1891 / 278 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 25 Nov 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Reichskanzlers den Bundesregierungen unter Mittheilung des Protokolls der Handwerkerkonferenz ans Herz gelegt, daß sie in eine Prüfung darüber eintreten möchten, ob nicht die Wünsche in Bezug auf die Konsumvereine, auf die Gefängnißarbeit und auf das Submissionswesen der Berücksichtigung werth wären.

In Bezug auf die Konsumvereine habe ich gleichzeitig dem Ge⸗ danken Ausdruck gegeben, daß wohl dahin gestrebt werden möchte, daß die Konsumvereine bei der Beschaffung ihrer Bedarfsartikel, die sie an ihre Mitglieder absetzen, auf die Interessen des Handwerks Rück⸗ sicht nehmen, daß sie bei Bestellung dieser Artikel das Handwerk heranziehen möchten. Ich habe weiter empfohlen, daß man sich den Konsumvereinen ebenso, wie es die Königlich preußische Regierung bereits in Folge eines Staatsministerialbeschlusses gethan hat, vollständig neutral von Regierungswegen gegenüberstellen möge, damit nicht das Handwerk außerhalb der Konsumvereine durch eine etwaige Begün⸗ stigung von Seiten der Regierung sich in seinen Interessen beeinträch⸗ tigt fühle.

Die Regelung der Gefängnißarbeit liegt ausschließlich auf dem Gebiet der Landesverwaltung. Ich habe auch in dieser Beziehung empfohlen, die gravamina, die in der Handwerkerkonferenz hervor⸗ gehoben worden sind, zu prüfen und eventuell, soweit sie berechtigt sind und Abhülfe finden können, ihnen Abhülfe zu Theil werden zu lassen.

Was nun die Wünsche anlangt, deren Erledigung oder Berück⸗ sichtigung auf dem Wege der Gesetzgebung schon jetzt angängig und möglich erscheint, so gehört dahin zunächst die Regelung des Geschäftsbetriebes der Abzahlungsgeschäfte. Es ist den Herren in dieser Beziehung aus einer Ausführung meines Herrn Kollegen, des Staatssekretärs des Reichs⸗ Justizamts, bereits bekannt geworden, daß über die Abzahlungs⸗ geschäfte ein Gesetzentwurf ausgearbeitet ist, der augenblicklich der Prüfung der dabei interessirten Ressorts unterliegt. Ich kann natür⸗ lich, wie auch sonst, nicht einen Termin bestimmen, an welchem dieser Gesetzentwurf und die übrigen Gesetzentwürfe, die wir noch in Aus⸗ sicht genommen haben, das hohe Haus beschäftigen werden. Ich habe schon einmal daran erinnert, daß auch Gesetzentwürfe ihre Schicksale haben und daß bei der Durchsiebung und Durch⸗ berathung in den berufenen Instanzen das Schicksal solcher Ent⸗ würfe nicht von vornherein mit Bestimmtheit vorherzusagen ist. Aber die Sache ist in der Bearbeiturg begriffen und wird gefördert werden.

Was die Einschränkung des Hausirhandels anbelangt, so ist wenigstens in geringem Umfang den Klagen, die aus Handwerker⸗ kreisen über den Hausirhandel laut geworden sind, schon durch die Gewerbeordnungs⸗Novelle Rechnung getragen, insofern, als der Betrieb des Hausirgewerbes an Sonn⸗ und Feiertagen verboten ist. Nebenher aber sind Erhebungen über den Hausirhandel und über die Auswüchse, die der Hausirhandel zeigt, und über den Eingriff, den der Hausir⸗ handel in die berechtigten Interessen des stehenden Handwerks thut, angeordnet worden. Diese Erhebungen sind dem Abschluß nahe, und wir werden nicht unterlassen, demnächst nach Maßgabe der Ergebnisse dieser Erhebungen mit gesetzgeberischen Vorschlägen hervorzutreten.

Ein weiterer Wunsch, der in der Handwerkerkonferenz laut ge⸗ worden ist, bezieht sich auf die Verleihung von Korporationsrechten an Innungsausschüsse; er bezieht sich auf eine Korrektur des §. 102 der Gewerbeordaung. In dieser Beziehung bin ich mit meinem Königlich preußischen Herrn Kollegen der Meinung, daß unschwer auf dem Wege der Gesetzgebung den Desiderien auf diesem Gebiete wird abgeholfen werden können.

Aehnlich verhält es sich mit der zur Beschwerde der Innungen vielfach angewendeten Interpretation der §§. 100 e und 100 f der Gewerbeordnung. Auch hier wird ich brauche auf die Materie nicht näher einzugehen geprüft werden, ob wir auf dem Wege der Gesetzgebung eine Korrektur eintreten lassen können. Wir sind vorläufig der Mei⸗ nung, daß dies unschwer zu machen ist.

Was endlich einen Wunsch anbelangt, der auch in diese Kategorie gehört, nämlich die Ausdehnung der Unfallversicherung auf das Hand⸗ werk, so liegen in dieser Materie ganz außerordentliche Schwierig⸗ keiten und namentlich rücksichtlich der Organisationsfrage; aber auch diese Schwierigkeiten werden überwunden werden und sind zum Theil schon überwunden. Es sind in diesem Augenblick die Grundzüge für ein Reichsgesetz auf Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Hand⸗ werker fertiggestellt, und diese Grundzüge werden der ressortmäßigen Berathung der betheiligten Stellen unterworfen werden. Es wird dann nach Maßgabe des Ergebnisses der Prüfung ein Gesetzentwurf demnächst vorgelegt werden.

Meine Herren, nun komme ich auf die Wünsche, deren Befriedi⸗ gung nach der Meinung meines Königlich preußischen Herrn Kollegen und nach meiner Meinung nahezu unmöglich ist, das ist die Ein⸗ führung der obligatorischen Innung und die Einführung des Be⸗ fähigungsnachweises. Ich wiederhole, was ich Eingangs meiner Bemerkungen gesagt habe, daß in dieser Beziehung der Bundesrath bisher keine Beschlüsse gefaßt hat, daß aber die Frage wegen der Wiedereinführung des Befähigungsnachweises in einem Rundschreiben bei den sämmtlichen Bundesregierungen zur Sprache gebracht worden ist, und daß das Ergebniß dieser Umfrage überwiegend dahin geht, daß die Regierungen sich nicht für die Wiedereinführung des Be⸗ fähigungsnachweises erwärmen können. Ich muß danach annehmen, daß, wenn der Bundesrath über diese Frage Beschluß fassen wird, dieser Beschluß gegenüber dem vom Reichstag vorgeschlagenen Gesetzentwurf ein ablehnender sein wird.

