1891 / 101 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 30 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

mindesten zwei Drittel der Stimmen haben“. Es war ferner, gleich in der ersten Vorlage, vorgesehen, daß ein größerer Besitz eine Mehrzahl von Stimmen bedingen sollte, damit der gebührende Einfluß dem größeren Besitzer gesichert werde. Meine Herren, auch bezüglich dieses Paragraphen möchte ich Herrn von Kleist darauf auf⸗ merksam machen, daß von seinen politischen Freunden im anderen Hause allerdings auch für diese wichtige Frage prinzipielle Aenderungen, und zwar nach der Richtung vorgeschlagen waren, daß die jetzige gesetzliche Bestimmung über die Zahl der Stimmen, über die Vorbedingungen für dieses Mehrheitsstimmrecht beseitigt und diese Regelung lediglich der ortsstatutarischen Festsetzung über⸗ lassen werden solle. Das habe ich meinerseits wiederum für unannehmbar erklären müssen, und ich bin sehr zufrieden, daß ein anderer Weg gewählt ist, und daß im Gesetz selbst die Zahlengrenzen normirt worden sind, innerhalb deren eine solche Mehrheit des Stimmrechts stattfinden kann. Ob diese Zahlen richtig normirt worden sind, ob sie zu hoch oder zu niedrig gegriffen sind, darüber läßt sich streiten, wie überhaupt bei Zahlen prinzipielle Festsetzungen überhaupt kaum möglich sind; aber darüber möchte ich auch keinen Zweifel lassen, daß die Staatsregierung ihrerseits auf ihrem prinzipiellen Standpunkt einer Regelung im Gesetze selbst fest⸗ gestanden hat und feststeht, daß sie sich aber gegenüber der großen Majorität des Hauses in der Normirung dieser Zahlengrenze der Auf⸗ fassung desselben anschließen zu können geglaubt hat.

Die dritte Aenderung, welche ebenfalls Seitens der Staats⸗ regierung für nothwendig erachtet wurde, war die Bestimmung über die obligatorische Einführung gewählter Gemeinde⸗ vertretungen bei dem Vorhandensein einer bestimmten Zahl von Stimmberechtigten, eine Bestimmung, welche übrigens, wie auch im anderen Hause mit Recht hervorgehoben worden ist, gewissermaßen ein Gegengewicht bildet, um eine mögliche Majorisirung derjenigen, welche hauptsächlich zu den Gemeindeabgaben beitragen, zu verhindern. Denn sobald die Gemeindevertretung eingeführt wird, ist auch das Dreiklassenwahlsystem eingeführt, und damit ist auch das Uebergewicht des Besitzes von vornherein gesichert. Ich kann nur wiederholen, ich kann die Vorlage so, wie sie aus dem anderen Hause herüber gekommen ist, weil sie prinzipielle Aenderungen der Regierungsvorlage nicht enthält, und weil die beschlossenen Aende⸗ rungen mit den Grundsätzen, von denen die Königliche Staatsregierung ausgegangen ist, vereinbar sind, Ihnen zur unveränderten An⸗“ nahme empfehlen. Ich bin überzeugt, ‚daß, indem wir ein solches Werk zum Abschluß bringen, zum Wohl des Landes einen sehr heil⸗ samen Schritt thun.

Wenn im Gegensatz zu dieser Auffassung der erste Herr Vor⸗ redner diese Vorlage als einen politischen Fehler ersten Ranges bezeichnet hat, so weiß ich eigentlich nicht, ob ich darauf überhaupt zu antworten Veranlassung habe. Herr Graf von Hohen⸗ thal hat gesagt, mit diesem politischen Fehler ersten Ranges treibe die Bureaukratie einen parlamentarischen Sport unter Zuhülfenahme der

„National⸗Zeitung“. (Zuruf: und des Linksliberalismus.) Er selbst

hat auch geglaubt, mich in einem anderen Blatte darüber belehren zu sollen, daß es nicht zweckentsprechend sei, wenn ich mich persönlich an der Diskussion dieser Vorlage in allen ihren Einzelheiten betheilige. Ich bedauere, diese Belehrung nicht annehmen zu können. Bei einem Gesetze von so weittragender Bedeutung wie diese Landgemeinde⸗ ordnung, ist es meines Erachtens die Pflicht des Ressort⸗Ministers, nicht nur bei der Diskussion über die allgemeinen Prinzipien, sondern auch bei allen wichtigen Einzelfragen persönlich für das Gesetz ein⸗ zutreten. Außerdem entspricht es meiner Ansicht nach der Rücksicht⸗ nahme, die die parlamentarischen Vertretungen zu fordern berechtigt sind. (Ruf: Sehr wahr!) Im Uebrigen, sofern es einmal überhaupt noth⸗ wendig werden sollte, Ausführungen des ersten Herrn Redners zu berücksichtigen und zu widerlegen, bin ich gern bereit, das den Regierungskommissaren zu überlassen. Heute sehe ich dazu keine aus⸗ reichende Veranlassung. Nur wegen der Provokation, in welcher Weise ich diese Vorlage vereinigen könnte mit der Thronrede vom Jahre 1888, möchte ich mit Rücksicht darauf, daß ich nicht berechtigt bin, Thronreden zu interpretiren, ihn darauf hinweisen, er möge sich selbst diese Belehrung holen aus der Thronrede von 1890.

Es ist mit Recht hervorgehoben worden, die Landgemeindeordnung stehe im engen Zusammenhang mit der Kreisordnung, und sei ihr nach vielen Richtungen hin an die Seite zu stellen, auch mit Rücksicht darauf, daß sie einen heftigen Widerspruch erfährt und von welcher Seite dies geschieht. Ja, hierin hat sie auch eine gewisse Aehnlichkeit mit der Gesetzgebung aus dem Anfange dieses Jahrhunderts. Denn auch damals ist gegen dieselbe von gleicher Seite und in gleicher Weise Widerspruch erhoben worden. Ich gebe aber zu, daß im Anfange bei der Einführung der Landgemeindeordnung manche Unbequemlichkeit und Unzufriedenheit entstehen wird. Ich nehme nicht an, daß gleich von Anfang an nur Zufriedenheit bei allen Betheiligten herrschen wird. Aber ich bin der Ueberzeugung, daß sehr bald bei einer konsequenten, richtigen, maßvollen Durchführung dieses Gesetzes sich der Segen des⸗ selben allseitig bekunden werde, und ich kann nur bitten: folgen Sie dem Berspiele des anderen Hauses und nehmen Sie diese Vor⸗ lage auch mit großer Majorität an! (Bravo!)

