1891 / 94 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 21 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

neigende Klasse seien. (Präsident: Er mache ihn zum letzten Male darauf aufmerksam, zur Soche zu sprechen.) Die Herren verständen sogar die Behörden zu Gesetzesübertretungen zu verleiten. (Prä⸗ sident ruft den Redner zur Sache mit Hinweis auf die geschäfts⸗ ordnungsmäßige Folge.) Dann sei er nicht in der Lage, seinen Antrag überhaupt hinreichend zu begründen; er nehme aber an, daß nunmehr als bewiesen gelten dürfe, die Unternehmer seien Leute, die man nur durch hohe Geldstrafen dazu bewegen könne, dem Gesetze gemäß vorzugehen. Die lächerliche Strafe von 1 als Minimum werde keinen Unternehmer abschrecken

Abg. Hitze: Er bitte, diesen Antrag Stadthagen abzulehnen, da⸗ gegen den Antrag Auer und Genossen anzunehmen, welcher mit der Strafe des §. 146 auch Diejenigen treffe, welche das Arbeitszeugniß in verbofener Weise kennzeichneten.

Die Abgg. Dr. Hartmann und Möller treten diesen Aus⸗ führungen bei und empfehlen dem Hause, diesen Antrag, trotz der Rede des Abg. Stadthagen, anzunehmen.

Abg. Bebel: Seine Partei lege diesem letzteren Antrag sehr große Bedeutung bei und glaube nicht, daß man den Antrag als nothwendig jetzt anerkennen würde, wenn nicht die bewußte Broschüre das Material in erdrückender Weise geliefert hätte. Die geheime Kennzeichnung der Zeugnisse müsse mit hoher Strafe getroffen werden, weil sonst thatsächlich eine zahllose Menge von Arbeitern existenzlos gemacht werden würde. Seine Partei habe Ursache, diesen Erfolg als einen großen moralischen Erfolg zu betrachten.

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Lohmann bekämpft den An⸗ trag Stadthagen, der sich zunächst nur auf den dritten Absatz des §. 120 beziehen könnte, aber auch in dieser Beziehung nach der Um⸗ gestaltung der §§. 120d und 120e hinfällig sei.

Abg. Stadthagen hält seinen Antrag trotz dieser Aus⸗ führungen aufrecht. Die höhere Strafe rechtfertige sich, da man die Uebertretung der gesetzlichen Vorschriften durch gebildete Personen höher strafen müsse als die durch ungebildete.

§. 146 wird mit dem Antrage Auer angenommen, ebenso ohne Debatte §. 146 a, welcher mit Geldstrafen bis zu 600 oder Haft die Verletzung der Bestimmung über die Sonntagsruhe bedroht, und §§. 147—151 (weitere Straf⸗ bestimmungen).

Um 5 ¼ Uhr wird die Fortsetzung der Berathung auf Dienstag 11 Uhr vertagt.

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Haus der Abgeordneten. 71. Sitzung vom Montag, 20. April.

Der Sitzung wohnen der Vize⸗Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher, und der Minister des Innern Herrfurth bei.

Auf der Tagesordnung steht die dritte Berathu des Entwurfs einer Landgemeindeordnung für sieben östlichen Provinzen der Monarchie.

In der Generaldiskussion bemerkt zunächst

Akg. von Kröcher: Er erkläre von vornherein, daß er nicht im MNamen seiner Fraktion, sondern lediglich für sich selbst spreche; er habe nicht nur keinen Auftrag von der Fraktion, sondern befinde sich über die Landgemeindeordnung in einem großen Dissensus selbst mit seinen intimsten Freuncen. Auch den Standpunkt der „Kreuz⸗ zeitung“ könne er in dieser Beziehung richt einnehmen, so sehr er auch dieses Blatt sonst für das beste politische Blatt halte. Er habe nirgends in der Presse, abgesehen von der freisinnigen, eine Stimme vernommen, welche nach dieser neuen Landgemeindeordnung verlangt habe, und auch in den verschiedensten Berufskreisen und Ständen der Bevölkerung, in denen er sich umgethan habe, sei nirgends ein Wunsch nach dieser neuen Landgemeindeordnung laut geworden. Es scheine ih also, daß man das Land gegen seinen Willen glücklich machen wolle. Aber das sei doch nicht der Zweck der Gesetzgebung, sondern diese solle die Wünsche der Bethei⸗ ligten in Paragraphen fassen. n der zweiten Berathung sei, er

f hingewiesen, daß diese Vor⸗

ng die 8

glaube vom Abg. Dr. Krause, darauf lage das Werk eines konserpativen Ministers sei. Nun gebe er ja zu, es seien in unserem Ministerium konservative Mitglieder; der Finanz⸗Minister babe sich bei Berathung der Steuernovelle durchaus als konserpativen Mann hingestellt. (Heiterkeit.) Auch der Minister

