Seiner Gewohnheit gemäß brachte der Herr Abgeordnete diese Frage in Verbindung mit der Getreidefrage, und er sagte: ich könnte mich schon mit der Herabsetzung, ich glaube, er sagte sogar der Auf⸗ gabe der Getreidezölle vertraut machen, wenn man mir die Doppel⸗ währung gäbe; denn die Getreidezölle, wie sie jetzt sind, bleiben immer ein Agitationsmittel. Der Herr Abgeordnete wolle mir gestatten, ihm dagegen zu bemerken, daß auch die Doppelwährungsfrage ein Agitationsmittel ist, was in die Massen und in die landwirthschaft⸗ lichen Kreise geworfen wird, ohne auf ein weitgehendes Verständniß rechnen zu können. (Heiterkeit. Sehr gut! links.) Man sagt der Landwirthschaft und sagt den Bauern: wenn wir nur die Doppel⸗ währung hätten, dann würdet ihr gute Geschäfte machen. Was aber Doppelwährung ist, ahnt der Bauer nicht, und ich glaube, daß selbst von den politischen Freunden des Herrn Abg. von Kardorff der Eine oder Andere im Innersten seines Herzens in Bezug auf die Wirkung der Doppelwährung auf das Wohl seiner Landwirthschaft Zweifel hat. (Heiterkeit.)
Der Herr Abgeordnete hat sich dann noch darauf bezogen, daß der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts ja Bimetallist sei und an einer früheren Aktion der Bimetallisten theilgenommen habe. Ich bin — will ich weiter noch sagen — nicht durch den Freiherrn von Marschall, wie ich ausdrücklich betone, sondern auf dem Wege meiner Studien auf eine Konferenz in Köln im Jahre — wenn ich nicht irre — 1882 gestoßen, — Herr von Kardorff wird mich rektifiziren, wenn das nicht richtig ist —, an der, glaube ich, Herr von Kardorff, Herr Arendt und mein verehrter Herr Kollege theilnahmen. In dieser Kon⸗ ferenz — ich muß mich wieder auf mein Gedächtniß verlassen, weil ich auf diese Debatte heute nicht vorbereitet war — ist anerkannt worden, daß in Bezug auf unsere Währung nichts geändert werden könne, wenn England nicht dabei wäre. Also wollen wir uns, wenn ich mir den Vorschlag erlauben darf, dahin einigen, auf diesem Standpunkt stehen zu bleiben und abzuwarten, was England thut. (Heiterkeit.)
Herr von Kardorff kam von dem Gold und dem Silber auf die Schweine (große Heiterkeit) und wirft uns vor, in Bezug auf den Vertrag mit Amerika — wenn man das einen Vertrag nennen will
— nicht das erreicht zu haben, was wir hätten erreichen können. Wenn man Plus und Minus in Bezug auf diesen Vertrag gegen⸗ überstellt, so muß ich bitten, von vornherein außer Rechnung zu lassen die Zulassung des amerikanischen Schweinefleisches in Deutschland. Es bleibt die Meistbegünstigung Amerikas und die Rübe übrig. Ich stelle die Bitte, die Einfuhr des Schweinefleisches außer Betracht zu lassen, weil das deutsche Verbot, wie alle diese Ver⸗ bote, nicht mit dem Bedürfniß unserer Landwirthschaft Amerika und der Welt gegenüber motivirt worden war, sondern pure und aus⸗ schließlich immer nur aus veterinären Rücksichten. Wie konnten wir da, wenn nun die amerikanische Regierung sagt: wir sind jetzt im Stande, Anstalten zu treffen, um die Gefahren zu beseitigen, ein⸗ wenden: nein, jetzt wollen wir doch bei unserem Verbote stehen bleiben, denn die Aufhebung desselben paßt unserer Landwirthschaft nicht! Das war unmöglich. Jetzt mußten wir das Motiv, auf dem wir Jahre lang geritten haben, weiter reiten und mußten anerkennen, daß es nicht mehr stichhaltig sei. (Heiterkeit.) Ich erkenne vollkommen den Werth der Schweine für den kleinen Mann an. Ich glaube aber nicht verkennen zu können, daß die Schweinezucht für den kleinen Mann von einer Menge von Umständen abhängt, und daß, wenn sie jetzt etwa zurückgeht, dies nach meinem Dafürhalten nicht sowohl die Folge der kaum wirksam gewordenen amerikanischen Schweineeinfuhr ist, als vielmehr davon, daß unter den nicht verhältnißmäßig glänzenden Umständen dieses Jahres der kleine Mann nicht im Stande ist, Schweine aufzuziehen. (Sehr richtig!) Ich habe also auch in dieser Beziehung Mitleid mit dem kleinen Mann, ich glaube aber andererseits, daß die Zulassung des amerikanischen Schweine⸗ fleisches auch vorwiegend kleinen Leuten zu Gute kommt. Große Leute wählen ihre Nahrung meist anders. (Sehr richtig!)
Ich kann also den weiteren Vorwurf, den der Herr Abgeordnete machte, die Regierung hätte auf das Schwein des kleinen Mannes nicht hinreichend Rücksicht genommen, nicht auf uns sitzen lassen.
Was im Uebrigen den Kampf der Rübe gegen das Schwein angeht, so wird der Herr Abgeordnete, glaube ich, wenn man diese erste Frage ausscheidet, doch mit uns einverstanden sein, daß wir ihn schließlich in einer Weise geführt und zu Ende gebracht haben, bei der die Rübe sich ganz wohl befindet.
Da der Herr Abgeordnete die Sache einmal zur Sprache gebracht hat, so will ich auch hier auf die Trichinenfrage, soweit ich, ohne das Material zur Hand zu haben, dies kann, eingehen. Wenn eine Regierung sich vertragsmäßig verpflichtet, die Aufsicht über die Fabrikation eines Nahrungsmittels zu übernehmen, so hat eine andere Regierung schwerlich das Recht, zu behaupten: „Du wirst das nicht können“, so lange bis der Nachweis geführt ist. Daß in Amerika alle Dinge, die Handel und Wandel betreffen, andere Proportionen annehmen als bei uns, ist zweifellos, und wenn die Rechnung des Herrn von Kardorff, daß man in Chicago 400 Veterinäre anstellen müsse, richtig ist, so glaube ich nicht, daß für die Vereinigten Staaten von Nord⸗Amerika die Anstellung von 400 Veterinären ein Moment ist, an dem sie eine ihnen sonst vortheilhaft erscheinende Maßregel würden scheitern lassen.
