Nach Schluß der Redaction eingegangene Depeschen.
Königsberg i. Pr., 8. Februar. (W. T. B.) Gestern Abend wurde der Versuch gemacht, im Schlosse den Auf⸗
einflussen lassen. Er könne nicht einsehen, weshalb nicht das ganze Gesetz zur Verabschiedung gelangen solle. Die Ausscheidung eines Dotationsgesetzes halte er zwar für zulässig, aber nicht für praktisch. Den zweiten Satz des Antrags Rickert müsse er bekämpfen. Einen Zwang, die Kinder in die Volksschule zu schicken, könne er im Interesse einer Verkürzung des Unterrichts für befähigte Kinder nicht
behörde, beziehungsweise das zuständige Organ der be⸗ treffenden Religionsgesellschaft nach Benehmen mit dem Regierungs⸗ Präsidenten.“ Hinter § 9 soll ein neuer § 9a eingefügt werden, welcher lautet: „Bei mehrklassigen Schulen sind die Klassen nach Geschlechtern getrennt einzurichten. In den Mädchenklassen sollen der Regel nach Lehrerinnen den Unterricht ertheilen.“ Dem
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§. 12 soll hinzugefügt werden: „Sind ein Lehrer Lehrerin angestellt, so sind Mittel⸗ und Oberklasse nach Ge⸗ schlechtern zu trennen. In den Knabenklassen Lehrer, in den Mädchenklassen die Lehrerin den Unterricht.“ Im weiteren Fortgang der Debatte beantragte Abg. Rickert (dfr.) folgenden neuen § 1a: „Neben der Volksschule dürfen auf Kosten des Staats oder der Gemeinde Klassen für den Elementarunterricht weder selbständig errichtet, noch mit anderen Lehranstalten verbunden werden.“ — Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole) will dem § 5 folgenden Absatz anfügen: „In denjenigen Landestheilen, wo neben der deutschen noch eine andere Nationalität einheimisch ist, soll der Religions⸗ unterricht in der Muttersprache der Kinder ertheilt und dieselbe als Unterrichtsgegenstand in den Lehrplan aufgenommen werden.“ Zu § 6 (LCehrplan und innere Einrichtung) beantragen Abgg. Bartels u. Gen. (cons.) folgenden neuen Absatz: „Handelt es sich dabei (sc. dem Lehrplan) um Anforderungen, welche neue oder erhöhte Leistungen der Unterhaltungspflichtigen erforderlich machen, und wird deren Leistungsfähigkeit bestritten, so darf die Feststellung nur nach Anhörung der verstärkten Kreis⸗Schulbehörde (Stadt⸗Schul⸗ behörde) erfolgen.“ — Endlich beantragen Abgg. Hansen und Ge⸗ nossen (freicons.), im § 6 Abs. 3, welcher lautet: „Die Einführung neuer Lehrpläne und Schulbücher für den Religionsunterricht erfolgt im Einvernehmen mit den kirchlichen Oberbehörden, bezw. mit den zuständigen Organen der betreffenden Religionsgesellschaft“ die gesperrt gedruckten Worte zu streichen und folgende Worte anzufügen: „Von den letzteren können Einwendungen gegen die Ein⸗ führung neuer Schulbücher der bezeichneten Art nur wegen der in ihnen enthaltenen Lehren erhoben werden.“ Von Seiten der Frei⸗ conservativen ist ferner zu den §§ 14, 15 und 17, welche von der Berücksichtigung der confessionellen Verhältnisse und dem Religions⸗ unterricht handeln, noch eine Anzahl Abänderungen beantragt, auf die
wir im Laufe der Verhandlungen zurückkommen.
Zur heutigen Berathung der Commission, welcher ein großer
is von Abgeordneten beiwohnte, die dieser nicht angehören, war
Cultus⸗Minister Graf Zedlitz in Begleitung des Geheimen Ober⸗Regierungs⸗Raths von Bremen und zweier anderer Räthe er⸗ schienen. s wurde beschlossen, zwei Lesungen des Gesetz⸗ entwurfs vorzunehmen, von einer formellen Generaldebatte ab⸗ zusehen, aber bei Besprechung des § 1 weitesten Spielraum zu lassen. Zum Berichterstatter ist Abg. Bartels (cons.) in Aussicht genommen. — Abg. Hobrecht (nl.) hielt es für wünschenswerth, daß nur ein Dotationsgesetz aus dem Entwurf herausgearbeitet werde. Er betrachtete seine Abstimmung über die einzelnen Paragraphen nur als eine eventuelle und müsse sich seine Schlußabstimmung vor⸗ behalten. In diesem Sinne sei er bereit, in die Einzelberathung achlich einzutreten. Abg. Rickert (dfr.) erachtete es als einen Fehler, wenn dieses Gesetz unter Benutzung einer Majorität, welche ohne Voraussicht einer solchen Vorlage gewählt worden sei, zu stande käme. Die Staatsregierung werde schon die Antwor darauf erhalten. Man möge einfach in dieser Session die Schul⸗ dotationsfrage erledigen, was ja mit den Verfassungsbestimmungen vereinbar sei. Er ersuche den Herrn Minister, der Commission die Schulgesetze anderer deutschen Staaten mitzutheilen. Es werde behauptet, der Minister habe vor Einbringung der Vorlage mit katholischen Bischöfen verhandelt. Es sei von Interesse, bei dieser Gelegenheit zu erfahren, ob solche Verhandlungen direct oder indirect stattgefunden hätten. Zur Be⸗ gründung seines Antrags müsse er hervorheben, daß im Interesse einer einheitlichen nationalen Beziehung Kinder aller Stände in der Volksschulevereint würden. Graf Limburg⸗Stirum scons.): meinte, die Aufregung im Lande, von der so viel gesprochen und geschrieben würde, beziehe sich weniger auf das Volksschulgesetz, sie sei vielmehr der Aus⸗ druck der Volksstimmung überhaupt. Er werde sich dadurch nicht be⸗
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anerkennen. — Die Debatte dauerte bei Schluß des Blattes fort.
8
— Der Dichter Freiherr Karl Friedrich Gisbert von Vincke, bekannt durch seine Bearbeitung von Dramen Shakespeare’'s und Calderon's, ein Bruder Georg von Vincke's, ist dem „W. T. B.“ zufolge am 6. d. M. in Freiburg i. Br. gestorben.
