3 Die gesetzgebende Versammlung von Neufund⸗ land berieth, wie „R. B.“ aus St. Johns berichtet, am 6. d. M. über den dringenden Rath der zur Zeit in England weilenden Delegirten, ungesäumt gesetzliche Maßregeln zur Durchführung des modus vivendi, des schiedsgerichtlichen Ur⸗ heils und der mit Frankreich bestehenden Verträge zu treffen. Das Haus beschloß, die Delegirten um fernere Information zu ersuchen, um die nöthigen Beschlüsse fassen zu können.
Frankreich.
Paris, 9. Mai. In der gestrigen Sitzung der Depu⸗ tirtenkammer fand die Berathung der von mehreren Ab⸗ geordneten eingebrachten Amnestieanträge zu Gunsten
er wegen der Vorgänge am 1. Mai Verurtheilten statt.
Die von der Regierung verlangte Dringlichkeit und sofortige
Berathung der Anträge wurde, wie „W. T. B.“ be⸗ ichtet, mit 529 gegen 6 Stimmen angenommen. Der Justiz⸗Minister Fallieères erklärte hierauf, die Regierung
lehne jede Amnestie ab. Gewisse Agitatoren, welche on der Rebellion lebten, müsse man zur Rechenschaft ziehen
und bestrafen; die Regierung werde jedoch Diejenigen be⸗ gnadigen, welche sich nur hätten verleiten lassen. Im weiteren Verlauf der Sitzung theilte der Minister des Innern Con⸗ stans mit, daß der Unter⸗Präfekt von Avesnes seines
Postens enthoben worden sei. Ueber die Vorgänge in Four⸗ mies sei eine strenge Untersuchung angeordnet worden. Tony Revillon verlangte, daß diese Untersuchung sich auch auf die Armee erstrecke. Der Kriegs⸗Minister de Freyecinet
protestirte gegen diese Forderung. Die Armee dürfe auf einen Fall in diese Debatte gezogen werden. Nachdem Clémenceau vom Minister⸗Prasidenten de Frey⸗
einet die Amnestie der wegen der Vorgänge am 1. Mai
Verurtheilten gefordert hatte, lehnte auch dieser dieselbe ab.
Schließlich beschloß die Kammer mit 318 gegen 199 Stimmen,
nicht in die Berathung der einzelnen Artikel der Amnestie⸗
anträge einzutreten. 1“
1 Die Pariser Handelskammer beschloß der „Nat.
Ztg.“ zufolge einen Protest gegen die Absicht des großen
Zollausschusses, die Zölle für Wolle aus Australien nd vom Kap zu erhöhen. ““ —
„Ueberzeugt“, so heißt es in dem Schriftstücke, „daß die Er⸗
öhung der Gebühr für zeitweilige Zulassung der Rohwolle, die anders oher als aus den Ursprungsländern kommt, der Schiffahrt ebenso sehr schaden würde wie der Wollindustrie, protestirt die Handels⸗ kammer gegen jede Erhöhung und verlangt, daß die Rohwolle von deuem ohne eine erhöhte Lagerungsgebühr eingeführt werden könne.“ Andererseits 1 die Kaufleute und Fabrikanten es durch seinen Großhandel bekannten Sentier⸗Viertels nter dem Vorsitz des Abg. Mesureur eine Versammlung, in der beschlossen wurde, Schritte zur Verhinderung er Annahme eines Zollsystems zu thun, „welches n Verfall Frankreichs, die Isolirung des Landes ach sich ziehen, die französische Industrie ruiniren, Tausende von Arbeitern um ihren Erwerb bringen und die Ernährung der Arbeiter wie aller von der
Arbeit Lebenden unmöglich machen würde.“ Es müßten wieder
Handelsverträge mit den fremden Mächten geschlossen werden, darüber war die Versammlung einig; sie möchten von kurzer Dauer sein, wenn die Partei der Schutzzöllner es nicht anders de, üngs vogelfrei könne und dürfe der französische Handel nicht sein.
Pg Nach einer Mittheilung des „Journal des Débats“ soll ine neue französische Expedition, deren Ausrüstung isher geheim gehalten worden ist, in Loango ausgeschifft ein, um die Expedition Crampel zu unterstützen und den eutschen Unternehmungen zuvorzukommen.
Rußland und Polen.
Der Fürst von Montenegro ist, laut Meldung des W. T. B.“ aus St. Petersburg, gestern wieder ins Aus⸗ and abgereist. Vorher hatte der Fürst den Vorsitzenden des Slavischen Wohlthätigkeitsvereins, Grafen Ignatiew, in längerer Audienz sowie Abordnungen der in St. Petersburg weilenden Bulgaren, Serben und Montenegriner empfangen. — Prinz Albert zu Sachsen⸗Altenburg ist gestern ebenfalls wieder abgereist, und der General⸗Gouverneur von Warschau, General Gurko auf seinen Posten zurückgekehrt. Das Projekt einer Regulirung der Naphtha⸗In⸗ dustrie wird, wie die russische „St. Pet. Ztg.“ schreibt, zur Zeit im Reichsrath berathen. Nach diesem Projekt soll die Ex⸗ ploitation von Naphtha⸗Quellen durch Juden und Ausländer ganz verboten werden. Die Pachtung derselben Seitens Juden, Ausländer, ausländischer Compagnien und russischer Aktiengesellschaften, die das Recht haben, Aktien auf den Inhaber lautend zu emittiren, soll nicht anders zugelassen werden, als mit jedesmaliger besonderer Erlaubniß des Domänen⸗Ministers, der hierüber mit dem Chef der Landes⸗ verwaltung des Kaukasus in Beziehung tritt. In Sebastopol hat am 5. Mai die Kiellegung des Panzerschiffs „Georg Pobjedonossez“ stattgefunden. Dieses neue Schiff soll sich im Typus den Panzern „Tschessma“ und ‚Sinope“ nähern.
Italien.
