ist, und daß es deswegen unerwünscht wäre, die zum Eingang fertigen Vorräthe an Roggen längere Zeit noch vom Eingang zurückzuhalten. Man hat aber geglaubt, die gleiche Begünstigung auch den übrigen Getreidearten zugestehen zu sollen, weil unmittelbar oder mittelbar sämmtliche Getreidearten für die Ernährung des Volkes von Be⸗ deutung sind. Es schlägt Ihnen daher der Ihnen vorliegende Gesetz⸗ entwurf vor, alles dasjenige Getreide, welches am ersten Februar nach amtlicher Feststellung in deutschen Zolllägern unverzollt lagert, ohne Forderung eines Ursprungsnachweises zu dem niedrigen Zollsatz zuzulassen.
Der Entwurf geht aber über den eben von mir skizzirten Kreis noch etwas hinaus, indem er die Begünstigung auf diejenigen Ge⸗ treidebestände ausdehnen will, welche in den deutschen Zollausschlüssen vorhanden sind. Dies Getreide befindet sich zwar nach zolltechnischen Begriffen im Auslande und ist in einem noch höheren Grade als ausländisches anzusehen, als das unverzollte, etwa auf Freilägern be⸗ findliche Getreide. Aber auch dieses Getreide befindet sich am ent⸗ scheidenden Tage bereits auf deutschem Boden, und wir haben geglaubt, auch die Einfuhr dieses Getreides nicht durch die Schwierigkeiten des Ursprungsnachweises verzögern zu sollen.“)
Die verbündeten Regierungen glauben in dem Ihnen vorliegenden Geesetzentwurfe die richtigen Grenzen der zu gewährenden Vergünstigung gefunden zu haben, und ich kann meine einleitenden Worte damit schließen, daß ich Sie bitte, dem Gesetzentwurf, so wie er Ihnen vor⸗ liegt, zuzustimmen.
Abg. Rickert (dfr.): Die Vorlage sei nur eine der Folgen der Handelsverträge, auf die seine Partei schon bei ihrem Abschlußfe hin⸗ gewiesen habe. Es wäre eine unbegreifliche Unbilligkeit und Ungerech⸗ tigkeit, wenn nicht noch andere Consequenzen aus den Handelsverträgen gezogen würden. Die heute eingebrachte Vorlage erfülle seine Er⸗ wartungen aber nicht. Wenn die Bestimmung in Bezug auf die Transitlager nicht gegeben würde, so würden die Lagerinhaber gezwungen sein, am 1. Februar à tout prix an das Ausland zu verkaufen; der Consument würde also um das Quantum, das nach außen verkauft werde, geschädigt werden. Ueber die Bedeutung der Vorlage mache man sich in vielen Kreisen haltlose Vor⸗ stellungen. Die Herren auf der Rechten sähen darin ein unverdientes Geschenk an die Handelsleute. Er fehe darin nur das Mittel, sie vor Verlusten zu bewahren. Man betrachte einmal die Verhältnisse seiner Heimathsstadt Danzig. Man frage: warum verkaufen die Herren denn das Getreide nicht vor dem 1. Februar, dann wären ie es ja los. Ja, das lasse sich mitunter nicht so machen.
ie Dazwischenkunft des russischen Ausfuhrverbots habe sich nicht voraussehen lassen. Die Preise in Danzig seien bedeutend höher als auf dem Weltmarkt; gestern habe z. B. Weizen 12 ℳ in Danzig höher als in Berlin notirt; ähnlich stehe es mit dem Roggen, der das Haupt⸗ nahrungsmittel des Volks sei. Es handele sich in der Vorlage um eine Reihe von technischen Erörterungen, die am besten in einem engeren Kreise zur Sprache kämen. Er schlage deshalb eine Commission von 21 Mit⸗ gliedern zur Berathung der Vorlage vor, und hoffe, daß es hier zu einer Verstündigung komme, namentlich wenn die Herren von der Rechten der Sache mit Wohlwollen näher träten. Commissions⸗ berathung sei auch deswegen nothwendig, weil die nicht ausreiche und in manchen Punkten geändert werden müsse. Er halte es nicht für begründet, als Endtermin den 30. April zu wählen, sei vielmehr der Meinung, der 1. August dürfte der richtige Augenblick sein, denn bis dahin könne der Handelsstand die Conjunctur nach Be⸗ lieben benutzen. Er verstehe ferner nicht, weshalb man die Ver⸗ günstigung nur auf das in Transitlagern befindliche Getreide anwen⸗ den, und weshalb man nicht auch dem Westen, der keine Transit⸗ lager habe, dieselbe Vergünstigung zukommen lassen wolle. Die ühlenlager würden damit ungünstiger behandelt als die Transitlager. Die Mühlenbesitzer im Rheinland und Westfalen hätten ihr Getreide zum Theil in Holland lagern und nicht alles, was auf Mühlenlagern liege, sei auch bereits im Lande. Kein Mensch in der Praxis werde es begreifen, daß der Müller hier anders behandelt werden solle, als der Getreidehändler. Wenn die Herren die an den Reichs⸗ tag gerichtete Petition der Berliner Humboldt⸗Mühle ansähen, dann würden sie zugeben, daß es sich hier nicht um ein Beneficium handele, das den Müllern gegeben werden solle, sondern um eine gerechte und billige Forderung. Die Differenzialzoll⸗ politik sei seiner Meinung nach überhaupt “ vor allen Dingen aber in Betreff des Holzes. Was auf das Getreide zutreffe, treffe auch für das Holz zu, das Holz werde keineswegs immer früher ekauft, als es eingeführt werde. Das russische Holz komme nach eutschland in Flößen auf der Wehie am Bestimmungsorte werde es aufgebunden, gehe in das Transitlager und mische sich dort mit dem galizischen. Dann sei schwer festzustellen, welches Holz russischen und welches galizischen Ursprungs sei. Eine Zollpolitik müsse aber so beschaffen sein, daß ihre Vorschriften von dem ehrlichen Manne befolgt werden könnten. Man nenne auch das Holz russisch, das gar nicht russischen Ursprungs sei, nur weil es durch Rußland hierher komme. Die Bestimmungen des Gesetzes seien bei dem redlichsten Willen der Zollbehörden und der Kaufleute undurchführbar. Es handele sich auch beim Holz um die ganze Arbeiterbevölkerung des Ostens, denn das Holz schaffe Arbeit. Vier Minister hätten sich nach den östlichen Provinzen begeben, um die dortigen Verhältnisse kennen zu lernen; seine Partei werde sich im Abgeordnetenhaus bei der ersten Feung des preußischen Etats nach den Resultaten dieser Reisen erkundigen. Die Leute, die dort im Holzhandel beschäftigt seien, lebten seit Monaten in den allertraurigsten Verhältnissen, und wenn keine Hilfe durch das Gesetz komme, werde ihre Lage noch viel schlimmer werden. Ausweislich des Jahresberichts der Pöe. Kaufmannschaft habe im Jahre 1890 das auf Lager gebrachte Holz 532 888 Festmeter betragen, nur ein Viertel davon falle unter diejenigen Unterabtheilungen der Zolltarifposition Holz, die unverändert geblieben seien. Diese Üngerechtigkeit und Un⸗ billigkeit müßfe beseitigt werden. Es sei nicht zutreffend, daß der Handelsstand sich vom Blute und Schweiße der übrigen 8 ernähre, der Handelsstand habe unter der Unsicherheit der Zollgesetzgebung vor Abschluß der Handelsverträge schwer gelitten. Diese lische eit sei jetzt geschwunden, aber es sei gerecht und billig, nun auch die Consequenzen aus den Handels⸗ verträgen zu ziehen. Seine Partei habe gedacht, die verbündeten Re⸗ sterxrügen würden von selbst diese Gerechtigkeit üben und hätten die Erklärungen des Reichskanzlers in diesem Sinne ausgelegt. Unter dieser Voraussetzung habe sie für die Handelsverträge gestimmt und sie hoffe, daß man nun auch die Amendements, die seine Partei bean⸗ tragen werde, ohne Vorurtheil prüfen und ihnen beitreten werde.
