1891 / 109 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 11 May 1891 18:00:01 GMT) scan diff

baukommission. Uebrigens würde durch die vielen Reparaturen nach dem Gutachten des Hrn. Wallot die Herstellung in unechtem Material noch theurer werden, als die in echtem. Wenn man also in dieser letzten Stunde den Antrag Goldschmidt nicht mehr annehmen wolle, so bitte er, seiner Resolution zuzustimmen.

Abg. Richter: Gewiß komme es mehr auf gute Gesetze als auf die äußere Ausstattung an. Er könne aber dem Antrage und der Resolution nicht zustimmen, da der Reichstag für diese Fragen eine Autorität selbst eingesetzt habe, der er folge. Habe die Kom⸗ mission ihren Beschluß nur mit einer Stimme Mehrheit gefaßt, so könne man wohl von ihr an das Plenum apvpelliren, aber nicht in so formloser Weise, sondern müßte das gesammte Material vorlegen. Gegen den Antrag Goldschmidt sei übrigens noch der Einwand zu erheben, daß er für die von ihm beantragte Ausgabe keine Ein⸗ nahme im Etat vorgesehen habe. Viel mehr als den falschen Schimmer der Wände fürchte er (Redner), daß auf den Reichstag der Schein falle, daß er hier eine Ausgabe, ohne gründliche Berathung und ohne Sparsamkeit walten zu lassen, bewillige.

Abg. Graf Ballestrem: Der weitaus größte Theil des Cen⸗ trums stehe auf dem Boden der Beschlüsse der Reichstagsbaukom⸗ mission, und er bedauere, daß der Vertreter des Centrums in der Kommission, der Abg. Dr. Freiherr von Heereman, durch die Verhand⸗ lungen des Abgeordnetenhaufes gehindert sei, hier anwesend zu sein. Gewiß könne man von der Kommission an den Reichstag appelliren, aber nicht, wie in so formloser Weise geschehen, darum werde der größte Theil des Centrums gegen den Antrag und die Resolution stimmen. 4 8

Abg. Goldschmidt: Er ziehe seinen Antrag zu Gunsten der Resolution zurück. Die Gutachten der beiden Ober⸗Bauräthe Persius und Adler hätten doch unter allen Umständen die Einwirkung des Klimas und der Heizeinrichtungen auf den Stuck nicht gehörig ge⸗ würdigt.

Abg. Freiherr von Unruhe⸗Bomst: Es sei davon gesprochen worden, daß in der Annahme der Resolution ein Mißtrauen gegen die Reichstagsbaukommission liegen könne. Er stimme ihr durchaus bei, 2 dadurch ein Mißtrauensvotum gegen die Kommission abgeben zu wollen.

Abg. Siegle: Da die Halle mit großen monumentalen Gemälden geschmückt werden solle, so würde ihre Fertigstellung in drei Jahren nicht zu ermöglichen sein. Die Rücksicht auf die dazu nöthige Zeit könnte also nicht für die Vorschläge der Kommission entscheiden.

Abg. von Levetzow: Die Gründe für den Antrag und die Re⸗ solution enthielten eine so starke Mißbilligung des Standpunkts der Reichstagsbaukommission und der darin von ihm vertretenen Stellung, daß er, Falls die Resolution angenommen würde, an den Verhand⸗ lungen der Kommission sich nicht weiter betheiligen, sondern die Ver⸗ tretung des Präsidiums einem der beiden Vize⸗Präsidenten überlassen würde. Er gebe diese Erklärung ab, damit der Reichstag später nicht darüber erstaune, wenn er sich von den Verhandlungen der Reichstagsbaukommission zurückziehe.

Abg. Freiherr von Manteuffel: Als Egoist müßte er für den Antrag Carolath sein, damit der Reichstag noch lange in diesem Hause bleibe, denn so heimisch, wie hier, werde er sich wohl nirgends sonst fühlen (Beifall); da aber dieser Grund nicht ausschlaggebend sein könne, so sei er gegen die Resolution.

Abg. Prinz zu Carolath: Er habe kein Wort des Mißtrauens gegen den Präsidenten vorgebracht, noch auch gegen seine Thätigkeit in der Baukommission. Wenn seine Rede so aufgefaßt worden sei, so komme man schließlich dahin, daß man gar keine Resolution mehr be⸗ antragen, daß man gar keine von der Regierung geforderte Position mehr ablehnen dürfe. Er persönlich werde sich zum Beweise des Vertrauens, das er zu dem Präsidenten habe, seinem Wunsch insofern unterwerfen, als er seine Resolution zurückziehe. Aber diese Art der Stellungnahme sei doch eine ganz außergewöhnliche. Er (Redner) habe durchaus nicht ein Mißtrauen gegen die Kommission aus⸗ drücken wollen, habe von ihr überhaupt nicht gesprochen, sondern nur von dem Stimmverhältniß, mit dem ihre Beschlüsse gefaßt worden seien. Mit dieser Erklärung werde der Präsident zufrieden sein können; sollte er aber dennoch glauben, den Ausdruck eines Mißtrauens in seinen früheren Worten finden zu sollen, so erkläre er (Redner) dem Präsidenten ausdrücklich, daß er kein Mißtrauen zu seiner Person, seiner Geschäftsführung oder seiner Thätigkeit in der Reichs⸗ tagsbaukommission habe. (Beifall.)

Abg. von Levetzow: Er habe nicht von Mißtrauen, sondern von Mißbilligung gesprochen, und eine solche liege in dem Antrage Carolath. Eine persönliche Gereiztheit liege ihm vollständig fern (Beifall); er habe vorhber schon gesagt, daß er seine Erklärung abgebe, damit man sich nicht wundere, wenn er später sich nicht an der Thätigkeit der Reichstagsbaukommission betheilige. Er habe nicht gesagt, daß der Abg. Prinz Carolath ihm ein Mißtrauensvotum geben wolle, er sehe nur, daß der Abg. Prinz Carolath anderer Meinung sei als er, und wenn die Mehrheit des Hauses der Resolution zu⸗ stimme, glaube er (Redner) Recht zu thun, wenn er sich nicht weiter an den Verhandlungen der Kommission betheilige.

