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Die heutige „Wiener Zeitung“ veröffentlicht die Ein⸗ berufung der Landtage zum 3. März.
Der ungarische Finanz⸗Minister Dr. Wekerle ist gestern Mittag in Wien eingetroffen; der Minister⸗Präsident Graf Szapary vifft heute früh ebenfalls daselbst ein. Es wird angenommen, daß es sich bei diesen Reisen um Besprechungen wegen der Ernennung eines neuen Gouverneurs der öster⸗ reichisch⸗ungarischen Bank, wegen Feststellung des Arbeits⸗ programms des ungarischen Parlaments und Bestimmung eines Termins für die Einberufung von Fachenqueten zum Zwecke der Valutaregulirung handelt.
Das „Armeeblatt“ veröffentlicht den angeblichen Wortlaut eines Erlasses des Reichs⸗Kriegs⸗Ministeriums an sämmtliche Militär⸗Territorial⸗Commandanten, worin der hohe Einfluß hervorgehoben wird, den die Belebung des religiösen Gefühls auf die sittliche Haltung der Soldaten ausübt. Zugleich werden die Bestimmungen des Reglements in Erinnerung gebracht, wonach die Mannschaäft mindestens allmonatlich einmal zur Kirche zu führen ist.
Wie dem „Frdbl.“ aus Lemberg berichtet wird, melden die an die Statthalterei einlaufenden Berichte ein Zunehmen der Hungersnoth unter der Landbevoöͤlkerung in den westlichen Bezirken Galiziens. Nach einem Berichte aus dem Krakauer Bezirke haben schon jetzt in 23 Gemeinden über 3000 Einwohner gar keine Lebensmittel, sie leben nur von milden Gaben. Gegen 1300 Landwirthe werden im Früh⸗ jahr aus Mangel an Saatgetreide ihre Felder nicht bestellen können. Der Krakauer Bezirks⸗Ausschuß wandte sich daher an die Militärverwaltung und die politische Behörde mit der Bitte um Beschleunigung der bei Krakau projectirten Fortifications⸗ und Weichsel⸗Regulirungsarbeiten.
Nach dem gegenwärtig vorliegenden definitiven Resultate der ungarischen Reichstagswahlen wurden 245 Anhänger der liberalen Partei, 86 Unabhängige, 61 Anhänger der Nationalpartei, 17 Anhänger Ugron's und 3 Parteilose ge⸗ wählt. Eine Neuwahl ist erforderlich. Unter den liberalen Abgeordneten befinden sich 73 Neugewählte; 93 Liberale wurden mit Stimmeneinhelligkeit gewählt.
Großbritannien und Irland.
Das Ministerium hat beschlossen, die Bill über die staatliche Unterstützung des Volksunterrichts in Irland nicht vor dem Ende des laufenden Finanzjahres im Parlament einzubringen, wodurch die Erledigung anderer Bills beschleunigt werden dürfte. Wie nach der „A. C.“ verlautet, soll der Unterricht in neunzehn größeren irischen Städten obligatorisch gemacht werden, während in dem übrigen Theil des Landes die Verhältnisse bleiben sollen, wie sie sind. Die Protestanten von Ulster wollen gegen diesen Compromiß energisch protestiren, da er dem Clerus bei der Vertheilung der Subvention ungebührlich zu gute kommen würde. Die meisten Parlaments⸗Abgeordneten sind der Ansicht, daß die Bill erst im nächsten Parlament werde zum Austrag gebracht werden.
Der mit der Ausarbeitung eines Altersversicherungs⸗ plans betraute Unterhaus⸗Ausschuß ist am 16. d. M. zusammengetreten, um die noch fehlenden Einzelheiten des während der Ferien weit vorgeschrittenen Werkes festzusetzen. Sobald der Entwurf vollständig fertiggestellt ist, sollen die Vertreter der großen Unterstützungskassen zu einer Conferenz mit den Urhebern des Plans eingeladen und dieser selbst sodann dem allgemeinen Ausschuß unterbreitet werden. Der Unterhaus⸗Ausschuß besteht aus den Abgg. Mr. Chamberlain, Mr. Ranken, Mr. Mallock und Mr. Hunter.
In Liverpool, wo wegen des Ablebens des Abg. Whitley, des bisherigen Vertreters des Wahlkreises Everton, eine Ersatz⸗ wahl nothwendig wurde, ist der conservative Candidat Willox für gewählt erklärt worden, da kein anderer Candidat aufgestellt war.
Ueber den Nothstand in Indien liegen in der „A. C.“ folgende neueren Nachrichten aus Kalkutta vom 14. Februar vor:
Die Lage in den nothleidenden Distrieten wird immer trauriger. In der Präsidentschaft Madras wächst die Zahl derjenigen, ee an den Nothbauten beschäftigt sind oder öffentliche Unterstützung erhalten, immer mehr. Salem ist jetzt auch amtlich für einen District erklärt worden, in welchem die für Hungersnoth gel⸗ tenden gesetzlichen Vorschriften zur Anwendung zu gelangen haben. In den Districten Kurnool, Bellary, Anantapur und Cuddapah im Deccan ist die Noth größer als irgendwo anders. Fast zehn Lakhs Rupien sind schon für Darlehen und zum Brunnengraben ver⸗ ausgabt worden und außerdem sind 1 ¼ Lakh für landwirthschaftliche Zwecke vertheilt worden. Die Regierung von Bombay hat amtlich constatirt, daß ein Nothstand herrscht, und die Vorschriften über die Hungersnoth auch auf Bijapur und Theile der Distriete Belgaum und Dharwar für anwendbar er⸗ klärt. In Bengalen hat sich der Himmel an den letzten Tagen umwölkt, aber es ist kein Regen gefallen. Die Zahl der Districte, in welchen eine halbe Mißernte beborstcht, ist groß. In einigen Theilen von Behar ist die Noth schon aufs höchste gestiegen. Der im letzten Monat gefallene Regen hat hoffentlich die Brunnen von Armere und Merwara gefüllt und die furchtbare Gefahr eines Mangels an Trinkwasser beseitigt.
Frankreich.
