petentes Urtheil über den Werth der Entdeckung und über das Mittel nicht herausnehmen. Es stehe aber fest, daß das Mittel ein außer⸗ ordentlich wirksames und daß die Grundlage der wissenschaftlichen Forschung, durch welche man dasselbe gefunden, eine durchaus richtige sei. Der Heilwerth des Mittels in seiner gegenwärtigen Anwendung sei aber zweifelhaft. Um dieses Mittel richtiger anzuwenden, empfehle sich die bisher mit Unrecht zurückgesetzte homöopathische Methode. Es gehöre zur Ehrenpflicht des preußischen Staates, alle Wege auf⸗ zusuchen, welche sich darböten, um das Koch'sche Mittel nutzbar zu machen und die Gefahren desselben zu vermindern. Zahlreiche Mit⸗ glieder des Hauses würden aus eigener Erfahrung bestätigen, wie segensreich die Homöopathie sowohl bei akuten, wie bei chronischen Krankheiten gewirkt habe. Die Statistik von 1883/84 habe bewiesen, daß bei der allopathischen Behandlung der Diphtheritis in Berlin die Sterblichkeit 28 ½ %, bei der homöopathischen aber nur 4 % be⸗ tragen habe. Es sei an der Zeit, die Homöopathie von ihrer Aschen⸗ brödelstellung endlich zu befreien. Er möchte den Minister fragen, ob es nicht möglich sei, bei dem Institut für Infektionskrankheiten eine Abtheilung auch für die homöopathische Behandlung der Krank⸗ heiten nach der Koch'schen Methode einzurichten, um den Werth der Homöopathie nach dieser Richtung hin kennen zu lernen. Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz⸗Trützschler: Meine Herren! Ich glaube versichern zu können, daß ich den Anregungen, die der Herr Freiherr von Durant eben gegeben hat, durchaus mit Wohlwollen gegenüberstehe und meinerseits sehr gern bereit sein werde, sie auch so zu behandeln, soweit es selbstverständlich von denjenigen maßgebenden sachverständigen Organen für möglich erachtet wird, deren ich mich auf diesem Gebiete bedienen muß. Aus diesem Grunde, eben weil ich nicht Sachkenner bin, enthalte ich mich einer Ausführung über die ganze sogenannte Koch'sche Tuberkulinfrage, und ebenso über die Angelegenheit und das System der Homöopathie. Nur bitte ich, mir nach beiden Richtungen hin ein paar kurze Bemerkungen gestatten zu wollen. Sie wissen, meine Herren, daß ich der Koch'schen Angelegenheit vollständig objektiv gegenüber⸗ stehe und daß also das Urtheil, welches ich jetzt über die Sache aus⸗ spreche, ja lediglich begründet ist auf einem Ergebniß des Studiums einer ganzen Reihe der verschiedenartigsten Beobachtungen. Ich glaube, danach mit Bestimmtheit erklären zu können, daß der wissenschaftliche Werth der Koch'schen Entdeckung ganz allgemein anerkannt wird und außer Frage steht, und daß der therapeutische Werth dieser Entdeckung, wie man wenigstens in den betheiligten Kreisen stark hofft, in Kurzem eine ganz außer⸗ ordentliche Steigerung erfahren wird, wenn es, wie es, glaube ich, zweifellos ist, dem Geheimen Rath Koch gelingt, die Rein⸗Darstellung des wirksameu Stoffes in seinem Mittel herbeizuführen. Er ist seit Monaten mit dieser Aufgabe beschäftigt, er hat mir vor Kurzem mitgetheilt, daß er hoffe, sie in einigen Wochen bereits beendet zu haben, und daß er dann, wie das ja auch eine von ihm aus⸗
gegangene, in den medizinischen und in den politischen Tages⸗ blättern veröffentlichte Mittheilung in Aussicht stellt, dieses Mittel durchau sowohl seiner chemischen Zusammensetzung wie seiner Herstellungsweise nach der Oeffentlichkeit und der allgemei⸗ nen Prüfung unterbreiten wolle. Ist dies geschehen, dann erst wird die Frage endgültig zu lösen sein, ob mit dieser an sich vom wissen⸗ schaftlichen Standpunkt aus unzweifelhaft bedeutenden Entdeckung auch der Heilwirkung nach ein großer Fortschritt und eine medizinische Errungenschaft erlangt ist. Ich hoffe es, aber soweit zu gehen, jetzt zu behaupten, daß diese Errungenschaft schon erreicht sei, kann ich nicht.
Was nun das Institut für Infektionskrankheiten betrifft, so bemerke ich, daß in dem Reg lement, welches für die Geschäftsführung in diesem Institut schon jetzt herausgegeben ist, ausdrücklich Folgendes bestimmt ist.
