1892 / 51 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 27 Feb 1892 18:00:01 GMT) scan diff

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Handelskammern berufen sind, das Interesse von Handel und Gewerbe zu wahren.

Mit einer solchen Organisation allein wird aber den Interessen des Handwerks nicht genügt werden, es wird nothwendig sein, den Handwerkerkammern auch die geeigneten Aufgaben zu stellen, ins⸗ besondere auch die Aufgabe, das Lehrlingswesen zu überwachen, zu be⸗ achten, daß die Ausbildung der Lehrlinge in hinreichender Weise auf technischem und sittlichem Gebiet bewirkt wird. In der Richtung einer Bildung von Handwerkerkammern kann ich für meine Person den Wünschen des Herrn Vorredners nachkommen. Nun möchte ich an ihn und an andere Genossen seines Standes die Bitte richten, doch nicht aus dem Umstande, daß die Königliche Staatsregierung auf die eine, ihrer Auffassung nach unmögliche Forderung des obligato⸗ rischen Befähigungsnachweises nicht eingeht, nun immer die Behaup⸗ tung herzuleiten, ihr fehle jedes Interesse, sie habe ein kaltes Herz für das Handwerk. Meine Herren, das scheint mir eine erhebliche Uebertreibung zu sein. Man kann unmöglich ver⸗ langen, daß die Königliche Staatsregierung gegen ihre Ueberzeugung dem Handwerk etwas bewilligt, wovon sie glaubt, daß es dem Hand⸗ werk selbst zum Schaden gereicht.

Ich theile die ungünstigen Auffassungen, die vielfach über die Innungen laut werden, in keiner Weise. Wenn auch die augen⸗ blicklich bestehenden Innungen zwar nicht die Rettung des Handwerks bewirken können, so muß ich doch anerkennen, daß immerhin die höchst wichtige Aufgabe des corporativen Zusammenschlusses des Handwerks allein in den Innungen aufrecht erhalten worden ist, und ich glaube, dafür schon allein gebührt ihnen unsere volle Anerkennung.

Abg. Dr. Wuermeling (Centr.): Wenn der Minister den Handwerkern den Befähigungsnachweis nicht geben wolle, so er⸗ schienen seine anderen Mittel doch auch nicht ausreichend. Der Uebergang zum Kunsthandwerk sei nur wenigen Handwerkern möglich;

der Uebergang zur Genossenschaftsbildung könne auch E1ö““ nachweis nicht ersetzen. Bezüglich des Arbeiterschutzes habe sich die Regierung ebenfalls lange Zeit ablehnend verhalten, vielleicht werde auch der Befähigungsnachweis noch einmal Gesetz, wenn die Hand⸗ werker ihre Bestrebungen eifrig verfolgten. Redner bespricht dann die empfindliche Concurrenz, welche der deutsche Offizierverein und das Waarenhaus für Beamte den Handwerkern und dem Kleinhandel machten. Die Regierung solle sich diesen Unternehmungen gegenüber mindestens neutral verhalten.

Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:

Meine Herren! Die Frage der Consumvereine der Offiziere und Beamten ist ja eine Reichsangelegenheit, wie der Herr Vorredner auch anerkannt hat. Ich kann mich deshalb darauf beschränken, auf die mir ausdrücklich gestellte Frage zu antworten, ob die preußische Staatsregierung eine völlig neutrale Stellung diesen Vereinen gegen⸗ über einzunehmen gewillt ist. Das ist der Fall. Das preußische Staats⸗Ministerium hat ausdrücklich beschlossen, diesen Vereinen gegen⸗ über eine völlig neutrale Stellung einzunehmen und nichts zu thun, was ihre Geschäftsthätigkeit in irgend einer Weise fördern könnte. Das Gelingen ihrer Unternehmungen ist vielmehr ganz

ihrem eigenen Fleiß und ihrer eigenen Betriebsamkeit

überlassen, seitens der Stlaatsregierung geschieht nichts, auch nicht das mindeste, um sie nach irgend einer Richtung hin zu fördern. So sind z. B. in den beiden Fällen, die der Herr Vorredner genannt hat wenn ich nicht irre, bezog er sich auf eine Marinebehörde und auf eine Militärbehörde in Metz —, seitens des preußischen Handels⸗Ministeriums die Thatsachen aufgeklärt worden und, nachdem wir glaubten, die Richtigkeit derselben festgestellt zu haben, haben wir uns an die vorgesetzte Marinebehörde resp. an das Kriegs⸗Ministerium gewandt, und die betreffenden Ressorts haben auf unsere Bitte die hervorgetretenen Mißstände abgestellt. Ich glaube also, daß seitens der preußischen Staatsregierung das geschehen ist, was in ihren Kräften liegt, und nach den aufgestellten Grundsätzen wird sie auch weiter verfahren.

Abg. Eberty (dfr.): Ebenso wie die Producenten sich zur Wahrung ihrer Interessen vereinigten, müßten auch die Consumenten das Recht der Vereinigung haben. In den Innungsversammlungen sei nur eine kleine, aber sehr thätige Minderheit vertreten, welche immer behaupte, „das Handwerk“ im allgemeinen zu vertreten. Auf den Innungstagen werde behauptet, Fürst Bismarck habe für die

andwerker nichts gethan. (Zuruf des Abg. Metzner: Sehr richtig!) ast jeder Band der Reichsgesetzgebung von 1881 enthalte ein Gesetz für die Handwerker. Wenn das Alles nichts bedeute und keinen rfolg gehabt habe, dann müsse man es mit der Gesetzgebung doch wohl falsch angefaßt haben. Die Ausbildung des Genossenschaftswesens sei selbstverständlich. Daran müsse sich schließen die bessere technische Ausbildung der Handwerker, die eigentlich der Kernpunkt der ganzen Handwerkerfrage sei. Es sei nicht wahr, daß es abwärts gehe mit dem Handwerk; es gehe aufwärts; die jüngeren, besser ausge⸗ bildeten Leute machten gute Fortschritte. Für die bessere Ausbildung solle der Staat sorgen und auch die Gemeinden. Den schlesischen Webern helfe man freilich nur, wenn man ihnen den Uebergang zu einem anderen Erwerbszweige erleichtere; das Elend werde nur ver⸗

chlimmert, wenn man sie durch Beihilfen bei der Handweberei erhalte.

