Die Thatsache bestreite ich. Ich bestreite nicht, daß infolge der schnellen Einführung dieses Waarenverzeichnisses, der Kürze der Zeit, welche zwischen der Feststellung desselben und seinem Inkraft⸗ treten verflossen ist, sich Schwierigkeiten ergeben haben für den Handel, die damals vorübergehend zu einer Häufung von Beschwerden geführt haben; daß aber im ganzen das Waarenverzeichniß von 1888 mehr Beschwerden hervorgerufen habe, als irgend einer seiner Vorgänger, das bestreite ich, und nach den Erkundigungen, die ich bei älteren Mitgliedern des Bundesraths soeben eingezogen habe, wird mir diese Meinung vollkommen be⸗ stätigt. Nun, meine Herren, ein neues Waarenverzeichniß befindet sich augenblicklich in Vorbereitung und wird wahrscheinlich zum nächsten Herbst in Kraft treten. Wenn ich nicht irre, wenn ich den Herrn Vorredner recht verstanden habe, so hat er auch dieses bemängelt, daß bereits wieder ein neues Waarenverzeichniß in Angriff genommen sei. Ja, meine Herren, der Abschluß der neuen Handelsverträge ist ebenso einschneidend, daß es unbedingt nothwendig ist, das Waarenverzeichniß, welches zur Anwendung des Zolltarifes dienen soll, durchzuarbeiten. (Heiterkeit rechts.) Ich habe mit dem Wort „einschneidend“ natürlich nicht den alten Streit über die Zweck⸗ oder Unzweckmäßigkeit des Inhalts der Handelsverträge hervorrufen wollen.
Der Herr Abgeordnete hat dann sich darüber beschwert, daß dem Bescheid über die Anwendbarkeit irgend eines bestimmten Zollsatzes, welche Interessenten von Seiten der Zollämter erhielten, bei der spä⸗ teren Bestimmung der Zollentrichtung gar keine Bedeutung beigelegt werde. Es ist das für einen Importeur allerdings sehr unbequem und an und für sich sehr unerwünscht, wenn auf eine Anfrage das be⸗ treffende Eingangszollamt in einer vielleicht zweifelhaften Frage des Zolltarifwesens eine Auskunft über die Anwendbarkeit eines Zollsatzes giebt, die nachher den von der höchsten Instanz festgestellten Grundsätzen nicht entspricht, und wenn dann nachträglich im Wege der Registerrevision der höhere Zoll von dem Betreffenden eingezogen wird. Ich glaube aber, Sie mögen eine Einrichtung treffen, wie Sie wollen, das werden Sie nicht verhindern können, daß über die Anwendbarkeit eines im Gesetz vorgeschriebenen Zollsatzes auf einen bestimmten Fall die Mei⸗ nungen verschiedene sein können. Sie werden des weiteren auch nicht aus der Welt schaffen können, daß die Entscheidung über die Anwendbarkeit der Zollsätze in solchen Fällen nicht der unteren, sondern der oberen Instanz überlassen bleiben muß, und so lange Sie diese beiden Dinge nicht geändert haben, werden Sie nicht aus der Welt schaffen, daß von der unteren In⸗ stanz, wenn sie gefragt wird, unter Umständen Belehrungen gegeben werden, die sich nachher als irrig herausstellen. Diese ganze Frage gehört ja, streng genommen, nicht in den Reichstag, sondern in die einzelnen Landtage, weil die Zollverwaltung von den einzelnen Staaten geübt wird. Ich habe aber bei Gelegenheit früherer Erörterung dieser Frage aus den Kreisen der Königlich preußischen Zollverwaltung aussprechen hören — und ich kann das nicht für ganz ungerechtfertigt halten —: ja, wenn man den Grundsatz für die Entscheidungen des Bundesraths einführen will, daß, wenn eine falsche Belehrung eines Hauptamts vorliegt, nachher die nach der Meinung des Bundesraths richtige Anwendung des Gesetzes nicht platzgreifen soll, so wird die einfache Consequenz die sein, daß die oberen Landesfinanzbehörden gezwungen sind, ihren Beamten positiv zu verbieten, irgend eine Auskunft an die Interessenten zu geben.
Nun der letzte Punkt! Der Herr Vorredner hat sich darüber be⸗ schwert, daß eine am 12. Juni 1890 von dem Reichstag beschlossene Resolution, welche die verbündeten Regierungen ersuchte, in der nächsten Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die schließ⸗ liche Entscheidung der in den Zollfragen auftauchenden Rechtsfragen dem Rechtswege oder dem Verwaltungsgerichtsverfahren überweise, von den verbündeten Regierungen noch nicht erledigt und dem Reichstag darüber noch keine Mittheilung gemacht ist. Meine Herren, erstens ist der Zeitpunkt, welchen diese Resolution in Aussicht nimmt, überhaupt noch nicht eingetreten. Sie sind noch in derselben Session, meine Herren, in der Sie den Beschluß gefaßt haben, und nach feststehender Praxis wird die gedruckte Mittheilung der Bundes⸗ rathsbeschlüsse Ihnen beim Eingang einer neuen Session, nicht nach einer Vertagung vorgelegt; darauf haben Sie auch keinen Anspruch.
Dies war auch der rein äußerliche Grund, weshalb Sie einen Bescheid nicht bekommen haben, wenn diese Thatsache richtig ist. Nach meiner Erinnerung glaube ich allerdings, daß ich Ihnen über die Stellung des Bundesraths in dieser Frage bereits früher Mit⸗ theilung gemacht habe. Ist es nicht geschehen, ist es namentlich bei den Zollverhandlungen des vorigen Jahres nicht geschehen, so liegt das einfach daran, daß die Herren mich nicht gefragt haben; denn auf eine Frage Antwort zu geben, bin ich vollständig bereit, auch selbst da, wo ich eine Verpflichtung dazu nicht anerkennen muß, voraus⸗ gesetzt, daß die Beantwortung mir möglich ist.
