1892 / 26 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 30 Jan 1892 18:00:01 GMT) scan diff

werde, das Volksschulwesen zu ordnen.

Präsident des Staats⸗Ministeriums, Reichskanzler Graf von Caprivi:

Der Herr Vorredner hat im Eingange seiner Rede dieses Gesetz als ein politisches bezeichnet; und wenn ich auch diese Bezeichnung nicht in ihrem ganzen Umfange annehme, so giebt sie mir doch Anlaß, von dem politischen Standpunkte, wie er der Königlichen Staatsregierung erscheint, gleichfalls auf dieses Gesetz einzugehen.

Der Herr Abgeordnete hat des längeren darüber geklagt, daß unser Staatswesen auf zwei Confessionen gegründet sei. Gewiß, für einen Staatsmann, der an der Leitung dieses Staatswesens betheiligt ist, wäre es ungleich leichter und einfacher, wenn wir es nur mit einer Confession zu thun hätten. Aber der Herr Abgeordnete hat das Gewicht der von ihm geäußerten Besorgnisse vor den Gefahren,

welchen unser Gemeinwesen eben aus dem Grunde ausgesetzt ist, weil s sich auf zwei Confessionen gründet, in so fern selbst gemindert, als r sich im weiteren Verlauf seiner Darlegungen gegen den theokratischen Staat und die Priesterherrschaft wandte und diese als eine Haupt⸗ gefahr bezeichnete. Mir will scheinen: wenn ein Staat, in dem zwei christliche Confessionen so stark vertreten sind, wie in dem unserigen, welcher einen paritätischen Charakter hat, wenn der einer Gefahr ausgesetzt ist, so ist es gerade die nicht, theokratisch zu werden, einer Priesterherrschaft unterworfen zu werden, schon aus dem ein⸗ fachen Grunde nicht, weil er immer mit zwei Priesterschaften zu thun hat.

Der Herr Abgeordnete hat, im Widerhall von dem Tone, den wir gestern gehört haben, als man sagte, alle Nationen sehen auf den Kampf der Geister, der hier entbrannt ist, uns einen Brief aus dem Auslande vorgelesen. Was die Aufmerksamkeit aller Nationen auf den Kampf angeht, so will ich zugeben, daß über die Grenzen nicht nur unseres engeren Vaterlandes, sondern auch Deutschlands hinaus eine gewisse Aufmerksamkeit diesem Kampfe folgt; aber ich würde mich scheuen, Urtheile des Auslandes über die Verhandlungen, die wir hier führen, zu citiren (sehr gut! rechts); denn ich würde die Besorgniß haben, daß es im Auslande niemanden giebt, der im Stande ist, diese Fragen zu beurtheilen. (Sehr richtig!)

Wenn man Urtheile, wie wir sie hier gehört haben, hört, wenn man Urtheile liest, wie man sie alle Tage in der Presse liest, also immerhin Urtheile, hier von Männern, die berufsmäßig sich mit der Sache zu beschäftigen haben, und in der Presse von Männern, die ein Metier daraus machen, sich mit der Sache zu beschäftigen, dann muß ich doch sagen, ist bei mir die Ueberzeugung immer stärker ge⸗ worden, daß von 1000 Menschen, die über dieses Gesetz reden, nicht einer es gelesen hat. (Heiterkeit. Sehr gut!) Jedenfalls ist die Zahl derer, die den Gesetzentwurf außerhalb dieses Hauses studirt haben, eine minimale; es wären sonst Urtheile, wie sie in der Presse vor⸗ kommen, gar nicht möglich. (Sehr wahr! rechts.) Es gehört zum Verständniß dieses Gesetzes Studium es gehört dazu nicht bloß, daß man den Gesetzentwurf einmal durchliest, sondern daß man ihn durcharbeitet, daß man ihn dann mit dem vorjährigen Entwurfe, mit dessen Motiven sorgfältig vergleicht, und endlich und das ist die Kenntniß, die nicht bloß dem weiteren außerdeutschen Auslande, sondern auch dem außerpreußischen Auslande fehlt daß man weiß, was bisher bei uns Rechtens und Herkommens gewesen ist. Wenn der Herr Abgeordnete einen ausländischen Zeugen citirt, der auch noch so unbefangen sein mag, so wird er mir nicht übel nehmen, wenn ich diesen Zeugen im vorliegenden Fall für einen klassischen nicht halte. Der Herr Abgeordnete hat dann der Regie⸗ rung den Vorwurf gemacht, sie wäre nicht kräftig genug, ein Vor⸗ wurf, der ja immer wiederkehrt. Daß er uns jetzt von der frei⸗ sinnigen Partei gemacht wird, überrascht mich nicht. Als wir gegen Ende der vorigen Sitzung hier Nothstandsdebatten hatten, hat die freisinnige Partei gegen diese Regierung alle Kanonen spielen lassen, über die sie überhaupt verfügte. Sie hat mit allen Mitteln in der Presse gegen uns agitirt. Ich habe an dieser Stelle gesagt: diese Re⸗ gierung wird Ihnen zeigen, daß sie gegen den Strom schwimmen kann. Sie hat es Ihnen gezeigt, und wenn Sie den Strom auf Grund dieses Gesetzes gegen die gegenwärtige Regierung noch stärker an⸗ regen, so werden wir Ihnen wiederum den Beweis liefern, daß wir gegen den Strom schwimmen. (Lebhaftes Bravo im Centrum und rechts.)

Mit Befriedigung habe ich in der Rede des Herrn Abgeordneten die Aeußerung vernommen, daß er der Religion eine anerkannte Stellung erhalten wolle. Ich bitte ihn nur, dies vom Staate auch auf die Volksschule zu übertragen, den Willen zu haben, daß auch in der Volksschule der Religion eine anerkannte Stellung erhalten werde, und dann mit mir die Schlußfolgerung, die ich neulich hier gemacht habe, von Anerkennung der Religion bis zur Auerkennung der Con⸗ fession durchzumachen. Ich glaube nicht, daß er im stande ist, diese Schlußfolgerung zu widerlegen. Und so gebe ich mich der Hoffnung hin, auf Grund seiner heutigen Aeußerungen, mit ihm schließlich bei der Confessionsschule anzugelangen. (Sehr gut! im Centrum.) Ich habe mich noch in einer anderen Beziehung über die Rede des Herrn Abgeordneten gefreut. Sie war in einem Tone gehalten, der von einer Kriegserklärung nichts an sich hatte. Der Herr Abgeordnete äußerte seine Bereitwilligkeit, mit der Regierung in Berathung über die Vorlage einzutreten, alles, was wir wünschen. Wir haben nie mehr von der freisinnigen Partei nach dieser Richtung erwartet. ( Heiter⸗ keit rechts.) Er zeichnete sich durch diese Ruhe vortheilhaft gegen den Kriegston aus, der gestern hier von seinen Nachbarn angeschlagen wurde. (Heiterkeit.)