Vo

des Innern habe sich in der zweiten Lefung dieser Vorlage bei der

Frage des geheimen und öffentlichen Wahlrechts als konservativer Mann gezeigt; aber nach dem, was er über Bauernstolz und Bauernhochmuth gesagt habe, und über das Verlangen gleicher Behandlung der rheinischen Städte und der pofenschen Land⸗ gemeinden, scheine es ihm (Redner), als ob der Minister doch nicht als konservativer Mann ju bezeichnen sei, sonder schon mehr über den Parteien stebe. (Heiterkeit) Das Land habe übrigens sehr viel neue organische Gesetze bekommen, Gewerbe⸗ freiheit, Freizügigkeit, Civilstandsgesetz u. s. w.: alle seien von konservativen Ministern eingebracht und von konservativen Männern mitgemacht worden; er sage nur „mitgemacht“, um sich nicht wieder einer Korrektur des Abg. von Huene, wie neulich der Abg. von Rauch⸗ haupt, auszusetzen, daß die Konservativen nicht allein diese Gesetze gemacht hätten, sondern daß sie vom Landtage bezw. Reichstage ge⸗ schaffen worden seien. Aber ein Gesetz werde dadurch nicht besser, daß es von besseren Menschen gemacht werde (Heiterkeit); ausgeführt müsse es werden und die Folgen mäßten getragen werden, ganz gleichgültig, von wem das Gesetz gemacht sei. Um nun ein paar wichtige Einzelheiten zu erwähnen, so sei das Stimm⸗ recht der Bauern im §. 48 die vichtigste Bestimmung des ganzen Gesetzes. Aber ju diesem Paragraphen seien so viele Anträge gestellt, daß er die Ausführungen darüber einem berufeneren Redner überlassen könne. Große Wichtigkeit habe ferner §. 42, der vom Stimmrecht der Nichtangesessenen handele. Glaube das Haus etwa, daß es mit dieser Bestimmung die Zu⸗ friedenbeit im Lande vermehren werde? Die „bhochmüthigen“ Bauern, die Angesessenen würden wohl nicht sehr glücklich darüber sein, daß sie das Stimmrecht nun mit den armen Tagelöhnern thrilten, während sie früher dasselbe allein gehabt hätten. (Abg. Richter: Aber bezablen sollen die armen Tagelöhner!) Ja, be⸗ zahlen sollten sie (große Heiterkeit), und die Nichtangesessenen, welche bisher nicht bezahlt haben (Abg. Richter: Oho!) er wisse sehr wohl, daß Einige bezahlt hätten —, aber Diejenigen, welche bisher nicht bezahlt und nicht gestimmt hätten, würden wohl das Stimm⸗ recht sich gern gefallen lassen, aber daß sie bezahlen sollten, das, würden sie sagen, sei eine Schändlichkeit. Also beide Theile würden unzufrieden sein. Der Minister habe auf Westfalen hingewiesen, er (Redner) glaube aber, daß sich die günstigen Verhältnisse und der zähbe Bauernstand in Westfalen nicht in Folge der Landgemeindeord⸗ nung, sondern trotz derselben entwickelt hätten. In Folge der Bestimmungen des § 2. über die zwangsweise Zusammenlegung der Gutsbezirke und Landgemeinden würden sowohl Gutsbesitzer wie Landgemeinden das liege in der menschlichen Natur genau ihre Lasten berechnen und würden nicht mehr leisten, als das, wozu sie gezwangen seien. Dabei würden besonders die Armen nicht besser fahren: man werde ihnen sagen: Ihr kriegt jetzt monaͤtlich gesetzlich so und so viel ausbezahlt, nun seid aber still. Auch alle anderen kommunalen Aufgaben würden nicht besser gelöst werden. Es seien ja doch nicht alle Gutsbesitzer ideale Menschen, es gebe auch komische Leute darunter. (Heiterkeit.) Er verkenne nicht, daß der §. 2 durch

aber ausführen, da die Unternebmer eine zu Gesetzesübertretungen bin⸗] versucht. Mit Definitionen sei es eine eigene Sache. Hier gehe die

den Kompromißbeschluß viel besser gestaltet worden sei, als er in der Regierungsrvorlage gewesen sei. Aber es werde schließlich die letzte Entscheidung in die Hand des Ministers des Innern gelegt; wenn auch als letzte Instanz das Stäaats⸗Ministerium berufen sein solle, so müßte es doch ein wunderbares Staats⸗Ministerium sein, daß in einer Frage des Ressorts des Ministers des Innern diesen überstimmen würde. Man habe den Begriff des „öffentlichen Interesses“ zu definiren

Definition theils zu weit, theils nicht weit genug. Ueber die Leistungsfähigkeit der Gemeinden und die Gemengelage könne man verschiedener Meinung sein. Das schablonenhafte Zusammenlegen sei jedenfalls bedenklich. Wenn diese Landgemeindeordnung Gesetz werde, glaube etwa das Haus, daß wirklich sich noch Bauern finden würden, die das Schulzenamt übernehmen wollten? Möge man lieber das Schulzenamt als Ehrenamt ganz herausstreichen und besoldete Bürgermeister einführen. Er werde für alle Anträge seiner Freunde, aber schließlich gegen das ganze Gesetz stimmen. Er bitte alle Parteien, natürlich mit Ausnahme der freisinnigen (Heiterkeit), zu erwägen, ob sie diesem Gesetz zustimmen könnten. Er unterschreibe Wort für Wort zwei Sätze, welche die Abgg. Rickert und von Heyde⸗ brandt ausgesprochen hätten. Der Abg. Rickert habe gesagt, dieser Gesetzenꝛwurf sei der wichtigste und verhängnißvollste von allen, welche dem Hayse in letzter Zeit vorgelegt seien. Das unterschreibe er vollkkommen, und er bitte, das Haus möge sein Votum danach einrichten und erwägen, welche Verantwortung es auf sich lade. Der Abg. von Heydebrandt habe gesagt, das Bestehende sei historisch geworden und habe Existenzberechtigung, es sei zweifelhaft, ob das neue Gesetz besser und dem öffentlichen Wohle zuträglicher sein werde, als was man bereits besitze. Wer das bejahe, könne ja auch mit gutem Gewissen für die Vorlage stimmen. Andere aber sagten: „Wir wollen nicht gerade behaupten, daß die Sache besser ist, als das bisherige, aber wir stimmen doch dafür.“ Wer so denke, stimme dafür aus Gründen, welche außerhalb der Landgemeindeordnung lägen. Das nenne man auf deutsch „Opportunismus“. Man sage, wenn die Landgemeinde⸗ ordnung jetzt nicht gemacht werde, könne man künftig eine noch schlechtere bekommen. Das sei für ihn kein Grund, gegen ein Gesetz zu stimmen. Denn erstlich, in die Zukunft sehen könne man nicht, und dann könne doch auch der Wind in der Politik einmal nach rechts herumgehen. (Heiterkeit.) Er erkenne ja an, daß die Herren auf der Linken mehr Chancen hätten, daß der Wind sich nach links herumdrehe; Alles, was lebe, gravitire ja nach links. (Heiterkeit.) Glaube man denn, daß eine liberale Landtagsmajorität mit einem liberalen Ministeriam vor dieser Loandgemeinde⸗ ordnung Halt machen werde, die das Haus jetzt mache? Er glaube das nicht. (Abg. Rickert: Ich auch nicht!) Der Abg. Rickert habe ja erklärt, daß er dieses Gesetz nur als Abschlagszahlung ansehe. Man werde dann sagen: die Landgemeindeordnung, welche von dem reaktionären Landtage von 1891 und dem damaligen reaktio⸗ nären Minister (Heiterkeit) gemacht ist, wollen wir schleunigst besei⸗ tigen. Wenn denn etwas Schlechtes gemacht werden solle, so möge es gegen ihn gemacht werden. Er wolle die Verantwortung nicht mittragen. Er habe seine Ansicht ausgesprochen. Das Haus möge thun, was es für Recht halte