Und so will ich jetzt gern mittheilen, daß der Bundesrath über diesen Beschluß des Reichstags vom 12. Juni 1890 in seiner Sitzung vom 4. Dezember 1890 Beschluß gefaßt hat, und daß dieser Beschluß dahin ging:
Der Resolution des Reichstags vom 12. Juni d. J., die ver⸗ bündeten Regierungen zu ersuchen, in der nächsten Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die schließliche Entscheidung der in Zollsachen auftauchenden Rechtsfragen dem Rechtswege oder dem Verwaltungsgerichtsverfahren überweist, eine Folge nicht zu geben,
und ich gehe noch weiter, indem ich Ihnen mittheile, daß nach meiner Erinnerung die bei Erörterungen dieser Angelegenheit in den Bundes⸗ rathsausschüssen zur Geltung gebrachten Gründe die gleichen waren, welche in früheren Fällen wiederholt bereits zu derselben Stellung⸗ nahme des Bundesraths geführt hatten und welche theilweise auf dem Gebiet des Verfassungsrechts und theilweise auf dem praktischer Er⸗ wägungen beruhen. (Bravo! rechts.)
Abg. Goldschmidt (dfr.): Der Staatssecretär habe zu seinem Bedauern heute, wie seine Commissare bei früheren Gelegenheiten, bewiesen, daß er den Bedürfnissen des Verkehrs kein Verständniß und kein Interesse entgegenbringe. Könne man denn dort gar nicht begreifen, welche schweren Schädigungen es mit sich bringen müsse, wenn ganz plötzlich die Zölle für irgend einen importirten Gegenstand
rhöht würden und auf erhobene Beschwerden drei bis vier Jahre
ergingen, ehe auch nur ein Bescheid erfolge? Könne man sich dort ar nicht denken, daß inzwischen die betr. Gewerbetreibenden an den
and des Ruins gebracht werden könnten? Und daß auch der Bundes⸗ ath Unrecht thun könne, habe er ja mehrfach bewiesen, z. B. bei den Reifenstäben und Faßbodentheilen. Wie der Staatssecretär beweisen wolle, daß die Frage der Waarenverzeichnisse vor die Einzellandtage
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ehöre, verstehe er nicht. Er sei so oft Referent über die unzähligen dierher gehörigen Petitionen gewesen, daß er sich wohl als Sach⸗ verständiger in diesen Sachen betrachten dürfe, und daß er dem Hause weiter nichts in dieser Beziehung vorzutragen habe.
Staatssecretär Freiherr von Maltzahn:
Ich möchte zunächst ein Mißverständniß berichtigen. Ich habe nicht gesagt, daß das Waarenverzeichniß vor die Landtage der Einzel⸗ staaten gehöre. Der Herr Vorredner hat wahrscheinlich das, was ich gesagt habe, nicht ordentlich hören können. Ich habe nur gesagt: die Beschwerden darüber, daß einzelne Zollämter falsche Instruc⸗ tionen gegeben hätten über die Bestimmungen der Bedeutung des Waarenverzeichnisses, diese Beschwerden würden in die Einzel⸗ staaten gehören, und nicht in den Reichstag. Der Herr Vorredner hat nun die Meinung ausgesprochen, es sei in den Kreisen des Bundesraths und bei der Reichsverwaltung gar kein Verständniß für die Schwere der Schädigungen, welche dem Betheiligten erwachsen können durch Veränderungen in der Tarifirung der von ihnen ein⸗ geführten Waaren. Ich kann dem Herrn Abgeordneten versichern, daß dies Verständniß in vollem Maße vorhanden ist, daß auf der anderen Seite in unseren Kreisen bisweilen der Eindruck entsteht, als ob in der Petitionscommission des Reichstags nicht immer das volle Ver⸗ ständniß für die schwierige Stellung der Zollverwaltung vor⸗ handen sei, welche in einem herkömmlich einmal allgemein unan⸗ genehm empfundenen Verwaltungszweige berufen ist, dafür zu sorgen, daß diejenigen Abgaben, welche gesetzlich entrichtet werden müssen, auch entrichtet werden, und zur Deckung der Ausgaben, die damit be⸗ stritten werden müssen, nicht auf den Säckel der übrigen Steuerzahler zurückgegriffen werden muß.
Ich bezweifle aber garnicht, daß der Herr Vorredner ebenso wie ich den ernstlichen Willen hat, in allen derartigen Einzelfällen die richtige Entscheidung zu treffen. Aber die Ansichten darüber, was Recht ist, sind allerdings gerade auf dem schwierigen Gebiet der Tarif⸗ positionen oft recht weit auseinandergehend.
Nun hat der Herr Vorredner Bezug genommen auf zwei Special⸗ fälle. Der eine, der Fall wegen der Reifenstäbe, ist der einzige, von dem ich anerkenne, daß wirklich eine materielle Entscheidung seit Jahren verzögert ist sehr gegen den Wunsch der verbündeten Regierungen. Wir haben noch bei Gelegenheit der letzten Ergänzung des amt⸗ lichen Waarenverzeichnisss den Versuch gemacht, die Frage zu ordnen. Der Versuch ist abermals gescheitert. Es ergab sich, daß noch weitere Verhandlungen über diese Frage nothwendig waren, und wir haben die übrigen durch den Abschluß der Handels⸗ verträge nothwendig gewordenen Entscheidungen in Betreff des Waarenverzeichnisses nicht aufhalten zu sollen geglaubt wegen dieses einzelnen Falls.
Der andere Punkt, den der Herr Abgeordnete erwähnt hat, die Behandlung der Faßbodentheile, ist in dem von ihm gewünschten Sinne erledigt, aber er ist erledigt durch Abänderung des Waaren⸗ verzeichnisses, durch Abänderung der geltenden Bestimmungen; er fällt keineswegs unter diejenigen Beschwerden, welche von dem Herrn Abg. Broemel hier angeregt wurden, nämlich unter die Beschwerden über Verzögerung der Entscheidung von Einzelfällen.
