1891 / 136 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 12 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

der Präsident der Justiz⸗Prüfungskommission Dr. Stölzel, der Wirkliche Geheime Ober⸗Postrath Dr. Dambach, der Ober⸗Bürgermeister Bender⸗Breslau und der Geheime Justiz⸗ Rath, Professor Dr. Lörsch.

Ohne Debatte genehmigte das Haus in zweiter Abstim⸗ mung den Gesetzentwurf, betreffend Aenderung des Wahlverfahrens. 1

Bei Schluß des Blattes begann die Berathung der Denkschrift über die Ausführung des Ansiede⸗ lungsgesetzes in den Provinzen Posen und West⸗ preußen im Jahre 1890.

JIvn der heutigen (102.) Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten, welcher der Präsident des Staats⸗Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi, der Vize⸗Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher, der Justiz⸗Minister Dr. von Schelling, der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch und der Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden beiwohnten, wurde der Gesetzentwurf, betreffend die König⸗ lichen Gewerbegerichte in der Rheinprovinz, nach durch den Minister für Handel und Gewerbe Freiherrn von Berlepsch und die Abgg. Lehmann, von Cuny und Eberhard, auf Vorschlag des Abg. Lehmann in erster und zweiter Berathung en bloc angenommen.

Hierauf folgte die Fortsetzung der Berathung des An⸗ trages der Abgg. Rickert und Genossen wegen Vorlegung des Materials über die verfügbaren Getreidebestände und die Ernteaussichten.

Abg. Graf von Kanitz bemerkte, daß, wie hier im Hause, so auch im Lande, die Mehrheit der Bevötkerung, namentlich die ländliche, auf Seiten der Regierung stehe. Die Nach⸗ weisung über die Vorräthe würde einen Werth nur haben, wenn man den Bedarf bis zur nächsten Ernte kennte. Der Antrag verfolge lediglich agitatorische Zwecke. Das Ansehen Deutschlands im Auslande werde nicht gefördert, wenn solche Ausdrücke gegen die Regierung gebraucht würden, wie dies gestern Seitens des Abg. Richter geschehen sei. Es würde ein Fehler der Regierung gewesen sein, wenn sie die Zölle herabgesetzt hätte; ein noch schlimmerer Fehler aber sei es, daß die Anträge auf Zollherabsetzung immer wieder erneuert würden, denn dadurch werde das Ausland veran⸗ laßt, seine Vorräthe zurückzuhalten und würden die Preise gesteigert. Es handle sich hier um einen Ansturm der vereinigten demo⸗ kratischen und sozialdemokratischen Partei; da sei die Stelle der Konservativen an Seiten der Regierung. Angesichts der höheren Löhne könnten die hohen Getreidepreise ganz gut ertragen werden. Die Vertheuerung des Brotes talle im Uebrigen hauptsächlich den Bäckern zur Last, die das Doppelte des Getreidezolls verdienten. Der Kampf gegen das Schutzzollsystem werde zu einem Zusammen⸗ schließen der ländlichen Bevölkerung und ihrer Verbindung mit der Industrie führen. Die produktiven Elemente müßten zusammenhalten gegenüber den destruktiven Kräften.

Abg. Broemel meinte, es wäre für den Geschäftsverkehr der gesammten civilisirten Welt von unberechenbarem Werth, wenn die Regierung ihr Material in umfassender Weise veröffent⸗ lichen wollte. Das jetzige Vorgehen sei ohne Beispiel in der Geschichte und nur daraus erklärlich, daß in den maßgebenden Kreisen das agrarische Interesse wieder völlig die Oberhand gewonnen habe. Die Regierung würde sich um den Getreide⸗ handel, ja um den gesammten Welthandel ein Verdienst er⸗

wenn sie sich entschlösse, die ihr zu Gebote stehenden Nachrichten zu veröffentlichen. Er sei überzeugt, daß die Regierung über kurz oder lang die Zölle suspen⸗ diren müsse, welche die nothwendigsten Lebensmittel bis zu unerträglicher Höhe vertheuert hätten und namentlich den Arbeiter in hohem Grade schädigten. Hier könne die Regierung zeigen, ob sie wirklich ein Herz für die Arbeiter habe.

Der Minister⸗Präsident, Reichskanzler von Caprivi erklärte, daß es nicht die Pflicht der Staatsregierung sei,

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Nachrichten zu veröffentlicken, die leicht zu spekulativen Zwecken benutzt und im Falle eines Mißlingens der Unter⸗ nehmungen, der Regierung auf das Schuldconto gesetzt werden könnten. Dem Arbeiter glaube die Regierung dadurch am Besten zu nützen, wenn sie ruhige, feste und stetige Verhältnisse in Handel und Wandel bringe. Ob der freisinnige Antrag dasselbe Ziel erreichen würde, sei ihm sehr zweifelhaft. Uebrigens sei ihm noch heute mit⸗ getheilt worden, daß eine ausreichende Roggenzufuhr aus Rußland selbst dann zu erwarten sei, wenn die Ernte dort Bea ger) Entte ausfalle, als man jetzt annehme. (Schluß des attes. 8

Theater und Musik.

