1891 / 105 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 05 May 1891 18:00:01 GMT) scan diff

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industriellen ihre Produkte ausstellen, das verlange das Decorum und gebiete ibnen ihre patriotische Pflicht.

Geheimer Bergrath Dr. Wedding: Er stimme im Prinzip dem Vorredner bei, er könne ihm aber nicht beipflichten, daß gewisser⸗ maßen über die Köpfe der Industriellen hinweg die Ausstellung ver⸗ anstaltet werde. Die Ausstellung solle ja veranstaltet werden, um den deutschen Export zu heben, also im Interesse des deutschen Ge⸗ werbestandes. Deshalb halte er eine Umfrage, vielleicht in einer anderen Form als der vorgeschlagenen, für geboten. 1t

Nach längerer Debatte wurde beschlossen, von einer Umfrage, ob eine Ausstellung stattfinden solle, Abstand zu nehmen, dagegen den technischen Ausschuß zu beauftragen, der nächsten Vereinsversammlung eine Kommission vorzuschlagen, die die technische Organisation der Ausstellung und alles Weitere in die richtige Bahn leiten solle. Gleichzeitig solle der technische Ausschuß der nächsten Versammlung ein an den Reichskanzler zu richtendes Schreiben, in welchem um Förderung und Unterstützung der Ausstellung gebeten wird, vorlegen.

Antisozialdemokratische Vereine.

Der Stadtverordnete Schmidt in Halle a. S. hat einen neuen „Arbeiter⸗Bildungsverein“ gegründet, dessen Aufgabe es sein soll, die Arbeiter über die Irrlehren der Sozialdemokratie aufzuklären. Der in Halle a. S. schon längere Zeit bestehende „Evangelische Arbeiterverein“ erfreut sich eines steten Wachstbums.

Im Kreise Querfurt besteht seit einiger Zeit ein Verein bezw. Ausschuß „zur Förderung des sozialen Friedens“, welcher, wie der Name sagt, es sich zur Aufgabe macht, die einzelnen Gesell⸗ schaftsklassen durch Veranstaltung von Familien⸗Abenden ꝛc. einander näher zu bringen und durch Einwirkung auf die Presse, durch Ver⸗ theilung geeigneter Schriften, Flugblätter ꝛc. der Sozialdemokratie

entgegen zu wirken

Arbeitermangel.

Trotz des langanhaltenden und harten Winters ist, wie aus dem Reg.⸗Bez. Merseburg geschrieben wird, unter den Arbeitern ein eigentlicher Nothstand nirgend wahrzunehmen gewesen. Seitens der Arbeitgeber wird vielfach uüͤber einen großen Mangel an Gesinde und land⸗ und forstwirthschaftlichen Arbeitern geklagt, unter dem nament⸗ lich die in der Nähe von Eisenbahnstationen gelegenen Ortschaften von Jahr zu Jahr mehr zu leiden haben, was bauptsächlich dem Zu⸗ drang nach Berlin und anderen großen Städten zuzuschreiben sein dürfte. Zur Arbeiterbewegung.

Während die Ausstandsbewegung im Ruhr⸗ kohlenrevier dem völligen Erldschen nahe ist, schreitet im gesammten belgischen Kohlengebiet die Bewegung so schnell und gewaltsam fort, daß man vom allgem einen Ausstand auf sämmtlichen belgischen Kohlenzechen nicht mehr weit entfernt ist. Nach telegraphischen Nachrichten der „Voss. Ztg.“ vom gestrigen Tage feierten sämmtliche Zechen und mehrere Metallwerke des Beckens Lüttich; ferner waren 30000 Berg⸗ leute des Beckens Charleroi und 16 000 Bergleute des Beckens Mons bei ruhiger Haltung ausständig, nur das Becken Centre arbeitete. Der „Koöln. Ztg.“ wurde gleichzeitig aus Mons gemeldet, es herrsche eine gewisse Erregtheit unter den Ausständigen, welche an dem Beschlusse, den Strike weiter⸗ zuführen, festhalten. Diese Meldungen werden durch folgende Brüsseler Telegramme des „Wolff'schen Bureaus“ bestätigt und ergänzt:

Im Lütticher Revie sich im Laufe des gestrigen Tages die Lage nicht gebessert. In den Kodlen n an beiden Ufern der Maas ist zur Abendschicht Niemand eing Die Aus⸗ ständigen in Tilleur zündeten 8 ende Gehölz sowie die Hecken an den Abhängen Nicolas an. Das Militär löschte das Feuer. Im Becken von Charleroi ist der Strike ein allgemeiner; man glaubt aber nicht

ganzen

4 . 1 4 an eine lange Dauer des Ausstandes. Nach Meldungen aus Mons ₰q⸗ 2 2 21½ 2 sind kleine fliegende Truppentheile nach dem Borinage ent⸗

sandt worden, um bei der Herstellung der Ruhe und Ordnung mit⸗

zuwirken. Viele der ausständigen Arbeiter sind auf den Feldern und in den Gärten mit landwirthschaftlichen Ardeiten beschäftigt. Zwei in Brügge garnisonirende Schwadronen Lanciers sind nach Charleroi und drei Schwadronen Lanciers von der Garrisen zu Löwen nach Lüttich entsendet worden; nach letzterer Stadt warde auch von Ant⸗

werpen das 14. Linien⸗Regiment beordert. Außerdem stehen drei

Schwadronen Lanciers in Hasselt zum Abmarsch bereit. Das

„Journal de Bruxelles“ sagt, die Regierung sei entschlossen, die Ord⸗

nung energisch aufrecht zu halten; im Uebrigen müßte man sich davor

hüten, gewissen alarmirenden Zeitungsberichten eine zu große Bedeu⸗

tung beizulegen; die Lage habe nichts ernstlich Bedrohliches.

Ueber die gegenwärtige Lage der Theilausstände im Ober⸗Bergamtsbezirk Dortmund entnehmen wir der „Rh⸗Westf. Ztg.“ folgende Einzelnheiten:

Auf den Zechen der Harpener Bergbau⸗Aktiengesellschaft ist wieder Alles in Thätigkeit. Auf Zeche „Hasenwinkel“ arbeiteten gestern Morgen 148 Mann unter und 86 über Tage; davon sind vom Stahlwerk 136 Mann, und zwar 126 unter und 10 über Tage. Auf Zeche „Ver. Marianne u. Stein⸗ bank“ sind 103 Mann unter und 310 über Tage angefahren. Auf Zeche „ver. Engelsburg“ sind 88 unter und 58 Mann über Tage in Arbeit. Auf Zeche „ver. Carolinenglück' ist gestern Morgen bis auf einige Mann wieder Alles angefahren; die noch fehlenden Leute wollten gestern Mittag wieder mit anfahren. Auf Zeche „Dahlbausen Tiefbau“ sind gestern Morgen wieder mehr Leute als am Sonnabend angefahren.