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Die Verzögerungen in den Entscheidungen des Bundesraths entständen nicht aus Mangel an Sachverständniß, sondern aus sachlichen Gründen. Die Wünsche des Abg. Broemel ließen sich eigentlich dahin zusammenfassen: Man be⸗ seitige den deutschen Bundesstaat und errichte einen Einheitsstaat Deutschland. Daß der Bundesrath für die Sachen kein Auge und Ohr haben solle, widerlege Abg. Broemel selbst durch die Bemerkung, daß ersterer bei seinen einmal gewonnenen Anschauungen mit Zähigkeit beharre. Auf die Klage des Abg. Broemel, der Bundesrath erscheine hier so wenig zahlreich, erwidere er, daß die Reichstagsmitglieder hier — keine Partei ausgenommen — verhältnißmäßig viel weniger zahlreich vertreten seien, als der Bundesrath. Auch trete das Haus dem Publikum oft noch weniger höflich entgegen, als der Bundes⸗ rath, denn die meisten Petitionen erkläre das Haus für zur Be⸗ handlung im Hause ungeeignet, und davon gehe den Petenten gar keine Mittheilung zu. Auch der Reichstag habe, gerade wie der Bundesrath, Entscheidungen von Behörden der Einzelstaaten in wich⸗ tigen Fragen abgeändert, z. B. durch den Beschluß über die Geneh⸗ migung der Arbeitsordnungen durch die untere Verwaltungsbehörde. In Bezug auf den Zoll für Kokosfaser sei er ganz der Meinung des Abg. Broemel, aber darum brauche der Bundesrath doch nicht derselben Meinung zu sein. 2
Abg. Broemel (dfr.): Der Staatssecretär habe sich darüber beschwert gefühlt, daß er dem Bundesrath eine unrecht⸗ mäßige, gesetzwidrige Handhabung des Zolltarifs schuld gegeben habe. Die Mehrheit des Reichstags habe seiner Zeit das Verfahren des Bundesraths bezüglich des Petroleumfaßzolles für gesetzwidrig erklärt und der Abg. Dr. von Bennigsen abe einen großen Theil der Entscheidungen des Bundesraths bezüglich des amt⸗ lichen Waarenverzeichnisses für mit dem Gesetz schlechthin unvereinbar erklärt. Das neue amtliche Waarenverzeichniß habe er gar nicht be⸗ mängelt. Gegen eine Bemerkung des Staatssecretärs müsse er ent⸗ schieden Verwahrung einlegen. Er meine, daß, wenn die Geschäfts⸗ leute sich darüber beklagten, daß sie bei den Zollämtern eine Auskunft erhielten, die später in den Entscheidungen der höheren Instanzen nicht aufrecht erhalten würde, man leicht den Hauptämtern verbieten könnte, eine Auskunft zu geben. Dagegen ließe sich formell nichts einwenden. Materiell aber würde dies zu einem Zustande von Rechtlosigkeit führen. Der Staatssecretär wolle jede Frage hier beantworken. Wie aber, wenn bei Initiativanträgen aus dem Hause überhaupt kein Mitglied des Bundesraths erscheine? “
Staatssecretär Freiherr von Maltzahn: “
Nur in zwei Beziehungen bin ich gezwungen, dem Herrn Vor⸗ redner zu antworten. Der Herr Vorredner hat eine Aeußerung von mir miß⸗ verstanden, wenn er gemeint hat, ich hätte gesagt, wenn man darauf bestehe, der Auskunft, welche ein untergeordnetes Hauptzollamt inZollsachen ertheile, eine entscheidende Bedeutung beizulegen, so werde es ein leichtes Aus⸗ kunftsmittel sein, die Auskunftsertheilung zu verbieten. So war meine Aeußerung nicht, sondern ich habe gesagt, daß ich mit maß⸗ gebenden Persönlichkeiten aus der Königlich preußischen Zollverwaltung über diese Frage Rücksprache genommen habe und dort die Auskunft erhielt, wenn man verlange, daß die irrthümliche Entscheidung einer unteren Zollinstanz bindend sein solle für die oberen Instanzen, so würde man damit die Zollverwaltungen zwingen, ein derartiges Verbot auszusprechen. Das habe ich gesagt.
Der zweite Punkt, über den ich mich zu äußern habe, ist der folgende. Der Herr Abgeordnete hat zur Unterstützung und zum Be⸗ weise der von ihm wiederholten Behauptung, daß der Bundesrath gesetzwidrig verfahren sei, sich berufen auf einen Beschluß des Reichs⸗ tags, welcher in einem einzelnen Falle die von dem Bundesrath ge⸗ troffene Auslegung der Gesetze als falsch bezeichnet habe. Dem gegen⸗ über habe ich zur Wahrung der Stellung des Bundesraths hier aus⸗ drücklich darauf aufmerksam zu machen, daß der Reichs⸗ tag verfassungsmäßig zur aalleinigen authentischen Inter⸗
“ “
pretation der Reichsgesetze nicht berufen ist und daß der Bundesrath verfassungsmäßig berufen, berechtigt und verpflichtet ist, die Reichs⸗ gesetze nach seinem besten Wissen zur Anwendung zu bringen. (Sehr wahr! rechts.)
Abg. von Schalscha (Centr.): Er sei nach wie vor der Meinung, daß der Petroleumfaßzoll ein ungesetzmäßiger sei; dieser Zustand scheine ihm aber noch erträglich gegenüber demjenigen, daß ein Importeur, der auf Grund einer amtlichen Auskunft seine Ein⸗ fuhrgeschäfte habe, nach Jahren vielleicht durch die Nach⸗ liquidationen der Zollbehörde in die größten Schwierigkeiten gestürzt werde. In dieser Hinsicht müsse er dem Abg. Broemel durchaus bei⸗ pflichten. 8 1
Abg. Büsing (nl.) verwahrt sich als Vorsitzender der Petitions⸗ commission gegen die Ausführung des Abg. Freiherrn von Stumm. Die Commission habe niemals eine Petition ohne Angabe von Gründen abgewiesen. Jede Petition werde motivirt entschieden. In Bezug auf die Behauptung, daß es der Petitionscommission vielleicht an Verständniß für die Schwierigkeiten fehle, in welchen sich die Zoll⸗ verwaltung zuweilen befinde, sei zu constatiren, daß die Mitglieder mit großem Fleiße, außerordentlicher Sachkenntniß und großer Treue in dieser langen Session gearbeitet hätten; er appellire an das Haus, ob die Arbeiten der Commission Sachkenntniß und Verständniß ver⸗ missen ließen. In der Petition der Dortmunder Union habe die Commission auch einen großen Erfolg erreicht.