XI. Schlesisches Musikfest.

Aus Görlitz wird uns berichtet: Die Reihe der Solisten⸗ vorträge am Schlußtage des Festes (9. Juni) eröffnete Frl. Charlotte Huhn mit dem Vortrage der Arie aus „Achilleus“ von Max Bruch, der den günstigen Eindruck ihres hiesigen Auftretens noch erhöhte. In dem Liszt'schen Klavier⸗Concert trat Hr. Max Pauer vom Konservatorium in Köln als ein Virtuose von großer Gewandtheit hervor. Hr. Birren⸗ koven bot die Arie aus „Josef in Aegypten“ von Méhul in vollendeter Interpretation dar. Frl. Leisinger sang das Laudate Dominum von Mozart mit ergreifendem seelenvollen Ausdruck; mächtig wirkte es, als der Chor mit der Dorologie „Gloria Patri etc.“ einsetzte und sich schließlich mit dem Solo ver⸗ einigte, um gemeinsam dem Höchsten Lob und Preis zu singen. Hr. Bulß brachte Wotan's Abschied und Feuerzauber aus der „Walküre“ von Rich. Wagner mit der ganzen Kraft und Schönheit seines Barytons zu Gehör. Der zweite Theil wies außer der Oberon⸗Ouverture eine Anzahl Liedervorträge, darunter auch einige Kompositionen des General⸗Intendanten der Königlichen Schauspiele in Berlin, Grafen Hochbe rg, auf. Eine Glanznummer bildete die von Hrn. Henry Petry, König⸗ lich sächsischem Concertmeister in Dresden, vorgetragene Gesangsscene für Geige von Louis Spohr. Sein Spiel zeugte von großer und feiner Auffassungsgabe und 8G neten technischen Fertigkeiten. Einen würdigen und ho befriedigenden Abschluß erfuhr das Fest durch den Marsch mit Chor aus Beethoven’s „Ruinen von Athen“. Graf Hochberg, der Begründer und die ganze Seele der schlesischen Musikfeste, hat sich durch das nun⸗ mehr beendete 11. Fest ein neues Ruhmesblatt in dem Kranze künstlerischer Ehren erworben. Zum Schluß mag noch erwähnt werden, daß man beabsichtigt, dem um die schlesischen Musikfeste verdienten, dahingeschiedenen Hof⸗Kapellmeister Deppe in Görlitz ein Denkmal zu errichten.

Da die Vorstellung des „Lohengrin“ am Donnerstag im König⸗ lichen Opernhause so stark besucht war, daß dem Andrange des Publikums nicht genügt werden konnte, und da die bevorstehende Abreise des größten Theils des Opernchors nach Bayreuth eine Auf⸗ führung in nächster Woche nicht mehr gestattet, so wird die Oper auf vielseitiges Verlangen am Sonntag an Stelle des bereits an⸗ gekündigten „Freischütz“ noch einmal in Scene gehen. Am Dienstag gelangt „Oberon“, am Mittwoch der „Freischütz“, am Donnerstag der „Fliegende Hollän der“ als letzte Vorstellung vor den Fecien der Königlichen Oper zur Darstellung.

Im Königlichen Schauspielhause wird am Dienstag „Romeo und Julia“, durch den Ober⸗Regisseur Hrn. Grube neu ein⸗ studirt, in zum Theil neuer Besetzung in Scene gehen. Abweichend von der früheren Deyrient'schen Fassung, soll die Schlegel'sche Ueber⸗ setzung wiederhergestellt werden, wodurch namentlich der Humor der Shakespeare'schen Dichtung in ungekürzter Weise zur Geltung kommen wird.

Am Montag bleiben die Königlichen Theater geschlossen

Flotow's Oper „Indra“, welche am Montag im Kroll'schen heater erstmalig in Scene geht, gehört zu den anziehendsten Werken des Komponisten der „Martha“ und des „Stradella“ und dürfte für die Mehrzahl des Berliner Publikums vollständig neu sein.

Mannigfaltiges.

Die erste Ziehung der Kunstausstellungs⸗Lotterie findet nach einer Mittheilung der „N. A. Z.“ am 16. und 17. d. M. im Künstlerheim im Landes⸗Ausstellungspark statt.

der Erlaubniß der deutschen Fürsten und freien Städte, die Loose ungehindert absetzen zu dürfen, sind diese bis auf wenige vergriffen. Beim Looskauf hat sich auch das Ausland, Belgien, Holland. die Schweiz und vornehmlich Oesterreich⸗Ungarn stark betheiligt.

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Danzig. Die Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in Danzig wird, wie nach der „Germ.“ nunmehr

festgesetzt ist, Sonntag, den 30. August, ihren Anfang nehmen und Donnerstag, den 3. September, geschlossen werden.

Nach Schluß der Redaktion eingegangene Depeschen.

1 München, 12. Juni. (W. T. B.) Prinz Ludwig Ferdinand ist zum General⸗Lieutenant befördert worden.

Wien, 12. Juni. (W. T. B.) Prinz Ferdinand von Coburg ist nach einem Besuch bei seiner Schwester, der Eczherzogin Clotilde in Alcsuth, in Ebenthal eingetroffen.

London, 12. Juni. (W. T. B.) Nach einem Tele⸗ gramm des „Reuter'schen Bureaus“ aus Iquique vom 11. d. M. hätte der Präsident der Republik Chile, Bal⸗ maceda, den von dem Gesandten der Vereinigten Staaten in Santiago vorgeschlagenen Waffenstillstand ab⸗ gelehnt. Balmaceda habe sich jedoch erboten, die Frage einer Verständigung mit den Insurgenten auf einer von ihm selbst vorgeschlagenen Grundlage in Erwägung zu ziehen; die Kongreßpartei habe sich indeß ge⸗ weigert, hierauf einzugehen. Nach einer weiteren Meldung hätten mehrere Schiffe der chilenischen Präsidentenpartei gestern in Tocopilla ihre Mannschaft gelandet, welche die Telegraphenleitungen durchschnitt und sich alsdann wieder einschiffte.

Paris, 12. Juni. (W. T. B.) Wie aus Buenos Aires gemeldet wird, hat der Senat seinen Beschluß, den Umtausch des Papiergeldes in Gold während sechs Monate zu suspendiren, zurückgenommen und beschlossen, die Vorlage einer nochmaligen Prüfung zu unterwerfen.