Eine in Eschweiler am letzten Sonntag abgehaltene Berg⸗ arbeiterversammlung, die über die Strikefrage berieth, wurde Zeitungsmeldungen zufolge wegen großen Tumultes aufgelöst. Ver⸗ anlaßt wurde der Skandal durch Ausführungen eines Bergmannes, der behauptete, die Bergarbeiterbewegung sei in den Händen der Sozialdemokratie.

Ueber die Versammlung der Bergarbeitervertreter vom Rechtsschutzverein des Saarreviers in Altenwald (ogl. die gestrige Nr. 104 d. Bl.) schreibt man der „Frkf. Ztg.“: 1

2. Die Frage des Nichtkoblenversands in Ausstandegebiete erledigt sich, was Westfalen anbetrifft, durch das Verschwinden des dortigen Strikes von selbst; die Forderung nach höheren Löhnen in der Form einer Theuerungszulage findet in der öffentlichen Meinung als eine unzeitgemäße keinen Anklang, denn die Bergarbeiter⸗ löhne sind hier allgemein wirklich auskömmliche.. . Ein wunderbarer Beschluß ist die Forderung des Achtstunden⸗ tages und dessen Einführung bdis zum 8. Mai. In der Versammlung waren sämmtliche Pariser Kongreßdelegirten anwesend, aber kein Einziger von ihnen schien sich zu erinnern, daß sie in Paris dafür mitgestimmt hatten, die Regelung der Achtstundentag⸗ frage vorläufig den Erörterungen der verschiedenen Staatsregierungen resp. deren Vertretungen zu überlassen. Es wirft diese merkwürdige Thatsache ein eigenthüͤmliches Licht auf das Urtheils⸗ und Begriffs⸗ vermögen der hiesigen Bergarbeiter⸗Vertreter. Die öffentliche Meinung in unserem Bezirk ist geradezu ungehalten über die neuesten Be⸗ schlüsse, und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß sich die Führer der hiesigen Bergarbeiter über die allgemeine Stimmung unter ihren Kameraden täuschen.“

Die Unruhen in Bekescsapta bei Szegedin werden von der Wiener „N. Fr. Pr.“ als solche agennischs Charakters bezeichnet; sie seien dadurch hervorgerufen worden, daß ländliche Arbeiter sich trotz des dagegen erlassenen Verbots in die Listen des Arbeiterklubs eintragen ließen. Die Unruhen wiederholten sich am Sonntag, indem zahlreiche Arbeiter, unter denen auch Frauen waren, sich zusammen⸗ rotteten und die Freilassung der am Freitag verhafteten Rädelsführer

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forderten. Das herbeigeeilte Militär mußte mit gefälltem Bajonett vorrücken, um die Straßen zu säubern. Verwundet wurde Niemand.

Wie ein Wolff'sches Telegramm aus Paris meldet, fand gestern Abend in Belleville ein von etwa 1500 Personen besuchtes Meeting statt, auf welchem der Deputirte Dumay eine Ansprache hielt. Die Versammlung beschloß einstimmig eine Tagesordnung, welche sich gegen das Verfahren der Regierung in Fourmies ausspricht. In Fourmies hat gestern die Beerdigung der bei dem Zusammenstoß am 1. d. M. getödteten neun Personen unter großer Betheiligung stattgefunden. In dem Leichenzuge, der an 2 km lang war, befanden sich verschiedene Arbeitervereine, welche rothe oder schwarze mit Krepp umwundene Fahnen trugen. Auf dem Friedhof nahmen mebrere Sozialisten zu heftigen Reden das Wort. Die Ruhe ist sonst in keiner Weise gestört worden.

In Stockholm haben Ende April dreißig der größten Herren⸗ KonfektionszesHafte eine Arbeitssperre gegen ihre Schneidergesellen erklärt. Die Veranlassung war, daß die Ge⸗ sellen einer Firma die Entlassung eines nicht dem sozialdemokratischen Fachverein angehörigen Gesellen verlangten, was verweigert wurde. Als dann der Fachverein den Ausstand für diese Firma erklärte, wurde von den übrigen Firmen, nachdem gütliche Verhandlungen erfolglos geblieben, der Ausstand erklärt. Ein Fonds von 100 000 Kronen ist gesammelt, um eventuell die kleineren Meister unterstützen zu können, wenn diese auch die Arbeitssperre für ihre Gesellen be⸗ schließen sollten. Vorläufig sind 300 Schneidergesellen ohne Arbeit.

Das vorläufige Ergebniß der Volkszählung in den Fürstentbümern Waldeck und Pyrmont.

Die ortsanwesende Bevölkerung in den unter preußischer Ver⸗ waltung stehenden Fürstenthümern Waldeck und Pyrmont belief sich am 1. Dezember 1890 nach den vorläufigen Ermittelungen auf 57 283 Personen, wovon 27 434 oder 47,89 % dem männlichen und 29 849 oder 52,11 % dem weiblichen Geschlecht angehörten. Gegen 1885, wo nach dem endgültigen Ergebniß 56 575 Ortsanwesende vorhanden waren, ist eine Zunahme von 708 Köpfen oder 1,25 % eingetreten, und zwar hat sich das männliche Geschlecht verhältnißmäßig stärker ver⸗ mehrt als das weibliche. Die Bevölkerung beider Fürstenthümer ist in 121 Gemeindeeinheiten vereinigt; die 14 waldeckischen Städte zählten zusammen 17 433 Bewohner gegen 17 138 im Jahre 1885; es befanden sich darunter drei Städte (Nieder⸗Wildungen, Arolsen und Korbhach) mit je über 2000, drei (darunter Pvrmor t) mit über 1000 bis 2000 und acht Städte mit weniger als 1000 Bewohnern. Auf das platte Land entfielen 39 850 Einwohner gegen 89 437 im Jahre 1885, welche 107 Landgemeinden bildeten. Von je 1000 Bewohnern lebten durasschnittlich 304 in den Städten und 696 in den Landgemeinden; auch in diesen Fürstenthümern nimmt die städtische Bevölkerung rascher als die ländliche zu. An bewohnten Wohnhäusern wurden 8741, an unbewohnten 178, an anderen bewohnten Baulichkeiten 28 er⸗ mittelt, sodaß die Gesammtzahl der Wohnstätten 8947 (167 mehr als 1885) betrug. Dieselben wurden von 11 594 Haushaltungen (darunter 47 Anstalten für gemeinsamen Ausenthalt) bewohnt. Durch⸗ schnittlich entfielen auf ein bewohntes Wohnhaus 6,55 und auf eine Haushaltung oder Anstalt 4,94 Bewohner gegen 6,57 bezw. 4,95 am I. Dezember 1885; hiernach hat sich die Dichtigkeit des Zusammen⸗ wohnens in den Fürstenthümern während des abgelaufenen Jahrfünfts etwas vermindert, obgleich die Bevölkerung zugenommen hat.

