1891 / 127 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 02 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

8 Freiherr von Zedlitz und Neukirch aus Merseburg, von Lippa aus Liegnitz und von Guérard aus Düsseldorf haben am 30. v. M. die zweite Staatsprüfung für den höheren Verwaltungsdienst bestanden.

Am Sonntag war in Berlin ein Parteitag der Nationalliberalen, zu welchem etwa 400 Abgesandte aus allen Theilen des Reichs erschienen waren, versammelt. Von den dort gehaltenen Reden heben wir diejenige des Ober⸗Präsidenten von Bennigsen hervor, über welche die „Nationalliberale Correspondenz“ u. A. folgendermaßen be⸗ 1“ Redner warf einen Rückblick auf die Entstehung der Geschichte der nationalliberalen Partei und mahnte, diejenigen, die den nationalen Staat gewissermaßen als historisches Geschenk überkommen, möchten für Erhaltung des schwer Errungenen sorgen. Von den kleinen wirthschaftlichen und politischen Verhältnissen vor 1866 mache man

sich kaum mehr eine Vorstellung. Ein anderes Geschlecht sei groß geworden, mit anderem Gefühle und Interessen; die Grundanschauung sei aber bei einen Gesinnungsgenossen dieselbe geblieben, die Liebe zu einem freiheitlichen politischen Leben und die Hingebung an einen starken nationalen Staat. Die Schwierigkeiten und Hemmnisse der Begründung des letzteren beleuchtete der Redner eingehend. Die Aufgabe der Partei war damals, mit Kräften zusammenzuwirken, die in vielfacher Beziehung andere Anschauungen hatten. Verständigung im Reichstage war nothwendig und konnte, da sie nach links hin fast immer ver⸗ fagte, nur mit gemäßigten patriotischen Elementen der Rechten er⸗ folgen. Ein geordnetes Staatswesen setzte die Mitwirkung starker konservativer Elemente voraus. Daß solche Kräfte mit den Liberalen zusammenwirkten, habe große Erfolge zu Wege gebracht. In einer solchen vermittelnden Stellung habe die Partei Angriffe von allen Seiten über die Gerechtigkeit hinaus über sich ergehen. lassen müssen. Viel Feind, viel Ehr! Freie Bahn war für die Bethätigung ines regen Lebens auf allen Gebieten geschaffen. Die politische Be⸗ freiung, das Erwachen des nationalen Bewußtseins hatte alle Kräfte entfesselt. Namentlich unser wirthschaftliches Leben hatte seit 1871 einen Aufschwung genommen, der kaum für möglich gehalten worden. Die ruhige Entwickelung in Deutschland wurde durch verschiedene Ereig⸗ isse unterbrochen, den sogenannten Kulturkampf, das Uebermaß der Spekulation und Produktion und die daraus entstehende wirthschaft⸗ liche Krisis, dte dann das Verlassen des Systems des Freihandels zur Folge hatte. Die wirthschaftlichen Gegensätze haben seiner Zeit haupt⸗ sächlich eine Trennung der nationalliberalen Partei bervorgebracht und en Rückgang des Einflusses des liberalen Bürgerstandes gegenüber den Konservativen und Ultramontanen herbeigeführt.. In wirth⸗ schaftlicher Beziehung habe die Partei stets den Grundsatz fest⸗ ehalten, daß zoll⸗ und bandelspolitische Fragen nicht in das Pro⸗ gramm einer politischen Partei gehörten. Die Partei umschließe mehr als andere verschiedene landwirthschaftliche Gegensätze und wirth⸗ schaftliche Interessen; durch die Aufnahme wirthschaftlicher Fragen in das Programm würde eine Auflösung der Partei entstehen. Die Ansichten über den Schutz der Landwirthschaft seien sehr verschieden. Jedoch haben die Gegensätze einigermaßen an Schärfe verloren. Das Widerstreben gegen agrarische Zölle sei nicht mehr in dem früheren Maß vorhanden. Es sei die Ueberzeugung durchgedrungen, daß die Kornzölle nicht bloß dem Großgrundbesitz, sondern auch dem Bauern⸗ tande zu gut gekommen. Sllbst die freisinnige Partei trete mit großer Zurückhaltung an diese Fragen heran. In Deutschland drehten sich die Gegensätze jetzt mehr um das Maß und die Form des Schutzes für landwirthschaftliche Produkte, als um den Schutz selbst. Stimmen seien laut geworden, die von der Partei verlangen, sie solle sich schon jetzt gegen den österreichischen Ver⸗ rag, der noch gar nicht bekannt, grundsätzlich erklären, wegen der vpielleicht bevorstehenden Herabminderung der Kornzölle. Davor möchte Redner warnen. Jede einzelne Bestimmung könne ihre Beurtheilung nur im Zusammenhang des Ganzen finden. Der Redner hob auch den politischen Werth des Vertrages mit Oesterreich hervor und wies auf die nationale Bedeutung des früheren Zollvereins hin. Sodann ging der Redner auf die soziale Bewegung über. Die Aus⸗ ahmemaßregeln waren nicht im Stande, die Ausbreitung der Bewegung zu bindern, jedenfalls aber haben sie ihr den rohen und brutalen Charakter einigermaßen genommen. Man hat dann versucht, durch die Gesetzgebung den berechtigten Kern der Arbeiterforderungen zu berücksichtigen. Diese Gesetzgebung sei durch die Arbeiterschutz⸗ und Versicherungsgesetze zu einem gewissen Abschluß gekommen. Kein Land der Welt besitze ein so umfassendes System der Gesetzgebung zum Arbeiterwohl. Ein gewisser Stillstand sei aber jetzt zu empfehlen; die Gesetze seien praktisch schwer durchführbar, und es werde längerer Jahre bedürfen, um sie sich einleben zu lassen. In den Kreisen der Unternehmer seien diese Gesetze vielfach mit Miß⸗ trauen und Mißstimmung aufgenommen worden. Unsere Industrie produzire gegenwärtig in Folge dieser Gesetze ungünstiger als andere Länder. Aber diese Gesetze würden bald auch anderwärts eingeführt werden müssen und einen versöhnenden und beruhigenden Einfluß ausüben. Die Arbeiter werden sich überzeugen, daß es doch werthrolle Errungenschaften sind. Auf die Dauer könne dies Vorgehen seinen Einfluß nicht verfehlen. Die Arbeitgeber haben sich als die Stärkeren erwiesen, zumal wenn sie sich nach dem Beispiel der Arbeiter in Koalitionen zusammenthun. Wenn sie daneben Billigkeit, Gerechtigkeit und Schonung gegen die Ver⸗ führten neben der vollen Strenge gegen die Verführer walten lassen, so wird man das Vertrauen haben müssen, daß die Arbeiter sich der sozialdemokratischen Verleitung mehr und mehr entziehen. Den Arbeitern könne man keinen Vorwurf machen, daß sie das ihnen durch das allgemeine Wahlrecht eingeräumte politische Machtmittel benutzen; sie müßten es aber in den Grenzen des Rechts und Gesetzes thun. Redner beleuchtete schlicßlich die nationalpolitische Geschichte Deutschlands und die Ursachen, warum die Deutschen so spät und schwer zu einem nationalen Staat gelangen konnten. Eine Zersetzung der national⸗ liberalen Partei würde nur zur Verschärfung der schroffen Gegensätze von rechts und links führen. Auch innerhalb der Partei müßte man Verträglichkeit, Ausgleichung, Vertrauen, Duldung abweichender An⸗ sichten üben. Das Wohl des Vaterlandes solle unter allen Umständen höher stehen als die Interessen Einzelver. Mit einem warmen Appell an die Nation, festzuhalten an dem schwer Errungenen, schloß Redner S andauerndem, von Erheben von den Sitzen begleitetem eifall. b Der Parteitag nahm schließlich folgende Resolution an: „Der Delegirtentag erklärt: 1) daß es Aufgabe der Partei in Fragen der Reichs⸗ und Landespolitik ist, unter Betonung ibrer alt⸗ bewährten Treue zu Kaiser und Reich ihre durchaus selbständige, von der Rücksicht auf das Wohl des Ganzen geleitete, nach jeder Seite unabhängige Haltung zu bewahren und insbesondere die alten liberalen Grundsätze zu pflegen; 2) daß er auf sozialpolitischem Gebiet einen Ruhepunkt gekommen erachtet, der es ge⸗ stattet, der praktischen Durchführung der im letzten Jahr⸗ zehnt geschaffenen Gesetzgebung die volle Sorge zuzuwenden unter gleichzeitiger aufmerksamer Beobachtung der laufenden und etwa neu auftauchenden sozialen Bedürfnisse; 3) daß die Partei nach wie vor an dem Grundsatz festhält, daß wirthschaftliche Fragen nicht zur Grundlage politischer Parteien dienen sollen und deshalb in der Frage der Handels⸗ und Zollpolitik wie namentlich der Getreidezölle und des deutsch⸗österreichischen Handelsvertrages jedem Einzelnen nach seinem pflichtmäßigen Ermessen die Entscheidung überlassen bleiben muß.“