Bern, 12. Juni. (W. T. B.) Der Ständerath hat mit 21 gegen 18 Stimmen den neuen Artikel der Bundes⸗ verfassung angenommen, welcher bestimmt, daß dem Bund das Banknotenmonopol zustehe, daß der Bund das Recht zur Ausgabe von Banknoten einer Staatsbank oder einer Centralaktienbank übertragen könne, und daß der Rein⸗ gewinn aus den Geschäften dieser Bank den Kantonen zukomme. Die letztere Bestimmung wurde zu dem von dem Nationalrath am 16. April d. J. beschlossenen Entwurf hinzu⸗ gesfügt. In Folge dieser Abänderung muß der Nationalrath über den Verfassungsartikel nochmals Beschluß fassen. Eine dem neuen Zolltarif freundlich gesinnte Versamm⸗ lung von Mitgliedern der Bundesversammlung be⸗ schloß gestern, außer einer in diesem Sinne gehaltenen Adresse an den Bundesrath auch eine Proklamation an das schweizer Volk zu Gunsten der Annahme des Zolltarifs zu erlassen. Die Ausführung der Beschlüsse wurde einer Kom⸗ mission übertragen.

(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)

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Wetterbericht vom 12. Juni, Morgens 8 Uhr.

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breiten dürfte.

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Stationen.

Wetter ist in Deutschland vorwiegend trübe, vielfach ist Regen gefallen, im Westen ist größtentheils Auf⸗ * klaren eingetreten, welches sich weiter ostwärts aus⸗ Triest meldet 22 mm Regen.

Der verloreue Sohn.

Sohn. Pierrot: Helene Odilon als Gast. von C. Bechstein.

Deutsche Seewarte.

d. V

Bar. auf 0 Gr u. d. Meeressp red. in Millim 8

Mullaghmore 772 ONO 2 heiter Aberdeen .. 771 NNW 2 wolkig Christiansund 765 W 3 bedeckt Kopenhagen. 757 N 5 Regen Stockholm. 757 ONO ö balb bed. Haparanda. 754 N. 2 bedeckt Petersburg 757 WSW 3 wolkig Cork, Queens⸗ eeeese-, 1 heiter Cherbourg. 769 still heiter ZZVbbb11— 3 wolkig Sylt 763 NNW wolkig Hamburg 762 NW heiter Swinemünde 756 WSW Neufahrwasser 754 W Memel .. 754 S

aris 771 MO Münster.. 766 NW Karlsruhe.. 767 N Wiesbaden. 767 NW München 765 W Chemnitz .. 763 WNW Berlin. 760 NW Wien 760 NW Breslau. 2759 W Ile d'Aix. . 765 N Nizza 759 NO 11X“

3 Aufzügen und

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Regen) wolkig bedeckt bedeckt bedeckt bedeckt Regen wolkig bedeckt 13 bedeckt 11 wolkig 13 heiter 19 bedeckt 18

der Excellenz.

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Hierauf:

„¹) Nachts Regen egen.

²¹) Nachts Regen. ³) Nachts

Uebersicht der Witterung

Ein barometrisches Minimum, welches sich am Skagerrak entwickelt hat, liegt bei Wisby⸗ 80 hgem und Umgebung, stürmische nordwestliche Winde ver⸗

ursachend, deren Ausbreitung auch über die ostdeutsche Küste wahrscheinlich ist. Unter Einfluß der lebhaften nordwestlichen Winde hat in Deutschland weitere Abkühlung stattgefunden, so daselbst die Temperatur 1“ 4 bis 8 Grad unter dem Mittelwerth liegt. Das

7 ½ Uhr.

Theater⸗Anzeigen.

Königliche Schauspiele. Sonnabend: Opern⸗ haus. 149. Vorstellung. Götterdämmerung in

Dirigent: Kapellmeister Sucher.

Schauspielbaus 156. Vorstellung. Die Qnitzow's. Vaterländisches Drama in 4 Anfzügen von Ernst von Wildenbruch. Anfang 7 Uhr.

Sonntag: Opernhaus. 150. Vorstellung. Lohen⸗ grin. Romantische Oper in 3 Akten von Richard Wagner. Anfang 7 Uhr.

Schauspielhaus. 157. bedeckin) err. Schauspiel in 7 Vorgängen von Ernst von bedeck) Wildenbruch. Anfang 7 Uhr.

Deutsches Theater. Sonnabend: Die Kinder

Sonntag: Der Attaché. Montag: Faust I. Theil.

Tessing-Theater. Direktion: Angelo Neumann. Aufführung von (Sizilianische Bauernehre.) Oper von Pietro Mascagni. Margpot. Musik von Franz Doppler. Sonntag und Montag: Dieselbe Vorstellung.

Verliner Theater. der russischen Flüchtlinge.

Sonntag, Nachm. 2 ½ Uhr: Der üttenbesitze 27. Male: Abends 7 ½ Uhr: K. 1 8 S 8 5 i. Montag: König Richard III. *

Großes Garten⸗Concert. 7 ½ Uhr.

Sohn. Vorher: Das Modell.

1 Vorspiel von Richard Wagner.

Anfang 6 ½ Ubr. Vorher: Das Modell.

Sonnabend: Geheimniß. von Douglaß. verschiedenen Komponisten. Die

Zum 8. Male:

Vorstellung. Der neue

natürl. Wasser.

Anfang 7 ½ Uhr. der Themse.

b Anfang des Concerts 6 Uhr. ö1“ 8 stellung 7 ½ Uhr.

Ensemble⸗Gastspiel. Art.

Sonnabend: Erste Cavalleria rusticana. des Eremiten.