Meine Herren, ich könnte mich ja darauf einlassen, hier die Gründe zu entwickeln, welche unsere Auffassung stützen. Allein diese Auffassung ist nur diejenige zweier Ressort⸗Chefs und würde nicht maßgebend sein für die Stellung, welche demnächst die Bundes⸗ regierungen zu den Fragen einnehmen werden. Ich enthalte mich deshalb einer solchen eingehenden Behandlung der Sache, zumal das Pro und Contra in diesem Reichstage gründlich genug wiederholt erörtert worden ist, und die Herren auch in der Handwerker⸗ konferenz, nachdem ihnen die Meinung, es sei nicht wohlgethan, den Befähigungsnachweis wieder einzuführen, sehr gründlich und sachgemäß entwickelt worden ist, selber erklärt haben, ja, das sähen sie ein, diese Gegengründe müßten nothwendiger Weise erst widerlegt werden, ehe man daran denken könnte, mit Erfolg auf die Wiedereinführung des Befähigungsnachweises zu dringen. Sie haben sich auch deutlich dahin erklärt, daß der Befähigungsnachweis, wie er in Oesterreich bestehe und durch den Antrag Ackermann hier vorgeschlagen sei, doch seine großen Bedenken habe.

Also, meine Herren, ich halte mich, noch dazu im Stadium der Beantwortung der Interpellation, schon aus den soeben entwickelten

Gesichtspunkten davon entbunden, Ihnendie Gründe meiner Auf⸗ fassung des Weiteren zu entwickeln. Ich habe aber noch einen weiteren Grund, weshalb ich mich dieser Entwickelung enthalte. Ich kann Ihnen nämlich mittheilen, daß wir die berechtigten Klagen der Handwerker, und als solche sehen wir einmal an die Klagen über die Mißstände, die gegenwärtig im Lehrlingswesen herrschen, und weiter die Klagen über den Mangel einer wirksamen Vertretung des betreffenden Handwerks (Zuruf links), anerkennen, und daß wir bereit sind, zur Abhülfe dieser Klagen mitzuwirken. Wir beide sind der Ansicht, daß diesen Klagen Abhülfe geschaffen werden kann durch eine Organisation des gesammten Handwerks (Bravo! rechts). Und wir denken uns die Organisation des gesammten Handwerks in der Weise, daß wir Handwerker⸗ oder Gewerbekammern errichten wollen (Bravo!), welche für die einzelnen Bezirke eingerichtet werden und denen der gesammte Handwerkerstand dieser Bezirke unterworfen resp. an denen er betheiligt ist. Die nähere Ausgestaltung dieses Gedankens kann ich Ihnen heute noch nicht entwickeln; auch hier habe ich zu sagen, daß die Entwickelung meiner persönlichen Anschauung für Sie von keinem besonderen Werth sein dürfte, weil diese persönliche Anschauung ja natürlich der Korrektur derjenigen Instanzen unterliegt, die sich, bevor die Sache an den Reichstag kommt, noch damit zu beschäftigen haben. Aber darüber sind wir beide nicht im Zweifel, daß, wenn wir zu einer solchen Organisation kommen und ich füge hinzu, daß ich hoffe, daß diese Organisation bei keiner Partei des Hauses einen grundsätzlichen Widerstand finden wird (Zuruf links), denn das Handwerk ist ebenso berechtigt, eine Organisation zu verlangen (sehr richtig!), wie die anderen Erwerbs⸗ stände, welche sie bereits haben (sehr richtig!), ich sage, wenn wir zu einer solchen Organisation kommen, so bin ich der Ueberzeugung, daß dadurch einmal die wirksamste und legitimste Vertretung der Interessen des Handwerks geschaffen sein wird, daß das Handwerk in der Vertretung seiner legitimen Interessen wiederum am kräftigsten wird auftreten können, wenn es eine solche geordnete Vertretung hat, und daß bei dieser Eelegenheit dann die Klagen, die berechtigter Weise aus der Mitte des Handwerks erhoben sind, auch eine objektive und gründliche Prüfung werden erfahren können.

Das, meine Herren, ist in der Hauptsache, was ich Ihnen über den bisherigen Gang der Dinge zu sagen habe. Der Herr Vorredner hat, und das ist eine Empfindung, die auch in der Handwerker⸗ konferenz laut geworden ist, davon gesprochen, daß der Handwerker⸗ stand unter einer großen Niedergeschlagenheit, ja Bitterkeit zu leiden habe, und daß er die Hoffnung aufgebe, daß solchen berechtigten Interessen bei den Regierungen wirklich ein Stützpunkt und eine Ver⸗ tretung werde geschaffen werden. Meine Herren, ich beklage diese Niedergeschlagenheit, aber ich glaube, sie ist nicht berechtigt.

Wenn der Herr Vorredner auch von der Verzögerung gesprochen hat, die diese Fragen erlitten haben, so bitte ich ihn, sich doch auch andererseits gegenwärtig zu halten, daß wirklich ganz außerordentliche

Schwierigkeiten in der Lösung dieser Fragen liegen, und ich darf mich

zum Beweise dieser meiner Anschauungen nur darauf berufen, wie hier in diesem hohen Hause die Gegensätze aufeinandergeplatzt sind, mit wie lebhaften Argumenten pro und contra gefochten worden ist und wie die Regelung der Interessen des Handwerkerstandes eben keine isolirte ist, sondern wie dabei in Berücksichtigung gezogen werden müssen die Interessen auch anderer Berufsstände, die Interessen auch namentlich der Großindustrie. Unsere Aufgabe, die Aufgabe einer weisen Staatsverwaltung, ist es, diese Interessen dahin zu versöhnen und dahin auszugleichen, daß ein jeder Erwerbsstand im Lande seine Rechnung dabei findet und daß keiner durch die Berücksichtigung der Anderen geschädigt wird. Meine Herren, ich hoffe, daß wir zu einer solchen Organisation des Handwerks kommen, und dann hoffe ich, daß das Handwerk auch weiter wie bis⸗ her eine Stütze für Thron und Vaterland sein wird, daß es sich fern halten wird von derjenigen Befürchtung, welche auch in der Hand⸗ werkerkonferenz zum Ausdruck gekommen ist, daß der Handwerkerstand überwiegend zu sozialdemokratischen Anschauungen neige, und ich spreche weiter die Hoffnung aus, daß dann der goldene Boden, auf dem das Handwerk früher geruht hat, ihm auch ferner erhalten bleibe. (Bravo.)

Auf Antrag des Abg. Biehl tritt das Haus in eine Besprechung der Interpellation ein.