Nach amtlicher Ermittelung betrug, wie „W. T. B.“
meldet, die Gesammteinfuhr nach Frankreich im Monat
Januar d. J. 489 Mill. Fr. gegen 308 Mill. Fr. im Jahre 1891, die Ausfuhr belief sich auf 239 Mill. Fr. gegen 201 Mill. Fr. in demselben Monat des Vorjahres. — Die Einfuhr Frankreichs aus Deutschland im Jahre 1891 überstieg die vom Jahre vorher um 19 ½ Mill. Fr., die Ausfuhr Frankreichs nach Deutschland betrug in demselben Jahre 17 ¾ Mill. Fr. mehr als im Jahre 1890.
Rußland und Polen.
Der Kaiser hat, wie der „St. Pet. Ztg.“ zufolge dur Tagesbefehl im Militär⸗Ressort bekannt vrechen 1 dem 47. Tatarischen und dem 48. Ukrainischen Dra⸗ goner⸗Regiment, die im vorigen Jahre neu formirt wurden, die Standarten der früheren Ulanen⸗Regimenter gleichen Namens und silberne Trompeten verliehen, und zwar dem 47. Tatarischen zwölf silberne Trompeten des früheren Ulanen⸗Regiments gleichen Namens mit der Aufschrift: „Dem Tatarischen Ulanen⸗Regiment am 18. August 1813 für Auszeichnung gegen den Feind in der Schlacht bei Kulm“ und dem 48. Ukrainischen 11 silberne Trompeten des früheren 1. Ukrainischen Kosaken⸗, nachherigen Ulanen⸗Regiments mit der Aufschrift: „Dem 1. Ukrainischen
Regiment am 30. August 1814.“
Das Communications⸗Ministerium hat, wie man dem „D. B. H.“ aus St. Petersburg meldet, beschlossen, den
Bau der sibirischen Bahn gleichzeitig von zwei Seit
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aus in Angriff zu nehmen, und zwar vom Ural und von Wladiwostock aus. In diesem Jahre sollen 400 Werst gebaut und die gesammte Bahn in zwölf Jahren fertig gestellt werden.
Der Senat hat gestern die zwischen Deutschland und Italien vereinbarte Convention über den Marken⸗ und Musterschutz ohne Discussion angenommen.
In der Deputirtenkammer erwiderte der Minister⸗ Präsident Marchese di Rudini gestern auf eine Anfrage des Deputirten Grafen Antonelli: er halte die Gerüchte von dem Abbruch der Beziehungen zwischen Menelik und Ras Mangascha sowie von einem bevorstehenden Kriege mit Tigre für unbegründet. Der Minister⸗Präsident be⸗ tonte dabei, nach dem „W. T. B.“, zugleich, er werde an der von Italien in Afrika befolgten Politik nichts ändern. — In der dann folgenden Debatte über die Unruhen an den italienischen Universitäten erklärte der Unterrichts⸗Minister Villari: die jährlich wieder⸗ kehrenden Tumulte an den Universitäten seien eine Schande für das Land und durch nichts entschuldbar; er habe erst spät den Weg der Strenge eingeschlagen, sei aber nunmehr ent⸗ schlossen, bis ans Ende zu gehen. Diese Erklärung nahm das Haus mit Beifall auf. Eine von der Regierung genehmigte Tagesordnung wurde angenommen, die von der Opposition beantragte jedoch u1“ — Im weiteren Verlaufe der Sitzung brachte der Abgeordnete Imbriani eine Inter⸗ pellation über deae tge offenkundige Verletzungen des Ber⸗ liner Vertrags von seiten einer der Signatarmächte ein.
Ueber das Befinden des e cirkulirten in den letzten Tagen wieder ungünstige Gerüchte, die noch verstärkt wurden durch den Umstand, daß der päpstliche Leibarzt während der Nacht im Vatican verblieb. Thatsache ist, wie die „Ger⸗ mania“ mittheilt, daß sich der Papst infolge des Todes seines intimen Freundes, des, wie schon gemeldet, am 13. d. M. verstorbenen Uditore santissimo Msgr. Boccali, etwas an⸗ gegriffen fühlt, daß aber irgendwelche Befürchtungen nicht vorliegen.
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Dem Berner „Bund“ zufolge werden die Handels⸗ vertrags⸗Unterhandlungen der Schweiz mit Frank⸗ reich vor Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Italien kaum eröffnet werden, jedoch sei letzteres bald zu erwarten. Die Anwendung des italienischen und schweizerischen General⸗ tarifs, sagt der „Bund“, sei noch kein Zollkrieg.
Der Zürcher Cantonsrath hat, der „Magdb. Ztg.“ zufolge, nach langer Debatte mit 83 gegen 82 Stimmen den Regierungsrath für competent erklärt, ein Frem denbureau einzurichten. 1
Niederlande.
8 5 ““ 3 3 3 8 “ Die Königin⸗Regentin und die Königin Wil⸗ helmine werden, wie der „Hann. Cour.“ aus Amsterdam erfährt, demnächst eine Rundreise durch die Provinzen antreten. — Die Generalstaaten, welche am 1. März ihre parla⸗ mentarische Thätigkeit wieder aufnehmen, werden sich zunächst mit der Regierungsvorlage über den obligaten Volksschul⸗ b und sodann mit der Militärreform zu beschäftigen haben.
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Luxemburg. Luxemburg, 15. Februar. Der Stadtrath hat die vier Mitglieder des Collegiums, welche nunmehr seit einem Jahre aus Anlaß eines damals ausgebrochenen Zwistes sich jeder Betheiligung an den Debatten und jeder Abstimmung enthielten, in seiner vorgestrigen Sitzung, wie der „Madb. Ztg.“ gemeldet wird, von der ferneren Theilnahme an den Berathungen ausgeschlossen.
Belgien.
Die mit der Vorberathung der Verfassungsrevision beschäftigten Sectionen der Kammer discutirten in ihrer gestrigen Sitzung über das Referendum. Drei Sectionen verwarfen, nach der „Frkf. Ztg.“, den Antrag, die drei andern nahmen ihn an. Im ganzen ergab die Berathung 49 Stimmen für und 33 dagegen bei 14 Enthaltungen.
Türkei. Wie die „Agence de Constantinople“ meldet, ist der seines Amtes entsetzte armenische Erzbischof (vgl. Nr. 41 d. Bl.) vom Sultan begnadigt worden; er unterstehe aber der Aufsicht der Kirchenbehörden und bleibe deshalb den von dem Patriarchat zu verhängenden Kirchenstrafen unter⸗ worfen.
Rumänien.
Bei den gestern vorgenommenen Senatswahlen wurden, wie „W. T. B.“ berichtet, 42 Conservative und 9 Oppositionelle gewählt. 9 Stichwahlen sind erforderlich.
