1891 / 102 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 May 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Abg. von Jazdiewski bemängelt eine Verfüguag des Ober⸗ Landesgerichts⸗Präsidenten von Posen, nach welcher oie Dolmetscher bei der Uebertragung in das Polnische Namen von Personen, Städten, Kreisen u. s. w., wenn die amtliche Bez eichnung eine andere sci als die polnische, nur so wiedergeben sollten, wie die erstere laute. Damit greife der Ober⸗Landesgerichts⸗Präsiden⸗ in die Sphäre Dritter ein, wo er ihnen nichts vorzuschreiben habe. Der Regierungskommissar habe in der Kommission auch zugegeben, daß der Justiz⸗Minister diese Verfügung schon verbessert habe.

Geheimer Ober⸗Justiz⸗Rath Eichholtz erklärt die letztere Be⸗ merkung für einen Irrthum. Der ZJustiz⸗Minister habe nur dem Ober⸗Landesgerichts⸗Präsidenten matgetheilt, daß, wenn der Inhalt der Verfügung auch soweit aus gedehnt werde, daß die Dolmetscher die polnischen Bezeichnungen auch nicht dann gebrauchen sollten, wenn es zur Verständigung mit den Parzeien nothwendig sei, die Ver · fügung zu weit gehe und daß sie wohl schwerlich so beabsichtigt sei. Eine Aeußerung des b . Fe ndesgerictt. asthetn sei darauf noch nicht erfolgt; einen Verstoß enthalte dessen Verfügung nicht, für welche lediglich Zweckmäßigkeitsgründe maßgebend seien.

Abg. Korsch ist mit der Verfügung einverstanden; nur wenn eine Verständigung mit den Parteien nicht möglich sei, möchten die Dolmetscher die polnischen Namen gebrauchen.

Abg. Spahn bittet den Minister, dem Hause Exemplare der Gutachten der verschiedenen Regierungen über das neue Bürgerliche Gesetzbuch tur Verfügung zu stellen.

IJustiz⸗Minister Dr. von Schelling:

Ich freue mich sehr, daß das Interesse für das Zustandekommen des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches auch in diesem hohen Hause zum Ausdruck kommt, und bin sehr gern bereit, dem Wunsche des Herrn Vorredners Rechnung zu tragen. (Bravo !)

Abg. Dr. Krause empfiehlt eine Reform der Strafgerichtspflege, namentlich auch des Strafvollzuges, und spricht die Hoffnung aus, daß die Erwägungen über die bedingte Verurtheilung nicht durch die Auslassung über dieselbe im „Reichs⸗Anzeiger“ abgeschlossen seien. Die Justizverwaltung hätte sich nicht an die Ober⸗Landesgerichte und Ober⸗Staatsanwalte wenden müssen, sondern an die Landgerichte und die Ersten Staatsanwalte, welche dem Strafvollzug näher ständen. Redner spricht ferner: für die Wiedereinführung der Berufung in Strafsachen. Auch die Frage der Entschädigung unschuldig Ver⸗ urtheilter werde nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden, die Sühnepflicht des Staats müsse festgestellt werden. Preußen sollte seine dominirende Stellung im Reich benutzen, um diese Fragen durchzuführen.

Abg. Zelle: Wenn der Themigjünger seine Referendariats⸗ prüfung abgelegt habe, so dürfe er doch noch nicht durch die Pforte schreiten, in welche er eintreten müsse, um dem Staat ver⸗ schiedene Jahre umsonst zu dienen, sondern davor stehe der Land⸗ gerichts⸗Präsident mit der Ministerialverfügung, nach welcher er verlange, daß der Themisjünger erst für fünf Jahre standes⸗ gemäßen Lebensunterhalt nachweise. Diese Verfügung werde verschieden ausgeführt. Der eine Landgerichts⸗Präsident begnüge sich mit der Bescheinigung des Bürgermeisters, daß der Vater des jungen Mannes die nöthigen Mittel besitze, ein anderer verlange Sicherstellung eines Kapitals und ein anderer, von dem er spreche, gehe ohne ein System zu Werke. Bei Beamtensöhnen sei er mit der Bescheinigung durch den Bürgermeister zufrieden, bei den Söhnen anderer Leute wende er verschiedene Maximen an. Bei dem Sohne eines Büchsen⸗ machers habe ihm die Bescheinigung des Bürgermeisters nicht genügt; er habe sich gesagt, ein Büchsenmacher in einer kleinen Stadt in der Provinz könne unmöglich genügend verdienen und die Steuerein⸗ schätzung des Vaters verlangt. Danach habe dem Präsidenten auch das Besitzthum eines Hauses, das dem Büchsenmacher gehöre, nicht zur Sicherheit genügt, schließlich aber sei die Sache zur Kenntniß des Ministers gekommen, und der mit seinen Götterhänden habe das gequälte Objekt beschützt aber wer ersetze dem jungen Mann den Verlust der vier Monate, die bis zu seiner Anstellung vergangen seien? Er bitte den Minister, daß er, da ja doch nicht alle solche Fälle an ihn gelangen könnten, ein allgemein gültiges Regulativ über die Durch⸗ führung jener Ministerialverfügung erlasse.

Abg. Stöcker: Trotz der Ausführungen über den Fall von Kunowski würde er es bedauern, wenn ein solches Eintreten für die wahre Justiz nicht auch im Hause selbst Widerhall fände; die Maßregel des Herrn von Kunowski verdiene Beifall, nicht Tadel. Schon der Muth, mit dem ein hoher Staatsbeamter den Finger an Uebelstände lege, die mit dem Judenthum zusammenhingen, während in unserer Zeit ein anderer Präsident Referendare wegen der Nicht⸗ aufnahme eines jüdischen Referendars an ihren Tisch disziplinarisch verfolge, verdiene die höchste Anerkennung des deutschen Volks. Aber auch in der Sache selbst finde er die in Rede stehende Ver⸗ fügung richtig. In weiten Kreisen, auch in juristischen beständen Zweifel darüber, ob die jüdische Nation das Maß der Objektivität besitze, das zur Fällung eines Urtheils nöthig sei. Er erinnere an seine eigene Erfahrung mit dem bekannten Landrichter Kronecker, der in einer Sache ein falsches Erkenntniß gegen ihn citirt habe, lediglich nach Zeitungsgeklatsch, trotzdem er von dem authentischen, schon rechtskräftig gewordenen Urtheil habe Kenntniß nehmen können, und der danach den von der „Kreuzzeitung“ ihm gemachten Vorwurf, fahrlässig gehandelt zu haben, habe ruhig einstecken müssen. Hr. Kronecker sei zwar getauft, aber das jüdische Blut wirke noch nach, und er sage danach, der Jude besitze nicht die zum Fällen eines Urtheils nöthige Objektivität; wenn so ein Richter verfahre, wie werde erst der jüdische Laie handeln! Im Volk meine man, daß das Eindringen des Judenthums in die Justiz schwere Schäden nach sich gezogen habe; wenn etwa im Schöffengericht ein jüdischer Richter und zwei jüdische Schöffen in Eigenthumssachen zwischen Christen und Juden entschieden, so glaube jeder vernünftige deutsche Mann, daß kein vernünftiges Urtheil zu Stande komme. Der Jude habe eben zu viel Geschäftssinn, zu viel Besorgniß aus Geschäftsrücksichten, aber über die Rücksicht auf das Geschäft und auf das Judenthum gehe ihm (Redner) doch die Rücksicht auf die Erhaltung unserer Rechts⸗ pflege. Im Uebrigen möchten die Juden und die jüdischen Juristen sich doch der jetzigen Zustände freuen: habe es doch ein Jude sogar zum Ober⸗Landesgerichts⸗Rath gebracht er glaube nicht, daß darin ein Segen liege.