„Der Gedanke, die Infektionserreger im Innern des erkrankten Körpers zu vernichten, die Heilung der Infektionskrankheiten hat eine greifbare Gestalt angenommen. Koch's Entdeckung eines Spezifikums gegen die Tuberkulose ist nur der erste Schritt auf diesem Wege. Substanzen der von Koch entdeckten Art, welche eine spezifische Wirkung auf ein bestimmtes krankhastes Gewebe ausüben, waren bis dahin so gut wie unbekannt. Die wenigen bisher als spezifisch erkannten Heilmittel, wie Quecksilber und Jodkalium bei Syphilis, Chinin bei leichten Fällen von Wechselfieber, die Salizylsäure bei manchen Formen des Gelenkrheumatismus verdankt die Medizin nicht dem planmäßigen wissenschaftlichen Versuch, während die Koch'schen Entdeckungen die Möglichkeit gewähren, die im kranken Körper sich abspielenden Heilbestrebungen der Natur zu erforschen und zielbewußt nach⸗
uahmen.“
Das ist also jetzt die Aufgabe dieses Instituts, auf dem ganzen Ge⸗ biet der Infektionskrankheiten sich nach dieser Methode hin wissen⸗ schaftlich zu vertieffen. — Daß bei dieser Methode, die keine Form der medizinischen Behandlung ausschließt, eventuell auch die homöo⸗ pathische Heilform benutzt werden kann, das halte ich für ganz zweifel⸗ frei und ich würde dem Perrn Freiherrn von Durant anheimgeben, wenn er sich dafür interessirt, sich in dieser Beziehung mit dem zukünftigen Dirigenten dieses Instituts, Herrn Geheimen Rath Prof. Dr. Koch, in Verbindung zu setzen und ihm nach dieser Rich⸗ tung hin Vorschläge zu machen. (Heiterkeit.) Nein, das meine ich wirklich ernsthaft. (Große Heiterkeit.) Ich glaube fest, daß es möglich ist, wenn die homöopathische Heilform überhaupt richtig ist, auf dem Wege, auf dem das Institut vorgehen soll, zu etwas zu ge⸗ langen, was ja der homöopathischen Methode bis jetzt fehlt, nämlich die absolute Zuverlässigkeit in Bezug auf Beobachtung und Heil⸗ wirtung nachzuweisen. Es fehlt ihr diese Basis, deswegen wird sie ja von den Allopathen nicht anerkannt und von der Wissenschaft bestritten. Ich glaube, die Königliche Staatsregierung ist durch⸗ aus auf einem richtigen Wege, wenn sie einem Institut, dem eine volle freie wissenschaftliche Bahn nach allen Richtungen hin gewährleistet ist, die Aufgabe giebt, jede an dasselbe herantretende Heilform in ihrer Grundlage zu erforschen. Daß die homöopathische Methode eine Heilform ist, ist ganz zweifellos, ich glaube also, daß auch sie eine Berücksichtigung finden kann. Ich möchte mich auf diese Mittheilungen beschränken, weil ich auf die weiteren Ausführungen bezüglich der Homöopathie leider dem Herrn Freiherrn von Durant nicht folgen kann. Ich bin nicht sachverständig genug, namentlich kann ich nicht beurtheilen, welchen objektiven Werth
die statistischen Angaben haben, die der Herr vorher angeführt hat. fallchiherr von Durant dankt dem Minister für die Erklärung, füdwestlit. ausgeschlossen sei, daß auch die homöopathische Methode scheinuneg 2 e. Die Initiative der Regierung werde aber viel
metric Sr Ils wenn er sich mit Professor Koch verbände.
Beim Extraordinarium des Kultus⸗Etats berichtet
Referent Herr von Pfuel berichtet über die im Abgeordnetenhause abgelehnte, den neuen Dombau in Berlin betreffende Forderung. Im Jahre 1890/91 seien für Vorarbeiten und Pläne für den Dombau 600 000 ℳ bewilligt; davon seien bisher 120 000 ℳ ausgegeben, und der Rest sei in diesem Etat mit der Zweckbestimmung „zur Er⸗ bauung einer Interimskirche, Ueberführung der Särge und Abbruch des alten Doms“ eingestellt worden. Wegen dieser veränderten Zweck⸗ bestimmung sei die Petition vom Abgeordnetenhause abgelehnt worden, weil man mit der Bewilligung gleichzeitig eine Bewilligung des neuen Dombaues selbst ausgesprochen haben würde, dies aber nicht habe thun wollen, bevor man sich über die definitive Lösung der Auf⸗ gabe verständigt habe. Für den Dombau seien ursprünglich 10 Millionen vorgesehen worden, das Projekt des Prof. Raschdorf bedürfe aber 21 Millionen. Es komme die Schwierigkeit der Frage hinzu, ob der Fiskus überhaupt berechtigt sei, für den Dombau die Mittel zu geben. Das Abgeordnetenhaus habe also Alles beim Alten gelassen und die Kommission des Herrenhauses habe sich dem angeschlossen in der Hoffnung, daß die Schwierigkeiten sich irgendwie beseitigen lassen würden. Schon der hockselige Kaiser Wilhelm I. habe in einem Erlaß die Nothwendigkeit eines neuen Dombaues betont. Der Weg zur Beseitigung der Schwierigkeiten sei schon betreten und er enthalte sich deshalb besonderer Anträgge.
Graf von Zieten⸗Schwerin: Es sei hier eine Ehrenschuld einzulösen, das sei man unserem unvergeßlichen Kaiser Wilhelm I. schuldig. Er hoffe daher, daß die Regierung den richtigen Weg finden und daß der Landtag die erforderlichen Mittel, etwa bis zu 10 Millionen Mark, bewilligen werde. Einen üblen Eindruck im Lande würde es aber machen, wenn man einen Dom für 10 Millionen Mark bauen und daneben die sonstigen Kirchennothstände in Berlin bestehen lasse. Man müsse vor Allem diesem trostlosen Zustand fest ins Auge sehen, den Weg zur Abhülfe suchen und sich nicht davor fürchten, wenn vielleicht eine enorm hohe Summe erforderlich sei. Er würde dem Kultus⸗Minister sehr dankbar sein, wenn er verfügen wollte, daß das Königliche Konsistorium sich einen Weg suchen solle, um zunächst den Nothstand vollständig klarzustellen und festzustellen, wie viel Mittel erforderlich seien. Die Berliner Stadtsynode habe jetzt das Anleiherecht erhalten. Der Staat solle auch nicht allein die Mittel zur Abhülfe des Nothstandes hergeben, wenn er auch zur Zeit die Schuld daran trage und es ihm ganz Recht sei, wenn er aus seinen Mitteln Zuschüsse geben müsse. Die Interimslirche für den Dom könne, da sich die Domgemeinde über ganz Berlin verbreite, sehr wohl an einer Stelle gebaut werden, wo sje später als Gemeindekirche bleiben könne. Er hoffe zuversichtlich, daß der Minister sich der Sache warm annehmen werde. Auch in anderen großen Städten beständen ähnliche Nothstände wie in Berlin. Der Finanz⸗Minister habe gestern an⸗ geführt, daß an einer Stelle bis zu 17 % Kirchensteuern erhoben würden, ihm (Redner) seien Fälle bekannt, wo Kirchensteuern bis zu 100 % der Staatssteuern erhoben würden. .
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz⸗Trützschler: 4
Ich bin dem Herrn Referenten für den Etat ganz besonders dankbar dafür, daß er in einer, wie ich hoffe, nach allen Richtungen hin fruchtbaren Weise die Erbauung des hiesigen Domes noch Mal in diesem hohen Hause in Anregung gebracht hat. Ich werde die Gesichtspunkte, die der Herr Referent vorgetragen hat, nach allen Seiten hin in Erwägung nehmen, und ich glaube, daß wir schon jetzt auf den Bahnen sind, die geeignet sind, einmal den Bedürfnissen zu genügen, andererseits aber auch — und das ist hier das Wesentlichste — denjenigen Allerhöchsten Intentionen zu ent⸗ sprechen, die in einer Berücksichtigung der Wünsche der beiden großen Kaiser, die vor unserm Allergnädigsten Herrn regiert haben, wurzeln, und die sich ja wesentlich auch darauf richten, in dem neuen Gebäude eine Stätte zu bereiten, die den Heimgeschiedenen des erhabenen Hohenzollern⸗Geschlechts geweiht sein wird.
