1892 / 67 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 17 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

*

g

ringung eines Kranken auf Grund des Attestes eines Privatarztes

rfolgt sei, müsse der Physikus sofort nachher auch sein Gutachten abgeben.

8 Abg. Dr. Virchow (dfr.): Oeffentliche Anstalten seien nicht in ausreichendem Maße vorhanden, um denen, die noch nicht entmündigt seien, ein provisorisches Unterkommen zu gewähren. Man werde sich

amit abfinden müssen, daß Privatanstalten benutzt würden. an

önne ja diese einer größeren Inspection unterwerfen. Die Zahl der Mißgriffe sei wirklich nicht so groß. Die Erfahrungen des Abg. Stöcker bezögen sich wahrscheinlich auf Zeitungsnotizen; aber es gehe damit wie mit den lebendig Begrabenen. Die Aerzte hätten es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Nachrichten nachzuforschen, und es habe si herausgestellt, daß kein einziger dieser Fälle sich nachher als wirkli eschehen ergeben habe. Die einzelnen Fälle, bei denen sich Streitig⸗ eiten ergäben, kämen entweder zur gerichtlichen Entscheidung oder zur Entscheidung der Deputation für das Medizinalwesen. Es sei aber niemals festgestellt worden, daß eine Person, die man als geisteskrank erklärt habe, nachher nicht als geisteskrank befunden worden sei. Die Kreisphysiker sollten keine Ahnung von Psychiatrie haben und ihr Urtheil nach Sentiment abgeben. Der Abg. Stöcker müsse sonderbare Erfahrungen gemacht haben. Die Kreisphysiker machten ein besonderes Examen auch nach dieser Richtung hin. Ein solcher Vor⸗ wurf müsse von ihm im Namen aller Aerzte zurückgewiesen werden. Die neue Anstalt für Infectionskrankheiten werde reichlich bedacht, aber die Charité befinde sich immer noch auf dem alten Stand⸗ punkt.

Ministerial⸗Director Dr. Bartsch: Gegen die Kreisphysiker sei ein schwerer Vorwurf erhoben ohne jeden Beweis. Er habe im Namen des Ministers zu konstatiren, daß an ihn eine Beschwerde in dieser Beziehung niemals gelangt sei.

Abg. Stöcker (cons.): Nicht bloß aus Zeitungsnotizen seien ihm die Fälle bekannt, sondern aus wissenschaftlichen Büchern; er wisse nicht, ob der Abg. Virchow das Werk von Schröder kenne; der führe eine ganze Menge von Fällen an. Solche Fälle seien vielfach gerichtlich konstatirt; er erinnere nur an den Fall Draak. Was er über die Kreisphysiker gesagt, habe ihm ein bekannter Irrenarzt selbst mitgetheilt; er müsse bedauern, daß der Vertreter der Regierung sich sofort auf die Seite des Herrn Virchow gestellt habe. Das kurze Erxamen könne die Kreisphysiker nicht genügend unterrichten. Ein einzelner Arzt solle überhaupt nicht die Macht haben, einen Menschen für geisteskrank zu erklären. Es müsse eine öffentliche Verhandlung darüber stattfinden. Niemand sollte in eine Privatanstalt aufgenommen werden, der nicht in einer Staatsanstalt für geisteskrank erklärt worden sei. Habe man nicht genug Anstalten, so müsse man solche gründen.

Damit schließt die Discussion. Charité werden bewilligt.

Bei den Ausgaben für das Institut für Infections⸗ krankheiten 235 405 bemängelt

Abg. Broemel (dfr.) die Höhe der Ausgaben, welche die Aus⸗ gaben für die Akademie der Wissenschaften überträfen und dem Zuschuß für eine Universität, Greifswald, gleich kämen. Angesichts der schlechten Finanzlage hätte man etwas sparsamer sein können. Redner fragt dann, wie die Versuche der Behandlung mit Tuberkulin

Die Ausgaben für die

ausgefallen seien.

Geheimer Regierung⸗Rath Dr. Althoff: Die Gehälter der Assistenten beim Institut für Infectionskrankheiten seien allerdings höher als sonst die Gehälter für solche Beamten. Es liege das daran, daß die Beamten dieses Instituts keine Privatpraxis treiben dürften. Das Institut beschäftige sich nicht bloß mit der Tuberkulinfrage, sondern habe viel weitere Aufgaben. Tuberkulin werde jetzt sehr wenig angewendet, deshalb kämen auch keine Berichte mehr ein. Die Re⸗ gierung könne keinen Einfluß darauf ausüben, daß es häufiger ange⸗ wendet werde. Pasteur habe das Mittel als ein Vancher eh ieses anerkannt und auch in der Thiermedizin habe man dasselbe verwendet und seine große diagnostische Bedeutung erkannt.