Abg. Munckel: Er habe sich über Eins in der Rede des Hrn. Stöcker gewundert: über den geringen Werth, welchen er der Taufe beilege. Wenn der Abg. Stöcker glaube, Juden seien ihm gegenüber nicht unbefangen, so möge er Recht haben, Juden seien doch auch Menschen. Wie müsse aber erst Juden zu Muthe sein, wenn sie dem Abg. Stöcker und zweien seiner Genossen als An⸗ geklagte gegenüberständen. Das Vorgehen des Abg. Stöcker sei eine Revolution nicht nur gegen die Gesetzgebung, sondern gegen unseren ganzen Kulturzustand. (Unruhe rechts.) Er habe sich gewundert, daß der Abg. Stöcker von der rechten Seite Beifall erhalten habe; es zeige ihm das, daß er zu gut von derselben gedacht habe. (Unruhe rechts.) Der Fall Alexander sei durch die Erklärungen vom Re⸗ gierungstische nicht erledigt, es werde nothwendig sein, zu erwägen, ob die Gesetzgebung in Bezug auf das Disziplinarverfahren nicht einer Aenderung bedürfe. Das Disziplinarverfahren kenne einen Verweis und eine Warnung. Es scheine ihm nicht gleich, ob eine solche im Urtheil selbst oder in den Gründen eines freisprechenden Urtheils

e.

Abg. Stöcker: Das Haus habe gehört, daß der Abg. Munckel seinen Angriffen aͤußerst schwach begegnet * Wenn der Abg. Munckel so wenig besitze, daß er an höheren Beamten den Charakter als rist und als Verwaltungsbeamter nicht mehr unterscheide, so bedauere er das, er hätte einem Rechts⸗ anwalt mehr Judicium zu etraut. Aber auch in rein juristischen Dingen bedauere er sein Urt eil. Er habe das falsche Citiren eines Berliner Richters und die Kritik seines Freundes von Hammerstein rarüber angeführt und da fage der Abg. Munckel, der Richter habe sich in Bezug auf ihn (Redner) geirrt; das sei wohl so, wie er es in seinen Prozessen zu machen pflege, daß man

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die Dinge so wende, wie man sie brauche. Aber so behandele

man die Sache doch nicht im Landtage. Er fordere ihn auf, ihm einen chrestlichen Richter deutscher Abstammung nachzuweisen, der auch zu Ungunsten eines Angeklagten ein Urtheil falsch citire. Liefere er ihm den Fall nicht, so bleibe er bei seiner Behauptung; nämlich nicht, daß ein Jude von inferiorer Qualität sei, wie er sa. nachsage, sondern daß Juden nicht genug Objektivität besäßen, um ein Urtheil zu fällen. Was den Ruf christlicher Liebe anlange, so habe der Abg. Munckel sie nicht gezeigt, z. B. nicht in dem Prozeß, als er ihm (Redner) als gegnerischer Anwalt gegenübergestanden habe, wo durch jüdisches Geld das Blut so erbitzt gewesen sei, daß die Richter nicht mehr ge⸗ wußt hätten, was wahr sei. Die Wirkungen der Taufe nehme er so an, wie es ihm als christlicher Prediger zukomme. Aber er schreibe ihr keine magische Wirkung zu. Er glaube z. B,. daß die Taufe beim Abg. Munckel ganz wirkungslos geblieben sei. Er danke ihm für das Zugeständniß, daß er oder seinesgleichen von jüdischen Richtern stets verurtheilt werden würde, damit gebe er seine Be⸗ hauptung zu. Ob er unparteiisch handeln könne, könne der Abg. Munckel nicht beurtheilen. Jedenfalls spreche er von den Juden noch mit mehr Liebe, als manches Mitglied der Linken, wenn er auch seit zwölf Jahren von der jüdischen Presse mit einer Nichtswürdigkeit ohne Gleichen angegriffen werde, wie kein Mann in der mo⸗ dernen Zeit.

Abg. Munckel: Nach seinen Worten denke der Abg. Stöcker von sich sehr groß, von ihm (Redner) sehr klein, das freue ihn, denn er gehöre zu den Menschen, die Mißtrauen hätten, wenn sie von mancher Seite gelobt würden. Er habe dem Abg. Stöcker mehrfach gegenüber gestanden, nicht bloß wo jüdisches Geld angeblich gezahlt worden sei, sondern auch in einer Sache, an die sich der Abg. Stöcker vielleicht nicht gern erinnern lasse, nämlich in der mit seinem Amts⸗ bruder Witte, wo er die beiden Geistlichen, die mit einander stritten, vereinigt habe. Zugleich mit einem andern christlichen Rechtsanwalt, dem Rechtsbeistand des Abg. Stöcker, habe er die Einigung nur dadurch möglich gemacht, daß er und sein Herr Gegner die Kosten zu tragen zu Protokoll erklärt hätten. Das sei die Art, wie er seine christliche Liebe bezeuge und wie er Frieden stifte. Wenn der Abg. Stöcker aber christliche Liebe hätte, so würde er sie in jenem Prozeß und auch an anderen Stellen haben beweisen können. Er sage, er habe Liebe zu den Juden. Wer ihn gehört habe, der werde wissen, was davon zu halten sei. Der Abg. Stöcker habe eben eine stärkere Art der Argumentation als wir Anderen.