„Herr von Helldorff (Bedra) erklärt, daß er in dem Aufsatz in der „Allgemeinen konservaliven Monatsschrift“ nur gegen fort⸗ schrittliche Blätter und gegen das allgemeine Wahlrecht polemisirt habe; die Vorlage sei aber so geartet, daß seine Bedenken hinfällig Lencaen 3

Gra ohenthal erklärt, daß er diesen Artikel nur an⸗ eführt habe, weil darin der Minister des Innern mit seiner demo⸗ ratischen Tendenz festgenagelt sei.

Herr von Klitzing: Er wolle sich durch gute Gründe für die Vorlage gewinnen lassen, allein es seien bis jetzt solche Gründe nicht vorgebracht worden; vielleicht werde das Haus überzeugt werden, wenn der Minister ihm das zur Verfügung stehende Material mit⸗ theile. Wenn gesagt worden sei, daß die Stimmung des Hauses jetzt eine andere sei als bei der Kreisordnung, so liege das daran, daß die Kreisordnung nicht die Bauern getroffen habe, sondern die Ele⸗ mente, welche stets das öffentliche Wohl über ihre eigenen Interessen

stellten und sich auch in di Punkte d 8 8 ordneten. 4 iesem Punkte dem Staatswohl unter⸗

Damit schließt die Generaldiskussion. ie Abthei treten zur Wahl der Kommission eb

Schluß 3 Uhr. Nächste Sitzung unbestimmt.

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das Unternehmen Ausdruck gab.

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Nr. 16 der Veröffentlichungen des Kaiserlichen Ge⸗ Lundheitsamts vom 21. April hat folgenden Inhalt: Personal⸗ Nachricht. Gesundheitsstand. Volkskrankbeiten in der Berichtswoche. Influenza in Sheffield. Pest in Affyr. Sterbefälle in deutschen Städten mit 40000 und mehr Einwohnern. Desgl. in rößeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Berliner Kranken⸗ häusern. Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. Perni⸗ ciöses Klimafieber in Bonny (West⸗Afrika). Gelbfieber in Rio de Janeiro. Mittheilungen aus Britisch⸗Ostindien 1889. Statistisches Handbuch von Prag. Witterung. Grundwafferstand und Boden⸗ wärme in Berlin und München, März. Thierseuchen. Unter⸗ suchung auf Trichinen und Finnen in Preußen 1886 bis 1889. Klauenseuche in den Niederlanden. Zeitweilige Maßregeln gegen Volkskrankheiten. Veterinär⸗polizeiliche Maßregeln. Medizinal⸗ gesetzgebung u. s. w. (Preußen. Regierungsbezirk Posen.) Trink⸗ wasserversorgung. (Lippe.) Tuberculinum Kochii. (Vereinigte Staaten von Amerika.) Einfuhr von Rindern. Schafen, Schweinen. Ausfuhr von Rindern und Schafen. Rechtsprechung. (Amts⸗ , Krefeld und Ober⸗Landesgericht Köln.) Wiederholte Straf⸗ arkeit aus §. 14 Abs. 1 des Impfgesetzes. Verhandlungen von 2fesges Körperschaften, Kongresse. (Oesterreich.) Aerztekammern. (England. London.) 7. internationaler Kongreß für Hygiene und Demographie. Geschenkliste.

Statistik und Volkswirthschaft.

Der Verein für die Berliner Arbeiterkolonie

hat im Laufe des Monats 309 Mitglieder gewonnen, deren Zahl damit bis auf ca. 3000 gestiegen ist. Man erwirbt die Mitgliedschaft durch Zahlung eines Jahresbeitrags von mindestens 2 und durch die Verpflichtung, den Hausbettlern nur in den äußersten Ausnahme⸗ fällen direkte Almosen zu geben, dieselben vielmehr nach der Arbeiter⸗ kolonie (Reinickendorferstraße 36 a) zu schicken. Da die Anstalt trotz ihrer vor Kurzem erfolgten Erweiterung auf 200 Betten im ver⸗ gangenen Winter dem Bedarf nicht genügte, hat der Vorstand ihre Erweiterung durch Filialen in anderen Stadttheilen in Aussicht ge⸗ nommen und bereits wichtige vorbereitende Schritte dazu gethan.

1 Deutsche Volksbaugesellschaft.

Zu der am 25. d. M. anberaumten Sitzung des Comités der Deutschen Volksbaugesellschaft hatte General⸗Feldmarschall Graf von Moltke noch am Tage vorher sein Erscheinen versönlich fest zugesagt. Das plötzliche Hinscheiden ihres ersten Genossen mußte die Mitglieder der Genossenschaft daher besonders tief und schmerzlich bewegen. Professor Dernburg konnte in dem Nachruf, mit welchem er die Versammlung eröffnete, mit Recht betonen, daß der Verlust des Mannes, um welchen ganz Deutschland trauert, auch in den Kreis der Deutschen Volksbaugesellschaft, deren Begründung Wund Entwickelung der große Feldherr und Staatsmann mit liebevoller Sympathie und werkthätiger Unterstützung begleitete, eine unausfüllbare Lücke gerissen habe, daß aber das An⸗ denken an seine Mitwirkung der Stolz der Genossen und ihr Leitstern sein werde bei der hohen Aufgabe, welche sie sich gestellt haben. Es wurde beschlossen, im Ramen der Volksbaugesellschaft einen Kranz an dem Sarge Moltke's niederzulegen. Ueber den Fortgang des Unternehmens konnte im Uebrigen nur Günstiges berichtet werden. Neue Mitglieder sind Se insbesondere Fürst von Pleß, Reichstags⸗Abgeordneter Dr. Ritter, General Konsul Zwicker, der Leiter des Bankhauses Gebrüder Schickler, sowie Hr. Kaufmann Allardt. Es wurde darüber berathen, in welcher Weise die Vorsorge dafür zu treffen sei, daß aus den Reinerträgnissen der Gesellschaft entsprechende Summen für gemeinnützige Zwecke der zu gründenden Ansiedelungen, insbesondere für Kirche, Schule und Wohlfahrtseinrichtungen, aufge⸗ wendet werden, und hierfür eine Kommission niedergesetzt.