Staatssecretär Freiherr von Maltzahn:
Das Eingehen auf die einzelnen Ausführungen des Herrn Vor⸗ redners gehört in die zweite Berathung des Gegenstandes. Ich würde das Wort jetzt nicht erbeten haben, wenn nicht nach dem von dem Herrn Abgeordneten gestellten Antrage die Möglichkeit vorläge, daß der Gegenstand vor der zweiten Berathung in eine Commission ver⸗ wiesen wird, und wenn es mir in dieser Voraussetzung nicht erwünscht wäre, in zwei kleinen Punkten die Ausführungen des Herrn Vor⸗ redners richtig zu stellen. Der Herr Vorredner hat zur Motivirung des in Aussicht gestellten Antrags, die von
dem Gesetzentwurf in Aussicht genommene Begünstigung auch dem schwimmenden, im Transport nach Deutschland begriffenen Ge⸗ treide zuzuwenden, gesagt: Es sei unbillig, den westlichen Provinzen, denen man die Getreidetransitläger abschlage, die Vergünstigung zu
versagen, welche der Gesetzentwurf anderen deutschen Provinzen zu
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theil werden läßt. Diese Angabe, daß dem Westen Getreidetransit⸗ läger nicht bewilligt werden, entspricht nicht der Wirklichkeit. Es ist noch ganz vor kurzem in das Verzeichniß derjenigen Orte, in welchen Getreidetransitläger gestattet sind, Duisburg aufgenommen, und ich bin überzeugt, wenn andere Städte aus dem Westen Deutschlands mit derartigen Anträgen an den Bundesrath kämen, würden sie ebenso gut die Genehmigung erhalten wie Duisburg, wie auch Frankfurt a. M. sie erhalten hat, resp. erhalten wird, wenn ihren Anträgen nicht be⸗ sondere Bedenken entgegenstehen sollten.
Dann hat der Herr Abgeordnete gefragt, welche Gründe denn vorliegen könnten, die Mühlenläger anders zu behandeln, als die im Gesetzentwurf benannten Läger. Diese Gründe liegen einfach in dem Inhalt und dem Zweck des Regulativs für die sogenannten Mühlen⸗ conten. Schon die Ueberschrift dieses Regulativs zeigt, daß die Mühlenläger ganz andern Zwecken dienen, als die sämmtlichen übrigen zollfreien Läger. Das Regulativ heißt: Regulativ, betreffend die Gewährung einer Zollerleichterung bei der Ausfuhr von Mühlenfabrikaten. Keinem Müller ist es versagt, ein Getreidetransitlager sich bewilligen zu lassen, ebenso wie jeder andere Einwohner Deutsch⸗ lands, der die gesetzlichen Vorbedingungen erfüllt, ein solches Ge⸗ treidetransitlager beantragen kann. Wenn aber der Müller, statt dieses zu wählen, ein Lager nach dem Mühlenconto⸗Regulativ beantragt, weil es ihm größere Vortheile bietet, so glaube ich, muß er auch die Consequenz übernehmen, daß die Bestimmungen dieses Regulativs den Zweck haben und darauf berechnet sind, die Ausfuhr der Mühlenfabrikate aus den auf den Mühlenlägern befindlichen Ge⸗ treidemengen zu erleichtern. Das auf den Mühlenlägern lagernde Getreide ist verzollt, zum Zoll angeschrieben, ist in den inländischen freien Verkehr übergegangen, so gut wie alles andere Korn, welches lirgend jemand aus dem Auslande kauft, allerdings mit der Beschränkung, daß ein Weiterverkauf dieses Getreides in un⸗ vermahlenem Zustande der Regel nach nicht gestattet ist, sondern nur in der Gestalt von Mühlenfabrikaten. Es wird aber für alle binnen einer bestimmten Zeit von dem Inhaber des Mühlencontos aus⸗ geführten Mühlenfabrikate, gleichgültig, ob sie aus inländischem oder dem ausländischen Getreide hergestellt sind, ein entsprechender Zoll⸗ betrag abgeschrieben. Nun würden ja die Inhaber von Mühlencontos geschädigt sein, wenn etwa vom 1. Februar ab diese Abschreibung der ausgeführten Mühlenfabrikate nur nach' dem Satze von 3,50 ℳ er⸗ folgte, während das Getreide, welches auf diesen Mühlencontos ange⸗ schrieben ward, noch nach dem Satze von 5 ℳ angeschrieben würde. Dies ist aber nicht der Fall; denn der § 9 des betreffenden Reglements bestimmt:
Bei Gemischen von Weizen⸗ und Roggenmehl, sowie bei Weizen⸗ oder Roggenmehl, welches aus Weizen⸗ oder Roggenmengen hergestellt ist, die verschiedenen Zollsätzen unterliegen, ist das Ver⸗ hältniß der zur Mischung verwendeten Getreidearten, bezw. der verschiedenen Zollsätzen unterliegenden Getreidemengen derselben Gattung anzumelden und gelangen diese Gemische bei nachgewiesener Ausfuhr dementsprechend zur Abschreibung.