Abg. Goldschmidt: Er nehme die Resolution des Prinzen Carolath wieder auf, indem auch er seinerseits betone, daß in seinen gestrigen und heutigen Ausführungen kein Wort des Mißtrauens gegen den Präsidenten enthalten sei.

Abg. von Kardorff: Er habe in der Reichstagsbaukommission jusammen mit dem Abg. Goldschmidt für die Ausführung der Säulen in edlem Material gestimmt. Wie die Dinge aber jetzt lägen, möchte er dringend warnen, die Resolution Goldschmidt an⸗ zunehmen. Es sei ja nicht ausgeschlossen, daß später einmal, wenn sich das unechte Material nicht bewähren sollte, doch die Wandelhalle mit echtem Material geschmückt werde. (Heiterkeit.)

„Abg. Dr. von Bennigsen: Das Reichstagsgebäude solle in würdiger Gestalt errichtet und auch im Innern schön eingerichtet werden; dazu habe man die Reichstagsbaukommission eingesetzt. Eine Versammlung von 400 Mitgliedern könne über die Einzelheiten einer solchen Sache nicht so klar urtheilen, wie eine Kommission, zumal nur Wenige davon die Räume des neuen Reichstagsgebändes, wie sie jetzt seien, genauer kennten. Da sei es ein großes Wagniß, einem wenn auch mit schwacher Mehrheit ge⸗ faßten Kommissionsbeschluß entgegenzutreten. Aber im letzten Augen⸗ blick, wo der Reichstag versammelt sei, eine solche Resolution zu beschließen, scheine ihm in hohem Grade bedenklich. Die Resolution nenne zwar die Summe nicht, im Allgemeinen aber sei es un⸗ zweifelhaft, daß es sich um eine sehr bedeutende Summe, vielleicht um eine Million, handele, die der Reichstag, wenn er die Resolution genehmige, bewilligen müsse. Diese Verantwortung für die Bewilligung ohne sorgfältige Prüfung auf sich zu nehmen, sei im Reichstage bisher nicht üblich gewesen.

Abg. Eberty: Aengstlich zu sein in Bezug auf eine Million bei einem Bau, der den deutschen Einheitsgedanken verkörpern solle, das werde in den weitesten Kreisen des Volkes nicht verstanden werden. Er werde für die Resolution stimmen.

Die Etatsposition wird unverändert bewilligt, die Resolution Goldschmidt abgelehnt. *

Der Rest des Nachtrags⸗Etats und das Etatsgesetz werden darauf im Ganzen endgültig mit großer Mehrheit ange⸗ nommen.

Nächster Gegenstand der Tagesordnung ist die dritte Be⸗ rathung der Novelle zum Branntweinsteuergesetz. E Abgg. 8 Hartmann und Genossen haben bean⸗

ragt, den Beschluß zweiter Lesung, betreffend die Erhebung einer Abgabe von nur 0,25 für das Liter bis zu 20 1 ür den Haustrunk wieder 6 .Ferne für den Haustrunk wieder zu streichen; ferner hat Abg. Dr. Witte eine Resolution eingebracht, welche die Regierungen zu erneuten Erwägungen darüber auffordert, ob nicht den B Mw” steuerpflichtigen Branntwein die sten der steuerlichen Kontrole gleich den Brennereien und

Reinigungsanstalten erlassen werden sollen.

v114“ H“ f.

Die Abgg. Wurm

und Genossen wollen eine Jahresmenge von 10 1 reinen Alkohols als Haustrunk überhaupt steuerfrei lassen.

In der Generaldiskussion kommmt der Abg. Wurm nochmals auf die Liebesgabe für die Brenner zurück, welche das Centrum ebenso aufrecht zu erhalten geneigt scheine, wie es soeben die Exportprämien für Zucker über die Forderung der Regierung hinaus erhöhen und verlängern geholfen habe. Den Antrag auf Steuerfreiheit des Haustrunkes habe die Partei wieder aufzunehmen für nöthig gehalten.

Staatssekretär Freiherr von Maltzahn:

Meine Herren! Gestatten Sie, daß ich in Bezug auf die zur dritten Lesung gestellten Anträge einige Worte über die Stellung der verbündeten Regierungen zu denselben sage. Ich fange an mit dem Antrag auf Nr. 491 der Drucksachen, der von dem Hͤrn. Abg. Dr. Witte gestellt ist und dahin geht,

die verbündeten Regierungen zu ersuchen, in erneute Erwägungen darüber einzutreten, ob nicht den Privatlägern für inländischen steuerpflichtigen Branntwein die Kosten der steuerlichen Kontrole ebenso erlassen werden sollen, wie dies jetzt bei den Brennereien und bei den Brannt vwein⸗Reinigungsanstalten beschlossen ist.

In Bezug auf diesen Antrag theile ich mit, was meiner Erinnerung nach bereits in der Kommission mitgetheilt worden ist, daß Ermittelungen über den Betrag dieser Kosten Seitens des Herrn Reichskanzlers angeordnet sind, daß die betreffenden Nachrichten aber noch nicht sämmtlich sich in unseren Händen befin⸗ den, ich also zur Zeit nicht übersehen kann, welche Resultate aus diesen Ermittelungen sich ergeben werden.

Dann wende ich mich zu dem Antrag auf Nr. 494, gestellt von den Hrrn. Abgg. Dr. Buhl und Gamp, welcher einige Worte im Art. I durch eine andere Fassung folgenden Wortlauts: „welche in keinem der Jahre 1887/88 bis 1889/90“ ersetzen wollen.

Ich möchte dem Reichstag empfehlen, diesem Antrage zu⸗ zustimmen; denn gegenüber der Fassung, welche der Art. I des Gesetzes durch die Plenarbeschlüsse zweiter Lesung erhalten hat, enthält dieser Antrag zweifellos eine Verbesserung, welche es den ver⸗ bündeten Regierungen leichter machen würde, die von dem Reichstage beschlossene Abänderung des Art. I ihrerseits anzunehmen. Auch in der Fassung des Antrages Dr. Buhl und Gamp geht das, was der Art. I enthalten würde, nicht unerheblich über das hinaus, was die Vorlage der verbündeten Regierungen beabsichtigte, aber nicht so weit, wie die jetzige Fassung des Art. I, und ich möchte mit Sicherheit annehmen, daß, wenn der Art. I die Fassung des Antrages der Hrrn. Abgg. Dr. Buhl und Gamp bekommt, die verbündeten Regierungen dem Artikel zustimmen würden,, während ich, wenn die Fassung zweiter Lesung aufrecht erhalten wird nicht mit gleicher Sicherbheit diese Zustimmung voraussagen zu können glaube.