8 In der gestern ausgegebenen Nummer der „Gazzetta ufficiale“ ist das Gesetz veröffentlicht, durch welches der Beitritt Italiens zu dem Handelsvertrage zwischen Deutschland und Marokko in Wirksamkeit gesetzt wird. In der Deputirtenkammer brachte Cavalotti gestern einen gegen den Justiz⸗Minister gerichteten An⸗ trag ein wegen der Versetzung einiger venetianischer Richter aus politischen Gründen. Der Minister⸗Präsident Marchese di Rudini beantragte, die Berathung auf zwei Monate zu vertagen. Bei der Abstimmung stellte sich die Beschlußunfähigkeit des Hauses heraus; es stimmten 122 Deputirte für, 58 gegen den Antrag Rudini's. mung soll heute wiederholt werden. “
Niederlande. 11““
Die Zweite Kammer hat in ihrer gestrigen Sitzung nunmehr die Generaldebatte über den Gesetzentwurf, herrestin die Regelung der EEE111““ beendet. Die von Domela Nieuwenhuis eingebrachte Resolution, welche sich gegen das Gesetz ausspricht, wegen der durch das⸗ selbe bedingten Vermehrung des Kontingents und der ver⸗ mehrten militärischen Ausgaben, wurde mit 71 gegen 5 Stim⸗ men abgelehnt, ebenso mit 51 gegen 24 Stimmen eine Reso⸗ lution E11— in der erklärt wird, die finanziellen und persönlichen Lasten würden zu schwer für die Nation sein. Dagegen wurde eine von Rutgers Urrde
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lichen Dienst, wie solcher in dem Gesetzentwurf vorgesehen ist, ausspricht, mit 49 gegen 27 Stimmen angenommen. Der Abg. van Houten beabsichtigt, am nächsten Dienstag die Ver⸗ tagung der Berathung der einzelnen Artikel der Vorlage bis auf Weiteres zu beantragen.
Serbien. Belgrad, 8. Mai. Der Minister⸗Präsident Pasic richtete einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge heute im Namen der Regierung ein Schreiben an die Königin Natalie, in welchem der Beschluß der Skupschtina, die Königin aufzufordern, das Land zu verlassen, mitgetheilt wird. Gleichzeitig wird die Königin ersucht, ihre Absicht zur Kenntniß der Regierung zu bringen. Das amtliche Blatt veröffentlicht eine Verordnung des Kriegs⸗Ministers, durch welche der Beginn der Waffenübungen der Infanterie des ersten Aufgebots auf Mitte Juni, derjenigen des zweiten Aufgebots auf Mitte Juli festgesetzt wird. Sämmtliche subalternen Offiziere sind zur Dienstleistung in den stehenden Cadres zum 13. d. einberufen.
Schweden und Norwegen. (F) Stockholm, 6. Mai. Die Kronprinzessin ist von Sorrento nach Capri übergesiedelt. Auf ersterem Platze herrschte regnerisches und feuchtes Wetter, während dagegen Capri durch seine freie sonnige Lage zur Zeit einen geeigneteren Aufenthaltsort bietet. Nachdem beide Kammern, wie gemeldet, über das Wehrpflichtgesetz sowie über die Vorlage, betreffend die Abschreibung der Grundsteuern und die Ermäßigung der Rüstungs⸗ und Rottirungslasten, verschieden lautende Be⸗ schlüsse gefaßt haben, sind diese für die gegenwärtige Tagung abgelehnt. Auch die Vorschläge zur Abänderung des Zoll⸗ tarifs, welche von der unterm 18. Juni 1888 niedergesetzten Königlichen Zollkommission beantragt worden sind, kommen in dieser Session des Reichstages nicht mehr zur Verhandlung, da der König befohlen hat, daß die Vorschläge zuvor dem Kommerzkollegium und der General⸗Zollverwaltung zur ge⸗ meinschaftlichen Begutachtung vorgelegt und auch dem interessir⸗ ten Publikum Gelegenheit gegeben werden soll, Wünsche oder Beschwerden in dieser Sache äußern zu können. Beide Kammern haben gestern den Antrag der Regie⸗ rung angenommen, die Domänenverwaltung zu bevoll⸗ mächtigen, daß sie unter gewissen Bedingungen in den Kron⸗ forsten in Norrland armen Kolonisten zur Ansiedelung geeignete Landstrecken kostenfrei anweisen und bemittelteren Leuten Landstücke unter billigen Zahlungsbedingungen überlassen kann. — Die Einführung der freiwilligen Civilehe für die Angehörigen der schwedischen Staatskirche wurde von der Zweiten Kammer mit 104 gegen 74 Stimmen beschlossen, während die Erste Kammer diesen Vorschlag nach kurzer Ver⸗ handlung ablehnte. Die Erste Kammer hat heute auch alle An⸗ träge auf Erweiterung des Stimmrechts abgelehnt und auf den Antrag des Konstitutionsausschusses nur eine kleine Aenderung des Wahlgesetzes zu Gunsten landwirthschaftlicher Pächter be⸗ schlossen. — Der von der Zweiten Kammer angenommene Antrag des Abg. Berg, betreffend die Trennung des Bier⸗ handels von jedem anderen Handel auf dem platten Lande, wurde von der Ersten Kammer nach lebhaften Verhandlungen mit 64 gegen 47 Stimmen abgelehnt. .
Die erste Abtheilung des Staats ausschusses verhan⸗ delte gestern über den von Hrin. Alin in der Ersten Kammer eingebrachten Antrag: Behufs Ergreifung von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Neu⸗ tralität des Reichs, im Falle eines Krieges in dessen Nähe, dem Könige 6 500 000 Kronen zur Verfügung zu stellen. Die Abtheilung konnte sich nicht einigen, sondern stellte zwei verschiedene Anträge, von denen der eine die Bewilligung von 2 500 000 Kronen zu dem an⸗ gegebenen Zweck, der andere dagegen jede Bewilligung abzu⸗ lehnen vorschlägt.