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.) bleibt dabei, daß die Reichstags⸗ majorität über die Motive ihrer Abstimmung den Petenten kei Auskunft gebe. 1
Ein Vertagungsantrag wird abgelehnt. “
Abg. Menzer (deutscheons.) begründet seinen Antrag auf Erhöh g des Tabackzolls mit der Nothlage der Tabackbauern. Wenn auch in manchen Districten der einheimische Tabackbau vielleicht noch lohnend sei, so gelte das nicht von der Allgemeinheit, die vielmehr die Nothlage sehr stark empfinde. Wie sehr der ausländische Taback dem inlän⸗ dischen Concurrenz mache, davon seien ein Zeugniß die von ihm auf den Tisch des Hauses niedergelegten Cigarren. Beim Import aus⸗ ländischen Tabacks werde der ganze Zollsatz bei der Preiscalculation auf das Blatt geschlagen. Die Rippen würden ausgelöst und, da für sie kein Zoll berechnet sei, für den geringen Preis von 20 ℳ für den Doppelcentner verkauft. Die Rippen würden dann gewalzt und für sich zu Cigarren verarbeitet. So seien die auf dem Tisch liegenden Cigarren hergestellt und sie seien sehr rauchbar. Bei einer solchen Concurrenz müsse der inländische Taback durch einen höheren Zoll geschützt werden, und er bitte daher um Annahme des Antrags.
Um 5 ¾ Uhr vertagt das Haus die weitere Berathung
auf Mittwoch 12 Uhr.
Kunst und Wissenschaft.
4ꝛ Nachdem die Aquarellmalerei in Deutschland längere Zeit als Dilettantentechnik mißachtet war, hat sie neuerdings ins⸗ besondere von Seiten der modernen Impressionisten eine enthusiastische Wiederaufnahme erfahren. Es hat großes historisches Interesse, die Entwicklung der modernen Wasserfarbenmalerei von ihrem Stamm⸗ lande England über Frankreich, Italien und Spanien zu verfolgen. Deutschland schließt sich dieser Entwicklung verhältnißmäßig spät an. Schwind, der zarte Märchenmaler, hat sich die Errungenschaften Turner's noch kaum angeeignet, E. Hildebrandt, der Maler evxotischer Naturphänomene, lernt in der Schule Isabey's in Paris und beschränkt sich im wesentlichen auf landschaftliche Vor⸗ würfe, Passini schließlich muß trotz seiner deutschen Herkunft und seines deutschen Lehrers Karl Werner zu den Italienern gerechnet werden. Eine von den Werken dieser älteren deutschen Aquarellisten durchaus abweichende Physiognomie zeigen die Arbeiten welche die Vereinigung deutscher Aquarellisten augenblicklich in dem oberen Geschoß der Kunsthandlung Amsler und Rut⸗ hardt ausgestellt hat. Es ist der Impressionismus, in dessen Dienste diese Künstler die Wasserfarbentechnik gestellt haben. Nicht die farbenglühenden Herrlichkeiten des Orients und der italienischen Landschaft, sondern die von Seenebeln geschwängerte Atmosphäre Hollands, das Volksleben der dortigen Schiffer und Fischer und die moderne Wirklichkeit des Straßen⸗ und Salonlebens treten uns auf diesen Blättern, die an Umfang oft mit großen Oelbildern wetteifern, ent⸗ gegen. Damit ist die völlige Selbständigkeit der Technik auch in Deutschland proclamirt. Der „Mondaufgang an der holländischen Küste“, den H. von Bartels z. B. gemalt hat, giebt sich durchaus als ein abge schlossenes Gemälde, auf dessen Stil die Ausführung in Wasserfarben kaum noch einen Einfluß ausübt. Freilich läßt sich die Einheitlichkeit des Gesammttons nicht ganz so festhalten, wie in der Oelmalerei; vielfach begegnen uns unvermittelte fleckige Localtöne. Aber ihre Leuchtkraft vermag es durchaus mit der Oelmalerei aufzunehmen. Von der Höhe der Dünen blicken wir in die engen Dorfgassen hinab, über deren Dächer sich die wuchtigen Baumassen einer Kirche. erheben. Ueber der glatten Meeresfläche steigt langsam die blasse Scheibe des Mondes empor. Die Spätnachmittagsstimmung eines Sommer tages ist trefflich wiedergegeben, die Rauchschichten, die wolken⸗ artig über den Häusern lagern, mischen sich mit dem Silber⸗ glanz des Seenebels zu einem wirkungsvollen Gesammtton. Vorzüglich gelungen ist demselben Künstler auch die Vertiefung des Raumes, das Zurücktreten der landschaftlichen Hintergrundmassen in der kleinen Studie „Martje im Garten“. Feiner durchgeführt und auf zarteste Töne gestimmt erscheint das Schleusenbild aus dem nord holländischen Inselstädtchen Zaanredam. Das Interieur einer Fischer stube mit der Gestalt einer Greisin am Kamin, als „Wittwe“ be zeichnet, wirkt in den Localfarben für eine Innenscene etwas zu hart und trocken. Die Poesie des Innenlichtes läßt sich in Wasserfarben eben ⸗schwerer wiedergeben als in Oelfarben. Sehr leuchtend und farben kräftig ist die von den letzten Strahlen der Nachmittagssonne beschienene Felsküste von Ancona auf Rügen. Hans Herrmann zeigt, wie ja auch von älteren Ausstellungen her schon hinlänglich bekannt, eine ungememn geschickte und sichere Hand in seinen, meist holländische Veduten wiedergebenden Aquarellen. Der silbergraue Nebelton der holländischen Atmosphäre ist namentlich gut getroffen in dem Fischmarkt zu Amster dam. Herrmann verzichtet meist auf allzu derbe Gegensätze und spinnt dafür die feineren Stimmungen in überaus zierlicher Weise in Land⸗ schaftsbildchen aus. Besonders seien der Trödelmarkt und eine Wind⸗ mühle in Amsterdam hervorgehoben. Eine Ansicht von Dortrecht ist kräftiger und schärfer accentuirt, eine echt holländische Breite des Vor⸗ trags fällt hier besonders vortheilhaft auf. “
Franz Skarbina, unermüdlich thätig, hat zu der Ausstellung
eine erlesene Reihe von Bildern beigesteuert. Am weitesten wagt er sich auf dem Gebiet der Tonmalerei vor in einer abendlichen Innen⸗ scene „unter vier Augen“: Zwei elegante schlanke Frauengestalten in einem reich ausgestatteten, von gelbverhängter Lampe erhellten Salon. Das Lichtspiel der Lampe und einer zweiten Lichtquelle verursacht ein Flirren und Schwingen der Farbentöne, vor dem keine feste Localfarbe bestehen kann. Alles löst sich in schillernde Reflexe und Lasuren auf. Aber wie meisterhaft sind die beiden “ in den Raum gestellt, wie zart die Blumen in der links auf dem Tisch stehenden Vase hin gehaucht. Der zwischen rosa und violett schwingende Gesammtton ist etwas vordringlich und nicht neutral genug, um die einzelnen Farben natürlich zu vermitteln. Sehr frisch in Luft⸗ und Lichtstimmung in der Waldweg aus dem Böhmischen Wald mit weiblicher Staffage. Ebenso das Bildchen „Nachmittagsstunde“, welches sehr warm in der Farbe wirkt, ein Karlsbader Motiv, wie die Café scene „im Posthofe, zu dessen Fensterscheiben die grünen Bãume der Eere . hereinblicken. Weniger geistreich und etwas stumpf im
on erscheint uns der „Berliner Weihnachtsmarkt“, ein Straßenbild von vielen dicht gedrängten Figuren. 1
Eine kleine Landschaft von Max Fritz paßt in dieser modern
gestimmte Umgebung kaum hinein, es müßte denn sein, 18 man an einem Beispiel zeigen wollte, wie man vor etwa zwanzig ahren in Deutschland in Wasserfarben zu malen verstand.
