1891 / 117 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 21 May 1891 18:00:01 GMT) scan diff

vor Religion und Recht, mäßige Auflagen und gleiche Vertheilung der Lasten, Betrichsamfeit in Gewerbe, Industrie und Handel, günstiger Stand des Ackerbaues und Aehnliches. Je umsichtiger alle diese Hebel benützt und gehandhabt werden, desto gesicherter ist die Wohlfahrt der Glieder des Staats. Hier eröffnet sich also eine weite Bahn, auf welcher der Staat für den Nutzen aller Klassen der Bevölkerung und insbesondere für die Lage der Arbeiter tbätig sein soll; und gebt er auf dieser Bahn voran, so ist durchaus kein Vorwurf möglich, als ob er einen Uebergriff beginge; denn Nichts geht den Staat seinem Wesen nach niher an, als die Pflicht, das Gemeinwohl zu befördern, und je wirksamer und durchgreifender er es durch allgemeine Moßnahmen tbut, desto weniger brauchen ander⸗ weitige Mittel zur Besserung der Arbeiterverhältnisse aufgesucht zu werden. Es ist überdies die wichtige Wahrbeit vor Augen zu be⸗ halten, daß der Staat für Alle da ist, in gleicher Weise für die Niederen wie für die Hohen. Die Arbeiter sind vom naturrechtlichen tandpunkt nicht minder Bürger, wie die Besitzenden, d. h. sie sind wahre Theile des Staats, die am Leben der aus der Gesammtheit der Familien gebildeten Staatsgemeinschaft theilnehmen, und sie bilden zudem, was sehr ins Gewicht fällt, in jeder Stadt bei Weitem die größere Zahl der Einwohner. Wenn es also unzulässig ist, nur für einen Theil der Staatsangehörigen zu sorgen, den anderen aber zu vernachlässigen, so muß der Staat durch öffentliche Maßregeln sich in gebührender Weise des Schutzes der Arbeiter an⸗ nehmen. Wenn dies nicht geschieht, so verletzt er die Forderung der Gerechtigkeit, welche Jedem das Seine zu geben befiehlt.. Unter den vielen und wichtigsten Pflichten also, die ein für das Wohl seiner Unterthanen besorgter Fürst zu erfüllen hat, ist es eine der ersten, daß er allen Klassen seiner Unterthanen denselben Schutz angedeihen lasse, in strenger Wahrung jener Gerechtigkeit, die man die „vertheilende“ genannt hat. . 8 8

„Es ist eigentlich die Arbeit auf dem Felde, in der Werkstatt, der Fabrik, welche im Staat Wohlbabenheit herbeiführt. Es ist also nur eine Forderung strengster Billigkeit, daß der Staat sich der Arbeiter in der Richtung annehme, ihnen einen entsprechenden Antheil am Gewinn der Arbeit zuzusichern; die Arbeit muß ihnen für Wohnung, Kleidung und Nahrung so riel ab⸗ werfen, daß ihr Dasein kein gedrücktes ist. Wenn der Staat somit, wie es seine Pflicht ist, zur Hebung der Lage des arbeitenden Standes alles Thunliche ins Werk setzt, so fügt er dadurch Niemand Nachtheil zu; er nützt aber sehr der Gefammtheit, die ein offenbares Interesse daran bat, daß ein Stand, welcher dem Staate so nothwendige Dienste leistet, nicht im Elend seine Existenz friste. ...

„Droht der staatlichen Gesammtheit oder einzelnen Ständen ein Nachtheil, dem anders nicht abzuhelfen ist, so ist es Sache des Staats,“ einzugreifen. Es liegt sicherlich ebenso im öffentlichen wie im privaten Interesse, daß im Staat Frieden und Ordnung herrsche, daß das ganze Familienleben den göttlichen Geboten und dem Natur⸗ gesetz entspreche, daß die Religion geachtet und geübt werde, daß im privaten wie im öffentlichen Leben Reinheit der Sitte herrsche, daß Recht und Gerechtigkeit gewahrt und nicht ungestraft verletzt werde, daß die Jugend kräftig heranwachse zum Nutzen und, wo nöthig, zur Vertheidigung des Gemeinwesens. Wenn also sich öffent⸗ liche Wirren ankünd igen in Folge axuflehnerischer Haltung der Ar⸗ beiter oder in Folge von Arkeitseinstellungen, wenn die natürlichen Familienbande in den Arbeiterkreisen zerrüttet werden, wenn bei den Arbeitern die Religion gefährdet ist, indem ihnen nicht genügende Zeit und Gelegenheit zu ihren gottesdienstlichen Pflichten gelassen wird, wenn ihrer Sittlichkeit Gefahr droht durch die Art und Weise von gemeinschaftlicher Verwendung beider Geschlechter bei der Arbeit oder durch andere Lockungen zur Sünde, wenn die Arbeit⸗ geber sie ungerechter Weise belasten oder sie zur Annahme von Be⸗ dingungen nöthigen, welche der persönlichen Würde und den Menschen⸗ rechten zuwiderlaufen, wenn ihre Gesundheit durch übermäßige An⸗ strengung oder ihrem Alter und Geschlechte nicht entsprechende Anfor⸗ derungen untergraben wird in allen diesen Fällen muß die Auto⸗ rität und Gewalt des Staats sich geltend machen, jedoch ohne die rechten Schranken zu überschreiten...

„Doch es sind hier noch einzelne Momente besonders zu betonen. Das erste ist, daß die öffentliche Autorität durch entschiedene Maß⸗ regeln das Recht und die Sicherheit des privaten Besitzes gewährleisten muß. Die Bewegung der Massen, in welchen die Gier nach fremder Habe erwacht, muß mit Kraft gezügelt werden. Ein Streben nach Verbesserung der eigenen Lage ohne ungerechte Schädigung Anderer tadelt Niemand; aber auf Aneignung fremden Besitzes aus⸗ gehen und das unter dem thörichten Vorgeben, es müsse eine Gleich⸗ machung in der Gesellschaft erfolgen, des ist ein Angriff auf die Gerechtigkeit und auf das Gemeinwohl zugleich. Ohne Zweifel zieht es der allergrößte Theil der Arbeiter vor, durch die ehrliche Arbeit und ohne Beeinträchtigung des Nächsten sich zu einer besseren Stellung zu erschwingen. Aber zahlreich sind auch die Unruhestifter, die Verbreiter falscher Ideen, denen jedes Mittel recht ist, um einen Umsturz vorzubereiten und das Volk zur Gewaltthätigkeit zu verleiten. Es muß also die Gewalt dazwischen treten, dem Hetzen Einhalt ge⸗ bieten, die friedliche Arbeit vor der Verführung und Aufreizung schützen, den rechtmäßigen Besitz gegen den Raub sicherstellen.