(P) Christiania, 4. Mai. Die Zolleinnahmen haben in den ersten zehn Monaten des laufenden Finanz⸗ jahres 21 401 479 Kronen gegen 21 808 713 Kronen in der gleichen Zeit des vorigen Finanzjahres betragen. 18n
Amerika. “
Vereinigte Staaten. Der Bericht der Großjury in New⸗Orleans (vergl. die gestr. Nr. d. Bl.) wird von der Presse der Vereinigten Staaten scharf kritisirt. Die Blätter betonen, er zeige das Bestehen der Mafia, beweise aber zugleich, daß die Justizpflege in New Orleans völlig von den Verbrechern und ihren Helfershelfern geleitet werde. Dieser letztere Umstand mache den denkenden Amerikanern viel zu schaffen. Rechtfertige die Großjury von New⸗Orleans den Fall der Lynchjustiz, weil die gewöhnlichen Organe der Rechtspflege den Dienst versagten, so müsse man sich die Frage vorlegen, ob nicht auch bald andere Städte das im üden gegebene Beispiel befolgen würden. — Der italie⸗ nische Konsul in New⸗Orleans Corte äußerte sich dem „R. B.“ zufolge im Laufe einer Unterredung mit einem Vertreter der Presse in folgender Weise über den Bericht der Großjury: „Ich habe der Jury alle mir zu Gebote stehenden Dokumente, Papiere und In⸗ formationen über die Personalien der an der Ermordung Hrn. Hennessey's betheiligten Männer zur Verfügung gestellt, finde jedoch, daß die Jury meine Mittheilungen entstellt und von Vielem nur unvollkommenen Gebrauch gemacht hat. Ich werde nicht ermangeln, der italienischen Regierung ein Exemplar des Juryberichts und gleichzeitig eine Darstellung der Rolle, welche ich bei der Untersuchung gespielt habe, zu übersenden.“
Wie aus San Diego dem „W. T. B.“ weiter ge⸗ meldet wird, kehrte der Marschall der Vereinigten Staaten, welcher die Beschlagnahme des Dampfers „Itala“ verfügt hatte, dorthin zurück, nachdem er von dem Dampfer acht Meilen von San Diego gelandet worden war. Der Marschall be⸗ richtet, er sei von dem Kapitän des Schiffes zu einer Unterredung in dessen Kabine eingeladen worden. Derselbe habe ihm erklärt, er führe Contrebande an Bord und das Leben des Marschalls sei in seiner Hand. Sobald er die Kabine in Abwesenheit des Kapitäns verlassen würde, habe er sich die Folgen selbst zuzuschreiben. Die Thüre der Kabine war von bewaffneter Mannschaft be⸗ setzt, vier geladene Kanonen waren so aufgestellt, daß Niemand das Schiff verlassen konnte. Der Marschall theilte mit, er habe einige Hundert bewaffnete chilenische Soldaten an Bord gesehen. Depeschen aus San Francisco melden, das
Costarica. Neuere in New⸗York am 8. Mai ein⸗ etroffene Nachrichten aus Costarica besagen, in der Haupt⸗ tadt herrsche wieder Ruhe. 8
Afrika.
Aus Capetown von gestern wird dem „R. B.“ berichte: Der Gouverneur des Kaplandes habe die Oberhoheit der Königin über das Bastardland und die Annektirung dieses Gebiets an das Betschuanaland proklamirt. Das annektirte Gebiet erstreckt sich vom Orange⸗ fluß bis zu dem Nosobfluß und vom Betschuanaland im Osten bis zum Damaraland.
Von der Westküste Afrikas wird nach London ge⸗ meldet daß die englischen Kriegsschiffe „Swallow“, „Alecto“ und „Widgeon“ bei Kinsola im Gambia vor Anker liegen und alle entbehrlichen Mannschaften zum Schutz der Mitglieder der englisch⸗französischen Grenzkommis⸗ sion gelandet haben, welche an der Fortsetzung ihrer Arbeiten durch den Häuptling Today Cabba verhindert worden ist. Da die Kommission das Gebiet des Häuptlings auf ihrem Wege nach Sanding zu passiren habe, so seien Kämpfe un⸗ vermeidlich.
In der heutigen (119.) Sitzung des Reichstages, welcher die Staatssekretäre Dr von Boetticher, Freiherr von Maltzahn und Freiherr von Marschall, sowie der Kriegs⸗ Minister von Kaltenborn⸗Stachau beiwohnten, stand auf der Tagesordnung zunächst der mündliche Bericht der Kom⸗ mission für die Geschäftsordnung, die strafrechtliche Ver⸗ folgung des Abg. Kunert betreffend, Berichterstatter war der Abg. Traeger, welcher Namens der Kommission bean⸗ tragte die Genehmigung zur strafrechtlichen Verfolgung nicht zu ertheilen. —
Das Haus schloß sich diesem Antrage an.
Es folgte die dritte Berathung des Entwurfs eines Ge⸗ setzes, betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum Reichshaushalts⸗Etat für das Etatsjahr 1891/92, in Verbindung mit der dritten Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Aufnahme einer Anleihe für Zwecke der Verwaltungen des Reichsheeres und der Post und Telegraphen, auf Grund der in zweiter Be⸗ rathung unverändert angenommenen Kommissionsbeschlüsse. Eine Diskussion knüpfte sich zunächst an die Forderung für Kamerun.
Dem Abg. Dr. Bamberger gegenüber konstatirte Abg. Graf von Ballestrem, daß die Centrumsfraktion beschlossen abe, aus kolonialen Gründen und mit Rücksicht auf die hätigkeit der Missionen für die Forderung zu stimmen. Die Position wurde bewilligt. 8
Bei der Forderung für das Reichs⸗Versicherungs⸗ amt behauptete Abg. Rösicke, die Regierung stände der Entwickelung des Reichs⸗Versicherungsamts feindlich gegen⸗ über. Der Reichstag und die Presse wünschten eine Gleich⸗ stellung des Reichs⸗Versicherungsamts mit dem Reichsamt des Innern. Des Weiteren behauptete er, daß die Regierung den Berufsgenossenschaften nicht dasjenige Wohlwollen bewiese, welches sie verdienten.