Wenn eine Aufzeichnung, die ich mir gestern gemacht habe, richtig ist, so schob der Herr Abg. von Eynern im Eingang seiner Rede der gegenwärtigen Regierung zu, sie habe eine Kriegs⸗ erklärung an die nationalliberale Partei oder vielleicht an alle Liberalen durch dieses Gesetz erlassen. Das hat mich überrascht. Die gegenwärtige Regierung, als sie diese Gesetzesvorlage vorbereitete, hatts noch keine Ahnung, mit welchen Parteien sie das Gesetz würde durchbringen können. (Lachen links.) Sie wußte nur, daß dies Gesetz ihre Ueberzeugung wiedergab. Ob Sie uns dabei unterstützen wollten die Anfänge zu diesem Gesetz liegen sechs oder acht Monate zvrück —, konnten wir damals nicht wissen. Wie sollten wir wissen, daß Sie damals die große allgemeine liberale Partei schaffen wollten! (Heiterkeit im Centrum und rechts.) Wir haben auf Grund unseder eigenen Ueberzeugung das Gesetz entworfen und

in einem wirklich nationalen Sinne

meinem unmaßgeblichen Dafürhalten keine Rede sein. Was sollten wir von einem Krieg mit Ihnen für einen Vortheil haben? Wir hatten mit Ihnen in Frieden gelebt; wir hatten und haben heute noch den aufrichtigen Wunsch, mit Ihnen in Frieden zu leben. Heißt es Ihnen denn Krieg erklären, wenn wir eine Vorlage bringen, von der ich noch heute die Ueberzeugung habe, daß, sofern Sie nicht noch in den Nachklängen aus älteren Zeiten lebten, Sie sich wohl mit uns über dieselbe würden einigen können 2 Sie würden auch diese Vorlage annehmen können, die die Regierung jetzt hier vertritt. Warum sollten wir Ihnen eine Kriegserklärung machen?

Ist aber der Kriegszustand eingetreten, so ist er eben, so glaube ich, von anderer Seite erklärt worden. (Sehr richtig! rechts.) Zu meinem aufrichtigen Bedauern habe ich seit langer Zeit gerade in der Presse der Partei, der Herr von Eynern angehört, wiederholt An⸗ griffe gegen die gegenwärtige Regierung lesen müssen, Angriffe, aus denen ich nicht belehrt wurde, nach denen ich aber annehmen mußte: daß doch eine mehr oder weniger feindliche Stimmung vorhanden sei. Selbst wenn man uns lobte, so kam das Lob doch immer mit einem Fragezeichen, mit einem einschränkenden Nachsatze zu Tage; im Grunde wollte man nichts Rechtes von uns wissen. Ich habe mich seit Langem gefragt und bin der Frage am meisten nahe getreten, als ein gewisses größeres Blatt einen Neujahrs⸗ artikel brachte, der ja in weiten Kreisen mit Befremden gelesen worden ist: wo will diese Partei hin? Ich sah es nicht, ich war nicht im stande, es zu erkennen. Es betrübte mich die Haltung, aber ich fand keine Motive dafür. Jetzt, nachdem neulich die große liberale Partei proclamirt oder wenigstens in ihren Anfängen der Welt kundgegeben worden ist, da kann ich mir Manches eher erklären. Ich glaube, ich sehe jetzt klarer. Ich bin überrascht worden durch diese neue Partei. Ein Abgeordneter von jener Seite (rechts) hat gestern gemeint, er habe das lange kommen sehen. Ich habe diese Voraussicht nicht ge⸗ habt. Ich will an sich gar nicht sagen, daß, wenn die nationallibe⸗ rale Partei sich durch Hinzuziehung eines Theils von Abgeordneten von der anderen Seite verstärkt, daß mir das unerwünscht gewesen sein würde; nur die Art und Weise, wie diese Parteibildung zu Stande kommt und wie jetzt die Herren Redner der nationalliberalen Partei von der bestechenden Rede des Herrn Hobrecht an bis zur Kampfesrede des Herrn von Eynern aufgetreten sind, das hat mir die Ueberzeugung gegeben, daß eben der Kampf gewollt wird, daß die Kriegserklärung gegeben werden soll. Ja, wollen Sie das nicht, so sprechen Sie es aus, Sie würden mir damit herzliche Freude machen. gegenwärtige Regierung thut alles Mög⸗ liche, nur sucht sie keinen Kampf. Ich bin weit entfernt davon, die Verdienste der nationalliberalen Partei und die Verdienste des Mannes, der ihr Führer auf einer anderen Stelle ist, zu ver⸗ kennen. Es ist mir vollkommen klar, daß, was an einer anderen Stelle neulich gesagt wurde, mein genialer Amtsvorgänger dieser Partei bedurft hat, um Deutschland zu machen. Das erkenne ich vollkommen an. Mir ist nur fraglich, ob die Partei auf dem Stand⸗ punkt, den sie jetzt einnimmt, weiter zu beharren gewillt ist, ob sie es können wird. Zwei Dinge machen das Wesen der Partei aus: das Nationale und das Liberale. Ich möchte glauben, daß national K

Die

zu sein jetzt nicht mehr ein charakteristisches Kennzeichen einer Partei ist. (Sehr richtig! rechts und im Centrum.) National ist, Gott sei Dank, ganz Deutschland. (Bravo! rechts und im Centrum.) Also auf diese Eigenschaft hin kann man Parteiunterschiede nicht mehr gründen. Wenn die Partei weiter existiren will in der Weise, wie sie bisher existirt hat, so muß sie nach meinem Dafürhalten den Liberalismus mehr betonen, als sie es gethan hat, und ich lege mir auf diese Weise die Erscheinungen zurecht, die in den letzten Tagen hier vor uns getreten sind. Der nationalliberale Redner der Partei hat und darin fand er sich mit dem der freisinnigen Partei zusammen die hypothetische Besorgniß aus⸗ gesprochen, die jetzige Regierung könne doch geneigt sein, dem Centrum weitere Concessionen zu machen. Ja, es überrascht mich; wir sind mit der nationalliberalen Partei, seit ich die Ehre habe, hier zu stehen, durch viele Vorlagen gemeinsam durchgegangen. Jetzt scheint es zur Zeit so, als wenn wir uns nicht einigen können. Die Regierung hat den Muth, sich von der Partei zu trennen, mit der sie gegangen ist, von der sie unterstützt worden ist; warum sollten wir denn nicht den Muth haben, wenn die Ueberzeugungen der Parteien, die jetzt mit uns gehen, nicht mehr die unserigen sind, auch von denen abzugehen?