„Nicht selten greifen die Arbeiter zu gemeinsamer Arbeits⸗ einstellung, um gegen die Lohnherren einen Zwang auszuüben, wenn ihnen die Anforderungen zu schwer, die Arbeitsdauer zu lang, der Lohnsatz zu gering scheint. Dieses Vorgehen, das in der Gegenwart immer häu⸗ figer wird und immer weiteren Umfang annimmt, fordert die öffent⸗ liche Gewalt auf, Gegenwehr zu ergreifen; denn die Ausstände gereichen nicht bloß den Arbeitgebern mitsammt den Arbeitern ins⸗ gemein zum Schaden, sie benachtheiligen auch empfindlich Handel und Industrie, überhaupt den ganzen öffentlichen Wohlstand. Außerdem geben sie erfahrungsmäßig Anlaß zu Gewaltthätigkeiten und Unruhen und stören so den Frieden im Staat. Dem gegenüber ist diejenige Art der Abwehr am Meisten zu empfehlen, welche durch ent⸗ sprechende Anordnungen und Gesetze dem Uebel zuvorzukommen trachtet und sein Entstehen hindert durch Beseitigung jener Ursachen, die den Konflikt zwischen den Anfor derungen der Brodherren und der Arbeiter herbeizuführen pflegen.“

Im Einzelnen wird dann die Nothwendigkeit der Sonntagsrube, des Arbeiterschutzes erörtert, die natürliche Forderung, daß der Lohn nicht zu gering sei, aufgestellt, Errichtung von Arbeiterausschüssen empfohlen, der Nutzen des Erwerbes eines, bescheidenen Eigenthums dargelegt und daran die Forderung geknüpft, daß der Staat nicht zu hohe Steuern erhebe, wodurch das Privateigenthum aufgezehrt werde. Schließlich wird noch der Segen korporativer Vereinigung, insbesondere der Orden und der christlichen Arbeitervereine betont. Die Encyelika schließt mit folgen⸗ den Worten:

„Möge jeder Berufene Hand anlegen und ohne Verzug, damit die Heilung des bereits gewaltig angewachsenen Uebels nicht durch Säumniß noch schwieriger werde. Die Staatsregierungen mögen durch Gesetze und Verordnungen vorgehen, die Arbeiter, um deren Loos es sich andelt, mögen auf gesetzliche Weise ihre Interessen vertreten; und da die Religion, wie Wir zu Anfang gesagt haben, allein zu einer vollkommenen inneren Abhülfe der Mihstände be⸗ fähigt ist, so möge sich die Ueberzeugung immer mehr ver⸗ breiten, daß es vor Allem auf die Wiederbelebung christ⸗ licher Gesinnung und Sitte ankommt, ohne welche alle noch so weisen und versprechenden Maßnahmen wahres Heil zu schaffen unvermögend bleiben. Was aber die Kirche angeht, so wird diese keinen Augenblick ihre allseitige Hülfe vermissen lassen. Ihre Thätigkeit wird um so wirksamer sein, je größere Freiheit der Bewegung ihr gelassen wird. Mögen dies namentlich diejenigen vor Augen haben, in deren Hände das Heil der Staaten gelegt ist.

„Mögen alle Glieder der Geistlichkeit ihre volle Kraft und allen Eifer der großen Aufgabe widmen, unter Eurer Führung und nach Eurem Beispiele, Ehrwürdige Brüder, unermüdlich die Grundsätze des heiligen Evangeliums allen Ständen vor⸗ halten und einschärfen, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln an der Wohlfahrt des Volkes arbeiten, vor Allem aber die Liebe, aller Tugenden Herrin und Königin, in sich bewahren

und in den anderen, Hohen wie Niederen, anfachen. Das Heil ist ja insbesondere von der vollen Bethätigung der Liebe zu erwarten, jener christlichen Liebe nämlich, die der kurz gefaßte Jabegriff der evange⸗ lischen Gebote, die, immer bereit, sich selbst für des Nächsten Heil zu opfern, das heilkräftigste Gegengift gegen den Hochmuth und Egoismus der Welt ist und deren göttliches Bild und Walten der Apostel Paulus mit den Worten gezeichnet hat: „Die Liebe ist geduldig, sie ist gütig; sie sucht nicht das ihrige; sie duldet Alles, sie es.“

trägt

Der Königliche Gesandte in Oldenburg Graf von der Goltz hat einen ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub an⸗ getreten.

Der Chef der Landesaufnahme, General⸗Lieutenant Schreiber hat sich mit Urlaub nach Harzburg begeben.

Der Ober Regierungs⸗Rath Haarland zu Arnsberg ist an die Königliche Regierung zu Erfurt versetzt, und es ist ihm daselbst die erledigte Stelle des Dirigenten der Finanz⸗ Abtheilung übertragen worden.

Der Regierungs⸗Assessor Hahn ist der Königlichen Re⸗ gierung zu Gumbinnen überwiesen worden.

Dem Regierungs⸗Assessor Sauerland ist die kom⸗ missarische Verwaltung des Oberamts Haigerloch, Reg.⸗Bez. Sigmaringen, übertragen worden.

S. M. Kanonenboot „Iltis“, Kommandant Korvetten⸗ Kapitän Ascher, ist am 19. Mai in Ngankin eingetroffen und beabsichtigt, am 22. Mai nach Kinkiang in See zu gehen.

S. M. Kanonenboot „Wolf“, Kommandant Korvetten⸗ Kapitän Hellhoff, ist am 20. Mai in Kelung eingetroffen 18 beabsichtigt, heute (21. Mai) nach Shanghai in See zu gehen.

Sachsen⸗Meiningen.

Meiningen, 16. Mai. Der „D. Z.“ zufolge wird der Landtag des Herzogthums für den 8. Juni d. J. einberufen werden, um die Mittel zum Bau der Bahnlinie Stockheim Sonneberg in der Höhe von ungefähr einer halben Million zu bewilligen. 11“

Oesterreich⸗Ungarn.