Die letzte Pariser Volkszählung ergab eine Einwohner⸗ zahl von 2 423 000 gegen 2 261 000 im Jahre 1886.

Land⸗ und Forsftwirthschaft. Stand der Saaten.

Fast allgemein ist der Stand der Wintersaaten im Regierungs⸗ bezirk Merseburg ein wenig befriedigender, eine Folge des an⸗ haltend strengen Winters und noch mehr des unbeständigen Wetters im Monat März, in welchem Thauwetter und Frost beständig ge⸗ wechselt haben. Ganz besonders hat hierdurch der Winterweizen und von diesem wieder der englische Weizen gelitten, sodaß ein großer Theil der mit dieser Halmfrucht bestellten Felder wird um⸗ gepflügt werden müssen; auch Raps und Rübsen zeigen einen wenig erfreulichen Stand. Besser ist das Aussehen des Roggent, obwohl auch dieser durch den Frost gelitten hat, theil⸗ weise recht dünn steht und in der Entwickelung zurückgeblieben ist. In einzelnen Kreisen wird über die in großer Menge auftretenden Mäuse geklagt und daraus neuer Schaden für die Saaten und den meist gut stehenden Klee befürchtet. Die Frühjahrsbestellung hat bis jetzt nur auf den böher gelegenen Ländereien in Angriff genommen werden können und ist im Allgemeinen noch weit zurück.

Auch im Lüneburgschen ist die strenge Witterung, welche in dem verflossenen Quartal fast anhaltend vorgeherrscht hat, dem Stande der Wintersaaten wenig günstig gewesen. Auch ist in Folge des an⸗ dauernden Frostwetters die Frühjahrsbestellung sehr zurück⸗ geblieben. Während der Eisgang der Elbe ohne Schaden vor⸗ üͤbergegangen ist, hat bedauerlicher Weise das in der Mitte des Monats März eingetretene Hochwasser im Kreise Dannenberg er⸗ hebliche Ueberschwemmungen im Gefolge gehabt und Vernichtung der auf den überflutheten Aeckern befindlichen Saaten herbeigeführt. Es läßt sich nach alledem leider nicht verhehlen, daß die Aus⸗ sichten auf eine diesjährige gute Ernte in dem hiesigen Bezirk nur geringe sind. Als eine erfreuliche Erscheinung ist die stetige Zunahme der im Kreise Gifhorn betriebenen Spargel⸗Dampf⸗ kultur zu betrachten. Bei der vorzüglichen Qualität des erzielten Spargels ist die Nachfrage im verflossenen Quartal trotz des hohen Preises eine derartig große gewesen, daß den erhaltenen Aufträgen nur zum Theil hat entsprochen werden können.

Saaten kanh in Ungarn.

Aus Budapest, 2. d. M., wird berichtet: Ende April wurde die Witterung im ganzen Lande milder. An mehreren Orten war wohlthuender warmer Frühlingsregen gefallen, in Folge dessen die Pflanzenwelt, die schon an mehreren Orten viel gelitten hatte, sich zu entwickeln anfing. Stellenweise aber war der Pflanzenwuchs so schwach, daß es längerer Zeit bedürfen wird, bis er sich erholen wird. Unter den Getreidesaaten verbreitete sich im Laufe der letzten Wochen Unkraut in größerer Menge und unterdrückte an manchen Orten den Pflanzenwuchs gänzlich. Auch klagt man über Schütterwerden und hie und da über Gelblichwerden der Saaten. Der Weizen kann auch gegenwärtig mittelmäßig und gut mittel⸗ mäßig bezeichnet werden; obwohl er an einzelnen Stellen so schwach und schütter war, daß er ausgeackert werden mußte, so beginnt er sich, was die Durchschnittsresultate betrifft, zu buschen und schön zu ent⸗ wickeln. Roggen ist zwar stellenweise befriedigend, zumeist aler weniger gut und bietet im besten Falle die Aussicht auf eine nur schwach mittelmäßige Ernte; er wird immer schütterer, weshalb hier und da die Ausackerung desselben schon im Zuge ist. Auch Herbst⸗ gerste steht ungünstig; Raps steht bloß am rechten ÜUfer der Donau günstig, an anderen Orten mit geringen Ausnahmen schlecht und wird meist ausgeackert. Die Herbstgetreide⸗ saaten, besonders Weizen, werden an mehren Orten auch von Insekten geschädigt werden. Im Raps verursachen die Erdflöhe und Würmer Schaden. Frühjahrsgetreidesaaten stehen im All⸗ gemeinen unbedingt besser als Herbstsaaten, sie können im Allgemeinen als gut mittelmäßig bezeichnet werden; auch Spätsaaten gehen schön und gleichmäßig auf. An manchen Orten konnte aber in Folge der ungünstigen Witterung in den letzten Wochen die Saat erst in diesen Tagen vollendet werden. Die Vorarbeiten des Weinbaues sind stellenweise noch im Zuge; über die ungünstige Entwickelung der Weinstöcke klagt man allerseits. Die Obstbäume treiben in Gegenden mit wärmerem Klima schon schöne Blüthen, überhaupt zeigen sich ziemlich viele Blüthenknospen.

Handel und Gewerbe. Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien. An der Ruhr sind am 4. Mai gestellt 9074, nicht recht⸗ zeitig gestellt keine Wagen. vh“

Berlin, 3. Mai. (Wollbericht des „Ctrbl. f. d. Textil⸗ Ind.*) Das Geschäft war in der vorigen Woche sehr all. Nach Sachsen und der Lausitz dürften 5 600 Ctr. ung ewaschene Wolle abgesetzt worden sein, wobei die Preise ihren bisherigen Standpunde behaupteten. Während die Londoner Auktion einen festen Verrduf genommen und die Erhöhung der Preise sich bis zum Schluß voll bebauptet hat, weisen die Termingeschäfte eine schwache Haltung auf und bhaben die Preise dort etwas nachgegeben. Es tritt in diesem Gegensatz die Erscheinung zu Tage, daß die Konsumenten, welche mit Rohmaterialien nur knapp versehen sind, die Nachfrage verstärten und zur nothwendigen Deckung ihres Bedarfs volle Tagespreise bewilligen müssen, während die Spekulation aus ihrer Reserve nicht heraustritt und keinen Muth hat, sich in größere Unternehmungen einzulassen. Im Kontraktgeschäft fehlt es deshalb noch an jeder Anregung.