Abg. Dr. Hartmann: Die Interpellation sei zwar zunächst vom Centrum ausgegangen, aber ganz aus denjenigen Anschauungen heraus gestellt und begründet, in denen seine Partei mit dem Cen⸗ trum seit Jahren gekämpft habe. In diesem Sinne danke er dem Staatssekretär, daß er die Interpellation so ausführlich und mit solcher Wärme beantwortet habe. Seine Ausführungen würden alle Freunde des Handwerks mit aufrichtiger Freude erfüllen. Seine (des Redners) Partei hoffe, daß wenigstens ein Theil der angekün⸗ digten Vorlagen noch im Laufe dieser Session an den Reichstag gelangen werde. Er hoffe weiter, daß der Bundesrath in nicht zu ferner Zeit eine Entschließung über den Gesetzentwurf über den Befähigungsnach⸗ weis fasse. Die Frage der Handwerkerkammern, einer eigenen Or⸗ ganisation des Handwerkerstandes, stehe heute unter den Forderungen der Handwerker in erster Reihe, an sie werde vor allen Dingen mit großem Ernst und Nachdruck herangegangen werden müssen, und er freue sich, daß in den Ausführungen des Staatssekretärs ein Anklang zu finden sei an die unvergeßliche Kaiserliche Botschaft vom 17. No⸗ vember 1881. Was damals zu Gunsten des Arbeiterstandes vorge⸗ nommen worden, sei im Großen und Ganzen in zehn Jahren zur Er⸗ füllung gebracht worden. Nur das Handwerk sei unberücksichtigt ge⸗ blieben, und man habe seinem breiten Rücken immer neue Lasten auf⸗ erlegt. Das solle nun anders werden, und er hoffe, daß eine Vorlage gerade nach der Richtung einer Zusammenfassung des Hand⸗ werks zu Korporationen sehr bald an den Reichstag gelangen möge. (Beifall rechts.)

Abg. Eberty: Die Einführung obligatorischer Innungen und des Befähigungsnachweises würden dem Handwerk nichts nützen und der modernen Zeit schnurstracks zuwiderlaufen. Er sei in dieser Be⸗ ziehung mit der Erklärung des Staatssekretärs zufrieden, aus der zudem hindurchgeleuchtet habe, daß die Gesetzgebung einen Stand allein nicht berücksichtigen dürfe. Wenn der Staatssekretär aber glaube, daß keine Partei im Hause einer Organisation des Handwerks durch eine wirksame Vertretung widerstreben würde, so könne er (Redner) für seine Partei das nur bedingt zugeben. Seine Partei, die überall das Staatsganze im Auge habe, könne nicht zugeben, daß eine Interessenkorporation obrigkeitliche Rechte erhalte. Sie werde jedoch erst abwarten, wie die Vorlage über die Organisation des Handwerks aussehen werde. Wenn der Handwerkerstand allein den

Mißständen im Lehrlingswesen abhelfen könnte, würde ihn Niemand in dieser staatserhaltenden und fruchtbringenden Thätigkeit hindern. In Bezug auf das Lehrlingswesen unterstütze die Gemeinde Berlin seit Jahren das Handwerk durch Fortbildungs⸗ und Fachschulunter⸗ richt. Für diese wirklich reale Forderung seien seine Freunde immer zu haben. Daß die Handwerkerkonferenz geheim verhandelt habe, habe Alle frappirt. Besondere Umstände müßten dies ver⸗ anlaßt haben. Auch seien nur die Vertreter des Handwerks dabei

zugezogen worden, die das Heil in obligatorischen Innungen und

dem Befäͤhigungsnachweis erblickten. Welchen Werth hätten gesetz.

geberische Maßnahmen, die von solchen Verhandlungen ihren Aus⸗ gang hätten. Nur mit den rechten Mitteln lasse sich der goldene Boden des Handwerks wiedergewinnen. Dazu müßten die Handwerker vor Allem möglichst viel von sich selbst und möglichst wenig vom Staat verlangen. Was die Verleihung der Korporationsrechte an die schon privilegirten Innungen betreffe, so wünschte er, die Regierung käme den nicht privilegirten freien Vereinigungen ebenso entgegen und hörte ihre Wünsche an. Bezüglich der Beschränkung des Hausirhandels ahne ihm nichts Gutes. Beispielsweise solle, um nicht der Putzsucht des weiblichen Geschlechts Vorschub zu leisten, der Vertrieb von Stoffen, Tüchern u. s. w. den Hausirern verboten werden. Das würde nur eine Prämiirung der Ladengeschäfte sein, in denen es übrigens auch schlechte Waare gebe. Seine Partei erkenne dankbar an, daß die Regierung im Großen und Ganzen eine weise und vorsichtige Politik befolge.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Ich möchte nur noch ein Wort sagen, um einer irrthümlichen Anschauung des Herrn Vorredners über die Handwerkerkonferenz und deren Charakter zu begegnen. Es ist nicht richtig, daß diese Hand⸗ werkerkonferenz von der Regierung berufen war zu dem Zweck, um Material für gesetzgeberisches Einschreiten zu gewinnen, die Konferenz hat vielmehr einfach folgenden Charakter gehabt. Man hat sich ge⸗ sagt, die Vertreter des Handwerks haben gewisse Desiderien, die sie nur in ihren Eingaben angedeutet haben, und man hat näher orientirt sein wollen über die Natur der Desiderien und über ihre Begründung. Zu diesem Zweck hat man die Konferenz berufen. Es ist keineswegs eine ossizielle Enquete gewesen, sondern nur eine Aussprache über die Wünsche gewisser Petenten. Sollte Herr Abg. Eberty mit ähnlichen Wünschen auf anderen Gebieten auf diesem wird er es nicht thun bervor⸗ treten und nur darüber unklar sein, was er will (Heiterkeit), dann werden wir es ebenso machen; wir werden dann auch nicht öffentlich mit ihm verhandeln, sondern hinter verschlossenen Thüren zu erfahren suchen, was er will, und werden das in einem feinen, guten Herzen

bewahren. (Heiterkeit.)

Abg. Biehl: Die Verhandlungen seien geheim gehalten worden, weil, nachdem die Konferenz von Seiner Majestät dem Kaiser ein⸗ berufen war, erst Seiner Majestät das Protokoll habe unterbreitet werden sollen und man nicht gewünscht habe, daß die Presse vorher etwas erführe. Im Protokoll sei alles niedergelegt, wenn auch vielleicht nicht alles ganz richtig. Bezüglich des Befähigungsnach⸗ weises und der obligatorischen Innungen sei das Protokoll nicht ganz richtig. Im Protokoll heiße es, daß sämmtliche Mitglieder den Be⸗ fähigungsnachweis und die obligatorischen Innungen für nicht durch⸗ führbar erklärt hätten. Sie hätten aber nur erklärt, daß sie solche Früchte der Gesetzgebung wie in Oesterreich nicht wünschten, und daß, wenn die Regierung den vom Reichstag beschlossenen Befähigungsnachweis nicht für durchführbar halte, sie eine andere Vorlage machen solle, die die Konferenzmitglieder bereitwillig annehmen würden. Er wolle nicht nur der Organisation einen obligatorischen Charakter geben, sondern ihr auch Befugnisse einräumen. Der Hausirhandel müsse beschränkt werden. Ueber die Ankündigung der Vorlage über die Abzahlungsgeschäfte freue er sich. In der schamlosesten Weise beuteten diese die Käufer aus. Mit den Maßregeln auf dem Verwaltungswege sollte Preußen vor⸗ angehen. Die Versuche, in den Gefängnissen nur für den Armee⸗ bedarf zu arbeiten, seien ja zufriedenstellend ausgefallen. Die Organi⸗ sation des Handwerks müsse lebensfähig sein; von den bayerischen Gewerbekammern, die nur gutachtliche Aeußerungen abzugeben hätten, sei eine ersprießliche Thätigkeit nicht zu erwarten. Die Innungen seien ein außerordentliches Bollwerk gegen die Sozialdemokratie. Deshalb müsse das Handwerk eine Organisation haben, die seine Interessen wirksam wahren könne.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Der Herr Vorredner, glaube ich, hat mich nicht ganz richtig wiedergegeben, wenn er meine Worte dahin reproduzirt hat, daß ich davon gesprochen hätte, die obligatorische Innung und der Be⸗ fähigungsnachweis seien nicht möglich, wie auch übereinstimmend in der Handwerkerkonferenz anerkannt sei.

