wecke ihre Zustimmung, nachdem der Abg. Leithold ie vom evangelisch⸗lutherischen Landes⸗Consistorium er⸗ lassene Verordnung, nach welcher das aus Grundbesitz fließende Einkommen geistlicher Stellen nicht vom Nutznießer, 88 von den Kirchengemeinden zu versteuern ist, und die araus entspringende Rechtsungleichheit beklagt, der Vize⸗ Präsident Streit die Ansicht vertreten, daß die Verordnung auf einer irrthümlichen Rechtsauffassung beruhe und der Staats⸗Minister von Seydewitz zugesagt hatte, daß das Cultus⸗Ministerium wegen einer eventuellen Abänderung der Verordnung mit dem Kirchenregiment in Vernehmen treten werde. Ohne Debatte ertheilte die Kammer ferner auf Vorschlag der⸗ selben Deputation in Uebereinstimmung mit der Ersten Kammer dem Entwurfe einer Verordnung der in Evangelicis beauftragten Staats⸗Minister über eine WEE “ in dem Besetzungsverfahren für evangelisch⸗lutherische eistliche Stellen ihre Zustimmung mit dem Antrage, daß Feceuf bei Publication der Verordnung ausdrücklich Bezug enommen werde. Zum Schluß bewilligte die Kammer 5 ntrag der Finanzdeputation B die unter Tit. 17, 18 und 33 des außerordentlichen Staatshaushalts⸗Etats für Er⸗ weiterung der Stationen Coswig und Kötzschenbroda sowie zur Umgestaltung der Bahnstrecke Kötzschenbroda — Pieschen geforderten Summen von 1 260 000, 1 340 000 und 1 300 000 ℳ
Elsaß⸗Lothringen.
Die Zahl derjenigen Personen in Elsaß⸗Lothringen, welche als frühere französische Militärpersonen oder als Hinterbliebene von solchen eine Pension aus der Reichs⸗
kasse beziehen, beträgt zur Zeit noch 1111, der Gesammt⸗
betrag der Pensionen 265 936,80 ℳ. Innerhalb der letzten drei Jahre hat die Zahl der Berechtigten um 420 (27 Proc.), der Betrag der Pensionen um 102 367 ℳ (28 Proc.) abgenommen; in dem vorhergehenden dreijährigen Zeitraum hatte die Abnahme der Berechtigten 315 (17 Proc.), die der Pensionsbezüge 83 227 ℳ (18 Proc.) betragen. Unter den Empfängern befinden sich 32 im Durch⸗ chnittsalter von 73 Jahren, welche als Ritter der Ehrenlegion, und 295 im Durchschnittsalter von 60 Jahren, welche als In⸗ haber der Militär⸗Medaille einen Ehrensold aus der Reichskasse beziehen. Das Durchschnittsalter der eigentlichen Militärpensio⸗
näre ist 68 Jahre. 3
Oesterreich⸗Ungarn.
Zei Beginn der gestrigen Sitzung des Abgeordneten⸗ hauses hielt der Präsfident Smolka, wie „W. T. B.“ be⸗ richtet, eine Ansprache, in welcher er der neuen tiefen Trauer
edachte, die dem Kaiserlichen Hause durch das Hinscheiden es Erzherzogs Carl Salvator bereitet sei. — Ein⸗ egangen ist eine Vorlage über den Bau der Bahn Sta⸗ islau — Woronienka. Der Maximalbetrag der Kosten ist auf 98/⁄10 Millionen Guldee veranschlagt. Zugleich ist ein Ueberein⸗ kommen mit der ungarischen Regierung behufs Fortsetzung der Strecke Maramaros — Zigeth getroffen worden. Für den Bau ind zwei Jahre in Aussicht genommen. — Bei der darauf ortgesetzten Berathung der Handelsverträge erklärte er Generalredner gegen die Verträge Kaizl, der eutsche Vertrag sei kein richtiges Aequivalent für die Gegenleistungen Oesterreich⸗Ungarns; er enthalte sogar ine laesio enormis, sobald die ermäßigten deutschen Getreidezölle Rußland gewährt würden, was er als sicher rachte. Redner verwahrte sich gegen die Auffassung Oester⸗ eichs als Agrarstaat gegenüber Deutschland als Industriestaat, r den Oesterreich das wirthschaftliche Hinterland bilde. Der neralredner für die Vertraäge Ruß führte aus, durch den reibund, der die Ordnung im Balkan hergestellt habe, sei der Frieden besser gewahrt, als durch die von den Jung⸗ czechen befürwortete Verbindung Oesterreichs mit Rußland und Frankreich. Der Abg. 11“ habe Elsaß⸗Lothringen erwähnt, um eine Verbeugung vor Frankreich zu machen. Wenn ein Mächtigerer als der Abg. Kramar so gesprochen hätte, würde er die entsprechende Antwort erhalten haben. Die Ver⸗ bindung Oesterreich⸗Ungarns mit Deutschland stärke zwar das Czechenthum nicht, dies sei aber keine Ursache, den Handels⸗ vertrag zu verwerfen. Keine einzige Handelskammer habe sich gegen die Verträge ausgesprochen. Die Nicht⸗ bewilligung der Verträge würde eine vollständige Jso⸗ lirung Hesterreichs herbeiführen. (Beifall.) Es folgte sodann eine Reihe von Berichtigungen. Der Berichterstatter der Minorität Klaic betonte, die Minorität bekämpfe nicht den Vertrag mit Italien, sie wünsche nur die Regelung der Wein⸗ zollfrage vor dem Abschluß des Vertrags und glaube, Italien werde darauf eingehen. Dalmatien wuüͤnsche nicht einen hohen Schutz seines Weinbaus, aber doch einen mäßigen. Der Berichterstatter der Majorität Hallwich führte aus, die übertreibende, widerspruchsvolle Oppo ition der Jung⸗ czechen entspringe 56 Feindschaft gegen Deutschland und den reibund. Die Weinzölle spielten bei der östexreichischen Opposition die gleiche Rolle wie die Getreidezölle im Handels⸗ vertrage mit Deutschland bei der agrarischen Opposition im Deutschen Reichstage. Die Annahme des Votums der Minorität würde zu einem Zollkriege mit Italien führen. Der Redner Fchloß sich den Stimmen an, welche das Vertrauen geäußert hätten, Deutschland werde nur im Einvernehmen mit Oesterreich⸗Ungarn in Verhandlungen mit Rußland eintreten, und schloß, er baue auf die Loyalität des politischen, militärischen und wirthschaftlichen Verbündeten. (Großer Bei⸗ fall.) Nachdem der Minoritäts⸗Antrag Klaic, betreffend den Handelsvertrag mit Italien, mit 211 gegen 88 Stimmen ab⸗ Flehnt war, wurde der Vertrag mit Italien mit gleichem timmenverhältniß angenommen. Die Resolutionen Bonda, Terlago, Coronini, Bartoli wurden dem Zollausschusse zugewiesen, die Handelsverträge mit Deutschland, Belgien und der Schweiz, sowie die Viehseuchen⸗Convention und das Marken⸗ und Musterschutz⸗Uebereinkommen mit Deutschland wurden mit 254 gegen 42 Stimmen an⸗ 1 ommen. Das Abstimmungsergebniß über den Vertrag mit eeuutschland rief lebhaften Beifall hervor.