88 1“ v“ 111“

Sigma rin gen, 1. Juni. Seine Hoheit der Ihre Königliche Hoheit die Fürstin von Hohenzollern sind laut Meldung des „W. T. B.“ heute aus Italien hierher

zurückgekehrt.

ZBeallenstedt, 1. Juni.

Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach.

Weimar, 1. Juni. Seine Königliche Hoheit der Groß⸗ herzog ist nach achttägigem Aufenthalt in Jena von dort nach Schloß Belvedere zurückgekehrt. Von Jena aus besich⸗ tigte der Großherzog der „Th. C.“ zufolge den Schauplatz der vorjährigen Ueberschwemmung und nahm mit Befriedigung von den Wiederherstellungsarbeiten Kenntniß. Verschiedenen akademischen Anstalten wurden Besuche abgestattet. Am ver⸗ gangenen Freitag Abend wohnte Seine Königliche Hoheit der Sitzung der medizinisch⸗naturwissenschaftlichen Ge⸗ sellschft bei, in der u. A. Professor Dr. Barde⸗ leben über bieher unbekannte anatomische Arbeiten Goethe's sprach. Am Sonnabend brechte die Studentenschaft dem Durchlauchtigsten Protektor einen Fackelzug. Am selben Tage hatte der Großherzog einer Senatssitzung im Ober⸗Landes⸗ gericht und gestern Sonntag der Hauptversammlung der Geographischen Gesellschaft für Thüringen beigewohnt, in welcher Dr. Hans Meyer über Schneeberge in Afrika berichtete.

Die Erbgroßherzoglichen Herrschaften nehmen morgen ihre Sommerresidenz in Ettersburg.

Sachsen⸗Meiningen.

Meiningen, 1. Juni. Das Gesetzblatt für das Herzog⸗ thum Sachsen⸗Meiningen veröffentlicht die Einberufung des Landtages auf den 8. d. M. 3

Sachs en⸗Coburg⸗Gotha. 88

Coburg, 1. Juni. Ihre Großherzogliche Hoheit die Herzogin ist, wie die „Cob. Ztg.“ meldet, in der verflossenen Nacht hier wieder eingetroffen. B

Der Landtag des Herzogthums Coburg ist auf

den 11. Juni hierher einberufen worden.