Es ist über die Einfuhr von Schweinefleisch aus Amerika bei uns eine gewisse Beunruhigung dadurch entstanden, daß man in einigen Städten am Rhein Fleisch eingeführt und darin Trichinen gefunden hatte. Dies Fleisch war aber noch nicht von der amerikani⸗ schen Regierung amtlich untersucht, sondern dieses, sowie das erste, was nach Hamburg gekommen war, war Fleisch, welches die Fabri⸗ kanten privatim ärztlich hatten untersuchen lassen, welche Thatsache zum Theil von den deutschen Konsuln attestirt war; aber die amerikanische amtliche neue Kontrole hatte dies Fleisch noch nicht passirt. Die eine unserer Behörden ließ dies Fleisch ein, an einer anderen Stelle wurde es abgewiesen; da, wo es eingelassen war, stellten sich Trichinen heraus und es wurde angehalten; auf einer anderen Stelle ist es auf andere Weise verwandt worden. Es liegt also auch in diesem Umstande kein Anlaß zur Beunruhigung.
Dem Herrn Abgeordneten weiter zu folgen auf den wissenschaft⸗ lichen Boden der Trichinenbehandlung, auf die Untersuchung darüber, unter welchen Bedingungen die Trichinen lebensfähig sind, einzugehen, darf ich mir versagen. Ebenso möchte ich mir erlauben, auf die Details, die der Herr Abgeordnete in Bezug auf Eier und Geflügel, Eisenbahnrefaktien und eine Menge anderer Dinge vorgebracht hat, erst an dem Ort antworten zu lassen, wohin dieselben gehören,
nämlich bei ber zweiten Lesung. W Abgeordneten dankbar sein, daß er diese Sachen schon hier erwähnte, denn wir sind dadurch umsomehr in die Lage versetzt, hier im Plenum ohne alles Weitere diese Einwände zurückweisen zu können. Die Kommissarien werden sich darauf vorbereiten.
Der Herr Abgeordnete war dann der Meinung, wir würden in einen Zollkrieg mit Oesterreich, auch wenn wir eine Mauer gebaut
hätten und die Oesterreicher auch, nicht gerathen sein. Ich muß dem
Herrn Abgeordneten bemerken: ziemlich dicht an einem solchen Krieg war der Zustand, aus dem wir jetzt herauszukommen suchen, ohnehin schon. Unsere Ausfuhr nach Oesterreich nahm allmählich immer mehr ab, und wenn auch die Maßregeln getroffen wären, die der Herr Abgeordnete im Auge hat, und wenn es dabei zu keinem Kriege gekommen wäre, das Faktum steht nur zu fest: wenn Oesterreich uns die Aufnahme unserer Produkte und Waaren versagt hätte, wir würden immer nicht umhin gekonnt haben, österreichisches Getreide bei uns zuzulassen.
Endlich eine kurze Bemerkung in Bezug auf den Wein. Das, worum es sich hier in der Hauptsache handelt, wenn man Frankreich und Italien einander gegenüberstellt, sind die Verschnittweine. Wir wünschen Verschnittweine aus Italien zu beziehen, Italien wünscht dasselbe. Verschnittweine bei uns einzuführen, ist Frankreich außer Stande. In dieser Beziehung ist also eine Ueberschwemmung unseres Landes ausgeschlossen, denn französische Verschnittweine kommen nicht.
Am Schluß seiner Rede machte der Herr Abgeordnete die Be⸗ merkung, er würde sich auf fünf Jahre den Vertrag gefallen lassen. Ich kann mich in dieser Beziehung auf die Erwiderung beschränken, daß die verbündeten Regierungen den Vertrag auf fünf Jahre sich nicht würden gefallen lassen. (Bravo! und Heiterkeit.)
Abg. Dr. von Komierowski: Seine Parteigenossen seien der Meinung, daß es ein ethisches Moment von hoher Bedeutung sei, daß am Ende des 19. Jahrhunderts die Völker noch einmal zu⸗ sammengefaßt würden, um ein gemeinsames Wirthschaftsgebiet herzu⸗ stellen. Wünschenswerth wäre es gewesen, wenn der Schutz der Landwirthschaft etwas höher belassen wäre; aber seine Partei stimme auch so den Verträgen zu. Die Landwirthschaft müsse auch Opfer bringen, wie das der Abg. von Koscielski schon bei der Zuckersteuer ausgeführt habe. Die Landwirthschaft könne außer durch Zölle auch anderweitig unterstützt werden; in seiner Heimath fehle es an Fluß⸗ regulirungen, an der Ausbildung von Wegenetzen, an Wasserstraßen, Entwässerungen ꝛc.; auch für die Ansiedelung der Arbeiter könnte Manches geschehen. Daß die Ueberweisungen aus der lex Huene zurückgehen würden, sei allerdings zu befürchten, aber sie seien ja in den ersten Jahren auch schon niedriger gewesen als jetzt.