Ballet von Louis Frappart. Anfang 7 ½ Uhr. Der Barbier von Sevilla. Montag: Indra. Täglich:

Abends bei brillanter

Sonnabend: Zum Besten Uriel Acosta. Anfang

ean.

der Residenz): Großes Auftreten sämmtl. Spezialitäten.

Wallner-Theater. Sonnabend: Zum 15. Male: Musikalisches Schauspiel ohne Worte in 3 Akten von Michel Carré Muasik von A. Wormser. Der junge

Vorher: Zum 15. Male: Das Modell. Lustspiel in 1 Akt von G. Cohnitz.

Anfang des Concerts 6 ½ Uhr, der Vorstellung Sonntag und die folg. Tage: Der verlorene

Montag: Zum Besten der aus 1— triebenen Nothleidenden: Der verlorene Sohn.

Friedrich-Wilhelmstädtisches Theater.

Engl. Sensat.⸗Drama in 8 Bildern Deutsch von Dorn.

Dekorationen und Requisiten vom Carl⸗Theater in Wien ist vom Hoftheatermaler Burghart.

Zwei große Wasser⸗Sensationsbilder: 1) Henley⸗ Regatta, natürl. Dampfschiffe und Ruderboote auf Natürl. Regen. 2) Nachtbild auf

Im prachtvollen Park: Großes Doppel⸗Concert. Auftreten von Gesangs⸗ und Instrumentalkünstlern. Anfang der Vor⸗

Sonntag: Ein dunkles Geheimniß.

Sonntag: Gastspiel von Fr. Marcella Sembrich.

Oper in 3 Akten von Flotow. „Großes Concert“ im Sommergarten, elektrischer desselben. Anfang 5 ½, der Vorstellung 7 Uhr.

Belle-Alliance-Theater. Sonnabend: Tricoche und Cacolet. 5 Aufzügen von Meilhac und Halévv.

Im prachtvollen, glänzenden Sommergarten (vor⸗ nehmstes und großartigstes Sommer⸗Etablissement Militär⸗Doppel⸗Concert.

Garten⸗Etablissements.

mination des ganzen Anfang des Theaters

Anfang des Concerts 6 Uhr. 7 ½ Uhr 8 1 Sonntag: Dieselbe Vorstellung.

Adolph Ernft-Theater. Sonnabend: Ensemble⸗ Gastspiel der Münchener. Der Herrgottschnitzer von Ammergan. Oberbayerisches Volksstück mit Gesang und Tanz in 5 Aufzügen. Anfang 7 ½⅞ Uhr

Sonntag: Zum ersten Male: Der ledige Hof. Volksstück mit Gesang in 5 Akten von Ludwig Anzengruber.

Der Sommer⸗Garten ist geöffnet.

Concert⸗Flügel

Rußland ver⸗

Urania, Anstalt für volksthümliche Naturkunde Am Landes⸗Ausstellungs⸗ Park (Lehrter Bahnhof). Geöffnet von 12—11 Uhr. Täglich Vorstellung im L“ Theater. Näheres die Anschlag⸗ zettel.

Familien⸗Nachrichten.

Verlobt: Frl. Marie Rubarih mit Hrn. Ritter⸗ gutsbesitzer Alfred Carus (Stralsund Neuwalde).

Verehelicht: Hr. Moritz von Oppenfeld⸗Rein⸗ feld mit Frl. Augusta Weber von Treuenfels (Antwerpen).

Geboren: Ein Sohn: Hrn. Oscar ven der Osten⸗Warnitz (Warnitz). Eine Tochter: 5 Hauptmann Gustav Frhr. von Berg (Pots⸗ am).

Gestorben: Fr. Obergerichts⸗Räthin Bernhardine

Ein dunkles

Musik von Ausstattung an

Kroll’s Theater. Sonnabend: Das Glöckchen von Unger, geb. von Alten (Gadderbaum bei

Bielefeld). Hr. Oberst z. D. Heinrich Hermann Ritter (Charlottenburg). Fr. Oberst.⸗Lieut. Ludolphine Kriesz, geb. Asschenfeld (Inowrazlaw). Hr. Bürgermeister a. D. Eduard Pahlke (Königsberg).

Beleuchtung

Redacteur: Dr. Zum Ber 2 Verlag der Expedition (Scholz). Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verla Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr Sieben Beilagen

(einschließlich Börsen⸗Beilage).

H. Klee, Direktor.

Posse in

Brillante ITllu⸗

Vormittags 9 Uhr wird mit dem Einzählen der 500 000 Loose begonnen werden. Dank

Es ist nicht ausgeschlossen, daß eine zweite Serie Loose noch ausgegeben wird.

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1111“*“ No 136. Z1111141X4X1X“X“ namn,— ——

Haus der Abgeordneten.

101. Sitzung vom Donnerstag, 11. Juni. 3 DerSitzung wohnen der Präsident des Staats⸗Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi, der Vize⸗Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher, der Minister für Handel und Gewerbe, Freiherr von Berlepsch, der Finanz⸗Minister Dr. Miquel und der Minister für Land⸗

wirthschaft ꝛc. von Heyden bei. Auf der Tagesordnung steht die Berathung des Antrages

der Abgg. Rickert und Genossen wegen Vorlegung des Se die verfügbaren Getreidebestände und die rnteaussichten.

Der heen., lautet: b1“

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen:

Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, das Material über die zur Zeit verfügbaren Getreidebestände und die diesjährigen Ernteaussichten, welche nach der Erklärung des Herrn Minister⸗ Präsidenten in der Sitzung vom 1. Juni d. J. die Grundlage für die Entschließung der Staatsregierung in Betreff der Getreidezölle gebildet hat, dem Abgeordnetenhause mitzutheilen.