Abg. Richter bestritt, daß der ganze Reichstag und die ganze Presse eine Coordinirung des Reichs⸗Versicherungsamts mit dem Reichsamt des Innern wolle. Richtig sei nur, daß der Abg. Bödicker eine Gleichstellung wie der Staatssekretär Dr. von Boetticher wünsche.
Staatssekretär Dr. von Boetticher erklärte, daß ihm amtlich und außeramtlich von einer Mißstimmung der Berufsgenossenschaften nichts bekannt geworden sei. Von einer Bean berehs der Politik der verbündeten Regierungen gegenüber den Berufsgenossenschaften sei keine Rede. Die verbündeten Regierungen beabsichtigten nicht, an der bewährten Organisation der Berufsgenossenschaften irgend etwas zu ändern. Was das Reichs⸗Versicherungsamt betreffe, so werde die Regierung einer etwa nothwendig werdenden Vergrößerung desselben nicht widersprechen. “
Abg. Gamp bestritt die Nothwendigkeit einer Aenderung der Organisation des Reichs⸗Versicherungsamts.
Nach einigen persönlichen Bemerkungen der Abgg. Rö⸗ sicke, Schmidt⸗Elberfeld und Hitze wurde die Forderung für das Reichs⸗Versicherungsamt bewilligt.
Bei dem außerordentlichen Etat des Reichsamts des Innern Kapitel 10 Titel 1: Reichstagsgebäude beantragte Abg. Goldschmidt:
anstatt 1 200 000 ℳ 2 000 000 ℳ zu bewilligen und dem Terxt des Titels vor den Worten ‚zehnte Rate“ hinzuzufügen: „sowie zur Ausschmückung der großen Halle“. 1
Der Abg. Prinz zu Carolath⸗Schönaich beantragte eine Resolution wegen Verwendung echten Materials.
Staatssekretär Dr. von Boetticher bat, beide Anträge abzulehnen. Im Königlichen Schloß sei auch Stuck verwendet worden. Es komme nicht so sehr darauf an, daß im Reichstag echtes Material verwendet werde, sondern daß darin gute Gesetze gemacht würden. 1”“
Abg. Prinz zu Carolath⸗Schönaich betonte, daß in Sachverständigenkreisen lebhaft bedauert werde, daß Schlüter bei dem Bau des Schlosses aus Mangel an Mitteln zu un⸗ echtem Material habe greifen müssen. Außerdem seien die Sachverständigen der Meinung, daß unechtes Material auf die Dauer kostspieliger sei als echtes, weil es viel Reparaturen erfordere.
Die Abgg. Richter und Graf von Ballestrem hielten an dem Beschluß der Kommission fest. Man könne nicht kurz vor Schluß des Reichstages so weit gehende Anträge wie die des Abg. Goldschmidt und des Prinzen Carolath annehmen.
Der Abg. Goldschmidt zog nunmehr seinen Antrag zu Gunsten der Resolution Carolath zurück.
Abg. Freiherr von Unruhe⸗Bomst sprach für diese Resolutivn.
Präsident von Levetzowerklärte, daß er, falls die Resolution Carolath angenommen würde, den Vorsitz in der Reichstags⸗ Baukommission niederlegen werde. Er erblicke in der Reso⸗ lution eine Mißbilligung seiner Geschäftsführung.
Abg. Prinz zu Carolath bestritt, daß in seiner Resolution ein Mißtrauensvotum gegen den Präsidenten liege. Es habe ihm fern gelegen, ein solches Miß⸗ trauen gegen ihn aussprechen zu wollen. Um aber auch den Schein eines solchen Mißtrauens zu vermeiden, ziehe er seine Resolution zurück.
beantragte Resolution, welche sich im Prinzip für den persön⸗
Kriegsschiff „Charleston“ werde den „Itala“ verfolgen.
Abg. Goldschmidt nahm diese Resolution wieder auf.
Die Abgg. von Kardorff und Dr. von Bennigsen sprachen noch gegen diese Resolution, während der Abg. Eberty ie unterstützte.
Die Resolution wurde abgelehnt und die Etatsposition genehmigt.
Der Rest des Etats wird ohne Debatte erledigt.
Darauf erledigte das Haus in dritter Lesung ohne De⸗ batte die Rechnungen der Kasse der Ober⸗Rechnungs⸗ kammer für das Etatsjahr 1887/88, resp. für das Etatsjahr 1888/89, bezüglich derjenigen Theile, welche sich auf die Reichsverwaltung beziehen, die Uebersicht der Reichs⸗ Ausgaben und⸗Einnahmen für das Etatsjahr 1889/90; den Bericht der Reichsschulden⸗Kommission: I. über die Verwaltung des Schuldenwesens des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reichs; II. über ihre Thätigkeit in Ansehung der ihr übertragenen Aufsicht über die Verwaltung: a. des Reichs⸗Invaliden⸗ fonds, b. des Festungsbaufonds und c. des Fonds zur Ercrichtung des Reichstagsgebäudes; III. über den Reichs⸗Kriegsschatz und IV. über die An⸗ und Ausferti⸗ gung, Einziehung und Vernichtung der von der Reichsbank auszugebenden Banknoten; den von den Abgg. Graf Adelmann von Adelmannsfelden und Genossen eingebrachten Gesetzentwurf, betreffend die Abänderung des §. 157 des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes; den am 4. d. M. zwischen dem Reich und Italien abgeschlossenen Vertrag, betreffend die Befugniß der beiderseitigen Konsuln zur Vor⸗ nahme von Eheschließungen, und die zu Brüssel am 2. Juli v. J. unterzeichnete Generalakte der Zrusseler Antisklaverei⸗Konferenz.