Abg. Metzner (Centr.): Wenn die Handwerker von der Groß⸗ industrie aufgesogen werden müßten, wie komme man denn noch dazu, Lehrlinge zu züchten, die niemals selbstständig würden, die in die Dienste des Geldsacks treten müßten? Die Innungen seien die

beste Organisation, besser als alle künstlich gebildeten Genossen⸗ schaften. Hätte die Regierung die Innungen so gefördert wie die Genossenschaften, dann würde es besser sein. Redner beruft sich auf die Ausführungen des Fürsten Bismarck von 1849. In seiner späteren Laufbahn habe er für die Handwerker nichts gethan. (Widerspruch links.) Er habe das Handwerk durch Palliativ⸗ mittel zu Tode kurirt. Wenn der Staat das Lehrlingswesen in die Hand nehme, dann werde er auch dafür sorgen müssen, daß nur der ein Handwerk ausübe, der es erlernt habe, nicht aber derjenige, der Geld habe, einen Laden aufzumachen und den gelernten Handwerker todt zu machen. Die Handwerker hielten an dem Befähigungs⸗ nachweis fest; was Gegentheiliges in dem Protokoll der Handwerker⸗ conferenz Feschriehen stehe, sei gefälscht. Die Offiziere seien wohl nicht durch die Noth Hezwungen, sich ihre Verbrauchsgegenstände billiger zu beschaffen. Wenn beim Offizierverein 800 Champagner⸗ 92 en verkauft würden, so sei dieser Champagner wohl nicht aus oth getrunken. Den Handwerkern könne es nicht angenehm sein, wenn die Offiziere ihre Concurrenten seien. 8 Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:

Meine Herren! Ich muß mich gegen einige Bemerkungen des Herrn Vorredners wenden. Er hat gesagt, daß im Handwerkertag das Protokoll, welches über die Handwerkerconferenz aufgestellt ist, offen als gefälscht bezeichnet worden sei. Ich darf annehmen, daß er nicht selbst sich dieses Urtheil aneignet, sondern nur referirt, diese Bezeichnung sei im Handwerkertag ausgesprochen worden. Ich bedauere, daß das geschehen ist, und kann es

nur als unerhört bezeichnen, daß ein amtliches Pro

meinsam von den Beamten angefertigt ist, welche von Seiten der beiden betheiligten Ministerien der Conferenz beigewohnt haben, als ein gefälschtes bezeichnet wird. Auch der Herr Vorredner hat sich aber nicht ganz frei gehalten von Vorwürfen, die ich zurückweisen muß. Er behauptet, während der Verhandlungen seien den Handwerkern alle möglichen Fallen gestellt, um sie zu bestimmen, von der Forde⸗ rung des Befähigungsnachweises abzugehen. Das ist keinem der betheiligten Beamten eingefallen. Wenn Sie das Protokoll lesen, sowerden Sie finden, daß die Frage des Befähigungsnachweises von den Vertretern der Ministerien in eingehender, durchaus sachlicher Weise erörtert worden ist. Man hat nachzuweisen gesucht ob es in den Augen der Hand⸗ werker gelungen ist oder nicht, lasse ich dahingestellt daß die Ein⸗ führung des obligatorischen Befähigungsnachweises unmöglich ist, daß die gehofften Vortheile dem Handwerk in keiner Weise erwachsen werden.

Sodann ist in dem Protokoll constatirt worden, daß seitens der Handwerkerversammlung anerkannt worden ist, daß der Befähigungs⸗ nachweis, wie er in Oesterreich eingeführt ist, nicht das ist, was das Handwerk brauchen kann; daß anerkannt worden ist, daß auch die Anträge Ackermann⸗Biehl nicht den richtigen Weg zur Befriedi⸗ gung ihrer Wünsche angeben. Das allein steht im Protokoll, und nicht, daß die Handwerker abgegangen seien von der Forderung des Befähigungsnachweises überhaupt; sondern im Gegentheil ist aus⸗ drücklich erwähnt, daß die Handwerker im allgemeinen bei der Forde⸗ rung des obligatorischen Befähigungsnachweises bestehen bleiben. Wie man dem gegenüber nun von einer Fälschung sprechen kann, ist mir vollständig unverständlich.

Ich habe nur noch einige kurze Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Vorredners zu machen.

Er hat einen Widerspruch zu construiren gesucht in meinen Aus⸗ führungen, indem ich gesagt hätte, man solle die Lehrlinge besser er⸗ ziehen, während ich andererseits ausgeführt hätte, daß dem Handwerk an und für sich der Boden entzogen und es dem Kapital gegenüber ohnehin verloren sei. Meine Herren, das letztere habe ich nicht gesagt, vielmehr nur, daß die Herstellung der billigen Waaren, die in großen Massen von Maschinen billig und ge⸗ nügend gut bhergestellt werden, auf die Dauer dem Hand⸗ werk nicht erhalten bleiben kann, daß dagegen ein weites Feld anderer Thätigkeiten dem Handwerk gewahrt bleibt. Selbstverständlich mußte dies Voraussetzung meiner ganzen Ausführungen sein; sonst hätte ich in der That Unsinn gesprochen, und das wird man von mir nicht ver⸗ langen. (Heiterkeit und Zurufe.)

Der Befähigungsnachweis ist ja von mir nicht abgelegt worden (Heiterkeit), und es wäre ja immerhin möglich, daß ich nicht die ge⸗ eigneten Qualitäten zur Ausfüllung meines Postens hätte.“

Wenn übrigens der Herr Vorredner gesagt hat, daß der Befähi⸗ gungsnachweis für alle Berufsarten bestände und nur für das Hand⸗ werk nicht, so befindet er sich in einem großen Irrthum. In keinem Stande ist er eingeführt, außer im Beamtenstande, und daß der Beamtenstand in Bezug auf die Eramenfrage doch einigermaßen anders steht wie der Gewerbestand, wird man doch nicht in Abrede stellen. Ich kann ihm aber den Trost geben, daß es auch im Beamtenstande einige Kategorien giebt, die den Befähigungs⸗ nachweis vor Antritt ihres Amtes in einer Prüfung nicht ablegen z. B. die Minister. (SHeiterkeit.)