In beiden Häusern des ungarischen Reichstages wurde gestern ein Königliches Reskript verlesen, durch welches die vierte Reichstagssession geschlossen und die Eröffnung der fünften Session auf heute an⸗ beraumt wird.

Großbritannien und Irland.

Dem Marquis von Salisbury wurde gestern in Glasgow das Bürgerrecht der Stadt verliehen. In der Ansprache, mit der er darauf seinem Danke Ausdruck gab, betonte der Premier⸗Minister, dem „W. T. B.“ zufolge, daß Alle, die für die Leitung der europäischen Politik ver⸗ antwortlich seien, den sehnlichen Wunsch hegten, die Geißel des Krieges zu vermeiden. Je mehr Jahre verflössen und je mehr die furchtbaren Folgen eines Krieges für Jedermann sichtbar würden, desto mehr trete die Gefahr eines Krieges zurück. Lord Salisbury hob im weiteren Verlaufe der Rede die großen Fortschritte Persiens hervor, welches besseren Zeiten entgegen⸗ gehe. Es habe den Anschein und er hoffe es, daß Persien mit der Zeit stark genug werde, um niemals Ursache eines Konflikts zwischen christlichen Mächten zu werden. Das Aufblühen Egyptens während der drei letzten Jahre sei eine der be⸗ merkenswerthesten Thatsachen; eine ähaliche sei kaum während des letzten Menschenalters zu verzeichnen gewesen. Auf Afrika übergehend, betonte Lord Salisbury, wie es ein charakteristischer Zug der Engländer sei, die Civilisation und den Handel vermittelst Gesellschaften zu sördern, während andere Länder dieses Ziel von Regierungswegen verfolgten.

Frankreich.

Paris, 21. Mai. Bei dem gestern Abend von der Munizipalität von Toulouse zu Ehren des Präsidenten Carnot veranstalteten Banket hielt dieser, wie „W. T. B.“ berichtet, eine Rede, in welcher er die Unterrichtsfrage berührte und hervorhob: der Unterricht sei nicht allein eine Pflicht für die Republik, sondern er bilde auch eine soziale Garantie, da der Unterricht in dem Bürger das Gefühl seiner Würde und die Sorge für seine Freiheit erwecke.

Der französische Botschafter beim Vatikan Graf Le⸗ fevbre de Behaine hat dem Präsidenten Carnot im Auftrage des Papstes ein reich ausgestattetes Exemplar der Encyklika mit einem Handschreiben des Letzteren übersandt.

Von dem hiesigen serbischen Gesandten Gruic ist der Regierung die amtliche Mittheilung von der Aus⸗ weisung der Königin Natalie übermittelt worden.

In der Budgetkommission beantragte vorgestern, der „Köln, Ztg.“ zufolge, der Radikale Pichon als Bericht⸗ erstatter beim Etat des Ministeriums des Auswärtigen eine Erhöhung der jetzt eine Million betragenden geheimen Fonds um 300 000 Fr. 8 8

Italien. 1

Der Papst hat, wie dem „W. T. B.“ aus Rom be⸗ richtet wird, allen Staatsoberhäuptern ein Exemplar der Encyklika über die Arbeiterfrage im Pracht⸗ einbande übersandt. Die Sendung war bei den Ober⸗ häuptern von solchen Staaten, die eine beträchtliche Arbeiter⸗ bevölkerung besitzen, von einem eigenhändigen Schreiben des Papstes begleitet. Die Encyklika ist auch allen Minister⸗ Präsidenten sowie den hervorragendsten Staatsmännern und Nationalökonomen übersendet worden. „Nach einer Meldung der „Pol. Corr.“ aus Rom wird in Folge der Ersetzung des Msgr. Rotelli auf dem Nuntius⸗ posten von Paris durch den gegenwärtigen Sekretär der Kongregation für kirchliche Angelegenheiten, Msgr. Ferrata der apostolische Delegat in Bombay, Msgr. Ajuti, der bereits den Auftrag erhielt, Indien zu verlassen und sich nach Rom zu begeben, der Nachfolger Mfgr. Ferrata's werden. Auf den Posten des apostolischen Delegaten in Indien soll dann der polnische Prälat Msgr. Zalewski gesetzt werden, der gegenwärtig im Auftrage des Papstes zum Zweck der Errichtung von Priesterseminarien für die Eingeborenen in 8S weilt. er zum Nuntius in Lissabon bestimmte

ekretär der Propaganda Msgr. Jacobini soll durch Msgr.

†½ Persico, jenen Prälaten ersetzt werden, welchem seiner Zeit die Aufgabe übertragen war, nach Irland zu reisen, um Unter⸗ suchungen über die reiigiösen und sozialen Verhältnisse des Landes anzustellen. Es sei nicht ausgeschlossen, daß die Reihe der Veränderungen in der päpstlichen Diplomatie noch vor Ende des Jahres eine Erweiterung erfahren werde.

Der „Italia militare“ zufolge wird nunmehr das in allen Details fertiggestellte Modell des kleinkalibrigen neuen Gewehrs in ausgedehnter Weise in Probe genommen werden. Die Ankündigung des Kriegs⸗Ministers, daß die Fabrikation des Gewehrs im Jahre 1892 beginnen werde, findet damit ihre Bestätigung.

Portugal. 8

Eine gestern in Lissabon stattgehabte Versammlung von Industriellen hat die Bildung einer permanenten Kom⸗ mission zum Schutz der industriellen Interessen und zur Erwägung von Mitteln für die Beseitigung einer Krise auf dem Gebiet der Industrie und der Arbeit beschlossen. Der frühere Finanz⸗Minister Mariano Carvalho und der Industrielle Graf Burnay sind Mitglieder der Kommission.

Wie nach dem „W. T. B.“ in Lissabon verlautet, wollte Serpa Pimentel dem König noch gestern eine Minister⸗ liste unterbreiten.

Niederlande.

Der englische Gesandte im Haag hat, wie dem „W. T. B.“ zufolge in dortigen unterrichteten Kreisen ver⸗ lautet, dem Minister des Aeußern eine Entschädigungs⸗ forderung wegen der Beschädigung britischen Eigenthams gelegentlich der Unruhen in Surinam übermittelt.

Belgien.