In der gestrigen Sitzung der Delegirten zu den Ver⸗ handlungen über den sserbischen Handels⸗ vertrag nahmen, wie die „Politische Correspondenz“ meldet, die serbischen Delegirten die Propositionen der österreichisch⸗ ungarischen Delegirten entgegen. In eine Erörterung wurde nicht eingetreten.
Das norwegische Kanonenboot „Ellida“ ist gestern in Pola eingelaufen und mit dem üblichen Geschützsalut empfangen worden. 8
Ueber die in der gestrigen Nummer des „R.⸗ u. St.⸗A.“
erwähnten in Ungarn berichtet die „Budapester
Corresp.“, daß sich in Kaschau aus Anlaß der Anwesenheit des Candidaten der liberalen Partei, des Grafen Hadik, und des Justiz⸗Ministers Szilagyi, ein E SSe Abends habe sich eine mehrhundertköpfige Menge versammelt, die demonstrativ auch vor der Wohnung des Candidaten der liberalen Partei den nationalen Candidaten Beöthy hochleben ließ. Als die Demonstration größere Dimensionen angenommen habe, sei die Polizei eingeschritten. Die Demonstranten hätten einzelne Häuser angegriffen. Eine Compagnie Soldaten habe um 7 Uhr die Menge zerstreut, die sich wieder zusammen gerottet habe, um unter antisemitischen Ausrufen der Volks⸗ schule der jüdischen Gemeinde, und da sie auch hier vertrieben worden sei, der Synagoge sämmtliche Fenster einzuschlagen; nachdem mehrere Verhaftungen “ worden und das Militär energischer vorgegangen sei, habe sich die Menge zerstreut, die Patrouillen hätten aber den ganzen Abend cirkuliren müssen. In Saros⸗-⸗Patak hätten gleichfalls neuerlich Wahlexcesse stattgefunden. Ein Student und ein Bürger seien erschlagen, viele Personen verwundet worden. ö161““
Großbritannien und Irland. 8
Prinz Friedrich Leopold von Preußen, welcher als Vertreter des Kaisers Wilhelm den heutigen Bei⸗ “ in Windsor beiwohnen wird, wurde gestern bei seiner Ankunft auf dem Victoria⸗Bahnhof in London von dem Herzoge von Edinburg und dem deutschen Botschafter Grafen von Hatzfeldt empfangen. Der Prinz nahm im Buckingham⸗Palast Absteigequartier. Prinz George von Wales, der nunmehrige einzige Sohn des Prinzen von Wales, wird, englischen Blättern zufolge, dem heutigen Leichenbegängniß seines älteren Bruders, des Herzogs von Clarence, auf den Rath der Aerzte nicht bei⸗ wohnen. Es ist zu kurze Zeit verstrichen, seit der Prinz seine Erkrankung am Nervenfieber überwunden hat, als daß es rathsam erschiene, daß er sich der rauhen Winterwitterung aussetze. Der Herzog von Cambridge weilt gegen⸗ wärtig in Cannes in Süd⸗Frankreich; er wollte, als er die Todesnachricht erhielt, die Rückreise antreten, empfing aber ein Schreiben von dem Prinzen von Wales mit der Bitte, seine Reise nicht zu unterbrechen. Zur Zeit der Bestattung sinden in London in der Westminster⸗Abtei, in der St. Pauls⸗ und allen übrigen englischen Cathedralen, sowie in der großen Synagoge Trauergottesdienste statt. Die meisten größeren politischen Ver⸗ sammlungen sind abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Frankreich.