Nun wende ich mich zu dem Antrage des Hrn. Abg. Dr. Hart⸗ mann, welcher bezweckt, den Art. II Nr. 1, den Sie in zweiter Lesung eingefügt haben auf Grund des Antrages des Hrn. Abg. Lender, wieder zu beseitigen. In Bezug auf diesen Antrag habe ich bereits bei der zweiten Lesung mitgetheilt, daß, soweit ich die Stimmung der verbündeten Regierungen kennte, ich es nicht für wahrscheinlich hielte, daß dieselben einem Ge⸗ setze, welches den Lender'schen Antrag, d. b. also Art. II Nr. 1 nach der Fassung der Reichstagsbeschlüsse zweiter Lesung enthält, zustimmen, und ich muß zu meinem Bedauern auch heute diese Er⸗ klärung wiederholen. Ich sage: zu meinem Bedauern, denn ich kann versichern, daß die verbündeten Regierungen sehr gern berechtigten Wünschen einzelner Interessentenkreise in Deutschland auf die Ab⸗ änderung der bestehenden Gesetzgebung über den Branntwein, soweit sie an und für sich den Standpunkt dieser Interessentenkreise als berechtigt anerkennen müssen, soweit wie möglich ent⸗ gegenkommen. Die Vertreter der verbündeten Regierungen haben auch, obwohl sie damit den früheren Standpunkt der Regierungen verlassen haben, denjenigen Abänderungsanträgen in der Kommission zugestimmt und die verbündeten Regierungen werden vorausichtlich einem demgemäß vom Reichstag beschlossenen Gesetz zustimmen —, welche Sie in den Nummern 4 und 5 des Art. II finden. Aber auf dem⸗ jenigen Wege, welchen die Nr. 1 des Art. II einschlagen will und welchen auch der Antrag des Hrn. Abg. Wurm einschlagen will, glauben die verbündeten Regierungen in ihrer Mehrheit, wie ich neulich bereits hervorgehoben habe, den hier geäußerten Wünschen nicht entgegenkommen zu können.

Lassen Sie mich ganz kurz die zwei Hauptgründe noch einmal hervor⸗ heben, weshalb wir glauben, diesen Wünschen der Kleinbrenner nicht ent⸗ gegenkommen zu können. Der eine Grund ist der, daß wir von einer Ermäßigung der Verbrauchsabgabe für den in solchen kleinen Brennereien hergestellten Branntwein oder deren gänzlichen Fortfall einen großen Anreiz zur Defraude erwarten und demnach sehr viel er⸗ heblichere Ausfälle in den Steuereinnahmen voraussehen zu müssen glauben, als die Berechnungen auf Grund der bisherigen Produktion ergeben würden. Der andere Grund, der aber für uns fast noch schwerer wiegt, ist der, daß nach den klimatischen und den Besitz⸗ verhältnissen zur Zeit diese Vergünstigungen nur einem Theile Deutschlands, nämlich dem größeren Theile Süddeutschlands, zu Gute kommen würden, daß aber in Norddeutschland diejenigen Leute, welche wirthschaftlich genau in der gleichen Lage sind wie jene süddeutschen Brenner, die Sie begünstigen wollen, nicht im Stande sein werden, sich die gleiche Vergünstigung zu verschaffen. Wir glauben daher, daß die Einfügung einer solchen Bestimmung in das Gesetz eine Unbilligkeit gegen diese Kreise vorwiegend norddeutscher Reichs⸗ angehöriger enthalten würde, und ich kann zu meinem Bedauern nur wiederholen, daß, wenn der Reichstag diesen Artikel aufrecht erhalten sollte, ich befürchten muß, daß dann das ganze Gesetz im Bundes⸗ rath nicht angenommen werden würde. Nun bitte ich die Herren, doch zu erwägen, ob es nicht richtiger ist, das Gesetz, welches ja von Anfang bis zu Ende nur Erleichterungen für die Besteuerten enthält (Sehr richtig! im Centrum), ohne diese Bestimmung anzunehmen, von der wir nun einmal erklären, daß wir ihr nicht zustimmen können, oder ob Sie diese Bestimmung im Gesetz lassen und dadurch das Zustandekommen des Gesetzes ernsthaft ge⸗ fährden wollen.

Abg. Graf Ballestrem: Die positive Erklärung des Staats⸗ sekretärs, daß das Gesetz mit dem Antrage Lender scheitern würde, und der Wunsch, den kleinen Brennern wenigstens die anderen Er⸗ leichterungen zuzuwenden, veranlasse seine Partei, auf dem Antrage Lender nicht zu bestehen. Sie werde sich durch das heuti e Votum

auch bei ihren Wählern, welche ihre Gründe zu würdigen gewohnt seien, nicht in Mißkredit bringen. Die Sozialdemokraten könnten