Das ist allerdings richtig, daß der Müller, wenn er seine Fa⸗ brikate im Inlande absetzt, für diejenigen Fabrikate, welche aus aus⸗ ländischem Korn, das er noch zu 5 ℳ angeschrieben erhalten hat, hergestellt sind, in dem Herstellungspreise des Fabrikats auch diese 5 ℳ zu entrichten hat, soweit sich dieser Zoll überhaupt im Preise des Korns ausdrückt. Ganz das Gleiche ist aber der Fall bei jedem kleinen Wind⸗ und Wassermüller in Deutschland, der im Januar d. J. Korn gekauft hat und im Februar das daraus gewonnene Mehl verkauft, und es will mir nicht unbedenklich erscheinen, wenn man den ent⸗ gegengesetzten Vortheil den doch meist sehr viel capitalkräftigeren Inhabern der Mühlencontos zuwenden wollte, die sich doch ohnehin in günstigerer Position gegenüber den kleinen Müllern, die in Deutsch⸗ land sehr zahlreich sind, befinden, welche ihrer ganzen Lage nach nicht im stande sind, sich ein Mühlenconto zu schaffen.
Wenn die Angelegenheit in eine Commission verwiesen wird, wird diese Frage mit ihrem Für und Wider dort eine genaue Erörterung finden können; eventuell würde eine solche genauere Erörterung hier im Plenum bei der zweiten Lesung stattfinden können. Das aber, was ich eben ausgeführt habe, fühlte ich mich verpflichtet jetzt schon bei der ersten Lesung zu sagen, damit nicht der falsche Eindruck ent⸗ stehe, als ob in dem Ausschluß der Mühlencontos eine besondere Unbilligkeit liege.
Was nun schließlich die Frage betrifft, ob die Gesetzesvorlage im Plenum oder in der Commission weiter berathen werden soll, so ist das ja ein Internum des Reichstags, und auf die Beschlußfassung des Reichstags in dieser Beziehung einen Einfluß üben zu wollen, liegt mir fern. Nur die Bitte habe ich auszusprechen, daß, wenn der Reichstag die Commission beschließen sollte, die Com⸗ mission ihre Berathungen so schleunig als möglich auf⸗ nehmen und so sehr als möglich fördern möge. Denn die Zeit von jetzt bis zum 1. Februar ist so knapp bemessen, daß wir ohnehin nur unter erheblichen Schwierigkeiten in der Lage sein werden, die Interessenten rechtzeitig in Kenntniß zu setzen von derjenigen gesetzlichen Lage, in der sie sich am 1. Februar befinden werden.
Abg. Dr. Buhl (nl.): Mit dem Vorschlag der commissarischen Berathung sei er völlig einverstanden; die Frage des schwimmenden Getreides müsse zur Erledigung gebracht werden, sei doch auch bei der “ Getreidezollerhöhung das schwimmende Getreide im Sinne des Antrags Rickert behandelt worden. Ferner habe er hier eine amtliche Nachricht, wonach die Creditlager nicht gleich den Transit⸗ lagern behandelt werden sollten. Wenn seine Partei also dieser Fragen wegen für Commissionsberathung sei, so stimme sie darin doch mit dem Staatssecretär überein, daß die commissarische Ver⸗ handlung nach Möglichkeit zu beschleunigen sei.
Staatssecretär Freiherr von Maltzahn:
Der Herr Vorredner ist der Meinung, daß eine Unbilligkeit
darin liegt, daß nicht die Creditläger aufgenommen sind. Meine Herren, wir haben nach unserm Zollgesetz zwei verschiedene Arten von Lägern; das eine sind diejenigen Läger, in denen unverzollte aus⸗ ländische Waare liegt, deren Verzollung erst eintritt, wenn die Waare aus diesen Lägern heraus in den freien Verkehr des Inlandes tritt. Auf derartige Läger bezieht sich die Ihnen gemachte Vorlage. Wir haben daneben aber auch andere Läger, in denen nur solche Waaren aufgenommen sind, welche bereits verzollt d. h. zum Zoll angeschrieben sind, wo aber der bereits bei Einbringung auf das Lager fällige Zoll dem Lagerinhaber creditirt ist. Das sind die sogenannten Creditläger. Für eine Waare, welche auf Creditlager gebracht ist im Januar und dort den dreimonatlichen Zollcredit genießt,
sie ist
aber gesetzlich verzollt bei der Einbringung auf das Lager, und nach
dem Grundsatz, auf dem unsere ganze Zollverwaltung und Gesetz⸗ gebung ruht, entscheidet für den anzuwendenden Zollsatz derjenige Moment, in welchem die Waare aus dem Auslande über die Zoll⸗ grenze in das. Inland eintritt. Dieser Eintritt liegt bei den Credit⸗ lägern aber in dem Moment des Verbringens des Korns auf das Lager.
Abg. Menzer (cons.): Er habe im Namen seiner Partei die Erklärung abzugeben, daß sie bereit sei, sr den Gesetzentwurf zu stimmen, wenn auch manche Bedenken dagegen Fenber Sie bedauere vor allen Dingen, daß der Entwurf kein statistisches Material über seine wahrscheinliche eeö Wirkung enthalte, und in einer Zeit, wo der Etat im Reich und in Preußen auf finanziell schwachen Füßen stehe, müsse man jede Vorlage auf ihr finanzielles Ergebniß genau prüfen. Ein Anhaltepunkt für diese Berechnung hätte sich vielleicht ergeben, wenn man die vorjährigen Bestände der Transitlager mit den diesjährigen verglichen hätte. In den ersten elf Monaten des Jahres 1891 sei die Ein⸗ fuhr von Weizen größer als in dem gleichen Zeitraum irgend eines Jahres seit 1880 gewesen; von Roggen gelte nicht das⸗ selbe, woran aber das russische Ausfuhrverbot durchaus nicht schuld sei; der Vorwurf also, daß die Speculation das ausländische Ge⸗ treide künstlich zurückgehalten habe, sei nicht so berechtigt. Wenn die Regierung dem Reichstage das gewünschte Material hier zugehen lasse, 4 halte seine Partei eine weitere Commissionsberathung für überflüssig. Sie habe gegen die Handelsverträge gestimmt, aber sei einmal der Herzog gefallen, möge auch der Mantel fallen. Der Abg. Rickert wolle wunderbarer Weiße Differencialtarife vermieden sehen — was habe er denn, indem er für die Handelsverträge gestimmt, anderes gethan, als Differencialzolltarife eingeführt? Der übertriebenen und unzulässigen Speculation würden die von seiner Partei vorgeschlagenen Gesetzentwürfe in Zukunft hoffentlich ein Ende machen, den legitimen Handel halte auch sie für nöthig, ihn wünsche sie erhalten zu sehen. Wenn der Abg. Rickert die Gelegenheit zu einer philosemitischen Bemerkung be⸗ nutzen zu sollen geglaubt habe, so erwidere er ihm, daß es niemand einfallen werde, den Kaufmann in einen jüdischen und einen christlichen zu theilen. Der Theil des Kaufmannsstandes, der sich seiner Auf⸗ gabe bewußt sei, werde stets in christlich⸗germanischem Sinne seine Aufgabe erfüllen. Man könne nicht hoffen und erwarten, daß die Zollermäßigung den Konsumenten zu gute kommen werde, sondern der Handel werde den ganzen Vortheil davon ziehen. Seine Partei werde aber trotzdem für die Vorlage stimmen, aber gegen ihre com⸗ missarische Berathung.
