bracht angeblich fester und dauerhafter als Kalk⸗ und Cementmörtel, oder man preßt ihn in Leimformen zu Werk⸗ und Ornamentstücken, die dann Werseft werden und sich erforder⸗ lichenfalls mit Hammer und Meißel wie Haustein nacharbeiten, auch schleifen und poliren lassen, soweit dies der nachgeahmte Stein uläßt. Das Aussehen des Materials kommt nach Ausweis der
roben dem des natürlichen Gesteins sehr nahe, namentlich bei polirten Flächen und Gesteinen von einer gewissen Festigkeit und nicht zu feinkörnigem Gefüge. Die gepreßten unpolirten Nachahmungen weißer Marmor⸗Sculpturstücke erreichten dagegen bisher den schimmernden, Leben verleihenden Glanz, in dem der hohe Reiz des natürlichen Steins liegt, noch nicht. Immerhin übertrifft der Incrustat⸗Stein gerade nach der Seite der äußeren Erscheinung hin die sonst gebräuchlichen Kunststeine nicht unerheblich, und es ist erfreulich, daß in ihm ein Material gefunden ist, das wohl eine Zukunft haben wird, und in dem, um auf das Reichstagshaus zurückzukommen, der schöne Hallenentwurf Wallot’'s durchgeführt werden kann, ohne allzu ungesundes Scheinwesen und ohne übergroße Einbuße an äußerer Schönheit. — Der Grundpreis des bisher der Hauptsache nach in Wien zur Anwendung gekommenen Materials stellt sich einschließlich Arbeitslohn auf etwa 15 ℳ das Quadratmeter. as Fabrikat ist dort seit ungefähr acht Jahren unter dem Namen „Cementstein“ eingeführt und hat sich nach den Zeugnissen angesehener Wiener Architekten in dieser Zeit als wetter⸗ beständig, fest und im Aussehen dem Naturstein entsprechend erwiesen.
— Ueber eine nordische Expedition zum Studium deir Launa des ostsibirischen Meeresstrandes meldet die „St. Pet. Ztg.“”: Auf Gesuch der Moskauer Universität entsandte der Ver⸗ weser des russischen Marine⸗Ministeriums den Schiffsarzt N. Sfljunin in den fernen Osten, um Studien und Sammlungen der dortigen Fauna zu unternehmen. Dr. Ssljunin reist mit demselben Dampfer, der vom Marine⸗Ministerium zum Schutz der russischen Robben⸗ und Walfisch⸗Industrie ausgerüstet wird. Er wird gleichzeitig eingehende Studien über die Fisch⸗Industrie in Ostsibirien anstellen.
— Zwischen den Dörfern Hedehusum und Utersum im Kirch⸗ spiel St. Laurentii auf der Insel Föhr befindet sich eine Gruppe von 63 Hügeln, von denen eine Anzahl untersucht wurde. Der „N. Pr. Z.“ wird darüber geschrieben: Sie liegen dicht gedrängt auf einem von Südwesten 81 Nordosten ziehenden rechteckigen Haidestück und sind nur klein, die Höhe beträgt 0,50 bis 2,50 m, der Durchschnitt 5 bis 20 m, doch bilden die Hügel von größeren Ausdehnungen die Ausnahme. Das Bild der niedrigen braunbewachsenen Gräber ist so eigenartig und dabei einzig in unserem Lande, daß ihre möglichste Erhaltung
eboten war. Die Untersuchung beschränkte sich deshalb darauf, einige Pügel auf ihren Bau und Inhalt zu prüfen. Zwei kleinere Hügel sind bereits im Jahre 1880 von Dr. Olshausen untersucht, über die neueren Ausgrabungen aber wird in den soeben erschienenen „Mit⸗ theilungen des Anthropologischen Vereins in Schleswig⸗Holstein“ ausführlich berichtet. Die Hügel bestehen aus steinfreiem, meist rauem Sand. Die Leichen sind verbrannt und die Knochen in Urnen beigesetzt. Einmal ist ein hölzernes Gefäß als Ossarium benutzt. Drei Hügel enthielten keine Spur einer Bestattung. Vielleicht sind sie zum Gedächtniß von Stammesgenossen errichtet, die draußen auf der See verunglückten. Unmittelbar über den in den Boden gesenkten Urnen liegt eine mehrere Quadratmeter große tiefe schwarze Schicht mit Resten des Leichenbrandes, Kohle, Asche, Knochenresten, Schlacken und verrosteten Eisentheilen. Die Erde darüber und darunter ist von Feuer geröthet, entweder durch die Hitze dieser in noch glühendem Zustande vom Scheiterhaufen herbeigetragenen Reste oder von einem über den eingesenkten Urnen neu entzündeten Feuer. Mit den Gebeinen liegen kleine Gegenstände aus Bronze,
wenigen Ausnahmen durch das Feuer stark beschädigt. In einem Gefäß befanden sich die verbrannten Ueberreste von zwei Menschen, in einem anderen neben menschlichen Gebeinen Knochen von einem Hund und von einem Vogel, wahrscheinlich einem Falken. Aus einem zerstörten Hüger stammen einige Pferdezähne. Die Hügel schließen sich nach
auart und Inhalt ähnlichen von Amrum und Svylt bekannten, den friesischen Se.Ifenn 655 Gräbern an und sind mit diesen als der Zeit der Wikinger entstammend zu betrachten und etwa in das 9. bis 10. Jahrhundert zu setzen. “ 6
Land⸗ und Forstwirthschaft.
Stand der Saaten.
Wie aus dem Reg.⸗Bez. Magdeburg berichtet wird, konnte bei dem günstigen Verlauf der Witterung die wegen der Verspätung der Ernte erheblich verzögerte Herästbestelhe gut zu Ende geführt werden; auch ist die Frühjahrsbestellung überall ausreichend vorbereitet. Die Roggen⸗ und Weizenfelder sind zur Zeit sehr gut bestockt.