Haus der Abgeordneten. 27. Sitzung vom Dienstag, 8. März.
Der Sitzung wohnt der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz bei.
Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Berathung des Etats des Ministeriums der geist⸗ lichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗Angelegenheiten.
Die Ausgaben für die Provinzial⸗Schulcollegien, mit Ausnahme der Gehälter der Provinzial⸗Schulräthe werden genehmigt; ebenso ohne Debatte die Ausgaben für die Prüfungscommissionen. 11““ .
Es folgten die Ausgaben für die Universitäten. Die Universität Königsberg erhält einen Zuschuß von 804 803 ℳ (6200 ℳ mehr als im laufenden Etat).
Abg. Dr. Friedberg (nl.) spricht seine Befriedigung darüber aus, daß verschiedene der von ihm im vorigen Jahre gegebenen An⸗ regungen auf fruchtbaren Boden gefallen seien; so sei dem Etat eine Uebersicht der Stiftungsfonds beigegeben. Nicht einverstanden sei er damit, daß die Aenderung der Zweckbestimmung einer Professur ohne Zustimmung des Landtags erfolgen könne; mindestens müsse dem Landtage davon Kenntniß gegeben werden. Für die Professoren sollte ebenfalls das System der Dienstalterszulagen eingerichtet werden; es sei erfreulich, daß die Regierung darüber Erwägungen anstelle.
Abg. von Meyer⸗Arnswalde (b. k. F.): Er habe in der Zei⸗ tung gelesen, daß die Bonner Corps an den Rector eine Adresse gerichtet hätten, sie würden nach dem 3. März und vor dem 25. April Collegien nicht besuchen. Wenn das der Fall sein sollte, so würde das ein Exceß der Naseweisheit sein.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenhecten Graf von Zedlitz:
Von der erwähnten Thatsache ist mir nichts bekannt; ich muß deshalb auch mein Urtheil zurückhalten, bis ich Bericht eingezogen haben werde.
Was die Frage der Ferienordnung betrifft, so wird den meisten Herren bekannt sein, daß hierüber seit einer längeren Reihe von Jahren Verhandlungen schweben. Sie sind augenblicklich in dem Stadium, daß im Ministerium erneut unter Zuziehung verschiedener Herren von den Universitäten Vorschläge in conereter Form gemacht worden sind und daß diese Vorschläge jetzt den einzelnen Universitäten zu einer gutachtlichen Aeußerung vorgelegt sind. Ein Definitivum gegen die bisherige Ordnung ist zur Zeit noch in keiner Weise ge⸗ troffen, und es freut mich, daß ich Ihnen dies habe mittheilen können, weil ich gerade von den Universitätskreisen den Eindruck ge⸗ wonnen habe, daß man vielfach glaubt, diese vorläufigen Verhand⸗ lungen sollten schon eine definitive Neuregelung der Sache bedeuten.
Bei den Ausgaben für Berlin (Zuschuß 2 101 000 ℳ, 27 400 ℳ mehr als im laufenden Etat) empfiehlt
Abg. Dr. Lotichius (b. k. F.) neben der Anstellung eines Prä⸗ parators beim zoologischen Museum, die jetzt in Aussicht genommen sei, die weitere Anstellung eines Custos. 1 Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Althoff verspricht die Sache in Erwägung ziehen zu wollen und weist auf die Thätigkeit des 1887 gegründeten Orientalischen Seminars hin, das nicht nur Schüler aus⸗ gebildet, sondern auch Lehrbücher herausgegeben habe; er empfiehlt
ie Annahme der Mehrausgaben für dieses Seminar.
Abg. von Eynern (nl.): Die Städte, welche Universitäten hätten, zögen davon großen Nutzen; für Berlin allein würden zwei Millionen Mark aufgewendet, aber trotzdem seien manche Institute in schlechtem Zustande. In Frankreich seien seitens der Gemeinden erhebliche Aufwendungen für die Universitäten gemacht worden; auch manche deutsche Universitätsstadt erkenne es als eine Ehrenpflicht an, für ihre Universität zu sorgen. So hätten Straßburg, Leipzig, Breslau, Kiel erhebliche Ausgaben geleistet. Aber Berlin thue nichts, sondern empfange noch Wohlthaten von den Universitätseinrichtungen, die er auf 600 000 ℳ berechnet habe. Hoffentlich erinnere sich die Stadt Berlin ihrer Pflicht, wenn es sich einmal um die Verlegung der Charité handeln sollte.