Abg. Dr. Kropatscheck: Er stehe wie die Abgg. Broemel, Dr. Böttcher und Dr. Reichensperger auf dem⸗ Standpunkt des Kon⸗ sumenten, komme aber zu entgegengesetzten Schlußfolgerungen. Als Konsument könnte er auch ein persönliches Interesse daran haben, daß alle Zölle auf ein Minimum herabgesetzt oder vielleicht ganz beseitigt würden. Er habe aber von jeher, und zwar zu einer Zeit, ehe man in Deutschland zu einer gemäßigten Schutz⸗ zollpolitik übergegangen sei, in seinen theoretischen Studien den Grund und Boden zu einem ganz entschiedenen Schutzzöllnerthum ge⸗ funden. Wenn er für sämmtliche Schutzzollanträge gestimmt habe, so habe ihn davon weder die Sorge, daß er vielleicht zu theuer konsumire, abgeschreckt, noch der Wunsch ihn geleitet, irgend einen Großgrundbesitzer oder Großindustriellen aufzuhelfen, sondern es habe ihn das Interesse für das Ganze und das Interesse für die Landwirthschaft geleitet, ohne die dem Vater⸗ lande jede Grundlage einer gedeihlichen Existenz entzogen fei. Deshalb habe ihn auch der Passus in der Rede des Reichs⸗ kanzlers, der die Bedeutung der Landwirthschaft würdige, mit reinster Freude erfüllt. Aber seine thatsächlichen Folgerungen könne er nicht ziehen; er gestehe sogar, es sei für ihn unerfindlich, wie man bei einer solchen warmen Anerkennung der Bedeutung der Landwirthschaft dazu kommen könne, in diesem Handelsvertrag Opfer eigentlich nur von der Landwirthschaft zu verlangen. Er wolle auf die ganze Opfertheorie, die der Reichskanzler entwickelt habe, nicht ein⸗ gehen; er halte sie für falsch, er weise es ganz entschieden zurück, wenn man sage, irgend welche Konsumenten hätten der Landwirthschaft Opfer zu bringen. Die Opfer, die Der oder Jener gebracht, habe er im Interesse des Vaterlandes, nicht der Land⸗ wirthschaft gebracht. Wenn er sich aber den Vertrag ansehe, so würden hier Opfer verlangt nur von der Landwirthschaft bis in die allerkleinsten Nebenindustrieen hinein, die etwas damit zu thun hätten. Erklärlich werde das nur, wenn die Industrie höher ge⸗ schätzt werde, als die Landwirthschaft. Wenn es in der Rede des Reichskanzlers heiße, Handel und Industrie seien die wesentlichsten Quellen des Wohlstandes, so müsse er diesen Satz mit dem Abg. von Kardorff für jetzt noch bestreiten, und wenn es selbst der Fall wäre, müßte man erst recht für die Landwirthschaft sorgen, weil ihre Bedeutung auf einem ganz anderen Gebiete liege, als nur auf dem des Erwerbs und des zunehmenden Wohlstandes. Der Reichs⸗ kanzler habe ein Wort Friedrich's des Großen an einen Regiedirektor von der Industrie als der Nähramme des Staats erwähnt. Das Wort von der Nähramme liege in seiner Entstehung viel weiter zurück, es habe sich damit manche interessante Wandlung vollzogen. Zuerst finde man bei Sully unter Heinrich IV.: le labourage et le patu- rage sont les mamelles de l'Etat; später unter dem Merkanti⸗ lismus Colbert's komme dann auch neben l'agriculture l'industrie hinzu. Wenn nun der Reichskanzler sich jetzt so entschieden auf diese Aeußerung Friedrich’'s des Großen berufe, so wisse er (Redner) nicht, ob er die eine jener Brüste abschneiden oder verkümmern lassen wolle. Er finde das jedenfalls sehr bedenklich und theile jenen Standpunkt, der sage, Landwirthschaft und Industrie seien beide Nährmütter des Vaterlandes und müßten den Schutz des Staats verlangen, die Landwirthschaft noch mehr als die Industrie. Weshalb die offenbare Begünstigung der In⸗ dustrie? Die ungünstige Handelsbilanz sei erst in den allerletzten Jahren hervorgetreten, und man müsse bei ihrer Betrachtung doch sinjen enen, was das Ausland an Zinsenzahlung bringe; danach stelle 8 die Handelsbilanz besser. Der Reichskanzler habe aus⸗ geführt, daß seit der Einführung der Zölle die einheimische Industrie erstarke. Also habe die Industrie durch die Zölle mehr Vortheil ehabt als die Landwirthschaft. Daher hätte man richtiger die
“ Zölle herabsetzen, als der Landwirthschaft ein Opfer zu⸗ muthen sollen. Der Reichskanzler habe auf die Industriearbeiter Eö“ er (Redner) die
reude an jeder Arbeiter; aber man habe auch ländliche Arbeiter, deren Wohl an das Wohlsein der Landwirthschaft geknüpft sei. Könne die Land⸗ wirthschaft nicht mehr existiren, so drängten die Arbeiter noch mehr in die großen Städte. Der Reichskanzler schildere das bessere Familienleben und die größere Sittlichkeit auf dem Lande gegenüber den Städten. Aber gerade durch die Ceetgeeehn Industrie auf
Kosten der Landwirthschaft erziehe man in den Städten ein Prole⸗ tariat, an dem man so geringe Freude habe. Prosperiren werde die Landwirthschaft bei dem ermäßigten Zoll nicht mehr. Der Reichs⸗ kanzler wolle keine Garantie dafür geben, daß nicht während der zwölf Jahre die Zölle noch weiter ermäßigt würden. Aber sei der Zoll erst auf 3,50 ℳ herabgesetzt, dann werde der Sturm gegen die agrarischen Zölle erst recht losgehen. Die Gegner der Zölle würden sich dann auf die Regierung selbst berufen können. Wenn auch der Reichskanzler an eine weitere Herabsetzung nicht denke, könnten doch einmal die Verhältnisse stärker sein als er. Der Reichskanzler meine, man fahre ja den Wagen nur in ein anderes,
Wenn irgend Jemand, so theile sozialen Fürsorge für die
neben den alten liegendes Geleise hinüber, gis. dabei könnten leicht Entgleisungen vorkommen. Das politische Bündniß solle durch da
