1891 / 112 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 14 May 1891 18:00:01 GMT) scan diff

—ddieses Jahrhunderts die Reformbestrebungen hätten vorgenommen werden müssen, ohne Rücksicht auf die Angriffe, denen die Refor⸗ matoren sich ausgesetzt hätten, so müsse auch jetzt die Reform in Angriff genommen werden trotz der dagegen vorgebrachten Angriffe.

err von Manteuffel habe gesagt, man dürfe das Ruhige nicht in 1“ bringen, wenigstens sei das der Sinn seiner Aeußerungen Dazu bemerke er, es komme darauf an, wie man das

uhige in Bewegung bringe... 1 8 b 8 18₰ von Ratibor: Diese Bemerkung greife etwas über die

ächliche2 k aus. .“ m ;. 8 48 el (thatsächlich): Er habe weder gesagt,

etwas Ruhiges in Bewegung gesetzt sei, noch daran irgendwelche deh iwas eeb⸗⸗, habe nur die Thatsache konstatirt, daß eine gewisse Angelegenheit auf die Tagesordnung gebracht sei. 1

Graf von Klinckowström: Seine Freunde hätten gegen die Vorlage große Bedenken, aber sie wollten sie, soweit irgend mög⸗ lich, in dem Sinne der Regierung zu Stande bringen. Dazu sei aber nöthig, daß bei diesem Paragraphen ihre Anträge angenommen würden. Die Ausführungen des Ministers von heute deckten sich nach seiner Auffassung nicht mit seinen früheren, aber er freue sich, wenn der Minister erkläre, daß eine Aenderung seiner Auffassung nicht stattgefunden habe. Auch er hoffe, daß der Minister, wenn auch nicht generell, so doch von Fall zu Fall Anweisung darüber geben werde, was er unter Zwerggemeinden und Mißbildungen verstehe. Denn darin gebe er ihm ganz Recht, daß Zwergbildungen und Mißbildungen beseitigt werden müßten. Um auch hierin eine gewisse Einheitlichkeit herzu⸗ stellen, hätten seine Freunde eben ihren Antrag gestellt. Man könne dagegen sagen, der Antrag sei nicht nothwendig, denn der Minister habe genügend Erklärungen abgegeben, um den Antrag überflüssig zu machen. Aber der Minister habe in den letzten Monaten so viel Erklärungen abgegeben, daß sie einen stattlichen Band füllen könnten, und darum thue man besser, man verlasse sich nicht auf die Erklärungen des Ministers, sondern füge die Bestimmung in das ; ein. Wenn man sage, die Annahme des Antrages würde ein Kompromi erstören, so meine er, daß dies Haus auf die Gefühle des anderen Hauses icht gar zu sehr Rücksicht zu nehmen brauche, denn das andere Haus berücksichtige die Auffassung dieses Hauses auch nicht sehr. Er bitte den Herrn Minister, eine Erklärung abzugeben, daß er die ihm unterstellten Verwaltungsbehörden nicht generell über die Ausführung des Gesetzes instruiren wolle, sondern daß es nur von Fall zu Fall geschehen werde. Er bitte, seinem Antrag zu⸗ zustimmen und dadurch die Annahme des überhaupt erst zu ermöglichen. Schweren Herzens würden seine Freunde ohneh dafür stimmen können.

Minister des Innern Herrfurthhf

Meine Herren! Der Herr Graf von Klinckowström hat mit dem Bemerken, daß Erklärungen des Ministers, die hier abgegeben worden, für die praktische Ausführung des Gesetzes ziemlich irrelevant seien, demnächst für die Anwendung dieses Gesetzes dennoch zwei ausdrück⸗ liche Erklärungen von mir provozirt, welche ich, auch wenn ich mit ihm darin einverstanden bin, daß nur der Wortlaut des Gesetzes und nicht Erklärungen, die etwa von dem Ministertisch oder aus der Mitte des Hauses ausgehen, für die Interpretation maßgebend sind, ihm nicht vorenthalten will. Der Graf von Klinckowström hat be⸗ mängelt, daß ich gesagt hätte, es sei durch die Aenderung des §. 2 Abs. 3 lediglich die Vorbereitung der definitiven Entscheidung geändert, daß aber in Betreff der Frage, wer definitiv zu ent⸗ scheiden habe, nichts prinzipiell durch die Beschlüsse des Hauses geändert würde. Ich bitte den Herrn Grafen den ersten und zweiten Satz von §. 2 Abs. 3 zu lesen, dann wird er mir zugeben, daß das vollständig richtig ist.

Die Frage, ob eine Gemeinde oder ein Gutsbezirk oder eine Landgemeinde und Gemeinde vereinigt werden sollen, wird schließlich entschieden nur auf dem Wege, daß mit Königlicher Genehmigung eine hierauf bezügliche Allerhöchste Ordre extrahirt wird. Das ist die definitive Entscheidung, diese bleibt unverändert nach der Regierungsvorlage und nach den Beschlüssen des anderen Hauses. Der Unterschied ist der, daß für den Fall, wenn eine Einigung zwischen den Betheiligten nicht erzielt wird, die Vorbereitung der Ergänzung der mangelnden Zustimmung auf verschiedene Weise kon⸗ struirt wird, und zwar so, wie sie jetzt der §. 2 Absatz 3 in seinem zweiten und dritten Satz enthält. Hierin, aber nur hierin, ist eine Aenderung eingetreten. In dieser Aenderung wird aber in Betreff des Verfahrens ausdrücklich Bezug genommen auf den §. 123 des Landesverwaltungsgesetzes, und auch in Betreff der Auslegung dieses Gesetzes kann ich keine andere Erklärung abgeben, als in dem Gesetz selbst enthalten ist, daß nämlich die Einlegung der Beschwerde im öffentlichen Interesse auch dem Vorsitzendender Behörde zusteht, und, meine He rren, nach der ganzen Konstruktion unserer Verwaltungs· behörden können Sie nicht daraus folgern, daß eine Anweisung der vorgesetzten an eine untergebene Behörde über die Ausübung ihrer Rechte ausgeschlossen werden sollte; darüber kann auch kein Zweifel sein, denn eine solche Anweisung darf nicht ausgeschlossen werden, wenn Sie nicht das Gesetz überhaupt ändern wollen.