Ich bitte mir zu erlassen, auf die Details dieser Frage ein⸗ zugehen, weil sie sich, glaube ich, noch in einem Stadium befindet, daß nach dieser Richtung hin Aeußerungen nicht zweckmäßig erscheinen. Was die von dem Herrn Grafen Zieten⸗Schwerin angeregte Kirchen⸗ baufrage in Berlin anbetrifft, so liegt es ja auf der Hand, daß es nicht nur mein aufrichtiges Bestreben, sondern auch meine ernste und strengste dienstliche Pflicht ist, dieser hochwichtigen Frage jede Förderung angedeihen zu lassen, die mir nur irgend möglich ist. Aber in der Darstellung des gegenwärtigen Zustandes und der früheren Entwickelung befinde ich mich gegenüber dem Herrn Grafen Zieten⸗ Schwerin doch in einigen Punkten nicht ganz in Uebereinstimmung. Es mag ja richtig sein, daß die Kirchennoth dieser großen Stadt, wie vieler anderen großen Städte, in einer derartigen Verschuldung, d. h. in einer Gleichgültigkeit gegen die Bedeutung der Kirchbauten überhaupt ihren Grund hat; aber die Sache nun so darzustellen, als ob speziell für Berlin die Staatsregierung lediglich der Theil gewesen wäre, der allein die jetzigen Thatsachen als eine Versündigung auf seine Schul⸗ tern zu nehmen hat, das, glaube ich, ist doch gewiß nicht richtig. In allen solchen Dingen, in allen gerade nach der ethischen Seite hin gerichteten Bestrebungen ist mehr oder weniger die Staatsregierung stets nur das Organ dessen, was allgemein im Lande gefühlt und als nothwendig erkannt wird, und weil eben dieses Gefühl früher im Lande nicht bestand, deswegen haben wir diese Kirchennoth; jetzt haben wir das Gefühl und jetzt werden wir ihr auch abhelfen.
Dann aber auch, meine Herren: ist es denn thatsächlich so, daß in den letzten Jahren hier nichts geschehen ist? Meine Herren, ich er⸗ innere daran, daß lediglich der Allerhöchsten Initiative 23 Kirchen seit dem Regierungsantritt des jetzt regierenden Kaisers Majestät entweder ihre Vollendung oder ihren Bauanfang oder die schon recht weit ge⸗ diehene Förderung der Vorbereitung ihres Baues verdanken. (Bravo!)
Ich meine, das ist doch eine Leistung, die wahrlich nicht zu unter⸗ schätzen ist, denn auch für eine Stadt wie Berlin sind 23 Kirchen schon etwas ganz Erhebliches.
Dann, meine Herren, der Plan für die Erfüllung der Bedürf⸗ nisse. Ja, auch dieser Plan ist längst erwogen. Mein Herr Amts⸗ vorgänger hat in der eingehendsten Weise, wie ich aus den Akten dies ersehen habe, nicht bloß eine, sondern mehrere Denkschriften über diese Frage zum Theil selbst verfaßt, zum Theil unter seiner Direk⸗ tive verfassen lassen. Man ist auch weiter gegangen, man hat die Kostenfrage bereits erörtert, und wenn das Gesetz wegen der Gewährung der Anleihebefugniß an die Synoden von Berlin in diesem Jahre eingebracht und verabschiedet werden konnte, so hat dieses Gesetz ja wesentlich seinen Grund darin, der Stadt Berlin selbst die Möglichkeit zu geben, diesem auch von ihr, wie ich glaube, doch in den überwiegenden Schichten der evangelischen Bevölkerung empfundenen dringenden Bedürfniß Rechnung zu tragen. Ich möchte also bitten, auf der einen Seite die Sache nicht zu schwarz zu sehen, auf der anderen Seite anzuerkennen, und zwar mit Freuden anzuerkennen das, was von allen Seiten, insbesondere auch von Aller⸗ höchster Stelle nach dieser Richtung hin geschehen ist, und sich ferner versichert halten zu wollen, daß sowohl die Staatsregierung, wie alle dabei betheiligten Instanzen Hand in Hand gehen werden, um diesen
Graf von Zieten⸗Schwerin: Er erkenne an, daß in der jüngsten Zeit gegen die Kirchennoth Mittel ergriffen worden seien. Die Schuld liege aber sehr weit zurück. Sie reiche bis ins vorige Jahrhundert. Damals hätte nach dem preußischen Landrecht die Staatsregierung die Pflicht gehabt, die Kirchenpatrone auf den be⸗ ginnenden Nothstand aufmerksam zu machen. Was in den letzten Jahren geschehen sei, sei ihm nicht unbekannt gewesen, da er ganz genau wisse, wie die Majestäten die Sache förderten. Er bitte die Staatsregierung, das, was gestern der Finanz⸗Minister in dankenswerther Weise in Aussicht gestellt habe, eintreten zu lassen, daß der so schädliche Dualismus auf dem Gebiet des Kirchenbau⸗ wesens aufhöre, der es verschulde, daß jetzt so viele angefangene Kirchenbauten nicht vollendet werden könnten. 3
Das Etatsgesetz und der Etat werden darauf ge⸗ nehmigt, die Berichte der Eisenbahnverwaltung werden durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt. — Es folgt die Berathung der vom Ober⸗Bürgermeister Bräsicke (Bromberg) beantragten Resolutionen:
I. Der Staatsregierung zu empfehlen, die im „Staats⸗An⸗ zeiger“ vom 5. März d. J. in Aussicht genommene Reform der Personentarife nur mit folgenden Aenderungen einzuführen: 2
1) Die III. Wagenklasse hat aus einem Sitz⸗ und einem Steh⸗ platz zu bestehen; wer den letzteren wählt, hat das Recht, Trag⸗ lasten frachtfrei mitzunehmen. '.—
2) Die Fahrpreise der I. und II. Wagenklasse sind auf weitere Entfernungen nicht auszugleichen, sondern aus abgestuften Einheits⸗ sätzen für das Kilometer zu bilden und demgemäß auf 300 bis 400 km um 20 % und auf 500 bis 600 kkm um 30 % zu er⸗ mäßigen. 8
8 Neben den gewöhnlichen Fahrkarten sind Rabattbillets zu ermäßigten Preisen einzuführen, die für die I. und II. Klasse min- brechungen gestatten, aber in bestimmter Zeit abgefahren werden müssen. 16 1) Die Gapäckfracht ist der Eilgutfracht gleichzustellen; die Eilgutfracht ist auf weitere Entfernungen aus gestuften Einheitssätzen für 1 t und 1 km zu bilden.