koöͤnnen aber doch dem Herrn
wirthschaftliche unterstützt werden. Er habe immer das tröstenee Gefühl gehabt, daß der vorige Reichskanzler für Das, was dem Reich
in der auswärtigen Politik Vortheil bringe, auch einigermaßen Ver⸗ ständniß gehabt habe. Für so kurzsichtig, daß er eine Störung des Dreibundes durch die deutsche Zoüpolitik nicht hätte sehen sollen, halte er ihn nicht. Der Reichskanzler habe gestern die „Neue Preußische Zeitung“ angegriffen. Er (Redner) habe die Zeitung und den be⸗ treffenden Artikel hier um so weniger zu vertheidigen, als er den Artikel erst gestern nach der Rede des Reichskanzlers elesen habe. Der Reichskanzler sehe den Artikel als einen Versuch an, das Ausland gegen die eigene Regierung ins Feld zu rufen. Der Artikel entbalte nichts weiter als die Thatsache, daß sich hier in Berlin ein Comités gebildet habe, in der Meinung, daß man in Deutschland über die Strömung in Oesterreich⸗Ungarn gegenüber dem Handelsvertrag nicht unterrichtet sein könne, weil man mit den sprach⸗ lichen Verhältnissen nicht genügend vertraut sei. Die bhierher kommende österreichische Presse bringe die den Verträgen abgeneigten Stimmen nicht zur Geltung, man solle daher bei den dortigen Ge⸗ werbekammern und in landwirthschaftlichen Kreisen umfragen. Sei danach die Stimmung den Verträgen nicht günstig, so folge daraus nicht eine Verbesserung des politischen Verhältnisses durch den Handels⸗ vertrag, der im Gegentheil Mißstimmung zwischen beiden Theilen hervorrufe. Dieser Gedanke sei nicht überraschend und werde auch von anderen, über die Verhältnisse Unterrichteten getheilt. Der Reichs⸗ kanzler habe allerdings einen wirkungsvollen Eindruck auf den Reichstag gemacht, besonders mit der Bemerkung, daß man sich an alle möglichen Nationalitäten in Oesterreich, nur nicht an die Magyaren und Deutschen wenden wolle. Der Reichskanzler habe vermuthlich den Artikel selbst nicht gelesen. In dem Ariikel seien nicht Magyaren und Deutsche ausgenommen, sondern Magyaren und Juden⸗Liberale, und er werde doch nicht Juden⸗Liberale und Deutsche identifiziren? Dieser Irrthum des Reichskanzlers habe dem Artikel eine ganz andere Bedeutung gegeben, die Deutschen seien darin nicht ausgenommen. Am Tiefsten habe ihn gekränkt, daß der Reichskanzler von der „Neuen Preußischen Zeitung“ bemerkt hab er könne nicht sagen, ob sie das Parteiblatt der Konservativen sei oder nicht. Die „Kreuzzeitung“ habe nie ein Parteiorgan sein wollen, sondern sei immer ihre eigenen Wege gegangen, aber in dieser Frage habe sie die Mehrheit der Fraktion und die Mehrheit der Kon⸗ fervativen draußen im Lande zweifellos auf ihrer Seite. Ebenso ge⸗ kränkt habe ihn die Aeußerung, die „Neue Preußische Zeitung“ bean⸗ spruche, preußischer zu sein als andere. Er habe die Vergangenhei der Zeitung nicht zu vertheidigen. Jeder wisse, was sie für Preußen gewesen sei; niemals sei ihr der Vorwurf gemacht, kein Herz fü Preußen zu besitzen. Er beklage diese Angriffe aufs Tiefste und würd es noch mehr beklagen, wenn in Zukunft solche Polemik weiter um sich griffe. Seine Fraktion werde die Kommissionsberathung beantragen. Alle diese Fragen könnten nur in einer Kommission ihre sachliche Er⸗ ledigung finden, und er bitte möglichst Viele, dem Antrage zuzu⸗ stimmen. 3 Reichskanzler von Caprivi: 1 . Was zunächst die Bemerkung angeht, ich hätte gesagt, die „Kreuz⸗ zeitung“ mache den Anspruch, preußischer zu sein als andere Leute, so war ich dazu berechtigt. Jedenfalls hat sie den Anspruch gemacht, preußischer zu sein als ich; denn es ist noch nicht lange her, daß sie mir vorgeworfen hat, ich verkröche mich hinter dem König, — etwas, was ein preußischer Offizier noch nie gethan hat. (Bravo! links.) Was weiter den Werth und die Stellung dieses Artikels angeht, so haben ihn auch Andere so geschätzt, die Redaktion hat ihn auf der ersten Seite aufgenommen, und ich will dem Herrn Abg ordneten sagen: ich glaube ihn zuerst ohne Einleitung in den „Hamburger Nachrichten“ gelesen zu haben. (Hört, hört! links.) Ich ließ mir dann die „Kreuzzeitung“ geben und las ihn nach. Wenn ich aus dem Artikel, ohne ihn vor mir zu haben, die „Deutschen“ und die „Juden⸗Liberalen“ mit einander verwechselt habe, so war dies nicht ganz fernliegend. Denn, wenn gewisse Zeitungen sich mit den Deutschen in Oesterreich, namentlich wie hier mit der deutschen Presse beschäftigen, so fehlt das Wort „Juden⸗Liberale“ in der Regel nicht, sie laufen beide neben einander, und es waren überdies in einem Satze vorher alle Nichtdeutschen aufgeführt, ausgenommen die Magvaren. 8 Wenn der Abgeordnete meint, dies wäre erklärlich gewesen, weil gerade die Sprachen dieser Völker nicht verstanden würden, so ist das Magyarische uns auch nicht geläufiger. (Heiterkeit.)
Nach 5 Uhr erhält unter großer Unruhe des Hauses und mehrfachen Rufen nach Vertagung das Wort
Abg. Dr. Simonis, der sich gegen die Ermäßigung der Wein⸗ zölle ausspricht, die namentlich den elfässischen Weinbauern die französische Konkurrenz auf den Hals ziehen werde; auch die vermehrte italienische Konkurrenz würde bedenklich werden, namentlich da diesmal eine überreiche Ernte gewesen sei. Die Italiener warteten nur auf 8 Fr.e des neuen Zollsatzes, um Deutschland mit Wein zu überschwemmen.