Auch im Reg.⸗Bez. Münster konnte die Bestellung und Aus⸗ saat der Winterfrüchte gut bewirkt werden. Der Stand der Winter⸗ saaten ist überall ein guter, namentlich der des Roggens. Die Herbst⸗ früchte sind gut eingebracht und die Futtergewächse vollständig aus⸗ genutzt worden.
In den Hohenzollernschen Landen haben sich die Winter⸗ saaten, deren Bestellung unter den günstigsten Verhältnissen vor sich gehen konnte, sehr stark entwickelt und stehen durchgängig schön. Auch der ”] des Kohl⸗ und Winterrapses und der Kleesaaten ist ein guter.
Nach Schluß der Redaction eingegangene Depeschen.
Königsberg i. Pr., 10. Februar. g Verdachtes, den Versuch einer Bacdse e im Schlosse gemacht zu haben, wurde der Töpfergeselle Eichler ver⸗ haftet. Die Staatsanwaltschaft hat eine Belohnung von 300 ℳ für die Ermittelung der Mitschuldigen Eichler's ausgesetzt.
Stuttgart, 10. Februar. (W. T. B.) Das hiesige Landgericht verurtheilte den früheren Ober⸗ Inspector, jetzigen Finanz⸗Rath Lang und den Bahnhofsverwalter Schwenninger, durch deren Verschul⸗ den das Eisenbahnunglück vom 1. Oktober 1889 bei Vaihingen herbeigeführt worden ist, zum solidarischen Ersatz des vorläufig mit 3000 ℳ eingeklagten Schadens. Die ganze Ersatzsumme dürfte sich auf 320 000 ℳ belaufen.
Wien, 10. Februar. (W. T. B.) In dem Befinden des Erzherzogs Franz Salvator ist eine entschiedene Besserung eingetreten. — Die Offizierdeputation des 4. Württembergischen Infanterie⸗Regiments wurde heute vom Kaiser empfangen. 8 heute Abend ist die Deputation zum Diner bei Seiner Majestät geladen.
Prag, 10. Februar. (W. T. B.) Der Altezeche Zucker wurde heute von der Handelskammer zum Reichs⸗ raths⸗Abgeordneten gewählt. Die Deutschen enthielten sich der Wahl. 8
St. Petersburg, 10. Februar. (W. T. B.) Aus Hof⸗ kreisen verlautet, daß Großfürst Georg Alexandrowitsch,
der zweite Sohn des Kaisers, sch
(W. T. B.) Wegen
nach Paris begeben um müeng Aerzte über seinen Gesundheitszustand zu Nade zu ziehen.
Rom, 10. Februar. (W. T. B.) Die „Agenzia Stefani“ meldet aus Zürich: Heute Nachmittag findet eine entf chei⸗ dende Sitzung der italienischen und schwei erischen Delegirten zu den Handelsvertrags⸗Verhand⸗ lungen statt. Die schweizerischen Unterhändler werden, falls der Handelsvertrag bis zum 12. d. M. nicht abgeschlossen wird beantragen, die Verhandlungen trotz der 2 nwendung der Generaltarife fortzusetzen.
Xeres, 10. Februar. (W. T. B.) Die Hinrichtu ng der vier zum Tode verurtheilten Anarchisten hat heute Vormittag ohne weiteren Zwischenfall stattgefunden.
Belgrad, 10. Februar. (W. T. B.) Bei der gestern in der Skupschtina fortgesetzten Berathung der Inter⸗ pellationen über die Ausweisung der Koönigi Natalie richteten die Deputirten Ranko Taisic, Pera Maximovic, Avakumovic und Veljekovic äußerst heftige Angriffe gegen die Regierung. Der letzteren wurde eine schwere Verletzung der Verfassung vorgeworfen:; an den Präsidenten Katic wurde die Aufforderung gerichtet, hierüber sein Gutachten abzugeben. Für die
eutige Sitzung sind elf Redner vorgemerkt. Um etwaigen Ruhestörungen zu begegnen, hat die Regierung um⸗ fassende Sicherheits⸗Maßnahmen ergriffen; insbesondere sind auch Vorkehrungen zum Schutz des Skupschtina⸗Gebäudes getroffen worden. — In Deputirtenkreisen nimmt man an, daß die Vorgänge in der Skupschtina von vorgestern und gestern eine Cabinetskrisis oder wenigstens den Ruͤck⸗ tritt des Ministers des Innern Gjaja herbeiführen würden.
Im radicalen Club wurde mehrfach der Wunsch geäußert, daß bei dieser Gelegenheit die Cabinetsfrage endgültig gelöst werde. Die Zahl der radicalen Dissidenten, welche entsch ossen sind, nach Schluß der Debatte in diesem Sinne vorzugehen, soll vierzig betragen.
Was hggn. 10. Februar. (W. T. B.) (Telegramm „Reuter'schen Bureaus“.) Es gilt als wahrscheinlich, daß die bereits früher von Bland unterbreitete Vor⸗ lage, betreffend die freie Silberprägung, in dieser Woche von der Münzcommission im Repräsentanten⸗ hause mit einer Empfehlung zur Annahme eingebracht werden wird. Die Vorlage unterscheidet sich von der früheren darin, daß sie die Convertirung des gegen Bullion emittirten Silber⸗ eldes, der Silbercertificate und der Schatznoten, sowie der gfgen Gold emittirten Goldcertificate in Münze oder durch Münze einlösbare Noten in Aussicht nimmt. Die Vorlage convertirt somit das amerikanische Papiergeld, bei dem bisher ein Unter⸗ schied zwischen Gold und Silber bestand, in ein bimetallistisches Papier. Die Vorlage erklärt ferner, daß, sobald in Frank⸗ reich die freie Silberprägung zu dem bisherigen Verhältniß von 15 ½ zu 1 wieder aufgenommen wird, dieses Verhältniß gesetzliche Ratio für Amerika werden solle.
(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)
des
Eisen, Glas und Knochen in den Urnen. Die Beigaben sind mit
t vom 10. Februar, r Morgens.