Ich habe das Erste allerdings gesagt als meine Auffassung, daß die obligatorische Innung und der Befähigungsnachweis nicht möglich seien; ich habe dann aber in dem zweiten Satz von dem Befähigungs⸗ nachweis gesprochen und habe mich, indem ich auf das Urtheil der Hand⸗ werkerkonferenz eingegangen bin, auf einen Passus des Protokolls ge⸗ stützt, welcher folgendermaßen lautet:

„Die bisherigen Verhandlungen hätten indessen, wie Redner dieser Redner ist der Herr Regierungs⸗Rath Dr. Wilhelmi hier konstatire, unzweideutig ergeben, daß in der Versammlung Einhellig⸗ keit darin vorhanden sei, daß die Einführung des Befähigungsnachweises, wie derselbe in Oesterreich und in dem Antrag Ackermann⸗Biehl vorgesehen sei, von den Vertretern des organisirten Handwerks nicht gewünscht und nicht für zweckmäßig erachtet werde. Selbst Herr Biehl habe sich gegen die vorgeschlagene Regelung ausgesprochen u. s. w. (Hört, hört! und Heiterkeit links.)“

Ich kann nun nicht annehmen, daß dieses Protokoll in diesem Passus unrichtig geführt ist. Es ist mir wenigstens noch in diesen Tagen eine Eingabe von dem Vorsitzenden, wenn ich nicht irre, des Berliner Central⸗Ausschusses der Innungsverbände Deutschlands zu⸗ gegangen, aus der entnommen werden darf, daß die Aufzeichnungen des Protokolls der Wahrheit gemäß erfolgt sind.

Abg. Biehl: Der zweite Theil des verlesenen Satzes des Pro⸗ tokolls beruhe entschieden auf einem Irrthum. Hätte man den Mit⸗

gliedern das Protokoll vorher mitgetheilt, würde dieser Irrthum nicht entstanden sein.

Abg. Grillenberger: Die bisherigen Gesetze für das Hand⸗ werk hätten den erwarteten Nutzen nicht gehabt, und deshalb wolle man die obligatorischen Innungen haben. Die Einschränkung der Zuchthausarbeit sei allerdings auch eine alte sozialdemokratische Forde⸗ rung, aber doch würde die Beschränkung auf den Armeebedarf nur den mit freien Arbeitern arbeitenden Unternehmern die Armeeaufträge entziehen. Bei einer Besserung der Zustände im Submissions⸗ wesen könnten die Innungen selbst das Meiste schaffen, wenn Solidarität unter ihnen wäre, aber das sei eben nicht der Fall. Die Innungen müßten als solche submittiren, darauf achten, daß nicht heruntergedrückt werde, und Mann für Mann ohne Ausschluß auch nur eines Einzelnen die Arbeit unter sich vertheilen. Thatsächlich aber seien die Großen unter den Handwerksmeistern vermöge der ganzen heutigen Produktionsordnung darauf aus, sich zu großkapitalistischen Betrieben zu entwickeln, sie unterdrückten dadurch die Kleinen, ebenso wie die Fabrikanten, Juden u. s. w. es angeblich thäten. Ueber die Abzahlungsgeschäfte und deren Sünden habe der Abg. Biehl seine lebhafte Entrüstung ausgesprochen. Alles richtig; aber das beweise nur, daß die große Masse des Volkes heut zu Tage nicht mehr kauf⸗ kräftig genug sei, um die Waaren gegen Baarzahlung beziehen zu können, sie sei auf den Borg durch die Art der Lohnzahlung u. s. w. geradezu angewiesen; sie sei gezwungen, in diese Geschäfte zu gehen und sich dort über’'s Ohr hauen zu lassen wenn auch nicht alle Geschäfte unreell seien, die meisten müßten ja für die Aus⸗ fälle die sicheren Kunden mit bezahlen lassen. Die Ge⸗ HAv. könne vielleicht Den, der einen noch nicht voll abbezahlten Gegenstand verpfände oder verkaufe, wegen Be⸗