II. der Staatsregierung zu empfehlen: 88 5
in Erwägung, daß die gegenwärtige Bildung der Gütertarife
größere oder geringere Länge der ganzen Beförderungsstrecke nur mit einmaligen Zuschlägen für die Abfertigung für die weiteren Ent⸗ fernungen viel zu hohe und wirthschaftlich ungerechte Tarife er⸗ geben hat und gegen das thatsächliche Bedürfniß, den wirthschaft⸗ lichen Werth der Zeit und das eigene Interesse und den Zweck der Eisenbahnverwaltung, bestehend in der thunlichsten Erleichterung des Waarenaustausches, verstößt,
in weiterer Erwägung, daß die Beseitigung der genannten rechtigkeit und des gedeihlichen Waarenaustausches auf führung von Gütertarifen mit abgestuften Einheitssätzen, die auf weitere Eatfernungen auf nahe, zu erreichen ist,
nehmen und sofort im Wege einer allgemeinen Tarifreform durch⸗
der Eisenbahn die Reform vorläufig auf Entfernungen über 400 km mit staffelweiser Rückwirkung bis zu 300 km zu beschränken Ober⸗Bürgermeister Bräsicke zieht mit Rücksicht auf die Ge⸗ schäftslage und die gestern vom Finanz⸗Minister abgegebenen Er⸗ klärungen die erste Resolution zurück und führt zur Begründung der zweiten aus: Die schwierige Aufgabe der Uebernahme der Eisenbahnen in die Staatsbahnverwaltung sei von der Regierung und dem an der Spitze dieser Verwaltung stehenden Mann glänzend gelöst worden; Preußen habe ein grofackiges sicher arbeitendes uad für den Staat reiche Einnahmen abwerfendes Staatseisenbahnsystem. Trotzdem würden in weiten Kreisen der Bevölkerung noch lebhafte Klagen erhoben, nämlich über die Gütertarife. Man klage über die Höhe der Tarife, welche die Benutzung der Eisenbahn für weite Strecken unmöglich mache, und über das Durcheinander von Normal⸗ und Differenzialtarifen. Der Staat müsse die Tarife so ordnen, daß nicht nur gute Einnahmen entstängen, sondern auch wirthschaftlichen Bedürfnissen genügt werde. Nach dem vorgeschlagenen Tarifsystem könne sowohl der Staat größere Einnahmen erzielen, als auch die wirthschaftliche Thätigkeit unseres Landes außerordentlich gehoben werden. Jetzt gehe die Metertonne durchschnitt⸗ lich 15 Meilen weit, in den Jahren 1874 bis 1885 sei sie durch⸗ schnittlich 20 Meilen weit gegangen. Ein Güterverkehr von über 400 km sei bei uns so gut wie ausgeschlossen, während in Oester⸗ reich⸗Ungarn, Rußland und Amerika Stückgüter bis 1000 km in großer Menge befördert würden. Unsere Kohle könne einen längeren Eisenbahnweg vertragen, weil für sie Differenzialtarife beständen. Man habe nun das System der Differenzialtarife, welches gar keine Be⸗ rücksichtigung der Entfernung gekannt habe, beseitigt zu Gunsten eines womöglich noch schlechteren rein mechanischen Tarifs. Die Tarife müßten so eingerichtet werden, daß sie die Größe des Absatzes berücksichtigten, es müsse ein Rabattsystem im weitesten Umfang eingerichtet werden. Ein solches System könne umsomehr empfohlen werden, als es sich in verschiedenen außerdeutschen Ländern aufs Beste bewährt habe. Er empfehle die Annahme seiner zweiten Resolution. “ 8 1 8 Ministerialdirektor Fleck: Die kilometrische Frequenz im Güter⸗ verkehr habe sich von 1879/80 bis 1889/90 auf den preußischen Staatsbahnen um etwa 50 % gehoben, ein Resultat, welches kein anderer großer Eisenbahnkomplex zu verzeichnen habe. In Frankreich sei während dieser Zeit der kilometrische Verkehr zurückgegangen. Es seien ferner im Laufe der Zeit Tarifermäßigungen und Ver⸗ kehrserleichterungen eingeführt worden, welche in einer Broschüre mit einem Jahresbetrag von nabezu 100 Millionen berechnet seien. Der Vorredner sei über das Maß des Verkehrs über 400 km nicht ganz genau unterrichtet. Nach den statistischen Aufzeich⸗ nungen, welche für einen Monat gemacht seien, stelle sich die Tonnenkilometerzahl für die Transporte von über 400 km auf 21 % Was nun die Resolution selbst betreffe, so könne er im Namen der Staatsregierung eine bestimmte Stellung zu derselben nicht kundgeben, die Resolution sei gestern unmittelbar vor der Plenarberathung des Etats in diesem Hause zur Kenntniß der Staatsregierung gelangt und sei namentlich in ibren finanziellen und wirthschaftlichen Wirkungen nicht ohne Weiteres zu über⸗ sehen. Die Bedenken gegen das vorgeschlagene System lägen nicht sowohl auf eisenbahntechnischem Gebiet, im Gegentheil, es sei niemals ein Zweifel darüber gelassen worden, daß die Eisen⸗ bahnverwaltung die staffelmäßige Tarifbildung im „eigenen Interesse für das Richtige halte. Die Bedenken lägen auf finanzielem und namentlich auf wirthschaftlichem Gebiet. In letzterer Beziehung sei in den westlichen und mittleren Pro⸗ vinzen in der letzten Zeit lebhafter Widerspruch erhoben worden, und er wisse nicht, ob das Haus in der Lage sei, heute über diese Be⸗ denken hinwegzugehen und für oder wider schon eine bestimmte Stellung zu nehmen. Er möchte deshalb dem Hause anheimstellen, die Resolution der Staatsregierung als Material zu überweisen. Graf von Mirbach: Er empfehle aufs Wärmste auf Grund seines ausführlichen Studiums die Resolution, und zwar wegen der vorgerückten Zeit mit der Einschränkung, die der Regierungskommissar daran geknüpft habe. . Die Resolution wird der Staatsregierung als Material
überwiesen. .““ Schluß 5 ¼ Uhr.