Die Centralsektion der Kammer hat sich in ihrer gestrigen Sitzung einstimmig für das Prinzip der Ver⸗ fassungsrevision ausgesprochen. Die Majorität ist der Ansicht, daß die Revision den Bedingungen an⸗ gepaßt werden müsse, welche in den verschiedenen, Seitens der Centralsektion angenommenen Resolutionen aufgestellt sind. Die Sektion vertagte sich sodann auf unbestimmte Zeit, um ihrem Berichterstatter Zeit zu gewähren, seinen Bericht an die Kammer vorzubereiten. Der Präsident der liberalen Vereinigung, Haurez, hat, wie dem „W. T. B.“ berichtet wird, in Folge des Votums der Centralsektion gestern den König in einer ihm ertheilten Audienz dringend gebeten, sich bei den Ministern für eine schnelle Lösung der Krise zu verwenden, was durch den erwähnten Be⸗ schluß der Centralsektion erleichtertwerde. Der Bürgermeister von Brüssel gestattete für gestern Abend die Veranstaltung aller Kundgebungen unter der Bedingung, daß von den Arbeitern zur Aufrechterhaltung der Ordnung Vertreter aus ihrer Mitte ernannt würden. Demgemäß durchzog ein Auf⸗ zug von ungefähr 2000 Arbeitern unter dem Absingen der Marseillaise die Hauptstraßen der Stadt und zerstreute sich um 10 Uhr, ohne daß ein Zwischenfall erfolgt wäre.

Rumänien.

8

Bukarest, 20. Mai. Der König empfing nach einer Meldung des „W. T. B.“ gestern und heute die Gesandten Deutschlands, Oesterreich⸗Ungarns, Frankreichs, Englands, Italiens, Belgiens und den serbischen die Glückwunschschreiben ihrer

Geschäftsträger, welche Souveräne überreichten. Dem Leichenbegängnisse Joan Bratiano' wohnten der Thronfolger und der Erbprinz von Hohenzollern bei. Die Regierung war durch die Minister des Aeußern und des Krieges vertreten. .

Serbien.

Belgrad, 20. Mai. Ueber die Abreise der Königin

Natalie von Semlin berichtet „W. T. B.“ noch Folgendes

Die Abreise erfolgte um 10 Uhr. Zum Abschiede hatten sich zahlreiche Personen eingefunden, denen gegenüber sich di

Königin über die Regentschaft abfällig aussprach. Di

Königin bat ihre Freunde unter Thränen, für das Wohl des Königs zu sorgen. Oberst Horvatowitsch versprach, den König mit seinem Blute zu schützen. Die Fahrt der Königin und der dieselbe begleitenden persönlichen Freunde und An⸗

hänger vom Hotel nach dem Landungsplatze erfolgte in etwa fünfzig Wagen. Zahlreiche Personen warfen während der Fahrt zum Landungsplatze Bouquets in den Wagen der Königin. Polizeicordon abgeschlossen. Als der Wagen daselbst angekommen war, versuchte die Menschenmenge, Polizeicordon zu durchbrechen, wich jedoch zurück, als die Polizeibeamten ihre Seitenwaffe zogen. Nur die persönlichen Be⸗

kannten der Königin, etwa hundert Personen, erhielten Einlaß.

Diese und die am Ufer versammelte Volksmenge begrüßten die

Königin mit Ziviorufen, die Königin winkte denselben vom Schiffe ihrer Abreise

aus wiederholte Abschiedsgrüße zu. Vor ließ die Königin dem Polizei⸗Chef und den Behörden von Semlin für die freundliche Aufnahme danken. Dem Wunsche der Königin entsprechend, fuhr der Dampfer „Kasan“ durch die Alte Donau, sodaß er erst weit unterhalb der Belgrader Festung von serbischer Seite sichtbar wurde. Bei Wischnitza wartete eine große Volksmenge, um die Königin Vorbeifahrt zu begrüßen. Von Turn⸗Severin begiebt sich die

Königin ohne Aufenthalt auf der Donau nach Galatz und

von dort mittels der Eisenbahn direkt nach Jassy.

Vor ihrer Entfernung von hier übergab die Königin

einem hiesigen Advokaten eine bereits vorbereitet gewesene Klageschrift wegen Verletzung der staatsbürgex⸗ lichen Rechte mit dem Auftrage, dieselbe dem Staatsrathe zu überreichen.

Die Ruhe ist seit gestern nicht gestört worden. Behufs Verhinderung von Zuzügen von Außen sind militärische Maß⸗ nahmen getroffen worden.

Der Polizei Präfekt von Belgrad Todorowic hat um seinen Abschied gebeten.

Bei Besprechung der hiesigen Vorgänge am 18. d. M. sagt das „Journal de St. Pétersbourg“, es sei

fraglich, eb bei der Entfernung der Königin⸗Mutter mit der

nöthigen Umsicht verfahren worden sei. In Rußland, wo man dem Geschicke der unglücklichen Königin fortwährend die auf⸗ richtigsten Sympathien entgegen brachte, könne man diese Ereignisse nur beklagen, wenn man auch gleichzeitig wünsche, daß sie das Ende einer seit Jahren beunruhigten Lage be⸗ deuten möchten. Die herzlichsten Wünsche hege man für die Befestigung des Thrones des jungen Königs und dafür, daß Serbien nun nach einer schmerzlichen Epoche von Schwierig⸗ keiten und Agitationen in eine Aera der Ruhe und der gedeih⸗ lichen Entwickelung eintreten möge.

Der Landungspkatz war durch einen

den

jhi der

18

Der hiesige österreichisch⸗ungarische Gesandte hat, wie der „N. Fr. Pr.“ berichtet wird, eine Note über⸗ reicht, in welcher gegen die Verleihung eines ausschließ⸗ lichen Privilegiums zur Errichtung von Schlacht⸗ häusern an ein englisches Konsortium auf Grund des bestehenden Handelsvertrages protestirt wird. Die Note führt aus, daß durch dieses Privilegium die den österreichisch⸗ ungarischen Staatsangehörigen vertragsmäßig verbürgte Han⸗ delsfreiheit beeinträchtigt werde.

