, ohne Debatte unverändert angenommen, wird die Fortsetzung der

Parlamentarische Nachrichten.

8 Dem Reichstage sind von den Abgg. Graf zu Stol⸗ berg⸗Wernigerode und Hultzsch folgende Abänderungs⸗ Anträge zur zweiten Berathung des Entwurfs eines Gesetzes,

die Besteuerung des Zuckers betreffend, zugegangen:

Der Reichstag wolle beschließen: die Regierungsvorlage mit folgenden Aenderungen anzunehmen: 1) §. 7 Absatz 1 das Eingeklam⸗ merte zu streichen. 2) In §. 8 Absatz 2 (Litt. A. im Eingange) statt der Worte: „vorbehaltlich der für einzelne bereits seit dem 1. August 1888. bestehende Fabriken bisher zugelassenen und ferner zulässigen Ausnabmen“, „Ausnahmen für bereits seit dem 1. August 1888 be⸗ stehende Fabriken, vorbehaltlich“. 3) §. 8 Aa zu streichen und den Ausführungsbestimmungen vorzubehalten, dementsprechend den Buch⸗ Absatz 1 das Wort erfor⸗ erforderliche“. Folgendes

Abfer⸗ tigung. § 40 a. Antliche Abfertigungen an ordentlicher Amts⸗ stelle in den Fabriken oder in den auf den Fabrikgrundstücken be⸗ legenen Privatniederlagen erfolgen kostenfrei, insofern dieselben an Wochentagen innerhalb der regelmäßigen Abfertigungszeit stattfinden. Inwieweit und in welcher Höhe für sonstige Amtshandlungen Ge⸗ werden dürfen, Absatz 2 1 u Aufnahme des Bestandes an fertigem Zucker in den Zuckerfabriken anordnen, wenn der dringende Verdacht heimlicher Wegbringung von Zucker in erheblichen Mengen besteht. 8) Die folgende Resolution anzu⸗ nehmen: Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, bei den Aus⸗ führungsbestimmungen, insbesondere bei Feststellung der Muster für die Anschreibungen nach § 31, Sachverständige aus der Zuckerindustrie

zu setzen:

b zu streichen. 4) §. 33 1 zu ersetzen durch eim Steuerinteress

33 Absatz 4 zu streichen. 6) Nach §. 40. einzuschalten: IV. Gebührenerhebung für steuerliche

bühren oder Verwaltungskostenbeiträge bestimmt der Bundesrath. 7) Zu hinzuzufügen: Die

erhoben 64 6818 Hauptamts⸗Dirigenten können

zu hören. Außerdem haben dieselben Abgeordneten beantragt:

1JEREZEiie 1 stttsetzen: 18 ℳ. S 6 (u Dauer einer Uebergangsperiode vom 1. August 1892 bis 1 werden für ausgeführten oder in eine öffentliche Niederlage oder eine Privatniederlage unter amtlichem Mit⸗ verschluß aufgenommenen Zucker der im §. 66 Absatz 1 unter a, b und c bezeichneten Arten, wenn die abgefertigte Zuckermenge mindestens 500 kg eträgt und soweit nicht der Zacker die im §. 66 vorgesehene Material⸗ euervergütung erhält, Zuschüsse aus dem Ertrage der Zuckersteuer ge⸗ währt. Die Zuschüsse betragen: 1) für Zucker, welcher während der 4 Jahre vom 1. August 1892 bis 31. Juli 1896 zur Abfertigung gestellt worden ist, in Klasse a 1,50 ℳ, in Klasse b 2,25 ℳ, in Klasse c 1,90 ℳ, 2) für Zucker, welcher während der 4 Jahre vom 1. August

§. 67 in folgender Fassung anzunehmen:

31. Juli 1900

1896 bis 31. Juli 1900 zur Abfertigung gestellt worden ist, in

Klasse a 1 ℳ, in Klasse b 1,75 ℳ, in Klasse c 1,40

auf 100 kg. Wird Zucker aus der Niederlage in den freien Verkehr oder in eine Zuckerfabrik entnommen, so ist der darauf gewährte Zu⸗ schuß zurückzuzahlen. Der niedergelegte Zucker haftet der Steuer⸗ behörde ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter für den Betrag des gewährten Zuschusses.