Dann hat der Herr Vorredner bemerkt, wenn von mir betont worden sei, daß das Genossenschaftswesen seitens des Handwerks nicht genügend gepflegt werde, daß gerade die Innungen dazu in der Lage wären, es brauche garnicht neuer Bildungen, darin hat er vollständig Recht, die Gewerbeordnung gestattet aus⸗ drücklich den Innungen, genossenschaftliche Unternehmungen zu pflegen; aber das Schlimme ist, daß sie von dieser Befugniß absolut keinen Gebrauch machen. Und daß sie das thäten, hat auch der Herr Vorredner nicht behauptet, er sagt nur, sie könnten es thun. Sehr richtig, meine Herren, und ich wollte, sie hätten es gethan. Ich will sie nur auf das Beispiel hinweisen, welches der kleine Besitz in der Landwirthschaft giebt. Die Molkereigenossen⸗ schaften, die auf Milchproduction basirten, die auf Bezug von Dünge⸗ mitteln gerichteten Genossenschaften haben sich in der Landwirthschaft außerordentlich entwickelt, und ich möchte dringend wünschen, daß das Handwerk von diesem Vorgehen des Kleinbetriebes in der Landwirth⸗ schaft sich eine Lehre nimmt und das Gleiche thut.

Abg. Lohren (freicons.): In der Form habe weder der Minister von Boetticher noch heute der Handels⸗Minister kurz und schroff gesprochen, sondern sehr milde, aber nichtsdestoweniger habe er die Forderungen der Handwerker rundweg abgelehnt. Die Handwerker⸗ kammern schienen dem Minister sehr ans Herz gewachsen zu sein, aber sie würden wahrscheinlich die neu geschaffenen Innungsverbände zer⸗ stören. Da würde er dagegen stimmen müssen. In den Lehrwerk⸗ stätten müßten doch geprüfte Männer die Leitung übernehmen; warum sollten die anderen Lehrmeister nicht auch eine Prüfung durchmachen? Was sich in Oesterreich nicht bewährt habe, sei nicht dasjenige, was die Freiconservativen im Reichstage vorgebracht hätten. In die Fachschulen könnten die Armen nicht gehen, dahin gehe nur der Sohn des Kapitalisten. Alles, was die Regierung vorschlage, stärke nur den Kapitalismus. Das Handwerk stelle den deutschen Charakter dar, der die Reformation geschaffen habe. Vielleicht würde es möglich gewesen sein, diesen Charakter durch die Innungen zu erhalten. Hätte man die Gewerbefreiheit nicht eingeführt von 1867 —1869, wo die Fabrikindustrie sich schon entwickelt gehabt habe, so hätte man die Gefahr vermieden, daß Deutschland die Vor⸗ mauer für die Socialdemokratie geworden sei. Die Ausbildung der Elektrotechnik könne dem Handwerk zu Gute kommen, wenn es fest organisirt wäre. Er werde immer auf seiten der Handwerker stehen, möchten die Regierungen wechseln oder nicht.

Abg. von Itzenplitz Hon bedauert, daß der Minister sich ebenso ablehnend gegen den 2 efähigungsnachweis ausgesprochen habe, wie Herr von Boetticher im Reichstage. Die conservative Partei halte nach wie vor den Befähigungsnachweis für ein nothwendiges Mittel, damit das Handwerk den Kampf gegen die Großindustrie be⸗ stehen könne. Habe man in Oesterreich einen Fehler gemacht, so könne man ihn bei uns vermeiden. Die Ansicht, daß der Maschinenbetrieb eingeschränkt werden sollte, werde nur von einigen Handwerkern ver⸗ treten. Die genossenschaftliche Ausbildung sei sehr wünschenswerth; aber es fehle dem Handwerk an dem nöthigen Kapital. Der Hand⸗ werkertag sei doch eines gewissen Ernstes werth und könne doch nicht mit einigen Witzen abgethan werden. 1

Abg. Wuesten (conf.): Seine Partei beklage nicht die Re⸗ duction der Zölle, sondern nur, daß sie auf zwölf Jahre festgelegt seien, weil dadurch leicht die Preise einen schwankenden Charakter erhielten, während die Landwirthschaft an der Stetigkeit der Preise ein Interesse habe. Seine politischen Freunde hätten die Erklärung des Ministers von Boetticher aufrichtig edauert. Der Hrr e e

hätte die Regierung überzeugen sollen, daß die Bewegung des Handwerkerstandes ernsthafter zu nehmen sei, als sie bisher genommen werde. Der Abg. Eberty sehe darin nur die energische Agitation einer

kleinen Minderheit, wohl weil er sich selbst in einer kleinen Minderheit befinde gegenüber dem Schulgesetz, wo alle Agitation nichts nützen wolle. Die zahlreichen Novellen zur Gewerbeordnung bewiesen nur daß sie . unbrauchbar gewesen sei. (Sehr richtig! rechts.) Die manchesterliche Theorie des „Hilf Dir selber“ führe nur dahin daß die Schwachen durch das Großkapital ausgebeutet würden. Seine Partei halte die Gewährung des Befähigungsnachweises für die größte Nothwendigkeit. Die Innungen seien die besten Corporationen; man müsse sie nur mit mehr Privilegien ausstatten, namentlich auch damit, daß sie die Prüfungen abnehmen.

Abg. Lucius⸗Erfurt (freicons.) dankt dem Minister für seine Erklärungen, die ihn vollständig befriedigt hätten.