, Der Verhandlung wohnte bis zum Schlusse Fürst Otto zu Stolberg⸗Wernigerode bei, welcher seinem lebhaften Interesse für

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8 Emder Heringsfischerei.

Die Gesellschaft disponirt gegenwärtig selbst über die Ausrüstung der Schiffe für die nächste Fangsaison, was als günstige Folge der Reichsunterstützung anzusehen ist, und hofft, daß ihr diese Ausrüstungsprämie wieder zu Theil werde, um den Betrieb bei der Konkurrenz der Holländer und Schotten auf der jetzigen Höhe erhalten zu köͤnnen. Die Mannschaftslöhne haben in Folge der holländischen Konkurrenz für nächste Saison um 10 700 gesteigert werden müssen.

Zur Arbeiterbewegung.

Die Ausstandsbewegung im Ruhrkohlenrevier scheint ihren Höhepunkt bereits überschritten zu haben. Nach den letzten Nachrichten ist die Zahl der Ausständigen fast überall im Abnehmen, und soweit man aus der Ent⸗ fernung ein zutreffendes Bild von der Stimmung in den Kreisen der Bergleute gewinnen kann, empfängt man den Eindruck, daß ein erneutes Anschwellen der Bewegung vor⸗ läufig kaum zu erwarten ist. So schreibt man der „Köln. Ztg.“ aus Gelsenkirchen unter dem 28. April:

Die meisten Bergleute haben, wie ihr Verhalten gegenüber dem Ausstandsbeschluß der Bochumer Delegirtenversammlung bekundet, lieber jeder für sich selber denken und handeln wollen, als daß sie Andere für sich denken lassen. Die öffentliche Meinung und, was wohl noch wichtiger ist, die Frauen der Bergleute, sind diesmal dem Ausstand entschieden abhold und haben über die Delegirten den Sieg davongetragen. Die veränderte Stimmung kennzeichnet folgender Vorfall auf Zeche „Hibernia“. Auf diefer Zeche und damit in dem ganzen hiesigen Bezirk wurde vor zwei Jahren der Ausstand durch die Pferdejungen begonnen. Von ihnen wurde auch diesmal, und zwar schon am Freitag, als der Aus⸗ stand sozusagen in der Luft hing, der Reigen eröffnet, indem sie sich, statt zu arbeiten, in der Grube zusammenrotteten und „Bergamt ab⸗ hielten“, wie der technische Ausdruck lautet. Diese Versammlung fand diesmal dadurch ihr Ende, daß die Häuer sich ins Mittel legten und den jugendlichen Unruhestiftern den Beweis lieferten, daß sie nicht nur Kohlen zu hauen verstehen.

Die Lage im Ober⸗Bergamtsbezirk Dortmund am Don⸗ nerstag Morgen wird durch eine nach dem Strikejournal des Generalsekretariats des bergbaulichen Vereins von der „Rh.⸗W. Ztg.“ mitgetheilte Tabelle gekennzeichnet, welche nachweist, daß in der vorgestrigen Morgenschicht auf 42 Zechen 18 895 Mann strikten. Gestern Morgen zeigte der Aus⸗ stand, wie schon gestern „nach Schluß der Redaktion“ tele⸗ graphisch mitgetheilt wurde, eine erfreuliche Abnahme, welche gestern Nachmittag sich noch erheblicher bemerklich machte.

Auf Zeche „Ver. Hagenbeck“ bei Altendorf ist gestern Morgen die ganze Belegschaft angefahren, und zwar hat sich der Delegirte Freiburg zuerst zur Anfahrt gemeldet. Auf „König Wilhelm“, Schacht Wolfsbank, sind 374 unter Tage, auf Christian Levin sind 426 unter Tage, auf Schacht Neu⸗Cöln ist Alles an⸗ gefahren. Auf Schacht Wilhelm der Zeche „Königin Elisabeth“ ist die volle Belegschaft angefahren. Auf „Ver. Johann⸗Dei⸗ melsberg“ bei Steele ist gestern bis auf einige Mann die ganze Belegschaft wieder angefahren. Auf Zeche „Eiberg“ sind gestern Morgen von 383 Mann 144 angefahren, 20 Mann mehr als am Dienstag. Auf „Eintracht Tiefbau⸗ sind gestern Morgen 190 Mann mehr angefahren als vorgestern. Auf Zeche „Dannover Schacht 1“ sind Morgens 564 Mann inkl. Nachmittagsschicht, auf Schacht II von 355 90 angefahren. Auf der Zeche „Centrum“ bei Wattenscheid sind Morgens von 774 Mann

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lanter Tage 404 Mann angefahren, über Tage von 467 Mann 434