Das Wort ergreift zunächst der Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Reichskanzler von Caprivi, dessen Erklärung bereits in der gestrigen Nr. d. Bl. im Wortlaut mitgetheilt

worden ist, und die wir hier an dieser Stelle des Zusammen⸗ hangs wegen wiederholen:

Ich habe im Namen der Staatsregierung den Wunsch aus⸗ usprechen: das hohe Haus wolle den hier vorliegenden Antrag ab⸗ ehnen. Der Antrag geht dahin: die Königliche Staatsregierung möge dos Material über die zur Zeit verfügbaren Getreidebestände

und die diesjährigen Ernteaussichten dem Abgeordnetenhause mit⸗ heilen.

Nach dem Verlauf der vorigen Sitzung war es wahrscheinlich, daß dieser oder ein ähnlicher Antrag kommen würde, und es ist mir weiter zweifellos, daß die Ziele der Herren Antragsteller über den Wortlaut des Antrages hinausgehen: sie wollen nicht bloß das Material kennen lernen, sondern sie wollen an den Antrag eine weitergehende Diskussion knüpfen.

Was nun diese weitergehende Diskussion angeht, so ist die Staatsregierung nicht in der Lage, darauf einzugehen, es sei denn, es

handelt sich um die Berichtigung thatsächlicher Anführungen. Was die Staatsregierung zur Sache zu sagen hat, habe ich mir am 1. d. M. auszuführen die Ehre gegeben. Seitdem hat sich in den Anschauungen der Staatsregierung über die Sachlage nichts geändert. (Bravoy! rechts.) Sie nimmt genau denselben Standpunkt ein, den sie am 1. d. M. einnahm, und diejenigen Nachrichten und Mittheilungen, die ihr in⸗ zwischen zugegangen sind, haben die Staatsregierung nur in dem Festhalten an demjenigen Standpunkt bestärkt, den darzulegen ich damals die Ehre gehabt habe. (Lebhaftes Bravo rechts.)

Die Fassung des vorliegenden Antrages, wenn er eben nicht weitergehende Ziele hätte, könnte ja überraschen. Ich habe mir am 1 d. M. am Eingang meiner Rede wörtlich zu äußern erlaubt:

All dieses Material würde einen ziffermäßigen Beweis für die Richtigkeit des Verfahrens der Staatsregierung beizubringen nicht

ermöglichen. Diese Zahlen sind zum Theil ihrer Natur nach un⸗ sicher; sie beruhen auf Schätzungen.

Wenn die Staatsregierung schon am 1. ausgesprochen hat, daß sie nicht in der Lage ist, einen ziffermäßigen Beweis beizubringen, so weiß ich nicht, was mit einem Zahlenmaterlal, wie es der vor⸗ liegende Antrag fordert, erreicht werden soll. Es liegt ja in der Natur der Sache, daß, wie ich auch das vorige Mal auszusprechen mir die Ehre gegeben habe, all dies Material mehr oder weniger unsicher ist, auß Schätzungen beruht, und daß Jeder, der ein Urtheil sich bilden will, darauf angewiesen ist, aus einer Menge von Schätzungen einen Durchschnitt zu ziehen.

Die Staatsregierung hat, abgesehen von der unausgesetzten Be⸗ obachtung dieser Verbältnisse, die in den verschiedenen Ressorts dauernd ausgeführt wird, schon Ende April die vorliegende Frage, ob ein Nothstand im Lande da sei und ob es nothwendig sei, zu Ausnahme⸗ maßregeln zu greifen, zum Gegenstand eingehender Erörte⸗ rungen gemacht. Die Staatsregierung kam damals zu dem Beschluß, daß sie die Sache noch nicht genug übersehen könnte, daß sie Recherchen anstellen wollte; sie beschloß aber weiter, diese Recherchen auf den Kreis Königlicher Behörden zu beschränken, weil sie die Besorgniß hatte, daß, wenn sie Privat⸗ personen, Korporationen des Handels, landwirthschaftliche Vereine ꝛc. gehört hätte, sie schon damals eine Agitation in das Land getragen haben würde, die zu nichts Anderem hätte führen können, als zu, einer Haussebewegung (sehr richtig! rechts), die also dasjenige erreicht haben würde, was die Regierung, der Alles daran lag, die Brod⸗ preise für den armen Mann billig zu erhalten, nicht wollte.

In jener ersten Staats⸗Ministerialsitzung beschloß das Ministerium, Berichte einzufordern, und zwar von all denjenigen Behörden, die etwa in der Lage waren, über die Bestände aus dem vorigen Jahre, über die Bestände, die jetzt in unseren Häfen lagerten, Material beizubringen. Es wurden außer den Königlich preußischen Zollbehörden die Proviantbehörden der Armee herangezogen, und es wurden die Reichs⸗ bankstellen im ganzen Reich aufgefordert, sich auf eine möglichst un⸗ auffällige Weise bei Kaufleuten zu unterrichten. Es kam nun auf diese Weise ein Material zusammen, was der Regierung die Ueber⸗ zeugung gab, daß ein Nothstand nicht da war und daß es nicht erforderlich sei, zu irgendwelchen außerordentlichen Maßregeln zu greifen. Inzwischen aber wuchs eine gewisse Erregung im Lande, und es kam zu Aeuße⸗ rungen, die der Staatsregierung klar machten, daß sie nicht länger ruhig der Sache zusehen könne, daß sie ihre Stellung öffentlich bekunden müsse, wenn nicht der Handel erhebliche Schädigungen erleiden und dadurch wiederum das erzielt werden sollte, was wir nicht wollten: daß das Brod vertheuert wird. Das gab uns den Anlaß, nun aus der Reserve, die wir uns insoweit aufgelegt harten, als wir nur Königliche Behörden fragten, herauszutreten. Wir wandten uns nun an eine

utschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen

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Erste Beilage

Berlin, Freitag, den 12. Junm

große Menge von Personen im Inlande und regten die Konsulate und Gesandtschaften im Auslande zu erneuter und beschleunigter Berichterstattung an. Wir konnten die Vollendung dieser Bericht⸗ erstattung nicht abwarten: inzwischen war die Beunruhigung im Lande so gestiegen, daß, noch ehe das gesammte Material vorlag, die Staats⸗ regierung diejenigen Erklärungen abgeben mußte, die ich am 1. d. M. hier abgegeben habe.