Nach dem in der 23. ordentlichen Generalversammlung der Fortuna, Allgemeinen Versicherungs⸗Aktien⸗Gesell⸗ schaft, vorgelegten Geschäftsberichte beträgt der Netto⸗Reingewinn des abgelaufenen Geschäftsjahres 164 340 ℳ, welcher laut Beschluß der Generalversammlung wie folgt verwandt wird: 100 000 gleich 200 pro Aktie ocer 33 ½ % des Einschusses werden als Dividende vertheilt, 50 000 dem Dividenden⸗Ausgleichungssonds überwiesen, 10 000 zur Begründung eines Beamten⸗Unterstützungsfonds ver⸗ wandt und der Rest von 4340 wird als Gewinnsaldo auf neue Rechnung übertragen.

Die Generalversammlung der Aktionäre der Vietoria zu Berlin, Algemeinen Versicherungs⸗Aktien⸗Gesellschaft, vom 29. April 1891 genehmigte auf Vorschlag des Aufsichtsraths und der Direktion die Vertheilung des im Geschäftsjahre 1891 erzielten Reingewinnes von 2 554 600 Hiernach erhalten die Aktionäre der Victoria eine Dividende von 27 % der Einzahlung oder 162 pro Aktie gegen 26 ½ % im Vorjahre, die mit Gewinn⸗Antheil Versicherten der Unfall⸗Versicherungs⸗Abtheilung 41 ½ % der Jahresprämie und die mit Gewinn⸗Antheil Versicherten der Lebens⸗Versiche⸗ rungs⸗Abtheilung eine Dividende von 3 % der Summe der für jede Versicherung gezahlten Jahresprämien. Die Gesammt⸗ Einnahme an Prämien und Zinsen aus allen Branchen betrug 12 505 219 und zeigt eine Vermehrung gegen 1889 um 1 975 121 Die Gesammt ⸗Reserven des Geschäfts erreichten die Höhe von 39 161 324 ℳ, die Gesammt⸗Aktiva die Höhe von 49 833 118 Die Prämien⸗Einnahme in der Unfall⸗Versicherungs⸗ branche betrug allein 3 200 781 (+ 902 832 ℳ) In der Lebens⸗ Versicherungs⸗Atheilung, der Hauptbranche der Gesellschaft, gingen ein 8332 Anträge über 43 784 771 Versicherungssumme, von welchen 6648 Policen über 33 338 773 Versicherungssumme ausgesertigt wurden; der Gesammt⸗Versicherungsbestand belief sich auf 41 130 Policen mit 178 409 396 Versicherungssumme und in der Abtheilung der Rentenversicherungen auf 181 922 Jahresrente.

Die Handelskammer zu Frankfurt a. M. hat in Ge⸗ mäßheit des Antrages einer Anzahl dortiger Bankfirmen verfügt, daß in dem öffentlichen Coursblatt folgende Monta npapiere notirt werden: Bochumer Gußstahl⸗Aktien, Harpener Bergbau⸗Gesellschafts⸗ Aktien, Bergwerks⸗Gesellschafts⸗Hibernia⸗Aktien, Dortmunder Urion⸗ Prioritäts⸗Aktien.

Die Italienische Gesellschaft der Sicilianischen Eisenbahnen in Rom bat an ein Konsortium, welchem in Deutschland die Berliner Handels⸗Gesellschaft, Bank für Handel und Industrie, Deutsche Bank und das Bankhaus von Erlanger u. Söhne in Frankfurt a. M. angehören, 12 ¼ Millionen Lire vier⸗ prozentige, auf Annuitäten des italienischen Staates fundirte Gold⸗Obligationen begeben. Ueber den Zeitpunkt der Emission dieser Obligationen ist eine Entscheidung noch nicht

getroffen.

Dortmund, 4. Mai. (W. T. B.) Auf dem der Mengeder Bergwerksgesellschaft gehörenden Schachte „Adolf von Hansemann“ ist in einer Tiefe von 257 Metern das Steinkohlen⸗ gebirge glücklich erreicht worden.

Leipzig, 4. Mai. (W. T. B.) Kammzug⸗DTermin⸗ handel. La Plata. Grundmuster B. pr. Mat 4,35 ℳ, pr. Juni 4,37 ½ ℳ, pr. Juli 4,40 ℳ, pr. August 4,42 ½ ℳ, pr. Sep⸗ tember 4,42 ½ ℳ, pr. Oktober 4,45 ℳ, pr. November 4,45 ℳ, .“ 4,45 ℳ, pr. Januar 4,45 Umsatz 45 000 kg. Ruhig.

Wien, 4. Mai. (W. T. B.) Ausweis der Südbahn in der Woche vom 23. April bis 29. April 744 010 Fl., Minderein⸗ nahme 42 483 Fl.

Ausweis der österreichisch⸗ungarischen Staatsbahn in 8

der Woche vom 23. April bis 29. April 677 522 Fl., Mehreinnahme 46 055 Fl.

London, 4. Mai. (W. T. B.) ladungen angeboten. .

Bradford, 4. Mai. (W. T. B.) Angebot. To⸗ und Stofffabrikanten beschäftigt.

New⸗York, 4. Mai. e. T. B.) Für Europa wurden heute 530 000 Doll. G old bestellt. Das Handelsblatt „Advertiser“

In Wolle reichliches

erwähnt das Gerücht, daß in dieser Woche eine bedeutende Silber⸗-

ausfuhr nach London statthaben werde; zwei Firmen würden morgen jede 50 000 Unzen absenden; von anderen Firmen würden im weiteren Verlauf der Woche bis gegen eine Million Unzen versendet werden. 1 Visible Supply an Weizen 21 063 000 Bushels, do. an Mais 3 125 000 Bushels. 8

Rennen zu Hoppegarten.

W Montag, 4. Mai. 88 I Jungfern⸗Rennen.

Frhrn. E. v. Falkenhausen’g br. H. „Maikäfer“ 1., Hrn. U. v.