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S. 8
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Stationen.
red. in Mi Temperatur in ° Celsius
50 C. = 40R.
vSW 4 SW 2 bei SW 7 be
Mullaghmore Aberdeen.. Christiansund Seeen. Stockholm 1 Frande, . 7589 S. 88 Petersbg. 1 G S Moskau. 8 8 kenlos Cork, Queens⸗ towmn.. Cherburg .. delder.. Z“ amburg.. winemünde Neufahrwasser Memel ... ünster.. Karlsruhe .. Wiesbaden. München.. Chemnitz .. Berlin Wien... Breslau...
e d'Aix .. ue 5 wolkenlos Triest... 4 wolkenlos
Uebersicht der Witterung.
Ein tiefes Minimum, nordostwärts fortschreitend, liegt bei den Lofoten, Theilminimun über Süd⸗ skandinavien und am Kanal, während das Hochdruck⸗ eebbiet über Frankreich und dem deutschen Binnen⸗ ande lagert. An der deutschen Küste wehen bei vorwiegend trüber Witterung leichte bis mäßige süd⸗ weftliche Winde, unter deren Einfluß die Temperatur meist etwas gestiegen ist, im Binnenlande dagegen ist es bei schwachen umlaufenden Winden und vielfach heiterem Wetter erheblich kälter geworden. In Bayern und Sachsen liegt die Temperatur 6 bis 8 Grad unter Null. Da das Devressionsgebiet im Noͤrden sich wieder südwärts auszubreiten scheint, so dürfte für das nördliche Deutschland demnächst
wieder Thauwetter zu erwarten sein. Deutsche Seewarte.
wolkig Nebel Nebel Nebel bedeckt Dunst wolkig bedeckt halb bed. bedeckt heiter wolkig heiter wolkig wolkig bedeckt bedeckt
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Theater⸗Anzeigen.
Königliche Schauspiele. Donnerstag: Opern⸗ haus. 38. Vorstellung. Cavalleria rusti- cana (Bauern⸗Ehre). Oper in 1 Aufzug von Pietro Mascagni. Text nach dem gleich⸗ namigen Volksstück von Verga. In Scene Pelest vom Ober⸗Regisseur Tetzlaff. Dirigent:
apellmeister Weingartner. — Prometheus. Musik
Tanzdichtung E. Taubert'’s in 2 Acten von Emil Graeb. Dirigent: Musikdirector Hertel. Anfang 8 Schauspielhaus. 42. Vorstellung. Wohlthätige Frauen. Lustspiel in 4 Aufzügen von Adolph Arronge. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. Anfang 7 Uhr. Freitag: Opernhaus. 39. Vorstellung. Merlin. Große Oper in 3 Acten von Philipp Rüfer. Tert von Dr. Ludwig Hoffmann. Ballet von Emil Graeb. Dirigent: Kapellmeister Kahl. Anfang 7 Uhr. Auf Allerhöchsten Befehl findet der nächste Gesellschafts⸗Abend nicht Montag, den 15., son⸗ dern Mittwoch, den 17. d. M. statt. Schauspielhaus. 43. Vorstellung. Uriel Acosta. Trauerspiel in 5 Aufzügen von Carl Gutzkow. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. Anfang 7 Uhr. 8
Deutsches Theater. Donnerstag: College
Crampton. Anfang 7 Uhr. Freitag: Die Welt, in der man sich weilt. Sonnabend: College Crampton. Sonntag: College Crampton.
Berliner Theater. Donnerstag: Der Hütten⸗ besitzer. Anfang 7 Uhr. 1
Freitag: 22. Abonnements⸗Vorstellung. Kean. Sonnabend: Zum 1. Male: Schlimme Saat.
lang⸗
Lessing⸗-Theater. Donnerstag: Fräulein Frau. Unter vier Angen. Der sechste Sinn.
Freitag: Die Großstadtluft. u“ Zum 75. Male: Die Großszstadt⸗ uft.
Nächste Nachmittags⸗Vorstellung zu volksthümlichen Preisen: Sodoms Ende. 8
88
Wallner⸗-Theater. Donnerstag: Zum 2. Male: Der Bärenführer. Schwank in 3 Acten von Franz Wallner und Oscar Teuscher. Vorher, zum 2. Male: Der berühmte Mitbürger. Burleske mit Gesang in 1 Act. Musik von V. Holländer. Anfang 7 ½ Uhr.
Freitag u. folg. Tage: Der Bäreuführer. Ein berühmter Mitbürger.
Sonntag: Nachmittags⸗Vorstellung zu bedeutend ermäßigten Preisen. Ein toller Einfall. Schwank in 4 Acten von Carl Laufs. Parquet 1 ℳ% ꝛc. An⸗ fang 4 Uhr.
Friedrich⸗-Wilhelmstädtisches Theater. Donnerstag: Mit neuer Ausstattung zum 22. Male: Das Sonntagskind. Operette in 3 Acten von Dug Wittmann und Julius Bauer. Musik von
rol Millöcker. In Scene gesetzt von Julius Fritzsche. Dirigent: Kapellmeister Federmann. Die Decorationen aus dem Atelier von Falk. Die neuen Costume vom Garderoben⸗Inspector Ventzky. An⸗ fang 7 Uhr.
Residenz-Theater. Direction: Sigmund Lauten⸗ burg. Donnerstag: Zum 14. Male: Musotte. Sitten⸗ bild in 3 Acten von Guy de Maupassant. In Scene gesetzt von Sigmund Lautenburg. Vorher: Modebazar Violet. Schwank in 1 Act von Benno Jacobson. In Scene gesetzt von Emil Lessing. Anfang 7 ½ Uhr. .
Die Aufführung von „Musotte“ beginnt um 8 Uhr. Freitag: Dieselbe Vorstelluuug.
Belle-Allianre⸗Theater. Donnerstag: 42. En⸗ semble⸗Gastspiel der Münchener unter Leitung des Königlich bayerischen Hofschauspielers Herrn Marx ofpauer. Zum 100. und letzten ale: Der errgottschnitzer von Ammergau. Ober⸗ bayerisches Volksstück mit Gesang und Tanz in 5 Aufzügen von Ludwig Ganghofer und Hans Neuert. Im 3. Act: „Schuhplattl⸗Tanz“. Anfang 7 ½ Uhr.