- b 14“

Es strikten noch 403 Mann. Auf Zeche „Holland“ war das Ver⸗ hältniß wie vorgestern. Auf Z „Ver. Marianne und Steinbank“ sind angefahren 83 unter Tage, über Tage 309. Auf Zeche „Ver. Engelsburg“ sind 44 Mann unter Tage, über Tage 55 angefahren. Auf Zeche „Hasen⸗ winkel“ sind unter Tage 16, über Tage 54 Mann an⸗ gefahren. Auf Zeche „Baaker Mulde“ sind nur wenige Leute an⸗ gefabren. Auf Zeche „Königsgrube“ ist gestern Morgen fast die ganze Belegschaft wieder angefahren; von 569 fuhren an 517. Auf Zeche „Alstaden“ bei Oberhausen ist auf Schacht I die ganze Beleg⸗ schaft wieder angefahren; auf Schacht II fehlen nur noch 31 Mann. Ueber Tage arbeitet Alles. Auf Zeche „Bonifacius“ bei Kray sind im Ganzen 277 Mann unter Tage, über Tage 178 angefahren. Auf den Schächten „Shamrock’, „Hibernia und, Wilhelmine“ der Berg⸗ werksgesellschaft „Hibernia“ bei Wanne ist Alles angefahren, ebenso auf Zeche „Hannibal“. Auf Zeche „Konstantin der Große“ sind gestern Morgen auf Schacht I von 190 Mann nur 10, auf Schacht II von 217 Mann 130 unter Tage angefahren. Ueber Tage arbeitete Alles. Auf Zeche „Fröhliche Morgensonne“ sind gestern Morgen 45 unter und 96 über Tage in Arbeit. Auf Zeche „Präsident“ sind gestern 350 Mann angefahren. Auf Zeche „ver. Germania“ Schacht II fehlen nur noch 26. Auf Schacht I ist Alles angefahren. Die Belegschaften von Zeche„Vollmond“ und, Prinzvon Preußen“ striken noch ganz. Auf Zeche „Kaiser Friedrich“ sind von 250 Mann 169 unter Tage angesahren. Auf Zeche „Wiendahls⸗ bank“ sind gestern Morgen 314 angefahren Auf Zeche „Caroline“ ind mehr als gestern bei der Arbeit. Im Hörder Revier arbeitet

lles Auf Zeche Dannen baum, Schacht I, II, III, IV und V sind vorgestern Nachmittag von 552 Mann 242 unter Tage angefahren; gestern Morgen sind mit theilweiser Nachmittagsschicht von 1388 Mann

735 unter Tage angefahren. Ueber Tage sind 377 Mann von 430 in Arbeit. Auf Zeche „Helene Nachtigall sind Morgens auf Schacht Helene 234, auf Schacht Nachtigall 23 angefahren. Im Gelsenkirchener und Herner Revier ist Alles in Thätigkeit. Für gestern Morgen giebt die „Rh.⸗W. Ztg.“ die Zahl der zus⸗ ständigen Bergleute auf 9500 an, die, wie erwähnt, am Nachmittag weiter abgenommen hat. 8

Auf Zeche „Prinz Wilhelm“ bei Kupferdreh sind die Leute gestern Nachmittag wieder angefahren; der Strike ist also beendet. Auf Zeche „Hannover Schacht II sind Mittwoch Nach⸗ mittag von 187 Mann 19 angefahren. Auf Schacht I ist nur Morgenschicht. Auf den Zechen der Harpener Bergbau⸗Aktien⸗ gesellscaft sind am Mittwoch mehr Leute angefahren als Dienstag Auf Zeche „Borussia“ ist die Nachmittagsschicht wieder vollzählig angefahren. Auf Zeche „Bruchstraße“ sind Mitt⸗ woch Morgen 159 angefahren. Zeche „Bruchstraße“ hat vorläufig nur Morgenschicht. Auf Zeche „Siebenplaneten“ sind Mitt⸗ woch Morgen von 488 Mann 130 angefahren. Nachmittagsschicht ist vorläufig dort nicht. Auf den Schächten der Essener Bergwerks⸗ Gesellschaft „König Wilbelm“ ist Mittwoch Nachmittag die Be⸗ legschaft wieder vollzählig angefahren. Auf Zeche „Holland“ Schacht III sind Mittwoch Nachmittag 87 Mann unter Tage an⸗ gefahren, 10 mehr als Dienstag. Auf Zeche „Konstantin der Große“ bei Bochum sind Mittwoch auf Schacht I 28 Mann von 176, auf Schacht II 122 Mann von 247 angefahren. Auf Zeche „Carolinenglück“ sind Mittwoch Morgen 55 Mann unter Tage und 67 über Tage angefahren, Nachmittags arbeitete Niemand. Auf Zeche „ver. General u. Erbstollen“ sind Mittwoch Morgen 17 Mann angefahren; Nachmittags nur einige. Auf Zeche „Con⸗ cordia“ bei Oberhausen sind auf Schacht I und II zusammen 48 unter Tage angefahren. Auf Zeche „Blankenburg“ sind Mittwoch Morgen und Nachmittag mehr Leute angefahren als Dienstag. Auf Zeche „Dahlhauser Tiefbau“ strikt noch Alles.

„Vom heutigen Tage wird telegraphisch berichtet, daß auf sämmt⸗ lichen Zechen von „Hibernia“ heute Alles angefahren ist. Der Ausstand ist enischieden in Abnahme begriffen.

Wie dem „Vorwärts“ aus Leipzig mitgetheilt wird, e die dortigen Eisenbahnarbeiter an den Eisen⸗

ahnarbeiter⸗Kongreß, der jetzt in Tours tagt, folgende

Adresse geschickt:

Wir sind hocherfreut zu wissen, daß Ihr vereinigt seid zu dem Zwecke, Eure Lage zu verbessern. Dieses muthige Eintreten wird nicht ohne gute Folgen bleiben. Die deutschen Eisenbahnarbeiter bringen Euch die aufrichtigsten Glückwünsche dar, sie begrüßen Euer energisches Handeln mit größter Begeisterung und werden sicherlich in nicht zu ferner Zeit Eurem Beispiel folgen. Wenn die Eisenbahn⸗ arbeiter endlich ihre Stimmen laut erheben, so werden sie dazu gedrängt, einmal durch die ungünstigen Arbeits⸗ und Lohnverhältnisse, das andere Mal durch das unverantwortliche herausfordernde Gebahren der Verwaltung im Verein mit den bestel ende Arbeitgeberkoalitionen jeder Art ihren Arbeitern gegenüber.

Aus Karlsruhe theilt ein Wolff'sches Telegramm mit, da die von den sozialdemokratischen Wahlvereinen in Karls⸗ ruhe und Mühlberg für Sonntag Nachmittag geplanten Aufzüg nach benachbarten Ortschaften polizeilich verboten worden sind.