†† In Hamburg findet zur Zeit eine Ausstellung von Ge⸗ mälden der Berliner Portraitmalerin Vilma Parlaghi statt. Außer den bekannten Bildnissen Windthorst's, Moltke's, Kossuth's, Julius Rodenberg's und des Abg. Goldschmidt sind noch eine Reihe Portraitskizzen von dem Passionsfestspiel zu Oberammergau, im ganzen fünfundzwanzig Werke der Künstlerin, vertreten.
— Das Literarische Vermittlungs⸗Bureau in Hamburg, Colonnaden 54, setzt einen Ehrenpreis von 2000 ℳ auf die beste dramatische Arbeit aus. Einzureichen sind die Dramen bis spätestens 1. Juni d. J. Ausgeschlossen von der Bewerbung sind die Mitglieder der Prüfungscommission und die der Jury. Das Preisrichteramt haben übernommen die Herren: Friedrich von Boden⸗ stedt, General⸗Intendant Bronsart von Schellendorff, Dr. Heinrich Bulthaupt, Intendant Emil Claar, Director Adolph L'Arronge, Director Siegmund Lautenburg, Director Theodor Lebrun, Director Gustav Maurice, Professor Dr. Gustav Weisse, Friedr. Willi⸗ bald Wulff.
— Die Vorbereitungen für die am 28. März d. J. bevorstehende Jahrhundertfeier für Comenius sind in den größeren Städten in vollem Gange. Die ungewöhnliche Theilnahme, welche alle Schul⸗ fragen gerade heute erwecken, hat die Blicke vieler auch auf den großen Schulmann des 17. Jahrhunderts gelenkt, der der Begründer der neueren Erziehungslehre gewesen ist. Zu Berlin, Amsterdam, Buda⸗ pest, Prag, New⸗York und Belgrad, sowie zu Hannover, Straßburg i. E., Liegnitz, Posen, Hagen, Elbing, Lissa u. s. w. sind Festausschüsse gebildet worden oder in der
82 Bildung begriffen, die ihr Programm in Kürze veröffentlichen werden. Es scheint, O
daß an allen genannten Orten die Schulen ihr Recht, in dieser Sache
an die Spitze zu treten, zugleich als ihre Pflicht betrachten; dadurch wird es zugleich am ehesten gelingen, jede Beimischung confessionellen Haders fern zu halten, die keineswegs im Sinne des Comenius sein würde. Ein Comenius⸗Festspiel für die Volksbühne, gedichtet von Joh. Pelisek, erscheint in Kürze; die Comenius⸗Gesellschaft, die ihren Sitz in Berlin hat, hat für den besten Festspruch einen Preis ausge⸗ setzt; nähere Auskunft über die Bedingungen ertheilt der Vorsitzende der Gesellschaft, Archiv⸗Rath Dr. Keller zu Münster i. W. 8
In dem Sternbilde des „Fuhrmanns“ (Auriga) in der Milchstraße ist plötzlich ein neuer Stern aufgetaucht. In der letzten Moynsog⸗Nacht beobachtete man ihn, nach englischen Blättern auf der Sternwarte von Greenwich. Der Stern findet sich auf den Karten und in den Katalogen nicht angegeben. Er unter⸗ scheidet sich etwas von den übrigen Sternen des Auriga, indem sein Licht nicht so durchdringend ist. Der neue Stern wurde sofort photo⸗ graphirt. Er hat eine Rectascension von 5 Stunden 25 Minuten und 4 Secunden und eine Declination von plus 30⸗21. Seine Größe ist ungefähr 4 ½, er ist heller als 25 Aurigae, der ihm um fast zwei Grad nahe kommt. Er liegt ungefähr zwei Grad südlich von „ Aurigae. Man wird den neuen Stern in Greenwich aufmerksam in seiner Entwickelung verfolgen und täglich mittels des dreizehn⸗ photographischen Aequatorials Photographien von ihm auf⸗ nehmen.
gang zum Consistorium mittels Petroleum in Brand zu stecken. Der Versuch wurde rechtzeitig entdeckt und ist infolge⸗ dessen abermals mißglückt. Die Thäter konnten, wie die „Königsberger Allgemeine Zeitung“ meldet, bisher noch nicht
ermittelt werden.
Danzig, 8. Februar. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung des Magistrats theilte der Erste Bürger⸗ meister Dr. Baumbach mit: er sei von Seiner Majestät dem Kaiser zu der Mittheilung an die Bürgerschaft ermächtigt, daß Seine Majestät im Laufe des kommenden Sommers die Provinz Westpreußen und Danzig besuchen werde.
Posen, 8. Februar. (W. T. B.) Die Warthe ist infolge von Eissprengungen auf 3,74 m gefallen. Dagegen wird aus Pogorzelice ein schnelles Steigen des Flusses von 2,90 auf 3,58 m gemeldet. Nach einer Meldung aus Kolo (Gouvernement Kalisch) ist die Warthe daselbst in den letzten Tagen um etwa 6 Fuß gestiegen. In Posen ist daher gleichfalls ein erhebliches Steigen des Wasserstandes zu er⸗ warten.
Wien, 8. Februar. (W. T. B.) Das seit einigen Tagen vermißte österreichische Kriegsschiff „Najade“ ist gestern im Hafen von Palermo eingelaufen.
St. Petersburg, 8. Februgr. (W. T. B.) Von einem energischen Ausbau der sibirischen Eisenbahn ist dem Vernehmen nach vorläufig Abstand genommen worden; es sollen bis auf Weiteres nur 1 ½ Millionen jährlich für den Weiterbau der begonnenen Strecken ausgeworfen werden. — Da Fürst Imeritinsky die Uebernahme des Postens eines Ministers der Verkehrswege abgelehnt hat, dürften zunächst die ebenfalls für diesen Posten genannt gewesenen Generale Rosenbach und Sobotki in Betracht kommen.