schweren Mißstand, so Gott will, zu beseitigen. (Bravo!) 11.“
destens auf 400 bis 600 km und für die III. Klasse mindestens auf 1000 bis 1200 km zu lauten haben und beliebige Fahrunter⸗
der preußischen Staatseisenbahn⸗Verwaltuag auch die Einrechnung der gleichen Einheitssätze für 1 t und 1 km ohne Rücksicht auf die
Fehler in der Tarifbildung im Interesse der wirthschaftlichen He. 8
weitere Entfernungen dringend geboten und durch die allgemeine Ein⸗ für 1 t und 1 km niedriger sind als die Bildung der Gütertarife mit gestuften Einheitssätzen anzu⸗ 8
zuführen, mit dem Anheimstellen, im Interesse der Ertragsfähigkeit
zum
Deut
1“ 8s 8
Anzeiger und Königlich Preußis
Zweite Beilage
Berlin, Sonnabend, den 20. Juni
.
r. q“
en Staats⸗
Berlins schildern will nur die Zahl und Art der öffentlichen ihnen beförderten Personen anzugeben; au passirenden Fußgänger, statistisch
einigermaßen statistische Aufzeichnungen in nicht, theils nur mit so groß in Berlin wie in anderen G stellung des Gesammtverke 1 gewissen Zeiten
Zählungen (Stichproben) stattge älteren gleichartigen Daten oder städten, als Maßstab für die So ist erst im b hrsreichen Punkten der Reichshauptstadt eine polizeiliche es Fuhrwerks⸗ und Fußgängerverkehrs bewirkt worden, ssen wir einige ältere Zahlen aus den Jahren 1878 bis Es verkehrten 1891
haben zu
gelten können. gewählten verke Ermittelung d deren Ergebni gegenüberstellen wollen,
während 16 Stunden (von 6 Uhr Morgens bis 10 Uhr
1887 täglich
—
Wenn
man den
erfaßt vollständig
Abende) an der Ecke der Friedrichstraß öechneeee“ in der Königstraße, unter der Stadtbahhn ... Holzmarktstraße.
in der Alexanderstraße, Ecke auf der Bellealliance⸗Brücke.. in der Großen Frankfurterstraße
auf dem Potsdamer Platze
in der Rosenthalerstraße. an der Ecke der König⸗ un
auf der Oranienbrücke.
an der Ecke in der Leipzig
täglich 5893 L
und Wilhelmstraße
ezählt.
in der Leipzigerstraße, zwischen Jerusa⸗ lemerstraße und Spittelmarkt
„ Leipzigerstraße, zwischen Leipziger Platz und Wilhelmstraße ...
„ Friedrichstraße, zwischen Behren⸗
9
Leider scheint die neueste anderen Punkten stattg so fehlen bei den bis je Jahres die meisten der die Jahre 1882 — 88
Erhebungsstellen.
und Taubenstraße
und Georgenstraße
auf der Oranienbrücke.
in d
pafsirt
Bringt man für die neuere Angaben vorliegen,
„ Jannowitzbrücke
er Gertraudtenstraße, zwischen Ger⸗
hrs
e uU
gegeben.
nden Fuhrwerken befanden Droschken; von den Wagen, und Invalidenstraße an den Stichtagen astfuhrwerke, und unte passirenden Verkehrsmitteln wurden 1523
1 Friedrichstraße, zwischen Dorotheen⸗
1
Verkehr einer Groß „so genügt es nicht,
Lastwagen, werden können, machen. dem genannten Umfange theil en Kosten zu gewinnen, daß man sowohl roßstädten von einer zahlenmäßigen Dar⸗
Abstand nehmen muß. an wichtigen
stadt von dem Umfange ur Kennzeichnung desselben
Verkehrsmittel und der von ch die Menge der die Straßen
wollte Le der
man
sind
Privatfuhrwerke u. s. w. münte jenes
Bild regelmäßige s überhaupt
Dagegen
Verkehrsmittelpunkten funden, die immerhin, verglichen mit
ähnlichen Angaben in anderen Groß⸗ Beurtheilung des Verkehrsumfanges März dieses Jahres an einigen aus⸗
nd der Straße
d Spandauerstraße. der Chaussee⸗ und Invalidenstraße gerstraße, zwischen Kommandanten⸗ straße und Spittelmarkt 11““ in der Leipzigerstraße, zwischen Leipziger Platz durch das Brandenburger Thor . . . . . Ueber die Art des Wagenverkehrs ist wenig wisse Auskunft Platze verkehren und 5499 Dro
r den d
entnommenen Zusam Es wurden beobachtet
1 1
20 016 00 807 91 530
91 125
88 689
87 266
86 668 84 975
83 955
82 995 78 300 60 234
43 070
durchschnittlich
Fußgänger Fuhrwerke
13 479 10 016 8 823 8 984 6 697 17 368 5 950 9 984 5 702 13 449
7 861
11 345 8 026
stens bei folgenden Unter den auf dem Potsdamer
sich 3147 Pferdebahnwagen
im Jahre
1884 1883 1883
traudtenbrücke und Petrikirchplatz 1887
Leipzigerstraße, Platz und Wilhelmstra Jannowitzbrücke. Oranienbrücke
Münzstraße, zwischen Grenadier⸗ u.
Kaiser Wilhelmstraße
Gertraudtenstraße, zwischen Ger⸗ traudtenbrücke und Petrikirchplatz. 18
zwei Erhebungsstellen, für welche ältere und erstere auf den gleichen Beobachtungszeit⸗ at im westlichen Theile der Leipziger⸗
raum von 16 Stunden, so straße der Fußgängerverkehr in
um 21 999 Köpfe
von 71 051 auf bei dem Wagenverkehr von 5826 auf 5702 oder um 124 (2,1 %) ein, eine sowohl dadurch, daß die beiden Erhebungen in verschi
steigerte
1“ 8 ö
zwischen ße.
h
83 955 od
sich der
Ueber den Fußgängerverkehr be
Leipziger
täglich
17
täglich
welche die Ecke der Chaussee⸗ kreuzten, waren durchschnittlich as Brandenburger Thor Privat⸗Personenfuhrwerke
Verkehrszählung fast durchgängig an efunden zu haben als die früheren Erhebungen; tzt bekannt gewordenen Ergebnissen des laufenden in der folgenden, dem Magistratsberichte für menstellung angegebenen
während Fuhrwerke Stunden
“ 8.