Der Senat hat in seiner gestrigen Sitzung die Bera⸗ thung des Budgets beendet. Infolge der zahlreichen Ab⸗ änderungen muß das Budget nochmals an die Kammer zurückgehen. 1
In der Deputirtenkammerb ist es gestern zu turbulen⸗ ten Auftritten gekommen. „W. T. B.“ berichtet darüber Folgendes:
Die Deputirten Lessenne und Laur (Boulangisten) verlangten die Regierung wegen der vom „Intransigeant“ gegen ein Mitglied des Cabinets vorgebrachten Beschuldigungen zu interpelliren. (Lebhafte Bewegung.) Der Conseil⸗Präsident de Freyeinst sprach sich gegen eine solche Discussion aus, mit welcher man nur die Regierung discreditiren wolle. Mehrere Deputirte bean⸗ tragten die Vogfrage. Der Deputixte Laur protestirte dagegen, indem er hervorhob, wenn die Vorfrage angenommen werde, so werde man wissen, daß die Kammer einen Minister schütze, der schon seit langem von der öffentlichen Meinung gebrandmarkt sei. Der Minister des Innern Constans, hierüber erbittert, stürzte nach diesen Worten in größter Erregung zur Tribüne; an der unteren Stufe traf er mit Laur zusammen und schlug diesem ins Gesicht. Die Linke applaudirte lebhaft. (Allseitige Bewegung.) Laur wurde als⸗ bald von feings Freunden umgeben und auf 8 Platz durügegefichrt. Der Minister Constans wurde lebhaft apostrop birt. Da es dem Präsiden⸗ ten Floquet nicht gelang, den Tumult zu beschwichtigen, hob er die Sitzung auf. Laur wurde beim Verlassen des Saales ausgezischt. Obwohl das Bureau der Kammer sich entfernt hatte, blieben die Deputirten in dem Saal. In dem andauernden Tumult schlug der Republikaner Delpech dem Boulangisten Castelin ins Gesicht. Der Kammer⸗ Präsident Floquet hatte während der Unterbrechung der Sitzung eine Unterredung mit dem Conseil⸗Präsidenten de Freycinet und meh⸗ reren anderen Ministern. Bei Wiederaufnahme der Sitzung wurde der 88g g Constans beim Betreten des Saales von den republikanischen Abgeordneten lebhaft begrüßt. Der Minister bestieg die Tribüne und entschuldigte sich, daß er die Berathung gestört habe; in gewissen Fällen sei es unmöglich, die Kaltblütigkeit zu wahren. Geifall der Linken.) Darauf wurde über die Vorfrage bezüglich der Interpellation Lesenne⸗Laur abgestimmt und diese mit 338 gegen 44 Stimmen angenommen. Die Rechte enthielt sich fast durchweg der Abstimmung. Die Sitzung wurde sodann ge⸗ schlossen. Nach dem Schlusse setzten sich die turbulenten Scenen in den Wandelgängen fort. Die Abgg. Dumonteil und Montegut über⸗ brachten Delpech als Zeugen Castelin's dessen Herausforderung. Hier⸗ bei geriethen Delpech und Dumonteil so heftig aneinander, daß es auch zwischen diesen beiden zur Verabredung eines Duells kam; cs wurde beschlossen, das Rencontre zwischen E und Dumonteil un⸗ mittelvar nach demjenigen zwischen Delpech und Castelin auszutragen. Der boulangistische Deputirte Boudeau wurde in Verfolg einer aufgeregten Auseinandersetzung mit einem Journalisten von dem Letzteren ge⸗ ohrfeigt. Die Quästoren ersuchten nunmehr zur Vermeidung weiterer Conflicte die Deputirten, in die iuneren Gänge des Hauses zu treten, da sie sonst genöthigt sein würden, die Wandelgänge räumen zu lassen. .
Das Bureau der Kammer wird in dem Zwischenfall mit dem Minister Constans von einer Intervention absehen, da das Reglement der Kammer auf Constans als Senator nicht angewendet werden könne.
Der Deputirte Laur hat auf v Wege von Roche⸗ fort in London Auskunft darüber erbeten, ob er Gehhees zum Duell fordern oder ihn vor Gericht ziehen solle. — Das Gerücht von der Demission des Ministers Constans bestätigt sich nicht, die übrigen Minister erklärten sich mit demselben solidarisch.
Der Boulangist Boudeau beschloß, den Journalisten, der ihn ins Gesicht geschlagen, gerichtlich zu verfolgen. Das Duell zwischen den Deputirten Delpech und Castelin, welches durch den Zwischenfall in der gestrigen Sitzung der Deputirtenkammer verursacht wurde, soll heute stattfinden. . 1
Aus Marseille war gemeldet worden, die Dahomeyer hätten, etwa 2000 Mann stark, am 30. v. M. Kotonu an⸗ gegriffen, hien, aber nach dreistündigem Feie geflohen. Eine den Pariser Zeitungen zugegangene Note dementirt diese Nachricht in formeller Weise Es habe weder in der Region von Kotonu noch in den angrenzenden Landstrichen ein Gefecht worden.
Rußzland und Polen. erneur von Tambow hat den saͤmmtlichen
Dorfgemeinden und Verwaltungen des Gouvernements durch
Cirkular mitgetheilt, daß, obschon den Bauern keine Ver⸗
stattgefunden; die Ruhe sei nirgends gestört
pflegung seitens der Krone zustehe, jedem Nothleidenden gleichwohl monatlich Brot leihweise gewährt werden sollen. Diese leihweise Verabreichung von Brot seitens der Landschaft soll jedoch nicht eher erfolgen, als bis ein Mitglied des Landschaftsamts oder der Landkreis⸗Chef die Liste der Nothleidenden an Ort undStelle verificirt hat.