Unter⸗Staatssekretär von Schraut: Wenn der Wein ein Ge⸗ tränk in weiteren Kreisen bleiben und werden solle, dann sei es noth⸗ wendig, die leichten deutschen Weine mit den alkobolreicheren Weinen Italiens zu verschneiden; es sei durchaus nicht gesagt, daß dadurch der deutsche Weinbau geschädigt werde; beschränkt werde dadurch nur die Fabrikation des Kunstweins und die künstliche Vermehrung des Weines durch Wasserzusatz. Die Vermehrung des Konsums werde jeden etwa eintretenden Schaden ausgleichen. Die Weinernte Deutschlands sei trotz gleichbleibender Anbaufläche großen Schwan⸗ fungen unterworfen. Immer mehr zeige sich im Reichslande das Bedürfniß nach leichten Rothweinen, weil Frankreichs Pro⸗ duktion zurückgegangen sei. Der Vertrag lasse herein zum niedrigen Zoll rothe Naturweine zum Verschnitt unter Kontrole; sie machten nicht Konkurrenz auf dem freien Markte, sondern dürften nur als Zusatz verwendet werden. Die Frage des Geschmacks spiele hierbei eine große Rolle; wer einen guten mittleren Wein bisher ge⸗ trunken habe, werde nicht gemischten Wein trinken, weil er etwas billiger sei. Die Kontrole werde so eingerichtet werden, daß jeder Mißbrauch ausgeschlossen sei. Verschnittweine würden nur aus Italien kommen, denn die Franzosen brauchten ihre Weine zum Verschneiden felbst. Weiter auf die Einzelheiten einzugehen, könne wohl der Spezial⸗ berathung überlassen werden.
Um 6 Uhr wird die weitere Berathung bis Sonnabend
Entscheidungen des Reichsgerichts.
Bei einem Domizilwechsel mit unbenanntem Domi⸗ iliaten (sowohl bei einem gezogenen als auch bei einem eigenen echsel) ist nach einem Urtheil des eüegenigun. III. Civilsenats, vom 25. September 1891, die rechtzeitige Erhebung des Protestes
Mangels Zahlung dem Acceptanten bezw. beim eigenen Wechsel
dem Aussteller gegenüber nicht erforderlich; gegen dise geht der wechselmäßige Anspruch durch die Verabsäumung der Protest⸗ erhebung am Domizilort nicht verloren. Die Formel: „zahlbar. auf dem Comptoir ꝛc. im Domizilwechsel macht diesen nicht zu einem Domizilwechsel mit benanntem Domiziliaten (dem Inhaber des Comptoirs), sondern zu einem solchen mit unbenanntem Domiziliaten.
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Sonnabend, den 12. Dezember
Uebersicht
der in den deutschen Münzstätten bis Ende November 1891 stattgehabten Ausprägungen von Reichsmünzen.
1) Im Monat November Goldmünzen
Silbermünzen
Nickelmünzen Kupfermünzen
1891 sind geprägt worden in:
Doppel⸗ kronen
Kronen Halbe
Hiervon auf riva 2 Kronen
ℳ ℳ ℳ
8 288 Fünfzig⸗ Zwanzig⸗
markstücke stücke ℳ
Fünf⸗ markstücke markstücke ℳ ℳ
₰
pfennig
Zwanzig⸗ Zehn⸗ Fünf- Zwei⸗ Ein⸗ stücke pfennigstücke pfennigstücke pfennigstücke pfennigstücke
12 253 7
Karlsruhe... —
12253680 Muldner Hütte. — —
1087 924 112 376 V
492 100 90 000
Summe 1. 12 253 680 — —
m253680 2) Vorber waren geprägt⸗) 2 082 418 280 506 687 600,27 969 925,1245025920 74 104 195,105 347 906,179 701 410 71486 552 — 35 717 922 80
582 100 1 200 300 — — — —
4 005 284 — 29 259 336 60 14 345 137 05] 6 213 207 44°15 307 965 45
3) Gesammt⸗Ausprägung 2 047 67 960 506 587 60027 989 925125727960074 688 295106 528 200175 70 I 552 — 5 77 92280
4) Hiervon sind wieder
eingezogen 1 175 180% 1 752 990 10 080
8 025 8 990 8450 3 386 — 13 003 610 80
2505 287 =— 2. 250 336 6014 375 1870 5 Z207 1520 58 15 20. —1191 — 405 10 30 64 25 22
2 043 496 780/[504 934 610/[27 959 845 2 576 391 235 ℳ
EEEEEEEEEmEEEEIE
TD05 288 5029 258 145 60 17 37 73 5 621756 80595b9185 7
455 107 924 ℳ
*) Vergl. den „Reichs⸗Anzeiger“ vom 10. November 1891 Nr. 265.
Berlin, den 11. Dezember 1891.
Haupt⸗Buchhalterei des Reichs⸗Schatzamts. Biester.
47 608 146,35 ℳ 11 523 362,14 ℳ
tatistik und Volkswirthschaft.
Invaliditäts⸗ und Altersversicherung. Wie die Schweidnitzer „Tägliche Rundschau“ berichtet, beträgt im Kreise Schweidnitz die Zahl der Personen, welche die Wohlthaten
der Altersversicherung genießen, bereits 367.
Errichtung von Schlachthäusern.
Wie die Schweidnitzer „Tägliche Rundschau“ berichtet, sind im Laufe dieses Jahres in der Provinz Schlesien in einer ganzen Anzahl Städte Schlachthäuser neuerbaut und dem Betriebe übergeben worden. So wurden vor einigen Tagen die städtischen Schlachthäuser zu Freiburg, Tarnowitz und Lüben eröffnet. In mehreren anderen Städten der Provinz steht die Errichtung gleicher Institute für die nächste Zeit bevor. So wird in Guhrau der Bau des dortigen städtischen Schlachthauses Anfang k. J. fertiggestellt sein.
Arbeiterfürsorge.
1 Die Gerresheimer Glashüttenwerke bei Düsseldorf be⸗ absichtigen, das frühere Bahnhofsterrain zu einem Park für ihre Arbeiter und deren Familien umarbeiten zu lassen. Ein Turnplatz und ein Spielplatz für die kleinere Jugend werden sich dem Park an⸗ schließen. Der ehemalige Güterschuppen wird umgebaut und erweitert werden, um den Turnern der Glasfabrik als Turnhalle zu dienen und das Lesekabinet und die Volksbibliothek aufzunehmen. Außerdem wird die Aktiengesellschaft einen neuen großen Saal an das Wirths⸗ haus der Glasfabrik anbauen, welcher zusammen mit dem bereits be⸗ stehenden Saale einen Flächeninhalt von rund 570 qm haben wird, und für Versammlungen der Vereine, Musikfeste und andere gesell⸗ schaftliche Zusammenkünfte dienen soll.