Abg. Dr. Freiherr von Heereman (Centr.): Er halte eine com⸗ missarische Berathung für unbedingt nothwendig, glaube auch nicht, daß dadurch das Zustandekommen des Gesetzes verzögert werde. Er glaube, daß dieser Gesetzentwurf, den er freudig begrasg. die Verhältnisse im Westen nicht mit der Sorgfalt ins Auge fasse, wie es nothwendig sei. So weit ihm bekannt, habe man kein einziges Transitlager im Westen, auch die große Mühlenindustrie habe es nicht. Ein Theil des Bedürfnisses für diese Geschäfte werde dadurch befriedigt, daß man die angekauften Getreidemengen im Auslande lagern lasse. Das sei ein ganz ehrliches, redliches Geschäft, von einer wilden Speculation sei hierbei gar keine Rede. Für Rheinland und Westfalen vermittele nament⸗ lich der Rhein die Zufuhr, aber einen großenCheil des Winters sei der Rhein nicht schiffbar, also könne die Menge der an der Grenze liegenden E“ welche die Mühlen für ihr Geschäft brauchten, nicht zu jeder Zeit herbeigeschafft werden. Die Getreidevorräthe gingen aber auch auf das Conto der Mühlen und seien Eigenthum der bemestenben E1“ In diesem Punkte liege die anders als bei den Transitlagern und auch in so fern, als die Mühlenbesitzer das Getreide, das sie zu einem höheren Zollsatze aufgespeichert hätten, nicht verkaufen dürften. In dieser Beziehung dürfte eine Aufklärung in der Commission sehr am Platze sein. Das gleiche dürfte auch der Fall sein in Bezug auf die schwimmenden Lager. Die kleinen Muͤhlen würden schon deswegen keinen Schaden haben, weil sie meistens für das Inland und nicht für das Ausland arbeiteten.
Abg. Freiherr von Münch (b. k. F.): Erst heute habe er aus Süddeubschtand ein Schreiben erhalten mit denselben Argumenten, die der Vorredner soeben vorgebracht habe. In Süddeutschland finde die Einfuhr größtentheils nicht über die See statt, sondern bei Weizen von Rumänien mit der Bahn durch Oesterreich⸗Ungarn. Es würde nun gegenüber dem mit Transitlagern nicht begabten süddeutschen Getreidehandel als eine Unbilligkeit erscheinen, wenn die Getreide⸗ nengen, die er bereits im vorigen Jahre fest gekauft, aber noch nicht eingeführt habe, dem höheren Zoll von 5 ℳ unterliegen sollten. Er habe geglaubt, auch ohne einer Partei anzugehören, diese Beschwerde der süddeutschen Getreidehändler vorbringen zu müssen, um sie der möglichsten Berücksichtigung in der Commission zu empfehlen. So gern er für die Handelsverträge gestimmt habe, so bedauere er, daß die konservative Partei so leichten Herzens jetzt für dieses Gesetz stimme. Dieses Gesetz sei im stande, der Landwirthschaft einen größeren Schaden zuzufügen als die Handelsverträge selbst. Es seien große Mengen von Getreide aus Amerika unterwegs. Wenn nun diese Getreidemengen zu 3,50 ℳ. eingeführt würden, so sehe er schon einen kolossalen Preissturz des Getreides voraus. Er stimme gegen das 8 auch deswegen, weil von seiten der EE1“ auch gar nicht nachgewiesen worden sei, wie die Nachtheile, welche die Finanzen durh dieses Gesetz erleiden würden, ausgeglichen werden sollten.
Abg. Broemel (dfr.): Von denjenigen, die für die Handels⸗ verträge gestimmt hätten, werde der Vorredner wohl der einzige sein, der gegen diese Vorlage stimme, die nichts sei als eine be⸗ scheidene Consequenz der Handelsverträge. Wenn er einen Preis⸗ sturz infolge der Einfuhr amerikanischen Getreides befürchte, so über⸗ sehe er, daß die unterwegs befindlichen Getreidemengen gar nicht alle für Deutschland, sondern auch sg. andere Länder bestimmt seien. Wenn der Abg. Menzer von Speculation spreche, kenne er keine andere als eine wilde und wüste Speculation. Wenn er, wie andere Gegner der Börse und des Termingeschäftes auseinandergesetzt hätte, welche Umschläge in nicht vorhandenem Getreide alltäglich an der Getreide⸗ börse vorkämen, hätte er noch ein Schreckgespenst an die Wand malen können. Er weise aber auf die großen Mengen Getreide hin, die zur Zeit in den zollfreien Lagern vorhanden seien. Wer habe diese Getreidemengen herangeschafft? Der allersolideste Getreide⸗ handel. Hätte er es nicht gethan, so würde der Getreidepreis zum Schaden der Volksernährung in Deutschland noch eine ganz andere Höhe erreicht haben. Die Regierung sei auch weit entfernt, dem Getreidehandel einen Vorwurf daraus zu machen, daß er sich von vornherein auf die Zolländerung einrichte. Wenn man für den Preis jemand verantwortlich machen wollte, so müßte man nicht den Getreidehandel, sondern die Gesetzgebung, welche die Zolländerung vornehme, verantwortlich machen. Der Abg. Menzer sei, soviel er et Geschäftsmann, und er (Redner) wisse nicht, ob er als Weinhändler einen anderen Standpunkt einnehme als ein Getreidehändler; aber er wisse ferner, daß das Urtheil des Abg. Menzer nur ein Sentiment sei, für das jede Spur eines Beweises fehle. Zweifellos habe früher bei einem Getreidezoll von 5 ℳ im Durchschnitt das Niveau des Getreidepreises in Deutschland um 5 ℳ höher als auf dem Weltmarkte estanden. Angesichts dieser Thatsache bleibe nur der Schluß übrig, daß wie die Erschwerung, so auch die Erleichterung des Verkehrs eine Ausgleichung zwischen dem deutschen und dem Welt⸗ markt herbeiführen werde. Der Abg. Menzer meine, ein redlicher, legitimer Handel könne nur im christlich⸗germanischen Sinne be⸗ trieben werden. Er (Redner) finde es recht wenig Ffetselig, das Gebiet des legitimen Handels nicht allein auf eine Confession, sondern auch geradezu auf eine Nation zu beschränken. Hätten denn die übrigen Staaten Europas, die im großen und ganzen eine christ⸗ liche Bevölkerung hätten, nicht auch einen legitimen und soliden Handel? Gebe es denn etwa nur in Deutschland und allen⸗ falls noch in Griechenland einen Handel, der eine solche Bezeichnung verdiene? Er finde es nicht tolerant, in so ab⸗