Abg. Stöcker: Die Widerlegung der von ihm (Redner) behaupteten Thatsachen sei der Abg. Munckel schuldig geblieben. In dem Prozeß Witte hätte der Abg. Munckel seine christliche Liebe besser beweisen können, wenn er vor Anstrengung des Prozesses den Prediger Witte zur Zurücknahme seiner Klage veranlaßt hätte. Er (Redner) habe damals die auf ihn entfallenden Gerichtskosten bezahlt. Es handele sich auch nicht um den Prozeß Witte, sondern er habe von dem Prozeß Becker gesprochen. Weil er in einer Volks⸗ versammlung von 2000 Leuten einen bestimmten Mann nicht erkannt habe, habe man ihm Meineid vorgeworfen, und der Abg. Munckel habe gesagt, er glaube, daß es ein wissentlicher sei. Wenn das christliche Liebe sei, so begreife er es nicht. Wenn er Anwalt geworden wäre, so wäre er dem Abg. Munckel wohl überlegen gewesen auf dem Boden der Wahrheit und Gerechtigkeitsliebe, auf dem der List niemals, niemals!

Abg. Munckel: Im Prozeß Witte habe thatsächlich eine Einigung zwischen den beiden Pastoren erst dadurch stattfinden können, daß die beiden Rechtsanwalte vor dem Richter zu Protokoll erklärt hätten, daß sie die Tragung der Kosten übernähmen. Ob der Abg. Stöcker nachher den auf ihn entfallenden Theil bezahlt habe, wisse er nicht. Ihm sei der auf ihn entfallende Theil nicht bezahlt worden. Was den Bescheid betreffe, habe der Abg. Stöcker mit der Gewißheit, die Niemand habe, der sein Gewissen vor dem Eid liebe, behauptet, er habe eine bestimmte Person niemals gesehen; er (Redner) würde sich, wenn er Tausende sähe, vorsichtiger ausgedrückt haben, und gesagt, er erinnere sich nicht, den Menschen gesehen zu haben. Nun traue er einen wissentlichen Meineid dem Abg. Stöcker nicht zu, über den fahrlässigen Meineid in dieser Sache behalte er sein Urtheil für sich, aber es komme hier noch der zufällige Meineid in Betracht, und, ohne auf die Strafverfolgung desselben einzugehen, unter diese Rubrik sei der besondere Fall des Stöcker'schen Falscheides subsumirt worden. Ueber das Vorhandensein eines Falscheides seien Alle einig gewesen. Er habe aber gewünscht, daß der Beweis über diese An⸗ gelegenheit erhoben werde, damit der Verdacht des wissentlichen Meineides nicht auf dem Abg. Stöcker haften bleibe. Ueber die Wirkung der Taufe auf ihn selbst wolle er sich nicht weiter auslassen.

Abg. Stöcker: Der Abg. Munckel möge für seinen Klienten bezahlt haben, seine Kosten habe er (Redner) selbst bezahlt, und die Behauptung des Abg. Munckel sei eine Unwahrheit, die dadurch nicht besser werde, daß der Abg. Munckel den Sachverhalt nicht gewußt habe; was man nicht wisse, das solle man nicht behaupten. Eine grobe Unwahrheit sei es auch, daß er (Redner) die Bekanntschaft jenes Sozialisten abgeleugnet habe. Er habe zu seiner damaligen Behaup⸗ tung aus freien Stücken die Bemerkung hinzugefügt: er sehe den Menschen zum ersten Mal. Es sei das eine vollständig gleichgültige Sache gewesen. Er freue sich übrigens, daß der Abg. Munckel ihm heute nicht den ööG Meineid vorgehalten habe. In dem Prozesse damals habe er es gethan und die ganze Gemeinheit im öffentlichen Leben gegen ihn hervorgerufen. Im Uebrigen empfehle er ihm, sich um die Affaire Liebermann (große Unruhe) etwas zu kümmern, aber nicht in dieser Weise mit derartigen unwahren Be⸗ hauptungen aufzutreten.

Abg. Hansen: Es liege ihm fehr fern, in das Amt des Präsidenten eingreifen zu wollen, aber er stelle dessen Erwägung anheim, ob er nicht diese Diskussion schließen möchte, die das Haus zu lange schon beschäftigt, einen rein persönlichen Charakter habe und gar nicht interessire. (Beifall.)

Der Präsident schließt die Diskussion, da Niemand mehr zum Wort gemeldet ist.

Berichterstatter Bödiker: Er habe zunächst der schmerzlichen Empfindung Ausdruck zu geben, daß eine so lange Diskussion über persönliche Angelegenheiten bei dem Justiz⸗Etat stattgefunden habe, wo es sich handele um die Gerechtigkeit, die dargestellt werde, wie sie mit verbundenen Augen die Wahrheit finde. Daß Richter über 65 Jahre, selbst bis zum 80. Lebensjabre richterliche Geschäfte wahrnähmen, liege allerdings nicht im Interesse der Rechtspflege. Dem Uebelstande abzuhelfen sei aber nicht ein Gesetz nöthig; wenn einem Richter, der seine Stelle nicht mehr auszufüllen vermöge, auf vertraulichem Wege nahegelegt werde, sein Amt aufzugeben, so werde er dem Folge leisten. Eine Altersgrenze durch Gesetz festzu⸗ legen, sei gefährlich. 8

Abg. Stöcker (zur Geschäftsordnung): Er möchte den Präsi⸗ denten bitten, sich darüber auszusprechen, ob es dem Referenten erlaubt sei, in dieser Weise zwei Mitglieder des Hauses zu reprimandiren, wie er es gethan habe. 1

Präsident von Köller: Er müsse allerdings sagen, daß der Abg. Bödiker in seiner Stellung als Referent sich nicht pünktlich an das gehalten habe, was in der Kommission beschlossen sei.

Abg. Stöcker (persönlich): Er möchte nur konstatiren, weil er in hohem Maß das Gefühl theile, das jetzt im Hause vorherrschend sein werde, daß er es nicht sei, der die persönlichen Bemerkungen be⸗ gonnen habe (Widerspruch links), sondern daß der Abg. Munckel es gewesen sei, der gesagt habe, er wolle mir glauben, „obwohl ich es gesagt habe“. Das habe der 6 nicht monirt. Darin liege eine große Beleidigung. Er glaube nicht, daß Parlamentsmitglieder das Recht hätten, sich so zu behandeln. Das habe die ganze Sache auf die schiefe Ebene geführt.

Der Titel: Ministergehalt wird nunmehr bewilligt.

Beim Kapitel Ober⸗Landesgerichte beantragt die Kommission, die für das Breslauer Ober⸗Landesgericht neu geforderte Stelle eines Senats⸗Präsidenten zu streichen.