Was die einzelnen Anträge des Herrn Grafen von Klinckowström anlangt, so kann ich mich nur den Ausführungen des Herrn Referenten anschließen. Eine Vereinigung von Gutsbezirk und Landgemeinde kann sowohl in der Form erfolgen, daß daraus eine Landgemeinde oder ein Gutsbezirk entsteht; das ist selbstredend; daß wenn eine leistungsunfähige Gemeinde und ein leistungsfähiger Gutsbezirk zu⸗ sammengelegt werden, das in der Regel in der Form eines Gutsbezirks erfolgen wird, darüber kann auch kein Zweifel sein. Ob aber nicht ein⸗ mal ein Fall konstruirt werden kann, daß ein Gutsbezirk, der bereits nahe an der Grenze der Zersplitterung angekommen ist, der also außer dem gutsherrlichen Besitz eine große Reihe von fremdem Besitz umfaßt, in dem Falle, daß ihm eine leistungsunfähige Gemeinde zugelegt werde, nach dem Gutachten und den Beschlüssen des Kreisausschusses sich vielleicht mit Zustimmung des Gutsbesitzers selbst in Form einer Ge⸗ meinde besser konstruirt das kann man meines Er⸗ achtens durch das Gesetz von vornherein nicht aus⸗ schlieen. Ich glaube, durch den folgenden §. 3, wonach von den Selbstverwaltungsbehörden über die Art Vund Weise der Ausführung und der Auseinandersetzung entschieden werden soll, ist jede denkbare Garantie gegeben, sodaß dem Wunsche, dem der Herr Graf von Klinckowström in dem Gesetz Ausdruck geben will, da, wo es zweckmäßig erscheint, auch Rechnung getragen wird.

Was seinen zweiten Zusatz anlangt, so ist das Wort „bestimmend“ meines Erachtens zu unbestimmt, als daß man irgend eine Direktive für eine Behörde damit geben könnte, die anders lautete, als das⸗ jenige, was mit allgemeiner Uebereinstimmung in beiden Häusern des Landtages, in der Kommission und im Plenum konstatirt worden ist, daß nämlich die bloße Thatsache des Erhaltens von Zuschüssen zu Wege⸗, Ar men⸗ und Schulzwecken für sich allein nicht genügt zum Nachweis der Leistungsunfähigkeit einer Gemeinde oder eines Guts⸗ bezirks, daß aber wohl bei Prüfung dieser Frage auch das Erhalten

von Zuschüssen mit in den Kreis der Erwägungen gezogen werden kann und gezogen werden muß.

Was endlich den dritten Absatz anlangt, so verstehe ich nicht ganz, ob nach der Intention des Herrn Antragstellers die Voraus⸗ setzungen zu a, b und e alternativ oder kumulativ zutreffen sollen. Ich meine aber, man möge sie alternativ oder kumulativ fassen, sie sind aus den von dem Herrn Referenten vorgetragenen Gründen in jedem Falle unzutreffend und ich bitte das Haus um Ablehnung aller drei Zusatzanträge.

Graf von Klinckowström (thatsächlich): Er habe durchaus nicht die Erklärungen des Ministers für irrelevant erklärt, sondern er meine nur, daß die Anzahl dieser Erklärungen so groß geworden sei, daß sie nicht geeignet seien, eine Interpretation des Gesetzes darzustellen.

Graf von Brühl: Er halte den §. 2 für unannehmbar, denn er werde den Ruin für unsere Gutsbezirke herbeiführen. Er stehe nicht allein da in dieser Meinung, sondern stütze sich dabei auf weite Kreise der Bevölkerung, die ihm Recht gäben. ts

Wirklicher Geheimer Rath von ö „Er müsse dem Minister doch entgegenhalten, daß er nach dessen früheren und heutigen Erklärungen immerhin noch bedenklich sei über die Art, wie das Gesetz ausgeführt werden solle. Das Herrenhaus wolle doch schließlich nichts Anderes als das Abgeordnetenhaus; aber es müsse die Sache doch genau prüfen, ob das, was es erstrebe und was auch das Abgeordnetenhaus erstrebe, durch die Fassung des Gesetzes erreicht werde. Es handele sich um den wichtigsten Paragraphen des ganzen Gesetzes, und er sei entschlossen, dem entgegenzutreten, daß aus doktri⸗ nären liberalen Ansichten eine Veränderung der Selbständigkeit der einzelnen Gemeinden und der Gutsbezirke sich ergebe. Darum sei der Antrag gestellt worden. Nach §. 2, wie er vorgeschlagen sei, und wie er, fürchte er, durchgeführt werden werde, könnten geradezu monströse Gemeindebildungen entstehen.

Minister des Innern Herrfurth:

Ich möchte zunächst den Ausdruck meines Bedauerns darüber nicht zurückhalten, daß Seine Excellenz Herr von Kleist meinen Aus⸗ fübrungen, die ich als Antwort auf die Frage des Herrn Freiherrn von Manteuffel gegeben habe, nicht ganz gefolgt zu sein scheint: Denn ich habe in den Zahlen, die ich gegeben habe, nicht bloß die Fälle be⸗ zeichnet, in denen nach dem Gutachten der Selbstverwaltungs⸗ behörden entschieden worden ist, sondern auch den einen Fall unter ungefähr 600, in dem gegen das Gutachten entschieden worden ist; und ich wiederhole, einen zweiten kann ich nicht auffinden, denn es ist nur Einer vorgekommen. Er hat ferner an⸗ scheinend überhört, daß ich Hrn. von Manteuffel ausdrücklich erklärt habe, das Verfahren, welches pro praeterito stattgefunden habe, werde ebenfalls beibehalten werden, wenn es sich pro futuro um die Aus⸗ führung dieses Gesetzes handeln wird. Wenn nun Se. Excellenz diesen Hunderten von Fällen aus der Vergangenheit gegenüber auf die Tausende von Fällen verweist, welche auf Seite 45 der Motive, als einer künftigen Regelung harrend angeführt sind, und daraus folgert, daß die Absicht vorgelegen habe lediglich liberal⸗doktrinären Ideen bei einer Regelung der kommunalen ländlichen Verhältnisse unserer Ostprovinzen zu folgen, so kann ich ihn nur auf das ver⸗ weisen, was ich in Betreff dieser Zahlen bei der Einführung der Landgemeindeordnung im anderen Hause gesagt habe, nämlich, daß ich nicht in der Lage wäre, für die Richtigkeit dieser Zahlen einzustehen, weil sie nicht auf Zählungen, sondern auf Urtheilen beruhten, und zwar auf Urtheilen der Landräthe, welche darüber gehört worden seien, in welchen Fällen Mißbildungen und Zwergbildungen vorhanden wären, in welchen Fällen das öffentliche Interesse deren Beseitigung erheische und in welchen Fällen diese Beseitigung aus⸗ führbar sei. Wenn Herr von Kleist⸗Retzow wirklich zu der Annahme gelangt, daß bei solchen Zahlenergebnissen man liberal⸗doktrinären Ideen gefolgt sein müsse, so kann ich nur sagen, daß ich die Richtig⸗ keit jener Zahlen nicht habe kontroliren können, sondern sie nur den Berichten habe entnehmen müssen, wie sie mir von den Landräthen gebracht worden sind. Dann bin ich unbewußt ein Opfer der liberal⸗ doktrinären Ideen unserer Landräthe und Regierungs⸗Präsidenten ge⸗ worden. (Große Heiterkeit.)