Freitag: Zum 1. Male: Der Nothhelfer. Ländlicher Schwank mit Gesang und Tanz in 4 Acten
von Amand Kolbe.
ö “ Adolph Ernst⸗Theater. Donnerstag: Zum 49. Male: Der Tanzteufel. Gesangsposse in 4 Acten von Ed. Jacobson und W. Mannstädt. theilweise von Gustav Görß. Musik von Gustav Steffens. In Scene gesetzt von Adolph Ernst. Anfang 7 ½ Uhr. 8 Freitag: Der Tanzteufel.
Thomas-Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30. Direction: Emil Thomas. Daern eeteg. Z. 6. Male: (Novität!) Rothköpfchen. Vaudeville⸗Posse mit Gesang in 3 Acten von Meilhac und Halévy, frei bearbeitet von Richard Genée. Musik von Richard Genée. In Scene gesetzt von Emil Thomas. An⸗ fang 7 ½ Uhr.
Freitag: Dieselbe Vorstellung.
onnabend: Zum 1. Male: Reif⸗Reiflingen. Schwank in 5 Aufzügen von G. v. Moser.
[64670 2 1646702 See 1 Galerie 8 nahe der Moltke⸗Brücke und Lehrter Bahnhof. Größtes historisches Rundgemälde: Brandenburg — Preußen 1640 — 1890. Besichtigung 9 Uhr früh bis 11 Uhr Abends. Eintritt 1 ℳ Kinder unter 10 Jahren 50 ₰.
Urania, Anstalt für volksthümliche Naturkunde. Am Landes⸗ neees Park Sn Bahnhof). Geöffnet von 12—11 Uhr. Täglich Vorstellung im wissenschaftlichen Theater. Näheres die Anschlag⸗ zettel. Anfang 7 ½ Uhr.
Concerte.
Philharmonie. Donnerstag, Anfang 7 ½ Uhr: Sarasate⸗Cyclus. III. (letztes) Concert unter Mit⸗
Concert-Haus. Donnerstag: Karl Mevder⸗ Concert. Gesellschafts⸗Abend. Anfang 7 Uhr.
Circus Renz. Karlstraße. Donnerstag, Abends 7 ¼ Uhr: Auf Hel oland oder: Ebbe und vüra. Große hydrol. Ausstattungs⸗Pantomime in 2 Ab⸗ theilungen mit Nationaltänzen (60 Damen), Auf⸗ zügen. Neue Einlage: „Die Garde⸗Husaren“ und NJ Dampfschiff⸗ u. Bootfahrten, Wasser⸗ fälle, Riesenfontänen mit allerlei Lichteffecten ꝛc., arrangirt und inscenirt vom Director E. Renz. — Außerdem: Zum 1. Male in Europa: Die 3 Ameri⸗ kaner Gebrüder Rirfolds, die vorzüglichsten Springer und Akrobaten der Gegenwart. — Great Steeple Chasse von 6 englischen Vollblut⸗Springpferden, dressirt und vorcge se von Herrn Franz Renz. — „Johanniter“, geritten von der Schulreiterin Frl. Oceana Renz. — Geschwister Cottrelly, Equili⸗ bristinnen. — Mr. William mit seinen 4 dressirten ferden. — Auftreten der Reitkünstlerinnen Mlle. Theresina und Mm. Bradbury, sowie des Salto⸗ mortalesreiters Mr. Alex. Briatore und Jockey⸗ reiters Mr. Jules ꝛc. — Komische Entrées und Intermesgee, ven 1vUUJe Clowns.
Täglich: Auf Helgoland.
Benefiz für die Geschwister Oceana und Ernst Renz (Enkelin und Enkel).
Sonntag: 2 Vorstellungen. Nachmittags 4 Uhr 8 Kind frei). Mazeppa's Here eer Große istorische Pantomime mit Ballet (Polnischer Nationaltanz vom gesammten Corps de Ballet). —
Abends 7 ½ Uhr: Auf Helgoland. ———
Familien⸗Nachrichten. Verlobt: Frl. Sophie von Feter mit Hrn.
Lieut. Paul Trützschler von Falkenstein (Neu⸗ Ruppin). — Frl. Ida von Lücken mit Hrn. Lieut. G. von Gundlach Fudwigslust⸗ Heum vedan en) Frl. Elsbeth Thienell mit Hrn. Gerichts⸗Assessor Gahbler (Potsdam —Bromberg).
Verehelicht: Hr. Hauptmann Hetschko mit Frl. Paula Assig (Breslau). b
Geboren: Ein Sohn: Hrn. “ Kehler (Pillau). — Hrn. Regierungs⸗Rath Dr. Christ (Berlin). — Hrn. von Stoeßel (Frankfurt a. O.). — Eine Tochter: Hrn. Hauptmann a. Bernhard von Sanden (Berlin). — Hrn. F. von Daacke (Angerstein). 88
Gestorben: Fr. General⸗Major Antonie Freifrau von Wilczeck, geb. von Mühlenfels (Berlin). — Fr. Amanda von Borcke, geb. von der Groeben (Langfuhr). — Fr. Rittergutsbesitzer Auguste Pretzell, geb. Henning (Heyde). — Hr. Pastor em. A. Förster (Bunzlau).
—
Redacteur: Dr. H. Klee, Director. Berlin:
Verlag der Expedition (Scholz). . Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗ Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.
Sechs Beilagen
wirkung von Berthe Marz. Das Philharmonische
von Beethoven. Nach einer mythologischen
Freitag: Das Sonntagskind.
Orchester (Dir.: R. Herfurth).
* 8 8*
(einschließlich Börsen⸗Beilage).
eiger und Königlich Preu
10. Februar
Berlin, Mittwoch, den
Deeutscher Reichstag. 167. Sitzung vom Dienstag, 9. Februar. 2 Uhr.