sprechender Weise die Kaufleute und Gewerbetreibenden anderer Nationen in Bausch und Bogen als illegitime und unredliche Geschäftsleute hinzustellen. Wenn der Abg. Menzer gemeint habe, daß seine Partei für eine weitere Ausdehnung des Gesetzes nicht zu haben sei, so heiße das, an einen Gesetzentwurf nicht mit unbefangener sa lüher Prüfung, sondern mit Voreingenommenheit herantreten. Durch ihre ustimmung zu den Handelsverträgen habe seine (des Redners) Partei ganz und gar nicht das Princip der Differentialzölle angenommen. In den Handelsverträgen stehe kein Wort einer Beschränkung der Zollsätze auf diejenigen Staaten, mit denen das Reich die Verträge vereinbart habe. Hätte ein Staat ein ausschließliches Anrecht auf den ermäßig⸗ ten Zollsatz haben sollen, so würde seine Partei gegen einen solchen Vertrag gestimmt haben. Schließlich gebe er die Versicherung ab, daß seine Partei mit dem Vorschlage auf Commissionsberathung keine Verzögerung der Vorlage beabsichtige. 1““
Abg. von Vollmar (Soc.): Jetzt handele es sich für seine
Partei lediglich darum, die außerordentlich mangelhaften Wohlthaten der bereits abgeschlossenen Verträge nach allen Seiten hin auszu⸗ dehnen, was ja ihre Aufgabe sein werde, aus dem Grunde und mit der Rücksicht, den Consumenten die geringe Herabsetzung der Zölle möglichst fühlbar zu machen. Deshalb werde seine Partei für das Gesetz stimmen; es könne ihr freilich nicht genügen, sondern die Ver⸗ günstigungen müßten zweifellos noch eine Ausdehnung erfahren in Be⸗ zug auf Mehl und vielleicht auch Holz. Hierüber werde in der Commission weiter zu sprechen sein, und seine Partei werde daher für die Ueberweisung an eine Commission eintreten. Abg. Richter (dfr.): Er möchte den verschiedenen Aufklärungen, die der Abg. Menzer bereits erhalten habe, noch eine kleine finanz⸗ politische Finzufüügen⸗ Er habe auf die ungünstige Finanzlage im Reich und in Preußen hingewiesen, die durch dieses Gesetz noch ver⸗ schlechtert werden wuͤrde. Die Finanzlage werde aber weder im Reich noch in e durch Annahme des bentigen Vorschlags um eine einzige Mark verändert. Denn die Zollerträge würden an die Einzelstaaten überwiesen, also auch an Preußen. Wenn sich der Abg. Menzer nun der Preußen annehmen wolle, so könnte er auch wissen, daß der Antheil Preußens an den Getreidezöllen nicht in der Staatskasse bleibe, sondern an die Kreise vertheilt werde. Die Kreise aber könnten eine Verminderung ihrer Einnahmen sehr gut ertragen, denn es würden ihnen sehr viel höhere Summen überwiesen, als sie verwenden könnten. Je weniger an Getreidezoll einkomme, um so besser für die Wirthschaft der Kreise. Uebrigens seien ja alle Diejenigen, die noch Getreide auf Transitlagern hätten, nicht verpflichtet, dieses Getreide zu verzollen; es sei ihnen nach wie vor freigestellt, dies Getreide in das Ausland auszuführen und dort zu verkaufen. Dann trete an die Stelle der mangelnden Zufuhr anderes Getreide, das dann, auch nur mit einem Zollsatz von 3,50 ℳ belastet, verkauft werde. Er habe allerdings im Dezember die Erwar⸗ tung gehegt, daß man einen Gesetzentwurf vorlegen würde, der die Zoll⸗ ermäßigungen verallgemeinerte. Das jetzt vorgelegte Gesetz sei in dieser Richtung zu dürftig, ein Uebergangsparagraph, der noch dazu bffahs hn sei auf einzelne Artikel. Er sei der Meinung, daß man allmählich die ermäßigten Zollsätze werde verallgemeinern müssen; denn was würde schließlich herauskommen, wenn es nicht geschähe? Entweder man bedürfe der Einfuhr bestimmter Artikel oder nicht. Komme ein solcher aus einem nichtbegünstigten Lande, so richteten sich alle inländischen Preise nach dem Weltmarktpreise plus diesem höchsten Zoll. In diesem Fall werde der ganze Vortheil nicht dem Consum zu Theil, sondern nur dem Importhandel. Wenn man dabei nicht auf ein bestimmtes Land angewiesen sei, so werde diese nach⸗ theilige Wirkung sich freilich nur in denjenigen Theilen Deutsch⸗ lands äußern, die geographisch am nächsten lägen jenen Ländern, für welche die höheren Zollsätze beibehalten seien. Er habe noch den besonderen Wunsch, daß die Verallgemeinerung gesetzlich geregelt werde. Man habe jetzt Zollsätze, die nicht gesetzlich fixirt seien, z. B. in den spanischen und ttalfenifchen Tarifen von 1883, dem schweizeri⸗ schen von 1889. Die Folge davon sei, daß im Augenblick, wo ein Handelsvertrag ablaufe und nicht erneuert werde, der alte gesetzliche Tarifsatz von 1879 in Kraft trete. Der Handel werde aber durch solche plötzlichen Aenderungen in den Zolltarifen geschädigt. Wenn ein Zollsatz nur durch Verträge festgestellt sei, so könne die Regierung Ursprungs⸗ zeugnisse verlangen. Sie habe es seines Wissens bis jetzt zwar nicht gethan. Aber wenn so viel in das discretionäre Ermessen der Verwaltung gelegt sei, so bringe das eine Unsicherheit in den Handel, die nachtheilig wirken könne. Die Handhabung und Dauer des Zolltarifs müsse daher Fese lich geregelt sein. Denn jene Un⸗ sicherheit sei eine unsolide Grundlage des Handels; und wenn man über unsoliden Handel klage, so sollte man alles beseitigen, was den Handel unsicher mache. Deshalb wünsche er, daß die Vertrags⸗ verhandlungen eine solche Form annähmen, wodurch die Regierungen in den Stand gesetzt würden, ein Tarifgesetz vorzulegen, wodurch die Zollsätze allgemein und gesetzlich fixirt würden.
Damit schließt die erste Lesung. Die Vorlage wird einer Commission von 21 Mitgliedern überwiesen und darauf die Berathung des Etats der Post⸗ und Telegraphen⸗ verwaltung fortgesetzt.
„Für die Herstellung eines Dienstgebäudes in Altona sind 100 000 ℳ ausgeworfen.