Abg. von Puttkamer⸗Plauth (cons.): Trotz der ablehnenden Haltung der Regierung werde seine Partei die Interessen des Hand⸗ werkerstandes immer weiter vertreten. Wo sollten denn die Leute herkommen, die auf dem Lande dem einfachen Handwerker Kunst⸗ werke abkauften? Wenn der Befähigungsnachweis eingeführt werde, werde man vielleicht etwas theurer kaufen, aber auch besser, denn die Fabriken lieferten jetzt nur billige Schundwaare. Auf dem Innungstage solle nur die Minderheit vertreten gewesen sein; wo seien denn die Anhänger des Abg. Meyer gewesen? Sehr viele Hand⸗ werker würden sich an den Bestrebungen gern betheiligen, wenn sie nicht schon zu sehr in den Händen des Kapitalismus wären. Die preußischen Beamten sollten heute nur deshalb protectio⸗ nistisch gesinnt sein, weil sie Carridre machen wollen. Der preußische Beamtenstand thue seine Pflicht und Schuldig⸗ keit, gleichviel ob er dadurch Carriere mache. Das Manchesterthum habe sich bankerott erwiesen, deshalb hätten sich vernünftige Leute da⸗ von abgewendet. Der Abg. Meyer habe nur Witze vorgebracht zum Beweise dafür, daß der Befähigungsnachweis undurchführbar sein solle; die Sache verdiene doch etwas mehr Ernst. Seine Partei werde sich an Experimenten, die keine Aussicht hätten, nicht betheiligen, sondern nur das vertreten, was die Handwerker selbst als nothwendig bezeichnet hätten. Der Handwerker, welcher mit dem Offizierverein zu thun habe, stehe viel besser da als der, welcher mit einem großen Magazininhaber zu thun habe. Daß die Offiziere mit⸗ unter recht bittere Noth litten, daß sie das Bedürfniß hätten, billig zu kaufen, stehe fest. Die leeren Champagnerflaschen bewiesen dabei garnichts.

Abg. Metzner (Centr.): Die Innung habe nicht solchen Credit wie die Landwirthe, deren Grundbesitz dafür eine Unterlage bilde. Hn Innung werde nur dann creditfähig sein, wenn sie auf Zwang

eruhe.

Abg. Dürre nl.): Seine politischen Freunde hätten sich an der Besprechung dieser Angelegenheit nicht betheiligt, weil 9 de Meinung seien, daß sie in den Reichsta gehöre. Er wolle aber er klären, daß sie das lebhafteste Interesse für ein gedeihliches Fort⸗ kommen des Handwerkerstandes hätten. Wenn sie sich überzeugen könnten, daß das Innungswesen von irgend einem Vortheil sei, würde sie nicht einen Augenblick zögern, dafür einzutreten. Das Handwerk zum Kunsthandwerk auszubilden, würden auch sie bestrebt 65 aber nicht dazu, alte verrottete Institutionen wieder zu be⸗ leben.

Niach einigen persönlichen Bemerkungen werden das Ge⸗ halt des Ministers und die übrigen esoldungen für das Ministerium bewilligt.

Das Kapitel: Handels⸗ und Gewerbeverwaltung wird ohne Debatte genehmigt.

Beim Kapitel: Gewerbs⸗ Unterrichtswesen, Titel 1; Navigationsschulen, tritt

Abg. Jürgensen (nl.) für die Aufbesserung des Gehaltes der Lehrer an diesen Schulen ein, welches für einen 40 jährigen Mann mit 2700 bis 3300 zu niedrig bemessen sei. Die Re⸗ gierung möge noch in diesem Jahre einen Nachtragsetat zur Er⸗ höhung dieser Besoldung einbringen.

Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:

Meine Herren! Daß die Erhöhung des Durchschnittsgehalts der Lehrer an der Navigationsschule wünschenswerth ist, erkenne ich voll⸗ ständig an, bin aber zu meinem Bedauern nicht in der Lage, in Aus⸗ sicht zu stellen, eine solche schon für das kommende Jahr durch einen Nachtrags⸗Etat zu beantragen, da das Einbringen eines Nachtrags⸗ Etats nicht von dem Ressort⸗Minister allein abhängt, sondern hierbei bekanntlich der Herr Finanz⸗Minister eine sehr erhebliche Rolle spielt.

Die Frage der Besoldung der Lehrer an den Fachschulen über⸗ haupt nimmt fortgesetzt meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich hege den entschiedensten Wunsch, bald in der Lage zu sein, ihre Gehälter durchweg in ihrem Durchschnitt zu erhöhen. Wenn das noch nicht geschehen ist, so kann ich dem verehrten Herrn Vorredner versichern, daß das lediglich seinen Grund in den finanziellen Verhältnissen, die augenblicklich vorliegen, hat.

Darauf wird die weitere Berathung abgebrochen. Schluß gegen 4 Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 11. Uhr. Auf der Tagesordnung stehen: 1) Fortsetzung der zweiten Berathung des Entwurfs des Staatshaushalts⸗Etats für 1892/93 und zwar: a. Handels⸗ und Gewerbeverwaltung, b. Ansiedelungs⸗ commission für Westpreußen und Posen. In erbindung damit: Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen für das Jahr 1891. 2) Zweite Be⸗ rathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Kosten Königlicher Polizeiverwaltungen in Stadtgemeinden. 3) Zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Führung der Aufsicht bei dem Amtsgericht I und dem Landgericht I in Berlin, sowie die Handhabung der Disciplinargewalt bei dem ersteren Gericht. 4) Erste und 8 Berathung des Gesetz⸗ entwurfs wegen Abänderung des Gesetzes vom 29. Juni 1886, betreffend die Heranziehung von Militärpersonen zu Abgaben für Gemeindezwecke (Gesetz⸗Samml. S. 181).

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Der verantwortliche Redacteur einer eitung, welcher zeitweise die Redactionsthätigkeit willkürlich einem Anderen überläßt, mit der allgemeinen Befugniß zu Aenderungen und Zusätzen in den von ihm aufgenommenen Artikeln, ist, nach einem Urtheil des Reichs⸗ gerichts, II. Strafsenats, vom 17. November 1891, nicht ohne weiteres für die von diesem aufgenommenen strafbaren Sätze als Thäter zu bestrafen.

Bei einer Geschäftsofferte unter Kaufleuten mit der Erklärung'des Offerenten, er gebe dem Anderen das betreffende Ge⸗ schäft bis zu einem bestimmten Tage fest an die Hand, ist der Offerent, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, I. Civilsenats, vom 12. De⸗ zember 1891, bis zu diesem Tage einschließlich gebunden, wenn ihm spätestens an diesem Tage die Annahmeerklärung zugeht. ie Aufgabe der brieflichen Annahmeerklärung zur Post innerhalb der Frist aber genügt nicht, wenn im Wege der gewöhnlichen Brief⸗ beförderung die Erklärung erst nach Ablauf der Frist dem L fferenten zugehen kann und auch wirklich zugeht. Der Offerent ist in diesem Falle nicht einmal zu unverzüglicher Erklärung des Rücktritts von seiner Offerte verpflichtet.