Am Tische des Bundesraths der Staatssecretär Dr. von Boetticher und der Königlich bayerische Bevollmächtigte zum Bundesrath Graf von Lerchenfeld. Die zweite Berathung des Etats des Reichsamts des Innern (Altersversicherung, Reichs⸗Versicherungsamt nebst den Anträgen Auer und Möller auf Revision des Unfall⸗ versicherungsgesetzes) wird fortgesetzt.
Abg. Roesicke (b. k. F.): Die Sammlung von YVorrichtungen zur Unfallverhütung sei nicht erst entstanden dürc⸗ Reste der Berliner Ausstellung, sondern auf eine im Einverständniß mit dem Staats⸗ secretär Dr. von Boetticher schon 1887 erfolgte Anregung zurück⸗ zführen. Deshalb hoffe er, daß die von dem Staatssecretär zu⸗ gesagte Beihilfe zur Beschaffung von Räumlichkeiten sich in der Praxis noch vortheilhafter erweisen werde, als in der etwas hypothetischen Form seiner Rede. Deutschland dürfe sich auch nicht von Oesterreich, dem es auf dem Gebiete der Unfallversicherung voraus sei, auf dem der Un⸗ fallverhütung überholen lassen. Auch Preußen sei ja mit einer ähn⸗ lichen Sammlung vorangegangen. Der Antrag Auer enthalte nur in so fern Neues, als der Abg. Auer die Strafbestimmungen seiner früheren Anträge fortgelassen habe, die, wie die Socialdemokraten wohl selbst am besten wüßten, nur die Arbeiter schädigen würden. Aus praktischen Gründen wünsche er (Redner), daß den Berufs⸗ genossenschaften auch die mit der Beendigung des Heilverfahrens eintretende frühere Versicherungspflicht auferlegt werde. Der Zu⸗ sammenrechnung des letzten Arbeitsverdienstes und der Rente stimme er zu, vorausgesetzt, daß dies keinen höheren Betrag ergebe, als der Betreffende vor dem Unfall verdient habe. Im ge seien alle diese Fragen nicht wichtig genug, um sie allein zu regeln. Des⸗ halb habe er auch den Antrag Möller auf Vorlegung einer Novelle mitunterzeichnet, die alle diese Verhältnisse neu regele und die Versicherungspflicht auf Handwerk und Handelsbetrieb ausdehne. Damit würden auch die Berufsgenossenschaften einverstanden sein. Die Zahl der rückständigen Berufungen habe der Abg. Grillenberger mit 3000 bei weitem zu hoch gegriffen. Es seien ihrer etwa 1200, die sich nicht vermehren, sondern allmählich auf etwa 7 bis 800 vermindernwürden. Bei der Festsetzung der Rente dürften die Sectionsvorstände weder human, noch inhuman sein. Denn auf Anderer Kosten human sein, sei sehr leicht. Sie dürften sich überhaupt nicht vom Gefühl leiten lassen, sondern nur von den gesetzlichen Vorschriften. Die Unentgelt⸗ lichkeit des Berufungsverfahrens sei ein Hauptgrund, daß zahlreiche unbegründete Berufungen eingelegt würden, darüber dürfe man sich nicht wundern. Dem Vertreter für Bayern könne er nicht zugeben, daß die vorgenommenen Wahlen von Beisitzern durch die Geschäfts⸗ lage oder irgend welche Präcedenzfälle zu rechtfertigen seien. Es sollte
vielmehr, wie ein schon vorbereiteter Antrag Möller wolle, dem Bundesrath die Befugniß gegeben werden, die Zahl der Beisitzer aus den Arbeitgebern und Arbeitern um je sechs zu erhöhen. Die Frage der abweichenden Entscheidungen des Reichs⸗Versicherungsamts und der Landes⸗Versicherungsämter sei nicht mit Unrecht aufgeworfen worden. Neben dem Reichsamt beständen zur Zeit acht oder neun Landes⸗Versicherungsämter, darunter auch eins für Reuß ä. L.; aber was für Bayern vielleicht noch zutreffe, finde doch ganz und gar keine Anwendung auf Reuß ä. L. Der Abg. Dr. Hirsch habe dann ohne Veranlassung die Berufsgenossenschaften außerordent⸗ lich scharf angegriffen; er dürfe sich daher nicht wundern, wenn er ihm auch etwas scharf antworte. Das von ihm ganz in der sonst nur von den Socialdemokraten beliebten Weise getadelte Herabsetzen der Renten entspreche den Vorschriften und dem Sinn der Unfall⸗ berscherung, die nur zum theil eine Entschädigung für die verlorene Erwerbsfähigkeit bieten wolle. Eine bestimmte Rente könne also nur so lange gezahlt werden, als der entsprechende Grad von Erwerbs⸗ unfähigkeit vorliege. Die Zahl der abändernden Bescheide werde noch einige Jahre ansteigen und dann zum Stillstand kommen. Die Rente werde ziemlich hoch bemessen, damit die Leute sich länger schonen könnten, und dann naturgemäß herabgesetzt. Unbegründet sei auch seine Beschwerde, daß die Berufsgenossenschaften nicht genug Aerzte lujögen, um die Wahrheit zu ergründen. Es werde nächstens in Zerlin eine Verhandlung zwischen Mitgliedern des Aerztevereins⸗ bundes und der Berufsgenossenschaften stattfinden, um speciell diese Frage zu lösen. Das werde für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in so fern von Vortheil sein, als dadurch wahrscheinlich eine Reihe von vozessen vermieden werden würde. Haß trotz des Rechts der Berufs⸗ genossenschaften, Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen, bereits 1891 emne große Verminderung oder gar vollkommene Beseitigung der Unfälle stattfinden werde, habe 1885 Niemand erwartet. Die Statistik des Reichs⸗ Versicherungsamts widerspreche auch