Was die von Herrn von Kleist⸗Retzow gewünschten entgegen⸗ kommenden Erklärungen anbetrifft, so bin ich gern bereit, mich per⸗ sönlich so viel wie möglich entgegenkommend zu zeigen. Wenn es sich aber darum handelt, ob eine Bestimmung, die unzutreffend oder un⸗ klar oder überflüssig ist, in den Text eines Gesetzes aufgenommen werden soll, so hört eben ein persönliches Entgegenkommen auf, und es entscheidet nur, was zweckmäßig oder richtig ist oder nicht. Und da bin ich zu der Auffassung gelangt, daß die Anträge des Herrn Grafen von Klinckowström zu 1 und 2 nicht zur Klarstellung, sondern eher zur Verdunkelung führen und überflüssig sind, und daß der An⸗ trag zu 3 sogar schwere sachliche Bedenken gegen sich hat. Deshalb hört hier alles Entgegenkommen auf, und ich kann nur bitten, diese drei Anträge abzulehnen. (Bravo!)

Graf Mirbach: Er könne in der Vorlage nur die Vernichtung zahlreicher bäuerlicher Existenzen erblicken, an deren Aufrechterhaltung doch die Staatsregierung ein großes Interesse habe. In der Praxis werde der Stärkere immer über den Schwächeren siegen. Die Re⸗ gierung sollte, wenn die Vorlage Gesetz werde, diesen Gesichtspunkt nicht aus dem Auge verlieren.

Freiherr von Manteuffel: Die Antwort des Ministers ent⸗ spreche nicht ganz seiner Anfrage. Er (Redner) wisse nicht, ob bei einer ablehnenden Haltung der Selbstrerwaltungskörper gegen die Zusammenlegung die Haltung des Ministers ebenso entgegenkommend sein werde, wie er es vorhin ausgesprochen habe.

Minister des Innern Herrfurth:

Ich glaube mit Sicherheit annehmen zu können, daß bisher alle Fälle, in denen überhaupt eine solche Vereinigung möglich gewesen ist und ich darf wohl daran erinnern, daß, soweit es sich um ganze Ge⸗ meinden und ganze Gutsbezirke handelt, die Zustimmung der Be⸗ theiligten zur Zeit nothwendig ist und im öffentlichen Interesse gegen einen Widerspruch der Betheiligten nur eine Parzellenvereinigung vor⸗ genommen werden kann —, daß in allen solchen Fällen die Sache zur ministeriellen Cognition gelangt ist. Das aber kann ich mit Be⸗ stimmtheit sagen, daß kein Fall außer dem einen von mir erwähnten Fall unter etwa 600 zur Cognition des Ministeriums gelangt ist, in welchem gegen das Votum der Selbstverwaltungsbehörde die Ent⸗ scheidung getroffen worden ist.

Damit schließt die Diskussion.

„Die Anträge 1 und 2 des Grafen Klinckowström werden mit Majorität angenommen; über den dritten Antrag muß nach zweimaliger Probe und Gegenprobe nament⸗ lich abgestimmt werden. In dieser Abstimmung wird der An⸗ trag mit 77 gegen 59 Stimmen abgelehnt.

2 wird in der so modifizirten Fassung angenommen. ach §. 3 hat über die durch die renzveränderung noth⸗

wendig werdende Auseinandersetzung der Kreisausschuß zu be⸗

schließen. Bei derselben können einzelne Faene mit Präzipualleistungen herangezogen werden im Verhältniß F andern Betheiligten, welche für gewisse kommunale Zwecke bereits vor der Vereinigung für sich allein Fürsorge getroffen

n.

Ein Antrag von Kleist⸗Retzow will auch solche Betheiligte, welche vorwiegend Lasten in die neue Gemeinschaft bringen, zu solchen Vorausleistungen verpflichten.

Landes⸗Direktor von Levetzow: Es bestehe an manchen Stellen ein Mißtrauen gegen die Vorlage bezüglich der Frage, ob, wenn die Betheiligten über die Vereinigung von Landgemeinden und Guts⸗ bezirken nicht einig seien und der Kreisausschuß das Einverständniß derselben zu ergänzen habe, etwa eine generelle Anweisung an die Vorsitzenden des Kreisausschusses resp. des Bezirksausschusses ergehen werde, gegen einen das Einverständniß nicht ergänzenden Beschluß auf Grund des eeee. Rekurs einzulegen. Der Minister habe sich nicht deutlich darüber ausgesprochen, und er bitte ihn um eine bestimmte Auskunft, ob eine solche generelle Anweisung beab⸗ sichtigt sei.

Minister des Innern Herrfurth:

Meine Herren! Ich glaube zunächst, dem Herrn von Levetzow ent⸗ gegnen zu können, daß seine Frage gar nicht zu §. 3 paßt, sondern zu §. 2 hätte gestellt werden müssen. Ich glaube sodann, ich habe die Frage vorher bereits in unzweideutiger Weise beantwortet. Da er

aber noch nicht zufrieden gestellt ist, so will ich die Antwort so for⸗

muliren: es ist nothwendig, daß vom Vorsitzenden Beschwerde gegen den Beschluß eingelegt wird, wenn die Sache so liegt, daß durch den Beschluß das öffentliche Interesse verletzt wird. Glaubt der betreffende Vorsitzende, daß das öffentliche Interesse durch den Be⸗ schluß, sei er in zustimmender, sei er in ablehnender Weise erfolgt, verletzt worden, so ist er nach seinem Gewissen verpflichtet, Be⸗ schwerde einzulegen. Glaubt der Regierungs⸗Präsident, daß in einem zu seiner Kenntniß gelangten Falle nach der einen oder der anderen Richtung, sei es durch die Ahlehnung, sei es durch die Zu⸗ stimmung, eine Verletzung des öffentlichen Interesses stattgefunden habe, so ist er verpflichtet, den Landrath zur Erhebung der Beschwerde anzuweisen. Daß aber eine Anweisung dahin erlassen werde, wenn irgend eine Vereinigung, sei sie von den Betheiligten beantragt oder ex offieio zur Erörterung gebracht, vom Kreisausschuß abgelehnt werde, so solle dagegen ohne Weiteres vom Vorsitzenden die Be⸗ schwerde eingelegt werden, das würde mit den Intentionen und dem Wortlaut des Gesetzes im Widerspruch stehen, und eine Absicht zum Erlaß einer solchen Anweisung liegt nicht vor.