In Thüringen hat eine Anzahl von Fabriken die Gewährung eines warmen Feagüc eingerichtet. Sämmtliche Theilnehmer bilden eine Genossenschaft. Der Becher von drei Achtel Liter Inhalt kostet 1 ₰ für Kaffee, 6 ₰ für Boutillon.
Eine anerkennenswerthe Einrichtung hat der märkische Fabrik⸗ besitzer G. Stitter in Driesen getroffen, indem er in Anbetracht der theuren Lebensverhältnisse jedem seiner verheiratheten Arbeiter während der Wintermonate wöchentlich einen Centner Kohlen unent⸗ geltlich verabfolgen läßt.
Aus Anlaß des 25 jährigen Bestehens der Firma Leopold Engel⸗ hardt u. Biermann in Westfalen hat der Chef derselben, F L. Bier⸗ mann, Bremen, für seine Arbeiter am 1. Oktober ein Geschenk von 100 000 ℳ, zunächst als Grundstock einer Stiftung für Ersparnisse seiner westfälischen Arbeiter, gegeben. Der Stifter strebt an, dem einzelnen Arbeiter beim vollendeten 50. Lebensjahr ein Kapital von ungefähr 1000 ℳ, zu dem derselbe sueccessive auch seinerseits beigetragen haben muß, zu beschaffen. Die Verwal⸗ tung dieser Sparkasseneinrichtung und der zufließenden Gelder untersteht einer Kommission, bestehend aus einem Prokuristen oder Fabrildirektor der Firma, den diese beauftragt, einem älteren Werk⸗ führer der Firma. den diese und die Arbeiter gemeinschaftlich bestimmen, und einem älteren Arbeiter der Fabrik, den die Arbeiter allein wählen. Aus den Statuten sind bemerkenswerth: §. 4. Jedem Arbeiter, der monatlich 1 ℳ zu sparen sich entschließt, wird Seitens der Firma am Schluß des Jahres der gleiche Betrag von 12 ℳ gut geschrieben. §. 6. Jeder Arbeiter, der 25 Jahre in der Fabrik gearbeitet, erhält 100 ℳ. §. 7. Alle Spareinlagen, sowie die nach 25 jähriger Thätigkeit dem Arbeiter zugewandten 100 ℳ, welche bis zum 50. Jahre verzinst werden, sind dem Inhaber des Sparbuches mit dem vollendeten 50. Lebensjahre unverkürzt auf Verlangen aus⸗ zuzahlen. Im Todesfalle wird der volle Saldo an die Erben aus⸗ bezahlt. Nach der beigegebenen Skala würde im 50. Lebensjahre, nach 25 jähriger Arbeit, der Sparbetrag 899 ℳ 70 ₰, nach 30ähriger Arbeit 1154 ℳ 60 ₰, nach 36 jähriger Arbeit 1516 ℳ 90 ₰ sein. Es ist letzterer Betrag angenommen, wenn die Ersparnisse bereits im 14. Jahre beginnen und mit dem 50. Jahre enden.
Zur Arbeiterbewegung.
Die ausständigen deutschen Buchdrucker nehmen in einem vom „Vorwärts“ mitgetheilten ae hinf die Unter⸗ stützung der Arbeiter aller Länder in Anspruch. Der Aufruf ist zumeist in den übertriebenen Ausdrücken ab⸗
efaßt, die die sozialdemokratischen ähnlichen Schrift⸗ sucke zu kennzeichnen pflegen. Inzwischen ist der Vor⸗ sitzende des ÜUnterstützungsvereins deutscher Buchdrucker, Herr Döblin nach England geschickt worden, um die eng⸗ lischen Arbeiter für die Unterstützung des Ausstandes zu ge⸗ winnen. Aus London liegen bereits folgende Nach⸗ richten vor: 1
Eine Versammlung der Delegirten des Gewerkschaftsraths berieth, wie das „D. B. H.“ berichtet, am Donnerstag über die Unterstätzung der ausständigen deutschen Buchdruckergehülfen. Die hierzu erschienenen deutschen Delegirten gaben Auskunft über die Entstehung des Ausstandes und die Zahl der Ausständigen. Ihren Angaben zufolge sind 25 000 Pfd. Sterl. erforderlich, um den Ausstand noch einen Monat fortzuführen. Zu diesem Behuf ersuchten sie die englischen Gewerkschaften um eine Anleihe, wobei sie die Mit⸗ theilung machten, daß ihnen aus Frankreich ebenfalls Hülfe zugesagt fei. Eine Resolution, die englischen Gewerkschaften zur Beihülfe zu verpflichten, wurde unter großem Beifall angenommen. Sodann
wurde eine Drahtmeldung aus Amerika verlesen, welche auch von dort den Ausständigen Hülfe in Aussicht stellt.