Anhalt. Ihre Königliche Hoheit die Erbgroßherzogin von Mecklenburg⸗Strelitz ist dem „Anh. St.⸗A.“ zufolge mit Höchstihren Kindern, den Herzoginnen Marie und Jutta und dem Erbprinzen Friedrich von hier wieder abgereist. Schwarzburg⸗Sondershausen. Rudolstadt, 1. Juni. Seine Durchlaucht der Fürst hat sich nach derSchwzb.⸗Rud. Lde.⸗Ztg.“ heute zu mehrwöchigem Aufenthalt nach Drehna begeben. v“ Elsaß⸗Lothringen. Straßburg, 1. Juni. Der Kaiserliche Statthalter Für von Hohenlohe⸗Schillingsfürst ist nach der „Straßb.

Post“ gestern von Berlin hierher zurückgekehrt.

Oesterreich⸗Ungarn.

8 1“ Die Ergebnisse der Berathungen der erst des Weltpostkongresses über die Revision des Haupt⸗ vertrages liegen nach einer Meldung des „W. T. B.“ nun⸗ mehr dem Plenum des Kongresses zur definitiven Beschluß⸗ fassung vor. Die Kommissionsbeschlüsse betreffen unter Anderem die Abschaffung des bisher den über⸗ seeischen Staaten vorbehaltenen Rechts der Er⸗ hebung höherer Rekommandationsgebühren, ferner die Erhebung einer gleichmäßigen Zuschlagstaxe in allen Staaten für Korrespondenzen nach über⸗ seeischen Ländern. Mit Rücksicht auf die Verpflich⸗ tungen gegenüber den australischen Kolonien wurde von einer Aenderung in den Seetransitgebühren ab⸗ gesehen, hinsichtlich de Landtransitgebühren wurde der Vorschlag Deutschlands angenommen, nach welchem der nächste Weltpostkongreß durch die von dem internationalen Bureau zu veranstaltende Enquete in die Lage versetzt werden soll, die Frage zu entscheiden, ob es möglich sei, die Landtransitgebühren im Wege der Ablösung abzuschaffen. Die dritte Kommission des Kongresses, Vorsitzender Ober⸗ Postdirektor Sachse (Deutschland), Vize⸗Präsident Ansault (Frankreich), Berichterstatter Garant (Belgien) beginnt morgen ihre Thätigkeit mit der Revision des Post⸗ anweisungs⸗Uebereinkommens. 11“ Wien, 1. Juni. Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der Erzherzog Franz Ferdinand erfreute sich in der vergangenen Nacht eines ruhigen Schlafes. In der veutigen Sitzung des Herrenhauses wurde die Vorlage über die Reform des rechts⸗ und staats⸗ wissenschaftlichen Studiums nach den Vorschlägen der Kommission angenommen. Ein Amendement, betreffend die Wiederaufnahme der Statistik in die Reihe der pflichtmäßig zu hörenden Kollegien, wurde abgelehnt. e Im Abgeordnetenhause kündigte der Minister⸗ Präsident Graf Taaffe die Errichtung staatlicher Unter⸗ suchungsanstalten für Lebensmittel, sowie von Unterrichtskursen für Organe der Gesundheits⸗ polizei an, sobald die darauf bezügliche, heute eingebrachte Regierungsvorlage Gesetzeskraft erlangt habe, und brachte einen Gesetzentwurf, betreffend den Erlaß von Bestimmungen gegen die gemeingefährlichen sozialistischen Bestrebungen, ein. Der Handels⸗Minister Marquis Bacquehem legte einen Gesetzentwurf, betreffend die näheren Anord⸗ nungen wegen Einbeziehung des Freihafengebietes von Triest in das österreichisch⸗ ungarische Zoll⸗ gebiet, sowie, betreffend die Zustimmung zu der Anordnung der ungarischen Regierung wegen Eir⸗ beziehung Fiumes in das österreichisch⸗ungarische Zoll⸗ gebiet, vor. Dies Gesetz, welches auch dem ungarischen Unterhause zugegangen ist, verfügt: Vom 1. Juli ab findet der zollfreie Eintritt zollpflichtiger Waaren nur in die bestimmten Freibezirke oder in die unter zollamtlicher Mitsperre und Kontrole stehenden öffentlichen oder Privatmagazine statt. Die am 1. Juli vorhandenen Vorräthe zollpflichtiger auslän⸗ discher Waaren unterliegen der Zollpflicht, jedoch ist die gänzliche oder theilweise Rückausfuhr ins Ausland sowie die Unterbringung auf Freiplätzen und in öffentlichen oder Privatmagazinen unter zollamtlicher Mitsperre gestattet. Die Waarenkategorien, die bisher bei der See⸗Einfuhr Zollbefreiungen oder Zollbegünsti⸗ gungen genießen, behalten dieselben und werden durch weitere Waarenkategorien vermehrt werden. Die Abgeordneten Kyrle und Genossen richteten an den Ackerbau⸗Minister eine Anfrage in Betreff der Vorkehrungen zur Abwendung der e lG sähr in den Wäldern an der österreichisch⸗bayerischen renze. 8 Im Budget⸗Ausschuß interpellirte der Abg. Baern⸗ reither über den Stand der Valutaregulirungs⸗ Frage. Dem Vernehmen nach erklärte der Finanz⸗Minister