Berlin, Sonnabend, den 27. Februar

1892.

Deutscher Reichstagg. 181. Sitzung vom Freitag, 26. Februar. 1 Uhr.

Am Tische des Bundesraths die Staatssecretäre Dr. Boetticher und Dr. von Stephan sowie der Königlich bayerische Bevollmächtigte zum Bundesrath Graf von

Ler 8 eld.

jie gestern unterbrochene Verhandlung über deg von der Commission eingeschalteten § 7a des Gesetzentwurfs über das Telegraphenwesen des Deutschen Reichs wird fortgesetzt. Er lautet:

„Klektrische Anlagen sind, sobald gegenseitige Störung zu be⸗

fürchten ist, auf Kosten desjenigen Theils, welcher diese Gefahren

so anzuordnen, daß sie sich nicht störend beeinflussen önnen“.

Abg. Bödiker (Centr.) beantragt eine anderweitige Fassung, wonach die Kosten von demjenigen Theile getragen werden sollen, der durch eine spätere Anlage oder später ein⸗ tretende Aenderung einer bestehenden Anlage die Gefahr ver⸗ anlaßt. 1

Abg. Dr. Hammacher (nl.) will in dem Commissions⸗ tert vor den Worten „so anzuordnen“ einschalten: „nach Möglichkeit“.

Die Abgg. Dr. Lieber und Spahn (ECentr.) wollen Streitigkeiten darüber, ob eine Telegraphenanlage dieser An⸗ forderung genügt, sofern sie nicht auf privatrechtlichen Ver⸗ hältnissen beruhen, durch Beschluß der Phvsäkalischetechnischen Reichsanstalt nach Anhörung der Betheiligten entscheiden lassen. Die Ausbildung dieser Anstalt zur Spruchbehörde und das Verfahren vor derselben werden durch Kaiserliche Verordnung geregelt.

Abg. von Strombeck (Centr.) will der Verwaltung nur

das Recht geben, zu verlangen, daß Leitungen, welche die Leitung der Verwaltung stören, wenn die Störung nicht durch Selbstschutz verhütet werden kann, verlegt werden bezw. be⸗ seitigt werden. —, Die Abgg. Auer (Soc.) und Gen. wollen die betreffenden Streitigkeiten im gerichtlichen Verfahren entscheiden lassen; die Physikalisch⸗technische Reichsanstalt soll zur Abgabe von Gut⸗ achten verpflichtet sein.

Die Abgg. Dr. von Bar (bfr.) und Gen. beantragen sol⸗ gende Fassung des §7a:

.DDie Reichs⸗Telegraphenverwaltung kann verlangen, daß, sobald eine Störung ihrer in berechtigter Weise gelegten Leitungen zu be⸗ fürchten ist, andere benachbarte Leitungen so eingerichtet werden, daß sie in sich selbst geschützt sind, vorausgesetzt, daß die Telegraphen⸗ leitung ebenfalls den berechtigten Anforderungen des Selbstschutzes genügt.“

Der vorstehende Antrag war in der gestrigen Sitzung von den Abgg. Dr. Siemens und Singer empfohlen worden. Heute hat der Abg. Bödiker (Centr.) folgenden Eventualantrag zum Commissionsantrag eingebracht:

. Die auf Grund dieser Bestimmungen entstehenden Strei⸗

tigkeiten gehören vor die ordentlichen Gerichte. Das gerichtliche

G ist zu beschleunigen. Der Rechtsstreit gilt als Ferien⸗

sache.“ Abg. Spahn (Centr.): Der Antrag seiner Partei wolle eine schiedsgerichtliche Instanz schaffen, welche bis zur Einführung des Gesetzes über die elektrischen Anlagen Streitigkeiten zwischen den Reichs⸗Postbehörden und Elektricitätsgesellschaften schlichten solle. Den Streit, ob ein Selbstschutz möglich sei, wolle seine Partei ganz bei Seite lassen. Sie habe den Ausdruck gebraucht, daß nur „möglichst“ für diesen Selbstschutz gesorgt werden solle. In der Auswahl der Anstalt, welche als Schiedsrichterin fungiren solle, komme sie der Reichs⸗ Postverwaltung sehr weit entgegen. Jedenfalls bestehe ein Widerstreit zwischen den Ansichten der Reichs⸗Postverwaltung und der Elektro⸗ technik, es lägen Interessencollisionen vor, und mithin das Be⸗ dürfniß in diesem Gesetz ein Mittel zur Lösung solcher Col⸗ lisionen an die Hand zu geben. Er gebe zu, daß es nicht möglich sei, einen absoluten Selbstschutz zu schaffen. Es werde ihm aber aus Lauffen bestätigt, daß man dort eine am gleichen Ge⸗ stänge mit der 13 km langen Starkstromleitung nach Heil⸗ bronn angebrachte Fernsprechleitung jeder Zeit ohne irgend welche Schwierigkeit benutzen könne. Gerade die Mittheilung aus Halle, wo der Staatssecretär des Innern, also die Polizeiverwaltung, er⸗ schwerend in die Errichtung der dortigen elektrischen Anlage eingegriffen habe, sollte den Reichstag veranlassen, die von seiner Partei vor⸗ geschlagene Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen. Er wolle der Reichs⸗Postverwaltung kein Mißtrauen entgegenbringen; aber sie ver⸗ trete doch zunächst die Interessen ihres eigenen Ressorts und werde in dem Kampf ihrer Interessen mit denen der Elektrieitätsgesell⸗ schaften in erster Linie bestrebt sein, für sich selbst zu sorgen. Die Entwickelung der Elektricität sei für das wirthschaftliche Leben so wichtig, daß man auch diese Interessen berücksichtigen müsse. Vor einigen Tagen habe man hier einen Gesetzentwurf berathen, welcher die Ansammlung des Kapitals zur Förderung von Erfindungen er⸗ leichtern solle; er habe die Gesellschaften mit beschränkter Haftung betroffen. Jetzt befasse man sich mit einer Vorlage, welche die Be⸗ sorgniß hervorrufe, daß man der Entwickelung der Industrie seitens einer Reichsverwaltung entgegen zu treten den Willen habe.