Der Herr Abg. von Eynern hat daun gestreift und die Be⸗ sorgniß ausgesprochen, wie sich denn die gegenwärtige Regierung zur Jesuitenfrage stellen würde.

Wie die verbündeten Regierungen sich zu dieser Frage stellen werden, das vermag ich nicht im voraus zu sagen; aber ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß die Königlich preußische Regierung ihre Stimme gegen die Wiederzulassung der Jesuiten ab⸗ geben wird, was ich hiermit zur Beruhigung nach dieser Richtung hin, soweit ich es vermag, angeführt haben will. (Beifall rechts.)

Ich erkenne in dem, was gesprochen ist, um die große liberale Partei einzuführen, auch das vollkommen an: es hat in der national⸗ liberalen Partei immer ein gewisser Idealismus gelegen, und das ist einer ihrer schönsten Züge gewesen. Durch die Befestigung des Deutschen Reichs ist dieser Idealismus, ich will nicht sagen, ziellos geworden, aber er kann nicht mehr vertieft werden. Sie müßten jetzt eine nationalconservative Partei werden, wenn Sie Ihrem Nationa⸗ lismus einen besonderen Ausdruck geben wollen. Aber daß Sie das Bestreben haben, den Idealismus auf deutschem Boden zu erhalten, das ist mir durchaus sympathisch, da kann ich mit Ihnen überein⸗ stimmen. Ich meine, wir sind krank daran, daß der Idealismus uns verloren geht. Und wenn Sie durch das, was Sie jetzt in sich durch⸗ machen, zu einer stärkeren Betonung des Idealismus kommen, so wird das für die gegenwärtige Regierung und speciell für mich aufs höchste erfreulich sein.

Wenn nun aber bei dem gegenwärtigen Gesetze Differenzen hervor⸗ getreten sind, so glaube ich allerdings, daß diese Differenzen ihren Grund und ihre Wurzeln doch tiefer haben, als im allgemeinen an⸗ genommen wird; und ich befinde mich in dieser Beziehung in voll⸗ kommener Uebereinstimmung mit dem Herrn Abg. Dr. Porsch. Ich glaube, es handelt sich hier in letzter Instanz nicht um evangelisch und katholisch, sondern es handelt sich um christlich und Atheismus. (Beifall rechts und im Centrum. Große Unruhe links.) Erlauben Sie mir, das weiter auszuführen. Ich bin, wie ich neulich schon ge⸗

Ihnen vorgelegt. 8 Es kann von einer Kriegserklärung von

T

inserer Seite nach

S8

sagt habe, der Meinung, daß eine Religion nicht gelehrt werden

deutlicher geworden sein werden.

kann ohne eine Confession, und daß wir in Deutschland nicht andere Confessionen haben können, als die, welche uns einmal gegeben sind. Jetzt aber macht sich eine Weltanschauung stärker und stärker geltend, die im Gegensatze zu jeder Religion steht. Kein einziger von Ihnen theilt sie, das weiß ich sehr gut; aber diese Weltanschauung ist da, und wenn der Herr Abg. Virchow vorher die Berliner Schulen citirt hat, so sollte ich meinen, man würde auch in den Berliner Schulen Anzeichen finden können, daß diese Weltanschauung weiter um sich greift. Und diese Weltanschauung ist eine atheistische, das kann ich nicht in Abrede stellen. Ich bin der Meinung, an jedem Menschen ist das Wesentlichste sein Verhältniß zu Gott. (Sehr richtig! rechts und im Centrum.) Das kann sich auf verschiedene Weise bewußt und unbewußt äußern. Daß aber ein solches Ver⸗ hältniß da ist, ist wünschenswerth, und daß die Volksschule darauf abzielen muß, den Menschen in ein Verhältniß zu Gott zu setzen, ist mir keinen Augenblick zweifelhaft. (Beifall rechts und im Centrum.) Ich weiß bis jetzt nicht, wie das anders gemacht werden soll als durch das Lehren der Religion; denn wenn selbst der beredteste Mund eines Universitätslehrers eine Morallehre lehren vollte ohne christlichen Grund, so würde ich mir wenig Erfolg bei Volksschulkindern versprechen. (Sehr richtig! rechts und im Centrum.) Ich meine also, es ist unvermeidlich, wenn man einmal zugiebt, daß wir einem Kampf mit dem Atheismus gegenüber stehen, daß wir dann Religion in den Schulen lehren müssen. Ich verwahre mich hier vor der Schlußfolgerung, daß ich den Atheismus mit der Social⸗ demokratie unter allen Umständen für unzertrennlich halte, das ist nicht der Fall. Aber der Atheismus greift andererseits über die Kreise der Socialdemokratie hinaus. Ich halte ihn für eine entschiedene Gefahr unseres Staatslebens. Vielleicht sind Sie nach diesen Aus⸗ einandersetzungen nicht mehr so böse über meine Aeußerungen. Wir stehen vor der Gefahr: atheistisch oder nicht. (Unruhe links.) Man hat uns den Vorwurf gemacht, wir trieben zu einem Conflict zwischen Lehrern und Geistlichen oder zwischen Geistlichen und Ge⸗ meinden. Meine Herren, das erscheint mir unrichtig. Gegensätze zwischen den Confessionen, Gegensätze zwischen einem Atheismus und einem Theismus, wenn ich dies Wort hier brauchen darf, die sind da; diese Gegensätze lassen sich nicht verwischen, das ist nicht möglich. Ich halte es für wahrscheinlich, daß sie sich mit der Zeit immermehr verschärfen werden. Das, was die Regierung thun will, ist nicht, sich auf Verwischen einlassen, wohl aber auf Abgrenzen, und das haben wir in diesem Entwurf erzielen wollen. Wir wollen, indem wir die Functionen, die Pflichten und Rechte abgrenzen, Conflicten, soweit es möglich ist sie aus der Welt zu schaffen, das ist ja nicht möglich vorbeugen, und wenn Sie uns dabei mithelfen und mit uns arbeiten wollen, so wird uns das erwünscht sein.