Dr. Steinbach, über den gegenwärtigen Stand der Frage sei eine Auskunft deshalb noch unmöglich, weil die Verhand⸗ lungen darüber noch schwebten; eine stabile Valuta sei für Oesterreich⸗Ungarn von hohem Interesse. Die⸗ selbe ist nach Ansicht des Ministers nur durch Ver⸗ wendung des Goldes als Währungsmetall zu er⸗ reichen. Die Einführung des klassischen Bimetallismus sei in Oesterreich zur Zeit unmöglich. Die Fragen Betreffs der Goldausprägung, Goldbeschaffung und Golderhaltung er⸗ forderten budgetäre Opfer, welche noch Gegenstand der Er⸗ örterung seien und namentlich bei dem zwischen den Staats⸗ noten und Salinenscheinen bestehenden Zusammenhange be⸗ deutende sein würden. Die Frage sei außerordentlich schwierig und erfordere die größte Vorsicht. Die Herbeiführung einer dauernden Stabilisirung der Währung müsse unentwegt im Auge behalten werden. 3

Beim Prager Bezirksgericht stand heute Verhand⸗ lung in der Privatklage an, welche in Betreff des bekannten Vorfalls auf der Landesausstellung gegen Müller von Cziczek angestrengt worden ist. Der Beklagte Müller bestritt, daß er, wie von Cziczek behauptet wird, den Ausruf „Böhmische Bagage“ gethan oder überhaupt auch nur gehört habe. Die Verhandlung wurde von dem Gerichtshof bis nach Erledigung der anderen, von dem öffentlichen Ankläger gegen Cziczek ge⸗ führten Anklage vertagt.

Großbritannien und Irlad.

In der gestrigen Unterhaussitzung erklärte der Unter Staatssekretär Fergusson: das Verbot eines französi⸗ schen Marine⸗Offiziers in Neufundland, Fisch⸗ köder amerikanischen Fischern zu verkaufen sei ein Eingriff in die Rechte der britischen Unterthanen und eine Aneignung der Jurisdiklion, welche den souveränen Rechten der britischen Krone zuwiderlaufe. Die Regierung habe die Angelegenheit sofort zur Kenntniß der französischen Regierung ge⸗ bracht. Die zweite Lesung der Bill, betreffend den Robben⸗ fang, wurde sodann einstimmig angenommen. Der erste Lord des Schatzes Smith erklärte: der Zweck der Bill sei die Streitfrage mit Amerika mittels eines Schiedsspruchs zu lösen. Das Verbot des Robbenfangs im Behringsmeer solle bis zum 1. Mai 1892 aufrecht erhalten werden. Das Verbot solle er⸗ folgen, Falls Rußland der Untersagung des Robbenfangs im Behringsmeer beistimme.

Bei der gestrigen Ersatzwahl zum Unterhause in Paisley an Stelle des verstorbenen Deputirten Barbour (Gladstonianer) wurde Dunn (Gladstonianer) mit 4145 Stimmen gegen den unionistischen Liberalen Me Kerrel ge⸗ wählt, welcher 2807 Stimmen erhielt.

Aus St. Johns (Neufundland) vom 1. Juni wird gemeldet, daß die Regierung der Vereinigten Staaten ein Panzerschiff nach der St. Georges⸗Bai gesandt habe, um über die oben erwähnten französischen Eingriffe, welche 584 amerikanischen Fischer schädigen, eine Untersuchung anzu⸗ tellen. Der Zustand des canadischen Premier⸗Ministers Mac⸗ donald hat sich, Nachrichten aus Ottawa vom 1. Juni zufolge, bedeutend verschlechtert; sein Ableben wird für bevor⸗ stehend gehalten.

Frankreich.

Paris, 2. Juni. Der portugiesische Finanz⸗Minister Carvalho wurde, wie „W. T. B.“ berichtet, heute durch den portugiesischen Gesandten D'Antas dem Präsidenten der Republik, Carnot, vorgestellt. 8

Der Senat hat gestern die Vorlage betreffend, die Rennwetten, mit einigen redaktionellen Aenderungen an⸗ genommen, welche es nöthig machen, daß die Vorlage an die Kammer zurückverwiesen wird. In der Depu⸗ tirtenkammer interpellirte Basly die Regierung wegen Auflösung mehrerer Arbeiter⸗Syndikatskammern. Der Justiz⸗Minister Fallières erkannte an, daß das Gesetz Betreffs der Syndikate nicht ausreichend sei. Der Minister⸗ Präsident de Freyeinet erklärte, die Regierung werde die Frage heute in einem Kabinetsrath untersuchen und unver⸗ züglich eine Vorlage einbringen, durch welche das Syndikats⸗ gesetz geändert werde. Die Regierung verlangte alsdann die einfache Tagesordnung, welche angenommen wurde.

Rußland und Polen. 1 uu“

Die Kaiserin hat mit der Großfürstin xenia gestern Moskau verlassen und sich nach Livadia begeben. Eben dorthin ist auch der Großfürst Michael Nikolajewitsch und dessen Sohn, Großfürst Alexander Michailo⸗ witsch abgereist. Der Kaiser hat Moskau gestern ebenfalls verlassen und ist nach St. Petersburg zurückgekehrt. Vor der Abreise besichtigte die Kaiserliche Familie noch die mittel⸗ asiatische Ausstellung, das Hospital und die Militärschulen.

Aus Wladiwostock vom 31. Mai wird berichtet: Der Großfürst⸗Thronfolger wohnte gestern der Grundstein⸗ legung zu einem neuen Dock bei. Heute fand in Gegenwart des Großfürsten⸗Thronfolgers die Eröffnung des ersten Theiles der Ussuri⸗Strecke der sibirischen Eisen⸗ bahn statt. Der Großfürst, mit lebhaften Jubelrufen be⸗ grüßt, fügte persönlich den Grundsteinen der Eisenbahn und des Stationsgebäudes silberne Gedenktafeln ein und befuhr sodann im Waggon die 2 ½ Werst lange Strecke der Eisenbahn.