Nach einem Telegramm der „Magd. Ztg.“ von gestern hat die Opposition unter Protest gegen die jüngsten Wahlen beschlossen, von der Deputirtenkammer fern zu bleiben.
Serbien.
Eine Erklärung des Koͤnigs Milan, in welcher derselbe auf alle Rechte als Mitglied des Königlichen Hauses verzichtet, wird dem „W. T. B.“ zufolge dem⸗ nächst an die Skupschtina gelangen.
Amerika. “ canadischen Commissare, welche die Präliminar⸗ Verhandlungen zum Abschluß eines neuen Handelsvertrages mit den Vereinigten Staaten geführt haben, sind am 15. d. M. von Washington wieder abgereist. Ueber das Ergebniß der Verhandlungen verlautet noch nichts. b Der Senat hat einen Beschluß genehmigt, wodurch die Ausschüsse des Senats und des Repraͤsentantenhauses für die Einwanderung aufgefordert werden, eine Unters uchung über die Typhusfälle anzustellen, welche kürzlich bei ein⸗ gewanderten russischen Juden vorgekommen sind.
Die demokratische Mehrheit des Ausschusses des Re⸗ präsentantenhauses für Mittel und Wege beschloß, eine Bill einzubringen, wodurch alles Garn zum Binden, welches ganz oder theilweise aus Tampico, Jute, Manilla, Sisalgras oder Sungras hergestellt ist, vom Zoll befreit werden soll.
Nach in Paris eingegangenen Meldungen des „W. T. B.“ aus Pernambuco sind auch in der brasilianischen Provinz Ceara Unruhen ausgebrochen und hat die Be⸗
ung de erneur der Provinz vertrieben.
In Japan ist es bei den gegenwärtigen Wahlen dem neuen Parlament (s. d. gestr. Nr. d. Bl.) nach eine Reuter'schen Telegramm aus YNokohama vom 17. Februm auch in Ogi zu einem Krawall gekommen. Die Polizei s heißt es in der Meldung, sei von den Ruhestörern angegriff 4 worden und habe sich zurückziehen müͤssen. Bei den bereits gemeldeten Unruhen in Saga seien mehrere Personen getödtet und eine beträchtliche Anzahl verwundet worden;: die Aufregun in Saga dauere noch fort. hä;-
8 Parlamentarische Nachrichten.
In der heutigen (176.) Sitzung des Reichstags, der General⸗Major von Goßler “ 88 als Mitglied der Reichs⸗Schuldencommission an Stelle des aus⸗ scheidenden Abg. Kochann “ der Abg. Prinz v on Arenberg (Centr.) auf Vorschlag des Abg. Grafen von Ballestrem durch Acclamation gewählt und sodann die Specialberathun des Etats der Heeresverwaltung für das Etatsjahe 1892/93 fortgesetzt. DOhrne Besprechung wurden die Capitel 19 bis 23 (höhere Truppenbefehlshaber, Gouverneure, Commandanten und latz⸗ majore, Adjutantur⸗Offiziere und Offiziere in besonderen Stellungen, Generalstab und Landesvermessungswesen, In bn. ümg “ bewilligt. “
Cap. 24 enthält die Ausgaben für die Geldverpfle der Truppen, dessen Tit. 7, Uebungen der Mann faflegung des Beurlaubtenstandes, eine längere Besprechung ver⸗ anlaßte, an der sich der Berichterstatter Abg. von Keudell (Rp.), der Abg. Richter (dfr.) und der Mafor Ga de theiligten. (Schluß des Blattes.) 18
— In der heutigen (17.) Sitzung des Hauses do Abgeordneten, welcher der S Mnister Dr. Sadn und der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen bei⸗ wohnten, wurde die zweite Berathung des Staats⸗ haushalts⸗Etats für 1892/93 beim Etat der Eisen⸗ bahn verwaltung fortgesetzt.
Zu diesem Etat lagen vor: ein Antrag der Abg g. Hitze Dr. Lieber u. Gen. (Centr.), welcher die Ermöglichung einer größeren Sonntagsruhe für die Eisenbahnbeamten und Ar⸗ beiter, insbesondere durch möglichste Einschränkung des Güter⸗ verkehrs an Sonntagen, wünscht, sowie ein Antrag des Abg. Broemel (dfr.), welcher eine Fortführung der Reform der Personentarife auf Grund des Planes von 1891, jedoch unter Ausschluß von Tariferhöhungen, verlangt.
Bei dem Titel der Einnahme aus dem Personenverkehr referirte der Berichterstatter der Budgetcommission Abg. von Tiedemann (freicons.) eingehend über die Commissions⸗ verhandlungen betreffend die Organisation der Verwaltung, die Vorbildung der höheren Beamten, die Betriebslängen und Grundsätze für weitere Eisenbahnbauten, die Betriebsergebnise im allgemeinen, das Anwachsen der Ausgaben, die bisherige Ausführung des Eisenbahn⸗Garantiegesetzes sowie das Verhält⸗ niß der Eisenbahnverwaltung zur allgemeinen Finanzverwaltung und zur Ober⸗Rechnungskammer.
Der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen dankte der Budgetcommission für die wohlwollende Prüfung des Etats und betonte die Nothwendigkeit, in der jetzigen Periode der Verminderung der Betriebsüber⸗ schüsse sparsam zu wirthschaften. Dazu bedürfe er der Unterstützung der Volksvertretung, um die er bitte. Das laufende Jahr schließe ungünstig ab, auch im Januar weise der Güterverkehr einen Einnahmeausfall auf, weil der milde Winter die Schiffahrt begünstige und die Handelsverträge die Transporte im Januar zuruͤckhielten.