In namentlicher Abstimmung erfolgte darauf die An⸗ nahme der Zuckersteuer mit 159 gegen 126 Stimmen.
Letzter Gegenstand der Tagesordnung ist die dritte Be⸗ rathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Aenderung des Gesetzes über die Besteuerung des Branntweins.
In der Generaldiskussion sprach sich Abg. Wurm gegen die Vorlage aus.
Für die Spezialberathung lagen folgende den Haustrunk betge ö“ 5
) vom Abg. Dr. Hartmann: die Verbrauchsabgabe fü das Liter reinen Alkohols auf 0,25 ℳ Fösterbrauch “ 2) Vom Abg. Dr. Witte: den Privatlägern für inlän⸗ dischen steuerpflichtigen Branntwein die Kosten der steuerlichen Kontrole zu erlassen;
3) vom Abg. Wurm: den Haustrunk in einer Jahres⸗ menge von nicht mehr als zehn Litern reinen Alkohols von der Verbrauchsabgabe frei zu lassen, und ein Antrag vom 23.. 5
Staatssekretär Freiherr von Maltzahn erklärte si gegen den Antrag des Abg. Dr. Witte 1s en den Nntsich des Abg. Dr. Hartmann; würde in Bezug auf den im letzten Antrage berührten Punkt der Beschluß zweiter Lesung aufrechterhalten, so würde die Vorlage scheitern.
8 Abg. Graf Ballestrem erklärte, daß das Centrum im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes gegen den Be⸗
schluß zweiter Lesung stimmen würde.
Abg. Holtz erklärte sich ebenfalls gegen den Beschluß zweiter Lesung und wandte sich gegen die Behauptung von der „Liebesgabe“ für die Branntweimnbrenner,
Nachdem die Abgg. Dr. Hartmann und Wisser ihre Anträge empfohlen hatten, erklärte Abg. Lender, daß er mit seinen badischen Freunden den Beschluß der zweiten Lesung aufrechterhalten werde. (Schluß des Blattes.)
— In der heutigen (85.) Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten, welcher der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegen⸗ heiten Graf von Zedlitz⸗Trützschler beiwohnte, stand auf der Tagesordnung die Fortsetzung der zweiten Berathung des Entwurfs des Staatshaushalts⸗Etats für 1891/92. Die Berathung wurde im Etat des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗Angelegen⸗ heiten fortgesetzt.
Bei Kap. 121 der dauernden Ausgaben „Elementar⸗ Unterrichtswesen“ wünschte Abg. Burghart (Lauban), dem Mißstand des langsamen Aufrückens der Schulräthe durch möglichste Beseitigung der Hülfsarbeiterstellen abzuhelfen.
Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Germar sagte eine wohl⸗ wollende Erwägung dieses Wunsches zu.
Abg. Graf von Kanitz wünschte eine größere Bereit⸗ willigkeit bei der Gewährung der Hüterlaubniß für schul⸗ pflichtige Kinder, um dem Mangel an ländlichen Arbeitern abzuhelfen.
Abg. Sack verlangte eine bessere Remuneration der Kreis⸗Schulinspektoren im Nebenamt.
Ministerial⸗Direktor Kügler erklärte, daß die Regierung weitere Mittel dafür fordern werde, wenn die bereits im Etat stehenden nicht ausreichen sollten.
Das Kapitel wurde bewilligt.
Beim Kapitel „Kunst und Wissenschaft“ regte Abg. Cremer die Errichtung einer Fachklasse für Schriftzeichen am Kunstgewerbe⸗Museum an.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Schöne erklärte, daß es der Regierung zu großer Freude gereichen würde, eine solche Fachklasse möglichst bald errichten zu können.
Abg. Dr. Arendt wünschte gesetzliche Bestimmungen wegen der Lieferung eines Pflichtexemplars aller Druckschriften an die Königliche Bibliothek zu Berlin sowie eine Entschädi⸗ gung der Verleger für die Hfätete nüslagr⸗
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Wehrenpfennig wies darauf hin, daß man in vwissenschaftlichen Kreisen die Bei⸗ behaltung des gegenwärtigen Zustandes wünsche.
Bei dem Dispositionsfonds zur Beihülfe für Kunst⸗ und wissenschaftliche Zwecke lenkte Abg. Kasch die Aufmerksamkeit auf die zoologische Station in Plön.
Bei dem Kapitel „Medizinalwesen“ besprach Abg. Olzem die Polizeiverordnungen wegen der Bestrafung der Ankündigung von Geheimmitteln, und führte eine Reihe von Beispielen der Bestrafung von Zeitungen auf Grund dieser Verordnungen an, welche er als geradezu lächerlich bezeichnete. Die ganze EE“ sei z. B. dadurch lahm⸗ gelegt, wenn sie nicht ihr Geheimniß in den Zeitungen der Oeffentlichkeit preisgeben wolle. Redner wünschte eine reichs⸗ gesetzliche Regelung dieser Frage.
Geheimer Ober⸗Medizinal⸗Rath Skrzeczka betonte die Nothwendigkeit, dem Geheimmittelunwesen zu steuern. Ueber die Frage des Verkehrs mit Giften und Arzneistoffen schwebten Verhandlungen, welche demnächst zu einem erwünschten Ab⸗ schluß kommen würden.
„Abg. Dr. Graf (Elberfeld) brachte verschiedene Wünsche des ärztlichen Standes auf dem Gebiete des öffentlichen Medizi
wesens bezüglich der Medizinalgesetzgebung, der Apotheker⸗ frage, der Gewerbehygiene, der Aerztekammern und der Stel⸗ lung der Medizinalbeamten zur Sprache.
Abg. von Pilgrim wünschte eine Besserstellung der Medizinalbeamten.
er Minister der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗
Angelegenheiten Graf von Zedlitz⸗Trützschler betonte die hohe Bedeutung der öffentlichen Gesundheitspflege. Einer Besserstellung der Medizinalbeamten stehe er sympathisch gegen⸗ über, dieselbe verlange aber finanzielle Opfer.