In Brüssel beschloß die gestrige Versammlung des Syn dikats der Koblengrubenbe itzer, an welcher vierzig Notabi⸗ litäten der Industrie theilnahmen, eine Erhöhung der Kohlen preise nicht eintreten zu lassen; da dieselbe leicht als eine Pro⸗ vokation zur Hervorrufung eines Strikes angesehen werden könnte. Aus Charleroi meldet „W. T. B.“, daß gestern Abend zwei Schwadronen Lanciers von Brügge dort eingetroffen sind. Bis gestern war Charleroi und die Umgegend vollkommen ruhig.

Aus Seraing schreibt man der „Köln. Ztg.“: Die Vorsitzenden der verschiedenen Arbeiter⸗Ausschüsse zeigten den Leitern der Cockerill'schen Werke an, daß die Arbeiter am 1. Mai feiern würden. Die Direktion antwortete, daß ihnen dies freistehe, daß aber alsdann am 2. Mai einem Sonnabend die Gesell⸗ schaft nicht arbeiten lassen werde. Auf diese Weise werden die Theil⸗ nehmer an der Maikundgebung drei Feiertage nacheinander haben.

Wie aus Paris telegraphisch verichtet wird, setzte die parla⸗ mentarische Arbeit kommisston das Maximum des Normal⸗ arbeitstages für Arbeiter in industriellen Unternehmungen auf zehn Stunden fest. Die Deputirten Ledieu und Basly wurden gestern Vor⸗ mittag von dem Minister des Innern Constans empfangen und gaben die Versicherung ab, daß die Grubenarbeiter von Pas 8 Calaio hinsichtlich des 1. Mai durchaus friedliche Absichten ätten.

Mit Rücksicht auf etwa für den 1. Mai geplante Arbeiter⸗

kundgebungen wurden, wie „W. T. B.“ ferner aus Paris

meldet, die Gewehrhändler polizeilicherseits aufgefordert, die in ihrem Besitz befindliche Munition in Sicherheit mu bringen und ihre Läden zu schließen. Ebenso sind die Händler mit alten

Chassepotgewehren, Bajonetten und dergleichen mehr aufgefordert

worden, dieselben in sicheren Gewahrsam zu bringen. Eine Ver⸗

haftung von Anarchisten hat gestern Vormittag nicht stattgefunden.

Das Generalcomité für die beabsichtigte Arbeiter⸗

kundgebung hielt vorgestern Abend seine letzte Sitzung,

in welcher es sich mit einigen Detailfragen beschäftigte. Das Bureau stellte den Delegirten der verschiedenen sozialistischen Gruppen Pla⸗ kate zu⸗ welche in der näͤchsten Nacht angeschlagen werden sollen. In denselben werden die Arbeiter, die Arbeiterinnen und Angestellten zu einer Kundgebung Behufs Herabsetzung der Arbeitszeit und Feststellung eines Minimalgehalts aufgefordert.

Das Comité nahm sodann einen Antrag an, in welchem die öffent⸗

lichen Gewalten ersucht werden, sich mit den sozialen Forderungen zu

beschäftigen.

Ein Wolff'sches Telegramm berichtet aus Tulle: Ein Erlaß der Verwaltung der hiesigen Staatswaffenfabrik untersagt den darin beschäftigten Arbeitern bei Strafe der Entlassung jedes Feiern am 1. Mai.

Berlin, Donnerstag, den 30. April

Haus der Abgeordneten. 77. Sitzung vom Mittwoch, 29. April.. Der Sitzungwohnen der Präsidentdes Staats⸗Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi, der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch, der Finanz⸗Minister Dr. Miquel und der Minister für Landwirthschaft ꝛc. von

Heyden bei.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗ Etats für 1891/92 wird fortgesetzt mit dem Spezial⸗Etat des Ministeriums für Handel und Gewerbe, und zwar bei dem Kapitel „Gewerbliches Unterrichtswesen, wissenschaftliche und gemeinnützige Zwecke.“

Abg. Dr. Lotichrus bittet den Minister um Gründung sogenannter Schifferschulen an den größeren Flüssen, besonders am Rheine. Die Ausdehnung des Verkehrs mache 118” Fachschulen, wie sie sich an der Elbe schon bewährt hätten, nothwendig. Redner wünscht ferner eine polizeiliche Vorschrift, nach welcher alle Schiffe an den engen Stellen des ööe von Mainz bis Koblenz, durch Dampfer nschs ehregecher Magdeburg sagt bezüglich der Schiffer⸗ schulen wohlwollende Erwägung zu; die bereits vorhandenen an der Elbe hätten Vorzügliches geleistet. Auch die zweite Anregung werde in Erwägung gezogen werden. G 89 8 8

Abg. Friederichs wünscht eine größere Unterstützungssumme für die gewerblichen Fachschulen und daß die einzelnen Zuschüsse im Etat leichter ersichtlich gemacht würden; um den Lehrern die Freudigkeit im Amt zu erhalten, müsse man ihnen höhere Gehälter und höhere Pensionen gewähren. Auch die von den Gemeinden zu leistenden Zuschüsse müsse der Staat fixiren. 8

Abg. Sombart führt aus, daß sich der höhere gewerbliche Fachschulunterricht in Preußen sehr gut entwickelt habe, daß aber der mittlere noch viel zu wünschen übrig lasse. Es müßten Provinzial⸗ Polvtechniken gegründet werden, in welchen alle Zweige des praktischen gewerblichen Lebens zu lehren seien.