Amtliches Wahlresultat: Bei der am 15. d. M. stattgehabten Reichstags⸗Ersatzwahl im 19. Wahlkreise der Provinz Hannover wurden im Ganzen 17 510 Stimmen abgegeben. (Zahl der Wahlberechtigten 31 052.) Von den Stimmen waren 85 ungültig, es erhielt Fürst von Bismarck 7365, Schmalfeld 3810, Adloff 2576 und von Plate 3308 Stimmen; 6 Stimmen zersplitterten sich. Es hat somit eine Stichwahl zwischen dem Fürsten Bismarck und Schmalfeld stattzufinden. Der Termin für die Stichwahl

ist auf den 30. April festgesetzt.

Auf der Tagesordnung für die 12. Plenarsitzung des Herrenhauses am Donnerstag, den 23. April stehen: 1) Einmalige Schlußberathung über den Gesetzentwurf wegen Abänderung des Gesetzes, betreffend die Bildung von Wasser⸗ genossenschaften vom 1. April 1879 für das Gebiet der Wupper und ihrer Nebenflüsse. Berichterstatter: Herr ꝛc. Lindemann. 2) Einmalige Schlußberathung über

den Entwurf eines Gesetzes, betreffend den Rechts⸗ zustand vom Herzogthum Sachsen⸗Meiningen an Preußen abgetretener Gebietstheile im Kreise Weißenfels, sowie die Abtretung preußischer Gebietstheile an Sachsen⸗ Meiningen; Berichterstatter: Herr ꝛc. Dr. Dernburg. 3) Mündlicher Bericht der Justiz⸗Kommission über den Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Abänderung von Amtsgerichtsbezirken; Berichterstatter: Herr ꝛc. von Gerlach. 4) Münd⸗ licher Bericht der Petitions⸗Kommission über die Petition Nr. 1 des ꝛc. Mostert zu Siegburg⸗Mülldorf und Genossen, über die Petition Nr. 37 der Kreistags⸗ Kommission des Kreises Höxter, über die Petition Nr. 112 des Dg. Erkelenz in Köln und Genossen und über die Petition Nr. 51 der Verwaltungssekretäre in Rheinland und Westfalen; Berichterstatter: Herr ꝛc. Freiherr von Wendt und Herr ꝛc. Graf von Klinckowstroem. 5) Einmalige Schluß⸗ berathung über den Gesetzentwurf, betreffend die Heranziehung der Fabriken u. s. w. mit Vorausleistungen für den Wegebau in der Provinz Schleswig⸗Holstein mit Ausnahme des Kreises Herzogthum Lauenburg; Berichterstatter: Herr ꝛc. Fuß.

Im 3. Stader Regierungsbezirk Neuhaus a. d. Oste⸗ Hadeln ist an Stelle des Pastors emerit. Pfaff, welcher sein Mandat niedergelegt hat, Hofbesitzer Johann Hottendorf in Osterende⸗Otterndorf i mit 121 gegen 28 Stimmen, welche der Amtsrichter Bacmeister⸗Otterndorf (nat.⸗lib.) er⸗ halten hat, zum Mitgliede des Hauses der Abgeordneten gewählt worden. 8 .

Bescheide und Beschlüsse des Reichs⸗Versicherungsamts, Abtheilung für Invaliditäts⸗ und Altersversicherung.

12) Das Reichs⸗Versicherungsamt hat sich auf wiederholte An⸗ fragen unter dem 14. Februar 1891 dahin ausgesprochen, daß die im §. 140 des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungs⸗ gesetzes vorgeschriebene Gebühren⸗ und Stempelfreibeit aller zur Begründung und Abwickelung der Rechtsverhältnisse zwischen den Versicherungsanstalten einerseits und den Arbeitgebern oder Versicherten andererseits erforderlichen Verhandlungen und Urkunden auch auf die pfarramtlichen und standesamtlichen Urkunden Anwendung zu finden hat (vergleiche den zu §. 102 des Unfallversicherungsgesetzes erlassenen entsprechenden Bescheid 121, „Amtliche Nachrichten des R.⸗V⸗A.“ 1886 Seite 12).