Abg. von Hergenhahn trat gleichfalls für eine Rege⸗ lung der Geheimmittelfrage ein.
Beim Titel 7 befürwortete der Referent Abg. Dr. Mitt⸗ hof folgenden Antrag der Budgetkommission:
Kap. 125 Tit. 7, wie folgt, zu fassen:
“ für das Charité⸗Krankenhaus in Berlin 201 833 ℳ
und hier in dem Vermerk den 2. Absatz zu streichen, hinter Tit. 7 einen neuen Titel einzuschalten: „7a. Zuschuß für das Institut für Infektionskrankh Berlin 165 000 ℳ“, 11 darunter künftig wegfallend 8000 ℳ, mit folgendem Vermerk: „Bei dem Institut für Infektionskrankheiten können die am Jahresschlus verbleibenden Bestände der zu sächlichen Aus⸗ Lahen bestimmten Fonds zur Verwendung in die folgenden 1 ahre übertragen werden.“ folgender Resolution die Zustimmung zu ertheilen: Die Königliche Staatsregierung aufzufordern, die Kosten für das Institut für Infektions⸗Krankheiten im nächsten Jahre spezialisirt in den Text des Etats aufzunehmen nach Maßgabe dder Beschlüsse zu dem Etat auf Seite 210. Abg. Goldschmidt sprach seine Freude über die Er⸗ neh. eines besonderen Instituts für Infektionskrankheiten aus. Abg. Graf (Elberfeld) sprach bei Schluß des Blattes über das Koch'sche Heilmittel, dessen spezifische Wirksamkeit “ Erscheinungen und dessen diagnostischen Werth er betonte.
2
— Im 2. Marienwerder'schen Wahlkreise (Rosen⸗ berg⸗Graudenz) ist an Stelle des in das Herrenhaus berufenen Generallandschafts⸗Direktors von Koerber der Landrath Conrad in Graudenz (freikonservativ) mit 227 von 362 ab⸗ gegebenen Stimmen zum Mitglied des Hauses der Ab⸗ geordneten gewählt worden. Mühlenbesitzer Schnackenburg (freisinnig) erhielt 126, von Rybinski (Pole) 9 Stimmen.
— Die Budgetkommission des Hauses der Abgeord⸗ neten schlägt zu §. 1 Ia Nr. 7 des Gesetzentwurfs, betreffend die Erweiterung, Vervollständigung und bessere Ausrüstung des Staats⸗ eisenbahnnetzes — Linie Kassel — Volkmarsen —, vor:
1) Die in dem Entwurfe eines Gesetzes, betreffend die Er⸗ weiterung, Vervollständigung und bessere Ausrüstung des Staats⸗ eisenbahnnetzes, zur Herstellung einer Eisenbahn untergeordneter Be⸗ deutung von Kassel oder einem in der Nähe belegenen Punkte der Linie Kassel — Warburg nach Volkmarsen geforderte Summe von 5 920 000 ℳ zu bewilligen.
2) Die Königliche Staatsregierung um eingehende Prüfung der Frage einer thunlichst direkten Vollbahnverbindung zwischen Kassel und Köln zu ersuchen.
— Die Kommission des Hauses der Abgeordneten zur Vorberathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Förderung der Errichtung von Rentengütern, lehnte in ihrer gestrigen Sitzung §. 4, welcher von der Ablösbarkeit der Rente handelt, ab, nahm aber die §§. 5 und 6 unverändert an.
Verkehrs⸗Anstalten.
Den Suezkanal passirten, wie der „N. Pr. Z.“ mitgetheilt wird, im Jahre 1890 im Ganzen 3389 Schiffe gegen 3452 Schiffe im Jahre 1889. Wenn die Zahl der Fahrzeuge um ein Geringes zurückgegangen ist, so hat sich andererseits ihr Tonnengehalt nicht un⸗ erheblich gehoben, da die Durchschnittsgröße der passirenden Schiffe von Jahr zu Jahr zugenommen hat. Im abgelaufenen Jahre betrug der mittlere Raumgehalt rund 2000 Tors. Die Einnahmen beliefen sich 1890 auf 2 680 436 Pfd. Sterl. Seit Einführung der elektrischen Scheinwerfer haben sich die Nachtfahrten bedeutend geboben, sodaß sie im letzten Jahre 48 % des gesammten Verkehrs ausmachten. Die Durchschnittsdauer des Passirens bei elektrischer Beleuchtung beträgt durchschnittlich 23 Stunden, die bei ausschließlicher Anwendung von Tagfahrten durchschnittlich 36 Stunden.
Bremen, 8. Mai. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd. Der Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm II“ ist auf der Heimreise nach Bremen heute früh in Southampton angekommen. Der Schnelldampfer „Fulda“ hat auf der Fahrt nach New⸗ YVork gestern Nachmittag Southampton wieder verlassen. Der Schnelldampfer „Werra“ traf auf der Heimreise von New⸗York gestern Nachmittag in Southampton ein und setzte die Reise fort. Der Dampfer „Baltimore“’, welcher am 4. d. M. von Lissabon die Reise nach Brasilien fortsetzte, hat gestern Santa Cruz passirt. Der Postdampfer „Hannover“, welcher auf der Rückkehr von La Plata am 28. v. M. St. Vincent passirte, passirte heute Dover.
— 9. Mai. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd. Der Postdampfer „Ohio“ ist am 7 Mai von Bahia nach Europa in See gegangen. Der Postdampfer „München“, nach Balti⸗ more bestimmt, hat am 8. Mai Nachmittags Dover passirt. Der Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm II.“ hat am 8. Mai Morgens die Reise von Southampton nach Antwerpen fortgesetzt.