Geheimer Ober⸗Justiz⸗Rathi Eichholtz: Nach dem von ihm der Kommission vorgelegten Zahlenmaterial sei daselbst die Nothwen⸗

digkeit der neuen Stelle anerkannt worden; die Geschäfte hätten sich in Breslau in den letzten Jahren sehr erheblich vermehrt. Mit der Anerkennung der Bedürfnißfrage sollte die Sache erledigt sein. Ein neuer sechster Senat habe errichtet werden müssen; er finde sein bohlen Arbeitspensum, und müsse auch seinen besonderen Präsidenten haben.

Abg. Dr. Friedberg widerspricht dem Antrage der Regierung. Die vorgebrachten Zahlen bewiesen nur, daß die Verhältnisse in Breslau noch lange nicht so schlimm seien, als die Verhältnisse in Berlin. Der Sache könne nur abgeholfen werden, wenn der Ober⸗ Landesgerichts⸗Präsident sich dazu verstehen wolle, die Leitung eines Civilsenats zu übernehmen, damit derselbe nicht bloß Verwaltungs⸗ beamter werde, sondern auch Richter bleibe. Auf die Klagen über die übermäßigen Dienstreisen des Ober⸗Landesgerichts⸗Präsidenten von Breslau, der 250 Tage unterwegs gewesen sein solle, habe der Regie⸗ rungskommissar jede Auskunft verweigert und erklärt, der Minister habe keinen Einfluß auf die Dienstreisen des Ober⸗Landesgerichts⸗ Präsidenten. Solange diese Uebelstände nicht abgestellt würden, erkläre er sich gegen die Mehrforderung. (Zustimmung.)

Geheimer Ober⸗Justiz⸗Rath Eichholtz: Er behandele die Sache allein und werde auf die Person nicht eingehen, auch nach den Aus⸗ führungen des Vorredners nicht, der davon auszugehen scheine, daß diese Stelle zwar nothwendig sei, aber diesem Ober⸗Landesgerichts⸗ Präsidenten verweigert werden solle. (Widerspruch.) Dieser habe daran kein Interesse, er arbeite darum nicht einen Federstrich mehr oder weniger. (Zuruf: Er reist lieber!) Getroffen werde nur die Justizverwaltung, getroffen würden die überlasteten Senats⸗Präsi⸗ denten. Die Vorwürfe wegen der vielen Dienstreisen des Prä⸗ sidenten seien in keiner Weise begründet; es seien Behauptungen aufgestellt, aber nicht bewiesen worden.

Darauf wird die Berathung vertagt.

Schluß gegen 4 Uhr.

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Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Ko an der Ruhr und in Oberschlesien. „An der Ruhr sind am 30. April gestellt 8742, nicht zeitig gestellt keine Wagen. In Oberschlesien sind am 29. v. M. gestellt 4100, rechtzeitig gestellt keine Wagen.

1 Subhastations⸗Resultate.

Beim Königlichen Amtsgericht I Berlin stand am 30. April 1891 das Grundstück in der Pankstraße 32 , dem Bau unternehmer Franz Rürnberg zu Berlin gehörig, zur Versteigerung Das geringste Gebot wurde auf 974,06 festgesetzt. Ersteberinnen wurden die Frls. Louise, Bertha und Helene Kunz zu Berlin für da Meistgebot von 210 000

Die gestrige ordentliche Generalversammlung der Ober schlesischen Eisen⸗Industrie⸗Aktien⸗Gesellschaft für Bergbau und Hüttenbetrieb zu Gleiwitz genehmigte die Vorschläge des Vorstandes und Aufsichtsrathes und ertheilte Decharge. Die auf 11 % festgesetzte Dividende gelangt von heute ab bei den Zahlstellen zur Auszahlung. .

Der Verwaltungsrath der Leipziger Lebensversiche⸗ rungsgesellschaft genehmigte den Rechnungsabschluß für 1890 welcher einen Ueberschuß von 3 756 418 (den höchsten bis jetzt er⸗ zielten) aufweist, und setzte die an die Versicherten für 1892 zu zah⸗ lende Dividende auf 42 % fest. Die ordentliche Generalversammlung der Versicherten findet am 23. Mai statt.

Leipzig, 30. April. (W. T. B.) Kammzug⸗Termin⸗ handel. La Plata. Grundmuster B. pr. Mai 4,35 ½ ℳ, pr. Juni 4,37 ½ ℳ, pr. Juli 4,40 ℳ, pr. August 4,45 ℳ, pr. Sep tember 4,47 ½ ℳ, pr. Oktober 4,47 ½ ℳ, pr. November 4,47 ½ 2 b“ 4,47 ½ ℳ, pr. Januar 4,47 ½ Umsatz 225 000 kg Stetig.

Braunschweig, 30. April. (W. T. B.) Prämienziehung der Braunschweiger 20⸗Thaler⸗Loose: 150 000 auf Nr. 43 Ser. 9052, 12 000 Nr. 25 Ser. 5484, 6000 Nr. 32 Ser. 7493, 3000 Nr. 22 Ser. 8428, je 300 Nr. 49 Ser. 2011, Nr. 17 Ser. 2111, Nr. 46 Ser. 2111, Nr. 14 Ser. 5258, Nr. 7 Ser. 7493, Nr. 12 Ser. 7754, Nr. 38 Ser. 7754, Nr. 21 Ser. 7986, Nr. 33 Ser. 8266, Nr. 39 Ser. 8266, je 240 Nr. 22 Ser. 365, Nr. 33 Ser. 500, Nr. 41 Ser. 969, Nr. 29 Ser. 2870, Nr. 20 Ser. 3304, Nr. 43 Ser. 6531.

Wien, 30. April. (W. T. B.) Die „Wiener Abendpost“ ver⸗ öffentlicht die Bestimmungen des zwischen dem österreichischen Handels⸗Ministerium und den Vertretern des Oesterreich⸗ Ungarischen Lloyd vereinbarten neuen Vertrages, welcher der am 6. Mai stattfindenden Generalversammlung der Aktionäre des Lloyd vorgelegt werden soll. Danach ver⸗ pflichtet sich der Lloyd vom 1. fünfzehn Jahre zu einer im Vertrage festgesetzten An⸗- zahl jährlicher Fahrten in die Levante sowie zu jährlich 52 Fahrten nach Konstantinopel und Batum, zu 12 Fahrten von Triest nach Bombay, zu 12 Fahrten von Triest nach Bombay, Hongkong, Shanghai, zu 12 Fahrten nach Colombo und Calcutta, zu 6 Fahrten von Triest nach Santos. Die Schiffe des Lloyd haben außerdem Fiume anzulaufen. Die Staatsverwaltung leistet dem Lloyd eine jährliche Subvention von insgesammt 3 400 000 Fl., gewährt demselben einen unverzinslichen Vorschuß in Höhe von 1 ½ Mill. Fl. Behufs allmählicher Erneuerung des Schiffsmaterials und behält sich das Recht der Regulirung der Tarife und Frachtsätze vor. Die Mitglieder des Verwaltungsraths sowie alle Angestellten des Lloyd, auch die im Ausland wohnenden, müssen österreichisch⸗ ungarische Staatsbürger sein. Der Sitz der Gesellschaft ist Triest. Das dandels ⸗Ministerium übt die Kontrole über die gesammte Geschäftsgebahrung aus. Die in Wien und Prag bestehenden General⸗Agenturen bleiben auch in Zukunft an diesen Orten. Die Gesellschaft darf ohne Genehmigung der Staatsverwaltung nicht mehr als 4 % Dividende vertheilen. Ueber⸗ steigt das Jahreserträgniß 4 % des Aktienkapitals, so wird der Ueber⸗ schuß zwischen dem Fiskus und der Gesellschaft in der Weise getheilt, afnnie Staatsverwaltung ein Drittel, die Gesellschaft zwei Drittel erhält.