Rom, 8. Februar. (W. T. B.) Die in auswärtigen Blättern veröffentlichten Mittheilungen, daß in einigen Städten Italiens wenig günstige Gesundheitsverhält⸗ nisse herrschen sollen, entbehren der Begründung Wenn im Monat Januar in Ober⸗Itaälien infolge atmosphä⸗ rischer Zustände, welche der Entwickelung von Krankheiten der Respirationsorgane günstig sind, die Sterblichkeit zugenommen hat, so war dies bezüglich des übrigen Italiens nicht der Fall und selbst in den genannten Gegenden nur eine vorübergehende Erscheinung. Infolge des anhaltend prachtvollen Wetters und der milden Temperatur sind die Gesundheitsverhältnisse in ganz Italien gegenwärtig durchaus günstige.
Athen, 8. Februar. (W. T. B.) Unter dem Com⸗ mando des Vice⸗Admirals Stamatelos wird ein aus drei Panzerschiffen und vier Schiffen zweiter Klasse bestehendes Ge⸗ schwader gebildet.
New⸗York, 8. Februar. (W. T. B.) Nach den bis⸗ herigen Feststellungen haben bei dem Brande des Höôtel Royal fünf Personen das Leben eingebüßt. 80 Personen wurden verletzt, 69 werden noch vermißt, 81 konnten nur das nackte Leben retten. 8 8 8
(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)
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Kleist. Grube.
in 3 Aufzügen
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5 wolkig 3 bedeckt 3 halb bed. 3 wolkig 2 bedeckt
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Schlegel's Uebersetzung. In Scene gesetzt vom Ober⸗ Regisseur Max Grube.
Mittwoch: Opernhaus. 37. Vorstellung. Othello. bild in 3 Oper in 4 Acten von G. Verdi. Boito. Für die Anfang 7 Uhr.
Schauspielhaus. brochene Krug. Lustspiel in 1 Aufzug von H. von In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Mar — Der eingebildete Kranke. von Molière, mit Benutzung der Baudissin'schen Uebersetzung. S Ober⸗Regisseur Maxr Grube.
Anfang 7 Uhr. 44 1 Acter Tert von Arrigo Bühne übertragen von
deutsche Modebazar Violet.
41. Vorstellung. Der zer⸗ Anfang 7 ½ Uhr.
Die Aufführung von „Musotte“ Lustspiel In Seene gesetzt vom
Anfang 7 Uhr.
Residenz-Theater. Direction: burg. Dienstag: Zum 12. Male: Musotte. Sitten⸗ von Guy de Maupassant. In Scene gesetzt von Sigmund Lautenburg. Schwank in 1 Act von Benno Jacobson. In Seene gesetzt von Emil Lessing.
Sigmund Lauten⸗
v ig v 1 beginnt um 8 Uhr. Mittwoch: Dieselbe Vorstellung. ö
Belle-Alliance-Theater. Dienstag: semble⸗Gastspiel der Münchener unter Leitung des
1 Mascagni. „Le Désir“ für Cello
rusticana“ Cello „Kir varié“ für Piston
von Servais (Herr Smit). (Herr Böhme).
Vorher:
Circus Renz. Karlstraße. Dienstag, Abends 7 ¼ Uhr: Auf Helgoland oder: Ebbe und Fluth. Große hydrol. Ausstattungs⸗Pantomime in 2 Ab⸗ theilungen mit Nationaltänzen (60 Damen), Auf⸗ zügen. Neue Einlage: „Die Garde⸗Husaren“ und „Ulanen“. Dampfschiff⸗ und Bootfahrten, Wasser⸗ fälle, Riesenfontänen mit allerlei Lichteffecten ꝛc., arrangirt und inscenirt vom Director E. Renz. — Außerdem: 6 irländische Jagdpferde (Original⸗
40. En⸗
Stockholm. aranda t. Petersbg. Moskau.. Cork, Queens⸗ town ... 761 Cherburg . . 762 5 11“] 1111“ I11“X“ Swinemünde 751 1 Neufahrwasser 754 still wolkig Memel 754 NO 2 halb bed. Heees ö1761 WNW 4 bedeckt ünster 750 W 4 Regen Karlsruhe .. 756
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Uebersicht der Witterung.
Eine Furche niedrigen Luftdruckes erstreckt sich von den Shetlands südostwärts nach dem südöstlichen Deutschland, charakterisirt durch trübe regnerische Witterung. Westlich davon wehen lebhafte süd⸗ westliche gis nordwestliche Winde bei warmer Witte⸗ rung, während im Osten derselben schwach⸗ östliche Winde bei meist leichtem Froste vorherrschen. In Deutschland ist allenthalben Regen oder Schnee ge⸗ fallen, in den westlichen Gebietstheilen in ziemlich erheblicher Menge. In Finnland herrscht strenge Kälte, auch im mittleren Rußland hat der Frost
zugenommen. 3 Deutsche Seewarte. 8
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½ —
Theater⸗Anzeigen. Königliche Schauspiele. Dienstag: Opern⸗
haus. Keine Vorstellung.
6. Symphonie⸗Abend der Königlichen Kapelle. Anfang 7 ½ Uhr.
Schauspielhaus. 40. Vorstellung. Was ihr wollt.
Deutsches Theater. Dienstag: College Crampton. Anfang 7 Uhr.
Mittwoch: Don Carlo‚.
Donnerstag: College Crampton.
Die nächste Aufführung von „Der Richter von Zalamea“ findet am Freitag statt.
Berliner Theater. Dienstag: Othello. An⸗ fang 7 Uhr.
Mittwoch: Esther. Der Geizige.
Donnerstag: Der Hüttenbesitzer. 8
Lessing⸗Theater. Dienstag: Unter vier Augen. Fräulein Frau. Der sechste Sinn.
Mittwoch: Die Großstadtluft.
Donnerstag: Unter vier Augen. Frau. Der sechste Sinn.
Nächste Nachmittags⸗Vorstellung zu volksthümlichen Preisen: Sodoms Ende.
Fräulein
Wallner-Theater. Dienstag: Zum letzten Male: Lumpengesindel. Komödie in 4 Acten von Ernst von Wolzogen. Anfang 7 ½ Uhr.
Mittwoch: Zum 1. Male: Der Bärenführer. Schwank in 3 Acten von Franz Wallner und A. Teuscher. Vorher, zum 1. Male: Der berühmte Mitbürger. Burleske mit Gesang in 1 Act. Musik von V. Holländer.
Donnerstag u. folg. Tage: Ein berühmter Mitbürger.