13) In Folge der Anfrage einer Landes⸗Centralbehörde, betreffend die Versicherungspflicht der bei den Civilbehörden probeweise be⸗ schäftigten Militärpersonen, hat sich das Reichs⸗Versicherungsamt bezüglich dieses Gegenstandes mit dem Königlich preußischen Kriegs⸗ Ministerium in Verbindung gesetzt. Von diesem ist eine Mittheilung folgenden Inhalts eingegangen: „Nach § 4 des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes vom 22. Jun 1889 unterliegen Personen des Soldatenstandes, welche dienstlich als Arbeiter beschäftigt werden, der Versicherungspflicht nicht. Hieraus muß geschlossen werden, daß dieselben, wenn sie außerdienstlich eine dem §. 1 des Gesetzes entsprechende Beschäftigung übernommen haben, versicherungspflichtig sind. Nach diesseitiger Ansicht unterliegen hier⸗ nach auch beurlaubte Personen des Soldatenstandes, mögen dieselben zur Civilversorgung berechtigte Militäranwärter sein oder nicht, der Versicherungspflicht, wenn sie unter der gegebenen Voraussetzung bei einer Civilperson oder probeweise bei einer Civilbehörde, also nicht militär⸗ dienstlich, beschäftigt werden.“ Vorstehender Auffassung hat das Reichs⸗ Versicherungsamt, vorbebaltlich einer instanziellen Entscheidung im ein⸗ zelnen Falle, beigepflichtet und eine dementsprechende Rückäußerung unter dem 12. März 1891 an die anfragende Landes⸗Centralbehörde gelangen lassen.

14) Aus Anlaß mehrerer Anfragen hat das Reichs⸗Versicherungs⸗ amt der unter Nr. XVIII der Anleitung, betreffend den Kreis der nach dem Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetz versicherten Per⸗ sonen, vom 31. Oktober 1890 („Amtliche Nachrichten des R.⸗V.⸗A.“ J. u. A. V. 1891 Seite 4) dargelegten Auffassung, wonach im All⸗ gemeinen der Gutsberr, nicht der Gutstagelöhner (Instmann, Kathen⸗ mann, Freimann ꝛc.) als Arbeitgeber des auf dem Gute thätigen Hof⸗ gängers, Scharwerkers ꝛc. anzusehen ist, unter dem 10. Februar 1891 wiederholt Ausdruck gegeben und dabei insbesondere noch Folgendes ausgeführt: Hat auch bei rein privatrechtlicher Beurtheilung des Dienstverhältnisses des Hofgängers in der Regel der Instmann als Dienstherr desselben zu gelten, und findet deshalb bei⸗ spielsweise auch das preußische Gesetz über die Verletzung der Dienstpflichten des Gesindes ꝛc. vom 24. April 1854 auf die Beziehungen des Gutsherrn zu dem Hofgänger im Allgemeinen keine Anwendung, so sprechen doch vom wirthschaftlichen Standpunkt überwiegende Gründe dafür, den Gutsherrn und nicht den Instmann als den zur Entrichtung der Invaliditäts⸗ und Altersversicherungs⸗ beiträge verpflichteten Arbeitgeber des auf dem Gute thätigen und hierfuͤr gelöhnten ee anzusehen; denn für den Guts⸗ berrn wird die Arbeit verrichtet und für seine Rechnung findet die Löhnung des Hofgangers statt. Dieser Auffassung steht auch die vielfach übliche Art der Lohnregulirung nicht entgegen, nach welcher der für die Arbeit des Hofgängers von dem Gutsherrn entrichtete Lohn nicht dem Hofgänger selbst, sondern dem Instmann gezahlt wird, der dann seinerseits mit Jenem abrechnet oder den Lohn, wie dies bei den als Scharwerkern beschäftigten Haus⸗ kindern meist der Fall sein wird, in den gemeinschaftlichen Haushalt verwendet. Denn es wird durch dieses Verfahren weder dem Guts⸗ herrn die Möglichkeit genommen, bei Aushändigung des Lohnes an den Instmann den im §. 109 Absatz 3 des Invaliditäts⸗ und EEEE11e vorgesehenen Abzug zu machen, noch auch kann das Dazwischentreten des Instmanns den Gutsberrn von der ihm nach §. 100 a. a. O. obliegenden Verpflichtung zur Beitragsleistung für den von ihm beschäftigten und gelöhnten Hof⸗ gänger befreien. Daß die als Hofgänger beschäftigten Hauskinder von dem Instmann als Entgelt für die diesem selbst geleistete Arbeit meist nur freien Unterhalt beziehen, und ihre Beschäftigung insoweit gemäß §. 3 Absatz 2. a. a. O. die Versicherungspflicht nicht begründet, ist für die Beurtheilung der für den Gutsherrn verrichteten Arbeiten ohne Belang.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