Oertzen’s „Wickinger⸗ 2, Kal. Hpt.⸗Gest. Graditz’ „Mirmidone“ 3. Siegte ganz leicht mit zwei Längen;

hinter Wiainger“ Pritter Werth: 4000 dem Sieger, 400

dem Zweiten, 30 dem Dritten

Ii” Golvene Peitsche und Staatspreis 5000 1200 m.

Bertheibiger von 1890: Hr. V. May.

Hen. B. May’'s br. H. „Dalberg“ 1, K. Hpt⸗Gest. Graditz; „Neupauge“ 2., Kapt. Edwards' „Hammerfest“ 3.

Mühelos mit zwei Längen gewonnen. Ehrpr. und 5000 dem Sieger, 200 dem Dritten.

III. Großes Hoppegartener Handicap. Klubpreis 10 000 1600 m. Hrn. V. Mavyv'’s br. H. „Tambour⸗Major“ 1., Lt. Roos’ „Brabant“ 2., Frhrn. Ed. v. Oppenheim's „Micasla“ 3 Nach Kampf mit einer halben Länge gelandet; ein Hals zwischen der Zweiten und dem Dritten. Werth: 10 550 dem Sieger, 1800 dem Zweiten, 800 der Dritten. 8

IV. Balbeck⸗Rennen. Graditzer Gestüt⸗Preis 2000 Sieger für 4000 käuflich. 1000 m. Frhrn. v. Schrader’s F.⸗H „Blücher“ (15 000 ℳ) 1., Hrn. B. Kalbe's „Freischütz“ 2. Siegte nach scharfer Gegenwehr um einen Hals. Werth: 2000 dem ve 240 dem Zweiten. „Blücher“ wurde für 3000 zurück gekauft. 1 8

V. Staatspreis III. Kl. 3000 1800 m. Frhrn. E. von Fürstenberg's F.⸗H. „Nickel“ 1, Hrn. V. May’s „Freischärler“ 2 Leicht mit drei viertel Längen gewonnen. Werth: 3120 dem Sieger 120 dem Zweiten.

VI. Effenberg⸗Jagd⸗Rennen. Graditzer Gestüt Preis 3000 Herren⸗Reiten. 3000 m. Hptm. R. Spiekermann’ F.⸗St. „Venus“ Hr. O. v. Dewitz 1, Hrn. Demuth'’s „Mirambe“, Lt. von

Graevenitz 2. Nach Gefallen mit drei Längen gewonnen. „Tarasp⸗ nach

wiederholtem Refüsiren angehalten. Werth: 2940 der Siegerin, 540 dem Zweiten. ““ v

An der Küste 4 Weizen⸗

Tobs unverändert; Kreuzzuchten knapp, fest, Spinner

Klubpreis 4000 1600 m. 6

„Mirmidone“ fünf Längen

8

Haus der Abgeordneten. 81. Sitzung vom Montag, 4. Mai. S6

Der Sitzung wohnt der Minister der geistlichen ꝛc. An⸗ gelegenheiten Graf von Zedlitz⸗Trützschler bei. Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1891/92 wird fortgesetzt bei dem Etat des Ministe⸗ riums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗ Angelegenheiten.

8 Bei Titel I der Einnahmen ergreift das Wort der Minister der geistlichen ꝛec. Angelegenheiten Graf von Zedlitz⸗ Trützschler:

Meine Herren! Ich habe mir schon bei dieser Stelle das Wort erbeten, um zunächst meinem Bedauern Ausdruck zu geben, daß ich genöthigt sein werde, bei der Etatsberathung mir bezüglich meiner persönlichen Betheiligung eine gewisse Beschränkung aufzuerlegen. In der kurzen Frist, welche mir bisher zur Einarbeitung gegönnt war, ist es mir nicht möglich gewesen, auf allen Gebieten des weitverzweigten Ressorts zu einer vollen Information zu gelangen. Ich vermuthe, daß das kaum verwunderlich erscheinen wird. Sodann aber habe ich den Wunsch, sogleich heute uͤber meine Stellung zu dem wichtigen, Ihrer Beschlußfassung unterbreiteten Gesetzentwurf, betreffend die Volksschule, mich zu äußern und damit von vornherein Klarheit über jene zu geben. Ich erkenne rückhaltlos die Nothwendigkeit der gesetzlichen Regelung des Schulwesens an. (Bravo! links.) Diese Auffassung gründet sich nicht nur auf die ja vllig selbstverständliche Pflicht, die Bestimmungen der Verfassung ihrer endlichen Ausführung entgegen⸗ zuführen, sondern ebenso auf eine, wie ich wohl sagen darf, vieljährige und eingehende Beschäftigung und Erfahrung mit dem Volksschul⸗ wesen insbesondere selbst. Der gegenwärtige Zustand, bei welchem wichtige Theile des Schulwesens der gesetzlichen und normativen Regelung entbehren und bei dem den Betheiligten die geordnete Mit⸗

irkung auf Gebieten entzogen ist, die ihre nächsten und vitalsten Inter⸗ essen berühren, ist nach meiner Auffassung schwer erträglich. Ebenso ist dieser Zustand lähmend für die Verwaltung, die in ihren Anordnungen und Entscheidungen vielfältig mißverständlichen Auffassungen begegnet und andererseits auch vielfach vor übergroße Verantwortung von Fall zu Fall gestellt ist.

Endlich und ich möchte diesem Grunde eine besondere Accentuirung geben halte ich die Ordnung sowohl der inneren wie der äußeren Verhältnisse des Lehrerstandes und namentlich die Regelung des Einkommens derselben auf einer möglichst einheitlichen Grundlage für dringend geboten.

Wenn ich bei einer derartigen Stellung zur Sache trotz dessen Bedenken trage, sofort in die volle Verantwortung für den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf einzutreten, so liegt der Grund wesentlich darin, daß ich den Wunsch habe, Zeit zu gewinnen, um über die schweren und für Jahrzehnte entscheidenden Prinzipienfragen, die in dem Entwurf enthalten sind, zu einer eigenen Prüfung und eigenen Entschließung zu gelangen. Ich erachte dies um so nothwendiger, weil, wenn ich recht unterrichtet bin, auch innerhalb dieses hohen Hauses die Parteien über diese Prinzipienfrage noch zu keiner end⸗ gültigen Entschließung gelangt sind, und also bei der Weiter⸗ berathung die schwersten Entscheidungen in der Sache voraussichtlich noch bevorständen. Ebenso glaube ich, daß es zulässig ist, meinem Wunsch zu willfahren, ohne Schädigung der Sache, weil nach der geschäftlichen Lage beider Häuser des Landtages an eine Verabschiedung dieses Gesetzes in diesem Jahre ja wohl überhaupt nicht gedacht werden kann.