Sonntag: Nachmittags⸗Vorstellung zu bedeutend ermäßigten Preisen. Ein toller Einfall. Schwank in 4 Acten von Carl Laufs. Parquet 1 ℳ ꝛc. An⸗ fang 4 Uhr. 8
Friedrich -Wilhelmstüdtisches Theater. Dienstag: Mit neuer Ausstattung zum 20. Male: Das Sonntagskind. Operette in 3 Acten von Hugo Wittmann und Julius Bauer. Musik von Carl Millöcker. In Scene gesetzt von Julius Fritzsche. Dirigent: Kapellmeister Federmann. Die Decorationen aus dem Atelier von Falk. Die neuen Costume vom Garderoben⸗Inspector Ventzkyv. An⸗ fang 7 Uhr.
Der Bärenführer.
Lustspiel in 4 Aufzügen von Shakespeare, nach
Mittwoch: Das Sonntagskind.
Königlich bayerischen Hofschauspielers Herrn Mar Hofpauer. Zum 12. Male (letzte Woche): Der Herrgottschnitzer von Ammergau. Ober⸗ bayerisches Volksstück mit Gesang und Tanz in 5 Aufzügen von Ludwig Ganghofer und Hans Neuert. Im 3. Act: „Schuhplattl⸗Tanz“. Anfang 7 ½ Uhr.
Mittwoch: 41. Ensemble⸗Gastspiel der Münchener. Der Herrgottschnitzer von Ammergau.
Adolph Ernst⸗Theater. Dienstag: Zum 47. Male: Der Tanzteufel. Gesangsposse in 4 Acten von Ed. Jacobson und W. Mannstädt. Couplets theilweise von Gustav Görß. Musik von Gustav Steffens. In Scene gesetzt von Adolph Ernst. Anfang 7 ½ Uhr.
Mittwoch: Der Tauzteufel.
Thomas-Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30. Direction: Emil Thomas. Dienstag: Zum 4. Male: (Novität!) Rothköpfchen. Vaudeville⸗Posse mit Gesang in 3 Acten von Meilhac und Halépp, frei bearbeitet von Richard Genée. Musik von Richard Genée. In Scene gesetzt von Emil Thomas. Aa⸗ fang 7 ½ Uhr. 8
Mittwoch: Dieselbe Vorstellung.
Urania, Anstalt für volksthümliche Naturkunde. Am Landes⸗Ausstellungs⸗Park (Lehrter Bahnhof). Geöffnet von 12—11 Uhr. Täglich Vorstellung im wissenschaftlichen Theater. Näheres die Anschlag⸗ zettel. Anfang 7 ½ Uhr.
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Concerte.
Sing-Akademie. Dienstag, Abends 8 Uhr: II. Concert von Alice Barbi, unter Mitwirkung der Pianistin Fräulein Mary Wurm.
Concert-Haus. Dienstag: Concert. Anfang 7 Uhr.
Onv. „Der Flüchtling“ von Kretschmar. „1812“ von Tschaikowski. „Raymund“ von Thomas. „Nord und Süd“, Walzer von Warnke. „Ave Maria“
Karl Mevyder⸗
von Bach⸗Gounod. Phantasie aus „Cavalleria
Dressur), zusammen dressirt und vorgeführt von Herrn Franz Renz. — „Colmar“, geritten von der Schulreiterin Frl. Clotilde Hager. — „Cyd“, ge⸗ ritten von Herrn Gaberel. — Quadrille de la Gr. Duchesse, geritten von 16 Damen. — Lord und Sohn, höchst komische Reitpiece von mehreren Herren.
Sisters Lawrence am fliegenden Trapez. — Auf⸗ treten der Reitkünstlerinnen Frl. Natalie und Mm. Bradbury, sowie der Reitkünstler Herren Adolf Delbosg und Jules ꝛc. — Komische Entrées und Intermezzos von sämmtlichen Clowns.
Täglich: Auf Helgoland.
Familien⸗Nachrichten.
Verlobt: Frl. Margarete Koch mit Hrn. Land⸗ rath von Valentini (Hofspiegelberg bei Lauenstein — Hameln).
Verehelicht: Hr. Prediger Theitge mit Frl. Helene Otto (Potsdam).
Geboren: Eine Tochter: Hrn. Major von Randow (Hersfeld). — Hrn. Gerichts⸗Assessor Elster (Frankenstein). — Hrn. Pastor Renner (Perschütz bei Sibyllenort). — Hrn. Ober⸗Berg rath von Velsen (St. Johann a. d. Saar).
Gestorben: Fr. Adele Freifrau von Oelsen, geb. Gräfin Kanitz (Königsberg Nm.). — Fr⸗Ritt meister Helene von Katte, geb. Gans Edle Herrin zu Putlitz (Laacke). — Hr. Pastor em. Heinrich Klein (Treptow a./Toll.). — Fr. Marianne, Frei frau von Krane, geb. Freiin von Krane (Darm stadt). — Hr. Major a. D. Otto Wolf von Uechtritz (Görlitz). — Hr. Landrath und Geheimer Regierungs⸗Rath a. D. Karl Freiherr von Seherr⸗ Thoß (Glatz). — Hr. Eugen von Bohlen (Lüben i. Schl.) — Hr. Hauptmann Herrmann Lehnert (Metz). — Fr. Victorine von Wrochem, geb. von Keltsch (Herrnhut).
Redacteur: Dr. H. Klee, Director. Berlin:
Verlag der Expedition (Scholz). Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗ Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.
Berlin, Montag, den 8. Februar
Staats⸗Anzeiger. 1892.
Deutscher Reichstag. Sitzung vom Sonnabend, 6. Februar. 2 Uhr. Am Tische des Bundesraths die Staatssecretäre Dr.
von Boetticher und Freiherr von Marschall.