8 Amerika.

Chile. Wie der „Hamb. Börsenh.“ telegraphisch ge⸗ meldet wird, sei die Angelegenheit des chilenischen Dampfers „Itata“ mit dem amerikanischen Admiral in Iquique geordnet worden. Ueber den damit angedeuteten Ausgleich zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und Chile in dieser Angelegenheit wird aus Iquique über Paris ferner berichtet, daß das Schiff nach den getroffenen Ab⸗ machungen seine Gewehrladung sowie seine übrige 88 und seine Ausrüstung in Jquique landen dürfe, hierauf aber bis nach definitiver Beilegung des Streitfalls an den Komman⸗ danten des nordamerikanischen Geschwaders daselbst übergeben werden soll. Der von dem Präsidenten Balmaceda zur Uebernahme der in Frankreich gebauten Kriegsschiffe nach Paris gesandte Admiral Latorre hat, wie „W. T. B.“ von dort ferner erfährt, seine Entlassung gegeben, angeb⸗ lich, um dadurch seine Sympathie für die Kongreßpartei zu bezeugen. 1

Mit welchen Mitteln und unter welchen empörenden Grausamkeiten der Krieg zwischen den beiden Parteien in Chile geführt wird, erhellt aus den eingehenden Berichten über die stattgehabten Kämpfe im Norden, die jetzt erst eintreffen. Einem Bericht der „Times“ über die Schlacht bei Pozo Almonte am 7. März ist folgende Schilderung entnommen:

Gegen 9 Uhr war die Niederlage der Regierungstruppen voll⸗ ständig, alle ihre Geschütze und ihr Gepäck waren in den Händen der Aufständischen. Oberst Mendez vom 5. Santiagoer Regiment und viele andere Offiziere beider Parteien waren gefallen. Umher⸗ streichende Banden hatten sich auf dem Schlachtfelde Waffen geholt und griffen nun die Officinas, die Läden und die große Bodesa des Herrn Uvilles an und plünderten sie. General Conto (Führer der Aufständischen) versuchte, seine Truxppen in guter Ordnung zurück⸗ zuführen, ein Theil der Soldaten ging aber zum Polke über und plünderte mit ihm die Läden und die Wirthschaften. Wer Wider⸗ stand versuchte, wurde von den betrunkenen Soldaten einfach nieder⸗ geschossen, und selbst mehrere Offiziere, welche die Ordnung herstellen wollten, wurden ermordet. Die Nacht war fürchterlich füͤr die Be⸗ wohner von Pozo Almonte, sie wurden geschlagen oder erschossen und die Frauen geschändet. 84 Frauen gelang es, sich im Bahnhof zu verbergen. Um endlich den Greueln Einhalt zu thun, waren die Offiziere und der noch gehorsame Theil der Truppen gezwungen, die Betrunkenen niederzuschießen. Trotzdem dauerte noch am nächsten Tage der Aufruhr fort, und erst als General Lopez mit starker Truppenmacht nach einigen Tagen erschien, wurde die Ordnung wiederhergestellt. Die Zahl der Todten schätzt man auf 600 Mann, 500 lagen am nächsten Tage im Krankenhause.

Haiti. Dem „New York Herald“ wird aus Haiti ge⸗ meldet, daß in Port⸗au⸗Prince das Standrecht proklamirt worden sei. Die Depesche berichtet weiter:

Bewaffnete Soldaten patrouilliren Tag und Nacht durch die Straßen, und Niemand darf die Stadt ohne einen Paß verlassen. Es heißt, daß die Anhänger des abgesetzten Präsidenten, des Generals Legitime, durch ihre Wühlereien den Ernst der gegenwärtigen Lage verschuldet haben. Ferner wird gemeldet, daß der Minister für Finanzen und auswärtige Politik Firmier seine Demission ein⸗ gereicht habe. Die Gerüchte über ein angebliches Attentat gegen den General Hippolyte bestätigen sich nicht. Mit Ausnahme der Hauptstadt herrscht auf der Insel Ruhe.

Afrika.

Sansibar. Der Sultan hat laut Meldung des „R. B.“ aus Sansibar am Mittwoch dem Gouverneur von Deutsch Ost⸗Afrika, Freihern von Soden den offtziellen Besuch erwidert, welchen ihm derselbe am Tage vorher ab⸗ gestattet hatte.

Nach einer Meldung der „Times“ aus Sansibar wird demnächst eine 400 Mann starke Karawane nach dem Tanganyika⸗See aufbrechen, um die Sklaverei nach 89 5. Kardinal Lavigerie empfohlenen Plane zu unter⸗

rücken.

Congostaat. Das „Journal de Bruxelles“ meldet: Portugal und die Regierung des Congostaats seien zu einem Einvernehmen gelangt, dessen Unterzeichnung un⸗ mittelbar bevorstehe. Danach solle die Südgrenze des Congo⸗ staats den 8. Parallelgrad südlicher Breite bis zu dessen Kreuzung mit dem Kassaifluß entlang laufen und von da ab dem rechten Ufer dieses Flusses fo gen.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Portugal.

Durch eine im Diario do Governo vom 11. Mai 1891 ver⸗ öffentlichte Verfügung des Königlich portugiesischen Ministeriums des Innern sind die Häfen der Provinzen Rio de Janeiro, Pernambuco, Bahia und S. Paulo als des Gelbfiebers „verdächtig“ erklärt, hier⸗ von jedoch die Häfen Rio de Janeiro, Pernambuco und Santos aus⸗ genommen worden, welche nach wie vor als „verseucht“ gelten.

Egypten.

Der internationale Gesundheitsrath zu Alexandrien hat am 5. Mai 1891 beschlossen, mit Rücksicht auf den epidemischen Ausbruch der Cholera in Parigi und Savesoe auf der Insel Celebes gegen die Ankünfte aus den genannten Hafenorten bis auf Weiteres das zur Verhütung der Einschleppung der Cholera bestimmte Reglement in Kraft zu setzen. v

Handel und Gewerbe

Die am 11. Januar v. J. zwischen Portugal und der Türkei vereinbarte Deklaration zur Regelung der beiderseitigen Handelsbeziehungen ist am 15. Mai d. J. in Kraft getreten. Dieselbe enthält das gegen⸗ seitige Zugeständniß der Meistbegünstigung und soll an Stelle der für aufgehoben erklärten älteren Handelskonventionen bis zum Abschlusse eines neuen Handelsvertrags zwischen beiden Staaten in Geltung bleiben. vgs

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks

an der Ruhr und in Oberschlesien.

An der Ruhr sind am 20. Mai gestellt 10 043, nicht rechtzeitig gestellt keine Wagen.

In Oberschlesien sind am 19. d. M. gestellt 3246, nicht rechtzeitig gestellt 298 18-8 ahas 8

Subhastations⸗Resultate.