Italien. Der Minister⸗Präsident Marchese di Rudini hat der
Deputirtenkammer gestern das Handels⸗Ueberein⸗
kommen mit Bulgarien vorgelegt. Dann setzte das Haus die Berathung über die Handelsverträge fort. Der Deputirte Prinetti brachte eine Tagesordnung ein, in welcher die Genehmigung der Verträge auf nur sechs Jahre verlangt wird; Crispi beantragte einen Nachtragsartikel da⸗ hin lautend: die Regierung zu ermächtigen, mittels Specialprotokolls eine schiedsrichterliche Clausel zur Lösung aller Fragen zu vereinbaren, die während der Ausführung der Handelsverträge auftauchen könnten. Bei der Begründung seiner Tagesordnung verlangte Prinetti die Zusicherung der Regierung, daß g alle ökonomischen Folgen, namentlich hinsichtlich des Münzwesens sowie der neuen ökonomischen Richtung, erwogen habe. Der Minister Chimirri theilte hierauf mit, daß die Unterzeichnung des Ueber⸗ einkommens wegen der Industrie⸗Privilegien bereits erfolgt sei, und ersuchte Prinetti, die Verträge, deren Dauer eine nothwendige Bürgschaft für die Ordnung und Stabilität sei, ohne Reserve anzunehmen, worauf Prinetti seine Tages⸗ ordnung zurückzog. Eine von dem Deputirten Indelli ein⸗ gebrachte Tagesordnung des Inhalts, daß die Kammer, die in den Handelsverträgen vorherrschenden Gedanken billigend, zur Debatte der einzelnen Artikel übergehe, wurde vom Hause genehmigt, welches nunmehr die Specialdebatte begann. Der Finanz⸗Minister Colombo erklärte, er werde die Frage studiren, ob es möglich sei, die Procentsätze des Zolltarifs den vertragslosen Ländern gegenüber bei der Er⸗ örterung des Generaltarifs zu erhöhen, und versprach die Ein⸗ bringung einer Regierungsvorlage zur Beseitigung des Aus⸗ fuhrzolles auf Seide. Hierauf wurde Artikel 1 angenommen. Im weiteren Fortgang der Berathung begründete Crispi den von ihm beantragten Zusatzartikel. Er erinnerte an die Debatte von 1890 und behauptete, es sei nichts geschehen, um das Ziel zu erreichen, welches man sich gesteckt habe. Die Wirthschaftspolitik lasse sich nicht von der allgemeinen Politik trennen, wie das Beispiel Frankreichs und Deutschlands be⸗
wiese. Wenn die Regierung auf eine Verständigung mit Frankreich gehofft hätte, so hätte sie vor der Erneuerung des politischen Vertrages den Ausgang der commerziellen Verhand⸗ lungen abwarten dol. die Regierung habe im Gegentheil dort angefangen, wo sie hätte aufhören sollen. Daraus resultire, daß Frankreich sich abgeschlossen habe und die Schweiz sich vielleicht abschließen werde. Da er die wirthschaftliche Iso⸗ lirung Italiens nicht wolle, so werde er für die Verträge stimmen, obwohl er sie nicht für gut halte; er fordere jedoch, daß ihre Dauer auf sechs Jahre herabgemindert werde, theils, weil die Verhältnisse des Landes sich verändern könnten, theils deshalb, damit beim Ablaufe des Dreibund⸗Vertrags im Jahre 1898 Italien in seiner Willensbestimmung freier wäre. Was die Schiedsgerichtsclausel anlange, so erinnerte Crispi daran, daß ein Beschluß der Kammer vom Jahre 1890 bestimme, Streitigkeiten aus den Verträgen seien durch ein internationales Schiedsgericht zu begleichen. Der Minister⸗ Präsident di Rudini erklärte sich hierauf dem „W. T. B.“ zufolge bereit, die Schiedsgerichtsclausel annehmen und mit den befreundeten Regierungen wegen deren Festsetzung in Ver⸗ handlungen treten zu wollen, ersuchte aber den Vorredner von seinem Antrage, der die Dauer der Verträge kürzen wolle, abzustehen, weil die Annahme dieses Antrags seitens der Kammer einer Verwerfung der Handels⸗ verträge überhaupt gleichkommen würde. Italien würde dvann wirthschaftlich isolirt sein; die malfsäührige Dauer der Verträge sei vereinbart, weil man ein wirthschaftliches Factum habe vollenden wollen, dessen Bedeutung von ganz Europa
anerkannt werde. Im übrigen bedeute die swülffährige Dauer
der Verträge nicht die Unmöglichkeit ihrer Verbesserung. Die italienische Regierung habe mit Frankreich nicht liebäugeln, sondern darlegen wollen, daß das Defensivbündniß mit den europäischen Centralmächten alle Beziehungen mit allen Staaten, auch mit Frankreich, gestatte, gegen welches keine Feindschaft bestehe. Die wirthschaftlichen Vereinbarungen seien
der Erneuerung des Dreibundes vorausgegangen. Da
Crispi auf seinem Antrage bestand, wurde dieser zur nament lichen Abstimmung gebracht und mit 174 gegen 49 Stimmen ag gelfehrnt. Erst nach 8 Uhr Abends wurde die Sitzung geschlossen. 1
Den neuerdings umlaufenden beunruhigenden Gerüchten über eine ernste Erkrankung des Papstes tritt die „Köln. Volksztg.“ mit der Meldung entgegen: Nach Aussage des Leib⸗ arztes Ceccarelli habe Seine Heiligkeit einen ganz leichten Influenza⸗Anfall. Nach einer ctwas unruhigen Nacht sei gestern Mittag gesunder Schlaf eingetreten. Bis jetzt sei keinerlei Gefahr vorhanden. Dagegen hat sich nach dem „Moniteur de Rome“ der Zustand des vor einigen Tagen er⸗ krankten Cardinals Melchers nicht unbedenklich verschlimmert.
Der „Magdb. Ztg.“ wird aus Rom das gestern in Fiesole erfolgte Ableben des Jesuiten⸗Generals Anderledy gemeldet.
Pn der gestrigen Sitzung der technischen Commnission der internationalen Sanitaͤts⸗Conferenz wurden, wie „W. T. B.“ aus Venedig meldet, die Systeme zur Des⸗ infection der Schiffe berathen und ein vollständiges Einver⸗ nehmen in dieser Frage erzielt.
Spanien.
Der Senat hat in seiner gestrigen Sitzung dem Gesetz⸗ entwurf zugestimmt, der die Regierung zur Verlängerung der Handelsverträge ermächtigt. Unmittelbar darau wurde von der Königin⸗Regentin das Gesetz vollzogen.