Abg. Dr. Langerhans (dfr.) hält es nicht für richtig, daß der Regierung die Besetzung der Professuren nach ihrer Erledigung nach Belieben freistehe; der Landtag habe die Zweckbestimmung ge⸗ billigt, eine Aenderung müsse ihm ebenfalls unterbreitet werden. Berlin sei die größte Universität, deshalb brauche es den größten Zuschuß und die größten Sammlungen. Paris solle so viel Geld für die Universität bewilligen; es empfange aber alljährlich aus Staats⸗ mitteln erhebliche Zuschüsse. Berlin habe selbst Krankenhäuser errichtet; daß es keine Kliniken halte, sei selbstverständlich. Daß Berlin in der Charité Freibetten habe, beruhe auf eingelieferten
Kapitalien. Warum werde für das pathologische Institut und seine Sammlungen kein Neubau errichtet? Die Sammlung sei die beste der Welt, aber sie sei untergebracht in dem Keller und auf dem Boden eines baufälligen Gebäudes. Das Institut müsse in der Nähe der Krankenhäuser bleiben, wo es sich befinde. Man möchte wohl gern an einer anderen Stelle bauen.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Althoff: Es gebe zwei Arten Professuren: die Professuren nach dem Normaletat aus den vierziger Jahren, die freien Professuren und die gebundenen Pro⸗ fessuren, die nachher mit bestimmter Zweckbestimmung bewilligt worden seien. In Bezug auf die letzteren sei die Regierung für alle Zeit ge⸗ bunden; die freien Professuren könne aber die Regierung anderweitig benutzen, wie es die Lage der betreffenden Universitäten verlange.
enn diese Freiheit nicht vorhanden wäre, würde manche Mehraus⸗ gabe entstehen. Was der Abg. von Eynern gesagt habe, richte sich an die Stadt Berlin; er wünsche nur, daß es dort sympathische Auf⸗ nahme finde. Die Ausgaben für Universitäten seien sehr gering be⸗ messen; sie betrügen in Preußen 0,36 ℳ, in Baden z. B. 0,74 ℳ. Bezüglich des pathologischen Instituts stimme er dem Abg. Langer⸗ ans zu; es sei bedauerlich, daß die Sammlungen desselben nicht genügend benutzt werden könnten. Hoffentlich werde die Baufrage demnachst einer Lösung zugeführt werden.
Abg. Dr. Friedberg (nl.) bleibt dabei, daß die Regierung in allen Fällen an die Zweckbestimmung der Professuren gebunden sein müsse. 8 Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Germar bezeichnet das als un⸗
bög ich und finanziell bedenklich. 1.“ irgend'g. Dr. Meyer: Wenn die Regierung an die Stadt Berlin übtic. 88 Anforderungen habe, so werde sie diese wohl auf dem das 8 schriftlichen Wege geltend machen, nicht auf dem Umwege über 8 Abgeordnetenhaus durch den Abg. von Eynern. Die Stadt secelh habe Aufwendungen für die Universitätskliniken gemacht; sie ktelle ihre Krankenhäuser auch gern für wissenschaftliche Zwecke zur und brauche für ihre Krankenpflege, besonders bei der meapflege, die Kliniken nicht. 8 für Seelig (dfr.) befürwortet eine erhöhte Unterstützung
as Mufeum der landwirthschaftlichen Hochschule.
* 8 8
§ 2
Berlin,
3w eite Beila ge Reichs⸗Anz
Berlin, Mittwoch, den 9. März
eiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger. 1892.
Abg. Dr. Kropatscheck (cons.) weist darauf hin, daß in Frank⸗
reich die Gemeinden den Universitäten große Zuwendungen machten. 8 Charité sei vom König Friedrich Wilhelm IJ. gestiftet, ohne Aufwendungen seitens der Stadt Berlin, welche trotzdem eine er⸗ hebliche Anzahl von Kranken dort verpflegen lassen könne. Abg. von Eynern (nl.): Nicht im Auftrage der Regierung, sondern aus eigener Initiative habe er die Sache zur Sprache ge⸗ bracht und werde wohl noch mehrfach Gelegenheit zu ähnlichen Aus⸗ lassungen haben.
Abg. Dr. Langerhans (dfr.): Wie sollten denn die Zu⸗ wendungen gemacht werden? Solle Berlin den Universitäten oder der Regierung ein Geldgeschenk machen? Die französischen Ge⸗ meinden zahlten, weil ihre Kranken in den Kliniken unentgeltlich verpflegt würden, Berlin müsse bezahlen. Allerdings könnten heilbare Geisteskranke in der Charité unentgeltlich untergebracht werden. Aber Berlin möchte dies Verhältniß aufheben; denn wenn ein Geisteskranker sich nach 6, 8 Wochen als unheilbar erweise, müsse Berlin für jeden Tag 3 ℳ nachbezahlen. Redner bittet, den Neubau des pathologischen Instituts zu beschleunigen.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz:
Meine Herren! Die Staatsregierung erkennt vollständig an, daß die Charité in ihren jetzigen äußeren Verhältnissen nicht mehr den⸗ jenigen Anforderungen entspricht, welche die heutige Zeit an ein mustergültiges Krankenhaus und vor allen Dingen auch an große Lehrinstitute auf medizinischem Gebiete stellen muß. Diese Einsicht hat schon seit einer längeren Reihe von Jahren, insbesondere aber seit dem vorigen Jahre zu der Ueberzeugung geführt, daß energische Schritte zu einer Verbesserung angebahnt werden müssen, und ich habe mich mit meinem Herrn Collegen von der Finanz bereits im Anfange vorigen Jahres zu einem einleitenden Schritt nach dieser Richtung hin vereinigt. Es ist eine vorberathende Commission eingesetzt, welche die Frage prüft. In der Commission sind Sachverständige jeder Art vertreten, und ich hoffe, daß die Entwickelung dieser Ar⸗ beiten eine günstige sein wird. Ich muß allerdings zugestehen, daß eine solche Frage von heute auf morgen nicht zu lösen ist; es con⸗ currirt dabei eine so große Zahl der allerwichtigsten und leider zum Theil sich widersprechendsten Interessen, daß es außerordentlich schwierig ist, die richtige Entschließung, die ja auf einer gewissen Mittellinie zu suchen sein wird, zu finden.
Ich darf nur die Platzfrage erörtern. Nach verschiedenen Rich⸗ tungen hin würde man ja glauben können, daß es das einfachste und empfehlenswertheste sei, auf der jetzigen Stelle der Charité eine neue bau⸗ liche Einrichtung zweckmäßiger Art zu treffen. Das empfiehlt sich nach anderen Richtungen hin nicht. Ich erwähne nur allein das finanzielle Inter⸗ esse. Das Land würde genöthigt sein, eine sehr bedeutende Summe, viele Millionen neu auszugeben. Löst man die Baup latzfrage dagegen in der Weise, daß man die Charité mit denjenigen Instituten hinaus⸗ verlegt, welche von dem Mittelpunkt der Stadt und von dem Mittel⸗ punkte des medizinischen Unterrichtes hinausverlegt werden können, so würde sich die Rechnung voraussichtlich so stellen, daß man muster⸗ gültige Krankenhäuser erbauen kann, ohne die Staatsfinanzen in irgend einer Weise zu belasten. Ich meine, die Erwägung dieses Umstandes ist von einer solchen Bedeutung, daß Sie mir gewiß Recht geben werden: die Staatsregierung darf sich bei der endgültigen Ent⸗ schließung nicht überstürzen.