Auf eine von dem Abg. Friedrichs gemachte Bemerkung über die Persönlichkeit des von der Regierung nach Amerika entsandten Direktors Haedicke bemerkte der

Minister für Handel und Gewerbe, Berlepsch:

Ich muß um Nachsicht bitten, wenn ich eine Angelegenheit kurz berühre, die für die Oeffentlichkeit weniger Interesse hat, umsomehr aber für einen meiner Verwaltung angehörenden Beamten. Der Hr. Abg. Friederichs hat bereits darauf hingewiesen, daß in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses im Februar dieses Jahres der Hr. Abg. Schmidt erwähnt hat, daß der Direktor einer Fachschule sich des Verraths eines Fabrik⸗ geheimnisses schuldig gemacht habe, welches er auf amtlichem Wege erfahren. Dieser Beamte sei dann von der Re⸗ gierung nach Amerika geschickt zu einer Studienreise, und es sei doch nicht als richtig anzuerkennen, daß zu solchen Zwecken Beamte gewählt würden, die mit einem Makel behaftet seien. Es ist dem betreffenden Beamten ebensowenig wie allen den Verhält⸗ nissen näher stehenden Kreisen verborgen geblieben, daß damit der Fachschul⸗Direktor Haedicke in Remscheid gemeint gewesen ist. Der Anschuldigung des Hrn. Abg. Schmidt lag ein Erkenntniß des Landgerichts zu Elberfeld zu Grunde, und ich muß ohne Weiteres anerkennen, daß, wenn er von der Sache nichts weiter wußte, als die Anführungen dieses Erkenntnisses, er zu seiner Anschuldigung berechtigt war. In diesem Erkenntniß, welches nicht gegen den Direktor Haedicke ergangen ist, sondern gegen eine dritte Person, die von Haedicke wegen Be⸗ leidigung verklagt war, ist ausgeführt worden, daß der erste Richter die Beweisaufnahme vollständig geführt habe, und daß sie als zu⸗ treffend anerkannt werden müsse. Es heißt dann weiter:

„Da⸗ Gericht hat die Wahrheit der von dem An⸗ geklagten (Jbach) behaupteten Thatsache, der Direktor Haedicke habe sein Geheimniß, betreffend die Anfertigung von Damaststahl, an den Konkurrenten Gustav Brake verrathen, sich dadurch eines groben Vertrauensmißbrauchs schuldig gemacht und ihn in seinem Geschäft schwer geschädigt, als erwiesen angenommen.“

Dieses Erkenntniß bezieht sich auf die Beweiserhebungen in der ersten Instanz, hat es aber unterlassen, diejenigen sehr entlastenden Momente anzuführen, die in den Gründen des ersten Erkenntnisses ebenfalls enthalten sind. Dort lautete es nämlich folgendermaßen:

„In letzterer Beziehung hat das Gericht nun allerdings ange⸗

noommen, daß der Zeuge Haedicke bei der Unterredung mit Brake völlig in gutem Glauben handelte, daß er nicht die Ahsicht hatte, ein Fabrikgeheimniß zu verrathen, daß er wirklich annahm, die Herstellung des Damaststahls, wie sie der Angeklagte betreibe, bilde kein Geheimniß, ja daß er nicht einmal die Absicht hatte, dem Zeugen Brake Mittheilung von der Ibach'schen Fabrikations⸗ methode zu machen, daß Brake vielmehr aus dessen unvorsichtig gethanenen Aeußerung die Kenntniß jener Methode gewann“.

Meine Herren, aus diesem Passus des Erkenntnisses geht zweifel⸗ los hervor, daß, wenn vielleicht auch der betreffende Beamte, der Direktor Haedicke, etwas unvorsichtig in seinen Bemerkungen gewesen ist, doch von einem Verrath eines Geheimnisses nicht die Rede sein kann, und wenn man die Vorgänge näher kennt, so erhellt das noch viel klarer. Hr. Haedicke ist Direktor der Fachschule und ist mit seinen Schülern zu dem Fabrikanten Ibach das ist der geschädigte Fabrikant von Damaststahl, der hier in Frage kommt mit dessen Erlaubniß gekommen; dort ist ihm die Fabrikation des Damaststahls gezeigt worden, ihm und einer großen Zahl seiner Schüler; er hat dann Proben des dort gefertigten Damaststahls bekommen, er hat sie ausgestellt, und auf Grund der Studien, die in der Fabrik des Hrn. Ibach gemacht worden sind, haben dann die Schüler weitläuftige Aus⸗

Freiherr von

arbeitungen gemacht.

Meine Herren, der Fabrikant, der gestattet, daß ein Lehrer, der auch künftige Damastschmiede ausbildet, in seine Werkstatt kommt, der diesem Lehrer mit seinen Schülern die Art der Fabri⸗

kation zeigt, kann unmöglich behaupten, daß es sich hier um ein zu

wahrendes Fabrikationsgeheimniß handelt, und deshalb war die An⸗

nahme des Direktors Haedicke, welche das Vorhandensein eines Ge⸗ heimnisses nicht v

vo ussetzte, eine völlig gerechtfertigte. D

daß der Direktor Haedicke keine Handlungen begangen hat, die den Vorwurf des Makels rechtfertigen, wird auch, wie der Hr. Abg. Friederichs bereits ausgeführt hat, von dem Kuratorium der Fachschule, unter dessen Aufsicht Hr. Haedicke fungirt, durchaus getheilt.

Ich glaube, damit der Pflicht genügt zu haben, den Ruf eines ehrenwerthen und tüchtigen Beamten in den Augen dieses hohen Hauses wieder herzustellen. (Bravoll) Der Titel wird bewilligt.

Beim Titel „Zuschüsse für Fortbildungsschulen“ nimmt das Wort der

Präsident des Staats⸗Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi:

Ich habe mir das Wort erbeten, obwohl der Gegenstand, über den ich mich zu äußern beabsichtige, nur in einer sehr losen Verbin⸗ dung mit dem Titel steht, der jetzt in der Debatte sich befindet. Die Gewerbeschule in Hannover hat im vorigen Jahre und in diesem Jahre Seitens der Staatsregierung Unterstützungen aus dem Welfenfonds bekommen, und der Welfenfonds ist es, um dessentwillen ich hier das Wort erbeten habe. Die Staatsregierung empfindet das Be⸗ dürfniß, sich dem hohen Hause gegenüber auszusprechen über die Anschauungen, die sie über den Welfenfonds hat, über die Weise, wie er bisher verwaltet worden ist und über das, was sie in Zukunft mit ihm beabsichtigt. Vor reichlich einem Jahre beschäftigte sich das Staats⸗Ministerium mit diesen Fragen, und es war die einstimmige Ansicht der Minister, daß, wenn es möglich wäre, dem Welfenfonds eine andere Verwaltung zu geben, das nur im Interesse des Staats⸗ Ministeriums und des Landes liegen könne. (Sehr richtig! links.)