Ich wiederhole noch einmal, wir wollen Frieden, wir wollen auch mit Ihnen den Frieden, und ich habe auch an Sie die Bitte: stellen Sie sich auf diesen Standpunkt, beurtheilen Sie das, was wir thun, objectiv, und lassen Sie es nicht zu einer Agitation kommen, die die Massen aufregt, die wirklich nicht fähig sind, über diese Frage zu urtheilen.

Die schwere Noth des dreißigjährigen Krieges war erforderlich, um die Deutschen dahin zu bringen, daß sie sich vertrugen. Sollte es denn wieder einer schweren Noth der Zeit bedürfen, daß die Deutschen auf religiösem Gebiete sich vertragen lernen? Ich glaube nicht, und ich hoffe, wir Alle miteinander Sie einbegriffen vertragen uns, wenn die großen Gefahren, vor welchen wir stehen, auch Ihren Augen (Wiederholtes lebhaftes Bravo! rechts und im Centrum, anhaltendes Zischen links.)

Abg. Rintelen (Centr.); Die Rede des Abg. Virchow sei ihm zum Theil aus der Seele gesprochen gewesen, er irre aber, wenn er meine, daß die Windthorst'schen Anträge mit der Vorlage thatsächlich übereinstimmten. Jene bezögen sich nur auf den Religions⸗ unterricht, und diesen habe auch der Aba. Virchow der Kirche über⸗ lassen, so habe er sich wenigstens in der Debatte über das Schul⸗ aufsichtsgesetz ausgesprochen; dazu müßte er also unsere Bestrebungen unterstützen.é Nach den Fridericianischen Bestimmungen sei, so er⸗ widere er (Redner) namentlich dem Abg. von Eynern, der Religions⸗ unterricht lediglich Sache der Kirche gewesen, von einer Staatsschule habe in dieser Beziehung keine Rede sein können. Die Frucht des neuen Verfahrens bei der Schulaufsicht, wo die Kirche jedes Einflusses auf die Schule beraubt worden sei, sei die Rede des Herrn Dittes, der auf eine Anhängerschaft von 40 000 Lehrern habe blicken können. Aus der heutigen Volks⸗ schule gingen die Mörder, die Räuber hervor. Das Schulaufsichts⸗ gesetz sei einer der wichtigsten Gründe der Demoralisation unserer heutigen jüngeren Generation, gegen die Seine Majestät jetzt selbst so energisch Front mache. Er bedauere, daß die Vorlage an der Schulaufsicht nichts ändern wolle. Diese Frage könne man in der Commission nicht unberührt lassen. Er gebe dem Minister⸗Präsidenten und dem Cultus⸗Minister zu: Religion sei ohne ein positives Be⸗ kenntniß nicht möglich, und die Debatte habe erwiesen, wohin die Geister strebten. Auf der einen Seite werde die moderne Natur⸗ anschauung, die moderne Wissenschaft vertreten, auf der gn⸗ deren die religiöse. Der Abg. von Eynern sage, seine Religion sei die Bergpredigt, aber deren Werth liege in der göttlichen Offenbarung, die sie darstelle, liege darin, daß sie von unserem Herrn Christus gehalten sei. Er verstehe nicht, wie die Regierung von den Vertretern der modernen Wissenschaft ein Pactiren mit der Kirche erwarten könne, dazu seien beide Weltanschauungen gar zu sehr von einander verschieden. Seine Partei wolle 11 die Jugend die Mittel, die ihr ein möglichst glückliches Dasein schaffen und sie stärken sollten in dem modernen Kampf, die Liberalen wollten freili Volksschulen, wo der technische Unterricht von der Religion getrennt sei, wo in der katholischen Schule kein Kreuz, in der evangelischen kein Luther hänge. Der Kampf müsse jetzt ausgefochten werden.

Abg. Freiherr von Zedlitz (freicons.): Es sei seinen Freunden daran gelegen, volle Klarheit zu der Sache und den verschiedenen Parteien zu schaffen und eine Reihe von Behauptungen, die in letzter Zeit aufgestellt seien, richtig zu stellen. Seine Partei stehe auf dem Boden der christlichen Kirche, und von diesem L1“ halte sie die

ei es nicht richtig, daß man, wenn

Vorlage für unannehmbar; also v 8 ni daß man, man auf dem Boden der hüste en Kirche stehe, für die Vorlage r

eintreten müsse. Der Unte so tiefgehend, daß, wenn dieser Unten Vorlage nicht zustimmen könne. Mit

1 des Entwurss gegen den vorigen sei nterschied bestehen bleibe, seine Partei der echt fordere der Minister⸗Präsident eine ftülchrrü gibs Erziehung in der Volksschule; aber diese sei ja noch dem vorjährigen Gesetzentwurf ebenfalls möglich gewesen, und auch die Conservativen hätten ja im vorigen Jahr in der Commission für

wie sie von der Regierung eingebracht worden fei; und er könne nicht annehmen, daß diese Partei etwas Anderes wolle, als eine religiös⸗sittliche Erziehung. Dagegen könne mhan seiner Partei, wenn sie sich für die vorjährige, gegen die diesmalige lage erkläre, nicht Materialismus oder gar Atheismus vorwerfen. 5 würde unbegründet, sogar sinnlos sein. (Beifall links.) In dem Puntte des Privatunterrichts habe die diesjährige Vorlage so 6 weniger Garantien für eine sittliche und religiöse Erziehung als der vorjährige. Wenn man aber den christlich⸗religiösen Charakter dig Volksschule in den Vordergrund rücke, dürfe man es nicht einseitig

die Vorlage gestimmt,

thun. Ein confessionell verschiedenes

1

Volk müsse einheitlich in dem 111“ 5

Geiste der Vaterlandsliebe, der Anhänglichkeit an Preußen und Deutschland erzogen werden. (Beifall links; Zuru⸗ rechts: Phrase!) Sei das, was die Herren von Hammerstein und Stöcker sagten, etwa nicht Phrase? (Heiterkeit.) Die durch die verschiedenen Confessionen im Staate nöthige Trennung der Schulen müsse auf das dringend Nöthige beschränk bleiben. Der Religionsunterricht müsse dem reli⸗ giösen Bekenntniß entsprechen. Darüber hinaus könne seine Partei der Kirche keinen Einfluß geben, im Interesse des Staats. Der Reichskanzler habe im vorigen Jahre gesagt: Der Entwurf sei in der Absteckung der Grenze zwischen Staat und Kirche bis auf das irgend Mögliche und Zulässige gegangen. An dem Kampfe gegen die