der Ansicht, daß die Unfälle meistens auf Arbeitgeber und Betriebsleiter zurückzuführen seien. ü 15 970 Unfällen im Jahre 1887 seien 4 % in Bezug auf de Ursachen unaufgeklärt geblieben, 43 % seien bei dem heutigen Stande der Technik überhaupt nicht zu vermeiden gewesen, 80%, seien auf die Schuld von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu gleichen Theilen zurückzuführen, 20 % lediglich auf die Schuld von lebeitgebern infolge mangelhafter oder fehlender Unfallverhütungs⸗ 1 tungen, 25 % lediglich auf die Unvorsichtigkeit und Schuld 1 rbeiter. Er erkenne gern an, daß die Arbeiter diese Vorsicht 8 mrmer üben könnten, es sei aber auch unbillig, die Unfälle schg Ch aif die bösen Arbeitgeber zurückzuführen. Von der Ueber⸗ . ees Verwaltungskosten der Berufsgenossenschaften bitte Rei 8 8 ündeten Regierungen, demnächst Abstand zu nehmen. Das S sage in einer Anmerkung ausdrücklich, daß se Zusammenstellung zu einem mit den verschiedenen vera genossenschaften gar keinen Anhalt biete. Andererseits beri darauf hingewiesen, daß die Zahl der Versicherten ücksichigt werden müsse,
auch die Betriebe, die Unfallgesghren, die räumliche Ausdehnung der Berufs⸗ 1 nossenschaften und sy fordere
8 denn eine solche Zu⸗ genosenftellung geradezu zu einem Vergleich der verschiedenen Berufs⸗ Vnsenschaften heraus. Er brauche sich dieses Vergleichs nicht zu 8 v denn seine Berufsgenossenschaft gehöre nicht zu den schlechtesten. schamnüch e aber eine Lanze für diejenigen Berufsgenossen⸗ würden die scheinbar nach dieser Zusammenstellung schlecht verwaltet 8 E. Es komme da auf mancherlei, namentlich auf ihre Größe mehr ine kleine, über das ganze Reich verbreitete erfordere natürlich Bezik Verwaltungskosten als eine große, die auf einen kleinen auf d oncentrirt sei. Die Zurückführung der Verwaltungskosten Löhne Lohnbeträge führe auch zu ungerechten Schlüssen. Seien die hoch, so würden für die Berufsgenossenschaften ö. 38 1000 ℳ gezahlten Lohnes sehr niedrig sein; seien die Löhne Png, so würden die Kosten sehr hoch sein. Sollte man von chen Zusammenstellung nicht abgehen wollen, so möge man age zu eimle Berufsgenossenschaften veranlassen, eine bessere Grund⸗ 1 solchen Statistik auf Grund ihrer ö16 nzufriedenhe; Abg. Dr. Hirsch habe von einer großen spr e. benheit über das und Invaliditätsgesetz ge⸗ grundsäg g vertretenen Gewerkverelne der A Gegner dieses Gesetzes seien, wisse man. Wenn Lasten der Alr Hirsch die geringen Leistungen und die zu hohen er nur Seeens⸗ und Invaliditätsversicherung getadelt habe, so habe aumt, ein besserndes Mittel anzugeben. Selbst die An⸗
8 Alters⸗ die von ihm
hänger der freien Versicherung würden zugeben, daß mit 7, 10, 15 ₰ für die Woche nicht mehr erreicht werden könne, als dieses Gesetz in Aussicht gestellt habe. Daß es den Sparsinn der Arbeiter be⸗ schränke, könne er nicht zugeben. Sparen könnten doch höchstens nur die unverheiratheten Arbeiter, die Verheiratheten könnten unmöglich so viel zurücklegen, um, diesem Gesetz entsprechend, eine hinreichende Sicherung für ihr Alter zu haben. Die Durchführung des Gesetzes möge allerdings hier und da Unbequemlichkeiten mit sich führen, namentlich für die kleinen Betriebe. Er bestreite garnicht, daß es verbesserungswerth und ⸗bedürftig sei, aber die Klagen würden bald ebenso verstummen, wie seiner Zeit in Bezug auf das Unfallgesetz. Die Fteten die für eine Abschaffung der Alters⸗ und Invaliditäts⸗ versicherung seien, würden bei den nächsten Wahlen sehr schlechte Ceschäfte machen. Die große Masse der Arbeiter wolle nicht die Abschaffung dieses Gesetzes, sondern seine Verbesserung und namentlich 8 größere Rente. 88
Staatssecretär Dr. von Boetticher: “
Der Herr Vorredner hat im Eingang seiner Betra tungen meine neuliche Erklärung über die Errichtung eines Museums für Unfallverhütungseinrichtungen als eine hypothetische bezeichnet, und hat gewissermaßen die Sorge daran geknüpft, daß, wenn die Be⸗ dingung, von der ich gesprochen habe, sich nicht erfüllen sollte, dann auch aus dem Museum nichts werden möchte. Er hat damit zu meiner Freude anerkannt, daß ich selber dem Gedanken der Errichtung eines Museums große Sympathie entgegenbringe, und ich möchte ihn heute über die Sorge, die er ausgesprochen hat, beruhigen. Die Sache liegt ganz einfach so, daß der Raum, den wir für ein solches Museum brauchen, uns gegenwärtig nicht zur Verfügung steht, daß aber beim Neubau des Reichs⸗Versicherungsamts, der, wie ich neulich schon bemerkte, in einigen Jahren fertig gestellt sein wird, eine Anzahl von Räumen reservirt werden wird, die, wenn das Reichs⸗Versicherungs⸗ amt nicht eine allzu große Ausdehnung gewinnen sollte — für deren Befriedigung ja natürlich in erster Linie gesorgt werden müßte —, sich sehr dazu eignen würden, diesem Museum eine Stätte zu be⸗ reiten. Ich glaube also, daß der Herr Vorredner mit mir ver⸗ trauensvoll der Durchführung des Museumsgedankens entgegen⸗ sehen kann.