Abg. Dr von Gneist: Seine politischen Freunde würden, wenn nicht unvorhergesehene Nova dazwischen kämen, insgesammt für die Landgemeindeordnung stimmen, wenn sie auch nicht mit allen einzelnen Bestimmungen derselben einverstanden sein könnten. Die Bauern hätten früher allein die Lasten getragen, es sei deshalb auch nicht zu verwundern, daß sie ju diesen Zeiten auch allein Rechte besessen hätten. Nachdem aber auch die Nichtangesessenen zu Personalsteuern herangezoger worden seien, müßten diesen auch entsprechende Rechte eingeräumt werden. Die Bauern betrachteten freilich alle ihre Vorrechte als eine Gabe Gottes und wollten sie nur ungern dergeben. Ein Verdienst unserer Monarchie sei es jedoch, daß sie die Regelung der kommunalen Verhältnisse nicht einelnen Parteien überlasse, sondern selbst in die Hand nehme. Bei unserer beutigen Staatsverwaltung und Staatssteuergesetzgebung sei ine Regelung der Verhältnisse in den Landgemeinden nothwendig. Die Regierungs⸗Vorlage sei auch konservativ gehalten, da sie, soweit irgend möglich, die Beibehaltung aller bestehenden Verhältnisse erstrebe. Als erster Grundsatz aber müsse stets der gelten, die Landgemeinden lebendig und leistungsfähig zu erhalten, was seiner Ansicht nach durch diese Vorlage wohl zu erreichen sei. (Beifall.) 8

Abg. von Sczaniecki betont Namens seiner Fraktion, diese werde ihre Schlußabstimmung von der Form abhängig machen, die das Gesetz schließlich erhalten werde. 8

Abg. Barth: Die Vorlage verdanke ihre Entstehung der Er⸗ wägung, daß die bisherigen Kommunalverbände vielfach zu klein ge⸗ pesen seien, um leistungsfähig zu sein, und daß die bisherigen Be⸗ stimmungen über kommunale Wahlen, Vertheilung der Lasten und dergleichen schon sehr veraltet seien. Er behaupte mit seinen Freunden, daß der Entwurf in der Fassung der zweiten Lesung den laut ge⸗ wordenen Wünschen gerecht werde. Die Inkommunalisirungsformen seien erleichtert, zu weit gehenden Anträgen auf das Aufgeben der Selbständigkeit sei durch das Hereinbeziehen der Selbstverwaltungs⸗ behörden ein Riegel vorgeschoben, und diese Hereinziehung selbst sei durch die Qualität des Bezirksausschusses als sachverständiger Behörde gerechtfertigt. Den Zweckverbänden lege seine Partei großes Gewicht bei, und er mache hierbei auf den bisher nicht betonten Punkt auf⸗ merksam, daß die alten Separationsrezesse zwischen Gemeinden und selbständigen Gutsbezirken eine Grundlage jur Bildung sehr nütz⸗ licher Zweckverbände abgeben könnten. Den §. 14 des Gesetzes be⸗ züglich der Gemtindebestenerung halte er nicht für so gefährlich, wie Viele, zumal nach dem neuen Kompromiß die Geltungsdauer dieser Vorschrift beschränkt werden solle und voraussichtlich nach Erlaß des Gesetzes viele Gemeinden Anträge auf Abänderung der jetzigen Bestimmungen stellen würden. In Bezug auf das kommunale Stimm⸗ recht halte er im Gegensatz zu dem Abg. von Kröcher auf Grund der Er⸗ fahrungen, die er in der Kommission mit dort eingegangenen Zu⸗ schriften von Kommunen gemacht habe, die Einführung des Stimm⸗ rechts der Nichtangesessenen für eine Forderung der Gerechtigkeit. Die Befürchtungen, die man dagegen geltend mache, seien nicht größer, als bei den Sepgrationen in der Provinz Sachsen, und be⸗ züglich der Ausdehnung ddes Stimmrechts auf die Neuanbauer wie damals, würden sich auch jetzt die Befürchtungen als unbearündet herausstellen. Die richtigste Ausgleichung der Lasten und des Stimm⸗ rechts finde seine Partei in der Einführung der Gemeindevertretung, wenn sie aber für dieselbe stimme, so wolle sie sie doch nicht da ein⸗ führen, wo diese Einführung mehr zu Härten als zu praktischen Er⸗ leichterungen Anlaß geben würde, also bei den ganz kleinen Gemeinden. Sie verkenne die Schwierigkeiten nicht, die der Ausführung der Vor⸗ lage entgegenständen, sie freue sich aber, daß ein Kompromiß zu Stande gekommen sei, für das sich hoffentlich eine Mehrheit finden werde. Hier wie bei anderen ähnlichen Fragen lasse seine Partei ihre persönliche Meinung völlig zurückstehen, sie bestrebe sich, dahin zu wirken, daß für die Beschlüsse zweiter Lesung mit den Kompro⸗ mißanträgen sich eine Mehrheit finde, und er bitte, nach Mög⸗ lichkeit diesem Beispiel folgen zu wollen.

Aba. Rickert: Wenn er von dem bei den Besprechungen der letzten Tage von Vertretern aller Parteien gefaßten Beschluß, bei der dritten Berathung möglichste Kürze walten zu lassen, abgehe, so sei der Abg. von Kröcher die Ursache davon. Auf dem Boden der kommunalen Arbeiten könnten sich alle Parteien in Frieden die Hand reichen, und sie müßten ohne Parteirücksichten an der Organisation des Staates, an der ja Alle das gemeinsame Interesse hätten, zu⸗ sammenarbeiten; auch die Regierung, soweit sie einzugreifen habe, sollte sich von allen parteipolitischen Rücksichten emanzipiren und darauf sehen, daß überall tüchtige Männer an die richtige Stelle kämen, möchten sie, wie der Abg. von Meyer⸗Arnswalde, auf der äußersten Rechten stehen und jetzt zur Opposition gehören oder der äußersten Linken angehören. Seine Fraktion wünsche das Zustande⸗ kommen dieses Gesetzes und arbeite dafür, und wenn sie natürlich auch jetzt noch, gerade wie der Abg. von Kröcher, das Gesetz nach Möglichkeit zu verbessern trachten werde, so werde sie, im Gegensatz zu ihm, doch schließlich für das Gesetz stimmen. Sie werde dafür nicht etwa darum eintreten, weil es alle ihre Wünsche erfülle, ihre Geschichte weise einen ganzen unerfüllten Wunschzettel auf, aber sie habe nur die dringendsten Anträge wiederholt, bei denen doch vielleicht noch eine Aussicht auf Annahme vorhanden sei. Die Forderungen seiner Fraktion seien nicht erfüllt in Bezug