4 445
richtet dieselbe Quelle: Es
während Fußgänger Stunden
zeiten stattfanden, wie durch die Aufhebung der
dem Oranienplatz, zwischen dem Suüdof
—₰
werden kann.
Nach
wie folgt ermittelt: 79 198, Westminster
sonen. Ueber den Wagenve
Wie verhält sich nun der Verkehr in avoeren Großstädten? Darüber geben fol ich einer Angabe im Centralblatt der 1882) ist die Zahl der Fußgänger für einige Brücken in
ondon Bridge 110 525, 44 460, Waterloo Bridge 32 815 Per⸗
Bridge
gemacht: Es verkehrten
in der Prinzeß Street
16“
„ Neadenhall Street. Gracechurch Street.
Easton Roaod. arliament Street. lew Gate Street.
Moorgate Street.
Bridge.
auf der London Bridge
„ Blackfriars Bridge 8
— 88 8
Strand und Fleet Street
im 2 wã Jahre S
King William Str. bei London
sowie durch die Eröffnung neuer
16
bezw. 57 ½ %, der Wagenverkehr in dagegen nur um 470 Gefährte oder 4,3 % Oranienbrücke
. zugenommen. Verkehr bei
427 506.
8 Jahren von 28 235 auf 60 234 oder
10 Jahren Auf der
den Fußgängern
er um 12 904 Köpfe bezw. trat sogar in derselben
Zeit eine Verminderung Thatsache, die edenen Jahres⸗
Wochenmärkte auf
Verbindungen ten und den angrenzenden Stadttheilen erkkärt
Berlin zu demjenigen in gende Zahlen Auskunft.
Bauverwaltung (Jahrgang
täglich
London
Blackfriars Bridge
rend tunden
81
1878 1881 1878 1878 1878 1879 1879
1881
1888
12 17 17 17 12 12
12
e Shee folgende Beobachtungen 1“ 84
Fuhrwerke
6 574 6 128 12 148 10 590 16 208 12 132 14 306 8 749 7 529
17 861 22 242
In dem Werke „Les Traveaux publies de France“ (Paris 1874) wird in Bezug auf den Pont neuf in Paris bemerkt, daß schon im Jahre 1842 die Zahl der diese Brücke Ueberschreitenden sich auf 80 000 in 24 Stunden beziffert und diese Zahl bis zur Ab⸗ fassung der Schrift sich verdoppelt habe. Zählungen, die in Paris vom 1. Mai 1881 bis ebendahin 1882 in 43 Straßen statt⸗ gefunden haben, und zwar in 24 stündigen Beobachtungen, lassen auf theilweise noch erheblich größeren Wagenverkehr als in London schließen. Leider sind nicht die Wagen, sondern die Pferde ermittelt worden. Um einen Vergleich mit den vorstehenden Angaben zu er⸗ möglichen, ist nach früheren Veröffentlichungen die Zahl der Wagen aus der der Pferde berechnet worden. Hiernach verkehrten, innerhalb 24 Stunden in der Rue de Rivoli an der Ecke des Loudre 28 000 Fuhrwerke, in der Avenue de l'Opéra 24 000, in der ziemlich engen Rue du Pont neuf 16 400, in der ebenfalls nicht breiten Rue St. Honors etwa 13 100, in der Rue Montmarte 7200, auf dem Pont de la Concorde mit 9,75 m breitem Fahrdamm 7500 u. s. w.
Statistik und Volkswirthschaft.
Handel und Industrie im Jahre 1890.
Die Handelskammer für Barmen leitet ihren Jahres⸗ bericht mit folgenden allgemeinen Bemerkungen ein:
Mit vollem Vertrauen und berechtigten Hoffnungen waren In⸗ dustrie und Handel in das neue Jahr eingetreten, denn das Jahr 1889 war unter günstigen Auspicien zu Ende gegangen, und es lagen Anzeichen vor, daß die nächste Zukunft eine lebhafte Thätigkeit bringen werde. Leider sah man sich bald in seinen Erwartungen getäuscht. Schon das Frühjahr brachte die erste Enttäuschuug durch das Eintreten der Influenza, welche die Arbeiter zeitweise massenhaft arbeitsunfähig machte und, wo sie sich zeigte, sehr störend auf Handel und Wandel wirkte. Es folgte dann ein gänzlich verregneter Sommer, eine große Geldknappheit im Herbst sowie Kohlennoth und Ueber⸗ schwemmung im Winter. Während der ersten Hälfte des Jahres machten sich ferner große beunruhigende Lohn⸗ arbeiterbewegungen aller Orten, besonders in den Kohlenbezirken. geltend. Auch der Barmer Bezirk wurde von einem Strike heim⸗ gesucht, an welchem sich etwa 600 Arbeiter betheiligten. Zu gleicher Zeit erschienen unter dem Namen „Mac Kinley“ die Gesetzentwürfe zu der bekannten neuen Zollgesetzgebung der Vereinigten Staaten von Nord⸗Amerika und warfen ihre Schatten vorauf. Die erste Wirkung dieser Schutzzollbestrebungen war eine allgemeine Stockung der Aufträge aus den Vereinigten Staaten. — Als dann, was kaum für möglich gehalten, jene Bestrebungen feste Gestalt angenommen und zum
Gesetz geworden waren, entwickelte sich auf der ganzen Linie unserer für die Vereinigten Staaten arbeitenden Industrie während einiger Zeit eine fieberhafte Thätigkeit, denn es galt nunmehr, vor Inkrafttreten des Gesetzes an Waaren noch hinüber zu schaffen, was nur möglich war. Auf diese spekulative, ungesunde Thätigkeit folgte, da inzwischen die Mac Kinley⸗Administrativ⸗ und Tarif⸗Bill in Kraft getreten war, der naturgemäße Rückschlag, welcher sich zunächst in fast gänzlicher Geschäftslosigkeit für die Vereinigten Staaten äußerte, ein Zustand, der indessen gegen Ende des Jahres sich wieder gebessert hatte. Als drittes Moment im Bunde der nordamerikanischen Zoll⸗ politik wirkte die amerikanische Silberbill. Dieselbe hatte eine maßlose Spekulation auf dem Silbermarkte und dadurch beispiellose Preisschwankungen der Silberwerthe hervorgerufen. Große Unsicherheit des internationalen Geldmarktes und eine gegen den Herbst sehr fühlbare allgemeine Geldknappheit war die Folge davon. Zu allen diesen Einflüssen aus Nord⸗Amerika kamen endlich die politischen Wirren in den La Plata⸗Staaten und besonders die zerrütteten finanziellen Verhältnisse in Argentinien, und so endigte das Jahr 1890, ohne die Erwartungen eingelöst zu haben, die man an dasselbe im Anfange geknüpft hatte, unbefriedigend in allen seinen Resultaten, und nur vereinzelte Industrien bildeten erfreuliche Ausnahmen. — Erfreulich dagegen sind in weltpostalischer Beziehung eine Reihe wichtiger neuer Postverbindungen und Erweiterung bestehender Posteinrichtungen im Auslande, von welchen wir besonders den Ab⸗ schluß eines Postvertrages mit Nord⸗Amerika hervorheben, durch welchen vom 1. April 1891 ab nach dem Muster der in Deutschland auf den Eisenbahnen fahrenden Postbureaus das Institut der See⸗ posten vermittelst der deutschen Postdampfer eingeführt ist. — Den großen Wurf des Jahres bildete die Vorbereitung zur Ein⸗ führung der Invaliditäts⸗ und Altersversicherung der Arbeiter. Soweit wir zu beurtbeilen vermögen, ist die Einführung des Gesetzes am 1. Januar 1891 ohne sonderliche Schwierigkeiten
vor sich gegangen. “
Zur Arbeiterbewegung.