Abg. von Puttkam er⸗Plauth (cons.) sprach gegen eine Ermäßigung der Personentarife, welche die Verhältnisse des Ostens völlig verschieben würde, und befürwortete die Staffel⸗ tarife. Nach der Ablehnung der Aufhebung des Identitäts⸗ nachweises müsse dem Osten durch Herabsetzung der Güter⸗ tarife geholfen werden. Ergäben sich Nachtheile aus den Staffeltarifen, so könne man sie wieder aufheben, aber irgend etwas müsse für den Osten geschehen, denn die Noth sei groß. Abg. Simon⸗Waldenburg (nl.) bestritt den Werth des Eisenbahngarantiegesetzes und wünschte, daß immer weniger von den Eisenbahnüberschüssen für allgemeine Staatszweck verwendet und dafür die Eisenbahnschuld möglichst getilgt werde, damit Tarifermäßigungen eintreten könnten. Die mechanische Aufstellung des Etats nach dem Durchschnitt der letzten Jahre sei nicht empfehlenswerth. Redner wüͤnschte ferner eine bessere technische Vorbildung der höheren Eisen⸗ bahnbeamten und empfahl dazu die Schaffung einer beson⸗ deren Eisenbahncarriere. Dem Beduürfniß für Secundär⸗ bahnen bat Redner dadurch besser Rechnung zu tragen, daß man den Bau derselben auch Privaten gestatte. 8
Der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen hoffte, daß die jetzige Periode des Niedergangs nur vorübergehend sein werde. Würden die Einnahmen nicht erreicht, so würden auch die Ausgaben theilweise erspart werden. Mit der Orga⸗ nisation der Staatseisenbahnen habe sich die Regierung Vertrauen und Anerkennung erworben, aber die Orga⸗ nisation leide noch vielfach unter dem übermäßigen Schreibwert. Für eine Reform in der Ausbildung der höheren Beamten habe er bereits ein Project den Directions⸗Präsidenten zur Begutachtung vorgelegt. Der Bau von Eisenbahnen sei den Privaten nicht verschränkt. Die Staffeltarife wolle die Regierung nicht aufheben, bevor die neue Ernte transport fähig sei.
Abg. Schmieding (nl.) wünschte gleichfalls die Zu lassung des Privatcapitals zu Eisenbahnbauten und hielt den jetzigen Zeitpunkt für besonders günstig für eine Verbesserung des Eisenbahngarantiegesetzes. (Schluß des Blattes.) n
— Die Budgetcommission des Reichstags nahm heute die Berathung des Marine⸗Etats wieder 18 Fn Titel 2 der Ausgaben werden für 22 neue Stellen oberer Chargen 80340 ℳ ge fordert. Nach längerer Besprechung wurden statt der ge forderten Summe nur 58 260 ℳ bewilligt. Die übrigen Forde rungen von Cap. 51 (Militärpersonal) wurden unverändert gene migt. In Cap. 52 werden 10 232 700 ℳ gefordert (Indiensthaltung der Schiffe und Fahrzeuge). Auf Antrag des Abg. Fribesd (Centr.) wurden hier nach längerer Debatte gegen den Widerspru des Staatssecretärs Hollmann 636 515 ℳ, welche als „Kosten der vermehrten Indiensthaltungen“ angesetzt sind, gestrichen. — Cap. 60 Tit. 1 (Werftbetrieb, Besoldungen) wurden 893 600 ℳ ge fordert, 77 300 ℳ mehr als im vorigen Jahr. Auch diese Mei forderung wurde gestrichen. 161611u“
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— In der Commission des Hauses der Abgeordneten für das Gesetz über die Kosten Königlicher Polizeiverwal⸗ kungen in Stadtgemeinden sind die ersten drei Paragraphen, nach Ablehnung des Antrags Krause auf Herabsetzung der von den Communen zu zahlenden Beiträge, unverändert nach der Regierungs⸗ vorlage angenommen worden. § 4 wurde mit einer unwesentlichen Abänderung genehmigt. In § 5, welcher besagt, daß, wenn sich die Ortspolizeiverwaltung auf benachbarte Gemeinden und Gutsbezirke erstrecke, diese auch zu den Kosten herangezogen werden könnten, wur⸗ den jedoch die Gutsbezirke von dieser Verpflichtung ausgenommen. — Die erste Lesung des Gesetzentwurfs, der neun Paragraphen ent⸗ hält, soll morgen Abend zum Abschluß gebracht werden.
Entscheidungen des Ober⸗Verwaltungsgerichts.
Nach der Judicatur des Königlichen Ober⸗Verwaltungsgerichts bezüglich der Auslegung der §§ 1 und 11 des Fluchtliniengesetzes vom 2. Juli 1875 ist die Wirkung der Baufluchtlinie an sich die, daß der Regel nach jede die Luftlinie der Bauflucht überschreitende bauliche Anlage, mag man sie nun Ausbau, Hinausbau oder Neubau nennen, seitens der zuständigen Behörde verhindert werden muß. Die §§ 78 bis 82 Theil 1 Titel 8 des allgemeinen Landrechts geben der Polizeibehörde die Befugniß, nach ihrem Ermessen die Einrichtung von Kellerhälsen, die Anlegung von Erkern, Läden, Wetterdächern und in Straßen sich hineinstreckenden Schildern u. s. w. zu gestatten. Bei einem Verwaltungsstreit war die Frage zu entscheiden, ob nunmehr nach Erlaß des Gesetzes vom 2. Juli 1875 diese Möglichkeit ausgeschlossen sei. In dem Erkenntnisse vom 13. November 1891 (IV 1047) hat das Königliche Ober⸗ Verwaltungsgericht IV. Senat dieses verneint, indem es aus⸗ führt, daß man, wie die Geschichte der Entstehung und Berathung des Gesetzes nachweise, davon ausgegangen sei, daß bezüglich der hier fraglichen Wirkung der Fluchtlinie etwas von dem bisherigen Rechts⸗ zustande Abweichendes nicht geschaffen, dieser vielmehr habe aufrecht werden sollen. Danach sei die wesentliche Bedeutung des § 11 des lediglich die Neuanlegung und Veränderung der Straßen betreffenden Gesetzes darin zu finden, daß durch denselben zur Erleichterung der Straßenanlegung die durch die Bebauungspläne für Straßen und Plätze bestimmten Flächen schon vor ihrer Enteignung und Widmung zu Straßen diesen selbst bezüglich der Einschränkung ihrer Bebauung gleichgestellt würden; dagegen fehle jeder Anlaß, diese Ein⸗ schränkung noch über die für schon vorhandene Straßen nach allge⸗ meinen gesetzlichen Bestimmungen bestehenden Grenzen hinaus derartig auszudehnen, daß insbesondere die Anwendung der obengenannten Bestimmungen des Allg. Landrechts für die projectirten oder nach dem Gesetze vom 2. Juli 1875 entstandenen Straßen ausgeschlossen würde. Jene landrechtlichen Vorschriften seien nicht besonders und ausschließlich für die Anlegung und Veränderung von Straßen gegeben und seien deshalb auch nicht durch das Gesetz vom 2. Juli 1875 auf⸗ gehoben; sie beherrschten vielmehr als allgemeine Norm auch die Handhabung des § 11 a. a. O. insofern, als die Beschränkung des Grundeigenthümers in der Bebauung seines Grundstücks an der projectirten künftigen Straße in den fraglichen Beziehungen keine größere sein solle, als an der vollendeten bezw. längst bestehenden Straße. Das Ober⸗ Verwaltungsgericht weist hierbei noch darauf hin, daß es nicht die Absicht des Gesetzgebers hätte sein können, für ältere, sich weiter aus⸗ dehnende Städte zwei verschiedene räumlich getrennte Baurechte zu statuiren, eines für die älteren Stadttheile, nach welchem Erker u. s. w. gestattet sein würden, und ein anderes der neuen Stadttheile, in denen jeder Vorsprung ꝛc. bei entstehenden Straßen verboten wäre. Es habe vielmehr nach wie vor in Anwendung der landrechtlichen Bestimmungen die Polizeibehörde berechtigt sein sollen, Vorsprünge und Hinausbauten der dort genannten Art nach polizeilichen Gesichts⸗ punkten und polizeilichem Ermessen zu gestatten, auch über das Maß und den Umfang ihrer Zulassung Polizeivorschriften zu erlassen, wie dieses denn auch in fast allen Städten geschehen sei.