lsich ruhig auf den Standpunkt der absoluten Negation stellen, sie

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hätten den Erfolg nicht zu verantworten; anders das Centrum, welche entscheidend mit seinen mehr als hundert Mitgliedern ins Gewicht falle. (Beifall im Centrum.) 8G Abg. Holtz: Daß die Sozialdemokraten es gerade seien, welche den Antrag auf steuerfreien Haustrunk wieder aufnähmen, beweise nur, daß sie dem Haustrunk der Süddeutschen eine soziale Be⸗ deutung beimäßen. Der Satz, daß eine Liebesgabe für die Brannt⸗ weinbrenner von 40 Millionen gezahlt werde, solle heute allgemein zugestanden werden, so sei in der zweiten Lesung behauptet worden. Es sei an der Zeit, dieses Märchen auf seinen wahren Werth zurückzuführen. Die aus der Steuerdifferenz sich ergebenden Vortheile vertheilten sich auf Produzenten und Konsumenten zu Gunsten der Letzteren. Wäre die Behauptung wahr, dann müßte der Produzent in dem Preise des 70er Spiritus die Gestehungskosten ersetzt be⸗ kommen. Das sei nicht der Fall. Der Preis des 70er Spiritus sei 48 ℳ, die Herstellung sei ihm unter 66 nicht möglich. Die Materialsteuer müsse erhalten bleiben, sie sei auf die östlichen Distrikte zugeschnitten, ohne sie würde der Osten verarmen und veröden. Den Antrag Lender werde man ja nach der Erklärung des Grafen Ballestrem heute beseitigt sehen. 8 Damit schließt die Generaldiskussion. In der Spezialdebatte wird Art. I (Kontingentszulage für die kleinen Brennereien) mit einem Amendement Buhl⸗ Gamp angenommen. e Zu Art. II (Erleichterung für die kleinen landwirthschaft⸗ lichen Brennereien) hat der Abg. Wisser vorgeschlagen, die Herabsetzung der Verbrauchsabgahbe auf 25 für den Haus⸗ trunk auch auf diejenigen Branntweinbrennereien auszu⸗ dehnen, in denen mehlige Stoffe verarbeitet werden. Abg. Dr. Hartmann tritt für seinen Antrag ein, indem er be⸗ sonders auf die Gefahr hinweist, welche der ganzen Vorlage schon durch das Vetorecht der preußischen Regierung drohe.

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Abg. Lender erklärt, auch heute mit seinen badischen Freunden 8

für seinen Antrag stimmen zu wollen.

Abg. Dillinger spricht für die Annahme des Antrages Wurm welchen die Volkspartei mitgestellt habe. Mit der Versicherung allgemeiner Sympathie könne man sich in Süddeutschland nicht be⸗ gnügen, nachdem die Steuerpolitik der letzten Jahre den süddeutschen Interessenten keine Vortheile gebracht, aber Wohlthaten genommen habe.

Abg. Dr. Buhl bittet um Ablehnung aller Anträge, welche das Schicksal der Vorlage gefährden könnten. Der Antrag Wisser habe für Norddeutschland gar keine Bedeutung, denn es beständen dort nur

zehn Brennereien mit einem Kontingent unter einem Hektoliter.

Bei der Abstimmung wird der Antrag Wisser abgelehnt, 2gSithr 1 des Art. II. entsprechend dem Antrag Hartmann gestrichen.

Der Rest des Gesetzes wird ohne Debatte angenommen,

die dazu eingegangenen Petitionen erklärt das Haus für

erledigt.

Abg. Dr. Witte empfiehlt dann die Annahme seiner Resolution. Man habe die Gebührenfreiheit der Steuerkontrole nur für Bren⸗ nereien und Rektifikationsanstalten beschlossen; darin liege eine große Ungerechtigkeit gegenüber 1 inländischen Spiritus, welcher je eher je lieber ein Ende gemacht werden müsse.

Die Resolution wird angenommen.

nnahme. . Eine Reihe von Petitionen wird zur Berathung im Plenum für nicht geeignet erklärt. 3 Damit ist die Tagesordnung erledigt.

9 der Gesammtabstimmung gelangt das Gesetz endgültig zur 8

Staatssekretär Dr. von Boetticher verliest darauf die

aus Karlsruhe, 8. Mai, datirte Kaiserliche Verordnung, durch welche der Reichstag vom 9. Mai bis zum 10. No⸗ vember vertagt wird. 1

Präsident von Levetzow erbittet und erhält die Er⸗ mächtigung, Tag und Tagesordnung der nächsten Sitzung nach eigenem Ermessen anzusetzen und spricht dann dem Hause für die freundliche Unterstützung und das Wohlwollen, welches er auf allen Seiten des Hauses zu allen Zeiten gefunden habe, seinen Dank aus. Sein Dankgefühl sei um so aufrichtiger, als er in den Verdacht einer captatio benevolentiae nicht kommen könne, da er sich im Herbst den Chancen einer Wahl nicht auszusetzen habe.

Abg. Dr. Reichensperger: Als ältestes anwesendes Mit⸗ glied folge er nicht nur gutem, altem Brauch, sondern auch

einem Herzensbedürfniß des ganzen Hauses, wenn er dem Präsidenten den warmen Dank des Hauses für die ebenso gerechte wie freundlich⸗wohlwollende Leitung der Geschäfte aus⸗ spreche. Möge der Präsident im November mit neuer Kraft

und altgewohnter Freundlichkeit die Geschäfte des Hauses

wieder aufnehmen zum Segen des Reichs! (Lebhaftes Bravo von allen Seiten des Hauses.)

Präsident von Levetzow dankt dem Vorredner für diesen Ausdruck der Gefühle des Hauses, stattet seinerseits

dem Bureau seinen Dank für die gewährte Unterstützung ab

und schließt dann die Seeh mit einem dreifachen Hoch auf Seine Majestät den begeistert einstimmen. Schluß 2 ½ Uhr. b 1““

. 82 28 Sixt s28.

zntluR guu ong. ““ SHGHaus der Abgeordneten. 58585. Sitzung vom Sonnabend, 9. Mai.

Der Sitzung wohnt der Minister der geistlichen ꝛc. An⸗ gelegenheiten Graf von Zedlitz⸗Trützschler bei.

Die zweite Berathung des Etats wird fortgesetzt, und zwar bei dem Etat des Ministeriums der geistlichen,

Unterrichts⸗ und Medizinal⸗Angelegenheiten, Ka⸗

pitel „Elementar⸗Unterrichtswesen“. . Abg. Burghart (Lauban) beklagt das langsame Aufrücken der

Schulräthe und bittet, diesem Mißstand durch möglichste Beseitigung

der Hülfsarbeiterstellen abzuhelfen. Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Germar sagt wohlwollende Erwägung des Wunsches zu. 1 Abg. Graf Kanitz wünscht größere Bereitwilligkeit bei der

Gewährung der Hüterlaubniß für schulpflichtige Kinder; der Mangel

an ländlichen Arbeitern fordere dies dringend. 6 Abg. Sack verlangt eine bessere Remuneration der Kreis Schul⸗ inspektoren im Nebenamt.

Ministerial⸗Direktor Kügler weist auf die in dem vorliegenden G

Etat bereits stattgehabte Erhöhung dieser Remuneration hin und er⸗ klärt, daß die Regierung weitere Mittel fordern werde, falls diese Mittel sich als nicht ausreichend erweisen sollten.