I nuges bestrafen lassen, weiter nichts. Damit sei aber nichts gebessert. 8

worden von den

1“

Dann seien die Hausirer an die Reihe gekommen; weniger den Hau⸗ sirern auf dem Lande, als den Handlungsreisenden, die sich aufs Hausiren verlegten, wolle man zu Leibe. Er gebe zu, es werde auch auf diesem Gebiete ein kolossaler Unfug getrieben; aber auch hier sei es Thatsache, daß die großen Fabrikgeschäfte durch die ganze Misere der Zeit gezwungen seien, alle möglichen Absatzgebiete aufsuchen zu lassen; die Unterkonsumtion des Volkes sei so groß, die Kon⸗ kurrenz so erdrückend, daß die Leute nicht mehr wüßten, wohin mit den Waaren, daß ihre Reisenden nicht mehr zu den Zwischenhändlern allein gingen, sondern sich thatsächlich zu Hausirern degradiren ließen. Was aber habe das viel mit der Innungsfrage zu thun? Es handele sich da garnicht um handwerksmäßig erzeugte Waaren, sondern um Fabrikwaare, deren Vertrieb wohl den mittleren Handlungs⸗ geschäften, den Kleinkrämern, nicht aber den Innungsmeistern zum Schaden gereichen könne. Feßt klage man über Mißstände im Lehr⸗ lingswesen; aber weshalb habe man denn bei der Gewerbeordnungs⸗ Novelle alle Anträge seiner Partei, die das Lehrlingsunwesen hätten einschränken wollen, abgelehnt? Gerade die Freunde der Innungen hätten alle diese Anträge niedergestimmt und damit dem kleinen Spieß⸗ bürger die Lehrlingszüchterei und Lehrlingsausbeuterei in schlimmster Form weiter ermöglicht. In den handwerksmäßigen Betrieben seien eine Unzahl von Lehrlingen vorhanden, die nichts lernten, die bloß ausgebeutet würden, nachher aber das Haupkontingent zu den Pfuschern stellten. Diese gingen gerade aus den zünftlerischen Werkstätten hervor, weil ihre Meister sie nichts hätten lehren können, da sie meistens selber nichts gelernt hätten. Diejenigen, die jetzt so sehr nach dem Befähigungs⸗ nachweis riefen, möchten doch schlecht bestehen, wenn sie ihn auf Grund rückwirkender Kraft des betreffenden Gesetzes nochmals erbringen müßten. Wenn die Regierung jetzt endlich das Unfallgesetz auf das Handwerk ausdehnen wolle, so sei das trotz der Mängel dieses Gesetzes ein kleiner, von seiner (des Redners) Partei längst geforderter Fortschritt Was die Korporationsrechte und die Organisation betreffe er halte Beides für eng zusammenhängend —, so sei er mit dem Abg. Eberty einverstanden, daß es sehr auf das Aussehen der bezüg⸗ lichen Vorlagen ankomme. Die Verleihung der Korporationsrechte an die heutigen Innungen würde ein Novum in der Verwaltung sein, welches solchen rein politischen Organisationen gegenüber gar nicht zu verantworten sein würde, wenn nicht Zug um Zug auch den Fachvereinen dieselben Rechte verliehen würden. Seine Parteci halte Befähigungsnachweis und obligatorische Innungen für überhaupt un⸗ möglich. Auch in Oesterreich wünsche man in den Handwerker⸗ kreisen nichts sehnlicher, als den Nachweis wieder los zu werden, und so würde es auch hier kommen. Den Sozialdemokraten werde immer vorgeworfen, sie wollten das Handwerk vernichten, deß⸗ halb seien sie gegen die Organisation des Handwerks. Das falle ihnen gar nicht ein, sie hätten das auch gar nicht nöthig, das besorge das Großkapital, die Gesetzgebung, die ganze Strömung der Zeit, und die Herren von der Innung trügen mit ihrer Kurzsichtigkeit das ihrige dazu bei. Die Sozialdemokraten stellten nur die Thatsache fest, daß das kleinere und mittlere Handwerk gegen das Kaäpital nicht mehr aufkommen könne, trotz aller Besserungsversuche, die nur Palliativmittel seien. Der Staatssekretär Dr. von Boetticher habe die Hoffnung ausgesprochen, daß durch diese Mittel dem Handwerk der goldene Boden und das Handwerk selbst als eine Säule, eine Stütze der Monarchie, des Thrones und des Vaterlandes erhalten bleiben werde, mit einem Worte, daß das Handwerk eine Stütze der gegenwärtigen Gesell⸗ schaftsordnung sein werde, auf die man sich dann auch verlassen könne. Die Handwerker verspürten von der hierdurch gebrachten Hülfe nichts und kämen mehr und mehr zu der wirthschaftlichen Einsicht, daß nur eine Umänderung des gesammten Produktionswesens und eine vernünftige Organisation ihnen helfen könne, eine Organi⸗ sation, in der es nur freie, neben einander arbeitende Genossen gebe, die dann Alle viel reichlicher zu leben haben würden, als gegenwärtig die einzelnen kleinen Handwerker. Daß man sich auch an maßgebender Stelle die Dinge anders vorgestellt habe, ergebe sich aus dem Kaiserlichen Erlaß vom vorigen Februar, der dem deutschen Arbeiter etwas habe bieten wollen, was ihm nur durch den Widerstand der

Bourgeoisie nicht geboten worden sei. Handwerkerkammern nach

dem Muster der bayerischen würden allerdings unbrauchbar sein; richtige Handwerkerkammern mögen ihren Nutzen haben, aber mit ihrer Schaffung zugleich müßten auch Arbeiterkammern errichtet werden, und das sei der Nutzen, den seine Partei aus der heutigen Besprechung ziehe.

Abg. Metzner: Keine Partei vertrete die Interessen der Hand⸗ werker so energisch, wie das Centrum, ohne daß es sich dabei um parteipolitische Interessen handle. Im Submissionswesen würden die Innungsmeister erst nach Schaffung der Zwangsinnungen Gutes schaffen können, vorläufig auch die Handwerksmeister seien ja keine Engel schädige der Konkurrenzneid die Solidarität noch zu sehr. Die Aus⸗ führungen des Staatssekretärs erschienen ihm (dem Redner) nicht so sehr befriedigend, sie stimmten ihn vielmehr pessimistisch. An der Arbeiterkonferenz habe er auf direkte Veranlassung der Regierung nicht theilgenommen, wisse also nicht, was da vorgekommen sei, habe aber ge⸗ hört, daß die Vertreter der Handwerker den Befähigungsnachweis wie die Löwen vertheidigt hätten. Was solle eine solche Konferenz für Hoff⸗ nungen erwecken, wenn der von den Handwerkern unbedingt ge⸗ forderte Befähigungsnachweis von der Regierung abgelehnt werde! Ohne ihn gehe das Handwerk zu Grunde, mit ihm könne es sich auch im Kampf mit der Großindustrie halten! Man habe ja in den letzten Jahren die Gesetze so vielfach geändert, so könne man auch den Befähigungsnachweis einführen, und bewähre er sich nicht, so schaffe man ihn wieder ab! Ein Artikel, der im Jahre 1877 in einem sozialdemokratischen Blatt gestanden habe, beweise, wie angenehm Alles, was die kirchlichen und monarchischen Verhältnisse des öffent⸗ lichen Lebens erschüttere, den Sozialdemokraten sei, wenn aber die Regierung nicht für die Forderungen seiner Partei eintrete, dann

müsse bald das Ende der schiefen Ebene, der sozialistische Staat, er⸗

reicht sein!

Unterstaatssekretär Dr. von Rottenburg: Die Rede des Abg. Metzner gebe ihm in einem Punkte Anlaß zum Widerspruch. Er habe behauptet, auf Wunsch der Regierung sei er nicht zu den Ver⸗ handlungen des Handwerkerkongresses zugezogen worden. Demgegen⸗ über habe er (Redner) festzustellen, daß die Regierung auf die Auswahl derjenigen Persönlichkeiten, die zu der Handwerkerkonferenz zugezogen worden seien, gar nicht eingewirkt habe. Sie habe einfach den Petenten geschrieben, sie möchten Persönlichkeiten namhaft machen und habe die betreffenden Persönlichkeiten eingeladen, nach Berlin zu kommen. Der Akg. Metzner sei aber nicht namhaft gemacht organisirten Körperschaften, die sich an die Regierung gewendet hätten. Da er das Wort babe, so müsse er noch auf einen Punkt zurückkommen, den der Abg. Biehl berührt habe. Gegen den Widerspruch des Stratssekretärs habe der Abg. Biehl zum zweiten Male behauptet, das Protokoll über die Handwerkerkonferenz sei nicht richtig, und zwar an der Stelle, wo gesagt sei, selbst der Abg. Biehl habe sich gegen die vorgeschlagene Regelung ausgesprochen. Nun, er (Redner) müsse dem gegenüber er habe das Protokoll nämlich gezeichnet, er und drei Regierungs⸗ vertreter, feststellen, daß das Protokoll in diesem Punkt vollständig richtig sei. Der Satz sei entnommen aus einer Rede, die der Regie⸗ rungs⸗Rath Dr. Wilhelmi in der Handwerkerkonferenz gehalten habe. Er Redner) habe jetzt eben nochmals mit dem Regierungs⸗Rath Dr. Wilhelmi darüber gesprochen; er denke, dieser müsse der beste Beurtheiler sein, ob der Satz richtig sei oder nicht, und er habe ihm jetzt noch versichert, daß er diesen Satz in der Handwerkerkonferenz ausgesprochen habe. Es