Der “ Hülle des verstorbenen deutschen Militär⸗
Attachés in Madrid, Rittmeisters von Bülow wurden, wie „W. T. B.“ berichtet, gestern bei der Beerdigung von der Garnison der spanischen Hauptstadt die militärischen Ehren erwiesen. Sö —
Der Bundesrath erklärt in einer Botschaft an die Bundesversammlung: Die Handelsvertrags⸗Unter⸗ handlungen mit Italien seien schwierig, aber er gebe die Hoffnung xhe auf, zum Ziele zu gelangen. Sollte am 12. Februar der Vertrag noch nicht abgeschlossen den. so ge⸗ nügten die Befugnisse des Bundesraths, um jeder Eventualität zu begegnen. Er werde von diesen Befugnissen je nach der
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Sachlage Gebrauch machen. Werde der . 1.5 wen. ofort zu gute
so sollten dessen Vortheile dem Handel
8 Belgien. “
In der belgischen Deputirtenkammer wurde gestern von der Regierung die Vorlage wegen Einleitung von Handels⸗ vertrags⸗Verhandlungen eingebracht. Der Gesetz⸗ entwurf ermächtigt die Regierung, mit denjenigen Staaten, deren Handelsverträge mit Belgien Fͤlevsern in Unter⸗ handlung einzutreten. Als Vorbedingung für die An⸗ knüpfung von Verhandlungen wird die Forderung hingestellt, daß die gedachten Staaten Belgien die niedrigsten Tarife be⸗ willigen. In der Vorlage wird ferner erklärt: der fran⸗ zösißche inimaltarif bilde keine annehmbare Grund⸗ lage für solche Verhandlungen.
1
Wie man der „Pol. Corr.“ aus Konstan
schreibt, fand anläßlich des orthodoren Neujahrstages (13. d. M. , nach einem in der Capelle der russis chen Botschaft veranstalteten feierlichen Gottesdienst, bei dem Bot⸗ schafter von Nelidow ein Empfang statt, welchem der serbische Gesandte, General Sava Gruitsch und der monte⸗ negrinische Geschäftsträger Bakitsch beiwohnten. Der russische Botschafter brachte bei dem Empfange zunächst einen Toast auf das Wohl des Kaisers und der Kaiserin von Rußland sowie der gesammten Kaiserlichen Familie aus und erhob dann sein Glas auf das Wohl des Königs von Serbien und des Fürsten von Montenegro, „der Souveräne der beiden Nationen, die mit Rußland be⸗ freundet und deren Vertreter anwesend seien.“ Beide Toaste
wurden von den Anwesenden mit enthusiastischen Hurrahs aufgenommen. 1 8 Bulgarien.
Einer in Paris eingetroffenen Meldung zufolge hat die bulgarische Regierung gestern Abend dem türkischen Commissariats⸗Secretär Reshid⸗Bei die Antwort auf die Mittheilung der Pforte über die Fassung des Entwurfs der zur Regelung der Angelegenheit Chadourne an die französische Regierung zurichtenden bulgarischen Note überreicht.
Amerika.
Der Marine⸗Secretär der Vereinigten Staaten Tracy hat, wie „R. B.“ aus Washington meldet, den Befehlshaber der ‚YJorktown“, Capitän Evans angewiesen, die Balmacedistischen Flüchtlinge in Callao ans Land zu setzen.
Asien.
In der persischen Provinz Kallat⸗Dascht ist, nach Meldung einer Tifliser Zeitung, ein von der Geistlichkeit an⸗ gestifteter Aufstand ausgebrochen. Die von dem Gouverneur von Astrabad zur Unterdrückung des Aufstandes abgesandten Truppen seien zunächst geschlagen worden; erst nachdem von Teheran Verstärkungen eingetroffen, sei es gelungen, die Auf⸗ ständischen in einem am 15. d. M. stattgehabten Gefechte zu bewältigen. Die Verluste der Aufständischen beziffert das er⸗ wähnte Blatt auf 200 Mann, die der persischen Regierungs⸗ truppen auf 80 Todte und 90 Verwundete. 1b
Der abgesetzte Pascha von Tanger hat, wie von dort über Paris gemeldet wird, den Regierungs⸗Palast bereits ver⸗ lassen. Zu seinem Nachfolger ist von dem Sultan von Marokko der Ober⸗Ceremonienmeister Caid Mechouest designirt worden. Man glaube, daß dieses Vorgehen dem Auf⸗ stande der Eingeborenen ein Ende setzen werde.
Parlamentarische Nachrichten.
In der heutigen (152.) Sitzung des Reichstags, welcher der Staatssecretär Dr. Bosse und der Unter⸗Staatssecretär Dr. von Rottenburg beiwohnten, erbat und erhielt der Präsident von Levetzow die Ermächtigung, Seiner Ma⸗ jestät dem Kaiser den Glückwunsch des Hauses zu dem be⸗ vorstehenden Geburtstage auszusprechen.
Eine Reihe von Petitionen wurde gemäß dem Beschluß der Commission für die Petitionen zur Erörterung im Plenum für nicht geeignet erklärt.
Es folgte die 1“ des von dem Abg. Siegle ein⸗ eürachens Antrags, die Her “ einerstatistischen Aufnahme über die Lage der arbeitenden Klassen betreffend. I6“
Der Antrag lautet
Der Reichstag wolle beschhegen⸗ den Reichskanzler zu ersuchen, statistische Aufnahmen über die Lage der arbeitenden Klassen, ins⸗ besondere über Arbeitszeit, die Lohnverhältnisse und Kosten der
Lebenshaltung der Arbeiter in den verschiedenen Berufszweigen vor⸗ nehmen zu lassen. 8
Abg. Siegle sprach sein Einverständniß mit der vom Staatssecrerär Dr. von Boetticher neulich abgegebenen Erklä⸗ rung aus, daß eine Cünthe, Fh ur Veranstaltung einer solchen Enquste gebildet werden solle. Die Ausführungen des Staats⸗ secretärs deckten sich mit dem Ziele seines Antrags und dieser sei daher durch die erwähnte Erklärung erledigt.
Abg. Wurm begrüßte den Antrag und die Erklärun des Staatssecretärs Dr. von Boetticher als den Anfang dem Wege, auf dem die socialdemokratische Partei zum Ziele zu kommen hoffe. 8
Abg. Schrader wünschte, daß sich die Commission darauf beschränke, lediglich objectives Material herbeizuschaffen, aber nicht damit beschäftigt werde, gleich neue Gesetzentwürfe aus⸗ uarbeiten. Redner sprach ferner verschiedene Wünsche über
as zu gewinnende statistische Material aus.
nter⸗Staatssecretär Dr. von Rottenburg bestätigte, daß die Commission nur dazu dienen solle, statistisches Material zu liefern, aber nicht Gesetzentwürfe vorzubereiten.