Der „Nowoje Wremja“ zufolge sollen die hebräischen Elementar⸗ und Kirchenschulen unter strengere Kontrole der Regierung gestellt werden. Mehrere Blätter wollen ferner wissen, daß dem Reichsrath der Entwurf für die Gründung

eines in St. Petersburg zu errichtenden medizinif chen I n⸗ E“

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stituts für Frauen zugegangen sei.

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Italien.

Das gestern vom Papst abgehaltene Konsistorium begann um 10 ³¾ Uhr. In demselben ernannte der Papst den apostolischen Nuntius in Paris, Monsignor Rotelli und den Erzbischof Gruscha von Wien zu Kardinälen und präkonisirte zwanzig Bischöfe (darunter den Bischof von Straßburg), wobei er eine Allokution hielt. Der Inhalt der letzteren wird geheim gehalten, jedoch vernimmt „W. T. B.“ aus Rom, daß die Encyklika über die Arbeiterfrage den Hauptgegenstand der Allokution bildete. Der Papst soll sich dahin ausgesprochen haben: es sei sehr trostreich, daß die Regierungen in richtiger Werthschätzung der von der Kirche vorgeschlagenen Maßnahmen zu einer Mitwirkung an der Lösung der sozialen Frage bereit seien.

In Mailand fand am Sonnabend und Sonntag die Delegirten⸗Versammlung der italienischen Frie⸗ densgesellschaften statt. Zum Präsidenten wurde der Deputirte Maffi, zu Vize⸗Präsidenten Pandolsi und Pareto

vier Armee⸗Corps gebildet. Art. 2.

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gewählt. Die Versammlung nahm, wie dem „W. T. B.“ be⸗

richtet wird, die Anträge des Referenten an, eine Kommission von drei Mitgliedern zu ernennen, welche einen inter⸗ nationalen Kongreß in Rom vorbereiten und eine Re⸗ solution feststellen soll, wonach den Legislativen die Entschei⸗ dung über Krieg und Frieden heseeedeen werde. Der Kongreß soll die Nothwendigkeit betonen, daß die Friedens⸗ gesellschaften sich mit der sozialen Frage beschäftigen, daß die Deputirten an einem internationalen Parlament heilnehmen und auf demselben die Abrüstung und chiedsrichterliche Austragung vertreten. Die Versamm⸗ lung beschloß ferner, politische Fragen auf dem Kongreß im Geiste der Eintracht zu behandeln, und einen internationalen Kongreß in Chicago im Jahre 1893 während der Ausstellung abzuhalten. Außerdem wurde ein Vorschlag, betreffend die Bildung eines internationalen Centralbureaus der Friedensvereine, genehmigt. Schließlich nahm die Ver⸗ sammlung den Antrag an, die Regelung der italienisch⸗ amerikanischen Streitfrage dem internationalen Institut in Genf zu überweisen. Der Konferenz wohnten viele Delegirte

italienischen Vereine, Deputirte, Professoren und Provinzial⸗

und Kommunalräthe bei.

Spanien. 3

Der Minister des Innern Silvela erklärte in der igen Sitzung der Deputirtenkammer, daß in Bilbao ieder hergestellt sei. (s. „Arbeiterbewegung 9.

.“ gestr die Ordr ͤ Das von der Regierung den Cortes vorgelegte Budget

pro 1891/92 beläuft sich auf 42 917 Contos Reis in Ein⸗

nahmen und 44 857 Contos Reis in Ausgaben. Schweiz.

In Bern ist gestern die ordentliche Sommersession der

Bundesversammlung eröffnet worden. Zum Präsidenten des Nationalraths wurde der bisherige Vize⸗Präsident Lachenal⸗Genf (radikal) und zum Vize⸗Präsidenten Holdener⸗ Schwyz (ultramontan) gewählt. Der Letztere hat jedoch die Annahme der Wahl abgelehnt. Der Ständerath wählte den bisherigen Vize⸗Präsidenten Göttisheim⸗Basel (radikal) zum Präsidenten und Schaller⸗Freiburg (ultramontan) zum Vize⸗Präsidenten. 1 S

Der Präsident der Republik der Vereinigten Staaten von Brasilien hat den Baron de Agniar d'⸗Antrada zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der Eidgenossenschaft ernannt; der Gesandte wird am Dienstag dem Bundesrath seine Kreditive überreichen.

Der den eidgenössischen Räthen vorgelegte Gesetz⸗ entwurf des Bundesraths, betreffend die Errichtung von vier Armee⸗Corps an Stelle der bisherigen acht Divisionen, lautet:

Aus den Truppen der acht Armee⸗Divisionen werden

Ein Armee⸗Corps besteht aus dem Armee⸗Corpsstab, zwei Divisionen, der Kavallerie⸗Brigade, der Corps⸗Artillerie, dem Corps⸗Park, dem Brückentrain, der Telegraphen⸗Compagnie, den Sanitäts⸗ und Verpflegungs⸗Anstalten des Armee⸗Corps. Art. 3. Der Stab des Armee⸗Corps wird gemäß der diesem Gesetze beigefügten Tafel gebildet. Die neu aufzuneh menden Truppenverbände werden aus den ent⸗ sprechenden Einheiten der beiden zum Armee⸗Corps vereinigten Divisionen gebildet. Der Bundesrath ist befugt, durch Verordnung e nach Bedürfniß Aenderungen in der Zusammensetzung dieser Ver⸗ bände und ihrer Stäbe vorzunehmen. Art. 4. Die Komman⸗

danten der Armee⸗Corps werden vom Bundesrath frei aus den höheren

ffizieren gewählt, die Kommandanten der Divisionen auf den unver⸗ indlichen Vorschlag einer Kommission, welche unter dem Vorsitze des Chefs des Militär⸗Departements aus den Armee⸗Corps⸗Komman⸗ danten, den vier Waffen⸗Chefs und dem Chef des Stabs⸗Bureaus

besteht. Art. 5. Die Bestimmungen der Mil itärorganisation vom

13. November 1874, welche mit gegenwärtigem Bundesgesetze in

e perch stehen, werden aufgehoben. Art. 6. Referendums⸗

ausel.