moöge ja sein, daß der Abg. Biehl antworten werde, ja, dann habe

der Regierungs⸗Rath Dr. Wilhelmi ihn falsch verstanden. Demgegenüber

weise er darauf bin, daß das Protokoll an einer anderen Stelle, wo

eine Rede des Abg. Biehl wiedergegeben werde, sich folgendermaßen äußere: Die Bedenken, die der österreichischen Gesetzgebung entgegen⸗ ständen, könnten das Handwerk nicht veranlassen, auf die Forderung des Befähigungsnachweises zu verzichten, wie man denn auch in Oesterreich trotz der dort zu Tage tretenden Mängel des Hand⸗ werks den Befähigungsnachweis keineswegs entbehren möchte.

Man müsse eben versuchen, die Fehler der E112

etzgebung zu vermeiden. Daß der Kompromißantrag

mann⸗Biehl nicht allen Anforderungen genüge, gestehe er zu. Auch an dieser Stelle habe also der Abg. Biehl zugestanden, daß eine Regelung im Sinne seines Antrags nicht möglich sei. Es ergebe sich das auch geradezu als eine Nothwendigkeit aus dem Vorhergehenden. Der Regierungs⸗Rath Dr. Wilhelmi habe der Hand⸗ werkerkonferenz auseinandergesetzt, daß die österreichische Regierung zur Voraussetzung habe eine Abgrenzung der Gewerberechte, und daß eine solche Abgrenzung praktisch nicht durchführbar sei. Nun, der An⸗ trag Ackermann⸗Biehl beruhe, es sei das ein Essentiale des Antrags auf einer solchen Abgrenzung der Gewerberechte. Der Abg Biehl habe jedenfalls zugestanden, daß die österreichische Gesetz⸗ gebung eine mangelhafte sei, damit habe er aber zugestanden, daß auch der Antrag Ackermann⸗Biehl nicht durchführbar sei. Also die Behauptung. daß der Regierungs⸗Rath Dr. Wilhelmi ihn falsch ver⸗ standen habe, sei nicht haltbar.

Abg. Metzner: In dem Briefe des Vorstandes des Central⸗ ausschusses an den Vorstand des Verbandes, der sich mit der Be⸗ schickung der Konferenz beschäftigt habe, babe es geheißen, es sei der direkte Wunsch der Regierung, die Abgg. Biehl und Metzner nicht zu dele⸗ giren, weil die Regierungsvertreter sich mit diesen im Reichstage ohnehin persönlich über den vorliegenden Gegenstand aussprechen könnten. Das hätte man doch nicht ohne direkte Aufforderung der Regierung geschrieben!

Unter⸗Staatssekretär Dr. von Rottenburg: Er habe aus dem Vorgelesenen nicht entnommen, daß der darin berührte Wunsch von der Regierung geäußert worden sei. Sollte der Verfasser sich auf einen Wunsch der Regierung haben berufen wollen, sollte das die Meinung gewesen sein, so könne er (Redner) nur noch einmal feststellen, daß die Regierung auf die Auswahl der Persönlichkeiten bei der Hand⸗ werkerkonferenz keinen Einfluß ausgeübt habe, durchaus keinen Wunsch in dieser Richtung ausgesprochen habe; niemals.

Abg. Rickert: Er glaube nicht, daß der Verlauf der heutigen Besprechung den Interpellanten große Befriedigung über ihre Inter⸗ pellation bringen werde. Uferlos habe die Besprechung schon des⸗ halb sein müssen, weil die Erklärungen des Staatssekretärs hätten nur ganz allgemein gehalten sein können. Er (Redner) bitte, daß die Protokolle der Konferenz auch dem Reichstage von der Regierung zugänglich gemacht werden möchten. Daß seine Partei stets eine Regelung der Gefängnißarbeit angestrebt habe, bewiesen die Verhand⸗ lungen im preußischen Abgeordnetenhause und auch hier. Mit der Erklärung des Staatssekretärs sei seine Partei übrigens nur in Bezug auf die Abwehr des Befähigungsnachweises ein⸗ verstanden, im Uebrigen halte sie das Erwecken falscher Hoff⸗ nungen in den Handwerkern für unangebracht. Das Handwerk habe das Kapital und die Großindustrie durchaus nicht zu fürchten, sobald ihm die nöthigen Mittel zur Verfügung ständen, nur dürfe es eben das Vertrauen auf seine eigene Leistungsfähigkeit nicht verlieren; die könne es aber verlieren, wenn es hier Worte höre, aus denen es das Versprechen der Staatshülfe herauslesen werde. Die Ver⸗ tretung des Handwerks scheine ihm nach den Erfahrungen met den Gewerbekammern, für welche die Provinzial⸗Landtage kein Geld mehr bewilligen wollten, und den landwirthschaftlichen Vertretungen durch⸗ aus nicht wünschenswerth. Die Hauptsache sei: die Regierung und alle Parteien, wenn sie dem Handwerker wirklich helfen wollten, sollten es auf die Selbsthülfe verweisen und in ihm nicht die Hoff⸗ nung auf Staatshülfe erwecken.

Abg. Dr. Buhl: Er habe aus den Worten des Staatssekretärs nicht den Eindruck gewonnen, daß unerfüllbare Hoffnungen in den Handwerkern entstehen könnten. Den Befähigungsnachweis wünsche auch er (Redner) nicht eingeführt zu sehen, hier sollte man wirklich der freien Konkurrenz Spielraum lassen. Die Fragen der Gefängniß⸗ arbeit und des Submissionswesens sollten sobald wie irgend möglich von den einzelnen Landesregierungen erledigt werden. Was die gesetz⸗ liche Regelung der Abzahlungsgeschäfte anlange, so sei allerdings zu wünschen, daß Organisationen ins Leben träten, die den Handwerker beim Bezug von Waaren einen billigeren Kredit verschafften, als es den Abzahlungsgeschäften möglich sei. Die Ausbildung des Lehr⸗ lingswesens sei eine sehr wichtige Sache, denn davon hänge die ganze Weiterentwickelung des Handwerks ab. Die Ausdehnung der Unfall⸗ versicherung auf die Handwerker sei eine Folge der Entwickelung, die diese Gesetzgebung genommen habe; freilich werde sie von vielen Handwerkern nur als eine neue Belastung empfunden, um aber segens⸗ reich zu wirken, dürfe die Versicherung nicht auf die Lehrlinge und Gehülfen beschränkt bleiben, sondern sie müsse auch auf die Meister ausgedehnt werden, so wie ja schon in der Ausdehnung der Versiche⸗ rung auf die landwirthschaftlichen Arbeiter Analoges bestimmt sei; aus der Versicherung der landwirthschaftlichen Arbeiter könne man noch eine zweite Lehre ziehen: die Versicherungen in territortale Verbände aufzulösen. Eine wichtige Frage sei ferner die der Orga⸗ nisation der Handwerker, dazu könne man aber nicht schon heute irgend⸗ wie Stellung nehmen, da müsse man die Vorlage erst abwarten. Er hoffe aber, daß irgend eine Lösung gelingen werde. Er habe bisher nicht für seine Fraktion gesprochen, sondern für seine Person, nur das spreche er im Namen der Partei aus, daß sie bei der in Aussicht stehenden Gesetzgebung so sehr wie jede andere Partei sich mit aller Energie betheiligen werde. Die Schaffung eines leistungsfähigen Handwerkerstandes sei eine der wichtigsten Aufgaben, und die Selbsthülfe sei hierbei freilich das wichtigste Mittel, aber auch die Staatshülfe dürfe nicht aus dem Auge gelassen werden.