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Das Haus sei bei der Bewilligung für dieses Institut in einer Hurrahstimmung gewesen. Das sei ein Beweis, wie vorsichtig der Landtag bei solchen Bewilligungen sein müsse.

Abg. Broemel (dfr.): im Landtage, sondern auch geherrscht.

Geheimer Ober⸗Finanzrath Lehnert: Von Seiten der Finanz⸗ verwaltung sei die außeretatsmäßige Verwendung der Gelder zum Bau dieses Instituts vorgeschlagen worden, weil es sonst nicht möglich gewesen sein würde, die wichtige Entdeckung auszunützen. Die Finanzverwaltung übernehme gern die Verantwortung dafür; das Haus werde bei der Rechnung für 1890/91 sich mit dieser Frage be⸗ fassen können. 8

Die Ausgaben werden bewilligt. Darauf wird die weitere Berathung bis 7 ½ Uhr Abends vertagt.

Die Hurrahstimmung habe nicht bloß zum Theil in der medizinischen Welt

Sitzung vom Mittwoch, 16. März, Abends.

Der Sitzung wohnen der Finanz⸗Minister Dr. Miquel und der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz bei. Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1892/93 und zwar hes Ministeriums der geistlichen ꝛc. An⸗ gelegenheiten. Der Rest des Ordinariums wird ohne Debatte ge⸗ nehmigt, desgleichen die Einnahmen. Es folgt das Extraordinarium.

In Tit. 2 sind zur Aufstellung von Plänen und zu Vorarbeiten zum Neubau eines Domes in Berlin und einer Gruft für das preußische Königs⸗ haus, sowie zur Bestreitung der Kosten für eine zu errichtende Interimskirche für die Ueberführung und Instandsetzung der in der Domgruft vorhandenen Särge und für den Ab⸗ bruch des alten Domes 600 000 ausgeworfen. Die Summe ist „zur Aufstellung von Plänen und zu Vorarbeiten zum Neubau eines Domes in Berlin und einer Gruft für das preußische Königshaus“ bereits bewilligt. Die Vorarbeiten sind im wesentlichen bereits beendet und es werden von der bewilligten Summe noch 400 000 verfügbar bleiben. Die Zweckbestimmung der Position soll, wie oben angegeben, er⸗ weitert und der Restbetrag dafür verwendet werden.

In Tit. 3 werden zum Neubau des Domes in Berlin und einer Gruft für das preußische Königshaus als erste Rate einer Summe von 10 Millionen, die in zehn Jahren zur Verwendung kommen soll, 300 000 gefordert.

Die Commission schlägt vor:

1) Tit. 2 unverändert zu bewilligen und Tit. 3 in folgender Fassung anzunehmen:

a. Einmaliger Zuschuß von 10 Millionen zum Neubau des Domes in Berlin und einer Gruft für das preußische Königshaus, erste 300 000 ℳ;

b. folgenden Resolutionen zuzustimmen:

1) Das Haus der Abgeordneten erklärt, daß die Bewilligung des Tit. 3 in der Voraussetzung erfolgt, daß weitere Anforderungen aus Staatsmitteln für Zwecke des Dombaus nicht gestellt werden;

2) das Haus der Abgeordneten nimmt Kenntniß von der Erklä⸗ rung der Königlichen Staatsregierung, daß der Bau von einer der Königlichen Hausverwaltung untergeordneten Stelle als Bauherr übernommen wird.

Referent Abg. Dr. Sattler inl.) berichtet über die Verhand⸗ lungen der Budgetcommission, die zur Bewilligung der Forderung und zu den vorstehenden Resolutionen geführt hätten. Die von einer Seite ausgesprochene Befürchtung da man mit der Bewilligung

5

der ersten Rate sich für unabsehbare Forderungen engagire, sei von

der Kommission nicht getheilt worden.