Auf eine Frage des Abg. Siegle, ob die Enquôte⸗ Commission auch das statistische Material der Berufsgenossen⸗ schaften benutzen werde, erwiderte der Unter⸗Staatssecretär Dr. von Rottenburg, daß die Commission aus allen ihr zu Gebote stehenden Quellen schöpfen werde.
Darauf wurde der Antrag Siegle angenommen.
Es folgte die erste Berathung des von den Abgg. Dr. Barth und Rickert eingebrachten Gesetzentwurfs, betreffend Abänderungen und Ergänzungen des Wahlgesetzes für den Reichstag, vom 31. Mai 1869.
„Der Antrag bezweckt, daß die Stimmzettel in einem amt⸗ lich abgestempelten, mit keinem sonstigen Kennzeichen versehenen undurchsichtigen Umschlag abgegeben werden; in diesen Um⸗ schlag, der vom Wahlvorsteher jedem Wähler uüͤbergeben werden sol⸗ soll der Stimmzettel in einem der Beobachtung unzugäng⸗ lichen und mit dem Wahllokal in unmittelbarer Verbindung stehenden Raume gesteckt werden.
Abg. Rickert befürwortete den Antrag im Interesse der Wahlfreiheit; alle Parteien, welche diese aufrecht erhalten wollten, müßten dem Antrag zustimmen. Jetzt werde die Wahlfreiheit schon durch die verschiedene Farbennuancirung der Stimmzettel der verschiedenen Parteien beeinträchtigt, und die thatsächlich vorgekommenen absichtlichen Verletzungen der Wahl⸗ freiheit seitens der Parteien und auch der Wahlvorsteher machten es der Regierung und dem Reichstag zur Ehrenpflicht, endlich fühmna⸗ diese Caricatur von Wahlfreiheit aus der Welt zu
haffen.
Bei Schluß des Blattes sprach der Redner weiter.
— Die Wahlprüfungs⸗Commission des Reichstags beantragt, die Wahl des Abg. Dau im ersten Wahlkreise des Regierungsbezirks Köslin für gültig zu erklären. 8
Ferner beantragt die Wahlprüfungs⸗Commission: Der “ wolle beschließen, den Herrn Reichskanzler zu er⸗ suchen, durch Vermittelung der Fürstlich schwarzburg⸗sonders⸗ v Regierung dem Gemeindediener Ritter zu Möhren⸗
ach wegen seiner Vertheilung von Stimmzetteln bei der
Reichstagswahl am 1. März 1891 eine Rüge ertheilen zu lassen, im übrigen aber den Wahlprotest gegen die Wahl des Abgeordneten für den Wahlkreis Schwarzburg⸗Sonders⸗ usen Dr. Pieschel durch die stattgehabte Beweiserhebung ür erledigt zu erklären
In der Budgetcommission des Reichstags stand heute der Etat der Reichs⸗Justizverwaltung zur Berathung. Sämmt⸗ liche Positionen in Einnahmen und Ausgaben des Etats wurden un⸗ verändert genehmigt. — Die Budgetcommission nahm darauf die gestern abgebrochene Berathung des Etats der Eisenbahnverwal⸗ tung wieder auf. — Die ersten 13 Titel der Ausgaben wurden ge⸗ nehmigt, die Fortsetzung der Berathung auf morgen Abend vertagt.
— Dem Hause der Abgeordneten ist der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Führung der Auf⸗ sicht bei dem Amtsgericht 1 und dem Landgericht 1 in Berlin, sowie die Handhabung der Disciplinar⸗ gewalt bei dem ersteren Gerichte, die Nachweisung über die Anzahl der für das Jahr vom 1. April 1891/92 zur Klassensteuer und zur klassificirten Einkommensteuer veranlagten Personen und den Betrag der für dasselbe Jahr veranlagten Steuer, ferner der Nachweis über die Verwendung des in dem Etat für 1891/92 unter Tit. 75 der einmaligen und außer⸗ ordentlichen Ausgaben vorgesehenen Dispositions⸗ fonds von 2500 000 ℳ, sowie der Bericht über die Ergebnisse der preußischen Staatseisenbahnen im Berichtsjahre 1890/91 zugegangen.