Wirklicher Geheimer Rath von Kleist⸗Retzow weist darauf hin, daß der von ihm beantragte Zusatz den andern Fall berück⸗ sichtige, in welchem Betheiligte besondere Lasten in die neue Gemein⸗ schaft hineinbrächten und bittet durch Annahme seines Antrags diese Lücke auszufüllen.

Minister des Innern Herrfurth:

Herr von Kleist wendet gegen die Fassung des §. 3 ein, daß in demselben nur eines der beiden Fälle gedacht werde, welche bezüglich der Verbands⸗Bildung im §. 130 ausdrücklich angeführt worden sind, und er glaubt, diese Lücke ergänzen zu sollen durch den Zusatz, welchen er zu Nr. 111 unter I. beantragt hat. Er hat sich dabei aber nicht an den Wortlaut des §. 130 gehalten, sondern hat einen anderen Wortlaut gewählt, sodaß er also nicht eine Kongruenz beider Paragraphen herbeiführt und gerade dadurch, daß er eine andere Fassung für denselben vorschlägt, zu der Vermuthung führt, daß er etwas anderes damit habe sagen wollen. Nun scheint mir auch die Fassung seines Antrages doch etwas zu allgemein gehalten zu sein. Wenn lediglich die Fälle, die §. 130 im Sinne hat und die auch wohl Herr von Kleist⸗Retzow dabei im Sinne gehabt hat, wirklich gedeckt werden sollen, würde man materielle Bedenken gegen seinen Antrag kaum erheben können. Nun spricht er aber von einer Aus⸗ gleichung für den Fall, daß die Betheiligten vorwiegend Lasten in die neue Gemeinschaft bringen. Man könnte diesen Ausdruck doch sehr weit ausdehnen. Wenn z. B. zwei Gemeinden miteinander vereinigt werden, weil ihre kommunalen In⸗ teressen einen erheblichen Widerstreit zeigen, die eine Gemeinde eine große Steuerkraft hat, vorzugsweise aus wohlhabenden Leuten bestehe, die zweite dagegen mit geringerer Steuer⸗ kraft vorzugsweise aus minder Wohlhabenden besteht und das ge⸗ sammte Steuersoll der einen nur ein Drittel so groß, wie das der anderen ist, so würden, wenn man die Gemeindeabgaben auf die Gesammtheit der Steuern gleichmäßig vertheilt, die Einen dreimal so viel wie die Anderen zahlen, und dann würde die Ausgleichung nach dem Wortlaut so weit ausgedehnt werden können, daß di

minder Wohlhabenden im Verhältniß wie 3: 1 zu den Präzipual⸗ leistungen herangezogen werden müßten. Das ist etwas, was, wie ich annehme, Herr von Kleist mit seinem Antrage auch nicht beabsichtigt. Ich will aber ganz offen sagen, ich lege einen großen Werth nicht

darauf, wie dieser Satz gefaßt wird, weil darauf möchte ich auf⸗ merksam machen, und ich glaube, das beseitigt alle Bedenken, sowohl

die, welche gegen die jetzige Fassung, als auch diejenigen, welche gegen die Einführung des bezeichneten Zusatzes erhoben werden, weil diese ganze Regulirung eigentlich nur ein Provisorium bedeutet.

Beide Betheiligte haben gegen die Auseinandersetzung, die der Kreisausschuß hat eintreten lassen, das Recht zur Be⸗ schreitung des Verwaltungsrechtsweges, sie können beide deswegen sich an die Verwaltungsgerichtsbehörden, schließlich an das

Ober⸗Verwaltungsgericht wenden, und deshalb wird, weil es sich hier um ein Provisorium handelt, auch meinerseits kein großer Werth

darauf gelegt, ob dieser Zusatz aufgenommen oder weggelassen wird. Aber ich glaube, er ist überflüssig und kann auch zu Miß⸗ deutungen Anlaß geben. Nocthwendig ist er jedenfalls nicht,

weil durch den Zusatz zu Nr. 2 das, was Herr von Kleist⸗Retzow

wünscht, erreicht wird. Nach einer kurzen Entgegnung des Wirklichen Geheimen

Raths von Kleist⸗Retzow wird der Antrag angenommen und o §S§. 4 bis 47 ohne Debatte. §. 48 regelt das Stimmrecht in der Gemeindeversammlung.

mit dieser Aenderung §. 3, ebenso

Die Kommissionsbeschlüsse enthalten eine Aenderung der Be⸗

schlüsse des Abgeordnetenhauses dahin, daß die für das mehr⸗ Steuersätze durch Ortsstatut

fache Stimmrecht geltenden bis auf die Hälfte (statt um ein Drittel) herabgesetzt werden können. Ferner will die Kommission den §. 48 durch eine Bestimmung ergänzen, wonach, Falls ein Ortsstatut durch Be⸗ schluß der Gemeindeversammlung nicht zu Stande kommt, auf Anrufen Betheiligter der Bezirksausschuß die statutarische Rege⸗ lung vorschreiben kann, wenn die Vertheilung der Stimmen im Mißverhältniß zur Meilnahmme an den Gemeindelasten steht.

8f inister des Ko chen Haus n Wedell bemerkt, daß

4 Feeepiüssion ihren Beschluß nur mit einer Stimme Majorität gefaßt habe.

Wirklicher Geheimer Rath von Kleist⸗Retzow will nur bei zerheblichem“ Mißverhältniß und durch den Kreisausschuß die Oktroyirung des Ortsstatuts gestatten.

Ober⸗Zürgermeister Bräsicke (Bromberg) tritt für die Annahme des §. 48 in der Fassung des Abgeordneten⸗ auses ein.