Abg. Münch (bdfr.): Der Finanz⸗Minister habe neulich im Ab⸗ geordnetenhause Gesagt, seine Kollegen hätten sich bei der Etats⸗Auf⸗ stellung große Entsagung auferlegt wegen der finanziellen Verhält⸗ nisse. Der Staatssecretär des Reichs⸗Postamts scheine solche Ent⸗ sagung noch nicht zu üben. Die Entwücke für neue Postgebäude sähen aus, als handle es sich um ein Concurrenzausschreiben für Kirchen und Kapellen. Das Charlottenburger Postgebäude habe einen Thurm, der den Namen Stephansthurm 8 habe. Weder an der äußeren luxuriösen, noch bei der inneren Einrichtung werde bei den gespart. Die Dienstwohnungen seien häufig zu groß. Ein Reichsbeamter habe einmal eine Dienstwohnung so groß erhalten, daß er und seine Frau sich darüber . hätten. Aber nachher seien die Gardinen zu kurz gewesen, das Meublement habe nur spärlich für zwei bis drei Zimmer gereicht; die Frau habe nicht locker gelassen, bis neue Gardinen und neues Meublement da gewesen sei, wodurch das
eringe Vermögen des Mannes draufgegangen sei. Nach dreiviertel
Jahren sei er anders wohin versetzt worden, wo er keine Dienstwohnung ehabt habe. Da seien die neuen Gardinen zu lang gewesen; er habe sich zwar helfen können durch Umschlagen, aber die Möbel habe er nicht unterbringen können; er habe sie verkaufen oder einen großen Theil feines Gehalts für, Speichermiethe geben müssen. Der Staatssecretär habe auch, wenn er auf eine Be⸗ willigung des Reichstages für einen Neubau nicht habe rechnen können, durch Private Gebäude mit den erforderlichen Räumen her⸗ stellen lassen, das Lokal dann zu ziemlich hohem Zins gemiethet und habe dann von dem Reichstage den Ankauf des Haafes verlangt, weil das noch billiger sei, als die Miethe. Früher habe er (Redner) dieses Verfahren getadelt, aber heute, glaube er, komme man doch noch billiger dabei weg. Tadele man die Luxusgebäude, so werde man natuͤrlich für einen Barbaren erklärt; selbst der Abg. Singer habe gesggt⸗ je theurer wir bauen, desto mehr verdienen die Ar⸗ beiter. Besser als Luxusbauten wäre eine Aufbesserung der anerkannt schlechten Beamtengehälter.
Staatssecretär Dr. von Stephan:
Meine Herren! Ich gehe nur auf die sachlichen Punkte ein, die
der Herr Vorredner berührt hat, zunächst also auf die Thürme, die seinen Unwillen erregt haben. Ich kann ihm nur sagen, daß ich in dieser Empfindung mit ihm ganz übereinstimme; meinen Unwillen erregen die Thürme auch: sie sind kostspielig und verhindern uns, weitere Bauten aufzuführen, die wir sonst noch in den Etat einge etzt haben würden. Sie sind aber unbedingt nothwendig wegen der Tele⸗ und Fernsprechleitungen, die wir sonst nicht unterbringen önnen.
Also für die Thürme habe auch ich keine Sympathie, die würde
ich Ihnen sofort preisgeben, wenn Sie mir ein anderes Mittel an⸗ geben können, wie wir die Telegraphen⸗ und Telephonanlagen ein⸗ führen sollen. Wenn Sie mit unterirdischen Anlagen kommen, so sage ich Ihnen von vornherein, daß dabei ganz andere Ziffern in Betracht kommen würden, als die paar Hunderttausend Mark, die Sie vielleicht in Vorschlag bringen würden, zu ersparen und die wir übrigens nicht im entferntesten zu Gehaltsverbesserungen der Beamten verwenden können, weil das auf einem anderen Titel steht; die beiden Titel lassen sich überhaupt nicht vermischen.
Der zweite Punkt, den der Herr Abgeordnete berührt hat, waren
die Miethsgebäude, die wir auf Grund von Privatverträgen über⸗
nommen haben. Die Sache ist einmal vor etwa fünfzehn Jahren in der Budgetcommission aus Anlaß des Falles von Glatz sehr gründlich und ex professo erörtert worden, und man hat sich damals über⸗ zeugt, daß das ein nützliches und zweckmäßiges Verfahren sei, die privaten Miethspostgebäude zu bauen. Die Zahlen, die vom Herrn Vorredner angegeben worden sind, treffen bei weitem nicht das Richtige; sie beziehen sich auf kleinere Orte, wie z. B. Haspe, Freiburg, Warmbrunn und dergl. Bei diesen Orten können Sie doch die Kosten nicht vergleichen mit den bedeutenden Städten, die wir in Vorschlag gebracht haben, wie Halle, Dortmund, Schwerin u. s. w. Also diesen Punkt betrachte ich nach den vorangegangenen Verhandlungen als erledigt. Die Budgetkommission und auch der Reichstag haben sich entschieden auf den Standpunkt der Verwaltung gestellt und wir haben genau und gewissenhaft dieselbe Linie seit der Zeit inne gehalten.
Endlich, meine Herren, der dritte und letzte Punkt betrifft die Dienstwohnungen. Meine Herren, ich habe noch niemals den Fall erlebt, daß der Vorsteher eines Postamts gegen die große Wohnung protestirt hat; im Gegentheil: mehrmals sind Fälle vor⸗ gekommen, wo die Wohnungen zu klein waren, namentlich in solchen Familien, wo gleichzeitig erwachsene Töchter und erwachsene Söhne vorhanden waren, eine zahlreiche Familie; das hängt ja von den Umständen ab. Es ist möglich, daß einmal eine Dienstwohnung etwas größer ausfällt, als es für die unbedingten Bedürfnisse im Moment er⸗ forderlich ist. Das liegt aber daran, daß wir eben im oberen Geschoß noch irgend einen Raum frei haben, weil das untere Geschoß doch über⸗ baut werden muß, und weil die Post⸗ und Telegraphenverwaltung ihrer ganzen Natur nach auf die Parterrelokale für den Betrieb an⸗ gewiesen ist, also viel Räume zu ebner Erde braucht.
Wenn den Beamten daraus Einrichtungskosten erwachsen sind, so haben sie, soviel ich weiß, dieselben immer noch bestritten, und wenn in dem Fall, den der Herr Abgeordnete anführte, die Gardinen zu kurz waren, und die Frau Postdirector, wie er sagte, nichte hergeruht hat, als bis längere Gardinen angeschafft wurden, so bedauere ich den Mangel an Energie seitens ihres Mannes, daß er im Widerstande geruht hat und sich das hat gefallen lassen. Wenn es keine schlim⸗ meren Gardinenpredigten gäbe, dann könnten wir alle zufrieden sein! (Große Heiterkeit.)