„In der bezüglichen Botschaft des Bundesraths an die Bundesversammlung heißt es:

„Unsere strategische Einheit, die Armee⸗Division, ist mit allen

Hülfsanstalten zu selbständiger Operationsfähigkeit derart ausgerüstet,

wie sie in anderen Armeen nur den Armee⸗Corps zukommen. Da⸗ durch hat unsfere Armee⸗Division wohl die Schwerfälligkeit eines Armee⸗Corps, aber nicht einmal die Hälfte seiner Gefechtskraft. Die Einführung eines Armee⸗Corpsverbandes setzt an die Stelle der komplicirten Führung der Armee⸗Division eine zweckmäßige Arbeits⸗

eintheilung: das Armee⸗Corps⸗Kommando übernimmt hauptsächlich die strategische Führung der beiden zu einem Armee⸗Corps vereinigten

Divisionen, die strategische Aufklärung und die Verwendung der übrigen Corpstruppen, den Kommandanten der von den schweren Fuhrwerkskolonnen entlasteten und dadurch viel beweglicher gewordenen

Divisionen bleibt mehr die taktische Führung dieser Gefechtskörper. Durch die Ecrichtung von Armee⸗Corps wird aber nicht nur die

Führung der bisherigen Divisionen vereinfacht, sondern es wird auch

eine wirksamere Ver wendung eines Theiles der den Divisionen zugetheilten Truppen gesichert ...

Es wird aber auch die Führung der gesammten Armee wesentlich an Kraft und Einfachheit gewinnen,

wenn der Ober⸗Befehlshaber nur noch vier Hauptglieder zu leiten bat, anstatt deren acht. sich in unserm Millizheere leichter vier zur Führung selbständiger

Auch dürfte ins Gewicht fallen, daß

strategischer Einheiten befähigte Führer finden werden als doppelt so viele. Endlich wird die Zusamme nstellung von Truppeneinheiten je zweier Divisionen in neue Verbände vielerorts eine Reduktion der Stäbe und der Rekrutirung dieser Truppen gestatten, welche unserer Hauptwaffe, der Infanterie, in nicht geringem Maße zu Statten kommen werden. Wenn es aber keinem Zweifel unterliegt, daß im Kriegsfalle die Errichtung von Armee⸗Corps sich als ein unabwend⸗ bares Bedürfniß erweisen wird, so ergiebt sich die Nothwendigkeit von selbst, diese Organisation schon im Frieden zu schaffen⸗“

Am Schluß wird erklärt, daß für den Fall einer allge⸗ meinen Mobilmachung bereits eine Verordnung vorliege, welche die Mobilisirung und den Aufmarsch der vier Armee Cor auf Grund der bestehenden Vorarbeiten ermögliche.

Türkei.

Der Großfürst Georg von Rußland hat sich am Sonnabend Nachmittag 5 Uhr an Bord des Dampfers „Korniloff“ in Konstantinopel eingeschifft und in der Nacht

die Reise nach der Krim fortgesetzt. Der Minister des Aus⸗

18 Rumänien.

Bukarest, 1. Juni. Die Kammer beschloß mit 70 gegen 36 Stimmen den Adreßentwurf in Erwägung zu Kammer und der Senat haben sich bis Donnerstag vertagt.

b Bulgarien.

Sofia, 1. Juni. Anläßlich des Namensfestes des Prinzen Ferdinand hatte, nach einer Meldung des „W. T. B.², die Stadt gestern Abend illuminirt. In Philippopel fanden aus gleichem Anlaß große Fest⸗ lichkeiten statt. Die Menge jubelte dem Prinzen zu, welcher zweimal am Fenster erschien und dankte. Sodann begab sie sich nach der Wohnung Stambulow's, um ihm Ovationen darzubringen. Stambulow forderte die Menge auf, das Vaterland höher zu stellen als persönliche Interessen.

Amerika⸗

Vereinigte Staaten. Das Staats⸗Departement hat, wie „R. B.“ aus Washington erfährt, ein Rund⸗ schreiben fertig gestellt, welches sich mit dem jüngst von dem Kongreß angenommenen Gesetz über das Urheberrecht der Autoren befaßt und demnächst von den resp. Gesandten den auswärtigen Regierungen überreicht werden soll. Die einzelnen Bestimmungen der Bill sind in dem Cirkular genau wiedergegeben und es wird speziell auf den §. 13 aufmerksam Femeache in dem es heißt, daß das Gesetz sich nur auf die

ngehörigen solcher Staaten bezieht, welche amerikanischen Autoren praktisch die gleichen Rechte gewähren.

Mexiko. Der Präsident der Republik erklärte, laut Meldung des „W. T. B.“ aus Mexiko, vom 1. Juni, anläßlich des am Sonntag erfolgten Ablebens des Finanz⸗ Ministers Dublan, daß in der Finanzpolitik Mexikos keinerlei Veränderung eintreten werde.

Argentinien. Nach einer in Paris eingegangenen seeldung aus Buenos⸗Aires wurde in der Sitzung des Senats vom Sonnabend eine Interpellation, betreffend die innere Politik der e eh. eingebracht. Die Ma⸗ jorität des Hauses sprach sich für die Ablehnung der Inter⸗ pellation aus.