Vor Eintritt in die Tagesordnung vetlangt der Abg. Dr. Meyer⸗ Berlin (dfr.) das Wort: Der Abg. Dr. Hartmann habe in seiner estrigen Rede behauptet, er (Redner) habe den gegenwärtigen Rechts⸗ kustand so dargestellt, als könne ein deutscher Reichsangehöriger an das Ausland ausgeliefert werden; er habe diese Behauptung mit o großer Sicherheit aufgestellt, daß er (Redner) dadurch verblüfft worden sei und sich nur damit zu entschuldigen gewußt habe, daß hier ein lapsus linguae vorliegen müsse; ein solcher lapsus sei ihm aber nicht passirt, er habe das amtliche Stenogramm vor sich, an dem er auch nicht einen Buchstaben, nicht ein Komma, zu ändern habe, und da heiße es: „Und dazu kommt, daß es eine hochverantwortliche Angelegenheit ist, einen Mann einer fremden Gerichtsgewalt auszuliefern, ohne daß ein deutscher Richter, sei es Reichs⸗ oder Particularrichter, darüber zu Gericht ge⸗ sessen hat.“ Er habe alfo von einem „Mann“ gesprochen und nicht von einem deutschen Reichsangehörigen“. Die scharfe Polemik, die der Abg. Dr. Hartmann daran geknüpft habe, entbehre also des Gegenstandes, er (Redner) habe sich in seinen Worten nicht geirrt über den bisherigen Rechtszustand. Er entschuldige übrigens den Abg. Dr. Hartmann, denn das gleiche Mißverständniß sei vielen seiner (des Redners) politischen Freunde und Mitgliedern benachbarter Frac⸗ tionen passirt.
Nachdem das Haus die in einigen Petitionen verlangte Ermächtigung zur Fortsetzung von Privatklage⸗Verfahren gegen den Abg. Werner nicht zu ertheilen beschlossen hat, wird die zweite Etatsberathung fortgesetzt.
Vom Etat des Reichsamts des Innern sind noch rückständig diejenigen Titel, welche die Alters⸗ und Inva⸗ liditätsversicherung und das Reichs⸗Versicherungs⸗ amt betreffen. — 1.““
Der Reichs⸗Zuschuß zu den Alters⸗ und Invalidenrenten ist für 1892/93 veranschlagt auf 9 213 878 ℳ, mehr gegen das Vorjahr 3 Millionen Mark. Der Etat des Reichs⸗Ver⸗ sicherungsamts ist auf 1 022 710 ℳ festgesetzt, mehr gegen 1891/92 206 485 ℳ, wesentlich infolge Vermehrung der Beamten aus Anlaß der wachsenden Geschäfte aus der Unfall⸗ versicherung. .—
Dazu liegt der Antrag des Abg. Auer (Soc.) und Genossen vor: 8 1
Der Reichstag wolle beschließen: die verbündeten Regierungen zu ersuchen, noch im Laufe der gegenwärtigen Session einen Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Abänderung des Unfallversicherungsgesetzes, vorzulegen, in welchem besonders folgende Punkte Berücksichtigung finden sollen: 1) den § 5 Abs. 2 Ziffer 2 des Gesetzes dahin zu er⸗
gänzen, daß die Zahlung der Rente an Verletzte nicht erst mit dem Ablauf der 13. Woche nach Eintritt des Unfalls, sondern von dem Tage der Beendigung des Heilverfahrens an zu erfolgen hat; 2) dem § 6 die Besti hinzuzufügen: daß im Falle der Tödtu
§ 6 die Bestimmung hinzuzufügen: daß im Falle der Tödtung eines Versicherten, welcher bereits infolge eines früher erlittenen Unfalls Rente bezogen, die “ des den Hinterbliebenen zu gewährenden Sterbegeldes und der Rente nicht nur nach dem Arbeitsverdienst, den der Getödtete im letzten Jahre gehabt hat, sondern unter Zugrundelegung dieses Arbeitsverdienstes und der bezogenen Rente zu geschehen hat; 3) die in den Straf⸗ und Ge⸗ fangenenanstalten als Arbeiter beschäftigten Gefangenen in die Reihe der durch dieses Gesetz gegen Unfälle versicherten Personen aufzu⸗ nehmen; 4) den Strafbestimmungen Vorschriften hinzuzufügen, nach denen Betriebsunternehmer und deren Angestellte, welche die ihnen auferlegte Beitragspflicht auf die versicherten Arbeiter abwälzen, in
Strafe genommen werden. 8
Abg. Möller (nl.): Eine größere Zahl von Zeichnungen und Modellen von Vorrichtungen zur Unfallverhütung, die von der Berliner Ausstellung übrig blieben, sei zuerst, dem allgemeinen Studium zu⸗ gänglich, im Reichs⸗Versicherungsamt aufbewahrt worden, sei aber von dort wegen Raummangels nach dem Polytechnikum in Charlottenburg gebracht worden, wo sie zwar zu Unterrichtszwecken verwendet würden, der allgemeinen Benutzung aber entzogen seien; es bestehe nun ein in weiten Kreisen empfundenes Bedürfniß, diese Gegenstände wieder der Oeffentlichkeit zuzuführen. Die Bedeutung der Unfallverhütungs⸗ vorrichtungen sei früher überschätzt, nach der Statistik sei nur hei einem Viertel aller Unfälle dem Fehlen von Unfallverhütungsvorrichtungen die Schuld beizumessen, aber durch solche Vorrichtungen würden gerade die schwersten Unfälle vermieden. Es sei deshalb dringend wünschens⸗ werth, die Zahl solcher Vorkehrungen zu vermehren, und zu diesem Zweck müsse alles Neue auf diesem Gebiet fortlaufend der Allgemein⸗ heit zur Verfügung gestellt werden. Der Berufsgenossenschaftstag habe das noch im letzten Sommer ausgesprochen. Im Neubau des Reichs⸗Versicherungsamts lasse sich vielleicht ein Raum für dieses Museum finden, und er frage die Regierung, ob sie geneigt sei, hier⸗ für Räume anzuweisen; die laufenden Kosten zu tragen, habe der Be⸗ rufsgenossenschaftstag sich bereit erklärt. Oesterreich und Frankreich besäßen bereits solche Museen. 8
Staatssecretär Dr. von Boetticher:
Wenn ich gegenüber der Anregung des Herrn Vorredners die Erklärung abgebe, daß ich seinem Wunsche sympathisch gegenüberstehe, so bitte ich daraus nicht den Schluß zu ziehen, der nach anderen Vorgängen wohl gerechtfertigt wäre, daß ich gegen diesen Wunsch sprechen werde (GHeiterkeit); im Gegentheil, ich sehe den Nutzen der Errichtung einer solchen Stelle, an der die Industrie Kenntniß nehmen kann an den meisten Vor⸗ gängen auf dem Gebiete der Herstellung von Unfallverhütungsvorrich⸗ tungen als unzweifelhaft an. Ich habe es schon damals, als die erste Anregung auf Errichtung eines solchen Museums an uns herantrat, lebhaft bedauert, daß die Verhältnisse, namentlich die Raumverhält⸗ nisse es nicht zuließen, dieser Anregung eine Folge zu geben. Das Reichs⸗ Versicherungsamt dehnt sich bekanntlich fortgesetzt aus, und es mußte, damals, von dem Gebäude, daß ihm überwiesen war, in allen seinen Theilen Gebrauch machen, um nur einigermaßen die Kräfte, die zur Erledigung seiner Geschäfte berufen waren, unterzubringen.