Abg. Münch: (dfr.): Er könnte dem Staatssecretär viel billigere Einrichtungen entwerfen als die Thürme. Einmal sei ein Thurm der Revisionsinstanz nicht hoch genug gewesen und sie habe ihn doppelt so hoch gemacht, weil er nicht schön genug ausgesehen habe. Er ziehe zum Vergleich der Kosten nicht kleine Städte wie Freiburg und Warmbrunn heran, sondern größere wie Nord⸗
eim und Kattowitz. Der Staatssecretär dürfe natürlich Freiburg nicht Berlin gegenüberstellen.
Staatssecretär Dr. von Stephan:
Was der Herr Abgeordnete eben gesagt hat, zeigt, daß er die Verhältnisse nicht kennt. Freiburg kann er mit Northeim und Katto⸗ witz nicht vergleichen, weil die beiden Orte einen großen Transit und Eisenbahn⸗Postdienst haben, der wesentlich dabei in Betracht kommt.
Die Forderung für Altona wird bewilligt.
Die Forderung von 80 000 ℳ als erste Rate für ein Dienstgebaͤude in Elberfeld wird auf Antrag der Budget⸗ commission gestrichen, nachdem Abg Schmidt⸗Elberfeld (dfr.) darauf hingewiesen hat, daß die Nothwendigkeit eines Ver⸗ größerungsbaues in Elberfeld bereits vom Reichstag anerkannnt worden sei, daß aber, da die Postoen waltung mit der Hinaus⸗ schiebung auf das nächste Jahr einverstanden sei, sich auch das Publikum noch gedulden werde, und den Wunsch aus⸗ gesprochen habe, daß diese Position in den nächsten Etat wieder eingestellt werde.
Bei der ersten Rate von 70 000 ℳ für ein Dienstgebäude in Siegen bemerkt
Abg. Stöcker (cons.): Er könne dem Staatssecretär nur seine
Freude ausdrücken darüber, daß man bei der Errichtung von Post⸗ ebäuden den Gesichtspunkt des Schönen nicht aus dem Auge ver⸗ ieren wolle. Er sei der Meinung, daß solche öffentlichen Gebäude, welche die Reichsidee repräsentirten, nicht im Casernenstile gebaut werden dürften. Sie sollten den Einwohnern den Eindruck von Größe und Kraft machen, und dazu reiche der gewöhnliche Stil nicht aus. Ein edler Stil diene zur Pflege des Schönheikssinns; man habe ohnehin nicht zuviel des Idealismus. So arm sei das Reich doch nicht, daß es bei seinen Gebäuden um 10⸗ oder 20000 ℳ feilschen müßte. Wenn der Abg. Münch meine, man solle, statt Luxusbauten aufzuführen, die Gehälter erhöhen, so denke er (Redner), man solle das eine thun und das andere nicht lassen.
Der Titel wird bewilligt.
Dagegen werden die für neue Postgebäude ausgesetzten Summen: Für Danzig 218 000 ℳ, für Forst (Lausitz) 130 000 ℳ und für Warmbrunn 100 000 ℳ entsprechend den Anträgen der Budgetcommission gestrichen.
Die zum Postetat eingegangenen cenezonen werden für erledigt erklärt.
Ohne Besprechung erledigt das Haus darauf noch den Etat der Reichsdruckerii.
Schluß 3 ¾ Uhr.
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Parlamentarische Nachrichten.
— Der dem Hause der Abgeordneten vorgelegte Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Führung der Aufsicht bei dem Amtsgericht I und dem Land⸗ Peice in Berlin, sowie die Handhabung der
isciplinargewalt bei d ersteren Gerichte, lautet:
Ueber die Führung der Aufsicht bei dem Amtsgericht I und dem Landgericht I in Berlin, sowie über die Handhabung der Disciplinar⸗ Fenn bei dem ersteren Gerichte werden die folgenden besonderen
2 Vorschriften erlassen.
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„Bei dem Amtsgericht steht das Recht der Aufsicht einem Amts⸗ richter zu, welcher den Amtstitel Amts vichts. Prafäbent führt und in den Besoldungs⸗Etat der Landgerichts⸗Präsidenten aufgenommen wird. Derselbe wird vom Könige ern vXX“
Das Recht der Aufsicht des Amtsgerichts⸗Präsidenten erstreckt sich auf alle bei dem Amtsgericht angestellten oder beschäftigten Beamten.
§ 4.
Die in § 13 des Gesetzes vom 7. Mai 1851, betreffend die Dienstvergehen der Richter (Gesetz⸗Samml. S. 218) vorgesehene Be⸗ fugniß zum Erlaß einer Mahnung steht in Ansehung der bei dem Amtsgericht angestellten oder beschäftigten richterlichen Beamten auch dem Amtsgerichts⸗Präsidenten zu.
Die Geldstrafen, welche auf Grund der Disciplinargesetze von den Amtsgerichten verhängt werden dürfen, können von dem Amtsgerichts⸗ Präsidenten bis zum Betrage von Dreißig Mark festgesetzt werden.
§ 6. 3 Der nesgeree.höfident kann die Aufsicht über die bei dem Amtsgericht angestellten oder beschäftigten nicht richterlichen Beamten durch Richter desselben Gerichts ausüben. Die Richter, welche von ihm zu beauftragen sind, werden durch den Justiz⸗Minister bestimmt.
Die nach Maßgabe des § 6 von dem Amtsgerichts⸗Präsidenten beauftragten Richter haben seinen dienstlichen Anordnungen nach⸗ zukommen und handeln als seine Vertreter. Sie sind zu allen in dem Recht der Aufsicht liegenden Amtshandlungen desselben ohne den Nachweis eines besonderen Auftrags berechtigt.
Der Präsident des Landgerichts kann die Aufsicht über die bei dem. Landgericht angestellten oder beschäftigten nicht richterlichen Be⸗ amten durch die ihm unterstellten Directoren ausüben.
Auf die Vertretung des Präsidenten des Landgerichts durch die Directoren finden die Vorschriften des § 7 entsprechende Anwendung. § 9.
Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1892 in Kraft.