Abg. Richter (dfr.): Seine Freunde seien nicht in der Lage, für den Dombau Gelder zu bewilligen. Es sei noch niemals für einen einzelnen Kirchenbau vom Landtage ein solcher Betrag bewilligt worden. Die Summe von 10 Millionen betrage das Sechsfache von dem, was sonst aus dem Patronatsfonds jährlich bewilligt werde. Es handele sich hier nicht um die Erhaltung eines alten Baues, sondern um einen vollständigen Neubau. Beim Kölner Dombau habe es sich nur um Subventionen gehandelt, ähnlich sei es bei der Schloßkirche in Wittenberg gewesen. Es handle sich hier auch nicht um die Befriedigung eines kirchlichen Bedürfnisses. Die Voraussetzung des Kaisers Friedrich, daß die Domgemeinde so wachsen werde, daß um deswillen ein neues Gebäude gebaut werden müsse, sei eine irrige gewesen. Der Dombau könne auch einem Mangel an Kirchen nicht abhelfen, denn die Sitz⸗ plätze, welche der Dom haben werde, reichten nicht für die Bevölkerung aus, um welche sich die Einwohner Berlins in vier Wochen vermehre. Man könne ein kirchliches Interesse unter Umständen anerkennen, aber das liege hier nicht vor. erade bei der heutigen Finanz⸗ lage müsse es Bedenken erregen, wenn hier 10 Millionen aufgewendet werden sollten. Er hätte dem Finanz⸗Minister dieser Forderung gegenüber gern den Rath gegeben: Landgraf, werde hart! Wenn aber der Landtag einmal solche Mittel gewähre dann müsse er auch das Recht haben, bei den Plänen und der Aus⸗ führung mitzuwirken. Nun komme hinzu, daß die Ansichten über den Raschdorff'schen Entwurf sehr getheilt seien. Es würde das richtigste gewesen sein, wenn das Kronfideicommiß den Bau übernommen hätte, anstatt die Steuerzahler in Anspruch zu nehmen. Im vorigen Jahre hätten auch die Conservativen und das Centrum nur sieben Millionen bewilligen wollen. Was habe sich denn seitdem geändert? Die Finanzlage sei eine schlechtere, und angesichts dieser und der ganzen wirthschaftlichen Verhältnisse könne seine Partei die Verantwortung für diese Belastung der Steuerzahler nicht übernehmen.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (cons.): Der Vorredner habe das monarchische Gefühl vergessen. Seine Partei wisse, daß sie Widerhall im ganzen Lande finde, wenn sie eine Pflicht der Pietät erfülle. Habe doch selbst ein Parteigenosse des Vorredners, der in hervorragender Stellung sei, erklärt, daß er als monarchisch gesinnter Mann noch mehr als 23 Millionen für ein solches Project bewilligen werde. (Hört! hört! rechts.) Er gebe zu, daß das Project ö sei, so wie es vorliege, aber die Entscheidung liege an anderer Stelle. Seine Freunde würden, wenn das Project so ausgeführt werde, es weder anerkennen noch die Verantwortung übernehmen. (Hört! hört! links.) Nachdem versichert sei, daß eine dem Königlichen Hause unter⸗ eordnete Stelle als Bauherr fungiren werde, seien sie hinsichtlich der finanziellen Bedenken beruhigt. Sie hätten darin eine Garantie, daß Mehrforderungen nicht an das Haus herantreten würden. Er wolle hoffen, daß, wenn der Bau vollendet sei, alle mit Befriedigung darauf blicken würden. (Beifall.)

Abg. Dr. Freiherr von Heereman (Centr.): Die Dombau⸗ frage schwebe schon seit 1877. Seine politischen Freunde hätten stets denselben Standpunkt eingenommen. Im Jahre 1875, als es sich um eine Fürstengruft gehandelt habe, habe Abg. Windthorst erklärt, daß seine Partei für die Forderung stimmen werde mit Rücksicht auf den Wunsch des Kaisers und aus Pietät Für Friedrich Wilhelm IV. Aehnliche Erklärungen seien 1889 und 1890 vom Abg. Windthorst und Abg. Freiherrn von Huene abgegeben worden, wonach sie es nicht für richtig hielten, den Staat zum Bauherrn zu machen. Als die Frage in diesem Jahre von neuem herangetreten sei, habe das Centrum diese gewissenhaft geprüft und sich unter gewissen Voraussetzungen dafür erklärt, daß nämlich der Staat nicht der Bauherr sein solle, weitere Anforderungen an Land und Haus nicht herantreten sollten, sowie daß sich das Haus der Einmischung in die Ausführung des Baus enthalten solle. Nachdem diese Wünsche in Erfüllung gegangen, habe er namens seiner Partei zu erklären, daß sie die Forderung be⸗ willigen werde, und zwar aus ganz besonderen Rücksichten der Pietät. Der Vorwurf des Abg. Richter, daß das Centrum seinen Standpunkt geändert habe, sei nach diesem allem unrichtig.