Augenblicklich liegt die Sache so, daß wir nicht daran denken können, ein solches Museum herzustellen, denn wir würden dazu Räͤume gebrauchen, die uns nicht zur Verfügung stehen. Dagegen wird mit der Fertigstellung des Neubaues des Reichs⸗Versicherungsamtes, das hoffentlich im Jahre 1894 beendigt vird, sich die Gelegenheit geben, dem Gedanken der Errichtung eines Museums näher zu treten, und dieser Gedanke wird um so eher zur Ausführung zu bringen sein, je bereitwilliger die Industrie selbst — und in dieser Beziehung liegt ja schon die von dem Herrn Vorredner
werden könne.
erwähnte Erklärung des Berufsgenossenschaftstages vor — die Kosten der Verwaltung und Fortführung des Unternehmens zu übernehmen die Güte hat.
Ich hoffe also, daß der Wunsch des Herrn Vorredners sich in verhältnißmäßig kurzer Zeit der Erfüllung nähern wird.
Abg. Grillenberger (Soc.): Der Antrag seiner Partei stimme im wesentlichen mit einem am 1. November 1889 gestellten überein. Die Verbesserung des Unfallversicherungsgesetzes sei dringend nothwendig. Er wiederhole, was er schon früher wiederholt betont habe, daß dies Gesetz keineswegs den großen Nutzen für die Arbeiter gebracht, den man davon erwartet habe. Der Antrag enthalte nun vier Punkte. In Bezug auf den ersten Punkt habe er schon früher eine große Zahl von Einzelfällen vorgebracht, die sich inzwischen natürlich noch vermehrt habe, auf deren Darlegung er aber heut verzichte. Vor zwei Jahren habe der Staatssecretär Dr. von Boet⸗ ticher gesagt, in der Novelle zum Krankenversicherungsgesetze werde Abhilfe geschaffen werden. Es sei aber zuvörderst ungerecht, den Krankenkassen Lasten zuzuweisen, die eigentlich die Berufs⸗ genossenschaften zu tragen hätten; außerdem sei aber auch die in der Novelle gegebene Abhilfe nicht genügend, denn zum theil seien die Bestimmungen recht unklar gehalten und könnten zu späteren Pro⸗ cessen Anlaß geben, zum theil, so z. B. was die Aufnahme in Reconvaleszentenhäusern anlange, seien sie nicht geeignet, die Lücke in der Unterstützung zwischen einer schnell eintretenden Genesung und der erst nach dreizehn Wochen beginnenden Unfallunterstützung aus⸗ zufüllen. Bei dieser Gelegenheit bemerke er noch, daß die Berech⸗ nung der Rente bei nicht völliger Arbeitsunfähigkeit jetzt nicht in einer den Forderungen der Billigkeit entsprechenden Form geschehe. Was den zweiten Punkt des Antrags anlange, so habe seine Partei auch dafür Specialfälle vorgebracht; wenn ein Arbeiter einen Unfall erleide, sodaß er nur die Hälfte seines Normalverdienstes erwerben könne, und bei einem zweiten Unfall sterbe, so werde jetzt die den Hinter⸗ bliebenen zu zahlende Rente nur nach dem letzten Arbeitsverdienst berechnet ohne Zurechnung der nach dem ersten Unfall zugebilligten Rente. Der Einwand, daß diese Hinzurechnung zu schwierigen Berechnungen zwischen den einzelnen Berufsgenossenschaften führen würde, sei nicht stichhaltig; denn erstens würden solche schwierigen Berechnungen nur selten vorkommen und zweitens müsse sich doch auch ein anderer Ausweg finden lassen, wenn man nur den guten Willen habe, Ab⸗ hilfe zu schaffen. Den dritten Punkt begründe seine Partei damit, daß Gefängnisse sowohl als Zuchthäuser mehr und mehr den Charakter industrieller Etablissements annähmen. Warum sollten nun Leute, die gegen die Gesetze verstoßen hätten, dafür büßen, daß sie eine Zeit lang sozusagen im Staatsdienste beschäftigt gewesen seien? Be⸗ züglich des letzten Punktes habe seine Partei schon bei der ersten Berathung Beweise genug dafür beigebracht, daß es thatsächlich Unternehmer gebe, die ihren Antheil an den Beiträgen nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar durch Lohnabzüge auf die Arbeiter abwälzten. Dagegen müßten ganz strenge Strafbestimmungen festgesetzt werden. Andere Beschwerdepunkte habe seine Partei nicht namentlich auf⸗ geführt. Diese bezögen sich zunächst auf die Ausdehnung des Ge⸗ setzes. Gelegentlich der Zunftbesprechung habe der Staatssekretär den Innungsschwärmern zu ihrer Beruhigung mitgetheilt, daß demnächst die Unfallversicherung auf das Handwerk ausgedehnt werden solle. Das wünsche seine Partei auch; er habe aber erfahren, daß man in den maßgebenden Kreisen selbst noch nicht recht wisse, wie man das machen solle. Ebenso dringend nothwendig sei es, die⸗ jenigen Handelsgewerbe einzubeziehen, die bis jetzt noch nicht unter die Speditions⸗, Speicherei⸗ und Kellerei⸗Berufsgenossenschaft einbe⸗ griffen seien. Dahin gehörten u. A. die Kutscher der Bierver⸗ leger, die Kutscher der Aerzte u. s. w. Die Landes⸗Versicherungs⸗ ämter ferner, die man als eine Concession an das Centrum einge⸗ richtet habe, sollten abgeschafft werden, da ihre Auslegung des Gesetzes sich vielfach im Widerspruch befinde mit derjenigen des Reichs⸗Versicherungsamts. Durch ihr Bestehen werde in der Praxis ein Wirrwarr geschaffen, unter dem die Arbeiter zu leiden hätten. So habe das sächsische Landes⸗Versicherungsamt in einem Falle, wo in der Gräkflich Stolberg'schen Forst ein Kutscher beim Holzabfahren zu Tode verunglückt sei, entgegen der Auffassung des Reichs⸗Versicherungsamts, entschieden, daß von der land⸗ und forst⸗ wirthschaftlichen Berufsgenossenschaft keine Rente gezahlt zu werden brauche. Nun sitze die arme Wittwe mit ihren Kindern da und bekomme nichts. Ein solcher Zustand könne unmöglich aufrecht er⸗ halten werden. Auch über die Handhabung des Gesetzes habe seine Partei Beschwerden. Vor kurzem habe im „Reichs⸗Anzeiger“ eine Bekanntmachung gestanden, daß infolge von Ueberbürdung mit Ar⸗ beiten — es seien z. Z. etwa 3000 Recurse anhängig! — das Reichs⸗Versicherungsamt Nachwahlen von sechs Stellvertretern aus dem Stande der Nüteitgeber vorgenommen habe. Aus den Arbeitern seien keine Stellvertreter nachgewählt, obwohl auch diese überbürdet seien. Die Wahlen der Beisitzer aus der Arbeiterklasse seien aller⸗ dings so unglaublich verwickelt, und erfolgten nach einem so unnatür⸗ lichen System, daß man die Neuwahlen gerne so lange wie möglich hinausschiebe. Wer sich nicht mit dieser Materie fortdauernd be⸗ schäftige, der sei über dieses Wahlsystem gar nicht unterrichtet. Ueber jene Nachwahlen habe er folgende Auskunft erhalten:
Bereits vor längerer Zeit habe das Reichs⸗Versicherungsamt beim Reichsamt des Innern einen Gesetzentwurf eingereicht, es solle dem Reichstag eine Aenderung der Paragraphen über die Wahlen vor⸗ geschlagen werden. Dieser Entwurf sei vom Staatssecretär Dr. von Boetticher garnicht an den Bundesrath gebracht worden, sondern in seiner Eigenschaft als Ressortchef habe er ihn kurzer Hand zurück⸗ gewiesen. Dadurch sei das Versicherungsamt in die Zwangslage ver⸗ setzt worden, eine Gesetzwidrigkeit zu begehen. Der Staatssecretär Dr. von Boetticher habe gesagt, man solle nur den § 87 entsprechend auslegen. Er (Redner) begreife aber nicht, wie man den § 87 und auch den § 47 auslegen wolle, um diese Wahl der sechs Stell⸗ vertreter zu rechtfertigen. Jedes Erkenntniß des Reichs⸗Versicherungs⸗ amts, das in Gegenwart eines dieser gewählten Stellvertreter gefällt werde, sei nichtig; der Staatssecretär stimme ihm zu; ja, aber er habe doch diesen ungesetzlichen Zustand selbst herbeigeführt.
Vice⸗Präsident Dr. Baumbach: Ich muß den Redner derauf aufmerksam machen, daß es nicht zulässig ist, dem Herrn Staats⸗ secretär vorzuwerfen, er habe eine Ungesetzlichkeit veranlaßt.
Abg. Grillenberger (fortfahrend): Das Wahlsystem müsse geändert werden, es gehe ja doch nicht länger so. Er komme nun zu dem Klebegesetz. In letzter Zeit werde von einzelnen freisinnigen Kreisen eine weitverzweigte Agitation für die Aufhebung dieses Gesetzes in die Wege geleitet. Seine Partei sei von dem Gesetz nicht entzückt, aber es wegen seiner Fehler aufheben zu wollen, das sei nicht ihre Meinung. Nicht das Markensystem und das Kleben mißfalle der freisinnigen Partei, sondern der Grundgedanke, der sich schon mehr dem Socialismus annähere. Der Abg. Richter habe bei der Etatsberathung gegen das Gesetz gesprochen, weil es den Spartrieb untergrabe u. s. w. Darauf komme er (Redner) nicht weiter zurück. Das Gesetz habe allerdings erhebliche Belastungen mit sich gebracht; mögen die Regierungen baldigst darüber nach⸗ denken lassen, wie diese Seite des Gesetzes besser gestaltet Der von seiner Partei befürchtete Mißbrauch der Quittungskarten als eines obligatorischen Arbeitsbuches sei in weitestem Umfange eingetreten. Man habe bei der Berathung des
Gesetzes in Abrede gestellt, daß für die Entwerthung die Eintragung des Datums in die Marke vorgeschrieben werden würde. Trotzdem habe jetzt der Bundesrath die Eintragung des Datums angeordnet, und durch das eingeschriebene oder eingestempelte Datum sei jede beabsichtigte Kennzeichnung möglich, und die Arbeiter seien der genauesten Controle der Arbeitgeber unterworfen. Es müsse sich ein anderes Mittel finden lassen, diesen Brauch wieder abzuschaffen. Er sei über⸗ überzeugt, ehe zehn Jahre ins Land’ gegangen seien, würden diese Karten wieder verschwunden sein. Der Grundgedanke des Gesetzes sei gut, aber der Aufbau sei verfehlt in allen Stockwerken bis unter das Dach. Die Bestimmungen über das Invaliditätsgesetz würden sehr streng ausgeführt. Es werde beinahe Niemand für inbalide er⸗ klärt. Was die Altersrente betreffe, so seien beim Inkrafttreten des Gesetzes Viele für versicherungspflichtig erklärt worden, die jetzt nicht als rentenbezugsberechtigt angesehen würden Man entdecke jetzt plötzlich, daß diese Leute nicht im stande seien, den dritten Theil des durchschnittlichen ortsüblichen Tagelohnes gewöhnlicher Tagearbeiter zu verdienen; was sie aber mit den Marken anfangen sollten, ob sie sie verkaufen könnten oder was sie sonst damit unternehmen könnten, davon erfahre man nichts, stehe auch nichts im Gesetz. Solche Entscheidungen, wie die, daß ein Arbeiter auch dann keine Rente empfangen solle, wenn er thatsächlich nicht ein Drittel des ortsüblichen Tagelohnes verdiene, obwohl er dazu im Stande wäre, machten das ohnehin unbeliebte Gesetz nicht beliebter. Es komme vor, daß Leute auf dem Lande für ihre Dienst⸗ leute zahlen müßten und wenn diese alt und abgerackert seien, nichts bekämen. Das müsse eine hochgradige Erbitterung hervorrufen. Wolle man nicht neuen Agitationsstoff liefern, so möge man für eine bessere Handhabung des Gesetzes sorgen. Daß man eine Aufhebung esselben nicht wünsche, beweise der Umstand, daß die selbstständigen Weber Sachsens und des Wupperthales, auch des Niederrheins u. s. w. dafür einträten, daß das Alters⸗ und Invaliditätsgesetz auf sie aus⸗ “ werde. Sie hätten eben ein so geringes Einkommen, daß ie mit dieser geringfügigen Rente zufrieden seien. Wolle man die verschiedenen Bevölkerungsklassen versöhnen, dann möge man das Gesetz verbessern und besser handhaben!