8 Ich bin deshalb ermächtigt, Namens der Staatsregierung zu erklären, daß sie ihrerseits auf die mweitere Berathung des Gesetz⸗ entwurfs in diesem Jahre kein entscheidendes Gewicht legt; aber ebenso bestimmt betone ich, daß damit die gesetzliche Regelung der Sache nicht in eine unbestimmte Ferne hinausgerückt sein soll, und daß, was an mir liegt, geschehen wird, um Sie, meine Herren, erneut vor die hochwichtige und bedeutsame Aufgabe zu stellen. (Bravo.) Die Einnahmen werden bewilligt. Bei dem ersten Titel der Ausgaben, Gehalt des Ministers, weist 1 1 Abg. Dr. Freiherr von Heereman darauf hin, daß dieser Titel sonst beim Centrum benutzt worden sei, alle Beschwerden vor⸗ zubringen. Mit Rücksicht darauf, daß ein Personenwechsel im Ministerium stattgefunden habe, wolle das Centrum sich Zurückhal⸗ tung auferlegen und hböchstens einig Einzelheiten vorbringen. Es komme dem Minister mit Vertrauen entgegen, weil es die Hoffnung hege, daß derselbe mit Wohlwollen die Wünsche des Centrums beachten werde. Für die Freiheit der Kirche und ihrer Organe werde das Centrum nach wie vor eintreten auf Grund des verfassungsmäßigen Rechts, ohne die Rechte Anderer zu verletzen. Redner führt dann Beschwerde darüber, daß katholischen Lehrern ver⸗ boten werde, dem katholischen Lehrerverbande beizutreten, trotzdem derselbe ganz harmlose Ziele verfolge und namentlich jede Art von Politik ausschließe. Der Minister möge diese Angelegenheit einer sorgfältigen Prüfung unterziehen. Bezüglich der Schule müsse der alte verfassungsmäßige Zustand wieder hergestellt werden, welcher vor 1870 geherrscht habe; der moderne Materialismus, dem man so viel entgegengekommen sei, müsse wieder beseitigt werden. Der Kulturkampf habe im Volke ein sehr großes Mißtrauen hervor⸗

d . (Sehr richtig!) Und auch jetzt nähmen die Beamten noch nicht die richtige Stellung dem katholischen Volke gegenüder ein. Von obenherab müsse man wieder mit dem Beispiele des Vertrauens vor⸗ gehen, dann werde sich das ändern. Das Mißtrauen äußere sich auch auf dem Gebiete der Stellung der beiden Konfessionen zu einander, und das sei gerade die schlimmste und verderblichste Folge des Kultur⸗ kampfet. Hier müsse jeder Wohlmeinen.⸗ Hand anlegen, um den alten Zustand wleder herbeizuführen, damit die gegen Thron und Altar gerichteten Bestrebungen unterdrückt würden. Redner hemängelt schließ⸗ lich die Behandlung der Ordensniederlassungen. Niederlassungen könne man eigentlich nur besondere Anstalten nennen. Daß diese zugelassen und jederzeit wieder beseitigt werden könnten, sei ein Zustand, der für andere viel gefährlichere Dinge nicht angewendet werde. Anders stehe es aber mit der Anstellung von krankenpflegenden Schwestern, die Seitens einer Gemeinde, einer Stiftung u. s. w. angestellt würden, damit sollte man es doch nicht so scharf nehmen. Sie opferten sich auf für die Kranken, und das sollte anerkannt und nicht von der Ge⸗ nehmigung der Behörde abhängig gemacht werden. (Zustimmung im Centrum.)

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zeiger und Königlich Pren

Berlin, Dienstag, den 5. Mai

Abg. Freiherr von Zedl itz spricht seine Genugthuung darüber aus, daß das Centrum der Regierung mit Vertrauen entgegenkomme; das Centrum werde aber Thaten folgen lassen müssen, und Aus⸗ führungen über die Schule seien dabei nicht sehr beruhigend; auf dieser Grundlage werde kaum wohl ein Volksschulgesetz zu Stande gebracht werden können. Die Verabschiedung dieses Gesetzes könne in der gegenwärtigen Session wohl kaum erfolgen, so unerwünscht das Scheitern der Vorlage auch sei. An das Zurückziehen der Vor⸗ lage sei in manchen Theilen des Volkes die Besorgniß geknüpft worden, daß diese Vorlage überhaupt aufgegeben sei. Aus der Er⸗ klärung des Ministers habe er entnommen, daß diese Befürchtung unbegründet sei. Wenn die Ergebnisse der kommissarischen Berathung, welche manche Verbesserung enthielten, von der Regierung beherzigt würden, dann werde die neue Vorlage schnell ihre Erledigung finden. (Zustimmung)

Abg. Schmelzer: Er hoffe, daß der Minister nicht nur ein Volksschulgesetz, sondern ein volles Unterrichtsgesetz bringen werde. Aber ein solches Gesetz werde nicht in allen Einzelheiten zu Stande kommen können, wenn wir nicht einen Unterrichts⸗Minister erhielten, der ohne Rücksicht auf kirchenpolitische Dinge seine Kraft ganz der Schule widme, oder wenigstens einen Unter⸗Staatssekretär, der sich ganz der Schule widmen könne. Die leitenden Männer im Schulwesen seien jetzt immer nach kirchenpolitischen Tendenzen ausgewählt worden. Das nütze aber der Schule nicht. Der Träger unserer Krone habe der Schule schwere Aufgaben gestellt, und diese Aufgaben verlangten einen ganzen Mann. In der Religion solle die Ethik den dogmatischen Fragen vorangestellt werden: er sei dafür eingetreten und habe dafür einen Verweis seiner vorgesetzten Behörde erhalten. Als er sich beschwert und darauf hingewiesen habe, daß hervorragende Schulmänner dasselbe empfohlen und gethan hätten, da habe er vom Minister zwar nicht Unrecht bekommmen, aber Recht auch nicht. (Heiterkeit.) Die Regelung des deutschen Unterrichts sei ebenfalls nothwendig. Unsere Sprache laufe jetzt Gefahr, zu verwildern. Er spreche nicht vom Zeitungs⸗ deutsch, aber selbst in der Sprache der Gesetze fänden sich sehr erheb⸗ liche Schroffheiten und Mängel. Er danke dem Minister, daß er die Nothwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Schulwesens an⸗ erkannt habe; er bitte, ihn zu prüfen, ob nicht das höhere Schul⸗ wesen von einem eigenen Unter⸗Staatssekretär bearbeitet werden könne, aus welchem dann später vielleicht ein besonderer Unterrichts⸗ Minister hervorgehe.