In Bommern hat sich, wie der „Elb. Ztg.“ berichtet wird, ein „O rtsverein für Bergleute“ im Gegensatz zu dem sozialdemokratischen Bergarbeiterverband gebildet. Dem neuen Verein sind bereits zahlreiche Fachgenossen beigetreten.
Aus Nordenham wird der „Köln. Zrg.“ telegraphisch gemeldet, daß die Lohnkommission der Ausständigen von der Direktion des Norddeutschen Lloyd neuerdings abschlägig beschieden worden sei, da die schlechte Geschäftslage der Gesellschaft Lohnerhöhungen unmöglich mache.
Aus der Provinz Sachsen schreibt man Blatt unter dem 17. d. M. über die Entwickelung dem Ausstande der Schuhmacher in Erfurt von den begründeten Schuhwaarenfabrik:
Die nach dem unglücklichen Verlauf des Ausstandes mit Hülfe des „Genossen⸗ Bock aus Gotha in Erfurt gegründete sozialdemo⸗ kratische Genossenschaftsfabrik scheint nicht gerade besonders gute Geschäfte zu machen. Die Genossen machen die Erfahrung, daß zum Betriebe eines größern Fabrik⸗Etablissements doch nicht nur Arbeiter nöthig sind, sondern auch diejenigen Leute, die angeblich nichts thun und sich dafür vom sauren Schweiße der Arbeiter nähren. Schon hört man, daß die in jener Fabrik beschäftigten Arbeiter darüber klagen, daß es dort noch viel schlimmer hergehe, als bei den übel beleumdeten kapitalistischen Arbeitgebern. Ueberdies wolle Jeder befehlen und Keiner sich unter⸗ ordnen, wodurch eine fortlaufende Kette von Zwistigkeiten entstehe.
In Leipzig fand am Mittwoch eine öffentliche, von der sozial⸗ demokratischen Partei berufene Volksversammlung statt, welche zu dem internationalen Arbeiterkongreß in Brüssel Stellung nehmen sollte. (Vgl. die gestrige Nr. 142 d. Bl) Es wurde der „Chemn. Ztg.“ zufolge der Vorschlag gemacht, nur für größere Bezirke der Kosten⸗ ersparniß halber einen Delegirten zu diesem Kongresse zu wählen, für das ganze Königreich Sachsen drei und für die Kreishauptmann⸗ schaft Leipzig einen Delegirten. Die Versammlung beschloß, für den 12. und 13. sächsischen Reichstagswahlkreis einen Delegirten zu ent⸗ senden und nahm die Wahl eines solchen vor. Der Gewählte soll, wenn die betreffenden Wahlkreise damit einverstanden sind, auch die Vertretung des 11. und 14. Reichstagswahlkreises mitübernehmen.
Aus Paris wird der „Köln. Ztg.“ geschrieben: Der Gesetzentwurf über die Regelung des Arbeiter⸗ lohns, welchen der Handels⸗Minister der Deputirtenkammer
demselben der nach Arbeitern
vorgelegt hat, enthält folgende Bestimmungen:
Der Arbheitslohn soll monatlich mindestens zweimal in Geld und nicht in Zahlungsmarken ausbezahlt werden. Die Gläubiger eines Arbeiters können nur den zehnten Theil seines Lohnes mit Beschlag belegen. Im schlimmsten Falle verbleiben ihm sieben Zehntel dessen, was er mit seiner Arbeit verdient. Der Gesetzentwurf ermäßigt ferner die 8 Kosten für die Beschlagnahme soviel wie möglich. Die Schriftstücke auf Stempelpapier werden durch einfache eingeschriebene Briefe ersetzt, und der Friedensrichter wird für zuständig erklärt, über Lohn⸗ fragen zu entscheiden und mit Vertheilung der zurückgehaltenen Gelder betraut, wenn mehrere Gläubiger vorhanden sind.