Kunst und Wissenschaft.
Nach einer in der Sitzung der französischen Akademie der Wissenschaften am 15. d. M. gemachten Mittheilung sind auch auf den Observatorien in Meudon und Perpignan in der Nacht vom 13. zum 14. d. M. magnetische Störungen in einem Umfange beobachtet worden, wie bisher noch nie.
— Von dem dreizehnten Bande des Jahrbuchs der König⸗ lich Preußischen Kunstsammlungen ist unlängst das erste Left erschienen, welches Studien über lombardische Bildwerke in Spanien von C. Justi enthält, auf die wir nach ihrem Abschluß, der für die nächsten Hefte in Aussicht gestellt ist, zurückzukommen ge⸗ denken. An zweiter Stelle veröffentlicht der englische Kunstforscher Sidney Colvin den jüngst vom Britischen Museum erworbenen Entwurf zu einem der großen Wandbilder, die zwischen 1365 und 1515 in der Sala del maggior consiglio von den bedeutendsten venetia⸗ nischen Künstlern ausgeführt wurden und 1577 einer Feuersbrunst zum Opfer fielen. Die Zurückführung dieser merkwürdig frei und breit behandelten Federskizze, welche bereits im 17. Jahrhundert Rembrandt zur Nachzeichnung reizte, auf die Hand des Gentile oder Giovanni Bellini dürfte vielleicht hie und da kritischen Bedenken begegnen. Ge⸗ sichert ist dagegen die Zugehörigkeit zu dem genannten Cycelus, welcher die Kämpfe Friedrich Barbarossa's mit Papst Alexander III. be⸗ handelte. — W. Bode giebt gelegentlich der Publikation eines alt⸗ persischen Teppichs aus dem Besitz der Königlichen Museen wichtige, lichtvolle Beiträge zur Geschichte der westasiatischen Textilindustrie; das Vorkommen einzelner Teppichmuster auf Bildern der nieder⸗ ländischen und italienischen Schule im fünfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert bietet dem Verfasser werth⸗ volle Anhaltspunkte für die sonst so schwierige Datirung der verschiedenartigen Textilmotive. Man darf der Fortsetzung dieser Studien mit der Erwartung entgegensehen, daß durch sie dieses noch vielfach dunkle Gebiet der Forschung wesentlich aufgeklärt werden wird. — Den Beschluß des Heftes bildet eine Untersuchung J. Lessing's über den Hochzeitsbecher, welchen seiner Inschrift zufolge die Universität Wittenberg Martin Luther 1525 verehrte. Wenn auch die historische Beglaubigung dieser Beziehung zu dem großen Reformator trotz oder vielmehr wegen der Inschrift nicht über jeden Zweifel erhaben ist, behält doch der unlängst im Kunstgewerbe⸗Museum ausgestellte Pokal seine Bedeutung als eine treffliche Leistung der Augsburger Goldschmiedezunft um 1525. Die gegenwärtige Besitzerin des werthvollen Stückes, die Greifswalder Universität, hat die Nachbildung desselben für das Berliner Kunst⸗ Fewerbe⸗Museum gestattet, desen Sammlung von galvanoplastischen Lopien älterer Goldschmiedewerke damit eine schätzenswerthe Be⸗ reicherung zu theil geworden ist. . B — Nach dem soeben erschienenen Jahresbericht über die Heobachtungs⸗Ergebnisse der forstlich⸗meteorologischen Stationen im Jahre 1890 (16. Jahrgan „ herausgegeben nnnd Dr. A. Müttrich, Professor an der Königlichen Forst⸗ Abt emie zu Eberswalde und Dirigenten der meteorologischen 8 theilung des forstlichen Versuchswesens in Preußen; Verlag von Pulius Springer in Berlin) hat die Zahl der Stationen (16) im arichtsjahr gegen 1889 keine Veränderung erfahren. Die Beob⸗
tungsresultate der drei in Elsaß⸗Lothringen belegenen Stationen sacgenau, Neumath und Melkerei sind sowohl für die monatlich er⸗ heinenden Publicationen als auch für den Jahresbericht durch 8 d forstliche Versuchsanstalt in Straßburg zusammengestellt K vden. Für die übrigen Stationen (Fritzen, Kurwien, RKarlsberg. Eberswalde, Schmiedefeld, Friedrichsrode, Sonnen⸗ Hoßt Narienthal, Lintzel, Hadersleben, Schoo, Lahnhof, erath) ist die Bearbeitung der Beobachtungen durch die
Hauptstation des forstlichen Versuchswesens in Preußen, in Ebers⸗ walde, ausgeführt worden. Die höchste Gesammtmenge der Niederschläge sowohl im Freien wie im Walde wurde constatirt auf der Station Melkerei bei der Oberförsterei Barr in Unter⸗Elsaß (1593,7 bezw. 1223,4 mm). Die größte Anzahl von Tagen mit v im Freien (196) hatte die Station Sonnen⸗ berg (Oberförsterei Andreasberg). Was die Bewölkung betrifft, so hatten die meisten trüben Tage (206) die Stationen Schmiedefeld (im Thüringer Walde) und Sonnenberg, die meisten hellen (79) die Station Melkerei zu verzeichnen. Die Windtabellen der 16 Stationen zeigen, von den Monaten Februar und Dezember abgesehen, ein ent⸗ schiedenes Vorwiegen der westlichen und südwestlichen Richtung. Die größte Zahl der Eistage (74) meldete die Station Karlsberg (Re⸗ gierungsbezirk Breslau), die meisten Frosttage (185) Sonnenberg, die meisten Sommertage (56) Kurwien (Regierungsbezirk Gumbinnen).