Abg. Eberty: Das Standesbewußtsein werde mehr gehoben dadurch, daß die Handwerker besser vorgebildet würden, sodaß sie auch Andere etwas lehren könnten. Der Hauptfehler sei, daß man Alles von der Gesetzgebung erwarte. Sieben Gesetze seien seit 1878 erlassen worden zu Gunsten der Innungen, und alle hätten nach dem Eingeständniß der Herren nichts genützt.

Abg. Hitze bedauert, daß der Staatssekretär Mittheilungen ge⸗ macht habe aus dem Protokoll, zu dessen Geheimhaltung sich die Vertreter der Handwerker verpflichtet hätten. Der Verlauf der Besprechung sei durchaus nicht unangenehm; es sei Aufklärung ge⸗ schaffen worden, wenn diese auch mit etwas Verstimmung von den Handwerkern aufgenommen werde. Ein Theil der Antwort des Staatssekretärs sei aber befriedigend, weil gewisse Maßregeln zu Gunsten der Handwerker in Aussicht gestellt würden, darunter nament⸗ lich auch die Organisation des Handwerkerstandes.

„Abg. Metzner: Er könne nur sein Bedauern darüber aus⸗ drücken, daß die Hoffnungen auf den Befähigungsnachweis und die obligatorischen Innungen, an die sich der Handwerkerstand wie an einen Strohhalm angeklammert habe, vernichtet seien. Dadurch werde der Mittelstand in seiner Festigkeit untergraben und die ganze Ge⸗ sellschaftsordnung bedroht, denn sie werde der wüsten Agitation der Umsturzparteien preisgegeben. Wenn die verbündeten Regierungen nicht selbst für die Aenderung der gegenwärtigen Zustände einträten, dann seien alle Bestrebungen eitel.

Abg. Bebel: Die Dinge, die als unausführbar hingestellt seien, seien für das Handwerk von untergeordneter Bedeutung, aber seine Partei sei gern bereit, die betreffenden Vorlagen auf ihren Werth zu prüfen. Einige Handwerker würden davon einen Vortheil haben; aber ihre Klassenlage werde dadurch nicht verbessert werden; die kleinen Handwerker seien jetzt oft in einer viel schlimmeren Lage, als die Arbeiter. Seine Partei wolle das Handwerk nicht vernichten, sie wolle es aber auch nicht täuschen. Sie wisse kein Mittel zur Hülfe und sage, wer dem Handwerk helfen wolle, wie die Ab⸗ geordneten vom Centrum, der täusche entweder sich selbst oder die Handwerker. Die handwerksmäßige Thätig⸗ keit verfalle immer mehr und mehr der fabrikmäßigen Aus⸗ bildung. Auch der Uebergang zum Kunsthandwerk könne dem kleinen Handwerker nicht helfen; denn auch das Kunsthandwerk werde immer mehr fabrikmäßig betrieben. Eine bessere Ausbildung der Lehrlinge helfe nichts, so lange die Lehrlinge, wie es in den meisten Hand⸗ werkstätten der Fall sei, nur an einem einzigen Stück etwas leisteten. Man habe in Berlin an 7 bis 8000 kleine Tischlermeister, die nur Tische, Stühle oder Sophas mit einer großen Zahl von Lehrlingen anfertigten. Komme ein solcher Lehrling aus der sogenannten Lehre in eine zweite Werkstätte, in der nicht dieselben Möbel gefertigt

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inspektoren berichteten, daß der fabrikmäßige Betrieb immer mehr an die Stelle des Handwerks trete. Nur durch diesen fabrikmäßigen Betrieb könnten sich die Handwerker noch über Wasser halten. Hätten die jetzigen Innungen durch die Gewerbeordnung nicht weitere Privilegien erhalten, so würden sie Scheininstitutionen und durchaus werthlos sein. So habe ein sachverständiger Mann geurtheilt. Alle Konzessionen an die Innungen hätten nichts geholfen. Was heute dem Handwerker sehle, sei Brot und ctwas auf das Brot, beute seien Millionen von Handwerkern nicht in der Lage, den Kampf um das tägliche Brot mit Erfolg zu führen. Wollte man die Elektrizität in allen Handwerksstätten einführen, so würde das schließlich zur Ueberproduktion, also zu dem Gegentheil dessen führen, was die Abgg. von der linken Seite wünschten. Die immer mehr um sich greifende Arbeitstheilung und der Maschinenbetrieb führten das Handwerk dem unvermeidlichen Untergang entgegen.

Abg. Biehl: Auf der Handwerkerkonferenz habe ein Huf⸗ schmiedemeister erklärt, seine Genossen hätten den Befähigungsnach⸗ weis und seien sehr zufrieden damit. Das beweise, daß sie den Be⸗ fähigungsnachweis nicht für unausführbar hielten.

„Abg. Schrader: Der heutige Tag sei das Ende der zünft⸗ lerischen Bestrebungen; denn jetzt seien keine Mittel mehr vor⸗ handen, in den Handwerkern den Glauben an den Befähigungs⸗ nachweis und die obligatorischen Innungen zu erwecken. Die ver⸗ bündeten Regierungen würden erkennen, daß das lange Abwarten in der Sache schlimme Erfolge gezeitigt habe. Das lange Warten habe eine verzweifelte Stimmung in den Kreisen der Handwerker hervor⸗ gerufen, die sich durch die kleinen in Aussicht gestellten Zugeständniffe nicht beseitigen lassen werde. Aber eine Generalisirung sei nicht am Platze; es bandele sich garnicht um das ganze Handwerk. Das Handwerk könne zum guten Theil genossenschaftlich betrieben werden und sich dann gegen die Großindustrie halten, ein Theil werde allerdings von der Großindustrie aufgesaugt werden. Es gebe andere und immer neu auftauchende Zweige, die dem Handwerk Platz gäben. Er bedauere, daß gerade die Innungsbewegung das Handwerk nicht gefördert habe. Die Innungen seien den genossen⸗ schaftlichen Bestrebungen hindernd in den Weg getreten. Er hoffe aber, daß, wenn jetzt die zünftlerischen Bestrebungen beseitigt seien, oder wenn sie wenigstens einen sehr viel ruhigeren Gang nähmen, die ganze arbeitende Bevölkerung, er rechne dazu Handwerker, Arbeiter und Fabrikanten, weit mehr diejenigen Wege finden würden, um möglichst selbständig nebeneinander bestehen zu können.