Der „Fekf. Ztg.“ wird gleichfalls aus London unter dem 10. d. M. geschrieben: Das London Trades Council veranstaltet am nächsten Montag eine öffentliche Versammlung zur Unterstützung der ausständigen Setzer in Deutschland. Herr Emil Döblin, welcher der Versammlung beiwohnen wird, hat, dem „Daily Chronicle“ zufolge, an die englischen Gewerkvereine ein Schreiben gerichtet, in welchem er u. A. behauptet, daß innerhalb eines Monats von den Ausständigen 6000 Mitglieder mit Zustimmung des Verbandes zur Arbeit zurückgekehrt seien, weil ihnen der neunstündige Arbeitstag bewilligt sei. 10 000 seien noch ausständig. Die Kameraden in ver⸗ schiedenen Ländern hätten 700 Pfd. Sterl. (14 000 ℳ) beigesteuert und die arbeitenden Mitglieder hülfen ebenfalls; allein „Angesichts des hartnäckigen Widerstandes vieler Firmen“ und der sonstigen Schwierig⸗ keiten fühle sich der Verband veranlaßt, sich an die Gewerkvereinler in Großbritannien um Unterstützung zu wenden, da die von dem Verbande angesammelte Summe von 30 000 Pfd. Sterl. (600 000 ℳ) in Kürze verstärkt werden müsse. Herr Döblin schließt mit der Bemerkung, daß alle Bewilligungen, wenn nöthig, binnen sechs Monaten zurückgezahlt werden, und daß zu diesem Zwecke eine schriftliche Verpflichtung von den Mitgliedern des Comités unter⸗ zeichnet werden sollte. Es bandelt sich also eigentlich um eine Anleihe in England. 1
Hier in Berlin fand gestern Nachmittag wieder eine all⸗ gemeine Buchdruckerversammlung mit den Hülfsarbeitern statt, über die wir nach der „Voss. Ztg.“ Folgendes mittheilen:
Der frühere Gehülfenvertreter Herr Besteckerklärte, es sei auf lange Zeit keine Aussicht vorhanden, daß die ausständige Gehülfenschaft die Arbeit wieder aufnehmen werde. Die Arbeiterschaft Englands und Amerikas rühre sich, um die deutsche Gehülfenschaft in großartiger Weise zu unterstützen. Von dem in London weilenden Vorsitzenden des Unterstützungsvereins Herrn Döblin, sei folgende Drahtnachricht eingelaufen: „Die Vertreter von 140 Trade⸗Unions haben weitgehendste Unterstützung zugesichert. Es hat sich ein nationales Comité, darunter fünf Par⸗ lamentsmitglieder, gebildet. Montag findet Massenmeeting für uns statt. Unterstützung über Weihnachten hinaus zugesichert.“ Wie der Kassirer des Vereins mittheilte, sei nach einer Meldung des Re⸗ dacteurs des „Trade Unionist“ Nash von den Londoner Setzern bereits ein Beitrag von 500 Pfd. Sterl. für den Ausstand den deut⸗ schen Buchdruckern bewilligt worden. Auf 20 000 Pfd. Sterl. könne die Gehülfenschaft von Seiten der Londoner Kollegen sicher rechnen. Der Vorsitzende Phil. Schmitt theilte mit, daß seit Donnerstag die völlige Einigkeit der Gehülfenschaft mit der gesammten Berliner Arbeiterschaft erzielt sei. Die Ausstandskontrolkommission werde die Arbeiterschaft auffordern, die Buchdrucker zu unterstützen. Es wurde sodann der (oben erwähnte) Aufruf verlesen, den die Ber⸗ liner Arbeiter an die Arbeiter aller Länder richten.
In Königsberg i. Pr. beschlossen, wie das „D. B. H.“ meldet, die ausständigen Setzer, den Ausstand, wenn nöthig, bis April 1892 fortzusetzen. Die Arbeitgeber beharren gleichfalls auf ihrem bisherigen Standpunkt. „In Hamburg haben, wie der „Vorwärts“ berichtet, fast sämmtliche Maurer die Arbeit niedergelegt wegen eines Streites um die Arbeitszeit.
Endgültige Ergebnisse der Voolkszählung vom 1. Dezember 1890 im Herzogthum Anhalt.
Die gesammte ortsanwesende Bevölkerung des Herzog⸗ thums Anbalt belief sich am 1. Dezember 1890 auf 271 963 Personen (134 671 männlichen und 137 892 weiblichen Geschlechts) gegen 248 166 am 1. Dezember 1885; sie hat mithin um 23 797 Personen oder 9,6 % zugenommen. Die größte Zunahme der Bevölkerung in den Städten Anhalts weist Bernburg mit 30,9 % auf, dann folgt Dessau mit 24,8 %. Von den Dörfern zeigt Roschwitz mit 91,2 % den größten Zuwachs, dann Leopoldshall mit 69,2 %. Auffallend ist die geringe Bevölkerungszunahme im Kreise Cöthen, 1,4 %, und namentlich die bedeutende Abnahme der Bevölkerung in den länd⸗ lichen Distrikten dieses Kreises. Die Zahl der bewohnten Wohn⸗ häuser ist seit der Zählung am 1. Dezember 1885 von 31 009 auf 33 085 angewachsen, also um 6,7 %. Der größte Zuwachs von 8041 auf 8830, also um 9,8 %, ergiebt sich für den Kreis Bernburg, der kleinste von 5962 auf 6161, also nur um 3,3 %, für den Kreis Cöthen. In der Stadt Dessau hat sich die Zahl der be⸗ wohnten Wohnhäuser von 1847 auf 2140, also um 15,9 % erhöht, in der Stadt Bernburg von 1942 auf 2364, also segar um 21,7 %. Einen besonders großen Zuwachs der bewohnten Wohnhäuser, nämlich von 215 auf 349, also um 62,3 %, weist das Dorf Leopoldshall auf, während in der Stadt Sandersleben nur 2 bewohnte Wohnhäuser mehr als im Jahre 1885 gezählt sind. Die Gesammtzahl der Haushaltungen im Herzogthum hat sich in der Zählungsperiode von 56 419 auf 62 585, also um 10,9 %, ver⸗ mehrt. Davon stellt die Stadt Dessau, wo sich die Zahl von 6639 bis auf 8332, also um 25,5 % vermehrt hat, das größte Kontingent. Dann folgt die Stadt Bernburg, wo die Zahl der Haushaltungen 6393 gegen 4874 nach der vorigen Zählung beträgt; das ergiebt eine Vermehrung um 31,2 %. Nach dem Religions bekenntniß waren 261 215 Personen (128 117 Personen männlichen und 133 098
weibli lechts) evangelischer Konfession, 8875 Katholiken (5037 elicen, Sehagcs perglichen Geschlechts), 281 (168 männlichen und
113 weiblichen Geschlechts) andere Christen, 1580 (739 männlichen und 841 weiblichen Geschlechts) Israͤeliten und 12 (10 Männer, 2 Frauen) ohne bestimmte Angabe des Religionsbekenntnisses. Der israelitische Theil der Bevölkerung läßt während der letzten Zählungsperiode eine kleine Abnahme erkennen, und zwar um 21 Köpfe (4 männlich und 17 weiblich) oder 1,3 %, während sich im Kreise Bernburg eine Vermehrung der Juden um 31 Köpfe (6,7 %) ergiebt. Doch bleibt auch hier der Zuwachs gegen die sonstige Vermehrung der Bewohner des Kreises im Verhältniß zurück. Zu der bedeutenden Zunahme des katholischen Theils der Bevölkerung Anhalts von 5492 auf 8875 (also um 61,6 %) stellt der Kreis Bernburg weitaus das größte Kontingent; denn hier haben sich die Katholiken von 2559 auf 4431 Köpfe, also um 73,2 %, vermehrt. Eine besonders auffallende Vermehrung hat im Herzogthum während der letzten Zählungsperiode die Zahl der⸗ jenigen Bewohner erfahren, die unter der Rubrik „andere Christen“ zusammengefaßt worden sind, die auf 281 gegen 89 am 1. Dezember 1885, oder um 215,7 %, stieg.