Entscheidungen des Ober⸗Verwaltungsgerichts. b
Der Betrieb einer fiscalischen Fähre über einen unzweifelhaft öffentlichen Fluß war seitens des Königlichen Provinzial⸗Steuer⸗ Directors, weil ein Pächter für die Neuverpachtung sich nicht fand, eingestellt. Der Amtsvorsteher hatte die Fähre auf Kosten des Steuer⸗ fiscus wieder in Betrieb gestellt. In dem auf Grund der §§ 55 und 56 des Zuständigkeits⸗Gesetzes vom 1. August 1883 (Ges.⸗Samml. S. 237) durchgeführten Verfahren hat der Vierte Senat des Königlichen Ober⸗Verwaltungsgerichts in dem Erkenntnisse vom 6. November 1891 (IV. 1013) folgendes ausgeführt: In den §§ 49 bis 54 Tit. 15 Theil II unterscheidet das Allgemeine Landrecht zwischen Brücken und Fähren über öffentliche Flüsse und solchen über Privatflüsse; während bei den letzteren die genannten Communications⸗ mittel als Zubehörungen der Veege gelten und ihre Unterhaltungs⸗ pflicht sich nach den Rechtsverhältnissen der Wege richtet, in deren Zuge 8 liegen, ist dieses bei öffentlichen Flüssen nicht der Fall. Bei letzteren behandelt das Allgemeine Landrecht die Fähren unter dem Gesichtspunkt einer gewerblichen Transport⸗ Anstalt, die unter die niederen Regalien des Staats fällt und, wenn seitens des Staats in Ausübung seiner Finanzgewalt, Finanzhoheit, ein Tarif für die Erhebung von Fährgeld berliegen ist, in so weit auch die Ausübung eines Hoheitsrechts mit umfaßt, weshalb die Unterhaltung und Erhaltung solcher Fähren auch nur Sache des Staats sein kann, wenn er die Fährgerechtigkeit selbst ausübt. Er kann dieses Regal nach freiem Ermessen und eigener Entschließung ausüben und Fähren über öffentliche Flüsse anlegen, wo er allein es für angemessen hält, und er kann in der Ausübung dieses seines Rechts durch die Polizeibehörde nicht beschränkt werden, da Fähren über schiffbare Theile von Gewässern ebenso wie dergleichen Brücken als besondere Communicationsmittel anzusehen sind, die nicht unter ein allgemeines die Wegebaulast regelndes Gesetz fallen, sondern den besonderen für sie erlassenen Bestimmungen unterliegen. Wie nach diesem der Staat nun nicht gezwungen werden kann, von seinem Rechte zur Ausübung des Regals in einem be⸗ stimmten Falle Gebrauch zu machen, so ist auch gegen das Auf⸗ geben dieses Rechts ein polizeilicher Zwang nicht möglich, auch dieses liegt in seinem freien Ermes en. — Abgesehen hiervon aber ist jeden⸗ falls die Ortspolizeibehörde, also der Amtsvorsteher, nicht zuständig, auf diesem Gebiete gegen den Fisrne so wie geschehen, vorzugehen. Auch bei Brücken über öffentliche Flüsse hat das Ober⸗Verwaltungs⸗ gericht stets daran festgehalten, daß die Ortspolizeibehörde weder zuständig sei, den Staat zur Anlage einer Brücke zu nöthigen, noch ermächtigt sei, denselben am Abbruch einer bestehenden zu hindern. Ebenso wenig ist, und zwar aus denselben Gründen, der Amtsvorsteher befugt, den Fiscus am Aufgeben einer Fähre über einen öffentlichen Fluß zu hindern und ihn zur Wiederinbetriebnahme zu nöthigen.
— Ein Amtsvorsteher hatte dem Steuerfiscus aufgegeben, eine von ihm außer Betrieb gestellte fiscalische Fähre über einen öffent⸗ lichen Fluß wieder in Betrieb zu setzen. In der auf Grund des § 56 des Zuständigkeits⸗Gesetzes gegen diese Anordnung bezw. den betreffenden Beschluß Reischüeten Klage — die schließlich wegen Unzuständigkeit des Amtsvorstehers zur Aufhebung des Beschlusses führte — hatte der Steuerfiscus den betreffenden Königlichen Regierungs⸗Präsidenten als Vertreter der allgemeinen Bauverwaltung (Wegefiscus) als den⸗ jenigen bezeichnet und klagend in ö genommen, den er aus Gründen des Sscichn Rechts statt seiner für verpflichtet erachtete. Das Ober⸗Verwaltungsgericht, Vierter Senat, hat in seinem Erkenntnisse vom 6. November 1891 (IV. 1b dargelegt, daß diese Klage des Steuerfiscus gegen den eh aufiscus unzulässig sei, weil niemand zugleich als Kläger und Beklagter auf⸗ treten könne; letzteres aber sei hier der Fall denn der Fiscus sei eine einheitliche juristische Persönlichkeit und Streitigkeiten verschiedener
fiscalischer Stationen könnten nicht im Rechtswege ausgetragen werden.
historische
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln. .
Der Gesundheitsstand in Berlin hat sich in der Berichts⸗ woche (3. bis 9. Januar) wesentlich günstiger gestaltet und auch die Sterblichkeit war eine nur mäßig hohe (von je 1000 Bewohnern starben, aufs Jahr berechnet, 22,6). Zwar kamen acute Ent⸗ zündungen der Athmungsorgane noch immer in größerer Zahl als sonst um diese Jahreszeit zum Vorschein, doch hat die Zah der bekannt gewordenen Erkrankungen abgenommen und auch die Zahl der durch diese Krankheitsformen hervorgerufenen Todes⸗ 8 wurde eine kleinere (75 gegen 85 der Vorwoche). Auch Erkrankungen an Grippe kamen seltener zur Be⸗ obachtung (in 4 Krankenhäusern gelangten 31 zur Aufnahme) und aus der der Berichtswoche vorhergegangenen Woche wurden 24 Todesfälle an Grippe gemeldet. 2 acute Darmkrankheiten kamen, besonders unter kleinen Kindern, seltener zur Beobachtung. Die Theilnahme des Säulingsalters an der Sterblichkeit war eine kleinere als in der vorhergegangenen Woche; von je 10 000 Lebenden starben, auf's Jahr berechnet, 64 Säuglinge. — Das Vorkommen der Infectionskrankheiten war meist ein selteneres als in der Vorwoche. Erkrankungen an Masern und Diphtherie, von denen erstere sich in der Schöneberger Vorstadt, im Stralauer Viertel und in Moabit, letztere in der Tempelhofer Vorstadt und im Stralauer Viertel am häufigsten zeigten, gelangten seltener zur Anzeige. Erkrankungen an Scharlach blieben beschränkt, an Unter⸗ leibstyphus kamen nur wenige (5) zur Anzeige. Etwas zahlreicher wurden Erkrankungen an Kindbettfieber zur Meldung gebracht; auch rosenartige Entzündungen des Zellgewebes der Haut und Erkrankungen an Keuchhusten gelangten haufiger zur ärztlichen Behandlung, letztere endeten auch in erheblich gesteigerter Zahl (in 17 Fällen) tödtlich. Sehr zahlreich kamen 8 rheumatische Beschwerden aller Ari, namentlich Muskelrheumatismen, zur ärztlichen Beobachtung.