Herr von Bethmann⸗Hollweg beantragt, den von der Kommission beschlossenen Zusatz folgendermaßen zu fassen: „Auf Antrag des Kreisausschusses können durch Beschluß des Provinzial⸗ Landtages im Einverständniß mit dem Ober⸗Präsidenten die vor⸗ .be Sätze erhöht oder, höchstens jedoch um die Hälfte, ermäßigt werden.“

Ober⸗Bürgermeister Bräsicke: Sowohl die Kommission als auch die anderen Antragsteller stellten sich die Gefahr, daß die Bauern überstimmt werden könnten, doch zu bedeutend vor. Im Allgemeinen sei der reichste Bauer auch der tüchtigste und angesehenste und deshalb der Führer der Gemeinde. Nur wenn auf ihm ein Makel ruhe, gehe die Führerschaft auf den zweit⸗ reichsten Bauer über. Daß ein Büdner die Führerrolle über⸗ nehmen könne, werde sehr selten eintreten. Trete es ein, so sei das ein Zeichen, daß dieser Mann sehr tüchtig sei und eine solche Kraft werde der Landrath schleunigst zur Verwaltung heranziehen. Die Annahme der Beschlüsse des anderen Hauses sichere den Bauern das nöthige Uebergewicht. Er bitte deshalb, die Beschlüsse des Ab⸗ Senrcte. zu genehmigen.

Herr von Bethmann⸗Hollweg: Für den Fall, daß die gesetz⸗ liche Vorschrift nicht ausreiche, und daß die Gemeinde kein Ortsstatut erlasse, was sehr leicht denkbar sei, müsse Aushülfe eintreten, aber den Bezirks⸗ oder Kreisausschuß als die dazu geeignete Abhülfe ein⸗ zusetzen, sei nicht praktisch, weil diese Behörden den Verhältnissen zu nahe ständen und zu sehr von lokalen Rücksichten sich leiten lassen würden.zDer Provinzial⸗Landtag gebe eine größere Gewähr für Auf⸗ rechterhaltung rein sachlicher und größerer Gesichtspunkte

Minister des Innern Herrfurth:

Wenngleich ich den Ausführungen des Herrn Bürgermeisters Bräsicke über die Macht der Plutokratie in den Bauerngemeinden nicht beizutreten vermag, so glaube ich doch, daß er richtig den In⸗ halt des §. 48 dahin charakterisirt hat, daß dieser Paragraph in der

jetzigen Konstruktion die berechtigte Präponderanz des Grundbesitzes

der Angesessenen gegenüber den Nichtangesessenen und des größeren Grundbesitzes gegenüber dem kleineren in durchaus zufriedenstellender Weise regelt. (Sehr richtig!) Ich möchte deshalb auch glauben, daß es sich empfiehlt, jede Abänderung dieses Paragraphen sei es nach den Anträgen der Kommission, sei es auch nach dem Antrage des Herrn von Bethmann⸗Hollweg abzulehnen und denselben in der Fassung des Abgeordnetenhauses anzunehmen. Immerhin will ich mit der Erklärung nicht zurückhalten, daß ich gegen⸗

der Konstruktion, die Herr von Bethmann⸗Hollweg seinem Antrage jetzt gegeben hat, durchaus keineswegs mich unbedingt ablehnend verhalte. Dieser Antrag hat sogar Vorzüge vor den Be⸗ schlüssen des anderen Hauses, nämlich insoweit als er an Stelle des Ortsstatuts den Beschluß des Provinzial⸗Landtages auf Antrag des Kreisausschusses unter Hinzutritt der Genehmigung des Ober⸗Präsi⸗ denten substituirt. Es ist mit Recht hervorgehoben worden, daß bei der Beschlußfassung durch Ortsstatut, welche nur durch die Gemeinde⸗ versammlung erfolgen kann, die divergirenden Interessen innerhalb derselben Gemeinde in ausschlaggebender Weise zur Sprache kommen und daß daraus Unzuträglichkeiten entstehen können, welche vermieden werden, wenn aus der Initiative des Kreisausschusses die Sache ntsprechend der Vorschrift in §. 86 Absatz 2 der Kreisordnung an die Instanz des Prodinzial⸗Landtages gebracht wird. Ich darf

8 wohl annehmen es ist zwar in dem Antrage nicht direkt ausge⸗

prochen —, daß diese Regelung auf Antrag des Kreisausschusses ür den betreffenden Kreis sowohl im Ganzen, als auch für inzelne Theile desselben erfolgen kann. Herr von Bethmann⸗Hollweg scheint mir dies zu bestätigen, und wenn das noch vielleicht in dem Antrage Ausdruck fände, so würde das Bedenken, welches man nach dieser Richtung herleiten könnte, vermieden werden. Allerdings st mir in dem Antrage unerwünscht die Ermäßigung bis auf „die Hälfte“, weil ich glaube, daß durch die Ermäßigung auf ein Drittel auch dem Bedürfniß voll Genüge geleistet wird, und ich arf Herrn von Bethmann⸗Hollweg daran erinnern, daß in der Be⸗ stimmung des §. 86 der Kreisordnung, welche ihm den Anhalt zur Formulirung seines Antrages gegeben hat, sowohl die Erhöhung, als die Ermäßigung nur auf ein Drittel des Satzes von 225 normirt wird, und daß, wenn er diesem Beispiel folgen wollte, er auch das Drittel statt der Hälfte aufnehmen müßte. Dagegen glaube ich ganz entschieden Widerspruch gegen die Bestimmungen erheben zu sollen, welche die Kommission zu Absatz 4 der Nr. 2 des §. 48 herein⸗ getragen hat. Meine Herren, ich gebe zu, es ist gewissermaßen eine Ein⸗ fügung eines Theils des bestehenden Rechts in die neue Landgemeinde⸗ rdnung aber dieses Recht besteht eben nur deshalb, weil wir zur Zeit keine Landgemeindeordnung haben, weil eine gesetz⸗ 8 iche Bestimmung über die Bedingungen des kommunalen Stimm⸗ rechts fehlt, hier das Oktroyirungsrecht des Kreisausschusses ergänzend eintreten müßte. Wenn Sie aber in das Gesetz Bestimmungen auf⸗ nehmen, welche das Gemeinde⸗Stimmrecht allgemein regeln, wenn Sie der Gemeinde die Möglichkeit geben, durch Ortsstatut innerhalb gewisser Grenzen Abweichungen zu beschließen, dann aber noch diesen Absatz 4 hinzufügen, und den Bezirksausschuß ermächtigen, zu dekretiren: „wenn ihr nicht wollt, so müßt ihr“, so glaube ich, daß dies die Grundsätze einer Gemeindeverwaltung vollständig auf den Kopf stellen würde. Eine solche Vorschrift enthält einen Einbruch in die Regelung dessen, was der eigentliche Sinn und die Absicht der Land⸗ gemeindeordnung ist, und ich fürchte, daß zu einer derartigen Bestim⸗ mung weder die Zustimmung des anderen Hauses noch auch die Zu⸗ stimmung der Königlichen Staatsregierung zu gewinnen sein möchte. Ich halte eine derartige Bestimmung für prinzip⸗ widrig, für nicht nothwendig, ich halte sie für einen bedenklichen Eingriff in die Regelung unserer kommunalen Ver⸗ hältnisse, in das Prinzip der Gemeindeautonomie und ich würde bitten, diesen Antrag der Kommission abzulehnen. Mir würde das Wünschenswertheste sein, wenn in den Vorschriften des §. 48 über diese sehr schwierige Frage, die auch im Abgeordnetenhause zu eingehenden Verhandlungen und Kompromißverhandlungen geführt hat, Aenderungen überhaupt nicht eintreten. Sollten aber Aenderungen beschlossen werden, so würde ich dem Antrage von Bethmann⸗Hollweg vor dem Kommissionsbeschlusse weitaus den Vorzug geben.