Das Material, das die Regierung erlangt hat, beruht im Wesent⸗ lichen auf einer Schätzung, soweit es nicht offizielles Material ist, das von den Behörden über die Ernteverhältnisse im vorigen Jahre, über die Bestände danach, über die Aussichten für die diesjährige Ernte über das, was in den Freihafengebieten etwa lagert, geliefert ist. Soweit es nicht solches Material ist, beruht es auf Schätzung; auch das offizielle Material beruht zum großen Theil auf Schätzung. Was sind denn die Berichte über den Saatenstand anders als eine Reihe von Schätzungen, was ist

Schätzungen Einzelner, eine Summe von Anschauungen von Kauf⸗ leuten über den gegenwärtigen Zustand des Handels. Auf Schätzungen also blieben wir immer angewiesen; diese Schätzungen konnten mehr oder weniger werthvolle sein, je nach den Personen, von denen sie kamen. Wir würden, glaube ich, in der Lage sein, Ihnen zu beweisen, daß wir über sehr werthvolle Schätzungen verfügen; wir sind aber nicht in der Lage, dies zu thun, weil es absolut ausgeschlossen ist, die Personen, von denen die Schätzungen ausgegangen sind, öffentlich zu nennen. (Sehr richtig lrechts.) Jedermann jederKaufmann, der sein Urtheil inpatriotischer Weise der Regierung zur Verfügung stellt, würde Anstand nehmen, das noch einmal zu thun, wenn er hier genannt und hinterher An⸗ griffen aller Art ausgesetzt würde. (Sehr richtig! rechts.) Noch vorsichtiger müssen wir in Bezug auf die Nachrichten sein, die wir aus dem Auslande von den Konsulaten bekommen haben. Der Konsul im Auslande ist noch weniger in der Lage, durch eigenen Augenschein sich davon zu überzeugen, wie die Saaten stehen, welche Vorräthe im Hafen liegen, welche auf Eisenbahnen auf⸗ gespeichert sind, als wie die Behörden im Inlande. Der Konsul kann nichts Anderes thun, als sich an Vertrauensleute im Auslande wenden. Nun wäre doch der Fall denkbar, daß eine ausländische Regierung ein Interesse daran hätte, den wahren Zustand nicht veröffentlicht zu sehen. Hätte nun der Konsul Je mand benutzt, der wirklich ihm die besten Nachrichten gegeben hat, Nachrichten aber, die der andern fremden Regierung nicht wünschenswerth wären, so würde uns in diesem Fall nicht allein für die Zukunft die Quelle versiegen, sondern es könnte für Diejenigen, denen wir die Nachrichten ver⸗ danken, zum Theil recht unangenehme Folgen haben. (Sehr richtig! rechts)

Also wir sind außer Stande, dieses Material vorzulegen; damit er⸗ ledigt sich von unserm Standpunkt der Haupttheil dieses Antrags. Wir sind nicht im Stande, Zahlen vorzulegen, die irgend Einen von Ihnen überzeugen würden. Es ist ja überhaupt sehr schwer, Menschen zu überzeugen (Heiterkeit und sehr richtig!), und im vorliegenden Falle würden wir nicht einmal in der Lage sein, Diejenigen, die einmal die uns entgegengesetzte Ansicht angenommen und vertreten haben, zu überreden; wir müssen darauf verzichten.

Wir haben den dringenden Wunsch, daß die heutige Debatte nicht zu einer Erregung führe, die das einmal bestehende Uebel noch schlimmer macht. Was an der Regierung liegt, ist geschehen, um da, wo wir die Gelegenheit dazu hatten, in diesem Sinne zu be⸗ ruhigen; denn wir sind der Ueberzeugung, daß jede weitere Erregung das Uebel, unter dem wir leiden, nur schlimmer macht. Die Staats⸗ regierung ist sich der Verantwortung, die sie trägt, bewußt; sie wünscht aber auch, daß Diejenigen, die nun öffentlich über diese Dinge sprechen, deren Urtheil in alle Welt geht, in gleicher Weise sich dessen bewußt sein mögen, wie groß der Schaden sein kann, der durch zu weit gehende Meinungsäußerungen geschehen kann. (Lebhaftes Bravo rechts.)