Hamburg, 8. Mai. (W. T. B.) Der Postdampfer „Gellert“ der Hamburg⸗Amerikanischen Packetfahrt⸗ Aktiengesellschaft ist, von Hamburg kommend, heute Morgen in New⸗York eingetroffen. Der Dampfer „Suevia“ von der⸗ selben Gesellschaft ist heute Nachmittag in Prawle Point ein⸗ getroffen. .
London, 8. Mai. (W. T. B) Der Union⸗Dampfer „Trojan“ ist heute auf der Ausreise in Capetown eingetroffen.
London, 8. Mai. Eine englische Gesellschaft hat der „A. C.“ zufolge eine neue Dampfschiffslinie zwischen Cork, Liver⸗ pool, Bristol, Milford und London gegründet Die neue Linie wird der City of Cork Dampf Packet⸗Gesellschaft, deren Einnahmen während der letzten Jahre außerordentlich groß gewesen sind, Kon⸗ kurrenz machen.
Fr † 882
Theater und Musik.
Köönigliches Opernhaus. „In der gestrigen Aufführung des „Troubadour“ lernten wir zwei neue Sangeskräfte kennen, Frl. Petersen als Azucena und Hrn. Fränkel als Graf Luna, welche, obwohl ihre künstlerische Durchbildung nicht als vollendet gelten kann, doch zu schönen Hoffnungen für die Zukunft berechtigen. Frl. Petersen ist eine angenehme Bühnenerscheinung — für die gestrige Rolle fast zu gewinnend —, welche mit schauspielerischem Geschick ihre natürliche Anmuth zur Geltung bringt. Die Stimme der Sängerin ist wohlgeschult, klang⸗ voll, weich und kräftig, besitzt auch in schönem Maße dramatische Ausdrucksfähigkeit für tiefes seelisches Empfinden. Für die Partie der Azucena erscheint das Organ in manchen
Momenten etwas zu hell, wie denn die ganze Stimmlage auf den
Mezzosopran verweist. Die Gesammtleistung des gestrigen Abends konnte als eine recht erfreuliche und als eine solche gelten, die den Wunsch, diese echt künstlerische Kraft auch in anderen Rollen beobachten zu können, erweckt. — Hr. Fränkel hat einen sehr kräftigen, nicht unschönen und geschmeidigen Bariton, scheint aber vorläufig noch der Meinung zu sein, es genüge, die Vollkraft seiner Stimme einzusetzen. um Beifall zu erzielen; das Gegentheil konnte er gestern leicht an dem Manrico des Hrn. Rothmühl beobachten, der gerade durch das Maßhalten seine schönsten Erfolge erzielt. Die Stimme des Hrn. Fränkel entbehrt auch gegenwärtig noch der Glätte und des Glanzes, die der Künstler gewiß bei sorgfältiger Fortbildung noch gewinnen kann, welche aber gerade einem so mächtigen Organ, wie es dieser Sänger besitzt, ganz unentbehrlich sind; was die schauspielerische Seite seiner gestrigen Leistung betrifft, so gelangen einige Momente ganz vor⸗ trefflich, während andere, in denen die Persönlichkeit als solche wirken sollte, nicht recht zur Geltung kamen. — Im Uebrigen war die Rollenbesetzung gegen früher unverändert und die ganze Vor⸗ stellung durchaus beifallswürdig; hervorheben möchten wir aber doch, daß Frl. Hiedler die „Leonore“ wieder in jeder Beziehung tadellos, eindrucksvoll und künstlerisch abgerundet zur Darstellung brachte. Deutsches Theater.
In Pailleron's graziösem Lustspisl „Die Welt, in der man sich langweilt“ eröffnete gestern Abend eine junge Künstlerin, Frl. M. Bär, ihr Gastspiel als Suzanne von Villiers mit recht freundlichem Erfolge. Das feine Stimmchen, die zierliche Erscheinung der jungen Dame entsprachen dem Bilde der noch an der Grenze der Kindheit stehenden Suzanne, wie sie Pailleron gezeichnet hat; dem gegenüber erschienen die naive Keckheit, der oft mehr das Kindische als das Kindliche streifende Uebermuth Suzanne's nicht ganz dem natürlichen Boden entsprossen; diese Seite der Darstellung erweckte den Eindruck des Erkünstelten; besser wieder gelangen der Darstellerin die zu dem kindischen Trotzkopf in seltsamem Widerspruch stehenden Ausbrüche eines tieferen Gefühls; das erwachende und im Weinen erstickte Weh, als man ihr ihre nicht ganz makellose Geburt vorwarf, ihr furchtsames Erschauern bei der Zusammenkunft im Gartenhause dem jungen Roger gegenüber, erschienen von echter Empfindung getragen. Im Ganzen machte also die junge Künstlerin einen erfreulichen Eindruck und wurde von den Zuschauern durch reichen Beifall ausgezeichnet, der sie wiederholt vor die Gardine rief.
Die glücklichste Wirkung erzielten in dem Lustspiel jedoch die beiden Liebespaare: das in lebensfroher Frische die Flitterwochen e Ehepaar Jeanne und Paul Raymond, durch Frl. Reisen⸗ hofer und Hrn. Kadelburg dargestellt, und das Liebespaar Miß Lucy und Bellac, welches sich vor lauter Gelehrsamkeit nicht zu⸗ sammenfinden kann, eine Partie, welche früher schon von Frl. Meyer zund Hrn. Nissen mit Geist und Humor gespielt wurde. Die komische Scene im Gartenhaus zwischen dem gelehrten Liebespaar und die köstliche Parodie dieser Scene durch Jeanne und Paul riefen lebhafte Ausbrüche der Heiterkeit und des Beifalls hervor, ein Beweis, daß die feine Charakterzeichnung und der geistvolle, graziöse Dialog des Stückes in ihrer Wirkung noch nichts an Frische und Glanz verloren haben.
Am Montag findet im Königlichen Opernhause di 200. Vorstellung der „Regimentstochter“ mit Fr. G Ernst statt. In der Dienstags⸗Vorstellung der Oper „Mignon“ setzt Frl. Petersen ihr Gastspiel in der Titelpartie fort; die übrigen Rollen sind durch Fr. Herzog, die Hrrn. Krauß, Schmidt, Oberhauser und Liban vertreten.