Das Kapitel wird bewilligt. 1

Beim Kapitel „Kunst und Wissenschaft“ regtg

Abg. Cremer die Errichtung einer Fachklasse für Schriftzeichen an dem Kunstgewerbe⸗Museum an.

Wirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Schöne erklärt

daß es der Regierung zu großer Freude gereichen würde, diese Fach⸗

klassen möglichst bald errichten zu können. 8 Abg. Dr. Arendt verlangt noch eine gesetzliche Regelung der Frage der Lieferung eines Pflichtexemplars aller erscheinenden Druck

schriften an die Königliche Bibliothek zu Berlin dahin, daß die Ver⸗ pflichtung bestehen bleibe, aber eine angemessene Entschädigung an

die Verleger gezahlt werde.

den Privatlägern für steuerpflichtigen

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aiser, in welches die Versammelten

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Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Wehrenpfennig weist darauf hin, daß man in wissenschaftlichen Kreisen die Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes wünsche.

„Bei dem Dispositionsfonds zur Beihülfe für Kunst⸗ und wissenschaftliche Zwecke lekt

Abg. Kasch die Aufmerksamkeit auf die in Plön errichtete zoologische Station. 88 3 1

Bei dem Kapitel „Medizinalwesen“ bringt

Abg. Olzem die Geheimmittelfrage zur Sprache und erörtert namentlich die mißliche Lage, in welche die Presse bei Aufnahme der Ankündigungen von Geheimmitteln komme. Man könne mit den Polizeiverordnungen, welche diese Ankündigungen untersagten, ein⸗ verstanden sein, keineswegs aber mit ihrer Wirkung. Das liege ins⸗ besondere daran, daß der Begriff Heilmittel schlechterdings nicht fest⸗ stehe; die Judikatur sei eine schwankende. Der Redacteur der „Vossischen Zeitung“ sei verurtheilt worden wegen Ankündigung einer Zahnpasta. In Frankfurt sei Verurtheilung erfolgt wegen An⸗ kündigung von Sodener Pillen. Nur reichsgesetzliche Regelung der Materie könne gründlich abhelfen.

Geheimer Ober⸗Medizinal⸗Rath Dr. Skrzeczka hält es für nöthig, dem Geheimmittelunwesen zu steuern. Der Verkehr mit Giften und die Rücksicht auf die Arzneistoffe, welche nur in Apo⸗ theken auf ärztliche Verordnung abgegeben würden, böten der Re⸗ gierung Schwierigkeiten. Es sei aber nach dem Stande der Verhand⸗ lungen zu erwarten, daß die Angelegenheit demnächst zu einem er⸗ wünschten Abschluß kommen werde.

Abg. Dr. Graf (Elberfeld) bespricht den Stand der Medizinal⸗ gesetzgebung, die Apothekerfrage, die Gewerbehygiene und fordert einen Ausbau der Aerztekammern nach oben und nach unten; in letz⸗ terer Beziehung wünsche er die Einrichtung von Ortsgesundheitsräthen. Der Fortschritt auf diesen Gebieten werde verhindert durch die Konkurrenz der Reichs⸗ und Landesgesetzgebung in Bezug auf diese Materie. Eine freiere Stellung der Medizinal⸗Abtheilung mit e“ Initiative würde vielleicht im Stande sein, Abhülfe zu

affen.

Abg. von Pilgrim tritt für eine bessere Dotirung der Medizinal⸗ beamten ein; in Sachsen, Bayern. Baden, Hessen, sogar Rußland seien sie besser gestellt. Ohne Privatpraxis könnten die Physici bei ihrem kärglichen Gehalt nicht auskommen, sie würden aber nicht gern genommen, weil sie in Folge ihrer amtlichen Thätigkeit den Leuten unbeguem seien. Dazu komme, daß sie bei Ausübung ihres Amts allerband Aufwendungen zu machen hätten. Bei so geringem Gehalt sei keine Berufsfreudigkeit möglich. Es sei zu wünschen, daß schon im nächsten Etat in diesen Verhältnissen eine Aenderung erfolge.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten von Zedlitz⸗Trützschler:

Meine Herren! Die Ausführungen der beiden Herren Redner betreffen ein Gebiet, dessen Bedeutung für die öffentliche Wohlfahrt ich vollkommen anerkenne.

Mit dem Wunsche des Hrn. Abg. Dr. Graf, daß die Verord⸗ nungen über die öffentliche Gesundheitspflege einer Revision unter⸗ zogen und auf diejenige Höhe gestellt werden möchten, welche ihnen die heutige Wissenschaft anweist, kann ich mich ja zweifellos ein⸗ verstanden erklären, und ich erkenne an, daß diesem Wunsch gerecht zu werden angestrebt werden muß. Aber ich gestatte mir doch, darauf hinzuweisen, daß in dieser Beziehung für das Medizinalwesen Schwierigkeiten bestehen, welche um dem Hinweis auf das Veterinärwesen zu begegnen für das letztere nicht vorhanden waren. Der Umstand, daß die ja mit Gesetzeskraft ausgestattete Verordnung von 1835 und die noch ältere Verordnung über das Apothekerwesen noch heute in Gültigkeit bestehen, beweist, glaube ich, nicht, daß die öffentliche Gesundheitsverwaltung den Fortschritten der Wissenschaft nicht gefolgt wäre, sondern daß die Fortschritte der Wissenschaft in dieser Zeit so schnelle gewesen sind, daß ohne Gefahr der Uebereilung und schwerer Mißgriffe das Verordnungswesen nicht hat folgen können.

Meine Herren, ich erinnere Sie nur an einen Punkt: die Ver⸗ ordnung von 1835 beschränkt sich bekanntlich auf einen verhältniß⸗ mäßig engen Kreis sogenannter Seuchen. Heute, wo die bakteriolo⸗ gische Forschung nachgewiesen hat, daß der Begriff der Ansteckung, der Infektion und der Seuche ein vollständig anderer geworden ist, daß diese Begriffe noch in einem steten Wechsel und in einer fort⸗ währenden Verschiebung begriffen sind das wird mir gewiß auch der Hr. Abg. Dr. Graf zugeben ist es ganz außerordent⸗ lich schwierig, reglementarische Formen zu finden, welche diesen einem steten Wechsel unterworfenen Begriffen den Ausdruck geben, der dem einfachen Polizeibeamten verständlich und für ihn ver⸗ werthbar ist. Darauf aber, meine Herren, kommt es an.