unbedenklich, auch fehle die Einheitlichkeit der kommunalen Ver⸗ waltungen. Was die Vertheilung der Lasten anlange, so werde, auch wenn das Kommunalsteuergesetz nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre komme, hoffentlich doch trotz der jetzigen Kompromiß⸗ bestimmung eine allgemeine gesetzliche Regelung vorgeschlagen und an⸗ genommen werden. Bedenken lägen auch vor bezüglich der Bildung der Zweckverbände. Hoffentlich werde die Regierung ihr Augenmerk darauf richten, daß die Verbände so eingerichtet würden, daß sie den ganzen Inhalt des kommunalen Lebens umfaßten. Trotz aller dieser Bedenken aber werde seine Fraktion dem Gesetz zu⸗ stimmen, weil sie nicht wolle, daß die hier in Frage stehenden großen Aufgaben noch ein Jahr lang unerfüllt blieben. Wenn nun vom Abg. von Kröcher hier noch die Nothwendigleit der Reform bestritten werde, so nehme sich das gegenüber der Geschichte dieser Reform sehr sonderbar aus. Schon am Anfang des Jahrhunderts seien in Bezug auf die Landgemeindeordnung Forderungen gestellt worden, die im Jahre 1852 durchaus nicht erfüllt worden seien. Er irre auch, wenn er meine, kein Bauer stimme mit den Forderungen seiner (des Redne s) Fraktion überein; sehr viele Bauern thäten es, so z. B. die sehr kernigen Werderaner Bauern der Danziger Niederung. Daß konservative Minister gute Gesetze machten, glaube er dem Abg. von Kröcher gern, aber die guten Gesetze, die sie machten, ständen eben auf liberalem Boden. Auch der Freiherr von Stein sei ein konser⸗ vativer Mann gewesen, aber immer, wenn es sich darum gehandelt habe, Gesetze von nationaler Bedeutung zu machen, habe er sie von liberalen Gesichtspunkten aus gemacht, denn der nationale Geist könne nicht unter konservativen Gesetzen bestehen. Was die Bedürfniß⸗ frage betreffe, so habe der Fürst Bismarck gesagt: „Es giebt ein altes politisches Sprichwort: quieta non movere, d. b. was ruhig liegt, nicht stören. Das sei echt konservativ, eine Gesetzgebung nicht machen, die beunruhige, wo eine Aenderung nicht nothwendig sei. Auch in heutigen mintsteriellen Kreisen gebe es Leute, die ein Bedürfniß hätten, die Menschheit mit ihren Elaboraten glücklich zu machen. Es gebe ein anderes Wort vom Fürsten Bismarck: „Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo“. Wie paßten diese beiden Worte zusammen? Neoch nie habe ein Mann so weni Respekt gehabt vor dem „Quieta non movere“ wie der Fürst Bismar selbst. Habe man nicht unter ihm Beunruhigung auf jedem Gebiet der Gesetzgebung gehabt? Habe er nicht oft die Klinke der Gesetzgebung in die Hand genommen aus irgend welchem äußeren Anlaß, ohne daß eine Aenderung nothwendig gewesen sei? Das Wort komme aus dem Munde des Mannes, der die ganze Zoll⸗ und Handelspolitik auf den Kopf gestellt, eine ganz neue Sozialpolitik eingeführt habe! Aber natürlich, die Konservativen seien beunruhigt, sie wollten die 5 Getreidezölle und die Liebesgaben für die Brenner nicht preis geben. (Rufe rechts: Zur Sache!) Er sei sehr bei der Sache. (Rufe rechts: Nein!) Das seien nur Ausführungen, die den Herren von der Rechten nicht gefielen. Seine Frakrion habe damals nicht an die Kreisordnung herangewollt, sondern zuerst die Landgemeindeordnung haben wollen. Graf Eulenburg babe es 1869 im Namen der Staats⸗

regierung sür ganz selbstverständlich erklärt, daß auf die Kreis⸗ ordnung die Landgemeindeordnung folgen müsse. Damals sei die Be⸗ dürfnißfrage allseilig anerkannt worden, jetzt werde sie bestritten. Aller⸗ dings sei nachher der Fürst Bismarck dem Grasen Eulenburg in den gefallen und habe die Städteordnung als zu revolutionär be-

t. Diese Vorlage werde trotz ihrer Mängel einen guten Einfluß b Das Gesetz, der Buchstabe allein mache es zwar nicht, son⸗ ern der Geist, mit welchem das Gesetz ausgeführt werde. Er wünsche, 8 die Männer, welche durch diese Vorlage Rechte erbielten, dieser ch auch bewußt würden und sie richtig anwendeten. Man brauche Ibstbewußte Männer, welche in der Kommunalverwaltung hinter diesem Gesetz ständen und es richtig anwendeten. Dann werde es zum

gen für das Vaterland werden. (Beifall links)

Minister des Innern Herrfurth:

Da bei der dritten Berathung geschäftsordnungsmäͤßig di Generaldiskussion der ersten Berathung wiederholt wird, so mußte ich darauf gefaßt sein, daß nicht nur die Frage, wie der vorliegende Entwurf einer Landgemeindeordnung für die östlichen Provinzen in ihren Einzelheiten zu gestalten sei, hier von Neuem zur Erörterung gezogen werden würde, sondern daß auch die Fragen, ob überhaupt eine solche Gemeindeordnung zu erlassen sei, ob ein Bedürfniß für dieselbe vorliege, und ob ihre Grundzüge die richtigen seien, von Neuem den Gegenstand der Debatte bilden würden.

Auf die Frage, wie im Einzelnen dieser Entwurf zu gestalten sein wird, will ich jetzt hier nicht eingehen. Wir werden ja reichlich Gelegenheit haben, bei den einzelnen Paragraphen uns noch darüber zu unterhalten. Denn, nachdem bei der zweiten Berathung ungefähr 100 Abänderungsanträge zur Erledigung gekommen sind, liegen mir jetzt 67 gedruckte Abänderungsanträge zur dritten Be⸗ rathung vor, und ich habe die angenehme Gewißheit, daß noch eine Reihe derselben eben schriftlich in der Vorbereitung ist. (Heiterkeit.)

Meine Herren, was die Frage anlangt, ob überhaupt ein Be⸗ dürfniß zum Erlaß einer kodifizirten Landgemeindeordnung vor⸗ liegt, und ob die Grundzüge, von denen dieser Entwurf ausgeht, die richtigen seien, so sind gegen dieselben eine Reihe von Bedenken geltend gemacht worden, die zum Theil objektiver, sachlicher Natur sind und die infolgedessen auch eine Widerlegung aus sachlichen Gründen gestatten; zum Theil sind dieselben allerdings so sub⸗ jektiver Natur, daß man sie als Gründe igentlich kaum be⸗ zeichnen kann.