Es kommt ferner hinzu, daß die nahe Verbindung, in welcher die Charité mit der Universität steht, auch die Interessen der Kranken, der leidenden Bevölkerung in Berlin bezüglich der Aufnahme und des Verkehrs aufs engste berührt, und daß auch diese Frage Erwägungen der allerernstesten Natur erfordert.
Also, meine Herren, die Staatsregierung ist sich bewußt, daß sie vor einer Aufgabe steht, die nach jeder Richtung hin der Erwägung werth ist und einer neuen Regelung zugeführt werden muß, und die gleichzeitig Eile hat. Sie wird alles daran setzen, um diese Aufgabe den Interessen sowohl des medizinischen Unterrichts, wie der Stadt Berlin, wie überhaupt der Humanität im allgemeinen entsprechend zu lösen.
Ich komme nun noch mit zwei Worten auf die Uebelstände des pathologischen Instituts und der dort untergebrachten Sammlungen zurück. Ich kann nur wiederholen, was mein Herr Commissar gesagt hat: die Uebelstände sind vorhan⸗ den, die Sammlungen sind von dem größten Werth. Schon die Rücksichtnahme auf bedeutende Namen in der Wissenschaft, die sich mit diesen Sammlungen und diesem Institut verknüpfen, würde die Staatsregierung beeinflussen müssen, bald eine würdigere Stätte für das wichtige Institut zu finden. Aber man ist der Meinung gewesen, und gerade aus den Gesichtspunkten heraus, die der Herr' Abg. Langerhans in seiner ersten Rede hervorgehoben hat, daß das pathologische Institut aus inneren Gründen gar nicht getrennt werden kann von dem großen Complex der Krankenanstalten, der Kliniken selbst, daß die Frage der anderen
Unterbringung des pathologischen Instituts absolut vertagt werden
müßte, bis die Hauptfrage entschieden wäre: wo und in welchem Um⸗ fange kommen die neuen Krankenanstalten zur Erbauung? Aber ich will mir die Anregung, die heute in diesem hohen Hause gegeben ist, erneut zu einer Mahnung werden lassen, wenigstens für die Zwischen⸗ zeit, mit Rücksicht auf die ganz bedenkliche Baulage des Hauses, ein Interimisticum zu schaffen. Versprechen kann ich nichts; ich kann nur versprechen, daß ich diese Frage mit Ernst prüfen und sie einer günstigen Regelung nach der Bedeutung, die ihr beikommt, entgegen⸗ zuführen mich bemühen werde.
Abg. Mooren (Centr.): Es sei eine Anomalie, daß die Uni⸗ vom Staate allein unterhalten würden, besonders in Berlin, während die anderen Städte für die Gymnasien allein aufkommen müßten; auch für die technische Hochschule in Aachen habe die Stadt aufkommen müssen. Für Lehrerseminare, für Gerichtsgebäude, ja für die Einrichtung von Filialen der Reichsbank habe man manchen Städten im Westen erhebliche Opfer angesonnen.
Abg. Dr. Hermes (dfr.): Die Anregungen des Abg. von Eynern seien an die falsche Adresse gerichtet; denn Berlin könne doch auch aus freien Stücken etwas anbieten; wenn etwas auf diesem Ge⸗ biete versäumt sei, so liege die Schuld an der Regierung. Uebrigens schwebten Verhandlungen zwischen der Regierung und der Stadt die vielleicht dem Abg. von Eynern befriedigen würden.
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Abg. Dr. Meyer: Bezüglich der Charité bleibe es dabei, daß Friedrich Wilhelm I. ein für Krankenpflege angesammeltes Kapital ge⸗ nommen und dafür Freistellen als Entschädigung gewährt habe. Redner empfiehlt schließlich eine bessere Heizung des Hygienischen Museums.
Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum: Die Berliner seien in einer bequemen Lage. Gewisse Sammlungen und Einrichtungen könnten nur nach Berlin gelegt werden. Deshalb brauche die Stadt sich nicht besonders darum anzustrengen. Daß Berlin bei den Po⸗ lizeikosten bisher sehr gut weg gekommen sei, stehe fest. Daß es trotz aller Aufwendungen mit 100 % Communälsteuer ausgekommen sei, beweise einmal, daß eine strengere Einschätzung stattgefunden habe, als z. B. in den rheinischen Städten, ferner aber auch, daß Berlin wohl in der Lage sei, mehr zu leisten für Universitäts⸗ institute ꝛc.
Abg. Mooren (Centr.): Im Westen könne man nicht mit 100 % Communalsteuern auskommen, deshalb verließen die reichen Leute die Städte des Westens und gingen nach dem billigen Berlin. Daß die Städte im Westen vielleicht zu niedrig eingeschätzt hätten, liege daran, daß ein lästiges Eindringen in die Verhältnisse bisher ausge⸗ schlossen gewesen sei.
Abg. Dr. Hermes (dfr.): Der Vorredner habe wohl die Ber⸗ liner Miethssteuer vergessen, welche neben den 100 % Gemeinde⸗ steuern zu zahlen sei.
An Ausgaben für Breslau werden 911 350 ℳ, 19 370 ℳ mehr als im laufenden Etat, verlangt.
Abg. Dasbach (Centr.) fragt an, weshalb Professor Weber nicht mehr lese, sondern in Bonn sich aufhalte.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Althoff erklärt, daß Professor Weber als Altkatholik durch einen anderen, nach gewisser Seite einwandsfreien Professor der Philosophie ersetzt sei. Da man dem Professor Weber seine Rechte genommen und er in Breslau nichts mehr zu thun gehabt habe, habe sein Wunsch, ihn von seinen Verpflichtungen zu entbinden, nicht abgeschlagen werden können.