Abg. Graf von Arnim (Rp.): In dem Grenzstreit der Mei⸗ nungen gingen sowohl die Gegner des Gesetzes wie die Regierung zu weit. Der Antrag Spahn solle sich nicht auf die bestehenden, sondern auf die künftig zu errichtenden Anlagen beziehen, ohne dies durch seine Fassung klar erkennen zu lassen. In den §§ 1—3 des Ge⸗ setzes sei auch von dem Betriebe bestehender telegraphischer Anlagen die Rede, der Richter könne also, da der Antrag auf §§ 1—3 Bezug nehme, diesen Passus so auffassen, daß auch die bestehenden Anlagen sich mit Selbstschutz zu versehen hätten. Der Antrag Bar sei in seiner Fassung etwas milder. Er sei der Ansicht, daß die Fragen, wie die bestehenden Schwachstromleitungen und wie die zukünftigen Starkstromleitungen sich zu einander zu verhalten hätten, zu trennen seien. Jedenfalls seien die Staatsverwaltungen beati possidentes und hätten also ein factisches Vorrecht, gleichviel wie die Rechts⸗ frage (es handele sich hier um das römische Recht, und die Römer hätten noch keine elektrischen Anlagen gehabt), liege. Das Eigen⸗ thumsrecht der Gemeinden an Straßen und Plätzen sei ja auch kein schlechthin unbeschränktes; es werde beschränkt durch die Pflichten der Stadt gegenüber dem öffentlichen Verkehrs⸗ interesse. Unzweifelhaft verdiene die Erleichterung des Verkehrs vor der Versorgung der Stadt mit einer elektrischen Bahn oder elektrischem Licht den Vorrang, und er begreife nicht, wie ein Gegner der Vorlage habe sagen können, die Städte würden niemals ihre Zustimmung zur Legung des Telegraphen gegeben haben, industrielle Unternehmun en lägen ihnen unter Umständen viel näher als diese öffentlichen Verkehrsmittel. Er meine, der Fernsprechverkehr sei viel wichtiger als die Frage, ob die Personen mit Pferden oder Elektricität führen. Das commercielle und gesellschaftliche

Leben sei überhaupt gar nicht mehr denkbar ohne das Fernsprech⸗ wesen. Berlin lasse sich wohl ohne Pferdebahnwagen und ohne elek⸗ trische Beleuchtung, aber nicht ohne Telegraphie und Telephon denken; deshalb könne er die Petition der Stadt Berlin nicht verstehen, den entgegengesetzten Standpunkt stelle und meine, eenschlmn he der Regierung in diesem Gesetz bedeuteten die Einschränkung von Rechten Aller zu Gunsten Einzelner. Der Staatssecretär stecke doch nicht die Rechte, die man ihm ge⸗ währe, in die Tasche, sondern er benutze sie für die Verkehrs⸗ interessen, die eine wesentlich größere Bedeutung hätten, als die Interessen der Elektricitätsgesellschaften. Im Publikum mache man sich von dem Einfluß der Starkströme vielfach ein unrichtiges Bild. Sie seien eine revolutionäre Kraft, die, er wolle nicht sagen, einzudämmen, aber darauf zu beschränken sei, daß sie ihr Ziel erreiche, aber nicht Alles vernichte. Wenn nun die Polizei eine Beschränkung der Starkströme anordne, so komme man in eine besonders schwierige Lage, weil die Techniker verschiedener Ansicht seien in Bezug anf den Selbstschutz. Die Frage sei mindestens eine zweifelhafte, und darum verstehe er den deutsch⸗freisinnigen Antrag nicht, der besage, vor allem müßten die Schwachströme geschützt werden. Wie gefährlich die Stark⸗ ströme seien, beweise die bekannte Explosion am Spittelmarkt; es sei ein Glück gewesen, daß das Haus niedergerissen sei, es wäre sonst in die Luft geflogen. Wenn man wirklich die Schwachströme so schützen wollte, wie jener Antrag es wolle, so würde das in den nächsten Jahren etwa 60 Millionen erfordern. Die Städte und Elektricitätsgesellschaften hätten natürlich den Wunsch, möglichst billig zu fahren und die Unkosten für die Anlagen der Regierung und den Steuerzahlern aufzubürden. Die Reichsfinanzen seien nicht derart, daß man zu Gunsten von Gesellschaften und reichen Städten Aus⸗ gaben mache, welche die Herren selbst machen könnten. Die be⸗ treffenden Gesellschaften vertheilten jährlich eine Dividende von 10 bis 15 %; man habe also keinen Anlaß, ihnen noch eine Liebesgabe zu votiren. Der Vergleich mit den landwirth⸗ schaftlichen Zöllen treffe hier nicht zu, denn die Elektricitätsgesellschaften litten nicht Noth und hätten keine ausländische Concurrenz zu fürchten. Die Forderung eines Schutzes der schwachen Ströme sei um so unbilliger, als die Rückleitungen auch eine Verdoppelung der Ge⸗ bühren bedingen würden. indestens müsse der Grundsatz der Priorität anerkannt werden. Im Gegensatz zum Staatssecretär er⸗ warte er aber von der Elektrotechnik eine große Entwickelung und großartige Vortheile für die Industrie und das wirthschaftliche Leben. Darum dürfe die Nutzbarmachung der Starkströme nicht verhindert werden. Am besten werde es sein, den Antrag Bödiker anzunehmen. Das allgemeine Elektricitätsgesetz müsse aber dann baldigst ergehen.