Objektiver Natur ist zunächst die Einwendung: es ist nicht nur nicht nothwendig, sondern es ist unzweckmäßig es ist nicht nur unrichtig, sondern es ist Unrecht, zwangsweise, gegen den Wider⸗ spruch der Betbeiliaten Landgemeinden und Gutsbezirke mit anderen Landgemeinden und Gutsbezirken zu vereinigen oder zwangsweise aus ihnen Zweckverbände zu bilden. „Wer im Besitz ist, ist im Recht“, und dieses Recht darf und soll nicht gekränkt werden. Meine Herren, dieser Standpunkt und Hr. von Meyer (Arnswalde) hat ihn ja in erster Lesung ziemlich scharf vertreten geht von dem Grundsatz aus: was ist, ist vernünftig. Der Grundsatz stimmt aber nicht immer, und da Herr von Mevyer in seiner bekannten Loyalität eine andere Angabe, die er in der ersten Lesung gemacht hatte, nämlich daß die Guts⸗ bezirke mustergültige Armenverbände seien, zu berichtigen sich veranlaßt gesehen hat, nachdem ihm Beispiele vorgelegt worden waren, welche das Gegentheil nachwiesen, so möchte ich ihm auch ein paar Beispiele nach dieser Richtung hin aus meiner allerneuesten Praxis anführen; sie sind nicht etwa aus den Akten ausgegeben, sondern es ist das Neueste aus diesem Jahre. (Heiterkeit.) Ich hoffe, er wird sich auch in dieser Frage berichtigen. Meine Herren, ich nenne keine Namen, ich will von zwei Gutsbezirken in Ober⸗

schlesien und einer Gemeinde in der Provinz Posen sprechen. Der eine von den beiden Gutsbezirken ist eigentlich nach einer gewissen Richtung hin ein wahrhaft idealer; es fehlte ihm nämlich jede Realität. Zu diesem Gutsbezirk gehört nicht so viel Grund und Boden wie dieser Tisch (Heiterkeit), er besteht aus einigen Gefällen und aus den Verpflichtungen des Gutsbezirks gegenüber der Schule. Der zweite Gutsbezirk hat allerdings eine solche reale Basis; er hat 16 ha allerdings sehr schlechten Bodens; er hat aber dafür auch die

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auf das Stimmrecht, auf den Wahlmodus, auf die Bestätigungen;

die Bestimmungen über die Zusammenlegungen im §. 2 seien nicht

3 Diese gedachten Gutsbezirke bestehen in dieser Form, wie aus⸗ drücklich hervorgehoben worden ist, seit Anfang dieses Jahrhunderts;

sie gehörten dem Besitzer einer großen Herrschaft, dem es aber, wie es scheint, allmählich unbequem wurde, die fraglichen Verpflich⸗ tungen für dlese kleinen Gutsbezirke zu erfüllen und er überließ die⸗ selben an einen vermögenslosen Schustergesellen. (Heiterkeit.) Nun kommt die Abtheilung für Kirchen⸗ und Schulwesen der Regierung und sagt: ja, dieser Schustergeselle kann doch unmöglich die Verpflichtungen gegenüber der Schule erfüllen und die Patronats⸗ befugnisse ausüben, und bittet um die Beseitigung dieses Gutsbezirks. Ein anderer Fall, der aus den allerletzten Tagen stammt, betrifft eine Gemeinde aus der Provinz Posen, die mit einer anderen Gemeinde vereinigt werden soll und hinsichtlich deren es jetzt gelungen ist, endlich den Widerspruch zu beseitigen, der bisher in der Gemeindeversammlung einstimmig gegen die Vereinigung erhoben worden ist und zwar ein⸗ 1 im Sinne des Wortes: denn die Gemeinde⸗ versammlung bestand aus einem itgli (denterienes stimmberechtigten Mitglied. Meine Herren, ich meine, wenn man gegenüber solchen Bil⸗ dungen wirklich sagt: was ist, das ist vernünftig, dann das muß Hr. von Meyer doch zugeben kann man auch hinzusetzen: „Ver⸗ nunft wird Unsinn“ wenigstens zuweilen. Ein anderer Fall. Meine Herren, zu diesen kleinen Guts⸗ bezirken gehört auch die auf Seite 48 der Motive sich findende Anführung, die von Hrn. von Kröcher als that⸗ sächlich unrichtig bemängelt worden ist. Nun bin ich ja nicht in der glücklichen Lage, so genau die Verhältnisse der dort aufgeführ⸗ ten Gutsbezirke zu kennen. Ich wollte zu meiner Rechtfertigung nur anführen, daß jener Passus wörtlich dem Bericht des betreffenden Regierungs⸗Präsidenten entnemmen ist, in welchem der bezügliche . Passus lautet: In dem hiesigen Regierungsbezirk, speziell in der Lausitz, findet sich mehrfach das abnorme Verhältniß, daß mitten in einer Stadt,

z. B. Sommerfeld, Bobersberg, Sorau, Lübben, selbständige Guts⸗

bezirke sich befinden, welche zum Theil aus einem Hause bestehen.

Ja, meine Herren, ich glaube, ich bin persönlich gerechtfertigt, wenn ich einen Passus aus einem amtlichen Bericht des Regierungs⸗ Präsidenten wörtlich in meinen Bericht aufnahm, aber ich meine, es sind die Bedenken, die Hr. von Kröcher geäußert hat, sachlich nicht begründet, denn man kann bei dem Vorlesen, wie ich es jetzt gethan und wie er es gethan, die Kommata nicht genau markiren, und ich meine, der Kommabacillus macht Ihnen das alles wieder richtig; denn wenn Sie sagen mit Komma: es kommen mehrfach z. B. in der Lausitz Komma Beispiele vor u. s. w., und wenn dann die genannten Städte aufgeführt werden, so folgt daraus nicht, daß nun plötzlich Sommerfeld nach der Lausitz verlegt werden soll, und wenn es im Uebrigen heißt: es sind dort kleine Gutsbezirke vorhanden, welche zum Theil aus einem Hause bestehen, so ist die Folgerung durchaus gerechtfertigt, daß nicht alle, sondern nur einzelne der genannten aus einem Hause bestehen.

Eine zweite Gruppe von objektiven Einwendungen gegen die Grundsätze des Gesetzes richtet sich dahin, es sei unzweckmäßig und entspreche nicht den ländlichen Verhältnissen, namentlich nicht der Bedeutung des Angesessenseins, daß das Stimmrecht überhaupt Nichtangesessenen eingeräumt werde. Nun, meine Herren, in dieser Beziehung steht die Königliche Staatsregierung aller⸗ dings auf einem prinzipiell ganz verschiedenen Standpunkt; sie hält es nicht nur für unbillig, sondern sie hält es im Interesse der Gemeinde für schädlich nicht nur für gemeindeschädlich, sondern für gemeinschädlich daß denjenigen, welche nicht ansässig sind, aber zu den Gemeindelasten erheblich beitragen müssen und zur Theil⸗ nahme an der Gemeindeverwaltung geeignet sind, verwehrt werde, in der Gemeinde mitzurathen, daß sie also, wie von dem ersten Herrn Vorredner gesagt ist, zahlen müssen, aber nicht mitreden dürfen.