In Bezug auf §. 1123 I. 11 des Preuß. Allg. L.⸗R.: „Der Geschenkgeber selbst kann, wenn er in Dürftigkeit gerathen ist, von dem Beschenkten 6 % der geschenkten Summe, oder dem Werthe der geschenkten Sache, als eine Kompetenz, jährlich fordern“ hat das Reichsgericht, IV. Civilsenat, durch Ur⸗ theil vom 9. Oktober 1890, ausgesprochen, daß die Pflicht zur Rentenzahlung nicht mit dem Tage der Aufforderung des bedürftigen Geschenkgebers an den Beschenkten, sondern erst mit dem Tage der Klagezustellung auf Zahlung der Rente beginnt. Macht der Geschenknehmer von der durch §. 1126 6 6 sbmn eingeräumten Befugniß, anstatt der Rente den Werth der geschenkten Sache an den Geschenkgeber berauszugeben später Ge⸗ brauch, so befreit ihn dies nicht für die Verga ngenheit von der Rentenzahlungspflicht.

Die Bestimmungen der §§. 134 139 b der Reichs⸗Gewerbe⸗ ordnung über die Verhältnisse der Fabrikarbeiter (jugendliche Arbeiter) finden nach §. 154 Absatz 2 der Gewerbeordnung auf Arbeitgeber und Arbeiter in Werkstätten, in deren Betrieb eine regelmäßige Be⸗ nutzung von Dampfkraft stattfindet, Anwendung. In Bezug auf diese Vorschrift hat das Reichsgericht, II. Strafsenat, durch Urtheil vom 10. Februar 1891, ausgesprochen, daß Werkstätten, in deren Betrieb eine regelmäßige Benutzung von Gasmotoren stattfindet, in den Bereich des §. 154 Absatz 2 der Gewerbeordnung nicht fallen.

Statistik und Volkswirthschaft.

Die deutschen Großstädte nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1890. Die Zahl der deutschen Großstädte, d. h. derjenigen Städte, welche eine ortsanwesende Bevölkerung von mehr als 100 000 Per⸗ sonen aufweisen, ist nach dem vorläufigen Ergebniß der letzten Volks⸗ zählung, wie es kürzlich im Februarhefte der „Monatsbhefte zur Statistik des Deutschen Reichs“ mitgetheilt wurde, im Jahrfünft 1885/90 von 21 auf 26 gestiegen. Von den fünf neuen Großstädten sind vier (Stettin, dresgd. Aachen und Halle a./Saale) zum König⸗ reich Preußen und eine (Braunschweig) zum Herzogthum Braunschweig gehörig. Die Gesammtbevölkerung dieser 26 Großstädte, welche sich nach ihrem jetzigen Umfange im Jahre 1885 auf 5 145 890 Köpfe belief, ist im Laufe der letzten Zählungsperiode auf 5 993 890 Per⸗ sonen, mithin absolut um 848 000 und aufs Tausend ihrer früheren Bevölkerung um 164,8 angewachsen Bei dieser Berechnung der Zunahme ist diejenige Vermehrung der Bevölkerung nicht in Be⸗ tracht gezogen worden, welche bei einzelnen Städten durch Einver⸗ leibung benachbarter Ortschaften herbeigeführt worden ist. Die auf solche Weise bewirkte Zunahme ist durchaus nicht unbeträchtlich, wie folgende Angaben erweisen. Es erfuhren eine Gebietsveränderung während der Jahre 1885 90 und damit eine Zunahme der Be⸗ völkerung: Köln um 78 036, Magdeburg um 45 229, Altona um 21 589, Elberfeld um 2719, München um 18 392, Leipzig um