Beim Königlichen Amtsgericht I Berlin stand am 20. Mai 1891 das Grundstück in der Swinemünderstraße 71, dem Konditor Friedrich Handke gehörig, mit 11 560 Nutzungs⸗ werth veranlagt, zur Versteigerung. Das geringste Gebot wurde auf 504,35 festgesetzt. Ersteher wurde der Kaufmann Moritz Petzall. Oranienburgerstraße 53 wohnhaft, für das Meistgebot von 164 000

Verkehrs⸗Anstalten.

Der Bau der Rügenbahn ist, wie der „Berl. Aktionän mit⸗ theilt, im Laufe des letzten Jahres sehr gefördert worden; die Strecke von Bergen nach Saßnitz ist im Ganzen ziemlich fertiggestellt, ins⸗ besondere darf die Bahn von Bergen nach Sagard schon jetzt als betriebsfähig angesehen werden. Die Dammaufschüttungsarbeiten sind übrigens schon bis Saßnitz vollendet. Eine schwierige Arbeit be⸗ reitete der Ueberaang bei den Jasmunder Bodden, da es dort bei Lietzowfähre vieler Anstrengungen bedurfte, um für den Unterbau eine sichere Grundlage zu finden. Soweit man bisher zu übersehen vermag, ist Aussicht vorhanden, daß die ganze Bahn definitiv am 1. Juli d. J. zur Eröffnung gelangt, sodaß man dann von Stralsund aus in ca. zwei Stunden die ganze Insel wird durchfahren können. Was die in Sahnitz zur beschleunigten Beförderung der deutsch⸗schwedischen Post in Angriff ge⸗ nommenen Arbeiten für den Sicherheitshafen betrifft, so sind auch diese Bauten der Vollendung ziemlich nahe; es handelt sich nur noch um eine geeignete Befestigung der kunstvoll ausgeführten Anlagen, welche auch noch einer Vertiefung bedürfen.

Der Schnelldampfer „Fürst Bismarck“ hat, der „Hamb. Börsen⸗Halle“ zufolge, auf seiner ersten mit glänzendem Erfolge aus⸗ geführten Reise nach New⸗York folgende tägliche Distanzen zurück⸗ gelegt: 426 Meilen, 473 Meilen, 475 Meilen, 494 Meilen, 491 Meilen, 498 Meilen, Rest⸗Distanz 229 Meilen.

Der Dampfer lief also 3086 Meilen in 6 Tagen 14 Stunden und erzielte demnach eine höchste Tagesgeschwindigkeit von 20 und 89 Hgchsggeähschgrt für die ganze Reise von 19 ½ Knoten per

unde.

Die ganz unerwartet schnelle Reise des neuen 11 Schnell⸗ dampfers hat in New⸗York große Sensation hervorgerufen. Die Hamburg⸗Amerikanische Packetfahrt⸗Actien⸗Gesellschaft, deren Re⸗

räsentant in New⸗York bekanntlich Hr. Carl Schurz ist, hat Felütaee telegraphischen Bericht erhalten:

„Bismarcks“ vollständig unerwartete Ankunft am Freitag Abend hat hier die freudigste Ueberraschung hervorgerufen, aus allen Theilen des Landes laufen Glückwunsch⸗Telegramme ein, die Zeitungen bringen fast ausnahmslos ausführliche Artikel über die Reise. Der „Bis⸗ fhat die bisherige schnellste Erstlings⸗Reise noch um 7 ¼ Stunden übertroffen.

Eine für die Strecke Southampton —New⸗York berechnete ver⸗ gleichende Uebersicht der Erstlings⸗Reisen der berühmten englischen und deutschen Schnelldampfer stellt sich wie folgt: „Fürst Bismarck“ Reisedauer 158 Stunden, „Columbia“ Reisedauer 165 Stunden, „Normannia“ Reisedauer 166 Stunden, „City of Paris“ Reisedauer 166 Stunden, „Majestic“ Reisedauer 170 Stunden, „Augusta Victoria’' Reisedauer 170 Stunden, „‚Teutonic“ Reisedauer 174 Stunden, „Havel“ Reisedauer 174 Stunden, „Lahn“ Reisedauer 181 Stunden, „City of New⸗York“ Reisedauer 193 Stunden, „Spree“ Reisedauer 200 Stunden.

Besonders die deutsche Bevölkerung New⸗Yorks ist durch den unerwarteten Sieg der deutschen Schiffsbaukunst auf das Freudigste überrascht. Wenn man auch dem „Vulcan“ in Stettin, nachdem er die „Augusta Victoria“ für die Hamburger Packetfahrt sowie die „Spree“ und „Havel“ für den Bremer Lloyd erbaut hat, eine gute Leistung in seinem neuesten Erzeugniß zutraute, so war man allerseits doch weit davon entfernt zu glauben, daß der „Vulcan“ und in ihm die deutsche Schiffsbau⸗Industrie sich durch den Erfolg des neuesten Hamburger Schnelldampfers mit einem Schlage den Ehrenplatz erringen würde, an welchem man bisher nur die ältesten englischen Werften zu sehen gewohnt war.

Bremen, 20. Mai. (W. T. B.) Norddeutscher Lloypd. Der Dampfer „Havel“ ist auf der Rückreise nach Bremerhaven gestern Nachmittag 5 Uhr mit 405 Passagieren von Southampton abgegangen. Der Dampfer „Dresden“, von Baltimore kommend, ist gestern, der Dampfer „Hermann“ heute in Bremerhaven ein⸗ getroffen. Der Dampfer „Sachsen“ ist auf der eimreise von Ost⸗Asien heute von Antwerpen abgegangen. Der Dampfer „Lahn“ hat heute Morgen 8 Uhr auf der Reise nach New⸗York Beachy Head passirt, der Dampfer „Trave“ hat gestern Nachmittag 3 Uhr die Heimreise von New⸗York angetreten.

21. Mai. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd. Der Schnelldampfer „Lahn“ hat am 20. Mai, 2 Uhr Nachmittags, die Reise von Southampton nach New⸗Pork fortgesetzt. Der Schnell⸗ dampfer „Havel“, von New⸗York kommend, ist am 20. Mai, 5 Uhr Nachmittags, auf der Weser angekommen. Der Postdampfer „München“, am 7. Mai von Bremen abgegangen, ist am 20. Mai, 7 Uhr Morgens, in Baltimore angekommen.