Abg. Dr. Virchow: Wenn er sehe, wie die Minister kämen und gingen, so müsse er sich sagen, daß dies in der Beschaffenheit ihres Amtes liege: sie seien meist schließlich über eine theologische Frage gestürzt und zwar nicht über eine wissenschaftliche Frage, sondern uüͤber eine konfessionelle Frage. Wenn die Verbindung zwischen dem geistlichen Ministerium und dem Unterrichts⸗Ministerium aufgehoben werde, so werde die Schwierigkeit behoben sein. Die Bezeichnung Kultus⸗Minister sei sehr bezeichnend dafür; man wende sich erst an sein geistliches Gemüth und prüfe seine Denkungsart und dann werde ihm das Unterrichts⸗Ministerium übertragen. Der Minister habe von der gesetzlichen Regelung des Volksschulwesens ge⸗ sprochen, aber warum wolle er nicht die Verhältnisse der höheren Schulen ebenfalls gesetzlich regeln, nachdem dieselben bisher so vielfach zum Gegenstand von Experimenten gemacht worden seien. Zu den schlechten Verhältnissen des höheren Schulwesens habe das Militär⸗ berechtigungswesen beigetragen. Bisher hätten humanistische und Realanstalten neben einander bestanden; die Reglanstalten hätten sich entwickelt und den Kampf ums Dasein gut bestanden. Es liege die Gefahr nahe, daß diese Schulen, denen nichts fehle, als ein bischen mehr an Berechtigung, beseitigt würden durch eine Ministe⸗ rialverordnung. Dieses Verfügungsrecht des Ministers dürfte schwer nachzuweisen sein. Es sei zwar nicht contra legem, aber wohl praeter legem. Es würde sich empfehlen, einige Jahre einen ehr⸗ lichen Versuch zu machen, ehe man mit einem neuen Prinzip vor⸗ gehe. Warum habe man nicht den Realeymnasien die Berechtigung gegeben, ein paar Jahre lang die Schüler zum Studium der Medizin vorzubereiten? Die Schüler, welche das Gymnasium verließen, könnten nicht die einfachste Unterhaltung in lateinischer Sprache führen, sie könnten jedenfalls die alten lateinischen Schriften nicht lesen. Wes⸗ halb gebe man diesen Schülern allein das Recht, Medizin zu studiren? Er moöchte dem Minister dringend rathen, vorsichtig und langsam bei der Umwandlung der Schulen vorzugehen und einen bescheidenen Anfang zu machen. Die Vielregiererei, der ewige Wechsel in den Befeblen müsse aufhören, dadurch allein könnten die Klagen beseitigt werden, welche gegen jede neue Verordnung vorgebracht würden. Die Männer der Schule, die sich immer als höhere Wesen betrachten, ständen vollständig unter den wechselnden Reglements des Ministeriums.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz⸗Trützschler:

Meine Herren! Ich möchte meine Erwiderung auf die bisher gehörten

Reden zunächst beginnen mit dem Dank dafür, daß mir von allen

Seiten theils in Worten, theils in der Form ein so weitgehendes

Wohlwollen entgegengebracht worden ist. Ich werde mich bemühen

und damit wende ich mich gleich an den ersten Herrn Redner —,

auch in meiner Verwaltung dieses Wohlwollen gegenüber allen Zweigen,

welche diesem Ressort unterstellt sind, mir zu bewahren, und ich

glaube meinerseits versichern zu können, daß ich in allen Verhältnissen,

wie bisher in meinem amtlichen Leben, objektiv verfahren werde, so⸗

weit und in dem Rahmen, wie die Gesetze, welche zu beachten ich

verpflichtet bin, dies gestatten. (Bravo!)

Meine Herren, wenn ich dann auf die Rede des Hrn. Abg. Frei⸗

herrn von Heereman noch in einigen Punkten einzugehen mir erlaube,

so werde ich mich selbstverständlich der von ihm gewünschten Prüfung

der Verhältnisse des katholischen Lehrerverbandes gern unterziehen.

Urtheil über die Sache gebildet zu haben. An sich, glaube ich, kann Verein verbinden, keinerlei Anstoß genommen werden wird, und daß es bei diesem Verband lediglich darauf ankommt, ob er thatsächlich diejenigen Bedingungen erfüllt, die nach seinen statutenmäßigen Auf⸗ zeichnungen von ihm gefordert werden.

Wenn der Hr. Abg. Freiherr von Heereman sodann auf den Einfluß der Kirche auf die Schule eingegangen ist, so berührt er damit einen Punkt, dem ich persönlich, wie ich garnicht leugnen will, außerordentlich nahestehe; es wird das von mir auch wohl Niemand anders erwartet haben. Daß ich das Moment des christlichen Ein⸗ wirkens und des kirchlichen Einflusses auf die Schule, namentlich auf die Volksschule, sehr hoch stelle das erkläre ich ausdrücklich (Bravo! rechts und im Centrum) und daß ich bereit bin, nach dieser Richtung hin nicht rückwärts treten zu lassen gegen den bisherigen Standpunkt, das will ich nicht verhehlen.

Wenn der Hr. Abg. von Heecreman dann aber seinem Bedauern

darüber Ausdruck gegeben hat ich nehme an, daß seine Bemerkung

Ich bin augenblicklich noch nicht in der Lage, mir ein abschließendes

ich erklären, daß an den Umstand, daß katholische Lehrer sich zu einem

sisch

sich wesentlich auf die Beamten des Schulressorts bezieht —, daß jetzt den Beamten im Allgemeinen mit einem großen Mißtrauen in der Bevölkerung begegnet werde, so würde ich, Falls diese That⸗ sache richtig wäre, sie außerordentlich beklagen. Aber soweit ich das beurtheilen kann, trifft die Bemerkung doch nur theilweise zu. Wenn ich auch nicht in Abrede stellen will, daß innerhalb der Beamtenschaft durch Taktfehler und vielleicht mißverständliche Auffassung von Ja⸗ struktionen und Gesetzen verstoßen werden kann, so glaube ich doch im Allgemeinen für die Beamtenschaft des preußischen Staats in Anspruch nehmen zu können, daß sie mit aller Objektivität und mit voller Pflichttreue ihres Amts waltet; der Ehrentitel des Verwaltungs⸗ beamten, als eines der gesammten Bevölkerung zu Dienst stehenden Vertrauensmannes, besteht auch heute noch zu Recht.