Staatssecretär Dr. von Boetticher: 8
Meine Herren! Ich hätte gewünscht, um des von dem Herrn Vorredner in dem letzten Theil seines Vortrags berührten Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes willen das Wort erst später nehmen zu dürfen, nachdem ich auch von den übrigen Parteien die Stimmen darüber gehört haben würde, wie diesesGesetz bei seiner praktischen Durchführung im Lande aufgenommen worden ist. Allein der Herr Vorredner hat mir im Lauf seiner Rede einen schweren Vorwurf gemacht, indem er mich einer ungesetzlichen Handlung bezichtigt hat, und diesen Vorwurf möchte ich sogleich zurückweisen. Der Vorwurf ist ungerechtfertigt, ich nehme ihm denselben aber nicht sonderlich übel; denn der Ton, in dem er sprach, könnte ich an sich als einen wohlwollenden bezeichnen gegen⸗ über den Tonarten, deren er sich sonst schon bedient hat.
Mit dem Vorwurf, den er mir gemacht hat, verhält es sich fo gendermaßen. Das Reichs⸗Versicherungsamt zeigte, wenn ich nicht irre — die Acten sind noch unterwegs, und es ist möglich, daß ich mich in dieser Beziehung noch zu berichtigen haben werde —, im Laufe des Sommers, also zu einer Zeit, wo weder der Bundesrath noch der Reichstag versammelt war, an, daß es nothwendig sei, die Zahl der nichtständigen Mitglieder aus dem Arbeitgeberstande zu vermehren, um die eingehenden Recurse erledigen zu können. Das Reichs⸗Ver⸗ sicherungsamt legte gleichzeitig den Entwurf eines Gesetzes vor, welches darauf abzielte, in den § 87 des Unfallversicherungsgesetzes die dort vorgesehene Zahl von nichtständigen Mitgliedern, sowie von Stell⸗ vertretern für dieselben zu erhöhen. Damit war natürlich mit Rücksicht darauf, daß dieser Gesetzentwurf frühestens in diesem Winter dem Bundesrath resp. dem Reichstag vorgelegt werden konnte, dem augenblicklichen acuten Mangel an Kräften bei dem Reichs⸗ Versicherungsamt keine Abhilfe geschaffen, und es kam deshalb in Frage, ob nicht auch schon an der Hand der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen es möglich sei, neue Kräfte, deren das Reichs⸗Versicherungsamt bedurfte, dem Amte zuzuführen.
Dabei kam uns zu Hilfe, daß das Reichs⸗Versicherungsamt schon vorher und ohne irgend welche Mitwirkung des Reichsamts des Innern behufs Heranziehung von Stellvertretern für nichtständige Mitglieder aus dem Arbeiterstande in der Weise vorgegangen war, daß, wenn es sich darum handelte, für ein ausfallendes Mitglied dieser Kategorie einen Ersatz zu schaffen, nicht eine Neuwahl anberaumt wurde, sondern diejenige Person herangezogen wurde, welche bei dem letzten Wahlverfahren nächst den Gewählten die meisten Stimmen bekommen hatte. Jetzt sagte ich: Die Frage, ob der § 87 zu ändern sei, kann der Revision des Unfallversicherungsgesetzes vorbehalten bleiben, und wenn von Seiten des Reichs⸗Versicherungsamts bereits als zulässig erkannt worden ist, daß man einen in dem Wahlgange zwar nicht ge⸗ wählten, aber hinter den gewählten Personen mit den relativ meisten Stimmen versehenen Candidaten aushilfsweise heranzieht, so wollen wir doch, um der Noth des Reichs⸗Versicherungsamts Abhilfe zu schaffen, ebenso verfahren bei der thatsächlich nothwendigen Ergänzung der Mitglieder aus dem Kreise der Arbeitgeber. So sind denn neben der gesetzlichen Mindestzahl von je zwei Stell⸗ vertretern für die nichtständigen Mitglieder aus dem Arbeitgeberstande noch weitese Stellvertreter auf Grund eines Wahlverfahrens einbe⸗ rufen worden, welches allen gesetzlichen Anforderungen entspricht. Ich habe mich dabei in vollem Einverständniß mit dem Reichsversicherungs⸗ amt befunden und habe gar nicht angenommen, daß man uns aus dieser nothgedrungenen Ergänzung der Zahl der Vertreter für nicht⸗ ständige Mitglieder den Vorwurf einer Ungesetzlichkeit machen könnte, und zwar umsoweniger, als noch auf einem dritten Gebiete, bei der Bestellung der Vertreter der Schiedsgerichtsvorsitzenden, ein ähnliches Verfahren gang und gäbe ist. Die Landesregierungen, denen diese Ernennungen obliegen, bestellen nicht nur den einen Stellvertreter des Schiedsgerichts⸗Vorsitzenden, den das Gesetz vorsieht, sondern nach Maßgabe des geschäftlichen Bedürfnisses mehrere Stellvertreter, unter welche die Geschäfte vertheilt werden. (Zurufe.) — Ja, das mögen Sie für falsch halten, aber Noth bricht Eisen.. Wenn ich Kräfte brauche, dann suche ich sie da zu finden, wo es geht, und ich will dem Herrn Vorredner gern zugeben, daß, wenn man die Frage auf die Schneide des juristischen Messers stellt, das Verfahren an⸗