Die nachstehende Uebersicht enthält die deutschen Großstädte,

geordnet nach der vorläufig festgestellten Bevölkerung am 1. Dezember

1890 sowie die absolute und durchschnittliche jährliche Zunahme inner⸗

halb der letzten Zählungsperiode mit Ausschluß der durch Einver⸗

leibung anderer Orte hinzugekommenen Bevölkerungszahlen. Es betrug 8 ie

ortsanwesende Bevölkerung bic am durchschnittli

1. Dezember überhaupt jährlich 8 1890 Prozent

1 579 244 263 957 3,65

348 317 32

335 174

323 739 293 525 281 273 276 085 202 325 179 850 165 499 161 528 144 682 143 249 142 403 139 659 138 955 28 138 125 830 16 612 125 511 7 116 123 545 11 558 120 459 5 654 116 248 13 180 116 239 16 696 105 371 15 135 11““ 103 491 7 766 Halle a. Saale. 101 401 19 419 Braunschweig. 100 288 15 114 3,26 Von den vorstehend aufgeführten Städten ist die Bevölkerung Magdeburgs mit einer durchschnittlichen jährlichen Zunahme von 4,73 % verhältnißmäßig am stärksten, diejenige Danzigs mit 0,96 % relativ am wenigsten gewachsen. Die 25 Städte von mehr als 100 000 Einwohnern außer Berlin nahmen insgesammt durchschnitt⸗ lich jährlich um 2,83 %, die Reichshauptstadt dagegen um 3,65 % zu. Von der Gesammtbevölkerung des Deutschen Reichs machen die 5 993 890 Großstadtbewohner nahezu ein Achtel (genauer 12,13 %) aus.

ie Zunahme

Berlin. 1

München. 1111“

Breslau.

Hamburg (Stadt und Vorstädte) ..

Leipzig

Dresden..

Magdeburg.

Frankfurt a. M.

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Altona 3

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Stuttgart.

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Industrie⸗Ausstellung in Berlin.

Der Ausschuß des deutschen Handelstages beschäftigte sich am Sonnabend auch mit der Frage einer deutschen Industrie⸗Ausstellung in Berlin. Das Kollegium der Aeltesten der Berliner Kaufmann⸗ schaft hatte sich mit der Frage der Veranstaltung einer deutschen Industrie⸗Ausstellung etwa im Jahre 1896 beschäftigt, dieselbe sym⸗ pathisch behandelt und bei dem Präsidium des deutschen Handelstages den Antrag gestellt, diese Angelegenheit nach Kräften zu fördern. Die eingehende Erörterung ergab das Resultat, daß gegen die Veranstaltung einer internationalen Ausstellung sehr erhebliche Bedenken erhoben wurden, daß jedoch eine etwa im Jahre 1895 in Berlin abzuhaltende nationale Ausstellung von der großen Mehrzahl sympathisch begrüßt wurde. Der Ausschuß beauftragte das Prästdiam, die Handelskammern aufzufordern, sich mit den industriellen Kreisen in ihren Bezirken in Verbindung zu setzen, deren Ansichten über die Veranstaltung der in Rede stehenden Ausstellung zu hören, und dem Präsidium darüber zu berichten. Die Frage soll dann auf die Tagesordnung der nächsten Plenarversammlung des Handelstages gesetzt werden.