Meine Herren, zu welch' eigenthümlichen Folgerungen kommen denn diejenigen, welche diese Behauptung aufstellen? Wenn der an⸗ gesessene Gemeindevorsteher, nachdem sein Sohn sich verheirathet hat, auf den Altentheil geht, so verliert er sein Stimm⸗ recht, verliert das Recht, Gemeinde⸗Vorsteher zu sein, und gerade zu einer Zeit, wo er seine ganze Kraft der Gemeinde widmen könnte. Und ebenso wenig, meine Herren, verstehe ich es, wenn Sie sagen: der kleinste Häusler soll ein Stimmrecht haben, der Pächter des größten Bauerngutes aber nicht.

Die dritte Gruppe sachlicher Einwendungen richtet sich dagegen, daß hier diese Regelung im Wege der Gesetzgebung bewirkt werde; es wird dem gegenüber von dem Wunsch ausgegangen, man möge Alles der statutarischen Regelung überlassen. Man sagt, der Kreis⸗Ausschuß, der Landrath verstehen die Sache weitaus am Besten, sie machen es so, wie es den Verhältnissen entsprechend gestaltet werden muß, und wenn sie ja mal daneben greifen, ist ja immer noch der Regierungs⸗Präsident da, der die Sache zurecht rücken kann; bis an die Central⸗Instanz braucht die Sache nicht zu gehen und bestimmte gesetzliche Grundlagen brauchen wir da nicht. Auch in dieser Beziehung, meine Herren, stehe ich und stebt die Staatsregierung wiederum auf einem prinzipiell anderen Standpunkt; auch hier kann ich Ihnen Beispiele aus allerneuester Zeit anführen, die zeigen, wie durchaus nöthig es ist, daß von der Centralinstanz eingegriffen werden kann.

Meine Herren, in den letzten Wochen und Monaten sind mir Anträge zugegangen auf Neubildung von Gutsbezirken, ge⸗ stellt vom Landrath im Einverständniß mit dem Kreisausschuß und befürwortet vom Regierungs⸗Präsidenten; in dem einen Falle handelte es sich um die Bildung eines Gutsbezirks aus einer Fläche von noch nicht 80 ha mit einem Steuerertrage von noch nicht 80 ℳ, und mit Rücksicht auf die geringe Prästationsfähigkeit war nur zur Erwägung gestellt, ob man einige Gemeindeländereien soweit hinzunehmen solle, um den Steuerertrag des neu zu bildenden Gutsbezirks auf 137 zu bringen. Meine Herren, das nenne ich den Antrag auf Konstituirung einer Zwergbildung. Und gleichzeitig kam ein anderer Antrag auf Bildung eines Guts⸗ bezirks von einem großem leistungsfähigen Forstkomplex, aber mit dem Antrage, diesem Forstgutsbezirke über 2400 Morgen zuzulegen, welche sich im fremden Besitz, im Besitz von 80 Familien mit über 500 Köpfen befanden. Meine Herren, das nenne ich die Konsti⸗ tuirung einer Mißbildung und habe diesen Antrag ebenso abgewiesen. Ich zeige Ihnen aber nur mlt diesen Beispielen, wie nöthig es ist, neben dem Antrage des Landraths, der Zustimmung des