Haiti. Nach einer Meldung des „R. B.“ aus New⸗ York erhielt der dortige Vertreter Haitis ein Telegramm aus Port au prince, welches den daselbst am 28. v. M. unter⸗ nommenen Aufstandsversuch bestätigt. Nach erfolgter Hinrichtung der Rädelsführer wurde die öffentliche Ruhe nicht mehr gestört; der westliche Theil der Insel sei unter das Kriegsrecht gestellt worden. Eine Privatdepesche aus Port au Prince besagt, daß die Zahl der hingerichteten Insurgenten vierzig betrage; die Depesche fügt hinzu, daß im westlichen Theil eine abermalige Insurrektion nahe bevorstehen dürfte.

Afsien.

Japan. Der Vicomte Admiral Enomoto ist, nach einem Wolff'schen Telegramm aus Tokio, an Stelle des Vicomte Aoki, welcher seinen Abschied nachgesucht hatte, zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten ernannt worden. Tsuda Sanzo ist von dem Reichs⸗ gericht zur Untersuchung gezogen, eines Mordversuchs auf das Leben des Großfürsten⸗Thronfolgers von Rußland schuldig erklärt und demgemäß zu der äußersten laut Gesetz zulässigen dntfe, zu lebenslänglichem Zuchthaus, verurtheilt worden.

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Parlamentarische Nachrichten.

In der heutigen (93.) Sitzung des Hauses der Ab⸗ eordneten, welcher der Präsident des Staats⸗Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi, der Vize⸗Präsident des Staats⸗

Ministeriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher, der Minister der öffentlichen Arbeiten von Maybach, der Minister des Innern Herrfurth, der Finanz⸗Minister Dr. Miquel und der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz⸗Trützschler beiwohnten, wurde für die Rechnungen der Kasse der Ober⸗Rechnungskammer für das Jahr vom 1. April 1889/90 Entlastung ausgesprochen.

Darauf folgte die zweite Berathung des Gesetz⸗ entwurfs zur Ausführung des §. 9 des Gesetzes, betreffend die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch⸗katholischen Bis⸗ thümer und Geistlichen, vom 22. April 1875.

Bei Art. 1 der Vorlage erklärte der Präsident des Staats⸗Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi, daß die Staatsregierung der ursprünglichen Fassung der Vor⸗ lage auch jetzt noch den Vorzug gebe, aber, um den Zweck der Vorlage zu erreichen, den Frieden zu fördern, auch dem Vor⸗ schlage der Kommission zustimmen werde, wenn er Seitens des Hauses Annahme finde.

Abg. Dr. Freiherr von Heereman zog ebenfalls die ursprüngliche Vorlage vor; das Centrum werde aber, um das Gesetz zu Stande zu bringen, auf die Einbringung prinzipieller Abänderungsanträge zur Kommissionsfassung verzichten.

Abg. von Jazdzewsky schloß sich diesen Ausführungen an und bat um Auskunft, ob eingezogene Rentenbriefe mit Coupons in natura oder in Geld zurückgegeben werden sollten.

Regierungskommissar Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Löwenberg erklärte, daß die eingezogenen Kapitalien im Sammel⸗Conto enthalten seien.

Abg. von Eynern gab Namens der Nationalliberalen die Erklärung ab, daß sie gegen das Gesetz stimmen würden, weil die Katholiken den definitiven Frieden nicht wollten und bin ee hercssffgäh auf Rückzahlung dieser Gelder nicht estehe.

Abg. Rickert stellte die Zustimmung der Freisinnigen zu dem Gesetze in Aussicht.

Abg. Freiherr von Zedlitz war der Meinung, daß trotz der Verbesserungen durch die Kommission nicht alle Bedenken gegen die Vorlage beseitigt seien; er werde deshalb mit dem größeren Theil der Freikonservativen gegen dieselbe stimmen.

Abg. von Kardorff erklärte sich Namens des kleineren Theils der Freikonservativen für die Vorlage. 1

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum vermochte mit der überwiegenden Mehrheit der Konservativen in der Vorlage keine Verletzung der evangelischen Gefühle zu erblicken; die⸗ selben werden im Jlteress des Friedens derselben zustimmen.

Art. 1 wurde hierauf angenommen.

Art. 2 in der Fassung der Kommission lautet:

Aus den im Art. 1 aufgeführten Summen sind denjenigen Instituten und Personen, welche auf Grund des Gesetzes vom 22. April 1875 Einbuße an ihren Einkünften erlitten haben, bezw. deren Erben die aus eingestellten Staatsleistungen aufgesammelten Beträge mit neashch von Zinsen zu bewilligen.

Abg. Dr. Porsch beantragte, den Artikel 2, wie folgt, zu fassen:

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schluß von Zinsen in den einzelnen Diözesen bezw. Diözesanantheilen Beträge zu bewilligen an solche Institute und Personen bezw. deren Erben, welche dadurch Einbuße an ihren Einkünften erlitten haben, daß auf Grund des Gesetzes vom 22. April 1875 für sie bestimmte Bezüge zu dem Artikel 1 bezeichneten Sammelkonto eingezogen worden sind.

Im Artikel 2 als zweiten Absatz zuzufügen:

Hierbei treten an Stelle der in Absatz 1 aufgeführten Institute und Personen bezw. deren Erben diejenigen Institute, Korporationen und Fonds auf den Antrag ihrer gesetzlichen Vertreter, welche diesen Instituten und Personen nachweislich einen Ersatz für die erlittenen Einbußen gewährt haben.

Nachdem Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum Namens der Konservativen sich gegen den Antrag Porsch ad 2 aus⸗ gesprochen und der Finanz⸗Minister Dr. Miquel anheim⸗ gegeben hatte, entweder beide Anträge Porsch oder die Kom⸗ missionsfassung anzunehmen, entschied sich das Haus für die Annahme der beiden Anträge Porsch.

Der Rest der Vorlage wurde unverändert angenommen.