Derselbe Herr Abgeordnete hat sodann noch einige Wünsche bezüglich der Kreis⸗S chulinspektionen und der Ordensniederlassungen erwähnt. Er hat selbst den Wunsch geäußert, daß ich im Einzelnen auf die Fragen hier nicht eingehe. Ich will diesem Wunsch gern folgen, nur das glaube ich aber Betreffs der Ersteren schon jetzt hervorheben zu dürfen, daß die Annahme, als ob die weltlichen Kreis⸗Schulinspektionen ganz wesentlich konfessionell geordnet wären, doch nach unseren statistischen Aufzeich⸗ nungen nicht zutrifft. Von der Gesammtzahl der unter weltlichen Kreisschulinspektoren stehenden Schulen sind etwa 30 % evangelisch. Die weltliche Kreisschulinspektion ist, soweit ich mich über diese An⸗ gelegenheit habe unterrichten können, ganz wesentlich da eingeführt, wo besonders schwierige Verhältnisse eine strenge technische Leitung und auch eine starke disziplinare Einwirkung fordern; und ich glaube, es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß diese beiden Voraus⸗ aussetzungen da, wo es sich um wirklich schwierige Verhältnisse handelt, jene Einrichtung geltend erscheinen lassen.

Was die Ordensniederlassungen betrifft, so kann, meine Herren, Niemand in höherem Maße als ich anerkennen, was auf dem Gebiet der Krankenpflege von den Ordensschwestern und auch von denjenigen Damen, die sich in der evangelischen Kirche diesem Gebiet gewidmet haben, geleistet wird. Ich erkenne den Werth des persönlichen Opfers, daß hier gebracht wird, in dem allerhöchsten Maße an, und, wo dieses Opfer der leidenden Menschheit zu Nutz gebracht werden kann, darin mitzuwirken, wird mir stets eine Freude und eine Ehre sein. (Bravo! im Centrum.)

Ich weiß auch nicht, daß aus politischen und konfessionellen Gründen den katholischen Ordensniederlassungen dieser Art entgegen⸗ gewirkt ist; ich wenigstens werde es nicht thun. (Bravo! im Centrum.)

Wenn der Hr. Abg. von Heereman sich darüber beschwert, daß bisher die Genehmigungen so langsam erfolgt sind, so ist das, glaube ich, naturgemäß. Willkürlich kann nach Maßgabe der bestehenden Gesetze nicht sofort von dem Minister resp. von den beiden Ministern, die dabei mitzuwirken haben, die Genehmigung ertheilt werden, sondern sie kann nur ertheilt werden auf Grund einer eingehenden und sach⸗ lichen Prüfung und auf Grund der Anhörung aller dabei bethei⸗ ligten Instanzen. Daß darüber Zeit verloren geht, daß namentlich dann, wenn es sich um Niederlassungen handelt, die gleichzeitig an Kindern thätig sind, welche in die Schule gehen, darüber auch die Schulbehörden gehört werden müssen, das ist klar. Ich will ver⸗ suchen, diese Dinge schneller zur Entscheidung zu bringen; aber immerhin so schnell, daß Letztere Zug um Zug erfolgt, halte ich für unmöglich.

Der Interpretation, die Hr. von Heereman dem Begriff der Ordensniederlassungen nach dem Gesetz gegeben hat, kann ich nicht beitreten. Ordensniederlassung ist nach dem Gesetz unzweifelhaft jede Niederlassung von Ordensschwestern, welche, wie auch in den von ihm erwähnten Fällen, sich zur Erreichung ihrer statutenmäßigen Zwecke an einem Orte niederlassen. Wo das geschieht, muß die Genehmigung in den Formen ertheilt werden, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Ob die Krankenanstalt, in welcher sich die Schwestern nieder⸗ lassen, einem gehört oder der Ordensgemeinschaft, ist meines Erachtens unerheblich. Wollte man so interpretiren, wie Hr. von Heereman es gethan hat, so würde auf diesem Wege schließlich die Genehmigung der Niederlassung überhaupt wegfallen; wenigstens könnte eine ausgedehnte und völlig unkontrolirte Er⸗ weiterung der Niederlassungen stattfinden. Nach dem jetzigen Stande der Gesetzgebung ist dies meiner Ansicht nach nicht zulässig.

Wenn Hr. Abg. Freiherr von Zedlitz in bestimmter Form die Erwartung ausgesprochen hat, daß ich für meine Person alles daran⸗ setzen würde, um schon in der nächsten Session ein neues Volksschul⸗ gesetz vorzulegen, so hat er meine Worte kommentirt, wie ich sie ge⸗ meint habe; und wenn er daran den Wunsch geknüpft hat, daß ich die Ergebnisse der ersten Berathung, sowohl derjenigen, die hier in dem hohen Hause erfolgt ist, wie der sehr eingehenden Berathungen in der Unterrichtskommission, bei der Vorlegung des neuen Entwurfs berücksichtigen werde, so trifft er auch damit das, was ich beabsichtige. Das schließt selbstverständlich

nicht aus, daß ich in dem einen oder dem andern, und zwar auch in sehr wichtigen Punkten, von den bis jetzt erzielten Ergebnissen mich abweichend verhalte. Ich konstatire das ausdrücklich, um nicht Miß⸗ verständnisse hervorzurufen; aber ich erkenne die jetzigen Ergebnisse als eine sehr weitgehende und brauchbare Basis an.

Ih komme nun zu den beiden letzten Herren Vorrednern und bitte, mir zu gestatten, in dieser Beziehung mich zunächst generell zu

der von den beiden Herren berührten Frage der Organisaͤtion des

Unterrichts⸗Ministeriums äußern zu dürfen. Meine Herren, das ist ganz zweifellos, daß ein einzelner Unterrichts⸗Minister technisch vielleicht das Bessere wäre. Aber daß eine Trennung des Unterrichts⸗Ministe⸗ steriums von dem des Kultus wünschenswerth wäre, das muß ich von meinem Standpunkt aus entschieden bestreiten. (Sehr richtig! rechts.) Ich leugne gar nicht, daß diese Auffassung für mich so prinzi⸗ pieller Natur ist, daß ich einen derartigen Weg überhaupt nicht mitgehen würde. (Hört! hört!) Meine Herren, der Unterrichts⸗ Minister kann, wenn er nicht lediglich seine Zeit darin suchen sollte, das Maß des Wissens zu fördern, sondern wenn er seine Aufgabe wesentlich auch in der Förderung der erziehlichen Thätigkeit der ver⸗