Herr von Bethmann⸗Hollweg (thatsächlich): Er meine allerdings, daß sein Antrag sich nicht bloß auf ganze Kreise, sondern auch auf Theile von Kreisen beziehen solle, halte es aber nicht für nöthig, dies besonders im Gesetz auszudrücken. 8

Wirklicher Geheimer Rath von Kleist⸗Retzow: Dieser Para⸗ graph sei neben §. 2 der wichtigste des ganzen Gesetzes, und zwar

bandele es sich lediglich um den Bauernstand, die Gutsbezirke kämen hier gar nicht in Betracht. Die Bauern seien ihrer ganzen Natur nach konservativ gesinnt und würden eine Verleihung des Stimm⸗ rechts an Nichteingesessene unangenehm empfinden. Da dürfe man ihnen nun nicht gar die Möglichkeit der Ueberstimmung durch die Nichteingesessenen geben. Die Kommission habe die Vereinigung mehrerer Stimmen auf einen Bauern mit Recht vorgeschlagen, und das sei ein Ersatz der Dreiklassenwahl. Darum sei es gerechtfertigt, auch dort, wo, wie in Brandenburg, bisber Gleichstimmigkeit be⸗ standen habe, mehrfache Stimmen eingeführt würden. Er bitte, es bei seinem Antrage zu belassen, weil gerade die Berücksichtigun der lokalen Verhältnisse in Rechnung gezogen werden müsse, was na dem Antrage von Bethmann⸗Hollweg nicht in genügendem Maße der Fall sein dürfte. Dem Ober⸗Bürgermeister Bräsicke bemerke er, daß nicht immer der reichste auch der angesehenste Bauer sei, sondern daß gerade da häufig sich Neid und Umtriebe in einem unerfreulichen Grade geltend machten. 8 Herr von Helldorff: Das geltende Recht sei ursprünglich, daß jeder Bauer eine Stimme gehabt habe, und nur G. von Par⸗ zellirungen seien Modifikationen zugelassen worden. Wo aber solche Modifikationen einträten, da, glaube er, aus praktischen Gründen und nach der Erfahrung sei die Sache am Besten so geregelt, wie es das Abgeordnetenhaus vorgeschlagen habe. ber⸗Bürgermeister Bräsicke: Er bemerke Herrn von Kleist⸗ Retzow, daß er nicht lediglich vom reichsten Bauern, sondern auch vom tüchtigsten gesprochen habe Graf zu Eulenburg (Peassen): Er beantrage in dem Antrage von Bethmann⸗Hollweg zu setzen statt „Provinzial⸗Lanotag“ „Pro⸗ vinzialausschuß“, weil der Provinzial⸗Landtag nicht genügend Zeit haben werde, sich mit diesen Materien zu beschäftigen, während der Provinzialausschuß die geeignete Instanz für diese Sache sei. Landes⸗Direktor von Levetzow: Er empfehle die Annahme des Antrages von Bethmann⸗Hollweg, welcher geeignet sei, häufig eintretende Lücken insofern auszufüllen, als oft die Bauern nicht geneigt sein würden, das Ortsstatut zu erlassen und andererseits in den verschiedenen Theilen des Landes der Boden nicht überall den gleichen Werth habe. Der Vorschlag, den Provinzialausschuß an die Stelle dessen zu setzen, sei nicht empfehlenswerth, weil der Provinzial⸗ ausschuß eine kommunale Behörde sei und mit solchen Funktionen, wie sie hier vorliegen, nicht betraut werden sollte. Uebrigens werde that⸗ sächlich das, was Graf Eulenburg haben wolle, auch erreicht werden, weil alle Beschlüsse des Provinzial⸗Landtages vom Provinzial⸗ ausschuß vorzubereiten seien. 1

Staats⸗Minister von Puttkamer: Während er in der Kom⸗ mission zu der Minderheit gehört habe, die für die Annahme der Be⸗ schlüsse des Abgeordnetenhauses eingetreten sei, habe er sich doch aus dem Gang der Debatte überzeugt, daß die Annahme des Antrages von Bethmann⸗Hollweg das Beste sei. Er habe in der That vor dem Antrage von Kleist und vor dem der Kommission den Vortheil, daß danach die in Rede stehende Frage von größeren Gesichtspunkten aus und nicht nach lokalen Rücksichten erledigt würde. Den Grafen Eulen⸗ burg bitte er, seinen Antrag zurückzuziehen, weil, wenn auch der Provinzial⸗Landtag sich mit diesen Fragen zu beschäftigen nur wenig Zeit haben werde, der Provinzialausschuß doch die zu solchen Funktionen nicht geeignete Behörde sei; thatsächlich werde aber der Provinzialausschuß die Sachen so erledigen, wie es Graf Eulen⸗ burg wünsche, weil er alle Entscheidungen des Provinzial⸗Landtages vorzubereiten habe. b 8

Graf zu Eulenburg zieht seinen Antrag zurück.

Der Antrag von Bethmann wird fast einstimmig an⸗ enommen, darauf 8 48 mit diesem Antrage, ebenso ohne ebatte §§. 49 bis 74. 3

Um 3 ¾ Uhr wird die Fortsetzung der Berathung vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Getreideproduktion und Getreidehandel.