— Dr. Preuß hat bei der Zerstörung Bueas seine wissen⸗ schaftlichen Sammlungen gerettet und am 15. v. M. an das Museum für Völkerkunde gelangen lassen. Von dieser außer⸗ dem noch präparirte Pflanzen und einige Gesteinsproben enthaltenden Sendung sind der zoologischen Sammlung des Museums für Naturkunde 20 Säugethierfelle, zum theit mit Schädel, und 150 Vogelbälge und mumificirte Vögel überwiesen worden. Unter den Säugethieren sind sehr seltene und wahrscheinlich auch neue Arten enthalten. Die Vogelsendung ist die beste, welche bisher aus West⸗Afrika hierher gelangt ist; einige zwanzig Arten sind neu für das Museum, 14 für die Wissenschaft ent⸗ deckt, viele von hohem zoologischen Interesse. — Von Dr. Büttner ist aus Bismarcksburg am 19. Dezember v. J. ebenfalls wieder eine Sendung bei der zoologischen Sammlung eingetroffen. Sie enthält u. A. 8 Säugethiere und 1 Schildkröte in Alkohol, 8 Vögel, 1 Eidechse, 300 Käferlarven, 200 Schmetterlinge und etwa die gleiche Anzahl anderer Kerbthiere. Wenn auch die Säugethiere und Rep⸗ tilien in Alkohol nicht gut erhalten sind, so haben sie doch Werth in zoogeographischer Beziehung. Von den Schmetterlingen ist etwa di Hälfte durch Rost oder Schimmel zerstört; etwa 50 Stück besitzen wissenschaftlichen Werth. Die Mehrzahl der meist kleinen Käfer⸗ specien fehlte bisher in der zoologischen Sammlung und ist noch unbeschrieben. — Von Emin sind vier Kisten mit natur⸗ historischen und botanischen Gegenständen eingegangen. — Der Kanzler für das Schutzgebiet der Neu⸗Guinea⸗Compagnie Schmiele hat seinen Aufenthalt auf der in ethnologischer Hinsicht besonders interessanten Insel Nissan dazu benutzt, um eine thunlichst vollständige Sammlung der den Eingeborenen dieser und der French⸗Inseln eigen⸗ thümlichen Gebrauchs⸗ und Schmuckgegenstände, sowie Waffen zu⸗ sammenzubringen. Herr Schmiele hat sich bereit erklärt, die Gegen⸗ stände, über welche eingehende Notizen des Sammlers hier vorliegen, dem Museum für Völkerkunde unentgeltlich zu überlassen, und ist die Sammlung bereits mit dem Dampfer „Nierstein“ der Hansalinie ab⸗ gesandt worden.
— Der hochselige König Karl von Württemberg hat, wie nach einer Meldung der „Mgdb. Ztg.“ aus Stuttgart erst jetzt bekannt wird, der Königlichen Staatsgalerie daselbst fünf höchst werthvolle Gemälde vermacht, und zwar „Italienische Mädchen“ von Guffens, „Studienkopf“ von Landelle, „Interieur“ von van Hove, „Campagna“ von Bürkel und ein maurisch⸗spanisches Architekturbild von Bossuet. Auch der plastischen Sammlung hat König Karl zwei Werke vermacht. Seine gesammten Musikalien, über 1000 Nummern, darunter außerordentlich werthvolle Stücke, sind durch die letzte Willensverfügung des Königs Karl dem Con⸗ servatorium für Musik in Stuttgart zugewendet worden.
— Das Denkmal für Andreas Sigismund Marggraf, den Pfadfinder auf dem Gebiet der Zuckerrübenindustrie, der im Jahre 1782 als Professor der Chemie und Director der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin starb, wird sich der „A. R. C.“ zufolge nicht, wie das anläßlich des hundertjährigen Todestages Marggraf's zusammengetretene Denkmalscomité ursprünglich plante, vor der Landwirthschaftlichen Hochschule erheben, sondern in Form einer Broncebüste nebst Gedenktafel die Front des Universitäts⸗Laboratoriums, Dorotheenstraße Nr. 10, zieren, und zwar als Seitenstück zu der Büste seines Schülers Franz Carl Achard, welcher die Marggraf'schen Entdeckungen über den Rübenzucker zuerst praktisch verwerthete. Die Anfertigung beider Büsten ist dem Bildhauer Ferdinand Lepke, einem Schüler Schaper's, übertragen worden.
— Wie man der „Wes.⸗Ztg.“ aus Amsterdam vom 14. Fe⸗ bruar schreibt, hat der dortige Stadtarchivar Dr. de Roever im Königlichen Palais daselbst ein neues Bild von Rembrandt entdeckt. In der Correspondenz heißt es: „Bekanntlich war das Ge⸗ bäude ehemals Rathhaus, allein nachdem dasselbe zu einem Palais für König Ludwig Napoleon umgebaut war, wurde die große Galerie, welche den inneren Hof umgab, in verschiedene Zimmer eingetheilt, wodurch die meisten Bogen mit den darauf gemalten Bildern das erforderliche Licht entbehren mußten. In einer dieser Bogenflächen befand sich ein großes Bild, fast ebenso groß wie „die Nachtwache“, mit dem Namen: „Het Eedgenootscha der Batavieren onder Claudius Civilis“ (Die Eidgenossenschaft der Bataven unter Claudius Civilis.) Die Darstellung zeigt ein Festmahl der Bataven, nach welchem das Stammhaupt Claudius Civilis seine Landsleute zum Kampfe gegen die Herrschaft der Römer auffordert. Dieses Bild, das im Halbdunkel und außerdem sehr hoch gestellt war, galt bisher für ein Kunstwerk des holländischen Malers Jurriaan Ovens, der in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahr⸗ hunderts lebte. Nach einer genauen Untersuchung hat der Archivar jetzt die Beweise gefunden, daß dieses Bild von Rembrandt gemalt ist. Eine zweite genauere Prüfung, nachdem das Bild heruntergeholt worden ist, muß noch erfolgen, bevor das Festmahl der Bataven nach der Rembrandt⸗Galerie im Reichsmuseum gebracht werden kann.“
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Theater und Musik.