Abg. Dr. Hartmann: Das Hanuptergebniß der heutigen Ver⸗ handlungen seien nicht die Reden aus dem Hause, sondern die Er⸗ klärungen des Staatssekretärs, die gewisse gesetzgeberische Maßregeln in Aussicht stellten. Daß der Befähigungsnachweis und die obli⸗ gatc ischen Innungen sich nicht darunter befänden, sei sehr bedauerlich.

Damit schließt die Debatte. Schluß 5 Uhr.

Dritte ordentliche Generalsynode.

In der gestrigen Sitzung wurde ein Antrag Zillessen wegen Auf⸗ bessrung der Volksschullehrer⸗Gehälter der Petitionskommis⸗ sion überwiesen. Weiter wurde nach einem Antrag der Verfassungs⸗ kommissinn beschlossen, zur Zeit von dem Antrag auf dreijäbrige Wiederkehr der Generalsynode Abstand zu nehmen. Ferner wurde folgender Antrag, betreffend die Stellung der General⸗ Superintendenten, angenommen: „Seneralsynode wolle den Evangelischen Ober⸗Kirchenrath ersuchen: 1) die General⸗Superinten⸗ denten der Landeskirche zu wiederkehrenden Konferenzen einzuberufen, um theils unter einander, theils in Gemeinschaft mit dem Evange⸗ lischen Ober⸗Kirchenrath über Gegenstände ihrer Amtsthätigkeit sowie über das christliche Volksleben zu verhandeln; 2) daß die General⸗Superintendenten die Superintendenten ihres Sprengels zu regelmäßigen Ephoren⸗Konferenzen versammeln; 3) daß die geist⸗ lichen Räthe in den Konsistorien vermehrt und die General⸗ Superintendenten von solchen Geschäften entlastet werden, die ihre Kraft und Zeit ihrem persönlichen Hirtenamt entziehen; 4) daß über⸗ große Sprengel der General⸗Superintendenten durch entsprechende Theilung in übersichtliche Sprengel verwandelt wecden; 5) die In⸗ struktion der General⸗Superintendenten vom 14. Mai 1829 in einer der Verstärkung ihrer persönlichen Initiative förderlichen, sowie dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung entsprechenden Weise einer Revision zu unterziehen“ Schließlich wurden die Anträge der Finanz⸗ kommission, betreffend das Diensteinkommen der General⸗ Superintendenten, angenommen.

Der Entwurf eines Kirchengesetzes, betreffend die Auf⸗ hebung von Stolgebühren für Taufen, Trauungen und kirchliche Aufgebote, welcher der Generalspnode zugegangen ist, hat nachfolgenden Wortlaut:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen ꝛc., verordnen unter Zustimmung der Generalsynode, nachdem durch die Erklärung Unseres Staats⸗Ministeriums festgestellt worden, daß gegen dieses Gesetz von Staatswegen nichts zu erinnern, für die evangelische Landeskirche der älteren Provinzen, was folgt:

§. 1. Die Verpflichtung zur Entrichtung von Stolgebühren für Taufen und Trauungen in ortsublich einfachster Form, sowie für Auf⸗ gebote wird aufgehoben

§. 2. Was in den einzelnen Gemeinden nach den bestehenden Taxsätzen als ortsüblich einfachste Form der Taufen und Trauungen zu gelten hat, wird, sofern sich hierüber Zweifel ergeben, durch Be⸗ schluß der vereinigten Gemeindeorgane festgestellt. Dieser Beschluß bedarf der Genehmigung des Provinzial⸗Konsistoriums. Entsteht im einzelnen Falle darüber Streit, ob eine Stolgebühr ungeachtet der Bestimmung des §. 1 zu entrichten ist, so entscheidet der Kreis⸗ Synodalvorstand (Moderamen der Kreissynode) nach Anhörung des Gemeinde⸗Kirchenraths (Presbyteriums) und auf erhobene Be⸗ W Provinzial⸗Konsistorium. Eine weitere Beschwerde findet nicht statt.

§ 3. Die Stellen der Geistlichen und übrigen Kirchenbeamten sind für den ihnen durch die im §. 1 vorgesehene Aufhebung der Ge⸗ bühren entstehenden Ausfall der Einnahmen von der Kirchengemeinde durch eine Rente zu entschädigen. Diese Rente ist vierteljährlich im Voraus zahlbar.

§. 4. Von der Entschädigung sind ausgenommen diejenigen geist⸗ lichen Stellen, deren Jahreseinkommen außer Stolgebühren und freier Wohnung 6000 beträgt. Jedoch bleiben auch die auf diesen Stellen zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes im Amte befind⸗ lichen Geistlichen für ihre Amtsdauer in derselben Weise zu ent⸗ schädigen, wie die sonstigen Stellen, insoweit sie nicht auf Grund des §. 54 des Gesetzes vom 9. März 1874, betreffend die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung, aus Staatsfonds entschädigt werden.

§ 5. Die Höhe der Entschädigungsrente bestimmt sich nach dem Durchschnitt der Solleinnahme aus den aufgehobenen Gebühren für die in den Jahren 1888, 1889 und 1890 in der Gemeinde vollzogenen Handlungen. Ist diese Durchschnitts⸗Einnahme nicht mehr zu er⸗ mitteln, so ist die Zahl der in den angegebenen Jahren überhaupt vorgekommenen Fälle von Taufen, Trauungen und Aufgeboten ab⸗

zuüͤglich derjenigen maßgebend, in welchen nachweislich ein anderer als der aufzuhebende Gebübrensatz zu zahlen war. Wo in diesem letzteren Falle die Gebühren für Taufen und Trauungen in einfachster Form in Folge Abstufung nach Steuerklassen, Ständen und dergleichen von verschiedener Höhe sind, ist Behufs Bestimmung der Rente ein den örtlichen Verhältnissen entsprechender Einheitssatz durch Schätzung u finden.

18 6. Solchen Kirchengemeinden, in welchen in unmittelbarer Folge des Inkrafttretens dieses Gesetzes und wegen Mangels eines ausreichenden und verfügbaren Ueberschusses der Kirchenkasse eine Umlage ausgeschrieben oder erhöht werden muß, wird aus dem im

§. 10 bezeichneten landeskirchlichen Fonds als Beihülfe ein Zuschuß gemã rt. Die Beihülfe besteht in demjenigen Theil der von ei