Abg. Rickert: Seine Partei werde der Aufforderung, die Sache ohne Erregung zu führen, ihrerseits nachkommen, aber durch Schweigen in der Volksvertretung bgseitige man nicht die berechtigte Aufregung im Volke. Die öffentliche Diskussion sei ein Sicherheits⸗ ventil für solche Aufregungen, und die Nation habe ein Recht darauf, daß in dem Hause das Für und Wider sachlich diskutirt werde in einer Frage, die Millionen jetzt bewege und täglich Gegenstand ihres Sprechens und Fühlens sei. eine Partei sei dem Kanzler aufrichtig dankbar dafür gewesen, daß er unmittelbar, nachdem die Staats⸗ regierung den Beschluß gefaßt habe, im Bundesrath einen Antrag auf Einberufung des Reichstages zur Herabsetzung der Zölle nicht einzubringen, hier Mittheilung davon gemacht habe. Sie meine, daß jede Geheimnißkrämerei bei der Regierung in solchen die öͤffent⸗ liche Meinung bewegenden Fragen ein Unglück sei. Es sei eigenthümlich, daß die Geschäftsordnung das Haus nach dieser Erklärung mundtodt gemacht habe. Die Geschäfts⸗ ordnung sei der guten Gewöhnung der Regierung noch nicht gefolgt, und seine Partei habe deshalb einen Antrag eingebracht, der das erreichen solle, was bereits in allen Parla⸗ menten eingeführt sei. Das Haus wolle und müsse sich selbst ein Urtheil über die Mittheilungen bilden. (Lachen rechts.) Mit diesem Lachen werde die Rechte nicht dahin wirken, daß dem Wunsche des Kanzlers entsprochen und die Diskussion rein sachlich geführt werde. (Sehr richtig! links.) Der Regierung müsse selbst daran liegen, daß das Haus sich ein eigenes Urtheil bilde, und er fürchte dabei die Angriffe der agrarischen Presse nicht. Der Minister von Heyden habe am 17. Mai erklärt, die Höhe der Getreidepreise komme von der Beunruhigung, die auf diesem Gebiet herrsche; aber der Minister sei nicht immer derselben Meinung gewesen, denn er habe als Abgeordneter den Antrag Minnigerode im Jahre 1887 unter⸗ schrieben, in welchem die Regierung aufgefordert wurde, auf Erhöhung des Getreidezolles hinzuwirken. Damals scheine er also von dieser Beunruhigung keine Erhöhung der ohnehin hohen Getreidepreise gefürchtet zu haben. Auf diesem Gebiet sei er lange nicht so erfahren, wie jener große Meister, der spiritus rector der „Hamb. Nachrichten“, welcher in diesem Blatte sage: An der Erhöhung der Getreidepreise trägt die Regierung mit ihrem Verhalten beim österreichischen Handelsvertrage die Schuld.“ Jener spiritus rector übertreffe die Herren von der Rechten also alle bei Weitem und möchte wieder an Stelle der jetzigen

Regierung zur Leitung der Geschäfte berufen werden. Man spreche

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jetzt mit einem Mal so verächtlich von der Agitation, aber die letzten 11 Jahre, als die 5 von der Rechten agitirt hätten, als sie durch die Amtsvorsteher große Petitionen hätten sammeln lassen, da sei die Agitation erlaubt gewesen. Jetzt, wo seine Partei das Gegentheil anstrebe im Interesse des Volkes und nicht im Interesse weniger Klassen, da solle sie uncrlaubt sein? Fürst Bismarck habe gesagt, als der Zoll von 50 pro Doppel⸗Centner habe eingeführt werden sollen, das sei nur ein „Ord⸗ nungszoll“, ein „Schutzzoll“ müsse mindestens 4 pro Doppel-Centner betragen, aber den würde auch der verrückteste Aararier nicht fordenn, heute betrage der Zoll 5 ℳ, und nur dem Abg. Windthorst

zu verdanken, daß er nicht auf 6 festgesetzt worden sei.

die Folge jener beispiellos rücksichtslosen Agitation gewesen! Jetzt sei die Sache soweit gediehen, daß in den jüngsten Zolldebatten auch die Rechte sich zu einer zeitweisen Heruntersetzung der Getreidezölle bereit erklärt habe. (Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum: Wenn die Regierung sie für nothwendig halte!) Auch die als patriotisch be⸗ kannten Bremenser hätten jüngst eine Resolution beschlossen, die mit den Erklärungen des Reichskanzlers von neulich im Widerspruch stehe. Seine Partei beantrage nun nicht, daß Preußen beim Reich auf

selbst unser Coursbericht an der Börse anders als der Ausdruck von 1 Herabsetzung der Zölle hinwirke, sondern die Konsequenzen der jüngsten