Abg. Hobrecht (nl.): Seine Partei habe es stets für eine Pflicht des ganzen Landes gehalten, für den Bau einer Predigt⸗ und einer Gruftkirche aus allgemeinen Landesmitteln einen angemessenen Beitrag zu bewilligen. Daß dieser Beitrag nicht gering habe sein können, folge aus der Natur der Sache, und man sei auf einen Be⸗ trag gefaßt gewesen, wie er jetzt gefordert werde. Seine Partei sei darin einig, einen Beitrag zu bewilligen. Ein Theil seiner Partei glaube aber, daß der Kostenanschlag auf einen der evangelischen Kirche nicht entsprechenden Prachtbau hinauslaufe und lehne daher die Forde⸗ rung ab. Er und ein anderer Theil hielten es dagegen nicht für die Aufgabe des Parlaments, sich in die technische Ausführung des Baus zu mischen und würden unter den Voraussetzungen der Budgetcommission für den Titel stimmen. Wenn auch keine juridische, so liege doch eine moralische Verpflichtung der Staatsregierung vor, die genannten Vor⸗ aussetzungen zu erfüllen, wie sie größer nicht gedacht werden könne. Deshalb stimme er und ein Theil seiner Freunde für die Position.

Abg. Richter (dfr.) wirft dem Abg. Grafen zu Limburg⸗Stirum vor, daß er sich auf vertrauliche Verhandlungen berufen habe. Das sei früher nicht Sitte in diesem Hause gewesen. Wenn das Usus werden sollte, dann werde man sich gegen solche vertrauliche Ver⸗ handlungen schützen müssen. Wie vertrage es sich mit dem Pietäts⸗ gefühl des Grafen Limburg, daß er gegen einen Plan Einspruch er⸗ G habe, weil der Bau 23 Millionen habe kosten sollen? Runde sich denn das monarchische Gefühl des Grafen Limburg⸗Stirum erade auf 10 Millionen ab? Man spreche von einem Widerhall im Lande. Man möge doch einmal zu freiwilligen Beiträgen auffordern. Man werde nicht so viel zusammen bekommen, wie für die ost⸗ afrikanische Colonialpolitik.

Abg. Freiherr von Zedlitz (freicons.) erklärt, die Mehrheit seiner Freunde werde für die Position stimmen, wesentlich aus Gründen der Pietät, obwohl sie wüßten, daß dieses Votum in weiten Kreisen unpopulär sei.

Abg. Freiherr von Huene (Centr.) vertheidigt die Position aus denselben Gründen wie Freiherr von Heereman.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (cons.) betont, er habe sich auf die vertraulichen Verhandlungen berufen, weil er gewußt habe, daß das den Herren nicht unangenehm sein werde; wenn er von dem monarchischen Gefühl der freisinnigen Herren gesprochen habe, so sei dies geschehen, weil das den Herren im Lande nur nützen, nicht schaden könne, denn eine Berufung auf das monarchische Gefühl werde im Lande stets Widerhall finden. Wenn Friedrich Wilhelm IV. mit Rücksicht auf die Finanzlage von dem Project Abstand genommen habe, so sei eben damals die Finanzlage noch ungünstiger gewesen als heute. Und wenn der Abg. Richter frage, ob sein (Redners) monarchisches Gefühl sich auf 10 Millionen abrunde, so entgegne er, seine Partei habe sich bei der gegenwärtigen Finanzlage für ver⸗ pflichtet gehalten, die Sache genau zu prüfen, und sie sei zu der Ueber⸗ zeugung gekommen, daß die Finanzlage nicht so schlecht sei, um die Be⸗ willigung zu verweigern.

Abg. Freiherr von Huene (Centr.) betont, die Frage der Unter⸗ haltungspflicht sei eine offene, das constatire er dem Abg. Grafen Limburg gegenüber.