In der heutigen Generalversammlung der Aktionäre der Lem⸗ berg Czernowitzer Eisenbahn wurde der Verwaltungsbericht vorgelegt. Nach demselben fand auf den beiden österreichischen Linien eine Hebung des Personen⸗ wie Güterverkehrs statt; die Mehr⸗ einnahme beziffert sich auf 145 469 Fl. Das Erträgniß der Lokalbahnen wird erst in die nächste Bilanz auf⸗ genommen werden. Mit Rumänien ist die Konvention durchgeführt; 8 dasselbe hat das rechtliche Guthaben bezahlt. Die Versammlung genehmigte den Bericht sowie die Verwendung des Ueberschusses von 1 099 038 Fl. zur Vertheilung einer Superdividende von 4 Fl. auf Aktie und Genußschein. Das Gesammterträgniß stellt sich hiernach auf 14 Fl., gleich 7 % für den mit 9 Fl. eingelösten Maicoupon. Der Verwaltungsrath wurde noch ermächtigt, den diesjährigen No⸗ vembercoupon mit 5 Fl. per Aktie einzulösen.

—Wie die „Presse“ meldet, beziehen sich die Konferenzen der

Staatseisenbahn⸗Gesellschaft mit dem ungarischen

Handels⸗Minister auf die Lostrennung der Domänen, welche nach den Absichten des Ministers Baroß vollständig durch⸗

geführt werden soll. Was die Verstaatlichung der ungarischen Linien

anbetrifft, so lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß dieselbe vor

dem Jahre 1895 erfolgen solle.

London, 30. April. (W. T. B.) An der Küste 2 Weizen⸗ ladungen angeboten.

1. Mai. (W. T. B.) Die Fondsbörse bleibt heute und

„Bradford, 30. April. (W. T. B.) Wolle ruhig aber stetig, in Stoffen ziemlicher Begehr, Garne ruhig.

Januar 1892 ab auf

Portugal. Der „Times“ wird aus Lissabon gemeldet, daß der Ministerrath in einer am 29. April abgehaltenen Sitzung beschlossen habe, die Krone um eine vierzehntägige oder drei⸗ wöchige Vertagung der Cortes anzugehen; der Staats⸗ rath werde darüber entscheiden. Die Ansichten im Kabinet seien getheilt, die öffentliche Meinung aber entschieden gegen eine Vertagung. Es werde behauptet, daß die Angelegenheit schließlich zu einer allgemeinen Umgestaltung des Kabinets führen könnte, indem die Leiter der Konservativen und der

Progressisten in das Ministerium eintreten. Wie dem „R. B.“ aus Capetown vom 30. April ge⸗ meldet wird, haben die portugiesischen Truppen Massi⸗ o“ Luxemburg, 29. April. Das „Mémorial“ veröffent⸗ licht einen Großherzoglichen Beschluß vom 21. April, wo⸗ durch die Bestimmungen des Pariser Vertrages auf die telegraphische Correspondenz im Innern des Groß⸗

herzogthums anwendbar erklärt werden.

Serbien. Belgrad, 30. April. Graf Hunyady ist, wie „W. T. B.“ neldet, heute von hier wieder abgereist. Dem Vernehmen nach wären die Bemühungen des Grafen, die Königin Natalie zur Abreise zu bewegen, erfolglos geblieben. Die Königin 8 bei ihrem Entschlusse, nur der Gewalt zu weichen.

Schweden und Norwegen.

b (F) Stockholm, 28. April. Der Kronprinz und die Kronprinzessin sind heute, wie telegraphisch gemeldet wird, in Sorrento angekommen. Der Kronprinz verläßt morgen diese Stadt und tritt die Rückreise nach Schweden an; unterwegs wird er einen Tag in Rom und einen Tag in verweilen, und seine Ankunft hier am 6. Mai erfolgen.

Der Bewilligungs⸗Ausschuß des Reichstages hat beschlossen, unter der Bedingung der Annahme der Regie⸗ rungsvorschläge, betreffend die Aufhebung der auf gewissem Grund und Boden ruhenden Grundsteuer u. s. w., sowie be⸗ treffend die Ermäßigung der Rüstungs⸗ und Rottirungslasten 8 seh die eingetheilte Armee, dem Reichstage eine Erhöhung der Bewilligung auf landwirthschaftlichen Grundbesitz von 3 auf 6 Oere für jede 100 Kronen Taxwerth zu empfehlen. b Zum Zweck der eventuellen Errichtung von Ver⸗ theidigungsanlagen in Norrbottens Län hat der König den Generalstabs⸗Chef beauftragt, über die Gegend bei Boden im Kirchspiel Ober⸗Lulen eine Karte in der Skala von 1:: 20 000 anfertigen zu lassen. Oberst⸗Lieutenant im Generalstabe Elfving ist mit der Leitung dieser betraut worden. 8

Dänemark.

1 Kopenhagen, 30. April. Der König und die Königin haben, dem „W. T. B.“ zufolge, ihre Abreise nach Wien zum Besuch des Herzogs und der Herzogin von Cumber⸗ land nunmehr auf nächsten Montag festgesetzt und werden bis Pfingsten dort verweilen. Alsdann reist der König zum Kur⸗ gebrauch nach Wiesbaden, während die Königin sich mit dem Herzog und der Herzogin von Cumberland nach Gmunden be⸗ giebt. Nach dreiwöchigem Aufenthalt in Wiesbaden wird sich der König ebenfalls nach Gmunden begeben. Ende Juni wer⸗

den die Majestäten wieder hierher zurückkehren. 8 8 Amerika.