Zur Arbeiterbewegung

In einer am Freitag von den Delegirten der Belegschaft der Zeche „Eintracht Tiefbau“ anberaumten Bergarbeiter⸗ versammlung in Königssteele, die der „Rb.⸗Westf. Ztg.“ zu⸗ folge von annähernd 1300 Bergleuten der Zeche „Eintracht Tiefbau“ besucht sein mochte, waren auch Hr. Siegel aus Dortmund sowie der Vorsitzende des sozialdemokratischen Bergarbeiterverbandes Schröter⸗ Steele erschienen. Derselbe verbreitete sich zunächst in bekannten Rede⸗ wendungen über die Kohlenbarone, billigte zwar den z. Z ausgebrochenen Strike nicht, weil der Zeitpunkt kein geeigneter sei, forderte aber die Versammlung auf, da der Strike nun doch einmal begonnen habe, festzuhalten und kein Jota von den gestellten Forderungen abzulassen. Die gestellten Forderungen lauten: 1) Anerkennung der Dele⸗ girten und in Streitigkeitsfällen Verhandlung mit denselben; 2) Dauer der Seilfahrt nur ½ Stunde, wenn sie länger dauert, muß die übrige Zeit auf Kosten der Förderschicht gehen; 3) Wiederbezahluns des Metergeldes wie früher; 4) Nichtschließen des Fahrschachtes weder oben noch unten; 5) Rückgängigmachung des Abzuges überall da, wo am 14. April das Gedinge gekürzt worden ist; 6) das hohe Bestrafen (3 ℳ) gegen willkürliche Feiern soll wegfallen; 7) freies Wetterlampenöl, 8) neue Kaue und 9) Nicht⸗ pumpen beim Schichtenwechsel. Die Versammlung beschloß, diese Forderungen der Königlichen Staatsregierung und der Grubenverwaltung der Zeche, nachdem sie von der gesammten Belegschaft unterzeichnet worden, zu unterbreiten und die Staats⸗ regierung sowohl wie die Königliche Bergbehörde zu ersuchen, ihre Kraft geltend zu machen, um vermittelnd einzutreten. Berg⸗ mann Körner ließ durch Handaufheben geloben, nicht eher anzufahren, bis die Delegirten bestimmten. Gestern fand eine weitere Versamm⸗ lung statt, über welche weiter unten berichtet wird. Am Sonnabend strikten auf Zeche „Eintracht Tiefbau“ bei Steele alle Arbeiter weiter. Auf Zeche „ver. Seller⸗ beck“ bei Mülheim an der Ruhr sind vorgestern Morgen auf Schacht Carnell 63 Mann unter Tage angefahren. Die die Arbeit wieder aufnehmende Zahl der Arbeiter ist also erfreulicher Weise in beständiger Zunahme begriffen. Ueber die Ver⸗ sammlung der ausständigen Arbeiter des Schachtes Carnell der Zeche vom letzten Freitag wird mitgetheilt, daß Bergmann Ballmann aus Essen in der von etwa 150 Bergleuten besuchten Versammlung ganz entschieden von einem allgemeinen Strike abgerathen, weil die Bergleute dadurch nur den Gewerken nützen würden, indem die Koblenpreise abermals sehr in die Höhe gehen, die Bergleute aber von diesem Mehrbetrag nichts er⸗ halten würden. Es wurde beschlossen, dann wieder an⸗ zufahren, wenn die Kündigung der 35 Genossen zurückgenommen würde. Eine Deputation von drei Mann, die diesen Beschluß dem Direktor Hohendahl überbrachte, kam zurück mit der Meldung, daß sich die Direktion auf Verhandlungen gar nicht einlassen würde. „„Aus Essen a. d. Ruhr wird telegraphisch berichtet, daß laut „Rh.⸗Westf. Ztg.“ sich seit heute Morgen in Folge einer gestrigen Bergarbeiter⸗Versammlung, in velcher die ührer Schöttker und Ballmann heftige Reden hielten, auch die Kahrer schaft des Schachtes „Müller“ von der Zeche „Vereinigte Sellerbeck“ bei Mülheim a. d. Ruhr sich im Ausstand befindet. Auf Schacht „Müller“ fuhren heute Morgen nur 29 Mann an, auf Schacht „Carnall“ 63 Mann. Die gestrige in Steele a. d. R. stattgehabte Versammlung der Belegschaft der Zeche „Ein⸗ tracht Tiefbau“ verlief in Folge einer Rede Brodams, der über seine Thätigkeit auf dem internationalen Bergarbeiterkongreß in Paris berichtete, ebenfalls stürmisch. Heute fuhren auf Schacht 1 genannter Zeche 101 Mann, auf Schacht 2 nur 44 Mann an. Sonst herrscht im ganzen Ober⸗Bergamtsbezirk Ruhe.

Wie ein Wolff'sches Telegramm aus Dortmund vom heutigen Tage meldet, wurde in einer gestern in Castrop stattgehabten, von etwa 1000 Bergleuten besuchten Versammlung einstimmig eine

80 884, die sechs genannten Städte zusammen um 246 849 Einwohner.

gegen die Pariser Kongreß⸗Beschlüsse gerichtete Resolution

angenommen. . 8