Auch die Entscheidung der Frage, wie weit die Regelung der öffentlichen Gesundheitspflege zu gehen hat, ist von der schwer⸗ wiegendsten Bedeutung für das praktische Leben. Gewisse Forde⸗ rungen in Bezug auf die Anzeigepflicht greifen tief in das Privat⸗ leben ein, aber auch in das Leben der Aerzte selbst und in ihre Ver⸗ hältnisse. Gewisse Forderungen, die sich auf die Todtenschau und

Graf

eine ganze Reihe ähnlicher Fragen beziehen, welche die Verhütung

der Ansteckungsgefahr zum Gegenstand haben, sind für ein Gebiet, welches so weite Grenzen wie der preußische Staat oder gar das Deutsche Reich umfaßt und welches so verschiedene Entwicklungs⸗ und Kultur⸗ zustände und eine so verschiedene Dichtigkeit der Bevölkerung zeigt, ein⸗ heitlich nach meiner Auffassung kaum zu regeln. Es wird also, glaube ich, bei der Prüfung jener Forderungen vornehmlich darauf ankommen, zunächst die richtigen allgemeinen Grundsätze zu finden und dann der Spezial⸗ gesetzgebung, vielleicht sogar einer noch über die staatliche Spezial⸗ gesetzgebung hinausgehenden gesetzgeberischen Thätigkeit die Aufgabe zu stellen, das, was man im Prinzip für richtig erkannt hat, nach den vorhandenen Mitteln und nach den vorhandenen Möglichkeiten in den einzelnen Landestheilen zur Anwendung zu bringen.

Meine Herren, nach dieser Richtung hin thätig zu sein, werde ich mit der größten Freude mich befleißigen. Die beiden Herren Vor⸗ redner haben sodann die Organisation des öffentlichen Gesundheits⸗ wesens in Bezug auf das Beamtentbum gestreift und dabei Forderungen erhoben, welche ich meinerseits ebenso, wie mein Herr Amtsvorgänger, wesentlich als Finanzfragen bezeichnen muß. Daß es wünschenswerth ist, den beamteten Arzt nicht bloß zu einem, wie ich wohl sagen darf, ganz unzulänglich salarirten nebenamtlich thätigen Privatmann zu machen, erkenne ich rückhaltlos an. Daß es ferner wünschens⸗ werth ist, eine Organisation zu schaffen, welche auf der einen Seite den beamteten Aerzten, auf der anderen Seite auch der frei praktizirenden Aerztewelt eine organische und genossenschaftliche Verbindung giebt, kann ich gleichfalls anerkennen. Aber alle diese Forderungen durchzu⸗ führen, erfordert eben finanzielle Mittel, die bisher leider nicht zu er⸗ langen waren, und ich muß zu meinem Bedauern sagen: die für jetzt noch viel schwieriger zu erlangen sein werden, wo wir uns ich ge⸗ brauche ein neuerdings bekannt gewordenes Wort in einer gewissen Degression unserer Finanzlage befinden. (Seiterkeit.)

Also, meine Herren, sympathisch steht der Medizinal⸗Minister unter allen Umständen den Wünschen, die hier ausgesprochen sind,

gegenüber; er wird sich bemühen, soweit es irgend geht, ihnen Er⸗ füllung zu verschaffen; aber er muß sich ausdrücklich beschränken auf den Vorbehalt: soweit es irgend geht. Denn zur Ausführung alles dessen, was hier vorgetragen ist, gehören zwei: das sind der Kultus⸗ Minister und der Finanz⸗Minister. (Bravo!)

Abg. von Hergenhahn führt einzelne drastische Beispiele von Bestrafung wegen Ankündigung von Geheimmitteln in Frankfurt vor und bittet den Minister, dafür Sorge zu tragen, daß die alten längst vergessen gewesenen Verordnungen, auf welche sich dieselben stützten, aus der Welt geschafft würden.

Abg. Goldschmidt spricht seine Freude aus, daß ein besonderes Institut für Infektionskrankheiten errichtet sei.

Abg. Graf (Elberfeld) knüpft an die im November statt⸗ gehabten Verhandlungen über das Koch'sche Mittel an. Damals sei Berlin das Mekka gewesen, nach dem Kranke und Aerzte gewallfahrtet seien. Vorüber sei jener Taumel, statt der Begeisterung herrsche Katzen⸗ jammer, und Viele schämten sich, an der gehobenen Stimmung Theil ge⸗ habt zu haben. Was in der Zwischenzeit geschehen, rechtfertige aber eine solche Verstimmung nicht. Die spezisische Wirksamkeit des Mittels auf tuberkulöse Erscheinungen habe sich bestätigt; ebenso sei der diagnostische Werth nicht bestritten. An die Bedeutung als Heil⸗ mittel hätten sich allerdings trotz des vorsichtigen Wortes des Er⸗ finders übertriebene Hoffnungen geknüpft, deren Erfüllung nicht möglich sei. Die Gefahren des Mittels sollten nicht verkannt werden, aber man solle ruhig weiter arbeiten und eine Verbesserung der Methode anstreben. Alle großen Entdeckungen in der Medizin hätten ähnlich angefangen. Er erinnere an das Chloroform, an die Lister'sche Wundbehandlung; von Lister’s anfänglicher Methode sei heute nichts mehr übrig; die Lister'sche Behandlungsart aber heute außer Acht zu lassen, sei strafbar. Aehnlich werde es mit der Koch'schen Entdeckung der Fall sein, das sei seine Ueberzeugung. Wie man auch über das Heilmittel als solches denken möge, über die wissenschaftliche Bedeutung der Koch'schen Idee seien die Meinungen nicht getheilt. Die Entdeckung sei ja auch keine zufällige, sondern auf wissenschaftlichem Wege gewonnen. Er verweise in dieser Be⸗ ziehung auf die Aeußerungen, welche auf dem letzten chirurgischen Kon⸗ greß gefallen seien. Aus diesen Gründen empfehle er die Bewilligung für das Institut für Infektionskrankheiten.