Vereinigte Staaten. Die amerikanische Schutz⸗ zoll⸗Liga hielt am Mittwoch Abend ein Bankett, an dem

sich auch der Vize⸗Präsident der Vereinigten Staaten Levi P. Morton, der Staatssekretär des Innern John W. Nobel, Channcey Depew und Me. Kinley be⸗ theiligten. Der Letztere erklärte, der augenblicklich in Kraft stehende Tarif sei der beste, um große Einnahmen zu schaffen, und sei nothwendig, um den Bedürfnissen der Regierung zu genügen. Er erwarte, daß innerhalb der nächsten zehn Jahre keine Abänderung des Tarifs vorgenommen werden würde, es sei denn von der republikanischen Partei auf einer schutz⸗ zöllnerischen Grundlage. Chile. Die Vertreter der chilenischen Aufständigen in Paris erhielten dem „W. T. B.“ zufolge ein Telegramm aus Jauique, welches besagt, daß ein Schwager Balmaceda's, weicher das Amt eines Münz⸗Direktors bekleidete, sowie zahl⸗ 8 riche höhere Offiziere zur Kongreßpartei übergegangen seien.

3 Nr. 17 der Veröffentlichungen des Kaiserlichen Ge⸗ sundheitsamts vom 28. April hat folgenden Inhalt: Personal⸗ Nachricht. Gesundheitsstand. Volkskrankheiten in der Berichtswoche. Gesundheitswesen im Reg.⸗Bez. Gumbinnen 1886/88. Sterbefälle in deutschen Städten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Berliner Krankenhäusern. Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. Mittheilungen aus BritischOstindien 1889. (Fortsetzung). Witterung. Zeitweilige Maßregeln gegen Volkskrankheiten. Veterinär⸗polizeiliche Maßregeln. Medizinalgesetzgebung u. s. w. Reich.) Ausländische Rohhäute. (Preußen. Reg⸗Bez. Bromberg.) Lungentuberkulose. (Bayern.) Bauordnung. (Sachsen.) Anzeigepflicht bei epidemischen Krankheiten. (Braun⸗ schweig.) Tuberculinum Kochii. (Reuß ä. L.) Viehtransport und Viehschlachten. (Frankreich.) Gegipste Weine. Recht⸗ sprechung. (Ober⸗Landesgericht Dresden.) Thierheilmittel. Ver⸗ handlungen von gesetzgebenden Körperschaften, Vereinen, Kongressen u. s. w. (Deutsches Reich.) 17. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. (Preußen.) Hebammen⸗Lehrbuch. Begräbnißwesen. Vermischtes. (Preußen. Stadt Breslau.) Che⸗ misches Untersuchungsamt 1889/90.

Beilage

Königlich Prrufischen Staats⸗Anzem

Statistik und Volkswirthschaft.

Die Stein⸗ und Braunkohlen⸗Förderung Preußens im 1. Vierteljahre 1891 verglichen gegen das 1. Vierteljahr 1890. (Nach vorläufigen Ermittelungen.)

Im 1. Vierteljahr 1891

Im 1. Vierteljahr Ober⸗Bergamts⸗ 1890

Bezirk Förderung Arbeiter⸗ Förderung Arbeiter⸗ 1 zahl t zahl

A. Steinkohlen. Breslau.. 5 128 125 69 257 5 286 533 64 943 Halle6 5 743 130 5 727 134 Klausthal. 156 590 3 478 153 500 3 352 Dortmund. —. 8 917 386 134 642 9 032 158 124 446 Bonn... 2 018 456 37 527 2 054 561 35 681

Summe A 16 226 300 245 054 16 532 479 228 556

B. Braunkohlen. Breslau 129 110 1 429 Hallelele 3 664 607 23 916 Klausthal... 82 209 964 Vonn 215 793 2 268

Summe B] 4 091 719] 28577

135 305 1 367 3 434 277 22 958 68 443 774 161 206 1 682

3 799 231 26 781

Centralverein für Hebung der deutschen Fluß⸗ und Kanalschiffahrt.

Unter zahlreicher Betheiligung auch der auswärtigen Mit⸗ glieder fand am Freitag Abend im Reichstagsgebäude die General⸗ versammlung des Centralvereins für Hebung der deutschen Fluß⸗ und Kanalschiffahrt statt. Der Vorsitzende Professor Dr. Schlichting eröffnete die Versammlung mit etwa folgenden Worten: Der Central⸗ verein, der nunmehr 22 Jahre bestehe, habe sich gedeihlich entwickelt. Sein Arbeitsfeld habe sich von Jahr zu Jahr erweitert, da mit dem Einfluß der durch die deutsche Einheit gewachsenen Kräfte die Bedürfnisse und Anforderungen des wirthschaftlichen Lebens und damit auch der Binnenschiffahrt stetig gestiegen sind. Manches, was früher nur als Wunsch erschien, sei bereits verwirklicht, Vieles, was für unerreichbar galt, sei erreicht worden; Manches erweise sich aber in Folge der außerordentlichen Entwickelung des Verkehrswesens nicht als aus⸗ reichend. So stelle sich bereits jetzt bei verschiedenen Flüssen die Nothwendigkeit der Weiterverbesserung ihrer Schiffbarkeit heraus, Wund auch die bisher geforderten Kanaldimensionen werden bei Bauausführungen in Deutschland bereits überschritten. „Wenn Deutschland zur Zeit auf dem Gebiete der Binnenschiffahrt unter allen Nationen im Gegensatz zu früher eine hervorragende Stelle einnimmt und bezüglich der Anlage von Binnenkanälen sogar in erster Reihe schreitet, so ist der Erfolg der Staatsregierung, der Volks⸗ vertretung, der Wasserbautechnik und nicht zuletzt dem Verein zu danken. Die Ziele des Vereins seien zum Theil erreicht. Der Oder⸗Spree⸗ Kanal sei beendet, der Nord⸗Ostsee⸗Kanal im Bau, die Vertiefung der Hafenrinne zwischen Pillau und Königsberg in der Ausführung begriffen, die weitere Verbesserung der Weichsel, des Rheins, der Warthe, der Unterspree, der Saale und der Unstrut sei ebenfalls im Werk, die Anlage des Dortmund ⸗Ems⸗Kanals und des Kanals der oberen Oder sei begonnen, die Kanali⸗ sirung der Fulda beschlossen, für Regulirung der Netze und Ver⸗ größerung der Schleusen des Bromberger Kanals seien 8 Millionen Mark und für Vertiefung des kanalisirten Mains und für Ver⸗ längerung der Schleusen daselbst ein Betrag von rund 2 ¾ Millionen Mark in den Staatshaushalts⸗Etat eingesetzt worden. Aehnliches sei in den übrigen deutschen Ländern geschehen; er erinnere an die Korrektur der Unterweser und an den Ausbau der Häfen in Hamburg, Bremen und Lübeck. Weitere Ziele des Vereins seien die Anlage des Rhein⸗Weser⸗Elbe ⸗Kanals, des Elb⸗Trave⸗Kanals, die Kanalisirung der Mosel, Lippe und Elbe, überhaupt der Hauptflüsse, sowie die Verbesserung der Lösch⸗ und Lade⸗Einrichtungen in den Hauptplätzen des Wasserverkehrs, nament⸗ lich dort, wo Eisenbahnen und Wasserstraßen zum Austausch der Güter Gelegenheit geben. Der Abschluß des deutschen Wasser⸗ straßen⸗Netzes erfordere in erster Linie eine Verbindung der deutschen Reichslande mit dem Mutterlande, sei es durch anderweitige Regulirung des Ober⸗Rheins, sei es durch Anlage eines Schiffahrts⸗ Kanals, außerdem die Verbindung der Ostsee einerseits mit dem Schwarzen Meere durch den Donau⸗Oder⸗Kanal, andererseits mit der Reichshauptstadt durch Herstellung noch nicht vorhandener Strecken; ferner den seit Jahrzehnten erstrebten Berlin⸗Rostocker⸗Kanal und die weitere Herstellung einer Süddeutschland mit dem Norden verbindenden Wasserstraße entweder durch Ausbau des Ludwig⸗Kanals und der Mainstraße oder durch Anlage eines Donau⸗Neckar⸗Kanals unter Erhöhung der Schiffbarkeit beider Flüsse, und endlich auch die Aus⸗ führung des Rhein⸗Maaß⸗Kanals. Fernere Ziele des Vereins seien: die Verbesserung der Binnenschiffahrts⸗Statistik, die Organisation des Schiffahrts⸗Betriebes, die Entwickelung der Betriebs⸗ mittel, insbesondere des Schiffbaues, die Betheiligung an den Ar⸗ beiten zur Schaffung der Gesetze für Wasser⸗ und Binnenschiffahrts⸗ Recht und die Lösung eines Theils der sozialen Frage einerseits durch