Hamburg, 21. Mat. (W. T. B.) Hamburg⸗Amerika⸗ nische Packetfahrt⸗Aktiengesellschaft. Der Schnell⸗ dampfer „Columbia“ hat, von New⸗York kommend heute Morgen Lizard passirt. Der Postdampfer „Rugia“ ist heute Morgen auf der Elbe eingetroffen.

London, 20. Mai. (W. T. B.) Der Union⸗Dampfer „Durban“ ist gestern auf der Ausreise in Capetown angekommen. Der Union⸗Dampfer „Moor' ist heute auf der Ausreise von Madeira abgegangen, der Union⸗Dampfer „Nubian“ ist heute auf der Heimreise in Southampton angekommen.

Theater 1d Musik.

Kroll's Theater.

Der Königlich sächsische Kammersänger Erl aus Dresden begann sein diesjähriges Gastspiel wie im vorigen Jahre mit dem

Postillon von Lonjumeau“. Die Eigenart des Künstlers be⸗ steht in einer auffallenden und staunenswerthen Entwickelung der Kopfstimme, welche die schwierigsten Passagen und Triller mit einer Leichtigkeit und dabei mit einem angenehmen milden, wenn auch vielleicht etwas weichlichen Ton wiedergiebt, wie es in gleicher Weise wohl kein anderer Tenor im Stande ist. Das sind freilich auch die einzigen Vorzüge seiner dabei kunstgerecht ausgebildeten Stimme, die aber an sich wohl schon der Beachtung werth sind. In dem Vortrage des Postillon⸗ Liedes, der Arie im zweiten Akt, des im dritten Akt wie üblich einge⸗ legten Liedes „All Abend wenn ich zur Ruhe geh“ kamen diese Vor⸗ züge voll zur Geltung; aber auch von diesen Besonderheiten abge⸗ sehen, entfaltete er hierbei viel Wohllaut und Empfindung. Im Uebrigen besitzt die Stimme in der Tiefe und Mitte nicht allzu viel Glanz; aber die sorgfältige Schulung läßt über die Mängel hinweg⸗ sehen. Der Sänger wurde wie im vorigen Jahre durch lebhaften Beifall ausgezeichnet. Die Besetzung der übrigen Rollen war dieselbe wie im vorigen Sommer: Frl. Schacko (Madeleine), Hr. Theile (Marquis), Hr. Große (Bijou) waren in Spiel und Gesang an bbregn Plabe und trugen viel zu dem Gelingen der Vorstellung auch ihrerseits bei.

In der Vorstellung des „Oberon“ im Königlichen Opern⸗ hause am Sonnabend sind die Damen Hiedler, Herzog, Weitz und geurdagh. die Hrrn. Sylva, Lieban, Oberhauser und Stammer be⸗

äftigt.

Vielfachen Wünschen zu entsprechen, hat sich die Direktion des Deutschen Theaters entschlossen, von morgen ab für den Rest der gegenwärtigen Spielzeit alle Vorstellungen erst um 18 Uhr be⸗

8

ginnen zu lassen

Im Berliner Theater kommt am Sonnabend das Dumas'sche Lustspiel „Ein der Frauen“ mit Friedrich Mitter⸗ wurzer in der Rolle des Ryous wieder zur Aufführung. An dem⸗ selben Abend absolvirt Pia Claassen ihr zweites Debut in der Rolle der Miß Brown.

Im Friedrich⸗Wilhelmstädtischen Theater beginnen von Sonntag ab die Vorstellungen um ½8 Uhr. Die Operette „Nanon“ erfreut sich nach wie vor zahlreichen Zuspruchs und bleibt deshalb auch für die nächsten Wochen noch auf dem Spielplan.

Une visite de noces (Der Besuch nach der Hochzeit), die Komödie Alexander Dumas', die neuerdings im Théätre Français in Paris wieder aufgenommen wurde und einen großen Erfolg errang, ist von Direktor Sigmund Lautenburg soeben erworben worden und wird in nächster Saison auf dem Spielplan des Residenz⸗ Theaters erscheinen.

Marcella Sembrich singt morgen im Kroll'schen Theater als dritte Gastrolle die Martha. Außerdem treten in dieser Oper Hr. Birrenkoven als Lionel und der von früher bekannte und be⸗ liebte Vertreter des Plumket Hr. Riechmann auf. In der Sonn⸗ abend⸗Aufführung der „Weißen Dame“ singt Hr. Anton Erl den George Brown.

Im Sommergarten des Belle⸗Alliance⸗Theaters findet morgen das erste diesjährige Monstre⸗Concert statt, das ausgeführt wird von den vollständigen Militärkapellen des 3. Garde⸗Regiments z. F., des 1. Garde⸗Dragoner⸗Regiments und der Kapelle des Theaters (im Ganzen 100 Musiker). Bei eintretender Dunkelheit findet glänzende Beleuchtung des ganzen Gartens durch 50 000 Gas⸗ flammen, bengalisches Licht ꝛc. statt. Im Theater geht zum 6. Male die neu einstudirte allabendlich mit lebhaftem Beifall aufgenommene Posse „Tricoche und Cacolet“ in Scene. b 8

In der morgigen ersten Aufführung des Kneisel'schen Schwanks „Der liebe Onkel“ im Thomas⸗Theater sind die Damen Alberti, Friedemann, Gallus und Hocke und die Hrrn. Bollmann, Guthery, Jarno, Kurz und Walden thätig. Auf den Schwank folgt die No⸗ „Der Herr Graf', ein einaktiges Vaudeville von Theodor

Kitte.

Die erste Aufführung des Volksbühnenspiels von Henzen, „Die heilige Elisabeth“ im Festspielhause zu Worms, erzielte am Pfingstsonntag, wie man der „Köln. Ztg.“ meldet, einen durchschlagenden Erfolg. Der zweiten Aufführung am Pfingstmontag wohnte der Großherzog von Hessen mit Familie bei. Der Beifall war der gleiche wie an dem ersten Abend. Die nächsten Aufführungen finden am 21., 24., 26., 28. und 31. Mai statt.