Abg. von Strombeck (Centr.): Die Telegraphenverwaltung wolle nach ihren Erklärungen in der Commission keine Erweiterungen ihrer Rechte haben, es bestehe aber keine Klarheit darüber, was sie als ihr bestehendes Recht in Anspruch nehme. Beruhigend könnten die in der Commission von der Regierung abgegebenen Erklärungen wirken, daß sich die Telegraphenverwaltung ausdrücklich unter das allgemeine Recht stelle, und daß es nicht ihre Absicht sei, der Privat⸗ industrie irgend welche Schranken aufzuerlegen. Dieser beruhigenden Theorie stehe aber eine sehr beunruhigende Praxis gegenüber; außer dem gestern erwähnten Breslauer Fall liege dem Reichstag eine Petition des Dresdener Stadtraths vor, worin es heiße, daß die Postverwaltung verlange, der Unternehmer einer kleinen elektrischen Beleuchtungsanlage solle sich allen auch in Zukunft etwa für die Starkstromanlagen zu erlassenden Vorschriften fügen; das sei weder eine Unterwerfung unter das allgemeine Recht, noch eine Berück⸗ sichtigung der Privatindustrie. Unter diesen Umständen halte er ge⸗ setzliche Bestimmungen zur Wahrung der Rechte der Telegraphenver⸗ waltung und der Privatindustrie für sehr wünschenswerth. Zu diesem Zweck lägen mehrere Anträge vor, deren jeder auch der seine bis zur dritten Lesung noch werde abgeändert werden müssen. Der Antrag Lieber⸗Spahn lege der Telegraphenverwaltung große Opfer auf und versage in den Fällen, wo die Telegraphenleitungen gegen Störungen nicht geschützt werden könnten; dann könnten doch diese Leitungen nicht ungeschützt; der Störung ausgesetzt bleiben, sondern die störenden Starkstroöͤmleitungen müßten beseitigt werden. Auch sei in diesem Antrage nichts über die jetzt schon bestehenden Leitungen gesagt. Aus diesen Gründen müsse er sich gegen den Antrag Spahn erklären. Der Antrag Bödiker umfasse nicht bloß Telegraphen⸗ leitungen, sondern elektrische Anlagen aller Art; das gehe ihm zu weit. Auch nehme dieser Antrag keine Rücksicht auf etwa getroffene Abkommen. Außerdem müßten nach diesem Antrag auch die Städte, die für Telegraphenleitungen den Grund und Boden kostenlos her⸗ gegeben hätten, bei späterer Einrichtung von Starkstromanlagen den Schutz der Telegraphenleitungen besorgen; das scheine ihm ein unbilliges Verlangen, zumal die Telegraphenverwaltung den Selbstschutz vielleicht wohlfeiler herstellen könnte. Das Amendement Hammacher errege auch das Bedenken, wie der An⸗ trag Spahn: Was solle geschehen, wenn die Störung nicht beseitigt werden könne? Schließlich sei gegen den Antrag Bödiker noch ein⸗ zuwenden, daß, wenn eine Telegraphenanlage ohne Verschulden der obersten Instanz so mangelhaft angelegt sei, daß infolge dessen eine spätere Anlage gestört werde, auch hier der Unternehmer der zweiten Anlage die Kosten des Schutzes der Telegraphenanlage würde tragen müssen, während billiger Weise die Verwaltung wegen der schlechten Anlage hierzu würde angehalten werden müssen. Der Antrag Bar habe auch den Nachtheil, daß er ander⸗ weitig, also durch Abkommen, begründete Rechte nicht berücksichtige und auch sonst zu weit gehe, da unter Umständen schon durch die Lage der Leitungen der nöthige Schutz erzielt werden könne. Was seinen eigenen Antrag anlange, so streiche er darin die Worte „in berechtigter Weise gelegten“, weil diese Worte Mißdeutungen hervor⸗ rufen könnten. Sein Antrag sichere die durch besondere Abkommen geschaffenen Rechte und schaffe eine Einigung zwischen den diver⸗ birenden Interessen der Telegraphenverwaltung und der Privat⸗ industrien. Die Telegraphenverwaltung müsse allerdings das Ihre thun, um ihre Leitungen zu schützen, nöthigen Falls aber müßten Schädigungen der Telegraphie durch Starkstromleitungen verhütet werden.

Staatssecretär Dr. von Stephan:

Meine Herren, was den Antrag Spahn betrifft, den ersten, der heute verhandelt wurde, so muß ich allerdings denselben als nicht an⸗ nehmbar bezeichnen, und zwar aus den Gründen, die im wesentlichen die Herren Abgg. Graf von Arnim und von Strombeck soeben ent⸗ wickelt haben. Ich halte diese Gründe für vollkommen ausreichend. Ich hatte auch das Gefühl, als ob diese Ausführungen auf das hohe Haus denselben Eindruck machten. (GHeiterkeit links.) Ich will mich des⸗ halb im Interesse der Abkürzung der Debatte weiterer Ausführungen hierzu enthalten, erkenne auch das Entgegenkommen, welches in dem Antrage liegt, gern an. Ich möchte nur noch bemerken: der Herr Abgeordnete hat gesagt, der Kostenpunkt wäre zwar nicht störend, dagegen die Schwierigkeiten, die die Regierung den privaten Leitungen, den Stark⸗ stromleitungen machen könne. Meine Herren, es liegt umgekehrt: störend ist, namentlich für die Privatinteressen, der Kostenpunkt, die

Schwierigkeiten sind deshalb nicht störend, weil sie überhaupt nicht

vorhanden sind, indem keine Schwierigkeiten von der Regierung ge⸗ macht werden. Ich wiederhole: es ist entschieden nicht unsere Ab⸗

der wir leben, der Industrie irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten; wir würden ja gegen die eigenen Interessen und gegen die Volks⸗ wohlfahrt handeln.

Was dann endlich, um damit diesen Punkt zu schließen, die An⸗ gelegenheit wegen Heilbronn und Lauffen betrifft, so liegt es allerdings so, daß die Angaben des Herrn Abg. Spahn sich auf eine Auskunft des betreffenden Werkes stützen, also eines Privatinstituts, während wir hier ein amtliches Telegramm der württembergischen Regierung

widersprechen, dort etwas unsicheres in der Sache sein wird, und daß die Zuverlässigkeit, die wir für unseren Telegraphen⸗ und Fernsprechdienst unter allen Umständen in Anspruch nehmen müssen, nicht vorhanden ist.