maßgebende Einwirkung zuzugestehen. Ich komme nun zu den subjektiven Bedenken, für die aller⸗ dings eine sachliche Widerlegung nicht möglich ist. die, ich möchte sagen, egoistische Selbstgenügsamkeit des Quietismus, welche sagt: ich fühle das Bedürfniß nicht, also ist es nicht vorhanden. Meine Herren, damit läßt sich nicht diskutiren man kann dem nur entgegnen: „Was du nicht fühlst, das wirst du nicht begreifen“, wenn nicht der Fall vorliegt, daß es sehr wohl begriffen wird; aber man will es eben nicht fühlen oder dem Gefühl keinen Ausdruck gestatten. Sodann, meine Herren, ist gegen die Staatsregierung, sowohl was das Bedürfniß als was die Ausgestaltung anlangt, welche die Landgemeindeordnung in ihren Grundzügen gefunden hat, der Einwand erhoben worden, sie finde den Beifall der freisinnigen Partei; die ganze Vorlage werde in erster Linie von dieser Partei vertheidigt, und sie könne deshalb nicht gut und nicht richtig sein. Zunächst ist es faktisch unrichtig, meine Herren, daß die bessere Regelung ländlicher Kummunalverhältnisse und auch der Erlaß einer kodifizirten Landgemeindeordnung eine spezifische Forderung der freisinnigen Partei sei. Ich bitte, lesen Sie die Wahlprogramme aller Parteien zum letzten Landtage; da werden Sie finden, daß eine organische Regelung der ländlichen Kommunalverhältnisse die Forderung aller Parteien im Lande ist, der Erlaß einer kodifizirten Landgemeindeordnung aber die Forderung aller Parteien mit Aus⸗ nahme der Konservativen gewesen ist (Widerspruch rechts), während die Konservativen allerdings erklärt haben, daß sie einer statutarischen Regelung dieser Verhältnisse den Vorzug geben würden. Also jene Angabe ist nicht richtig. Nun will ich mit einem solchen Argument, welches für die eigene Urtheilsfähigkeit doch immer etwas Bedenkliches hat, nicht weiter rechten und nur eingehen auf gewisse Bemerkungen: einzelne Ausführungen vom Ministertische hätten den Beifall der linken Seite des Hauses gefunden. Meine Herren, mit diesen Beifalls⸗ bezeugungen hat es eine ganz eigenthümliche Bewandtniß. Neben dem spontanen Beifall, welchen oratorisch wirksame Reden mit großen politischen Gedanken stets erhalten, giebt es noch eine zweite Art von Beifallsbezeugungen, die ich wohl als „Fraktions⸗ bravos“ bezeichnen möchte. (Heiterkeit.) Meine Herren, nicht nur der Führer, sondern jeder Fraktionsredner, der länger als zehn Mi⸗ nuten spricht oder der den Schlußsatz bei kürzeren Reden mit erhobener Stimme spricht, wird ausnahmslos Fraktionsbravos erhalten. (Heiter⸗ keit.) Natürlich, meine Herren, können die Minister darauf keinen Anspruch machen; denn wenn sie auch Abgeordnete sind, sind sie doch geborene Wilde oder, wie Hr. von Kröcher es richtiger ausgedrückt hat: sie stehen „über den Parteien.“ Nun, meine Herren, ich verzichte auch meinerseits sehr gern darauf, denn ich will offen gestehen: ich habe so im Stillen öfter die Beobachtung gemacht, daß das Fraktionsbravo gerade besonders von Denjenigen gespendet zu werden pflegt, die den Ausführungen des Fraktionsredners nicht mit besonderer Aufmerksamkeit folgen (Heiter⸗ keit), die den Mangel an Aufmerksamkeit dann mit der Emphase ihrer Beifallsbezeugungen verdecken und kompensiren. Aber, meine Herren, die Minister sind in einem Falle auch ihrerseits eines Bravos ziemlich sicher. Wenn sie nämlich in der unangenehmen Lage sind, einer Partei etwas nicht Angenehmes sagen zu müssen, dann bekommen sie sicher von der gegnerischen Partei ein Bravo. Aber, meine Herren, auf solche Erwägungen hin kann man doch eigentlich ernsthaft nicht eine Beurtheilung einer Gesetzesvorlage stellen. Ich sage selbst: ein solcher Beifall von der linken Seite ist geeignet, mich stutzig zu machen und veranlaßt mich zu einer erneuten eingehenden Prüfung: ist das, was Du bringst, wirklich richtig? hat das nicht nach irgend einer Seite hin ein Bedenken? Ueberzeuge ich mich aber bei der erneuten Prüfung, daß es wirklich das Gute ist, was ich bringe, so sage ich: die Unterstützung für das Gute, was ich bringe, nehme ich gern, wo ich sie finde. Meine Herren, wer irgend wie ein Verständniß für die hier erörterte An⸗ gelegenheit hat, der weiß ganz genau, daß der Entwurf, den wir hier bringen, himmelweit entfernt ist von dem Ideal einer Landgemeindeordnung nach dem Rezept der freisinnigen Partei. Meine Herren, wenn von jener Seite (links) man nicht in dankens⸗ werther Selbstbeschränkung davon Abstand genommen hätte, die Forderungen, die dort für eine Landgemeindeordnung gestellt waren, in Abänderungsanträgen zu fixiren, dann würden Sie erst gesehen haben, wie durch und durch konservativ die Vorlage der König⸗ lichen Staatsregierung ist, (Heiterkeit und Zurufe rechtsz) das will sie sein und das hat sie sein sollen; es ist von Anfang an das Bestreben der Staatsregierung gewesen, an das Bestehende sich so weit zu halten, wie es möglich ist, ohne eine organische Neuregelung der ländlichen Gemeindeverhältnisse geradezu auszuschließen. Meine Herren, wenn der Hr. Abg. von Kröcher gesagt hat, dieser Landgemeinde⸗Entwurf trage den Charakter der Gesetzgebung vom Jahre 1867 bis 1878, so acceptire ich das gern als das beste Lob, welches derselben zugewendet werden kann. (Sehr wahr! links.) Denn, meine Herren, wir haben es hier nicht mit der Reichs⸗ gesetzgebung, sondern mit der Staatsgesetzgebung zu thun, und in diese Periode fällt also der Erlaß der Kreisordnung. fällt der Erlaß der Provinzialordnung, fällt die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es ist richtig: auf diesem Boden steht die Vorlage, auf diesem Boden will sie weiter bauen, und ich kann sagen: ich freue mich, wenn sie jenen Gesetzen an die Seite gestellt werden kann. Meine Herren, ich muß ja jetzt allerdings, wenn ich Hoffnung ausspreche, daß die Landgemeindeordnung in diesem hohen Hause an⸗ genommen werde, auf den Wunsch verzichten, den ich am Schluß der zweiten Lesung ausgesprochen habe: daß sie einstimmig angenommen werde; denn ich habe ja bereits eine vollständige Absage von einer ganzen Fraktion. Die Fraktion von Meyer (Arnswalde) hat erklärt, wie ein Mann dagegen zu stimmen. (Unruhe und Heiterkeit.) Meine Herren, ich bedauere das nicht bloß wegen der großen persönlichen Hochachtung, die ich vor dem Führer dieser Fraktion habe, sondern weil ich den guten Kern von sehr feinem Geschmack, der in der rauhborstigen Schale dieser Fraktion steckt, ganz besonders schätze. Dazu kommt ja aber noch, daß gerade im Laufe der Diskussion die Stärke dieser Fraktion, wenigstens numerisch, durch den Hinzutritt der Hrrn. Abgg. von Schalscha und von Kröcher sich verdreifacht und daß sie in dem Hrn. Abg. Dr. Gerlich sogar noch einen Hospitanten

.

Kreisausschusses und der Befürwortung des Regierungs⸗Präsidenten b

Da ist zunächst

doch auch noch der Centralinstanz bei Bildung dieser Verbände eine ]/ Wenn ich nun einerseits auf die Unterstützung dieser Ha⸗

zichten muß, so muß ich doch andererseits den dringenden Wunsch aussprechen, daß mit einer möglichst großen Majorität dieser Gesetzentwurf Annahme finden möge. Wir vollenden hier ein großes Werk, welches die Aufgabe unserer Gesetzgebung seit längeren Jahren gewesen ist, und für die demnächstige Ausführung dieses Ge⸗ setzes wird es von ganz besonderem Werth sein, daß die Dissonanzen, welche im Laufe der Kommissionsberathungen und auch wohl hier bei der zweiten Berathung hervorgetreten sind, sich in einem harmoni⸗ schen Finale bei der Schlußabstimmung auflösen.

Ich bitte Sie, den Entwurf der Landgemeindeordnung mit mög⸗ lichst großer Majorität anzunehmen. (Bravo! links. Zurufe: Frak⸗ tionsbravo! Heiterkeit und Unruhe.)

Abg. von Rauchhaupt: Daß sein en Ab Kröcher mit seiner Vahase 8 Wod⸗ lassen, beweise die starke Stellung der konservativen Partei. Sie habe zuerst Bedenken gehabt, eine kodifizirte Landgemeindeordnung zu be⸗ rathen; aber nachdem die Schwierigkeit überwunden sei, halte sie es nicht für richtig, das Gesetz schließlich abzulehnen. Sie stimme aus ehrlicher Ueberzeugung für die Vorlage, nicht aus opportunistischen Gründen. Sie halte es für eine konservative Aufgabe, vermeiden und rechtzeitig Verbesserungen herbeizuführen. Quieta non movere, das sei auch ihr Grundsatz, aber wenn die Sachen von der Staatsregierung einmal angerührt seien, dann wolle sie auch ihre

halte. (Zustimmung rechts.) Alles wolle sie nicht auf die orts⸗ statutarischen Bestimmungen begründen, sondern Streit bestehe nur darüber: in welchen Fällen sollten die Gemeinden selbständig sein, und diese Fälle sollten gesetzlich festgestellt werden. Sie wolle nicht Theorien einführen, sondern die praktischen Verhältnisse berücksichtigen. Daß sie eine organische Reform der Landgemeindeordnung verlangt habe, könne er dem Minister allenfalls zugestehen;