Nach längerer durch die Beurlaubung des Hrn. Vollmer ver⸗ ursachter Unterbrechung geht am Dienstag Shakespeare's Zauber⸗ komödie „Der Sturm“ mit der Musik von Wilhelm Taubert im Königlichen Schauspielhause von Neuem in Scene.
Der Spielplan der Königlichen Oper für die Zeit vom 9. bis 17. Mai lautet: Sonntag: „Der Prophet“. Montag: „Die Regimentstochter“. Tanz. Dienstag: „Mignon“. Mignon: Frl. Petersen als Gast. Mittwoch: „Die Hugenotten“. Donnerstag: „Die Zauberflöte“; Tamino: Hr. Sommer, als Gast. Freitag: „Carmen“. Sonnabend: „Oberon“. Sonntag: „Undine“.
Für das Königliche Schauspiel: Sonntag: „Die Geier⸗ Wally“. Montag: „Der neue Herr“. Dienstag: „Der Sturm“ Mittwoch: „Die Schauspieler des Kaisers“, „Kleine Mißverständnisse“. Donnerstag: „Ein Schritt vom Wege“. Freitag: „Das Käthchen 1.“ Sonnabend: „Der neue Herr“. Sonntag: „Don
arlos“.
Im Deutschen Theater bringt der Spielplan der neuen Woche wieder eine Aufführung beider Tbeile des „Faust“, und zwar am Freitag „Faust⸗ I. Theil und am Sonntag, dem ersten Pfingst⸗ feiertag, „Faust's Tod“. Morgen und Donnerstag wird „Die Welt, in der man sich langweilt“ Wund am Montag „König Heinrich der Vierte“ gegeben. Für Dienstag und Sonnabend sind „Die Kinder der Excellenz“ und für Mittwoch „Krieg im Frieden“ angesetzt. Der Spielplan des Berliner Theaters für die neue Woche ist folgendermaßen festgesetzt: Morgen Nachmittag geht „Rosenkranz und Güldenstern“, am Abend „Kean“ in Scene Der Montag bringt eine Wiederholung von „Schuldig“, der Dienstag eine solche des Veilchenfresser“. Am Mittwoch wird Ludwig Barnay nach längerer Pause die Titelrolle im „Hamlet“ dar⸗ stelln. Am Donnerstag und Sonnabend kommen „Gold⸗ fische“ zur Aufführung, am Freitag (36. Abonnements⸗Vorstellung) „Wallenstein's Tod“; Ludwig Barnay spielt an diesem Abend den Wallenstein, den er in den naͤchsten Tagen, einer Einladung des Groß⸗ herzogs von Sachsen ⸗Weimar folgend, auch gelegentlich der Fest⸗ aufführungen auf der Hofbühne in Weimar darstellen wird. Am nächsten Sonntag Nachmittag geht neu einstudirt „Die Waise von “ as Lessing⸗Theater bringt am nächsten Sonnaben 16. Mai, eine vieraktige Schauspielnovität 1.-,1 von .eehaia-2 Schlesinger, welche die populäre Liebhaberei des Rennsports zum Mittelpunkt eines buntbewegten Gesellschaftsgemäldes macht. Im Uebrigen ist der Spielplan der neuen Woche wie folgt festgesetzt: Morgen: Letztes Auftreten von Josef Kainz: „Sodoms Ende“. Montag: „Thermidor“. Dienstag: „Der Probepfeil“’. Mittwoch: „Ultimo“. Donnerstag: „Der Probepfeil“. Freitag: „Thermidor“.
In der morgigen Vorstellung der seih ge Ficte im Kroll'schen Theater singt Hr. Birrenkoven den Tamino, Frl. Schacko die Papagena, Hr. Fricke den Papageno. Der Montag bringt die Fortsetzung des Gastspiels des Fr. Lilli Lehmann mit einer letzten Wiederholung des „Fidelio“. Das Gastspiel der gefeierten Sängerin umfaßt nur noch drei Abende. Der Dienstag bringt ebenfalls eine Wiederholung, und zwar Flotow's „Martha“ (Lyonel: Hr. Birrenkoven). Morgen ist im Sommergarten des Belle⸗Alliance⸗ Theaters wiederum ein billiger Sonntag mit dem Eintrittspreis von 50 ₰ für Theater (soweit der Raum reicht) und sämmtliche Auf⸗ fäbergoen 88. Fremaredbegttten rl. Anna Grünfe eidet mit Ablauf dieser Saison aus dem
Verbande des Adolph Ernst⸗Theaters und beabsichtigt, nur durch Gastspiele ihre künstlerische Thätigkeit fortzusetzen. trektor Ernst hat der scheidenden Darstellerin zu ihrem am Sonnabend 16. Mai, stattfindenden letzten Auftreten ein Benefiz bewilligt; die Treptow'sche Gesangsposse „Ünsere Don Juans“ gelangt zu diesem Zweck zur einmaligen Anfführung. Im Thomas⸗Theater bleibt in Folge zahlreicher Vorbestel⸗ lungen „Der Registrator auf Reisen“ bis Ende der Woche auf dem Repertoire. Das Concert in dem neu eingerichteten Sommergarten beginnt um 6 Uhr.
Weimar, 8. Mai. Gestern Nachmittag sand im Festsaal des Großberzoglichen Schlosses ein Festmahl nag. zu dem sehr zahlreiche Einladungen ergangen waren. An demselben nahmen Theil die Intendanten und Direktoren der Theater, die zu der Feier eingetroffen waren, die Vorstände der Goethe⸗Gesellschaft, der Schiller⸗ Stiftung, der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger sowie die zu der Feier geladenen Schriftsteller und Ehrengäste, im Ganzen etwa 90 Per⸗
sonen. Dem Festmahl folgte die Aufführung in dem festlich geschmückten