Wie schon früher einmal erwähnt, erscheint von den rühmlichst bekannten „Uebersichten der Weltwirthschaft“ von Dr. von Neumann Spallart, nach dem Tode des Verfassers jetzt eine neue Ausgabe, welche von Professor Dr. Franz von Juraschek (Verlag für Sprach⸗ und Handelswissenschaft, Dr. P. Langenscheidt, in Berlin) herausgegeben wird. Hiervon sind soeben die 2., 3. und 4. Lieferung erschienen. Es sind darin die gerade jetzt besonders interessirenden statistischen Mittbeilungen über die Pro⸗ duktion von Getreide und Brotfrüchten enthalten. Zunächst werden die Getreide⸗Export⸗Länder ausführlich be⸗ handelt. Lieferung 1 bebandelte die Vereinigten Staaten und zum großen Theil auch Rußland. In Lieferung 2 ist die Getreide⸗ produktion von Oesterreich⸗Ungarn, Rumänien, Serbien, Bulgarien mit Ostrumelien, europäische Türkei, Britisch⸗Ostindien, Algier und Australien bearbeitet; in Licferung 3 kommen Egypten, Canada, Chile, Tunis, Argentinische Republik, Uruguay und Japan hinzu. Die 3. Lieferung behandelt die Getreide⸗Import⸗Länder: Groß⸗ britannien und Irland, Frankreich, Deutschland, Belgien, Schweiz, Nieder⸗ lande, Italien, Lieferung 4: Spanien, Dänemark, Schweden und Norwegen, Finland, Portugal, Griechenland und Tripolis. Die An⸗ gaben beruhen auf den von den einzelnen Staaten selbst gemachten amtlichen Mittheilungen, theils auch auf sorgfältigen Schätzungen und reichen bis 1889 (einschl). .

Die mittlere Getreide⸗Produktion berechnet Juraschek in den Jahren 1878/87 für Weizen in sämmtlichen genannten Staaten zu⸗ sammengenommen auf 766,4 Millionen Hektoliter, für Roggen auf 455,8 Millionen Hektoliter. In den letzten acht Jahren hat die Produttion von Weizen, Hafer und Mais stetig zugenommen. Der Gesammtwerth der Ernten an allen Getreide⸗ und Brodfrüchten -uf der ganzen Erde wird für 1878/81 im Durchschnitt auf 27 067 Millionen Mark, für 1884 auf 22 092 Millionen Mark und 1887 auf 21 352 Millionen Mark berechnet, was einen beständigen Rückgang des Erntewerths bedeutet. Auch der Welthandel mit Getreide ist zurückgegangen: im Jahre 1877 betrug der Gesammtumsatz 6214 Millionen Mark, im Jahre 1888: 5529 Millionen Mark. Die Ursachen des Rückgangs sind vorzüglich in dem Preisfall des Ge⸗ treides zu suchen. Ganz besonders stark war der Rückgang des Gesammtumsatzes in den Jahren 1885 und 1886 in Folge der Er⸗ höhung der Zölle in einigen Ländern er ging auf 5087 bezw. 4805 Millio nen Mark zurück. 1

Was speziell Deutschland anbetrifft, so berechnet Juraschek, daß von der eigenen Produktion auf den Kopf der Bevölkerung im Jahre 1889/90 138,53 kg konsumirt und außerdem durch Mehr⸗ einfuhr 23,82 kg gedeckt wurde, sodaß sich der Gesammtkonsum auf 162,35 kgm belief. Ein fast gleiches Verhältniß wird für die Vorjahre nachgewiesen; es haben per Kopf stets je nach dem Ausfall der eigenen Ernte durchschnittlich 12 bis 26 kg durch Mehreinfuhr gedeckt werden müssen. Trotz vermehrter Anbauflächen vermochte Deutschland seiner Bevölkerung nicht die nothwendige Menge Ge⸗ treide zu gewähren. Die deutsche Getreideproduktion läßt ein Nahrungsdefizit zurück, welches durch Einfuhr fremden Getreides gedeckt werden muß. Hieraus ergiebt sich, daß wenn nicht die Ernährung der Bevölkerung schlechter werden soll, Deutschland mit einem Export⸗ land in Zollverbindung treten muß, welches das Defizit regelmäßig zu decken vermag. Dies wird klar, wenn man die thatsächlichen An⸗ gaben über die in Deutschland erfolgte Mehreinfuhr prüft.

In den Erntejahren 1880/84 wurden durchschnittlich jährlich mehr eingeführt: an Roggen 715 Millionen Kilogramm, an Weizen und Mehl 495,8 Millionen Kilogramm, an Gerste und Malz 335,0 Millionen Kilogramm, an Hafer 253,6 Millionen Kilogramm, zusammen 1799,5 Millionen Kilogramm; in den Jahren 1885/89 zusammen jährlich 1538,2 Millionen Kilogramm.

Dieses Quantum der Mehreinfuhr kann jedoch von Oesterreich⸗ Ungarn nicht allein gedeckt werden, da dieses in den betreffenden Pe⸗ rioden nur 538,5 und 906,7 Millionen Kilogramm mehr

ausführte. Der Verfasser bemerkt hierzu: „eine Zollverbindung dieser Staaten würde also eine vollkommene Bedeckung des Desizits für Deutschland nicht ergeben, aber immerhin eine beiden Theilen vor⸗ theilhafte Ausgleichung ermöglichen.“ 8

Die Frage der Getreideproduktion und des Getreidehandels erfährt in dem vorliegenden Werk eine erschöpfende Behandlung; es führt dem Wirthschaftspolitiker ein umfassendes Material vor Augen nnd gewährt ihm die Mittel, die richtige Nutzanwendung daraus zu ziehen.“

Bevorstehende Versammlungen und Kongresse.

Die deutschen landwirthschaftlichen Genossenschaften halten ihren siebenten allgemeinen Vereinstag vom 9. bis 12. Juni in Kiel ab. Der deutsche Verein für öffentliche Gesund⸗ heitspf lege hält seine 17. Versammlung zu Leipzig vom 17. bis 20. September. Die Verhandlungen werden sich auf folgende Gegen⸗ stände beziehen: 1) Selbstreinigung der Flüsse. 2) Handhabung der Gesundheitspolizei in Bezug auf Benutzung der Wohnung und ihrer Einrichtungen. 3) Anforderungen der Gesundheitspflege an die Be⸗ schaffenheit der Milch. 4) Kühlräume für Fleisch und andere Nahrungsmittel. 5) Schulspiele der deutschen Jugend. Der deutsche Verein für Knaben⸗Handarbeit hält seine Jahresversamm⸗ lung am 23. und 24. Mai in Eisenach ab. Den evangelisch⸗ sozialen Kongreß, welcher an 28. und 29. Mai in Berlin ab⸗ 8 gehalten wird, haben wir bereits erwähnt.