Sing⸗Akademie.
Der Herzoglich sächsische Kammersänger Herr Benno Köbke ab gestern einen Liederabend, wie er einen solchen schon im vorigen Jahre veranstaltet hatte. Seine sehr umfangreiche, in der Höhe be⸗ sonders wohlklingende Tenorstimme ist zugleich gut geschult, wie aus der sicheren Intonation, der Deutlichkeit der Aussprache und aus der eschickten Verwendung des Falsets hervorgeht, das seinem Piano einen besonderen Reiz verleiht. In dem Vortrag der Lieder von Beethoven, Cornelius, Brahms, Liszt, Tappert, Leß⸗ mann und anderen bewies der Künstler viel Geschmack und Lebendig⸗ keit, nur in dem der Schubert'schen Lieder blieb ein tieferes Eingehen zu wünschen. Der bereits wohlbekannte Pianist Herr Hans Brüning unterstützte den Liederabend durch zwei 8 effectvolle Clavierstücke eigner Composition: „Impromptu“ und „Ballade“, denen er noch zwei Stücke von Gluck⸗St. Saëns und Chopin folgen ließ. Römischer Hof.
Der Baritonist Herr Ernst Brodmann, durch manche Concert⸗ leistungen bereits bekannt, gab gestern hier seinen ersten eigenen Lieder⸗ abend. Seiner Stimme fehlt es nicht an einer gewissen jugendlichen Kraft, doch ist sie noch nicht sorgfältig genug ausgebildet. Der Gebrauch des Piano ist noch ein zu unsicherer, auch ist der Tonansatz mitunter schwankend. Der Vortrag zeigt ein lobenswerthes Streben nach Lebendigkeit der Ausdrucksweise, wie dies in Gesängen von Schumann, Jensen, Franz, Löwe, H. Hofmann und Weingartner zu erkennen war. Der junge Pianist Herr Günther Freudenberg unterstützte das Concert durch einige correct und ausdrucksvoll vor⸗ etragene Stücke von Chopin, Schumann, Thalberg und Liszt, die sich gleich den Vorträgen des Sängers einer sehr günstigen Aufnahme erfreuten.
Anton Rubinstein's Wohlthätigkeits⸗Concert hat mit der Hauptprobe einen Reinertrag von 16 854 ℳ ergeben. Dem Auftrage des Künstlers gemäß hat der Concertdirector H. Wolff diesen Betrag nachstehenden Zwecken überwiesen: 5000 ℳ für die Armen Berlins, 1500 ℳ für das Kaiser und Kaiserin Friedrich Kinderkrankenhaus, 1500 ℳ für die Feriencolonien, 1000 ℳ für die
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Kinderheilstätten, 500 ℳ für den Verein für Speisung armer Kinder, 500 ℳ für die Wärmehallen, 500 ℳ für Volkskindergärten, 500 ℳ für die Fröbel'schen Volkskindergärten, 500 ℳ für das Asyl für Obdachlose, 1000 ℳ für den Pensionsfonds des Berliner Philharmonischen Orchesters, 1000 ℳ für hie.een,8,I des Vereins Berliner Musiklehrer und ⸗Lehrerinnen, 2000 ℳ für die russischen Colonien zu Händen des Propstes Maltzew, 350 ℳ an Un⸗ genannte, 1000 ℳ für das Denkmal für Haydn, Mozart und Beethoven. — Am Sonnabend wird Anton Rubinstein noch einmal in Berlin auftreten, und zwar in dem Concert der Claviervirtuosin Fräulein Sophie von Poznanska in der Sing⸗Akademie. Der geniale Pianist spielt an diesem Abend gemeinschaftlich mit der Concertgeberin Schumann'’s Variationen für zwei Claviere.
Der junge polnische Componist und Claviervirtuose Sigis⸗ mund Stojowski, der morgen in der Sing⸗Akademie ein Concert mit dem Philharmonischen Orchester veranstaltet, ist aus der Schule Zelenski's und Delibes' hervorgegangen; er erwarb den ersten Preis und machte sich bereits in Paris und London durch eigene Concerte vortheilhaft bekannt. — Im vierten Concert des Philharmonischen Chors wird Herr Dr. Hans von Bülow das ECvncert dirigiren und im zweiten Theile die IX. Symphonie von Beethoven zur Aufführung bringen. Ein Solo⸗Quartett ersten Ranges ist neben dem Chor für den vocalen Theil in Aussicht genommen. — Herr Raimund von Zur⸗ Mühlen veranstaltet am 9. März in der Sing⸗Akademie einen Liederabend, für den der Kartenverkauf morgen bei Bote u. Bock er⸗
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8 Mannigfaltiges.
Die städtische Schuldeputation hat in ihrer gestrigen Sitzung beschlossen, in Ausführung des Beschlusses der Stadtverord⸗ neten⸗Versammlung wegen der Ertheilung von Unterricht über Rechtsverhältnisse in den Fortbildungsschulen dem Magistrat zunächst die Einführung dieses Unterrichts vom nächsten Winter⸗Halbjahr ab in zwei Fortbildungsschulen zu empfehlen.