Dann hat der Herr Vorroͤdner in seiner an Stoff ja sehr reich⸗ haltigen Rede auch wieder die Frage der Abänderung des § 87 des Unfallversicherungsgesetzes berührt und hat gemeint, es scheine ihm, zumal er von der Auffassung geleitet werde, daß die Wahl weiterer Stellvertreter über die in § 87 bezeichnete Zahl hinaus rechtlich unzulässig sei, doch richtig, gleich jetzt im Wege der Gesetzgebung Abhilfe zu schaffen. Ich bin an sich diesem Gedanken gar nicht ent⸗ gegen; möchte aber nur auf eins hinweisen.
Zunächst will ich, nachdem ich inmittelst die Acten eingesehen habe, die mir am Sonnabend nicht zur Hand waren, den Herrn Abg. Grillenberger wiederholt über die Annahme beruhigen, daß ich das Reichs⸗Versicherungsamt zu einer Ungesetzlichkeit bestimmt hätte. Die Verfügung, die von mir an das Reichs⸗Versicherungsamt auf seinen Vorschlag, diese Frage im Wege der Gesetzgebung zu ordnen, ergangen ist, spricht meine Auffassung darüber aus, wie dem vorhandenen Nothstand abzuhelfen sei, und stellt es dabei dem Reichs⸗Versicherungsamt anheim, seinerseits sich entweder dieser Auffassung anzuschließen oder nicht. Es ist also in keiner Weise ein Druck ausgeübt worden; nur die Vorlegung des von dem Reichs⸗Versicherungsamte damals vorgeschlagenen Gesetzentwurfs habe ich abgelehnt, weil der Reichstag und der Bundesrath damals nicht versammelt waren.
Nun liegt die Sache so, daß ich auch heute bei wiederholter Prüfung der Rechtsfrage der Meinung bin, man könne sehr wohl den § 87 dahin interpretiren, daß man, obwohl dort nur von der Bestellung eines ersten und eines zweiten Stellvertreters die Rede ist, auch über diese Zahl hinaus, natürlich in derselben Form, die das Gesetz vorschreibt, Stellvertreter bestellen kann, wenn das Bedürfniß es erheischt. Man nennt dies eine Maßregel, welche geschieht praeter legem, und eine solche Maßregel wird von der Jurisprudenz nicht für unzulässig gehalten. Wenn der Reichstag sich dieser Auffassung anschließen könnte, so würde mir das — ich gestehe es offen — in diesem Moment lieber sein. Die Wahlen für die überzähligen Mitglieder sind nämlich bereits vollzogen, und gestern hat, wie ich höre, zum ersten Mal ein solcher Stellvertreter im Spruchcollegium gesessen; auch wird die Regelung dieser Materie, wie mir scheint, ausgedehnt werden müssen auf die Frage — und ich glaube, der Herr Vorredner hat das auch berührt —, ob nicht auch die Arbeitervertreter zu vermehren wären. Dann wird man aber schließlich auf eine noch weitere Ver⸗ mehrung kommen, nämlich auf eine Vermehrung der Bundesrathsmit⸗ glieder im Reichs⸗Versicherungsamt; denn wenn diese Mitglieder zu oft sitzen müssen, so wird ihnen das auch lästig. (Heiterkeit.)
Also die Sache wird nicht so mit einem Wort abzumachen sein, sie wird untersucht werden müssen. Wenn der Reichstag aber Werth darauf legt, so bin ich eventuell bereit, noch in dieser Session mitzu⸗ wirken zu einer Beseitigung des Zweifels, der in rechtlicher Be⸗ ziehung hier angeregt worden ist.
Der Herr Vorredner hat dann in seiner Betrachtung die Uebersicht, welche auf Seite 11 der Rechnungsergebnisse der Berufsgenossenschaften über die Verwaltungskosten gegeben ist, als eine entbehrliche bezeichnet und hat gemeint, daß es wohl besser sei, diese Uebersicht wegzulassen. Die Auffassung, die er damit ausgesprochen hat, beruht doch, glaube ich, wesentlich auf dem Eindruck, daß es manchen Berufsgenossenschaften unangenehm sein könnte, wenn sie aus dieser Uebersicht entnehmen, daß ihre Verwaltungskosten sehr viel höher und anscheinend unverhält⸗ nißmäßig höher sind, als die Verwaltungskosten anderer Berufsgenossen⸗ schaften. Diese Uebersicht ist aber doch nicht so unwesentlich. Ich bin, soviel ich mich erinnere, nicht der Vater der Uebersicht, ich habe sie nicht angeordnet, sondern sie ist, soviel ich weiß, im Reichs⸗ Versicherungsamt entstanden. Sie hatte früher zwei Rubriken; diese genügten nicht, und darauf wurde die Nachweisung in der jetzigen er⸗ weiterten Form aufgenommen, indem man den ursprünglichen zwei Rubriken noch zwei weitere, welche die Verwaltungskosten vertheilen auf jeden Betrieb und auf jeden im Rechnungsjahre zur Anmeldung
gelangten Unfall, hinzufügte. Die Aufstellung einer Uebersicht über die Verwaltungskosten ist im Reichstag wiederholt angeregt und be⸗ sprochen worden, und die Aufstellung der Uebersicht geschieht auf
Grund der hierbei geäußerten Wünsche. 8
Diese Uebersicht giebt doch für manche Frage der Verwaltung ein unentbehrliches und nicht uninteressantes Bild. Ich erinnere z. B. daran, daß der Bundesrath, wvenn er über die anderweite Abgrenzung der Berufsgenossenschafts⸗Bezirke und die Bildung neuer Berufsgenossenschaften zu beschließen hat, Materia für die Entscheidung aus dieser Uebersicht entnehmen kann Ich gebe dem Herrn Vorredner zu, daß ein Urthei darüber, ob in einer Berufsgenossenschaft unzweckmäßig und zu theuer verwaltet wird, aus dieser Uebersicht kein zutreffender 1 Schluß gezogen werden kann, denn es ist klar, daß für die Höhe der Verwaltungskosten die ganzen Lebens⸗ und Wirthschafts bedingungen der Berufsgenossenschaften von wesentlichster Bedeutung sind. Allerdings kann eine Berufsgenossenschaft, wie die Schorn⸗ steinfeger⸗Berufsgenossenschaft, die über das ganze Reich verbreitet ist und mit einer Unzahl von ganz kleinen Betrieben zu thun hat, nicht so billig wirthschaften, wie eine auf einen engen Be⸗ zirk concentrirte Berufsgenossenschaft mit großen Betrieben. Ich glaube also, daß die Erwägungen, die ich übrigens bereitwillig zusage, über die Entbehrlichkeit dieser Uebersicht nicht dazu führen werden, sie in Zukunft fortzulassen.