.

umstürzenden Tendenzen müsse allerdings die Volksschule einen Haupt⸗ antheil haben, aber zu dem Zweck müsse sie, wie der Minister selbst wolle, die Kinder zu selbstständigem Denken erziehen. Das könne die Kirche nicht (Widerspruch im Centrum), nein, das könne die Kirche nicht, denn sie wende sich lediglich an das Herz, nicht an den Kopf. Man dürfe nicht vergessen, daß hier nicht nur die übersinnlichen Interessen in Frage kämen, sondern auch materielle. Das Beispiel der Kreußzth. zeige, daß man für das Christenthum und dabei doch für materielle Interessen eintreten könne. (Heiterkeit.) Weil die Kirche aber selbstständige Denker nicht erziehen könne, dürfe sie nicht mehr Einfluß auf die Volksschule haben, als ihr nach der Verfassung zustehe für den Religionsunterricht. Aus allen diesen Gründen sei seine Partei gegen die diesjährige Vorlage. Auf der Grundlage dieser Vorlage werde sie sich zu keiner Verstän⸗ digung bereit finden lassen, wohl aber auf dem Boden der vor⸗ jährigen Vorlage, für die auch die Nationalliberalen und die Con⸗ servativen eingetreten seien. Der Minister habe Unrecht, wenn er meine, daß die Bewegung gegen die Vorlage eine künstlich gemachte sei. Diese Bewegung gehe sehr tief und errege auch sehr ruhige und gemäßigte C emüther. Unter diesen Umständen halte seine Partei es für das Beste, in dem gegenwärtigen Zeitpunkt, wo die Gemüther so erregt seien, die große prinzipielle Frage vorläufig unerledigt zu lassen und nur ein Gesetz über die Aufbringung der Volksschullasten zu erledigen. (Beifall links.) In diesem Sinne, in dem Sinne des Friedens, in dem Sinne der Stärkung des Staates trete seine Partei in die Commission ein, werde sie in der Commission an der Vor⸗ lage arbeiten. (Lebhafter Beifall links.)

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenhecten Graf von Zedlitz:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat seine Rede mit dem Ausspruch des Gedankens eingeleitet, daß er und seine Partei völlig auf dem Boden der confessionellen Schule stehe, daß auch er diesen Gedanken in dem Schutzgesetz zum Ausdruck gebracht und nur insoweit beschränkt zu sehen wünsche, wie dies mit anderen staatlichen Interessen und namentlich mit der Wahrung des einheit⸗ lichen Charakters unseres Volksschulwesens vereinbar sei ich glaube, ich citire richtig.

Ja, meine Herren, die gegenwärtige Staatsregierung hat ihrer⸗ seits geglaubt, nichts Anderes zu thun, als was der Herr Ab⸗ geordnete eben ausgesprochen hat. Ich gestehe zu, daß man verschiedener Meinung darüber sein kann, ob dies der Staatsregierung gelungen ist. Ich gestehe zu, daß man den Wunsch haben kann, in dieser Beziehung nach seiner persönlichen Stellung zu diesen Fragen in der Specialdiscussion und in der Commissionsberathung Abänderungen zu treffen. Ich nehme aber an, daß dies kein principiell gegnerischer Standpunkt ist, und wenn dieser Gesichtspunkt in den letzten sechs Tagen überall zum Ausdruck gekommen wäre, so wäre, glaube ich, die Verschärfung der Discussion in solcher Weise nicht eingetreten, wie das thatsächlich gewesen ist. G

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat dann gesagt: je mehr wir im stande sind, unserem Volke die idealen Güter zu erhalten und je mehr wir, wie es ja auch der Herr Cultus⸗Minister will, gleichzeitig die Schule befähigen, unsere Kinder zu selbständigem Denken zu erziehen, desto mehr er⸗ reichen wir das Ideal jeder Schulgesetzgebung. Auch hier, meine Herren, befinde ich mich wieder in völliger Uebereinstimmung mit

Ihnen; nur das kann ich nicht unterschreiben, daß religiöse Erziehung selbständiges Denken in irgend einer Weise ausschließe. (Sehr richtig! rechts und im Centrum. Zuruf links.) Es wird mir wieder zuge⸗ rufen: Das habe ich nicht gesagt. Meine Herren, es ist doch aber wunderbar, daß nicht bloß ich, sondern eine sehr große Zahl von Herren aus diesem Saale die Rede ganz ebenso auffassen. (Sehr richtig! rechts.) Ist es denn so weit, daß wir mit doppelten Zungen reden und die Einen die Andern nicht mehr verstehen! Es muß doch ein Sinn dieser Art in den Ausführungen des Herrn Abgeordneten drin gelegen haben, da seine Rede diesen Eindruck nicht bloß auf mich, sondern ich glaube sogar auf die ganz überwiegende Mehrzahl dieses Hauses gemacht hat. (Sehr richtig! rechts und im Centrum.) Ich kämpfe ja garnicht da⸗ gegen, ich muß sagen, wenn der Herr Abgeordnete diese Ueberzeugung hat, daß eine wahrhaft kirchliche, confessionelle, christliche Durch⸗ dringung des gesammten Lebens auch nur eine beschränkende Ein⸗ wirkung auf die Selbständigkeit des Denkens ausübe, nun, wenn er diese Ueberzeugung hat, so mag er sie vertreten. Ich be⸗ kämpfe sie bis auf den Tod, das gestehe ich ehrlich, ich halte sie für grundfalsch, ich halte sie auch für widerlegt; denn es ist doch heutzutage wirklich nicht mehr so, daß man sagen kann, ein Mann, der auf absolut positiv christlichem Boden steht, muß nothwendiger Weise ein Dummkopf sein. (Sehr richtig! rechts und im Centrum; Lachen links.)