Paris, 15. Januar. Die Grippe nimmt, wie der „Köln. Ztg.“ berichtet wird, fortwährend zu. Brest ist namentlich stark eimgesucht. Gestern starben dort achtzehn Menschen, während die Zahl der täglichen Sterbefälle sonst nur sechs bis sieben beträgt. Seit dem 1. Januar beträgt die Zahl der dortigen Todesfälle 176 oder doppelt so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. Auch in Nimes starben in den letzten Tagen doppelt so viel Menschen. Das dortige große Seminar wurde geschteen. In Voiron fordert die Grippe ebenfalls zahlreiche Opfer. Vier mit der Erziehung der Waisen betraute Nonnen erlagen der Krankheit. In Nancy sind die Spitäler überfüllt; in den dortigen Zufluchtsstätten für alte Männer und Frauen wüthet sie besonders stark. Ein Drittel der Bewohner ist erkrankt. Aus den übrigen Departements wird Aehn⸗ liches gemeldet. In Paris selbst ist die Zahl der Kranken und der Sterbefälle sehr bedeutend. 88
Rom, 18. Januar. In Livorno kommen, wie „H. T. B.“ meldet, jetzt täglich an 600 Erkrankungen vor; in Parma, Modena und Padua hat der Gesundheitszustand im allgemeinen eine Verschlimme rung erlitten. 8 — Verkehrs⸗Anstalten.
Die „National⸗Zeitung“ veröffentlicht in ihrer Nr. 35 eine neue Zuschrift uüber die Bedingungen der Versendung
von Postpacketen in das Ausland, welche nunmehr
zwar als richtig anerkennt, daß die lautgewordenen Beschwerden sich nicht auf Post⸗, sondern auf Zoll⸗Einrichtungen be⸗ ziehen, jedoch die Mitwirkung der Aufgabe⸗Postanstalten immer — noch bemängelt. 1
Die Zollbehörden verlangen in Befolgung der Zollgesetze, daß der Absender die ins Ausland Gegenstände in den Inhaltserklärungen so ausreichend bezeichnet, als dies durch die Zollverordnungen vorgeschrieben ist. Geschieht dies nicht, so treten Nachtheile für den Versender oder Empfänger ein, indem je nach den Bestimmungen der Zollgesetze die Sendungen entweder an der Grenze zurück⸗ geschickt, oder mit den höchsten Zollsätzen. belegt werden. In einigen Ländern werden u. A. empfindliche Zoll⸗ strafen verhängt, oder es erfolgt sogar eine Beschlagnahme der Sendungen.
Die Postanstalten handeln also nur im Interesse des Absenders, wenn sie bei Postpacketen nach dem Auslande vor der Absendung auf die Vollständigkeit der Zoll⸗Inhalts erklärungen achten und dringen.
Bremen, 19. Januar. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd. Der Dampfer „Hannover“ ist am 16. Januar von Buenos Aires abgegangen. Der Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm II.“ ist gestern Nachmittag in Colombo und der Schnelldampfer „Eider“ in New⸗York angekommen.
London, 19. Januar. (W. T. B.) Der Uniondampfer „Nubian' ist heute auf der Ausreise von Lissabon abgegangen. Der Castle⸗Dampfer „Warwick Castle“ ist heute auf der Aus⸗ reise in Capetown angekommen. Der Castle⸗Dampfer „Dun⸗ robian Castle“ ist am Sonnabend auf der Heimreise von Capetown abgegangen.
Theater und Musik.
Königliches Opernhaus.
Gestern Abend ging Meyerbeer's Oper „Dinorah“ neu ein⸗ studirt in Scene. Das Libretto ist inhaltlich in die Klasse der dra⸗ matisirten Zaubermärchen einzureihen, entbehrt aber des rechten Schwunges und echter Empfindung, die nur vielleicht in einigen Liedern reicher quillt. Der komische Theil des Textes leidet an Ueber⸗ treibung, die in die empfindsame Stimmung der Handlung nicht recht hineinpaßt, wie denn auch der Beginn des dritten Actes ein Intermezzo bringt, das mit der Handlung über⸗ 5 in keinem Zusammenhange steht. Die Musik, die
eyerbeer zu diesem verworrenen Libretto geschrieben hat, läßt nichts⸗ destoweniger den erfindungsreichen und geschickten Tonmeister erkennen, wenn sich auch keine Gelegenheit findet zu großartigen und tief ange⸗ legten Schöpfungen, wie sie die hervorragendsten Werke des Compo⸗ nisten enthalten. Gleich die Ouverture ist eine symphonisch reich ausgestattete Arbeit, die, auf sich selbst gestellt, dem Hörer reichen Genuß gewährt; es werden hier alle erhabenen Saiten des Seelenlebens angeschlagen, das in meisterhafter Weise in dem oratorienartigen Finale ausklingt, in dem der Chor hinter dem Vor⸗ hang mitwirkt. In der Oper selbst finden sich einzelne Nummern, die von der Gestaltungskraft des Tondichters, der selbst große Stoffe zu bemeistern verstand, auch auf ro⸗ mantischem Gebiet, Zeugniß ablegen. Einige Weisen sind in den Volksmund übergegangen, obgleich diese Oper überaus selten zur Aufführung gelangt. In der gestrigen Vorstellung, die vom Capellmeister Kahl sorgfältig vorbereitet war und verständnißvoll eleitet wurde, waren die e an deren Vertreter der Componist besonders große Anforderungen stellt, sehr glückli dunch Fräulein Dietrich und Herrn Betz besetzt. Fräulein Dierri konnte als Dinorah nicht nur ihre saubere Coloratur aufs beste bewähren, sondern g5 fand voll Gelegenheit, sich als reizvolle und poetische Darstellerin bemerklich zu machen; nament⸗ lich waren das Schlummerlied im ersten Act und der Schatten⸗ tanz im zweiten von tiefer Wirkung auf die Hörer. Herr Betz zeigte sich in unverändertem Besitz seiner sympathischen, umfangreichen und ausdrucksvollen Stimme, die alle Schwierigkeiten auch in der Höhen⸗ lage spielend überwindet; sein Ziegenhirt Hoöl trat hierdurch bedeutend in den Vordergrund. Die lustige Person des Sackpfeifers Corentin wurde von Herrn Lieban mit dein gewohnten schauspielerischen Geschick und die⸗ musikalisch mit nn. wirkender durchgeführt. 8 Hg 8 Sät -
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