Nun möchte ich mir noch ein paar Worte erlauben gegen die gestrigen Ausführungen des Herrn Abg. Dr. Hirsch. Herr Dr. Hirsch hat mir die Ehre angethan, mich als Candidaten für die Würde eines Ehrenmitgliedes der socialdemokratischen Partei zu empfehlen, und ich danke ihm für die gute Meinung. Allein ich kann davon keinen Gebrauch machen, ich glaube auch, daß die socialdemokratische Partei sich die Sache erst sehr überlegen wird, bevor sie mich zu ihrem Ehrenmitgliede macht. (Heiterkeit.)
Ich halte eine Candidatur des Herrn Abg. Dr. Hirsch für viel sicherer. Der Herr Abg. Roesicke hat das heute schon angedeutet, daß die Auffassungen und Anschauungen des Herrn Abg. Dr. Hirsch, die er uns gestern mitgetheilt hat, der socialdemokratischen Partei
sehr viel näher liegen, als die Auffassung der verbündeten Regierungen. Wenn Herr Dr. Hirsch zu diesem Vorschlage, mich zum Ehrenmit⸗ gliede der socialdemokratischen Partei zu ernennen, dadurch geführt worden ist, daß ich die Behauptung des Herrn Abg. Grillenberger nicht ausdrücklich zurückgewiesen habe, wonach der Staatssocialismus des Alters⸗ und Invaliditätsgesetzes dem Socialismus der Social⸗ demokratie sehr erheblich nahestehe, so erlaube ich mir, darauf auf⸗ merksam zu machen, daß ich nicht in der Lage bin, jede, un⸗ zutreffende Behauptung, die hier im Hause aufgestellt wird, zurück⸗ zuweisen. Das geht über meine Kräfte; ich muß mich eben auf das nothwendigste beschränken, wenn ich meiner Aufgabe gerecht werden will. Nun aber weiter: Herr Dr. Hirsch möge sich doch erinnern, daß die socialdemokratische Partei seiner Zeit gegen das Alters⸗ und Invaliditätsversicherungsgesetz gestimmt hat, und daß heute, wie er aus den Ausführungen des Herrn Abg. Grillenberger hat entnehmen können, die Socialdemokratie diesem Gesetze freundlich gegenübersteht. Ist nun nicht im Himmel mehr Freude über einen reuigen Sünder, als über hundert Gerechte? (Heiterkeit.) Ich glaube: der Gedanke findet sich sogar schon im Alten Testament. (Große Heiterkeit.) — „Mag es im Neuen oder Alten Testament stehen; meine Freude über diese Correctur der socialdemokratischen Auffassung ist eine große, und ich habe nicht unterlassen wollen, sie hiermit auszusprechen. Dann hat der Herr Abg. Hirsch gemeint, die Aufregung im
Lande sei groß, aber die freisinnige Partei habe nicht geschürt. Nun habe ich auch garnicht behauptet, daß die freisinnige Partei geschürt hat, aber ich habe allerdings aus den Preßstimmen, wie sie mir aus den freisinnigen Zeitungen entgegengetreten sind, Anlaß genommen, mich des alten Volksliedes zu erinnern:
A Bisserl Lieb' und a
Bissele Treu und a Bissele
Falschheit ist allweil dabei. (Heiterkeit.) Nun hat der Herr Abg. Dr. Hirsch gemeint, das Gesetz sei dem Reichstag aufgedrungen. Ich muß die Mitglieder dieses hohen Hauses gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, daß sie sich etwas gegen ihre bessere Ueberzeugung aufdrängen lassen. Und wenn er daran die fernere Bemerkung anknüpfte, daß das Gesetz heute im Reichstag keine Majorität finden würde, so habe ich ihm darauf zu erwidern, daß man unmöglich die Gesetzesvorschläge unter der Er⸗ wägung aufstellen kann, ob sie künftig einmal in einem künftigen Reichstag eine Majorität finden werden. Wir haben das Gesetz vereinbart mit dem damaligen Reichstag und haben ja zu unserer großen Freude die Zustimmung, wenn auch nur mit einer kleinen Majorität gefunden. (Zwischenruf.) — Ja, dann weiß der Herr Abg. Hirsch mehr als ich. Der Herr Abg. Dr. Hirsch hat über die Steuer⸗ last geklagt, die durch dieses Gesetz dem Lande auferlegt werde, und er hat gemeint, diese Steuerlast sei eine solche, daß ihr nicht einmal ein Aequivalent gegenüberstände, keine Erleichterung auf der anderen Seite. Der Herr von Helldorff hat dem Herrn Abg. Dr. Hirsch gegenüber schon gestern erwidert, daß die Beiträge für das Alters⸗ und Invaliditätsversicherungsgesetz überhaupt nicht als Steuer angesehen werden können. Abgesehen davon aber, möchte ich glauben, daß Herr Dr. Hirsch doch etwas zu weit geht, wenn er für eine solche Abgabe, für eine solche Steuer noch eine Entlastung auf der anderen Seite begehrt. Wo soll denn die Entlastung herkommen? Wenn man eben einen neuen Zweck erreichen will, den man nicht ohne Kosten erreichen kann, wie das hier mit der Fürsorge für die Alten und Invaliden der Fall ist, so muß man eben dafür Geld auf⸗ bringen, und da läßt sich aber nicht eine Entlastung gewähren, ohne daß man andere Aufgaben in Frage stellt. Dann endlich hat der Herr Abg. Dr. Hirsch noch von der Unzu⸗
friedenheit gesprochen, die im Lande herrsche. Ich kann in dieser Beziehung nur wiederholen, daß i
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