In der Begründung heißt es:
Die Zahl der beim Amtsgericht I und dem Landgericht I in Berlin angestellten und beschäftigten Beamten ist so groß, daß der Umfang beider Behörden über dasjenige Maß hinausgeht, auf welches die gegenwärtig geltenden Vorschriften über die Justizverwaltung und insbesondere die Dienstaufsicht berechnet sind. Am 1. Oktober 1891 ist das Landgericht I mit 1 Präsidenten, 22 Directoren, 107 Richtern und nicht bloß zur Vertretung bewilligten Hilfsrichtern, 44 Handelsrichtern und ebensovielen Stellvertretern, 105 Bureaubeamten (und 1 Ingenieur) 86 Kanzleibeamten und Lohnschreibern, 92 Unterbeamten (einschließlich des Hauspersonals und der Hilfsbeamten) besetzt gewesen. Bei dem Amtsgericht I waren zu jenem Zeitpunkt 136 Richter und nicht lediglich zur Vertretung bewilligte Hilfsrichter, 302 248 Kanzleibeamte und Lohnschreiber, 85 Gerichtsvollzieher, 114 Unter⸗ beamte, bei der Gerichtotass I Berlin überdies 3 obere Beamte, 89 Kassenbeamte, 31 Kassenschreiber, 45 Hilfsgerichtsvollzieher, 7 Ge⸗ richtsdiener (ebenfalls einschließlich der Hilfsbeamten) beschäftigt. Hierzu treten noch die sonstigen Personen, welche der Aufsicht des 1111““ beziehungsweise des aufsichtführenden Amts⸗ richters unterstellt sind, nämlich zu der angegebenen Zeit: 1 beziehungs⸗ weise 28 unentgeltlich beschäftigte Assessoren, 135 beziehungsweise 46 Referendare, 37 beziehungsweise 14 sonstige unbesoldete Beamte und Anwärter, 108 Notare, 652 Schiedsmänner und deren Stellvertreter. Die bestehenden Vorschriften über die Aufsicht können nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn der aufsichtführende Amtsrichter sich genügende Kenntniß von dem Dienstbetrieb der einzelnen bei seinem Gericht an⸗ e oder beschäftigten nicht richterlichen Beamten verschaffen kann, und wenn ferner der Landgerichts⸗Präsident die Gerichte seines Bezirks zu übersehen in der Lage ist.
See vegcereseeten treffen jedoch bei den beiden oben er⸗ wähnten Gerichten schon jetzt nicht mehr zu, und es liegt daher die Gefahr nahe, daß bei denselben der rasche und zuverlässige Geschäfts⸗ gang eine Beeinträchtigung erleidet. Besondere Maßnahmnen⸗ welche durch wiederholte eingehende Revisionen und ausführliche Ver⸗ fügungen versucht worden sind, haben sich als ungenügend herausgestellt und werden auf die Dauer immer weniger ausreichen, weil mit dem schnellen Wachsthum der Bevölkerungsziffer selbstverständlich die Be⸗ setzung der Gerichte entsprechend verstärkt werden muß. Es kommt hinzu, daß die Unterbringung der verschiedenen Kammern und Ab⸗ theilungen der Gerichte in mehreren räumlich von einander getrennten Gebäuden erfolgen mußte und unter allen Umständen nöthig bleiben wird, dies aber eine weitere Erschwerung der Uebersicht zur Folge hat. Unter diesen Umständen ist eine baldige Abhilfe der bestehenden Miß⸗ stände, welche bei der Unmöglichkeit, eine geordnete Aufsicht zu führen, immer größer und bedrohlicher werden, dringend geboten.
Um dies zu erreichen, bieten sich verschiedene Wege.
Am nächsten scheint es zu liegen, für die Stadt Berlin mehrere Landgerichte und Amtsgerichte mit voller Zuständigkeit zu errichten. Diese Maßnahme würde insofern eine Neuerung enthalten, als that⸗ sächlich in Deutschland seit Geltung der Reichs⸗Justizgesetze die Theilung eines Stadtbezirks in mehrere Gerichtsbezirke noch nicht vorgekommen ist; indeß würde dieselbe zulässig sein und nur eine Reihe, übrigens nicht sehr erheblicher Aenderungen der Reichs⸗ und Landesgefetze bedingen. Danach ist die Möglichkeit einer räumlichen Theilung zuzugeben, jedoch sprechen überwiegende Gründe der Zweck⸗ mäßigkeit dafür, von diesem Plane, soweit das jetzige Weichbild der Stadt Berlin in Frage kommt, Abstand zu nehmen; denn seine Durchführung würde mannigfache Unzuträglichkeiten zur Folge haben und überdies mit unverhältnißmäßigen Kosten verbunden sein, weil die Bildung mehrerer selbständiger Amtsgerichte wohl nicht ohne eben so viele Gerichts⸗ gebäude durchzuführen sein würde.
Es könnte sodann in Frage kommen, ob für die Stadt Berlin mehrere Gerichte nach Geschäftsgattungen, also mit räumlicher Zu⸗ ständigkeit für den ganzen Bezirk, aber mit beschränkter sachlicher Zu⸗ ständigkeit zu bilden seien. Auch dieser Plan ist in Anlage B er⸗ örtert, kann aber ebenfalls nicht empfohlen werden. Durch die Bil⸗ dung von Gattungsgerichten würden allerdings kleinere, von einander getrennte Behörden geschaffen, an deren Spitze je ein Präsident be⸗ hee aufsichtführender Amtsrichter stände. Dagegen würde diese Einrichtung mit allen denjenigen Vorschriften in Widerspruch treten, welche auf dem Grundsatze beruhen, daß jedes Landgericht und jedes Amtsgericht für alle Angelegenheiten zuständig ist, die ihm zugewiesen sind. Es müßte daher, um die Anwendung vieler Vor⸗ schri en über das gerichtliche Verfahren gleichwohl noch zu ermöglichen, durch eine Reihe von Sondervorschriften bestimmt werden, daß die mehreren einander gleichstehenden Gerichte in vielen Beziehungen als ein einziges Gericht zu gelten hätten, und deshalb würde die Bildung von Gattungsgerichten in Wirklichkeit darauf hinauslaufen, daß ein Theil der inneren Geschäftsvertheilung, welche jetzt der Justizver⸗ waltung überlassen ist und zweckmäßiger Weise überlassen bleiben muß, durch das Gesetz geregelt werden müßte.
Beide vorstehend erörterte Pläue gehen davon aus, daß es zur Abhilfe der bestehenden Mißstände unerläßlich sei, kleinere Gerichte zu bilden. Dies ist jedoch nicht zuzugeben. Es handelt sich nur darum, die Dienstaufsicht wirksamer zu gestalten, und dies ist möglich, ohne daß die jetzigen Gerichtsbezirke getheilt oder die Grundzüge der bestehenden Gerichtsverfassung aufgegeben zu werden brauchen, und 1 war dadurch, daß einerseits die Geschäfte zwischen dem Landgerichts⸗
Fhsichnten und dem aufsichtführenden Amtsrichter anders, als jetzt, vertheilt und daß andererseits jene beiden Beamten in ihren zu um⸗ fangreichen Geschäften der Dienstaufsicht entlastet und darin von anderen Organen unterstützt werden. 1
Dieser Weg wird in dem Entwurf eingeschlagen, dessen Grund⸗ züge die folgenden sind: 8 .1) Bei dem Amtsgericht soll die allgemeine Dienstaufsicht von einem der bei demselben angestellten Richter geführt werden, welcher Amtsrichter bleibt, dem jedoch ein höherer Amtscharakter (mit dem Amtstitel entsgr. e h. e t und ein höheres Diensteinkommen ährt wi ieser Richter soll die volle Dienstaussicht