Meine Herren, was die Bemängelungen im einzelnen betrifft, die der Herr Abgeordnete eben ausgesprochen hat, so beziehen sie sich ja wesentlich auf den Gegensatz, welcher zwischen dem vorjährigen und dem diesjährigen Entwurf besteht. Auch darüber, glaube ich, werden wir uns in der Specialdiscussion ganz außerordentlich leicht verständigen. Ich bin der festen Ueberzeugung, ich werde dem Herrn Abgeordneten selbst, wenn er, wie ich hoffe, in die Commission eintritt, beweisen können, daß

diese Unterschiede sehr minimale sind gerade auf dem Gebiet, welches er besonders bekämpft; sie sind sehr groß auf einem ganz anderen Gebiet, demjenigen der Lehrerbildung und des freien Unterrichts, aber auf dem Gebiet der religiösen Confessionalitäten sind sie minimal, und sie sind fast überall demjenigen nachgebildet, was in der vorjährigen Com⸗ mission beschlossen worden ist. Sie entsprechen zwar nicht ganz der Vorlage, aber sie entsprechen fast ganz den Beschlüssen der vorjährigen Commission. (Hört, hört! im Centrum.)

Was nun die Lehrervorbildung betrifft und den freien Unter⸗ richt, meine Herren, so ist in diesen Tagen sehr viel darüber ge⸗ sprochen worden und wir haben die verschiedenen Meinungen darüber 168b ; speeiell über die Freischule ist nach meiner Auffassung das überhaupt gesagt werden konnte, 1 vom Abg. Richter gesagt 18 XM Ich stehe in dieser Beziehung völlig auf seinem Stand⸗ nkte, aber auch das ist eine Frage, über die man sich belehren

überzeugt wird. Ich habe von Anfang an ausgesprochen, daß dieser Punkt ja kein Cardinalpunkt für mich persönlich ist.

Nun komme ich auf die Frage der sogenannten tiefgehenden populären Bewegung. Meine Herren, ich bin auch der Ueberzeugung, daß diese Bewegung wirklich sehr tief geht, sehr weite Kreise erfaßt hat, und bis zu einem gewissen Grade kann ich mich darüber freuen. Meine Herren, es ist mir ein erfrischender und entzückender Gedanke, daß man sieht, wie in unserer von materiellen Affecten häufig der niedrigsten Art fast erdrückten Zeit es doch noch möglich ist, daß ideale Gedanken in den Vordergrund des ganzen Interesses der Bevölkerung treten. Sehr gut! rechts. Zurufe links.) Meine Herren, ich habe Ihnen doch niemals bestritten, daß Sie ideale Interessen vertreten. Wo habe ich das gethan? ich bitte, daß mir das ausdrücklich hier bezeugt wird. (Zurufe.) Der Gegensatz auf diesem Gebiet stellt sich doch nicht nach Ideal und Nichtideal.

Also ich sage, es ist ein mir im höchsten Grade erfreulicher Ge⸗ danke, daß dieses Gesetz eine solche Erregung hervorruft; aber Sie werden es mir doch nicht übel nehmen, wenn ich persönlich, der ich mit meiner vollen Ueberzeugung auf dem Grunde dessen stehe, was in dem Gesetzentwurf enthalten ist, aus meiner ganz genauen Kennt⸗ niß der thatsächlichen Vorgänge, aus meinem ganz genauen Studium der gesetzgeberischen Verhältnisse zu der Ueberzeugung ge⸗ langt bin, daß wirklich in diesem Gesetz nichts enthalten ist, was zu dieser Beunruhigung einen thatsächlichen und realen Grund giebt.

Ich will nicht wiederholen, was ich bereits ausgesprochen habe, daß ich jede Vorschrift dieses Gesetzes aus meinen eigenen Acten beweisen kann. Sie haben ja schon zugegeben, daß das möglich ist, Sie haben nur gesagt: Dann hat der Cultus⸗Minister mit seiner großen compilatorischen Geschicklichkeit gerade diejenigen alten Rescripte oder diejenigen gesetzlichen Bestimmungen herausgesucht, die wir für falsch halten; er hätte sich informiren müssen, er schafft jetzt selbst Recht durch die bekannte Verfügung an die Ober⸗Präsidenten wegen der Dissidenten. Also ich will diesen Grund ganz bei Seite lassen; aber, meine Herren, das ist doch eine nicht zu leugnende, jeden Augenblick zu con⸗ trolirende Thatsache, daß alle die Bestimmungen, die Sie in diesem Gesetz angreifen, in den andern deutschen Staaten anstandslos be⸗ stehen, daß sie in Staaten, die einen ganz eminent liberalen Charakter ihrer Regierung haben, in einer viel ausgebil⸗ deteren Weise bestehen. Ich habe mir schon gestern erlaubt, aus dem Abländerungsgesetz der badischen Regierung, welches jetzt den dortigen Kammern vorgelegt werden soll, die ent⸗ sprechenden Paragraphen vorzulesen. Ich bemerke, daß dieses Abänderungsgesetz sich auf Abänderung von zum Theil rein äußerlichen Dingen nur bezieht, es ist eine Novelle, das Gesetz selbst ist aus einem früheren Jahre. Es ist fast wörtlich das wiedergegeben, was ich ich gestehe es, damals ohne Kenntniß der badischen Gesetz⸗ gebung in dieses Gesetz aufgenommen habe, das badische Gesetz hat aber keine der in unserem Gesetz vorgesehenen Instanzen, welche eventuell gegen den Mißbrauch der sogenannten Zugeständnisse, wie sie hier ge⸗ macht sind, in Anwendung gebracht werden können. Wie ist es nun möglich, frage ich, daß eine so tiefgehende begründete Aufregung darüber entsteht, wenn der Staat Preußen Dinge, die auch dort schon immer bestanden haben, gesetzlich regulirt, Dinge, die in allen anderen deutschen Staaten seit Jahrzehnten anstandslos bestehen! Ich muß gestehen, für mich fehlt das Bindeglied; ich weiß nicht, wo da dieser furchtbare Culturkampf im umgekehrten Sinne, den wir gewissermaßen gegen die Cultur führen, seine Wurzelr und seine Gründe hat.