Zu diesem Behufe trat man nun der Frage näher. Ja, wie ist denn die Sache bisher gewesen? Und es stellte sich da zunächst heraus, daß man auf Einzelheiten auch für die Vergangenheit ver⸗ zichten mußte, daß es nicht möglich war, zu ermitteln, wie ist in den letzten 20 Jahren der Welfenfonds im Einzelnen verwaltet worden? Geheime Fonds werden im Allgemeinen dechargirt durch die Ressort⸗ Chefs. Am IJahresschluß bescheinigt der Ressort⸗Chef, daß der Fonds der Bestimmung gemäß verwendet worden ist. Dasselbe Verfahren war für den Welfenfonds einge⸗ führt worden, nur mit der Aenderung, daß als Ressort⸗Chef hier Seine Majestät der König auftrat und die Minister, die Theile vom Welfenfonds zu verwalten hatten, dechargirte. Es sind darauf dann Jahr für Jahr die sämmtlichen Rechnungen über die Aus⸗ gaben aus dem Welfenfonds, sämmtliche Quittungen ver⸗ brannt worden (hört, hört! links), sodaß Beläge nicht da waren, die uns gestattet hätten, geschichtlich rückwärts zu verfolgen: Wie ist der Welfenfonds verwendet worden? Wir mußten uns also auf das Ganze beschränken und konnten da konstatiren, daß alljährlich das Staats⸗Ministerium sich über die Verwendung dieses Fonds schlüssig gemacht hat; es ist ein Theil dem Herrn Finanz⸗ Minister zur Verwendung übergeben worden, ein Theil dem Herrn Minister des Innern und den bei Weitem größten Theil hat der Minister⸗Präsident theils in seiner Eigenschaft als Minister des Aus⸗ wärtigen, theils als Minister⸗Präsident erhalten.

Ueber die Verwendung des Fonds selbst war nichts weiter fest⸗ zustellen, als ohnehin bekannt ist, daß man die Auffassung angenommen hatte, es könne im Sinne des Gesetzes, das vorschreibt, der Fonds sei bestimmt, um den gegen Preußen gerichteten Unternehmungen des Königs Georg und seiner Agenten entgegenzutreten, der Fonds auch dann verwandt werden, wenn man diese Zweckbestim⸗ mung des Gesetzes dahin ausdehne, daß nicht bloß un⸗ mittelbar solchen Umtrieben mit den Mitteln des Fonds entgegengetreten werden könne, sondern auch mittelbar. Die Dis⸗ kussionen, die über den Fonds in der Presse stattgefunden haben, geben mir zu dem Glauben Anlaß, daß im Lande vielfach die Meinung verbreitet ist, es wäre das ein nicht allein unberechtigtes, sondern auch heimliches und widerrechtlich im Verborgenen von der Staatsregierung vorgenommenes Verfahren.

Was die Rechtsfrage angeht, so ist die Staatsregierung in der Verwaltung des Welfenfonds gesetzlich einer anderen Kontrole nicht unterworfen als eben der Zweckbestimmung, die der §. 1 der be⸗ treffenden Verordnung giebt.

Was dann die Frage angeht, war denn die Staatsregierung berechtigt, oder konnte sie bona fide so handeln, so kann dies nur bejaht werden. Denn das, was die Staatsregierung gethan hat, ist seit dem Jahre 1869 dem Lande bekannt gewesen; die Staats⸗ regierung hat schon damals den Standpunkt eingenommen, daß sie berechtigt sei, mittelbar und unmittelbar den Angriff en des Königs Georg oder seiner Agenten gegen Preußen mit diesen Mitteln entgegenzutreten. Sie deduzirt nun, das Geld, was wir nicht brauchen zur unmittelbaren Abwehr dieser Angriffe, das können wir verwenden zur mittelbaren. Mittelbar aber ist den An⸗ griffen des Königs Georg und seiner Agenten dadurch entgegen zu wirken, daß man das Deutsche Reich und den preußischen Staat festigt und dadurch die Angriffe, wenn sie erfolgen, aussichtsloser macht. Diese Deduktion ist eben nicht neu, und die Staats⸗ regierung hat sie zwanzig Jahre hintereinander festgehalten und war nach meiner Ueberzeugung berechtigt, sie festzuh alten. Wir leben in einer Zeit, wo man schnell vergißt, und ich schreibe es diesem Umstande zu, daß in der Presse davon wenig die Rede gewesen ist, vielmehr die Staatsregierung dargestellt wurde, als wenn sie da etwas Unrechtes, etwas, worüber sie ein schlechtes Gewissen hätte haben müssen, getrieben hätte. Ich darf mir erlauben, aus dem Schreiben des Staats⸗Ministeriums an das Präsidium dieses hohen Hauses vom 10. Dezember 1869 die betreffende Stelle vorzulesen. Sie lautet:

„Die Staatsregierung glaubte aber die allgemeine Mittheilung machen zu sollen, daß sich der von ihr bei den Verhandlungen über die Beschlagnahmegesetze geäußerten Erwartung gemäß solche Aus⸗ gaben, welche vermöge ihrer Bestimmung zur unmittelbaren

schauung, I

er mittelbaren Abwehr feindlicher Unternehmungen in die

Abwehr.“ dieser selben Stelle zum Ausdruck gekommen; sie hat Widerspruch erfahren, sie hat aber zu keinem Beschluß des Hauses geführt, der die Staatsregierung gehindert hätte, diese ihre Auffassung weiter als berechtigt anzusehen. Der Minister Camphausen hat damals nach Ausweis der stenographischen Berichte gesagt:

Staats⸗

Anzeiger.