In dem von der deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger soeben zur Vertheilung gelangten, in der „N. Pr. Ztg.“ mitgetheilten Jahresbericht für das Geschäftsjahr 1890/91 wird das letztere als eins der erfolgreichsten seit dem Bestehen der Gesell⸗ schaft bezeichnet. Die Rettungsstationen der Gesellschaft sind im ab⸗ gelaufenen Jahre zwanzigmal mit Erfolg thätig gewesen und haben 120 gefährdete Menschenleben der Seegefahr entrissen. Seit dem Bestehen der Gesellschaft ist die Gesammtzahl der durch ihre Mannschaften Geretteten jetzt auf 1892 gewachsen, und zwar wurden 1579 Personen in 231 Strandungsfällen mit Booten und 297
ersonen in 56 Fällen mit Raketen⸗Apparaten gerettet. Im letzten Jahre ist der Verlust zweier Bootsleute von der Station Amrum zu be⸗ klagen, die am 29. Oktober v. J. gelegentlich der Rettungsarbeiten des bei der Insel Sylt gestrandeten Schooners „Reintjadina“ ihr Leben ein⸗ büßten. Die Zahl der Rettungsstationen hat sich um zwei, und zwar um eine Doppelstation und eine Raketenstation auf der Insel Helgoland ver⸗ mehrt und beträgt nunmehr 113, von denen 66 auf die Ostsee und 47 auf die Nordsee kommen. 45 dieser Stationen sind Doppelstationen, d. h. mit Boot und Raketenapparat ausgerüstete Stationen, 18 sind nur Raketen⸗, 50 nur Bootstationen. Der Gesellschaft gehören 58 Be⸗ zirksvereine und 263 Vertreterschaften an. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder ist von 48 979 mit 145 298 ℳ Jahresbeiträgen auf 49 885 Mitglieder mit 145 228 ℳ Jahresbeiträgen gestiegen. An außerordent⸗ lichen Beiträgen sind der Gesellschaft 86 291 ℳ gegen 69 467 im Vorjahre zugeflossen. Sie hat seit ihrer Begründung im Jahre 1865 eine Gesammteinnahme von 4 438 524 ℳ zu verzeichnen gehabt, der eine Ge⸗ sammtausgabe von 3 206 994 ℳ gegenübersteht. Der Preis Emile Robin, eine Ehrengabe, die alljährlich vom Vorstande der Gesellschaft zur Vertheilung gelangt, ist im letzten Jahre dem Schiffscapitän A. Schultz von dem Flensburger Dampfer „Glücksburg“ zu⸗ erkannt, der am 30. November die aus fünfzehn Mann bestehende Besatzung eines spanischen Leichterfahrzeuges in den heimischen Ge⸗ wässern gerettet hat. Die Gesellschaft vertheilte ferner an außer⸗ ordentlichen Belohnungen zwei goldene, sechs silberne und drei bronzene Medaillen, sowie 640 ℳ an baarem Gelde.
Wie die „Voss. Z.“ hört, wird mit Beginn des Sommerfahr⸗ plans der Berlin⸗Kölner Jagdzug, der Mittags von Berlin über Stendal, Hannover, Minden, Düsseldorf geht, versuchsweise nach ameri⸗ kanischer Art mit größerem Comfort, als wir ihn bisher bei uns ge⸗ wohnt gewesen, ausgestattet werden. Die durchweg neuen, sehr elegant ausgestatteten Wagen sind derart miteinander verbunden, daß die Reisenden sich ungehindert durch den ganzen Zug bewegen können. Die Verbindung zwischen je zwei Wagen ist, wie bei dem Kaiserlichen Sonderzuge, durch Schutzleder geschlossen. Selbstverständlich befindet sich im Zuge ein comfortabel eingerichteter Speisewagen. Die Wagen sind sämmtlich als Salons hergestellt, mit kleinen Tischchen, Sesseln, Spiegeln ꝛc. ausgestattet. Der Zug besteht aus Wagen erster und zweiter Klasse. “
Die Gemeindevertretung in Schöneberg hat, wie der „N. Pr. Z.“ mitgetheilt wird, beschlossen, schleunigst den Landesdirector zu er⸗ suchen, wegen der Uebelstände im Betriebe der nach den ve shcgen Vororten führenden Dampfstraßenbahn das Dampfbahn⸗ Consortium aufzufordern, den Dampfbetrieb einzustellen und an seiner Stelle den Pferdebahnbetrieb einzuführen, wenigstens innerhalb des bebauten Gemeindebezirks. 1
Witterungsberichte 8
Königsberg, 16. Februar. Der orkanartige Schneesturm in der Nacht zu Sonnabend hat, wie der „N. A. Z.“ mitgetheilt wird, zahlreiche Fischer in die höchste Lebensgefahr gebracht. Am Freitag Abend befanden sich fast sämmtliche Fischer aus den Dörfern Balga und Patersdorf auf dem Haff. Das Eis stand ziemlich sicher zu⸗ sammengedrängt, und so fand die Fischerei auf diesem 8 der Höhe von Kahlholz statt. Die Fischer waren in ihre Arbeit derart ver⸗ tieft, daß sie den immer stärker werdenden Sturm nicht bemerkten. Erst als er das Eis zu zerreißen begann, bargen sie schnell die Netze, und wollten eben die Heimreise antreten, als sich das Eis plötzlich unter ihnen langsam in Bewegung setzte. Trotzdem eilten die Leute auf den langsam schwimmenden Schollen mit ihren Handschlitten vorwärts, denn sie glaubten sicher noch das Land zu erreichen. Da trat ein heftiges Schneetreiben ein und verwehte ihnen jede Aussicht. Das Eis krachte und prasselte ohne Unterbrechung in Nähe und Ferne, sodaß selbst den beherzten Männern der Muth vollständig verging. Da drehte sich der Sturm nach Westen und damit nahm auch das Treibeis eine andere Richtung. Um 5 Uhr früh erblickten sie Lichter, und gewahrten nun, daß sie dem Strand bei Follendorf zutrieben. Unter der Hilfeleistung dortiger Fischer erreichten sie denn auch mit äußerster Lebensgefahr das Land. 1
Landsberg a. W., 17. Februar. Bei der Vietzer Ablage ist, wie der „Voss. Z.“ telegraphirt wird, eine drei Kilometer lange Eis⸗ stopfung auf der Warthe eingetreten und der Abfluß des Grund⸗ eises verhindert. Durch den befürchteten Wallbruch würde der untere Warthebruch überschwemmt werden. 3
Aus dem Riesengebirge, 16. Februar. Infolge der un⸗ geheuren Schneefälle finden sich, nach einem Bericht der „N. A. Z.“, in diesem Winter auf dem Gebirge und an seinen Abhängen so mächtige Schneemassen, wie sie seit einer längeren Reihe von Jahren nicht vorgekommen sind. In Spindelmühl z. B. werden die Häuser von 4 bis 6 m hohen Schneewänden umlagert, so daß der Verkehr sehr erschwert ist. Den großen Schnee⸗ massen verdankt die Linie Heinrich⸗ Baude — Krumm⸗ hübel ein interessantes Vorkommniß. In der Gegend der Schlingelbaude bei dem sogenannten „Katzenschloß“ hatten nämlich die Schneemassen eine völlige Unterbrechung der Hörnerschlittenbahn ver⸗ ursacht. Das Hinderniß ist nun dadurch beseitigt worden, daß man durch die Schneemassen hindurch einen Stollen von fast 30 m Länge