Erklärungen des Reichskanzlers werde sie im Herbst im Reichstage ziehen. Sie wolle nur weitere Auskunft verlangen, unbeschadet der vertraulichen Mittheilungen, die die Regierung erhalten habe. Sie wünsche, daß die Regierung dauernd mit den hervorragenden Handelskreisen, wie sie es jetzt einmal gethan habe, in Verbindung bleibe und sich dabei nach anderen Ländern, die uns .weit voraus seien, richte. In dem ausgedehnten Amerika sei die Bevölkerung sofort über die Ernteaussichten unterrichtet. Wie wichtig hierbei die Schnelligkeit sei, zeige die Thatsache, daß, als neulich der Abg. Richter sich auf die Mittheilungen im „Reichs⸗Anzeiger“ berufen habe, der Minister von Heyden gesagt habe, diese Nachrichten seien schon veraltet. Warum bringe man also nicht neuere Nach⸗ richten? Man führe ja durch die alten die Bevpölkerung nur irre. Es sei hier eben bei uns zu viel Buͤreaukratismus herrschend. Es müsse aber der Telegraph und der Stenograph hierbei mitwirken. Noch ein Beispiel. Die Statistik über die vergangene Ernte sei noch nicht bekannt, die letztveröffentlichte sei die von 1889, und sie sei erst im November 1890 bherausgegeben worden. Da habe sie natürlich nur historischen Werth, während der Großhandel, dessen Berechtigung der Reichskanzler neulich zugegeben habe, bei seinen Kalkulationen diese Statistik als wichtiges Material hätte sollen benutzen können. Nun sei dieser Spekulationshandel auf die eigenen Schätzungen der Kaufleute angewiesen. Daß die Unsicher⸗ heit im Lande aber nicht die Höhe der Preise verschulde, wi der Reichskanzler neulich gesagt habe, folge daraus, daß auf dem welt⸗ markt in London und in Amsterdam die Preise, abgesehen vom Zoll, ebenso hoch seien, daß sie also ebenfalls in Folge der schlechten Ernteaussichten diese große Höhe erreicht hätten. Die Behauptung der agrarischen Presse, seine Partei nütze die Sache hier zu einem Mißtrauensvotum gegen die Regierung aus, sei zu thöricht, als daß er jetzt darauf näher eingehe. Der Kanzler habe betont, wir hätten eine Mittelernte in Aussicht, sodaß voraussichtlich keine Nothlage ein⸗ treten werde. Was heiße aber Mittelernte, und auf welche Getreide⸗ sorten beziehe sich sein Ausspruch? Er glaube, der Reichskanzler habe hier einen Durchschnittsansatz für Weizen und Roggen zusam⸗ men gemacht. Aber für das Land sei Roggen die Hauptsache, und man sollte wissen, wie es mit dem Roggen stehe. Die Mittheilungen von landwirthschaftlichen Vereinen und einzelnen Sachkennern aus Stolpe, aus West⸗ und Ostpreußen und auch aus der Pfalz be⸗ wiesen, daß die Roggenernte keine mittelgute sein werde; das Winter⸗ korn habe umgepflügt werden müssen, und das nachgesäͤete Sommer⸗ korn habe erst so spät gesäet werden können, daß die Aussichten schlecht seien. Der ostindische Weizen könne keinen genügenden Ersatz bieten, weil seine Qualitäten unseren Gewohnheiten nicht entsprächen. Die Verwendung von amerikanischem Weizen er glaube nicht, daß der Kanzler sie in dem Sinne gewollt habe, wie die Zei⸗ tungen ihm zugeschrieben hätten, daß man, wenn Brot mangele, Kuchen essen solle vürde so unrichtig nicht sein, wenn nur nicht dieser Weizen gar so geringwerthig wäre. Es solle übrigens jetzt sogar solcher Weizen schon verbacken werden, der früher verfüttert worden sei! Auch Gerste werde schon vielfach zu Brot verwandt. Auf die russischen Ernteaussichten gehe er, dem Wunsch des Reichskanzlers entsprechend, nicht ein, nur meine er, daß unparteiische Organe, z. B. die „Hamburger Börsenhalle“, eine andere Meinung über diese Ernteaussichten hätten, als die Regierung. Den sichersten Anhalt für die Ernteaussichten, die die Kaufmannschaft hege, gäben die Getreidepreise für den September⸗Oktober⸗Termin, und die seien auf dem ganzen Weltmarkt, wo es doch keine freisinnige Agitation und keine Neigung zur Beunruhigung gebe, außerordentlich hoch. Gestern habe man an der Börse gemeint, die Militärverwaltung habe so große Vorräthe, daß sie ihre Magazine öffnen müsse. Er glaube nicht, daß diese Vorräthe gar so groß sein könnten, freue sich aber, daß auf diesem wichtigsten Gebiete nichts zu befürchten sei. Nach der Schätzung eines erfahrenen Kaufmanns würden wir noch 400 000 Tonnen Roggen für unseren eigenen Gebrauch nöthig baben, immerhin ein erheblicher Posten. Wenn man hun auch den schlechten amerikanischen Weizen und Gerste zum Brot verbacke, und es ehle immer noch an Brot, so griffen die Leute zu Kartoffeln, aber auch hier sei leider die Ernte schlecht und der Preis schon außerordentlich hoch. Der Reichskanzler habe gemeint, die Frage, wer die Zölle rage, ob das In⸗ oder Ausland, könne auch von den erfahrensten National⸗ ökonomen nur schwer beantwortet werden das sei, glaube er, nicht richtig; die Wissenschaft und die Praxis sagten übereinstimmend, nach den Erfahrungen der letzten elf Jahre müsse im Großen und Ganzen der Konsument den Zoll tragen Ausnahmen nach be⸗ sonderen örtlichen und zeitlichen Verhältnissen kämen freilich vor. Professor Conrad, wahrhaftig kein Freisinniger, gebe diesen Satz als richtig zu. Freilich habe eine Leipziger Versammlung unter Hrn. von Frege's Leitung verlangt, man solle nur schutzzöllnerische National⸗ ökonomen zu Professoren machen. (Ruf rechts: Auch agrarische!) Auf diese Weise freilich würden wir bald so sachliche Aussprüche wie den des Professors Conrad in Deutschland nicht mehr haben. Wenn die Herren Alles repidiren wollten, so rathe er dem Kultus⸗ Minister, auch die schönen Lesebücher zu revidiren, wo es vom alten Fritz heiße, daß er die Lebensmittel so wohlfeil. wie möglich habe haben wollen. Solche gefährlichen Lehren müßten verbannt werden. Habe doch der Abg. Freiherr von Loë bereits dem „scheußlichen römischen Recht“ den Krieg erklärt! Man könne noch Vieles erleben. (Lachen 6 Er gebe dem Reichskanzler zu, daß eine Ermäßigung oder selbst Aufhebung der Getreidezölle für kurze Zeit keinen durchschlagenden Erfolg haben würde. Sie würde eine bedenkliche Unsicherheit für den Handel herbeiführen. Aber seine Partei verlange eine solche Aufhebung auf kurze Frist nicht. Sie meine, daß man früher oder später mit dem ganzen System brechen müsse. In dieser Beziehung trenne sie sich von dem Reichskanzler, der zwar eventuell für eine Ermäßigung, aber nicht für eine Aufhebung der Getreidezölle sei. Sie sei ihm dankbar für diese Erklärung. Für sie entstehe daraus die Verpflichtung, ihn bei seinem ersten Schritt zu unterstützen und dann weiter so lange auf die Bevölkerun und die Regierung einzuwirken, bis endlich der alte Zustand wieder hergestellt sei. Die letzten 10 Jahre hätten bewiesen, wie wenig

volltönenden Voraussagen über die Wirkungen der Getreidezölle sich

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