Kategorien des §. 2 der Verordnung vom 2. März 1868 und des Gesetzes vom 15. Februar 1869 fallen, in den neu erworbenen Landestheilen zahlreich genug ergeben haben, um es nicht zur An⸗ sammlung von Beständen aus den Revenüen der sequestrirten Ver⸗ mögensmassen kommen zu lassen.“

Also ich wiederhole nochmals: „unmittelbare und mittelbare Dieselbe Auffassung ist später im Jahre 1877 wieder an

„Der Fürst Bismarck hat damals, wie vorhin der Herr Vor⸗ redner schon anführte, ausdrücklich Veranlassung genommen, die Besorgniß als eine unbegründete zu bezeichnen, daß die Revenüen des Königs Georg dazu dienen möchten, um eine Sparkasse für ihn zu bilden, daß sie dazu benutzt werden möchten, um einen mehr oder weniger großen Theil davon Jahr für Jahr zurückzulegen, er hat vielmehr ausgesprochen, daß zur mittelbaren oder un⸗ mittelbaren Abwehr sich stets die Gelegenheit in den betreffenden Landestheilen ergeben würde. Nun sagt man ja wohl nicht mit Un⸗ recht, ein Motiv entscheidet nicht über den eigentlichen Tenor des Ge⸗ setzes, der Gesetzgeber braucht nicht unbedingt jenes Motiv acceptirt zu haben. Aber, meine Herren, wenn der Mann, der die Maßregel in Vorschlag gebracht hat, der die Maßregel für nöthig erachtete, wenn der, bevor die Verhandlungen zu Ende waren, rechtzeitig dem Gesetze diese Auslegung giebt, würde man es dann begreifen wollen, wenn die Majorität des Abgeordnetenhauses jemals anderer Ansicht gewesen wäre, daß es nicht eine entsprechende Kautel in dieses Gesetz hineingebracht hätte? In der That, mir scheint, das würde geradezu unverständlich sein.“

Dies sind die Worte des Ministers 1877. Weiter war die

Staatsregierung der Ansicht, daß Ausgaben, die in den betreffenden Provinzen damals handelte es sich zum Theil noch um Kurhessen und dann in Hannover gemacht wurden, daß auch solche Aus⸗ gaben berechtigt wären und zu den mittelbaren Ausgaben zur Abwehr

gehörten. Es ist

Vielen erinnerlich und wir haben so viel kon⸗ statiren können: Es sind Kirchen, Chausseen gebaut weorden, solche Unternehmungen der verschiedensten Art zu Nutz und Frommen der betreffenden Provinzen sind aus diesem Fonds gefördert

worden. Und auch dies ist keineswegs im Geheimen geschehen oder in

einem Usus oder Abusus, der sich nach und nach eingeschlichen hätte; in dem Kommissionsbericht von 1869 heißt es: „der Herr Minister hat sich in der Kommission folgendermaßen geäußert“ es kommt dann der Schlußsatz seiner Aeußerung, und der geht dahin —:

„In keinem Falle aber dürfe man sich der Besorgniß hingeben, daß die Staatsregierung etwa beabsichtige, durch Aufsammlung der Revenüen eine Sparkasse für die Betheiligten anzulegen: Nützliche Verwendungen, namentlich im Interesse der Landestheile, wiass die depossedirten Fürsten früher beherrschten, würden sich immer finden lassen, insbesondere in Kurhessen, wo nützliche, ja nothwen⸗- dige Bauten ausgeführt werden könnten, deren Ausführung von der früheren Regierung beharrlich verweigert worden sei.“ Der Berichterstatter fährt fort: b

„Diese Auffassung der Königlichen Staatsregierung hat, wie aus dem zuvor mitgetheilten Resultat der Kommissionsberathungen hervorgeht, die Zustimmung der Kommission gefunden, wie dies ihr mit zwölf gegen zwei Stimmen gefaßter, auf Annahme de Gesetzentwurfs gerichteter Beschluß beweist.“

Dies der Standpunkt, den die Regierung zwanzig Jahre hindurch 8

eingenommen hat, und den das Staats⸗Ministerium im Frühjah vorigen Jahres zu ändern für wünschenswerth hielt.

Es ist damals zu einer Aenderung nicht gekommen, weil, indem

man der Sache näher trat, sich erhebliche Bedenken herausstellten. Es wurde nicht die Absicht, eine Aenderung herbeizuführen, aufgegeben man sah aber ein, daß die Sache doch nicht so ganz einfach war, wi es auf den ersten Blick geschienen hatte.

Zunächst mußte dabei der Zeitpunkt in Betracht kommen, ob ein Aenderung nach Außen hin denn eine solche Aenderung wirkt ja nicht bloß auf Preußen, sondern sie wirkt auch auf Menschen, die außer- halb Preußen sich befinden, und auch auf Beziehungen zu diesen Menschen und auch zu anderen Ländern hin ob da der Zeitpunk günstig wäre. Sie mußte dies verneinen.

Es kam weiter in Frage: Ist der Zeitpunkt nach innen hin ein günstiger? und da mußte die Staatsregierung zu ihrem Bedauern sich sagen, daß gerade in einem Moment, wo die welfische Agitation in der Provinz Hannover an Kraft gewonnen, wo die Zahl welfischer Abgeordneter zugenommen hatte, daß es da doch am Ende bedenklich wäre, den Fonds aus der Hand zu geben. Nicht daß man diesen Fonds ganz oder auch nur zum größten Theile brauchen konnte, um der welfischen Agitation entgegenzutreten; aber die Frage lag doch auch sehr nahe: Wenn die Staatsregierung diese Waffe auch nicht brauchen kann, sie giebt sie aber aus der Hand und sie kommt vielleicht in die Hand ihrer Gegner, sie kommt in die Hand von Männern, die die Neigung

haben, welfische Umtriebe zu schüren, dann hat die Regierung sich geschwächt ist der Moment geeignet zu solcher Schwächung? 1 Und die Staatsregierung war der Meinung, daß das nicht der Fall war. 3

Es kam dann dazu, daß ein Theil von Ausgaben aus diesem Fonds sehr zarter Natur ist, einer Natur, die sich auch schwer lösen läßt. Es sind Pensionen daraus gezahlt worden an verschiedenen Stellen ohne rechtliche Verbindlichkeit für die Zahlung, die aber doch 1 die Empfänger in dem Glauben empfangen haben, sie würden fort⸗ bezahlt werden. Es sind Institute daraus unterstützt worden, die ebenso wie ein Theil dieser Pensionen den welfischen Bewohnern der Provinz Hannover sehr am Herzen liegen, und ich glaube, wenn diese Zahlungen aufhörten, würde der welfischste Hannoveraner unzufrieden damit gewesen sein. .“