Ueber die Fürsorge für mittellose Wanderer

im Königreich Sachsen ist von einem besonderen Ausschusse, der die Begründung eines sächsischen Stationsverbandes anstrebt, eine Zu⸗ sammenstellung erfolgt, der wir folgendes Endergebniß entnehmen: In Sachsen gab es 1889: 118 Stellen, wo Durchreisende unterstützt wurden; 51 davon wurden von Bezirken unterhalten, 32 von Ge⸗ 8 meinden, 18 von Vereinen. 49 derselben verabreichten Geldgaben. 19 Tagesverpflegung, 49 Tages⸗ und Nachtverpflegung. An 30 Stellen wurde vor der Unterstützung eine Arbeitsleistung gefordert; 42 waren mit Arbeitsnachweisstellen verbunden. In diesen Stellen

im genannten Jahre zusammen 139 519 Wanderer unterstützt; ie

W“ hierfür liefen sich auf über 66 000

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Zur Arbeiterbewegung.

Die heute vorliegenden Nachrichten über die Ausstands bewegung in Belgien bestätigen eine weitere Verringe⸗ rung der Zahl der Strikenden, namentlich der ausständigen Bergleute. Immerhin ist die weitere Entwickelung der Be⸗ wegung noch nicht zu übersehen, da gestern noch der Generalrath der Arbeiterpartei und das Comitée der Bergarbeitervereinigung, welche in Brüssel zu gemeinsamer Berathung zusammengetreten waren, be⸗ 1 schlossen, den Strike in den großen Städten so weit möglich fortzusetzen und durch einen Strike der Dockarbeiter das Abladen von ausländischen Kohlen in Gent, Antwerpen, Ostende und Ter⸗Neuzen zu ö Ausländische Berg⸗ arbeiter haben, wie in der Versammlung mitgetheilt wurde, Unterstützung der Strikenden durch Geldspenden und Verhin⸗ derung von Kohlensendungen nach Belgien in Aussicht gestellt. Gestern Abend fand außerdem in Brüssel unter freiem Himmel ein Meeting statt, in welchem gegen das vom Bürgermeister erlassene Verbot einer Kundgebung protestirt wurde. Nach dem Meeting zogen etwa tausend Manifestanten nach der Börse. Hier stellte sich ihnen ein starkes Polizei⸗ aufgebot entgegen, welches jedoch trotz energischen Vorgehens alsbald zurückgedrängt wurde. Erst nach Ankunft von Ver⸗ stärkungen konnte die Polizei die Menge zerstreuen und zur Verhaftung von zehn Personen schreiten. Schon unter dem 12. d. M. war der „Köln. Ztg.“ aus Lüttich telegraphirt worden, daß die Abnahme der Ausstandsbewegung nicht er⸗ folge, ohne auf Widerstand zu stoßen. An dem erwähnten Tage beschlossen die Gewerkvereine, für die Stahlwerke und Walzwerke der Cockerill⸗Gesellschaft den Ausstand fortzusetzen. Trotzdem trat die Besserung der Lage schärfer hervor, da Dank dem Schutze, der den Arbeitern durch die Behörden zu Theil wird, die Aufnahme der Arbeit eine weit stärkere war, als am Montag. Für den gestrigen Tag wird die Gesammtzahl der belgischen Ausständigen auf 71 000 angegeben, wovon 14000 auf die Provinz Lüttich, 30 000 auf das Becken von Charleroi, 13 000 auf das Mittelbecken und 14 000 auf den Borinage entfallen. Trotz der Anstrengungen der Sozialisten und der Brotvertheilungen stellt sich eine allgemeine Abspannung ein. Gegenüber diesen günstigeren Meldungen wird aus La Louvieère vom gestrigen Tage telegraphirt, der Arbeiter⸗ strike greife weiter um sich. In der Kohlengrube von Mariemont seien nahezu sämmtliche Arbeiter ausständig. Man befürchte, daß das Walzwerk von Baume wegen Mangels an Feuerungsmaterial zum Stillstand gezwungen werden könnte.

In Framsries explodirte, wie ein Wolff’sches Telegramm aus Mons berichtet, in der Nacht zum Mittwoch eine Dynamit⸗Bombe; außer der Zertrümmerung einiger Fensterscheiben richtete dieselbe indeß keinen Schaden an.

Aus Wattenscheid schreibt man der „Rh.⸗Westf. Ztg.“, daß in Folge des Strikes im Ruhrgebiet und der damit zusammen⸗ hängenden Arbeitslosigkeit vieler Bergleute in den letzten Tagen zahl⸗ reiche Arbeiter, darunter viele mit Familien von dort verzogen sind. Die Iifes der Abgemeldeten in Stadt und Amt beträgt 150 bis 200.

n Leipzig beschloß eine Bildhauerversammlung die Beschickung des zu Pfingsten in Berlin stattfindenden Kongresses der deutschen Bildhauer, der sich mit der Organisationsfrage und der Verkürzung der Arbeitszeit beschäftigen und auch die dem deutschen Gewerksschaftskongreß gegenüber einzunehmende Stellung berathen wird. Eine Versammlung der Steinmetzgehülfen wählte einen Vertreter für den Pfin stkongreß der deutschen Steinmetzen in Stuttgart. Die Gultigkent des mit den hiesigen Arbeitgebern vereinbarten Lohntarifs ist auf weitere zwei Jahre verlängert worden.

Der Maurer⸗Kongreß zu Gotha beschäftigte sich am Montag, dem dritten Verhandlungstage, mit dem Bericht über das Fachorgan „Der Grundstein“, ferner mit statistischen Erhebungen über die Lage der Maurer Deutschlands und endlich mit der Frage der Neuorgani⸗ sation der Maurer Deutschlands. Der letztere Punkt wurde, wie der Bericht des „Vorwärts“ ergiebt, nicht erledigt. Der Referent Stanning bemerkte:

Eine Aenderung der Organisation sei schon lange angestrebt worden. Auf Beschluß des letzten Kongresses habe die Geschäfts⸗ leitung einen den Delegirten jetzt vorliegenden Entwurf aus⸗ gearbeitet. Im Jahre 1884 habe der Kongreß in Berlin wegen des Sozialistengesetzes von einer Centralisation Abstand ge⸗ nommen, dagegen habe der Kongreß in Halle, der Gewerkschafts⸗ kongreß und selbst die jetzige Opposition die Centralisation befürwortet. Einer der Einwürfe sei: ein Centralverband könne das nicht bieten, was die Einzelverbände böten, weil dann die Gewerkschaften keine politischen Fragen mehr erörtern dürften. Es sei dies aber gar kein Schaden. Die Verquickung der Politik mit der ge⸗ werkschaftlichen Agitation sei der Gewerkschaftsbewegung durchaus nicht dienlic. Da werde am Meisten geleistet, wo man beides getrennt halte. Redner beleuchtete sodann noch verschiedene Einwände gegen die Centralisation, und gab zum Schluß seiner Ueberzeugung

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