Abg. Richter (dfr.) beantragt, da über die Frage der Unter⸗ haltungspflicht schon jetzt Streitigkeiten sich erhoben hätten, die Position zur näheren Prüfung wenigstens dieser Frage in die Com⸗ mission zurückzuverweisen. Der Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum habe seine Mittheilungen aus den vertraulichen Verhandlungen mit nichtigen Gründen vertheidigt. Was würde man auf jener Seite (rechts) sagen, wenn er sich auf vertrauliche Aeußerungen von Seiten der Mehrheitsparteien berufen wollte, über das Gefühl, mit dem sie ihr Ja aussprächen. Er thue das nicht. Auf das monarchische Gefühl im Lande aber solle man sich bei einer derartigen Forderung nicht be⸗ rufen. Die Berufung hierauf brauche man vielleicht bei anderer Gelegenheit nöthiger.

Abg. Stöcker (ei meint,

nicht der Dombau sei unpopulär, der Pla der 8u

sführen solle, seien

1“

2

unpopulär; der Dombau selbst sei so populär, daß man es int 8 nicht begreifen würde, wenn man die Position ablehnen wollte nde

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (cons.) constatirt, die 0 klärung der freisinnigen Abgeordneten sei nicht ihm persönlich 8 gegeben worden, sondern im Seniorenconvent. dis

Damit schließt die Debatte. Der Antrag Richter auf Zurückweisung der Titel 2, 3 und 56 in die Commission 8 gegen die Stimmen der Deutschfreisinnigen und einiger Natio⸗ nalliberalen abgelehnt. Die Titel 2, 3 und 56 werden gegen die Stimmen der Deutschfreisinnigen, der Hälfte der National⸗Liberalen und ca. 5 Freiconservativen angenommen ebenso die Resolutionen der Commission. 1

Der Rest des Extraordinariums wird nach den Beschlüssen der Budgetcommission bewilligt, wonach nur Titel 46 zum

Neubau einer Turnhalle für das Gymnasium in Hanau strichen wird. Damit ist die zweite Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten erledigt.

Ohne Debatte werden die Etats des Herrenhaus und des Hauses der Abgeordneten sowie der Rest des Etats bewilligt.

Zum Etatsgesetz §2 beantragt Abg. Kieschke (b. k. F. die Ermächtigung zur Ausgabe von Schatzanweisungen in Höhe von 100 Millionen Mark auf 50 Millionen Mark herab⸗ zusetzen. 8

Finanz⸗Minister Dr. Miquel: 8

Meine Herren! den Antrag der Staatsregierung so gut begründet, daß ich nur noch eine kleine Nachlese zu halten habe namentlich zur Widerlegung der Ausführungen des Herrn Abg. Kieschke. Wenn der Herr Referent der Budgetcommission wie die Staatsregierung sich auf den Vorgang des Reichs berufen hat, so sucht der Herr Abg. Kieschke ihn damit zu widerlegen, daß er sagt, das Reich sei auf viel unsichere Einnahmen angewiesen als der preußische Staat. Das ist durchaus nicht zu⸗ treffend; im Gegentheil, die Einnahmen und Ausgaben des Reichz stehen in einem zeitlich viel ich möchte sagen richtigerem Ver⸗ hältniß, wie das bei Preußen der Fall ist. Ich brauche nur daran zu erinnern, daß Preußen die Matricularumlagen vorschüssig zahlen muß, ehe die Ueberweisungen an das Reich kommen, und zwar in zehntägigen Zwischenräumen, während erst nach einem vollen Vierteljahr die Ueberweisungen nachkommen. Das Reich bekommt also auf die Weise thatsächlich für diese Zeiten gewissermaßen von Preußen ein Betriebskapital, und es handelt sich hier um einen Betrag allein von 187 Millionen.