eine kodifizirte Landgemeindeordnung habe sie auf

-. verlangt. Kaum habe man sich durch den kleinen Brauchitsch durchgearbeitet, so werde man jetzt neuer Gesetzbücher bedürfen, um zu sehen, was denn von dem Alten noch gelte. Seine Partei stimme für die Landgemeindeordnung, weil sie glaube, daß das Land sie ertragen könne. Sie sei zufrieden damit, daß sie bei der Neubildung von Gemeinden und bei den Zweckverbänden einen maß⸗ gebenden Einfluß der Selbstverwaltung errungen habe. Bezüglich der Besteuerung sei sie nur zweifelhaft, ob die neue Besteuerungsform sofort eingeführt werden solle. Nach der Vorlage hier sollten die Zuschläge zur Einkommensteuer die Hauptsache sein, der Finanz⸗ Minister habe aber im Herrenhause erklärt, daß die Realsteuern, also die Grund⸗ und Gebäudesteuer die Hauptsache seien für die Gemeinden. Deshalb wolle seine Partei erst das neue Kommunalsteuergesetz ab- warten. Wenn die halbe Grund⸗ und Gebäudesteuer vielleicht in zwei Jahren überwiesen werde, dann könnten diese Bestimmungen der Landgemeindeordnung über die Besteuerung nicht mehr bestehen. Man könne doch den Landgemeinden nicht zumuthen, jetzt und in zwei Jahren wieder Alles über den Haufen zu werfen. In dem Augenblickk, wo das Stimmrecht der Häusler erweitert worden, wo die Möglichkeit gegeben sei, daß die Häusler sich mit den Unangesessenen gegen die Bauern verbündeten, da habe das Stimmrecht der Bauern gesichert werden müssen. Die hannoversche Gemeindeordnung gebe den Bauern ohne Weiteres die Mehrheit in der Gemeindeversammlung. Aber die National⸗ liberalen thäten das Gegentheil. Die Stimmklassen, welche der Abg. von Huene in seinem Antrage aufgestellt habe, nützten vielleicht für Oberschlesien, aber nicht für andere Provinzen, wo die Bauern bei viel höheren Steuersätzen anfingen. Deshalb habe seine Partei das Ortsstatut für nothwendig gehalten. Sie stimme schließlich für die Landgemeindeordnung, weil die Lösung mancher zweifelhaften Fragen lieber der Rechtsprechung überlassen werden müsse. Wenn ihre An⸗ träge, die sie in Gemeinsamkeit mit den Freikonservativen und 8 gestellt habe, eenmen würden, werde sie für ie Landgemeindeordnung stimmen, weil sie glaube, daß schi könne. (Zustimmung rechts.) 8 E“

Minister des Innern Herrfurth:

Auf die sachlichen Ausführungen des Hrn. von Rauchhaupt zu §. 14 und §. 48, in Betreff des Gemeindeabgabewesens und des Gemeindestimmrechts, jetzt einzugehen, halte ich nicht für geboten, weil wir ja vielleicht noch im Laufe des heutigen Tages, jedenfalls morgen, bei den zu diesen Paragraphben gestellten Anträgen uns sehr eingehend über die Sache unterhalten werden. Ich habe das Wort jetzt nur ergriffen, um ein Mißverständniß zu berichtigen, welches bei Hrn. von Rauch⸗ haupt in Betreff meiner vorherigen Rede untergelaufen zu sein scheint. Ich habe, wie er sich aus dem unkorrigirten Stenogramm überzeugen kann, gesagt, daß das Bedürfniß nach Aenderungen auf dem Gebiete des ländlichen Kommunalwesens von allen Parteien anerkannt worden sei, daß dies keineswegs eine ausschließliche Forderung der freisinnigen Partei sei, daß aber die Forderung einer kodifizirten Land⸗ gemeindeordnung von allen Parteien mit Ausnahme der kon⸗ servativen erhoben werde, und daß die Konservativen ihrerseits eine statutarische Regelung vorziehen. Sollte Hr. von Rauchhaupt die Richtigkeit dieser Angabe bezweifeln, so bin ich in der Lage, ihm den Wahlaufruf der konservativen Partei, der von ihm selbst unter⸗ zeichnet ist, vorzulesen, worin es ausdrücklich heißt:

Für den Erlaß einer den ganzen preußischen Staat umfassenden Landgemeindeordnung sehen wir kein Bedürfniß. (Sehr richtig! rechts.) Die Freiheit unserer ländlichen Entwickelung ist gegen⸗ wärtig in keiner Weise behindert; sie beruht auf gesunden Grund⸗ lagen. Dagegen glauben wir, daß da, wo Landgemeinden und selbständige Gutsbezirke örtlich gemeinsame öffentliche Aufgaben zu erfüllen haben, die Möglichkeit geboten werden muß, auch beim Widerspruch der Betheiligten ortsstatutarisch gemeinsame Einrich⸗ tungen ins Leben zu rufen.

Meine Herren, das ist der Standpunkt, den Hr. von Rauchhaupt auch in der Kommission als die Auffassung seiner Partei bezeichnet hat, und ich glaube, ich habe ganz richtig citirt, wenn ich gesagt habe: die kodifizirte Landgemeindeordnung wird von allen Parteien mit Aus⸗ nahme der konservativen verlangt; eine gesetzliche Regelung dahin daß in dieser Beziehung statutarische Regelung eintreten soll, wird aber Lve; von den Konservativen verlangt.

Cremer (Teltow) beda ß für di e-. welche G der hüsn 2 Sia rHn Send. besonderen Maßregeln ¹n Aussicht genommen seien. Man könne diesen Gemeinden nicht zumuthen, die Städteverfassung anzunehmen, und in

der Form der Landgemeindeordnung kön i 1“ 8 weernae * uten diese Gemeinden mit Abg. Freiherr von Huene: Er habe den Auftrag, im Nam

seiner politischen Freunde zu erklären, daß sie auf die - . An. träge jetzt nicht eingingen. Er verstehe die Freude des Abg. von Rauch⸗ haupt darüber, daß die Konservativen sich mit den Freikonservativen und Nationalliberalen vereinigt hätten, denn sie hätten in Bezug auf §. 148 ein Linsengericht hingegeben und dafür von den onal⸗ liberalen in Bezug auf §. 48 ein erhebliches Zugeständniß erlangt. Seine Partei werde ihre Anträge vertreten und anderen sachlich be⸗ gründeten Anträgen zustimmen. Sie bedauere, daß durch das Kom⸗ p jum §. 2 eine Aenderung desselben nicht mehr möglich sei.

bekommen hat. (Heiterkeit.)

Aber sie müsse die Verantwortlichkeit für diesen §. 2 von d. and weisen. Im Uebrigen werde sie hoffentlich in b. bleiben 2 11

Meinung aussprechen und die Dinge gestalten, wie sie es für richtig