Nach Mittheilung des Statistischen Amts der Stadt Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom 29. November bis inkl. 5. Dezember er. zur Anmeldung gekommen: 290 Eheschließungen, 976 Lebendgeborene, 36 Todtgeborene, 929 Sterbefälle.
— Die Mittheilungender Großherzoglichhessischen Centralstelle für die Landesstatistik“ haben in der Nr. 504 vom November 1891 folgenden Inhalt: Verzeichniß der Gemarkungen und Gemeinden mit Angabe der ortsanwesenden Bevölkerung nach der Zählung vom 1. Dezember 1890. — Preise der gewöhnlichen Verbrauchsgegenstände. September 1891. — Betrieb der Eisen⸗ bahnen September 1891.
Literatur.
„— Von der Sozialpolitischen Rundschau, Monatsschrift für die Geschichte und Kritik der sozialen Bewegung, herausgegeben von Dr. Karl Munding in Friedenau, (Verlag von Fr. Richter in Leipzig) ist das 2. Heft erschienen. Es enthält die Fortsetzung des Aufsatzes: „Zur Theorie und Praxis des Heirathens“ von Alexander von Oettingen, ferner einen Aufsatz von dem Pastor Adolf Jäger in Werder:; „Rechte und Pflichten in der Sozialpolitik“. Die Aufnahme dieses Aufsatzes kann der jungen Zeitschrift kaum zur Empfehlung dienen. Zwar macht die Redaktion an manchen Stellen ihre Vorbehalte; diese können aber unmöglich die Verkehrtheiten der Grundlage insGleichgewicht bringen. Man braucht mit dem Verfasser nicht wegen der Tendenz, die er hierbei verfolgt: „Hebung der Bodenrente“ zu rechten; diese ist gewiß berechtigt, wenngleich er keine bestimmten Vorschläge macht; es scheint nur andeutungsweise hervorzugehen, daß er sie sich von der Silber⸗ währung verspricht. Indeß, was dem Aufsatz nicht zur Empfehlung gereicht, ist die Thatsache, daß seine politische Weltanschauung und seine Urtheile über die historische und gegenwärtige Entwickelung auf sehr geringen bistorischen Kenntnissen beruhen. Seinen Auffassungen von der geschichtlichen Stellung des Adels und seinen Rechten und Pflichten im 18. und in diesem Jahrhundert liegen — so agrarisch und streng konservativ er erscheint — doch nur liberale Traditionen zu Grunde, die durch neuere wissenschaftliche Untersuchungen völlig widerlegt worden sind und als ein überwundener Standpunkt gelten können. Nahezu naiv ist die Auffassung, daß die wirthschaftliche Prosperität unter Friedrich II. in der Münzverschlechterung wurzelte; offenbar sind dem Verfasser die treibenden Kräfte der Fridericianischen Wirthschaftspolitik völlig unbekannt. Nicht anders steht es mit den Urtheilen über die politische Entwickelung dieses Jahrhunderts und der Gegenwart, die historisch nicht haltbar sind und denen wohl mehr politische Schlagwörter als eine wirkliche Kenntniß der Verhältnisse zu Grunde hüeen; namentlich gilt dies auch von seinen Urtheilen über die Landgemeindeordnung und die Invaliditäts⸗ und Altersversicherung. — Von diesem mehr politisch tendenziösen, als wissenschaftlich objektiven Aufsatz sticht ein anderer Aufsatz von dem italienischen Nationalökonomen Luigi Sbrojavacca über „die soziale Bewegung in Italien“, der wissenschaft⸗ lich orientirend ist und eine eingehende Kenntniß der Verhältnisse verräth, wohlthuend ab: es wird darin ausgeführt, daß die ländliche Bevölkerung Italiens fast mehr als die städtische sich mit den Marx schen Ideen befreundet hat, und daß die sozialistischen wie sozial⸗ reformatorischen Richtungen sich vom Ausland dorthin übertragen haben, daß aber von einer eigentlichen sozialistischen Partei noch nicht die Rede sein könne, die Sozialdemokratte sich vielmehr nur erst in dem Stadium der vorbereitenden Propaganda befinde. Weiter wird darin eine Uebersicht gewährt von den neueren Gesetzen und Gesetz⸗ entwürfen, die sich mit der Besserung der Lage der arbeitenden Klassen Italiens befassen. — Von dem übrigen Inhalt des Heftes heben wir hervor, daß auch diesmal die „Chronik der sozialen Bewegung“ eine
ist. sehr reichhaltige ist Militärisches.
— Die „Deutsche Armeezeitung“, Garnisonblatt für das gesammte Deutsche Heer, herausgegeben vom Lieutenant d. L. C. von Lützow, Verlag von R. F. W. Krahl, Berlin, Preis vierteljährlich 2 ℳ, erscheint wöchentlich einmal, erinnert regelmäßig an die vater⸗ ländischen Gedenktage der auf ihr Erscheinen folgenden Woche, bringt alle neuen und wissenswerthen Nachrichten über die militärischen An⸗
gelegenheiten des In⸗ und Auslandes und kann desbalb den Mit⸗
gliedern und Freunden des Soldatenstandes angelegentlichst empfohlen werden. 8