Meine Herren, unsere Einnahmen aus den gewaltigen Betriebs⸗ verwaltungen schwanken ja viel mehr als die Einnahmen des Reichs; darüber kann nicht der geringste Zweifel sein. Also ich glaube, dieser Hinweis des Herrn Abg. Kieschke ist in keiner Weise zu⸗ treffendd. Wenn der Herr Abgeordnete nun meint: es sei doch in den letzten Jahren von der Ermächtigung gar kein Gebrauch gemacht worden, so ist das ja für manche Jahre richtig, für die letzten Jahre aber nicht zutreffend. Wir sind in dem vorletzten Jahre bis an die Grenze von 30 Millionen, die wir Schatzanweisungen ausgegeben haben, gegangen und mußten dabei still stehen: infolgedessen ist aller⸗ dings der Finanz⸗Minister in der Nothwendigkeit, nicht darüber vollkommen frei disponiren zu können, ob er gerade in einem be⸗ stimmten Zeitpunkt eine Anleihe vornehmen will. Darauf ist doch ein sehr erhebliches Gewicht zu legen. Ein großes Anleihebedürfniß kann man gewiß nicht auf viele Monate hinausschieben; wohl aber ist die Frage, in welchen Monaten eine An⸗ leihe zweckmäßig unterzubringen ist, von Bedeutung: wenn im November und Dezember die Nothwendigkeit einer Anleihe heran⸗ tritt, so ist das sehr unbequem, diese Monate vor dem Januarabschluß zu wählen, und sehr nothwendig, da noch einige Monate zu warten. Und gerade für solche Fälle sind die Schatzanweisungen oft zweckmäßig zu verwenden. 1

Der Betriebsfonds der General⸗Staatskasse das ist bereits 1886 ausgeführt, während seit der Zeit der Umschlag der General⸗ Staatskasse sich um 40 % erhöht hat ist offenbar zu gering, und, wenn wir nicht in den vergangenen Jahren uns gewissermaßen mit den laufenden Anleihecrediten hätten helfen können, so würden wir schon längst nicht mehr mit diesem Betriebsfonds haben auskommen können.

s wäre vielleicht richtig, den ständigen Betriebsfonds selbst zu erhöhen; aber wir haben doch geglaubt, daß, namentlich solange diese erheblichen Anleihecredite noch laufen, es sparsamer ist, mit Schatzanweisungen zeitweilig zu operiren, wo man nur die Zinsen zu zahlen hat, soweit das Bedürfniß direct herantritt, als den Betriebsfonds dauernd zu erhöhen, wo man sehr erhebliche Zinsverluste zu verschiedenen Zeiten wenigstens wird erleiden müssen.

Aber, meine Herren, auch aus anderen Gründen ist es wünschens⸗ werth, die Schatzanweisungen einigermaßen zu erhöhen. Ich kann das nur andeuten, aber ich glaube, die Herren werden mich verstehen. Es können Zeiten kommen, die ein plötzliches bedeutendes Geldbedürfniß erfordern, wo es aber schwierig ist, dasselbe in dem gewünschten Maße mit einer Staatsanleihe zu befriedigen. In solchen Zeiten ist das Aushilfsmittel der Schatzanweisungen häufig sehr angebracht. Die Erfahrungen in dieser Beziehung liegen aus früheren Zeiten vor. Wenn Sie nun erwägen, daß ja kein Finanz⸗Minister wagen würde, ohne Noth Schatzanweisungen auszugeben oder mit schwebenden Crediten leichtfertig umzugehen, daß er sich in dieser Beziehung der gefährlichsten Verantwortlichkeit aussetzt, es für ihn auch viel bequemer und die Verant⸗ wortlichkeit geringer ist, wenn er definitive Anleihen ausgiebt, von welchen mir ja noch über 500 Millionen zur Disposition stehen, so kann ich doch eine Gefahr aus dieser höheren Ermächtigung unmöglich folgern.

Unter diesen Umständen kann ich Ihnen nur empfehlen nachdem außerdem uns 16 Millionen, die wir bisher als Hilfsfonde behandeln konnten, nämlich die Sperrgelder, in diesem Jahre ent⸗ gehen (Hört! hört! im Centrum), und also dadurch wiederum der Betriebsfonds der General⸗Staatskasse gegen die Vergangenheit ver⸗

ringert ist —, uns den Betrag von 100 Millionen, wie gebeten, zur⸗

bewilligen. Sie können sicher sein, daß davon nur in der aller⸗ vorsichtigsten Weise Gebrauch gemacht werden wird. (Bravo.) Der Antrag wird ohne weitere Discussion mit großer Mehrheit abgelehnt. § 3 des Etatsgesetzes wird angenommen Schluß 10 ½ Uhr. Die nächste Sitzung findet Freitag, 11 Uhr, mit der Tagesordnung: Dritte Berathung des Staats⸗ ishalts⸗Ete 8, s

Der Herr Referent der Budgetcommission hat

Italien.