Abg. Broemel: Bevor seine Partei die Forderung bewillige, müsse der unzweifelhafte Nachweis geliefert werden, daß die Einrichtung nützlich oder nothwendig sei. Die Kranken, die in einem solchen Institut behandelt werden sollten, könnten mit Recht die sorgfältigste Prüfung der Frage verlangen und ob dies genau nach den Grundsätzen strenger objektiver Wissenschaft und nach den Grundsätzen der Ge⸗ bote der Humanität geschehe. Die Darstellung des Vorredners sei ein unberechtigter Optimismus. Auch der diagnostische Werth des Mittels werde nicht allgemein anerkannt. Die Heilerfolge aber seien derart, daß in fast allen Krankenhäusern die Versuche mit dem Mittel aufgegeben worden seien. Die Gefahren, die mit der An⸗ wendung des Mittels verbunden seien, ständen außer allem Zweifel. Von diesen Gefahren sei in den Koch'schen Veröffentlichungen be⸗ kanntlich mit keinem Wort die Rede gewesen. Die Patienten weigerten sich jetzt, sich mit dem Mittel behandeln zu lassen. Zweifellos hätten sich viele Tausende von Leidenden einer Behandlung unterworfen, deren Wirkung nicht zu übersehen gewesen sei. Hunderte seien zur Verschlimmerung ihres Zustandes oder vorzeitig ins Grab gebracht worden. Alles das hatte vermieden werden können, wenn bei der ganzen Sache weniger Inscenirung und mehr Offen⸗ beit geherrscht hätte. Es müsse in Abrede gestellt werden, daß alle Gebote der Wissenschaft angewendet worden seien. Als französische Chikane und Mißgunst habe man es bezeichnet, daß die französische Regierung die Einführung des Geheimmittels nicht habe gestatten wollen. Die Geheimhaltung sei ein arger Verstoß gegen die Wissenschaft gewesen. Die Wissenschaft bedürfe vor Allem der fortgesetzten Nachprüfung und Kontrole durch die Forschung. Würde die enune sesenc des Mittels bekannt gewesen sein, so würde bei den Aerzten die Vorsicht gesteigert und bei dem Publikum das blinde Verlangen nach irgend einer Injektion gemindert worden sein. Trotz aller Bedenken solle aber die hervorragende Bedeutung des Koch⸗ schen Mittels nicht bestritten werden, und es sei angebracht, daß Seitens des preußischen Staats Alles geschehe, was geeignet sei, diese Richtung der Forschung zu fördern. Zu wünschen sei nur, daß in Zukunft eine solche Geheimnißkrämerei nicht mehr Platz habe, und daß das Institut auch Versuchen mit anderen Mitteln, nicht bloß mit dem Tuberkulin offen stehe.

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Althoff: Der oberste Grundsatz jeder therapeutischen Behandlung: salus aegroti suprema lex esto werde auch in diesem Institut nicht verleugnet werden. Dafür bürgten die leitenden Männer und die Regierung. Mit der Untersuchung über die Reindarstellung des Mittels sei man jetzt beschäftigt, und es sei zu erwarten, daß sie baldigst zum Abschluß kommen werde. Die Arbeiten, die in dem Institut gemacht werden würden, sollten nicht geheim gehalten, sondern der Oeffentlich⸗ keit übergeben werden. Der Plan zur Begründung des Instituts sei von der Erfindung des Tuberkulins unabhängig, er habe schon seit Jahren bestanden und sei durch die Koch'sche Entdeckung nur rascher zur Ausführung gekommen. Einer pessimistischen Beurtheilung des Mittels sich vor der Zeit hinzugeben, davor müsse er warnen. Ueber die wissenschaftliche Bedeutung desselben herrsche ziemlich Einigkeit; über den praktischen Werth ständen sich die Ansichten gegenüber. Die Mehrzahl neige vielleicht ungünstiger Auf⸗ fassung zu; schließlich könne man vorläufig nur sagen: non liquet und den Ausgang abwarten. Die eigentliche Begründung des Instituts liege auf einem ganz anderen Gebiete. Es komme darauf an, Methoden zu finden, um die Infektionskeime der Infektionskrank⸗ heiten im Menschen zu tödten. Man stehe mit diesem Bestreben an der Schwelle einer neuen therapeutischen Aera. In zielbewußter Weise solle den Infektionskrankheiten entgegengetreten werden. Das solle die Aufgabe des Instituts sein. Von einer Beschränkung auf diese oder jene Infektionskrankheit, auf dieses oder jenes Mittel sei natürlich nicht die Rede. Die Sache habe auch eine patriotische Seite. Die deutsche Forschung habe vorzugsweise das Verdienst, die Ursachen dieser Krankheiten nachgewiesen zu haben, und solle nun auch da ernten, wo sie gesät habe. Frankreich, Rußland und andere Staaten hätten bereits derartige Institute. Er bitte deshalb, Vertrauen zu haben, die Regierung werde dieses Vertrauen zu rechtfertigen versuchen.

Abg. Dr. Virchow: Die Reden des Abg. Graf über die Bedeu⸗ tung des Koch'schen Mittels seien nicht berechtigt, ehe er nicht diese Bedeutung thatsächlich nachgewiesen habe, und die sei bisher nicht nachgewiesen. Ebenso würde es allerdings voreilig sein, von dem Mittel bloß als wie von einem gefährlichen Gift zu sprechen. Man könne ja auch noch nicht sagen, daß die Hoffnungen, die man auf das Mittel gesetzt habe, ganz vernichtet seien. Das würde weit über das hinausgehen, was man jetzt schon sagen könne. Genau genommen sei freilich kein Fall bekannt, in welchem eine Heilung der Tuberkulose durch dies Mittel herbeigeführt sei. Die Fälle, die als Heeilerfolge angesehen worden seien, hätten sich alle als hinfällig erwiesen. Andererseits sei eine große Reihe von Gefahren bei Anwendung des Mittels vorhanden. Er könne sich in dieser Beziehung das Verdienst zusprechen, daß das, was er Anfangs Jannar schriftlich niedergelegt habe, heute noch zutreffe; es sei das allerdings viel schlimmer gewesen, als man sich Anfangs gedacht habe. Indessen, kein Arzt, der sich berufen fühle, von dem Mittel Gebrauch zu machen, werde deswegen als Giftmischer oder als Mörder angesehen werden können. Die ersten Ver⸗ suche hätten zu größeren Erwartungen berechtigt, als sie sich später erfüllt hätten. Nach alldem sei er nicht berufen, heute zu sagen, was aus dem Mittel künftig werden würde; das werde die Erfahrung lehren. Der Gedanke des Instituts möge älter gewesen sein als das Tuberkulin, es sei aber schließ⸗ lich in einer Hast und Ueberstürzung in Angriff genommen worden, wie es selten bei einem so großen Werke geschehen sei. Inzwischen sei die Ausgabe von einer Million für Bauten bereits überschritten worden. Er wolle nicht untersuchen, wer Schuld daran habe; aber