ebung der Intelligenz und Qualität des Schifferstandes und anderer⸗ eits durch Wahrung seiner Rechte.

Bürgermeister Lichtenberg (Linden bei Hannover) theilte hierauf mit, daß der Minister von Maybach unterm 20. d. M. an den Vor⸗ sitzenden des Ausschusses zur Förderung des Rhein⸗Weser⸗Elbe⸗ Kanals, Landesdirektor Freiherrn von Hammerstein folgendes Schreiben gerichtet habe:—

„Auf die gefällige Eingabe vom 20. Januar d. J. erwidere ich Ew. Hochwohlgeboren in Verfolg meines vorläufigen Bescheides vom 1. Februar d. J., im Einverständniß mit dem Herrn Finanz⸗Minister, daß ich bereit bin, dem Antrage des Ausschusses für die Förderung des Rhein⸗Weser⸗Elbe⸗Kanals bezw. des Vereins für Hebung der Fluß⸗ und Kanalschiffahrt für Niedersachsen entgegenkommend, die Vorarbeiten für die Fortführung des Dortmund⸗ Emshäfen⸗Kanals nach der Weser und Elbe auf Kosten beider be⸗ zeichneten Vereinigungen ausführen zu lassen. Eine bestimmte Zu⸗

cherung, daß alsbald nach Fertigstellung dieser Vorarbeiten, als innen einer im Voraus festzusetzenden Zeit, an die Ausführung der Kanalbau⸗Projekte selber herangegangen werden solle, kann aber nach Lage der Verhältnisse Seitens der Königlichen Staatsregierung nicht wohl ertheilt werden, vielmehr muß der Zeitpunkt der Inangriff⸗ nahme jener Kanalbauten bezw. einzelner Abtheilungen derselben von der verfassungsmäßigen Bereitstellung der erforderlichen Geldmittel und bezw. der Gestaltung der gesammten Finanzlage des Staats und dem Maße der anderweiten Anforderungen für Wasserbauzwecke abhängig bleiben. Nach dem Ergebnisse der von mir angeordneten Unter⸗ suchung ist anzunehmen, daß die sogenannte Mittellandslinie von Bevergern etwa über Minden, Hannover, Neuhaldensleben bis zur Einmündung in die Elbe in der Gegend von Wolmirstedt den Interessen der mittleren und unteren Weser und Elbe mehr als jede andere entspricht und der bezüglichen Vorschrift des §. 1 des Gesetzes

vom 9. Juli 1886 durch Wahl der bezeichneten tungslinie: 8

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getragen wird; es werden sonach meinerseits die Vorarbeiten für diese Linie angeordnet werden. Die Kosten dieser Vorarbeiten belaufen sich ausweislich des in meinem Auftrage von der Königlichen Kanal⸗ Kommission zu Münster aufgestellten Kostenüberschlags auf 135 000 Die Fertigstellung der Vorarbeiten erfordert, wenn sie mit der nöthigen Sorgfalt ausgeführt werden sollen, eine Zeitdauer von etwa zwei Jahren; in dem ersten Jahre würde eine Summe von etwa 55 000 und im zweiten Jahre der Rest mit etwa 80 000 bereit zu stellen seien.“ 1 Bürgermeister Lichtenberg theilte mit, daß die erforderlichen 135 000 bereits aufgebracht und dies auch dem Minister mitgetheilt worden sei. Major a. D. Kurs theilte alsdann mit, daß der Durchgangs⸗Schiffsverkehr von Berlin im Jahre 1889 gegen das vorher⸗ gehbende Jahr um 4,48 % der Lokalverkehr um 4,78 % zugenommen habe. Für den im nächsten Jahre zu Paris stattfindenden Internationalen Binnenschiffahrts⸗Kongreß sei eine Kom mission, bestehend aus Professor Dr. Schlichting, Major a. D. Kurs, Handelskammer⸗Vize⸗Präsident von Guita (Frankfurt a. M), Schiffsbau⸗Direttor Franzius (Bremen), Schiffsrheder Tonne (Magdeburg), Schiffs⸗ und Eisenbahn⸗Bau⸗ direktor a. D. Ströhler (Berlin) und Direktor Philippi (Dresden) gewählt worden. Es gehören dem Vereine an 34 Magistrate, 38 Handelskammern und kaufmännische Korporationen, 27 Aktien⸗ gesellschaften und wirthschaftliche Vereine, 12 Zweigvereine und 4000. persönliche Mitglieder. Professor Dr. Schlichting theilte mit, daß die einer Kommission vorliegende Binnenschiffahrts⸗Be⸗ triebsordnung demnächst zum Abschluß gelangen werde. Es gehören dieser Kommission Mitglieder des Reichs⸗Justiz⸗ amtes, des Centralvereins sür Hebung der deutschen Fluß⸗ und Kanal⸗ schiffahrt, Angehörige des Handelsstandes, des Schifferstandes und des Versicherungswesens an. bub’“

Zum Schluß erläuterte Stadtbaurath Frühling (Königs⸗ berg i. Pr.) an der Hand einer Karte die Nothwendigkeit der Masu⸗ rischen Wasserstraße, dieselbe sei auf eine Länge von 58 km, die Baukosten auf 11 Millionen Mark berechnet. Diese Wasserstraße würde der Land⸗ und Forstwirthschaft in Ostpreußen, aber auch sehr wesentlich dem daselbst Mangels geeigneter Wasserverbindungen etwas darniederliegenden Handel und Verkehr in Ostpreußen zu Gute kom⸗ men. Der versprach, auch die masurische Wasserstraße als zu erstrebendes Ziel des Vereins ins Auge zu fassen.