Hieran schloß sich die dritte Berathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Erweiterung, Vervoll⸗ ständigung und bessere Ausrüstung des Staats⸗ eisenbahnnetzes.

In der Generaldiskussion erörterten zunächst die Abgg. Lehmann, von Pilgrim, Lassen und Jürgensen und Regierungs⸗Kommissar Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Micke Fragen lokaler Natur.

Darauf nahm Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum das Wort, um einen anerkennenden Rückblick auf die Leistungen des Staatsbahnsystems zu werfen, die nur dadurch so großartig gewesen seien, weil der Minister von Maybach die ganze Kraft seiner Person dafür einge⸗ setzt habe. Und Minister von Maybach dürfe stolz darauf sein, der einzige selbständige Organisator neben dem Fürsten Bismarck gewesen zu sein. Er sei immer ein Staatsmann und nie ein Bureaukrat gewesen.

Der Minister von Maybach erwiderte, daß diese Worte ihn tief gerührt hätten. Die Leistungen der Eisenbahn⸗ Verwaltung seien nur möglich gewesen durch das Zusammen⸗ wirken aller Kräfte der Verwaltung. Sein Streben sei stets auf die Förderung des allgemeinen Interesses gerichtet gewesen, und nur um deswillen hätten zuweilen Einzelinteressen verletzt werden müssen. Wenn er jetzt wegen seiner Gesundheit aus dem Amte scheide, so beruhige ihn, daß er mit gutem Gewissen scheiden könne. Das Vertrauen des Hauses möge auch auf seinen Nachfolger übertragen werden.

Die Abgg. Freiherr von Huene, von Eynern und Dr. Ritter schlossen sich mit warmen Worten den Ausführungen des Abg. Grafen zu Limburg⸗Stirum an.

Nach kurzer weiterer Debatte wurde die Generaldiskussion geschlossen. In der Spezialdiskussion wurden die Beschlüsse zweiter Lesung angenommen mit der einzigen Aenderung, daß in §. 11 zwischen den Worten „von Fordon“ und nach „Schön⸗ see“ nach einem Antrage des Abg. von Czarlinski einge⸗ fügt wurde „mit südlicher Umgehung von Kulmsee.“ (Schluß des Blattes.)

Die nächste Sitzung des Herrenhauses ist auf den 12. d. M. anberaumt worden.

Theater und Musik.

Tonkünstler⸗ Versammlung in B zslin Das dritte Concert der Deutschen Tonkünstler⸗Versamm⸗

Weingartner in der Philharmonie stattfand, wurde mit einer Ouverture zur Oper „Der faule Hans“ von dem in Würzburg als Komponist und Musikverleger lebenden A. Ritter eröffnet. Das sehr klare, melodiös und schwung⸗ voll gehaltene Werk folgt dem Vorbilde Weber’s und machte einen sehr günstigen Eindruck. Die Berliner Liedertafel trug hierauf unter Zander’'s Leitung drei Männerchöre vor: ein „Pax vobiscum“ von Liszt mit Orgelbegleitung, welches unisono, mit abwärts steigenden Quartettgängen beginnend, denen sich der volle vierstimmige Männerchor ernst und feierlich anschließt, sehr andachtsvoll gehalten ist. Schubert's fünfstimmiges Chorlied „Sehnsucht“ und das „Morgenlied“ von J. Rietz wurden gleich dem geistlichen Gesang von Liszt vortrefflich ausgeführt. Hierauf spielte Eugen d'Albert das Klavierconcert op. 66. von dem zu Bologna als Direktor des Konservatoriums lebenden G. Martucci (geboren 1856). Dieses Tonstück, das an das Orchester wie an den Spieler gleich hohe Anforderungen stellt, fesselt besonders im Larghetto durch Melodienreiz und läßt oft den Einfluß Wagner's erkennen. Daß der Solist und die Kapelle das höchst schwierige Werk vollkommen bewältigten, bedarf kaum der Bestätigung. Eugen d’'Albert brachte eine Scene aus seiner Oper „Der Rubin“ für Tenor und Orchester zu Gehör, die eine entschiedene Begabung für den Ausdruck des Drama⸗ tischen erkennen läßt. Hr. Hofopernsänger Anthes aus Dresden trug diese Scene ganz vorzüglich vor. Der Kammer⸗ sänger Hr. P. Bulß sang sodann, vom Hofkapellmeister Weingartner am Piano begleitet, vier Lieder von Reinhold Becker „Vergangene Zeit“, „Traum und Erfüllung“, „Osterlied“ und „Durch den Wald“, unter denen das zweite und vierte am Meisten zu gefallen schienen. Hr. B. glänzte wieder durch schönen Stimmklang und edlen Vortrag. Nach der symphonischen Dichtung „Hungaria“ von Liszt, die theils die kriegerischen Scenen des tapferen Volkes, theils den Triumph ihrer Siege, sowie die Klage um die ge⸗ fallenen Helden in treffender Weise schildert, machte eine Symphonie⸗Ode für Männerchor, Solostimmen und Orgel von Nicodé, „Das Meer“ betitelt, den Beschluß des Concerts. Um das großartige Naturbild darzustellen, braucht der Kom⸗ ponist allerdings oft außergewöhnliche orchestrale Mittel, sucht aber stets seinen Zweck durch wirkungsvolle Behandlung des Männerchors und tonmalerische Verwendung des Orchesters zu erreichen. Herr N. leitete sein Werk selbst. Sämmtliche Mit⸗ wirkenden, zu denen auch die Solisten Frl. Huhn (Alt) und Hr. Grahl (Tenor) gehörten, verdienten mit Recht die vielen Beweise dankbarer Anerkennung von Seiten des sehr zahlreich

erschienenen Publikums. v“

lung, das gestern wiederum unter Leitung des Hofkapellmeisters