der Minister von Goßler müsse doch Rathgeber gehabt haben, die ihn in einen solchen Enthusiasmus hineingetrieben hätten, daß man mitten im strengen Winter die Sache in Angriff genommen habe. Diesen Vorwurf könne er den Herren nicht ersparen. Mit diesem Vor⸗ wurf verbinde sich der andere, daß man noch immer nicht genau wisse, was man mit dem Institut machen wolle; namentlich sei noch unklar, in welcher Beziehung diese Anstalt zur Charité stehen solle. Man scheine sich über den Umfang des Krankenmaterials, das überhaupt zur Verfügung stehe, in Täuschung zu befinden. Insofern sei von Interesse, ob die Superiorität des Instituts gegenüber der Charité, die zur Zeit der Versuche mit dem Koch’'schen Mittel vielleicht berechtigt gewesen sei, dauernd aufrecht erhalten werden solle. Im Uebrigen gönne er nicht bloß Hrn. Koch, sondern Allen, daß die Regierung einmal so große Mittel für derartige Zwecke zur Ver⸗ fügung gestellt habe. Vielleicht werde das für die ganze künftige Entwickelung unserer Institute eine Bedeutung haben. Er wünsche, daß das Institut die Frucht trage, die man erwarte, und er möchte nur noch die Bitte aussprechen, daß man von jetzt ab mit mehr ruhigem, nüchternem und auch zugleich mit gerechterem Urtheil an die Sache herangehe. (Beifall.)

Abg. Dr. Graf (Elberfeld): Daß Freunde und Gegner über die Bedeutung des Koch'schen Mittels einverstäanden seien, sollte doch der Abg. Dr. Virchow selbst zugeben. (Widerspruch des Abg. Dr. Virchow.) Er verweise auf die Mitglieder des chirurgischen Kongresses, die diese Bedeutung anerkännt hätten. (Zuruf des Abg. Dr. Virchow: Das sei eine Phrase!) Wenn das eine Phrase sei, dann befinde er sich dabei in guter Gesellschaft. (Beifall rechts.)

Die Position wird mit großer Mehrheit bewilligt, ebens der Rest der ordentlichen Ausgaben.

Unter den einmaligen Ausgaben befindet sich die Forde⸗ rung für die im vorigen Jahre bewilligten 600 000 zur Aufstellung von Plänen für den Neubau des Domes, von denen noch 480 000 vorhanden sind, eine erweiterte Zweck⸗ bestimmung aufzunehmen, nämlich daß die Gelder auch dienen sollen für den Abbruch des Domes und für die Errichtung einer Interimskirche.

Die Budget⸗Kommission beantragt, diese Forderung ab⸗ zulehnen; das Haus beschließt demgemäß.

Im Uebrigen werden von der Forderung von 235 000 zum Neubau des Friedrichs⸗Kollegiums zu Königsberg i. Pr. 40 000 für ein Direktorwohnhaus gestrichen, ebenso die Forderung von 22 610 zur Errichtung eines provisorischen Schuppens auf der sogenannten Museumsinsel in Berlin Behufs Unterbringung der Bildwerke und Abgüsse aus Olympia.

Damit ist die zweite Berathung des Etats er⸗ ledigt. Die Einnahmen und Ausgaben stellen sich auf 1 720 834 749

Es folgt die Berathung des Etatsgesetzes, welches ohne Debatte angenommen wird unter Einschaltung der Vor⸗ schrift, durch welche die seit dem 1. April geleisteten Ausgaben nachträglich genehmigt werden.

Schluß 4 Uhr. D dtelahee

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Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln. Uebersicht über die Verbreitung der Maul⸗ und Klauenseuche in Preußen iim Ausgange des Monats April 1891.

Die Seuche herrschte in

8 1 Riegierungsbezirk. Gemeinde⸗ d nrellen (Guts⸗)

Sa Bezirken.

Königsberg. Gumbinnen.

Danzig. 8 Marienwerder.

Potsdam

Frankfurt a. O.

Berlin

Stettin

Köslin

Stralsun

Posen.

Bromberg

Breslau. Liegnitz. Oppeln. Magdeburg. Merseburg

Erfurt Schleswig Hannover Hildesheim. Lüneburg Stade Osnabrück Aurich. Münster. Minden. Arnsberg Kassel Wiesbaden. Koblenz. e Düsseldorf. Trier. .“ Sigmaringen. ““ 4““ 127

EEE111““ 8

„Gegenüber dem Monat März, in welchem in 142 Kreisen 362 Gemeindebezirke verseucht waren, hat die Seuche abge⸗ nommen. Seuchenfrei waren am Schlusse des Monats April die Regierungsbezirke Danzig, Stralsund, Liegnitz, Osnabrück,

Aurich und Minden. 1 In Berlin herrscht die Seuche unter den Rindvieh⸗ beständen zweier Besitzer, in dem Regierungsbezirk Schleswig unter dem Rindvieh in 4 Gemeinden der Kreise Stormarn und Segeberr. 08 90 8 „90 Frrhth eg. 132 votnise Rtaaoe e⸗ Verkehrs⸗Anstalten.

Die Post von dem am 8. April aus Shanghai abgegangenen Reichs⸗Postdampfer „Sachsen“ ist in Brindisi eingetroffen Pe sollte für Berlin am heutigen Vormittage zur Ausgabe ge⸗ angen. 1

Kopenhagen, 10 Mai. (W. T. B.) Der vormalige Direktor der seeländischen Eisenbahnen, Konferenz⸗Rat; Viggo Rothe ist heute gestorben.

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