Was dann den Antrag des geehrten Herrn Abg. von Strombeck betrifft, so ist er mir ebenfalls nicht annehmbar. Ich erkenne gern an das hat er ja auch ausgeführt —, daß die Absicht eine gnte ist; aber so, wie der Antrag gefaßt ist, habe ich verschiedene Bedenken dagegen. Eins hat der Herr Antragsteller allerdings schon beseitigt indem er im Eingange die Worte „in berechtigter Weise gelegten“ zur Streichung empfohlen hat. Er hat sie aber im Schlußsatze stehen lassen. Da muß ich doch sagen, daß sie mir anstößig sind, weil sie zur Voraussetzung haben, daß die Telegraphenverwaltung auch unbe⸗ rechtigt Telegraphenleitungen anlegen könne. Diese Voraussetzung muß ich zurückweisen; das kommt bei uns nicht vor. (Seiterkeit links.)

Aber der Antrag erscheint mir namentlich deshalb nicht annehmbar, weil in der Mitte des ersten Absatzes die Worte stehen: „wenn die Störung durch Selbstschutz nicht verhütet werden kann“. Das wird ja in vielen Fällen möglich sein, und daraus folgt eben, daß die ganzen Kosten auf die Schultern der Telegraphenverwaltung fallen, daß diese also die ganzen Kosten zahlen müßte, während diejenigen, die die Störung verursachen, nämlich die Starkströme, frei ausgehen würden. Aus diesem Grunde möchte ich bitten, den Antrag abzulehnen, zumal mir nicht ganz klar ist, worauf sich in den letzten drei Zeilen das Wort „letzteres“ bezieht. Aber wenn mir das auch klar wäre oder im Laufe der Debatte klar würde, möchte ich doch aus den anderen Gründen Sie bitten, den Antrag abzulehnen.

Was den erwähnten Fall in Dresden betrifft, so liegt die Sache so: In Sachsen bestehen Verordnungen, nach welchen die Interessen der Telegraphenleitungen genügend sicher gestellt erscheinen gegen die Starkstromanlagen, indem von ihnen die nöthigen Sicherungen im polizeilichen Interesse verlangt werden. Lediglich auf Grund dieser Ver⸗ ordnungen hat die Ober⸗Postdirection jene Anforderung an die Starkstrom⸗ leitungen gestellt. Wenn die Ober⸗Postdirection es nicht gethan hätte, so würde es jedenfalls die Polizeiverwaltung besorgt haben. Uebrigens ist diese Sache noch nicht zu Ende. Es fängt ja immer damit an, daß seitens der Reichs⸗Telegraphenverwaltung die Bedingungen aufgestellt werden, welche für die Sicherung des Telegraphen nothwendig sind, daß dann die Stadt ihre Ausführungen dagegen macht, und daß man sich schließ⸗ lich einigt, wie es bisher in allen Fällen geschehen ist.

Endlich und das ist der letzte Punkt zu diesem Antrage hat der Herr Abgeordnete gemeint, der Antrag Bödiker wegen der Priorität sei bedenklich, weil ja auch Telegraphenanlagen, namentlich in kleineren Orten, mangelhaft construirt sein könnten, und weil es dann der Gerechtigkeit nicht entsprechen würde, dem später kommenden die Kosten, welche aus der Mangelhaftigkeit der Anlagen entstanden sind, aufzuerlegen, so habe ich ihn wenigstens verstanden. Nun, meine Herren, ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß eine mangelhafte Anlage nach unseren Einrichtungen nicht vorkommen kann. Es bestehen ganz genaue Vorschriften, wie die Telegraphenlinien angelegt werden sollen. Es sind jedesmal Leitungsaufseher mit eingeübten Arbeitercolonnen dabei; es wird jede einzelne Operation durch einen Aufsichtsbeamten controlirt, jede Leitung wird, ehe sie in Betrieb gesetzt wird, abge⸗ nommen, d. h. geprüft auf ihre Zuverlässigkeit und auf die Ordnungs⸗ mäßigkeit der Anlagen. Sie sehen also, der Fall kann eigentlich nicht eintreten.

Bevor ich mich nun zu den prineipiellen und gegnerischen Ansichten der Herren Abgg. von Bar und Genossen wende, möchte ich mir gestatten, einige allgemeine Bemerkungen vorauszu⸗ schicken. Der Herr Abg. Dr. Hammacher hat bei der Berathung in der Dienstag⸗Sitzung erwähnt, in seinem langen parlamentarischen Leben wäre ihm der Fall ja öfter passirt, daß eine Gesetzesvorlage zu Mißverständnissen Veranlassung gegeben hätte; so viele Miß⸗ verständnisse aber, wie sie durch die gegenwärtige Gesetzesvorlage, wenigstens durch die in dieselbe hineingetragene Beunruhigung wenn ich das sage, so meine ich natürlich von außerhalb hinein⸗ getragene Beunruhigung (Heiterkeit) —, so viele Mißverständnisse und Verwirrungen also, wie sie durch diese Vorlagen veranlaßt seien, wären ihm doch noch nicht vorgekommen. Meine Herren, ich habe die Ehre, seit 22 Jahren, seit Begründung des Deutschen Reichstags mit dem hohen Hause zu verkehren, und ich kann das in der That nur bestätigen, was der Herr Abg. Dr. Hammacher gesagt hat; niemals ist mir eine solche Fülle von Mißverständnissen und Ver⸗ wirrungen vorgekommen. (Zuruf links.) Der Stoff hierzu liegt in der That nicht in dem Gesetz, welches wir vorgelegt haben, und welches lediglich das Telegraphenregal behandelt. Ich wiederhole nochmals, daß die Regierung weitab davon ist, bsonders die Telegraphenverwaltung, obwohl ich die von der Regierung nicht trennen kann und darf und auch nicht zulassen kann, daß sie getrennt werde, der Industrie und namentlich der Starkstrom⸗ industrie irgend welche Schwierigkeiten zu bereiten. Es ist dies also wirklich, da die ganze Frage in das Elektricitätsgesetz gehört und mit dem Telegraphengesetz überhaupt nichts zu thun hat, hier weiter nichts, als der bekannte Kampf gegen die Windmühlen. Wir haben

den Hauptkampf gehabt bei § 1. Da war die Schlacht zu schlagen,

sicht, kann es auch nicht im entferntesten sein, in der Culturzeit, in

haben. Jedenfalls muß man annehmen, daß, wenn die beiden sich