Meine Herren, nun muß ich noch auf ein paar Bemerkun⸗ gen des Herrn Abg. Virchow eingehen. Er ist leider nicht mehr hier; ich werde mich bemühen, meinen Ausführungen jede persönliche Spitze zu nehmen. Der Herr Abg. Virchow hat Theorien über Religionsunterricht und über menschliche Moral hier zu unserer Kenntniß gebracht, die ich allerdings persönlich für durchaus falsch halte. Ich glaube, eine ganz allgemein menschliche Moral giebt es nicht; es giebt eine allgemein menschliche Unmoral, aber keine allgemein menschliche Moral (Heiterkeit und sehr richtig! rechts und im Centrum), und es ist eben die Aufgabe aller Religionen und ganz besonders des Christenthums gewesen, dies dem Menschen angeborene nicht Moralmäßige in Moral umzusetzen. Wäre das nicht richtig, meine Herren, dann brauchten wir Religionen über⸗ haupt nicht. Und dann wäre die doch allerdings wunderbare Er⸗ scheinung, daß es nie eine Nation und nie ein Volk gegeben hat, bei dem nicht religiöse Begriffe sich entwickelt haben, ganz unerklärlich. Nun hat der Herr Abg. Virchow, zum Beweise dessen, daß man auch in der Schule diese allgemein menschliche Moral ein Lehrbuch, glaube ich, giebt es darüber nicht, ich wenigstens kenne keines lehren könne und dies thatsächlich seit Jahrzehnten unangefochten ge⸗ than habe, auf die nassauischen Landestheile hingewiesen. Das nassauische Gesetz über die Simultanschulen es ist, glaube ich, aus dem Jahre 1817 hat von diesem allgemeinen Moralunterricht gar keine Kenntniß. Ich glaube, der Herr Abg. Virchow hat von dem Gesetz keine Kenntniß gehabt. Im Gegentheil, es schreibt ausdrücklich den confessionellen Unterricht vor und konnte es ja auch gar nicht anders.

Nun komme ich aber zu dem Haupteinwurf, den der Herr Abg. Virchow mir gemacht hat. Er sagt: Dieser Cultus⸗Minister organisirt ganz entgegengesetzt von dem Niederen nach dem Höheren, und nicht von dem Höheren zum Niederen. Mir stehe als Ideal der Schule die Dorfschule vor Augen, als Ideal einer Verwaltungsorganisation der Kreis, und diesem Schema auf beiden Gebieten müsse sich alles fügen. Er hat ziemlich deutlich darauf hingewiesen, daß ich mir ja noch nicht einmal die Mühe gegeben hätte, von den Einrichtungen der Berliner Schulen Kenntniß zu nehmen. Da mag der Herr Abg. Virchow doch wohl wieder nicht ganz gut unterrichtet gewesen sein. Ich kann versichern, daß mir das Schulwesen von Berlin ganz außerordentlich genau be⸗ kannt ist wenn ich natürlich auch nicht mit allen Schulräthen in allen Schulen gewesen bin. (Seiterkeit.) Dazu habe ich zuviel Anderes zu thun. Aber ich glaube, man kann solche Dinge auch in andern Formen lernen, und da gestehe ich nun dem Herrn Abg. Virchow zu, daß ich eine ganz außerordentlich hohe Achtung vor dem habe, was die Commune Berlin auf dem Gebiet des Schulwesens geleistet hat. Meine Herren, das sind keine Redensarten von mir; wenn der Herr Abg. Virchow die Güte gehabt hätte, sich bei dem Magistrat der Stadt Berlin und bei der Schuldeputation

la 1 ssen und eventuell eine andere Meinung erlangen kann, wenn man

9

das Epitheton, welches die Situation richtig ausdrückt, fehlt mir augenblicklich Cultus⸗Minister, welcher im Gegensatz zu früheren Auffassungen an dieser Stelle die Selbständigkeit der communalen Verfassung von Berlin in ganz erheb⸗ lichem Maße praktisch zum Ausdruck und zur Anerkennung gebracht hat. Ich glaube, ich darf mich enthalten, gewisse Namen und gewisse Verhältnisse ausdrücklich anzuführen, die Herren werden es mir auch so glauben. Das liegt auch durchaus in der Grund⸗ auffassung, auf der ich stehe. Ich habe eine hohe Meinung einmal von der Leistungsfähigkeit unserer Communen überhaupt und eine ebenso hohe Meinung davon, daß ein großer Theil unserer staatlichen Insti⸗ tutionen nur glücklich und fortschreitend entwickelt werden könne unter der lebendigen, freiheitlichen, nicht reglementirten Theilnahme der Bevöl⸗ kerungsklassen, auf welche diese Institutionen überhaupt passen und zugeschnitten sind. Diesen Grundsatz verkündige ich hier nicht ex cathedra, ich habe ihn geübt als Vorsitzender einer der größten com⸗ munalen Corporationen, welche wir in Preußen haben, ich habe ihn geübt in zwei hohen Staatsämtern; und, wenn Sie im Regierungs⸗ bezirk Oppeln in den Communen nachfragen wollen, so werden Sie die gleiche Antwort erfahren, wie in der Provinz Posen, in der Provinz, die unter meiner Verwaltung die Communalverwaltung zeitgemäß ausgebaut erhalten hat, und wenn ich heute es sage: ich schätze es mir zu einer der größten Ehren, die mir zu theil geworden sind, daß die bekanntlich nicht conser⸗ vative und nicht ultramontane Stadtverordneten⸗Versammlung von Posen mir einstimmig das Ehrenbürgerrecht bei meinem Fortgange von Posen ertheilt hat, so, glaube ich, werden Sie daraus ersehen können, daß ich kein Gegner einer communalen und freiheitlichen Entwickelung der preußischen Monarchie hin.