„Die Pariser Gasthofskellner — es giebt 11 000 Gasthöfe mit 20 000 Kellnern in Paris — haben ebenfalls beschlossen, die Abschaffung der Stellenvermittelungs⸗ Bureaus zu verlangen. Die Wirthe sind mit ihnen ein⸗ verstanden, da die Arbeitgeber wie Arbeitnehmer die Bureaus für ein großes Uebel halten. „Die Pariser Bäͤckergesellen beschlossen am Mittwoch Morgen in einer stürmischen Versammlung, den Ausstand auf acht Tage zu verschieben, um alsdann, wenn die ihnen gemachten Ver⸗ sprechungen über die Stellenbureaus bis dahin nicht erfüllt seien, eine endgültige Entscheidung zu treffen. “
Die Salzproduktion Englands. 1
„Im Vorjahre betrug die Salzproduktion Englands, wie ein soeben veröffentlichter Bericht besagt, 1 764 000 t Gegen das vorhergehende Jahr ergab sich keine merkliche Differenz, dahingegen war die Förde⸗ rung um 1290 t kleiner als in 1888. Nähere Details finden sich in der nachstehenden Tabelle:
Chesbire 8 Worcestershire Staffordshire Durham . Irland Schottland
1 214 858 t 208 488 t 6 500 t 315 000 t 10 740 t 8 478 t 8 8 “ Ein Drittel des vorstehenden Gefammtbetrages gelangte zum Export. Von dem Rest wurden drei Viertel in der Soda⸗Industrie und etwa 300 000 t für den gewöhnlichen Konsum verwendet.
Die Volkszählung in England und Wales Das vorläufige Ergebniß der letzten Volkszählung liegt nunmehr vor. Die Gesammtbevölkerung beträgt 29 000 000, gegen rund 26 000 000 Seelen in 1888. Es ist somit ein Zuwachs von 11,54 % zu verzeichnen. Nachstehende Tabelle veranschaulicht die Resultate englischen Volks ählungen seit Beginn dieses Jahrhunderts: Zunahme od. Zunahme Jahr Abnahme per Decade per Decade in % 1801 1811
1 261 72) 14,30 1821 1 835 980 18,06 1831 8 896 561 15,80 1841 2017 351 14,52 1851 2 013 461 12,65 1861 2138 615 11,93 1871 2 646 042 13,19 1881 3 262 173 14,36 1891 3 025 561 11,64
Bevölkerung
8 892 536 10 164 256 12 000 23
Kunst und Wissenschaft.
Sitzung der Gesellschaft für Erdkunde am 4. Juni 1891.
Der Vorsitzende Dr. W. Reiß machte darauf aufmerksam, daß am 28. Juni in Stendal die Enthüllung des Nachtigal⸗Denk⸗ mals stattfinden wird und daß das Comits die Mitglieder der Gesellschaft zur Betheiligung an der bevorstehenden Feier einladet. Der Schatzmeister der Gesellschaft hat den Rechnungsabschluß für das Jahr 1890 übergeben, aus dem hervorgeht, daß das vergangene Jahr mit einem Defizit von 1020 ℳ abschließt.
Geheimer Regierungs⸗Rath Professor Dr. Bastian, Direktor des Königlichen Museums für Völkerkunde, berichtet über seine eineinhalbjährige Reise nach Central⸗Asien, Ost⸗Afrika, Ost⸗Indien und Australien Redner vertritt die Ansicht, daß die Rußland in Central⸗ Asien gestellten Kulturaufgaben dessen Gesammtkräfte zum allseitigen Besten auf Jahrhunderte beanspruchen und festlegen werden. Der russische Kolonist bleibe in seiner Heimath, auch wenn schon in die erweiterten Grenzen derselben versetzt. Die nachgiebige Schmiegsamkeit des flavischen Volkscharakters werde hier die geeignete Vermittelung abgeben zur Assimilirung und Verschmelzung der centralasiatischen Völker. Mit der Realisirung des Schreckbildes einer Invasion nach Indien — die hiergegen von englischer Seite ergriffenen Maßregeln hat Redner in Quetta und am Bolanpaß auf seinen Kreuz. und Quer⸗ zügen durch Indien selbst kennen gelernt — werden sich die Russen nach Professor Bastian's Ansicht aus eigener Verständigkeit nicht ernstlich befassen wollen, da ihrem Naturell das Kastenwesen der indischen Bevölkerung in keiner Weise zusagen würde, während gerade die aristokratische Abgeschlossenheit der englischen Herrschaft für die Verhältnisse der Inder am Besten paßt. Immerhin lasse sich aber nicht verkennen, daß auch Indien in ein kritisches Stadium des Ueber⸗ ganges getreten sei, seitdem es nach Eröffnung des Suezkanals in so enge Berührung mit Europa gekommen ist. In die seit Jahrtausenden unveränderte Stabilität der Sitten und Gebräuche ist eine Masse fremder Gährungsstoffe hineingeworfen worden. Als mächtigste Nivellirmaschine wirkt die Eisenbahn. Denn trotz der im Allgemeinen zugestandenen Sonderung der einzelnen Kasten in besonderen Waggons wird bei der gelegentlich doch unvermeidbaren Ueberfüllung der Eisenbahnzüge die sonst übliche strenge Kasten⸗ scheidung über den Haufen geworfen und wird unter Umständen ein Brahmane neben einem Paria oder Chandala zu sitzen kommen, die ihm sonst auf mindestens 69 Fuß fernbleiben müssen. Den nationalen jungindischen Ideen steht zu ihrer Verwirklichung die B ntscheckigkeit der indischen Verhältnisse, die Zersplitterung der Bevölkerung nach Rassen, Sprachen, Religion und klimatischen Verhältnissen als ein für absehbare Zeiten wohl unüberbrückbares Hindernis entgegen
Dr. Kretschmer berichtete sodann über seine im Auftrag und mit theilweiser Unterstützung der Gesellschaft — den wesentlichsten Theil der nöthigen Geldmittel hatte seiner Zeit der Minister von Goßler zu bewilligen die Geneigtheit gehabt — unter⸗ nommenen Studien und Forschungen in den Bibliotheken Italiens nach noch unbekanntem kartographischen Material aus dem Mittel⸗ alter. Es ist dem jungen Gelehrten gelungen, eine Anzahl noch unbe⸗ kannter sog. Rad⸗ und Kompaßkarten aufzufinden, und es werden diese neu⸗ gewonnenen Materialien zur Geschichte der Kartographie des Mittel⸗ alters von Seiten der Gesellschaft in Form einer Festschrift zur Feier der vierhundertjährigen Entdeckung Amerikas im nächsten Jahre ver⸗ öffentlicht werden.
— Wie wir den „Sitzungsberichten der Königlich preußischen Akademie der Wissensch die physikalische⸗mathematische Klasse der Akademiancet. dings zur Ausführung wissenschaftlicher Unterne 1 folgende Summen bewilligt: 2500 ℳ zur Fortsetzung den — 1
aften zu Berlin“ entnehmen Hrkt