Mannigfaltiges. 8

Der Plan für die Kirche, welche in Reinickendorf gebaut werden soll und deren Protektorat Ihre Majestät die Kaiserin übernommen hat, ist, der „N. A. Z.“ zufolge, bereits entworfen, und auch die erforderlichen Gelder sind zum größten Tbeil gesichert. Die Grundstücke sind geschenkweise dargebracht und die Leitung des Baues dem evangelischen Kirchenbauverein übertragen. Die Höhe der Bau⸗ summe ist auf 155 000 festgesetzt. Aufgebracht sind bisher 115 000 Es gaben Seine Majestät der Kaiser 80 000 ℳ, Ihre Majestät die Kaiserin 5000 ℳ, die Gemeinde Rosenthal 15 000 ℳ, und durch andere Beiträge wurden gesammelt 15 000 Mithin fehlen nun noch 40000 ℳ, die von der Gemeinde aufgebracht werden müssen. Mit dem Bau soll bald begonnen werden.

In Gegenwart des Staats⸗Ministers von Heyden erfolgte gestern Nachmittag der „Ausstoß“ des ersten Bundesbräues, welches in der neuen mit Staatsunterstützung errichteten „Versuchs⸗ und Lehrbrauerei“ gebraut worden ist. Der Bierprobe voran ging eine eingehende Besichtigung der Anstalt, welche mit einem Auf⸗ wand von 600 000 an der Ecke der See⸗ und Torfstraße erbaut worden ist. Die Brauerei, welche einen Theil der Landwirthschaft⸗ lichen Hochschule bildet, besteht aus einer Betriebs⸗ brauerei zur Erzeugung von 7000 hl „Bundesbräu“, einer Abtheilung für Versuche im Großen und einem Laboratorium. Dicht bei der Anstalt befindet sich ein großer Hopfengarten; die nach dem Tennensystem eingerichtete Mälzerei vermag das gesammte in der Anstalt gebrauchte Malz selbst zu erzeugen; im Sudhause findet man eine Braupfanne von 3510, eine Bierpfanne von 8100 1 In⸗ halt, einen 6872 1 fassenden Maischbottich und einen 6135 1 fassenden Läuterbottich. An Stelle des Kühlschiffs ist ein Pest'scher Kühl⸗ apparat eingerichtet, der durch einen Möller'schen Luftfilter seine Luft erhält. Der 20 Bottiche zu 2133 1 fassende „Gährkeller“, der hier im ersten Stock liegt, erhält gleich den Lager⸗ kellern seine Kälte durch eine Linde’sche Eismaschine. Die beiden Betriebsmaschinen haben zusammen 110 Pferdekräfte. Besonderer Werth ist auf die Sicherung des Betriebes gelegt; überall sind mustergültige Schutzmaßregeln getroffen, die Fahrstuhlthüren können z. B. nur geöffnet werden, wenn der Fahrstuhl unmittelbar vor der betreffenden Thür steht. Die ganze Anlage ist mit elektrischem Licht ausgestattet, das dort auch erzeugt wird. Bei der Bierprobe brachte der Staats⸗Minister von Heyden das Hoch auf Seine Majestät den Kaiser aus. Direktor Rösicke, der Vorsitzende des die Ver⸗ waltung der Anstalt leitenden Vereins „Versuchs⸗ und Lehranstalt für Brauerei“ toastete auf den Staats⸗Minister von Heyden, Professor Dr. Kny, der Rektor der Landwirthschaftlichen Hochschule, auf den genannten Verein. Auch der Professor Christian Hansen aus Kopenhagen, der Begründer der wissenschaftlichen Ausgestaltung des Brauereigewerbes, wohnte der Feierlichkeit bei.

Der Ober⸗Bürgermeister Dr. von Forckenbeck ist vom Urlaub zurückgekehrt und hat seine amtliche Thätigkeit wieder aufgenommen.

Die Neubauten für die erweiterte Arbeiterkolonie auf dem Grundstück Reinickendorferstraße 36a sind am Dienstag Abend mit einer Feier in der Kapelle der Berliner Arbeiterkolonie (ebendaselbst) eröffnet worden. Im Auftrage Seiner Majestät des Kaisers und Königs wohnte nach einem Bericht der „N.

r. Ztg.“ der Flügel⸗Adjutant Freiherr von Seckendorff der Feier bei. ie Feier wurde mit einem Gesang der Chorsänger der Arbeiterkolonie eröffnet; dann folgte Liturgie und Festpredigt vom Vorsitzenden des Vorstandes des Vereins für die Berliner Arbeiterkolonie P. L. Diestel⸗ kamp. Nach erneutem Chorgesang erstattete Inspektor Ohnasch einen Generalbericht über die Kolonie. Hierauf beschlossen Liturgie, Vaterunser und Segen sowie der gemeinsame Gesang „Unsern Ausgang segne Gott“ die weihevolle Handlang. Es folgte eine Besichtigung der neuen Räume, die zweihundert männliche Personen und darüber be⸗ herbergen, beköstigen und auch beschäftigen können. Die neue, von P. Diestelkamp geweihte Kapelle macht einen sehr freundlichen Eindruck. Orgel, Decken⸗ und Wandmalereien, Kanzel u. s. w. sind theils in dankbarer Erinnerung gespendete Gaben ehemaliger Kolonisten, theils die Werke zur Zeit in der Kolonie weilender Leute. Sehr zweckmäßig angelegt ist der Neubau des großen dreistöckigen Wirthschafts⸗, Speise⸗ und Schlafhauses. Zu ebener Erde liegen die Küchenräume u. s. w., im ersten Stock die Speisesäle, im zweiten und dritten Stock die Schlafgelasse. Ferner verdient die neue Werkstatt volles Lob. In dem alten Gebäude be⸗ finden sich jetzt Comptoirräume und einige Beamtenwohnungen. Insgesammt macht die Arbeiterkolonie einen in jeder Beziehung vor⸗ trefflichen Eindruck. Für die Erfolge ihrer Thätigkeit spricht auch der Umstand, daß sich die Verwaltung bereits mit den Plänen zu neuen Erweiterungen trägt.

Magdeburg, 20. Mai. Der am Freitag hierselbst verstorbene Rentner Friedrich Karl Schulze hat in seinem Testament die Stadtgemeinde Magdeburg zur Universalerbin seines Nach⸗ lasses eingefetzt. Das Gesammtvermögen wird der „Magdeb. 3.“ zufolge nach vorläufiger Schätzung etwa 1—1 ½ Millionen Mark be⸗ tragen. Der Erblasser betrieb in früheren Jahren im Stadtfelde eine Cichoriendarre und besaß aus diesem Unternehmen etwa