Und dann das specielle Gebiet! Ja, meine Herren, ist es denn wirklich so, daß ich nun die Dorfschule zum Muster mache für alle anderen? Wer den Entwurf liest, ersieht daraus, daß ich über⸗ haupt städtisches und dörfliches Schulwesen grundsätzlich trenne, ja in einem viel höheren Maße, als es der Goßler'sche Entwurf that. Bei Goßler, bei meinem Vorgänger, fing ja die städtische Schule erst mit der Stadt von 10 000 Ein⸗ wohnern an, bei mir fängt sie ja unten an. Wenn ich darin aus Zufall unglücklicherweise nicht Stadtschuldeputation, sondern Stadt⸗ schulbehörde sage, so würde ich doch mit dem größten Vergnügen bereit sein, diese Concession an die äußere Form zu machen, wenn die Herren darauf Werth legen. (Heiterkeit.) Aber daß inhaltlich diese Behörde meines Entwurfes einen viel größeren materiellen Competenzinhalt hat, als die Stadtschuldepu⸗ tation bisher je gehabt hat, das wird völlig übersehen. Meine Herren, welche Stadtschuldeputatien hat denn jetzt das eigene Recht gehabt, neue Klassen, neue Lehrerstellen zu grün⸗ den? Immer mußte es die vorgesetzte Regierung oder das Pro⸗ vinzial⸗Schulcollegium erst genehmigen. Meine Herren, wer hat ihr denn bis jetzt in den Communen einen derartigen Einfluß auf die Lehreranstellung gegeben? Sie wollen doch nicht sagen, daß die Communen bisher das Recht hatten, die Lehrer anzustellen. Nach der jetzigen Gesetzgebung mit ganz geringen Ausnahmen es giebt kleine Ausnahmen in den neuen Landestheilen, ja, in Preußen giebt es immer einen Ort, wo noch eine Kleinig⸗ keit etwas anders ist hatten in der ganz über⸗ wiegenden Mehrzahl der Fälle die Städte ebenfalls nichts als ein Präsentationsrecht. Und nun die Herren, die mir immer die Vorzüg⸗ lichkeit des vorjährigen Entwurfs vorhalten, die immer sagen: was war das für ein Entwurf gegen deinen! Haben diese Herren denn ganz vergessen, daß der vorjährige Entwurf auch diese minimalenRechte, die die Städte bei der Lehreranstellung hatten, ihnen vollständig nehmen wollte und daß ich sie ihnen wiedergebe, daß ich sie ihnen gebe, wie sie früher überhaupt nicht gewesen sind? Und nun will man mir vorwerfen, ich schnürte die Schule in ein Polizeischnürleib ein und wollte der freien Mitwirkung des Bürgerthums keinen Einfluß mehr gestatten!

Meine Herren! Wer den Gesetzentwurf im einzelnen liest, der wird sehr bald erkennen, daß in demselben gar keine unerhörten Dinge stehen, der wird ferner ganz zweifellos davon überzeugt werden, daß die Freiheit der Bewegung und die Selbständigkeit des Denkens durch die Vorschriften, die ich geben will, in keiner Weise behindert sind. (Bravo! rechts.)

Abg. Dr. Porsch (Centr.): Es würde ihm angenehm gewesen sein, wenn der Abg. von Zedlitz seinen Standpunkt dem Abg. Virchow gegenüber etwas genauer abgegrenzt hätte. Der Abg. Virchow wolle eine allgemeine Moral ohne jede Confession, und der Abg. von Feßli volle auch etwas Allgemeines, wo ei er die Confessionen für schädlich halte. Eine solche confessionslose Moral habe man schon in den frünzöfischen Schulen, deren Einrichtung Herr Stadtrath Wei⸗ gert sehr gelobt habe; in einem Referat der „Freisinnigen Zeitung“ werde davon ebenfalls sehr viel Rühmens davon dersacht Der Abg. Virchow habe die Anträge Windtherst vorgelesen und bewiesen, daß selb ein so großer Gelehrter nicht immer begreife, was er lese. Alles, was im Sdtetestsgen Antrage enthalten gewesen sei, sei in der Vorlage nicht enthalten, denn die Kirche erhalte nicht das Recht, den Lehrer abzusetzen, den Lehrer vom Volksschulamt fern zu halten u. s. w. Redner verweist schließlich auf die Rede des Herrn von Goßler zu den Windthorsteschen Anträgen, in welchen die Ordnung der katholischen Schulen so geschildert sei, wie die Vorlage es jetzt nicht einmal zulasse.

Abg. Dr. F 1 (nl.) lehnt es ab, für die Ausführungen des Abg. Virchomw über Unterricht in der Moral die Verantwortung zu übernehmen. Wenn die Vorlage dem Goßler'schen Entwurf so nahe stehe, weshalb sei dann die Centrumspartei mit fliegenden Fahnen in das Lager der Regierung übergegangen? (Sehr richtig! links.) Ein Entwurf, welcher die Atholifchen Mitbürger befriedigen solle, sei ein Sieg des Centrums und seine Partei sei noch immer der Meinung, daß Centrum und Katholiken sich nicht vollständig deckten. Es sei eine Legende, daß seine Partei von vornherein nicht bereit gewesen sei, auf die Vorlage einzugehen. Hätte man ihr nur das geringste Entgegenkommen bewiesen, so hätte sie sich wohl zur Erörterung der Fragen bereit finden lassen. An der übertriebenen Confessionalität nehme sie in erster Linie Anstoß. Diese Ueber⸗ treibung trete darin hervor, daß nur Confessionsschulen ein⸗ gerichtet werden sollte‚n, und zwar schon bei 30 Schülern, daß an mehrklassigen Schulen nur Lehrer einer Confession an⸗ ss tellt werden sollten. Wenn der Minister die bestehenden Simultan⸗ schulen hüeat aufhebe, warum verbiete er deren Feheg n voll⸗ ständig? Ein ferneres Bedenken sei, daß der Geistliche direct den Lehrer mit Weisungen versehen könne, statt daß er das Recht hätte, sich an die Schulbehörden zu wenden. Der kirchliche Commissar er⸗ halte ein Vetorecht, welches er bis jetzt nicht gehabt habe. Der Hin⸗ weis auf Baden sei unzutreffend, denn Baden habe gesetzlich die

Simultanschulen, an welchen die Kirche den Religionsunterricht zu ertheilen habe,

zu erkundigen, so würde er wissen, daß ich es gewesen bin, der jetzige

. wobei der Lehrer den Geistlichen zu unterstützen habe. Bedenklich seien ferner der Gewissenszwang f nder d