Für Studirende deutscher Herkunft, welche später in den Provinzen Westpreußen und Posen und im Regierungsbezirk Oppeln verwendet werden, sind 100 000 ℳ ausgesetzt.
Abg. von Czarlinski (Pole) empfiehlt die Streichung dieses onds, der eine ungerechte Bevorzugung der Deutschen sei.
Der Titel wird gegen die Stimmen der Polen genehmigt.
Beim Kapitel 120: Höhere Lehranstalten, Titel 1, Zahlun⸗ gen infolge rechtlicher Verpflichtungen, geht
Abg. Dr. Graf⸗Elberfeld (nl.) auf die Schulreform ein. Zufrieden seien mit den neuen Lehrplänen die lateinlosen Ober⸗Real⸗ schulen, unzufrieden die Vertreter des Baufachs. Die lateinlosen An⸗ stalten sollten zum Studium der Mathematik berechtigen. Damit sei eine Bresche gelegt, die schließlich zur Gleichberechtigung der ver⸗ schiedenen Arten der Vorbildung führen werde. Damit schwinde dann die gleichmäßige Vorbildung für die Universitäten. In der Prüfungsordnung sei ein Compromiß abgeschlossen. Die Ver⸗ treter der klassischen Bildung bedauerten die Verminderung des Unter⸗ richts in den klassischen Sprachen. Aber es habe sich ja darum ge⸗ handelt, die Ueberbürdung der Schüler zu beseitigen und die Gesund⸗ heitspflege, Turnen, das Deutsche und die vaterländische Geschichte mehr in den Vordergrund zu drängen. Daß der Sprachunterricht mehr die Lectüre berücksichtigen werde, sei zu hoffen. Specielle Ein⸗ wendungen hätten sich erhoben gegen das Zwischenexamen, zu welchem die Militärverwaltung, der Einjährig⸗Freiwilligen wegen, den Anstoß gegeben habe. Es habe damit ein Abschluß erreicht werden sollen für diejenigen, welche nur die unteren sechs Klassen der Schule besuchten. Das Bedenken, daß die Gesundheit der Schüler geschädigt werde, werde auf die Schüler, die nach Ab⸗ solvirung der sechsklassigen Schulen ein Examen machen müßten, ebenfalls zutreffen. Das Examen solle nur ein Versetzungs⸗ eramen sein, bei welchem meistens der Director als Staatscommissar fungiren werde. Eine Reform sei bei den Realgymnasien am noth⸗ wendigsten gewesen; deren Vertreter seien ja auch wohl damit jetzt einverstanden. In der Petition der Herren Dr. Lange und Genossen sei die Einheitsschule als letztes Ziel gefordert worden. Sie solle die Ueberfüllung der gelehrten Berufe verhindern und die Ueberbürdung verhüten. Die Ueberbürdung könne doch nur in den unteren Klassen verhindert werden, in den oberen Klassen würde sie um so stärker sein. In Deutschland sei die Einheits⸗ schule nicht ausreichend vertreten; in Schweden und Norwegen sei sie vorhanden, aber die Ueberfüllung der gelehrten Berufe sei dort auch vorhanden, und zwar werde sie gerade auf die Einheitsschule zurück⸗ geführt. Redner schildert dann eingehend die Reformbestrebungen in Norwegen und die dortigen Pläne für die Zukunftsschule, welche der klassischen Bildung den Todesstoß versetzen würden, nur zu Gunsten der Einheitsschule. Man müsse jetzt auf eine Zeit der Ruhe, oder wenigstens des Waffenstillstandes hoffen. Diejenigen, die an der Sache mitgewirkt hätten, hätten sich böse Worte sagen lassen müssen: An⸗ passung an die Worte des Kaisers, Dilettantismus und Byzantinismus. Solche Vorwürfe müsse er zurückweisen. Die Mitglieder der Schul⸗ konferenz seien nur bemüht gewesen, die theuersten Güter, die guten preußischen Schulen, zu erhalten.
Abg. von Schenckendorff (nl.): Die Reformbestrebungen seien nicht ausgegangen von den Schulmännern, sondern mehr von den Männern des praktischen Lebens. Man müsse es anerkennen, daß ein großer Theil der laut gewordenen Wünsche erfüllt, oder ihre Erfül⸗ lung wenigstens angebahnt sei. Ein vorsichtiges Vorgehen sei gerade auf diesem Gebiete nothwendig; eine radicale Umänderung habe nicht erfolgen können, man habe sich auf den Boden des historisch Ge⸗ wordenen stellen müssen. Preußen habe neben 480 Latein treibenden Anstalten nur 60 lateinlose. Die Folgen seien, daß die Lateinschulen überlastet seien, daß die Zahl der Studirenden sich vermehre; für den Mittelstand werde aber nicht die Bildung geschaffen, die er brauche. Die Gegner der Einheitsschule sollten einmal Vorschläge machen, wie man dieser falschen Entwickelung entgegen treten könne. Man müßte den Versuch machen, die Gymnasien und Realgymnasien mit den Ober⸗Realschulen in Verbindung zu bringen; an die untersten drei Klassen müßten sich möglichst drei weitere Klassen einer Ober⸗ Realschule anschließen, in welche die Schüler übergehen könnten. Die Schulconferenz habe sich nicht entschließen können, dem Minister einen solchen gemeinsamen Unterbau zu empfehlen, um so dankens⸗ werther sei es, daß an einzelnen Orten Versuche damit gestattet würden. Wie stehe der Minister zu dieser Frage? Sollte es sich nicht empfehlen, Versuche in allen Provinzen anzustellen? Die Unter⸗ richtsverwaltung habe unter einem gewissen Hochdruck arbeiten müssen, wie selten zuvor; nachdem Seine Majestät seine Zustimmung zu den Beschlüssen der Conferenz gegeben habe, sei eine gebundene Marsch⸗ route vorhanden gewesen; der Minister habe es verstanden, die Opposition zu vermindern; er (Redner) hoffe, daß das Reformwerk zum Segen des Vaterlandes gereichen möge.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz:
Meine Herren! Ehe ich mit einigen allgemeinen Ausführungen auf das vorliegende Thema eingehe, das die beiden Herren Vorredner in so ausführlicher und — wie ich auch dankbar anerkenne — objectiver und wohlwollender Weise gegen die Unterrichtsverwaltung angeschnitten
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