Zur Arbeiterbewegung. Die Ausstandsbewegung im E1““ ist auch am gestrigen Tage rückläufig geblieben, sodaß man auf ein baldiges vollständiges Erlöschen derselben rechnen darf. Von der Mehrzahl der Zechen, auf welchen Theilausstände herrschten, wird eine Zunahme der Zahl der arbeitenden Bergleute gemeldet, während neue Zechen nicht mehr von der Bewegung ergriffen wurden. Die Auf⸗ merksamkeit, mit welcher die Bewegung überall verfolgt wird, läßt es angezeigt erscheinen, auch über das allmähliche Erlöschen der Theilausstände genauere Mittheilungen zu machen. Die nach dem Strikejournal des Generalsekretariats des Bergbaulichen Vereins aufgestellte Tabelle giebt für die Morgenschicht am Mittwoch noch 41 im Ausstand befindliche Zechen an, obwohl inzwischen auf mehreren Zechen der Strike beendet war; aber die Zahl der Ausständigen betrug nur noch 16 193 Mann. Am gestrigen Tage war die Lage nach der „Rhein.⸗Westf. Ztg.. im Einzelnen die folgende:

Auf Zeche „Eintracht Tiefbau“ bei Steele, dem eigentlichen Ursprung und Heerde des Strikes, hat sich gestern Morgen fast die ganze Belegschaft zur Arbeit gemeldet. Auf Zeche „Eiberg“ bei Steele sind gestern Morgen von 358 Mann 161 unter Tage ange⸗ fahren; über Tage arbeitete Alles. Auf Zeche „Concordia“ bei Oberhausen sind gestern Morgen fast alle Arbeiter angefahren, ebenso auf Zeche „Konstantin der Große“ bei Bochum, wo auf Schacht I von 190 Mann 116 und auf Schacht II von 217 Mann 189 unter Tage angefahren sind. Auf Zeche „Hannover“ Schacht I bei Eickel sind von 946 Mann 613 unter Tage, auf Schacht II von 586 Mann 103 unter Tage angefahren; es ist dort vorläufig nur eine (Morgen⸗) Förderschicht. Auf Zeche „Centrum“ bei Wattenscheid sind gestern Morgen von 774 Mann 560 unter Tage angefahren; über Tage sind von 467 Mann 456 in Thätigkeit; im Ganzen sind 178 Mann mehr bei der Arbeit als Mittwoch Morgen; auf Zeche „Bonifacius“ bei Kray sind Morgens von 1005 Mann 455 angefahren; auf Zeche „Fröhliche Morgensonne“ sind 150 Mann unter Tage angefahren, 105 Mann mehr als Mittwoch; auf Zeche „Friedlicher Nachbar“ bei Dahlhausen sind unter Tage 66 Mann und 61 über Tage angefahren; auf „Helene Nachtigall“ bei Witten sind auch mehr Leute angefahren, als am Tage zuvor. Auf Zeche „Ver. Marianne und Stein⸗ bank“ sind 83 Leute unter und 309 über Tage, auf Zeche „Ver. Engelsburg“ sind 84 Mann unter, 60 über Tage, auf Zeche „Hasenwinkel“ sind 16 Mann unter und 44 über Tage angefahren. Im Dortmunder und Hörder, ebenso im Herner und Gelsen⸗ kirchener Revier ist Alles in Thätigkeit. Auf den Zechen „Siebenplaneten“, „Bruchstraße“, „Vollmond“ und „Baaker Mulde“ ꝛc. sind mehr als am Mittwoch Morgen angefahren. Auf Zeche „Präsident“ ist gestern Morgen fast die ganze Beleg⸗ schaft angefahren; die Nachmittagsschicht wird wieder vollzählig anfahren. Im Strike waren gestern Morgen nur noch 35 Zechen gegen 46 am Dienstag. . 1 1 .

Gestern Nachmittag ließen die Theilausstände im Ober⸗ Bergamtsbezirk Dortmund eine weitere Abnahme erkennen. Wenn trotzdem, schreibt das angezogene Essener Blatt, auf mehreren Zechen die Differenz in der Zahl zwischen den an⸗ fahrenden Bergleuten und der eigentlichen Belegschaft noch erheb⸗ lich ist, so liegt das hauptsächlich daran, daß die noch nicht zur Anfahrt zugelassenen Leute, wenn sie sich auch gemeldet haben, nach dem durch ihre unmotivirte Aufgabe der Bergarbeit erfolgten Verlust ihrer Rechte als Mitglieder der III. Klasse der Knappschaftskasse genöthigt sind, um von Neuem Mit⸗

lieder der Knappschaftskasse zu werden, sich ärztlich unter⸗ sche zu lassen, ob sie überhaupt tauglich für die Bergarbeit jind. Gestern Nachmittag war die Lage die folgende:

Die Zechen der Harpener Bergbau⸗Aktiengesellschaft sind bis auf diejenigen der Zechen „Vollmond“, „Prinz von Preußen“ und „Karoline“ vollständig in Arbeit. Auf Zeche „Bruchstraße“ ist Alles wieder angefahren. Auf Zeche „Eiberg“ hat sich für heute, Freitag früh, wieder eine größere Anzahl von Bergleuten zur Anfahrt gemeldet. Auf xeche „Siebenplaneten“ sind gestern Morgen 252 ann unter Tage ange⸗ fahren; für heute, Freitag, haben sich wieder Mehrere gemeldet. Auf Zeche „Wiendahlsbank“ war am Donnerstag wieder Alles angefahren; die drei Delegirten haben durch Anschlag auf der Zeche bekannt gemacht, daß sie ihr Mandat niederlegen. Auf „Dahl⸗ hauser Tiefbau“ sind einige mehr angefahren. Auf Zeche „ver. General u. Erbstollen“ sind gestern Morgen 24 Mann unter und 78 Mann über Tage angefahren; am Nachmittag ist Niemand