Die italienische Deputirtenkammer hatte gestern wie⸗ der eine bewegte Sitzung. Den Anlaß dazu gaben ein kürzlich in Rom abgehaltener geheimer republikanischer Congreß und der Umstand, daß verschiedene Blätter, welche über diesen Congreß berichtet hatten, mit Beschlag belegt worden waren. Die Deputirten Barzilai, Giovagnoli und Cavallotti hatten deshalb Anfragen an die Regierung ge⸗ richtt. Der Minister des Innern Nicotera gerklärte in der gestrigen Sitzung nach dem Drahtbericht des „W. T. B.“: er habe dem Gesetze gemäß die geheime Congreß⸗ sitzung gestattet, aber die Regierung erachte angesichts der Gesinnungen des Landes die Veröffentlichung der intransigenten Beschlüsse des Congresses für unmöglich, die Beschlagnahme sei daher vollkommen legal. Es folgte eine lebhafte Discussion, welche zu oC Scenen Anlaß gab. Hierauf setzte die Kammer die Budgetdebatte fort. Zu den bereits ein⸗ gebrachten Tagesordnungen waren noch mehrere hinzu⸗ gekommen, sodaß jetzt deren vierzehn vorliegen. Zunächst begründete der frühere Schatz⸗Minister Giolitti die von ihm beantragte Tagesordnung. Er erklärte, er werde die finanzielle Lage ohne Illusion prüfen. Mit Befriedigung könne er feststellen, daß die drei letzten Finanzjahre ein schnelles Forschreiten zur Herstellung eines sicheren Gleichgewichts aufwiesen. Gleichwohl sei nicht zu leugnen, daß neben diesem Fortschritt bedauerlicher Weise ein Steigen des Wechselcurses und eine Entwerthung der Rente einhergingen. Man müsse diese auffallende Erscheinung neben anderen Ursachen auch der Neigung der Italiener zuschreiben, in der Schilderung der Verhältnisse des Landes zu übertreiben. Im weiteren Ver⸗ laufe der Rede wies Giolitti die Möglichkeit organischer Re⸗ formen nach und schloß mit den Worten: er billige das von dem gegenwärtigen Cabinet angekündigte strenge Programm für die Finanzpolitik, welches jedenfalls die bereits durch⸗ geführten Reformen consolidiren werde. Sodann wurde die Fortsetzung der Dehatte auf heute vertagt. Zum Schluß legte der Minister⸗Präsident Marchese di Rudini noch den angekündigten Gesetzentwurf über die Anwendung der in dem Handelsvertrage mit Oesterreich⸗Ungarn enthaltenen Weinzollcelausel vor.

Imbriani und Genossen verlangten für den Entwurf die Dringlichkeit. Dann wurde die Sitzung aufgehoben.

Die vom „New⸗York⸗Herald“ gebrachte Nachricht über die Beilegung der wegen der Vorfälle in New⸗Orleans ent⸗ standenen Differenzen zwischen Italien und den Vereinigten Staaten wird von der „Agenzia Stefani“ für gänzlich unzu⸗ treffend erklärt.

Schweiz.

In Zürich hat am Sonnabend v. W. das demokra⸗ tische Initiativcomité, welches die Wahl des Bundes⸗ raths durch das Volk einführen will, eine Sitzung ab⸗ gehalten und die Hauptpunkte des Initiativbegehrens berathen. Das Comité einigte sich, dem Berner „Bund“ zufolge, über das folgende vorläufige Programm: 8

Neun Bundesräthe, die Bürger verschiedener Cantone sein und von denen wenigstens zwei der romanischen Nationalität angehören müssen. Die Wahl des Bundesraths findet alle drei Jahre gleich⸗ zeitig mit den Nationalrathswahlen statt, und zwar in einem Wahl⸗ kreise, der die ganze Schweiz umfaßt. Die Organisation des Bundes⸗ raths ist im Sinne der Sicherung einer dringlichen Verwaltungs⸗ reform und einer mehr collegialen Leitung der auswärtigen Politik sowie der gesetzgeberischen Vorarbeit (durch einen vom Bundesrath selbst gewählten dreigliedrigen Ausschuß) zu treffen. ,

Das Comité zählt zuversichtlich auf 50 000 Unterschriften und die Volksmehrheit. Mitte April soll eine Vertrauens⸗ männer⸗Versammlung fortschrittlicher Elemente unter dem Zuzug des Centralcomitées der Grütlivereine und des Parteicomités der Socialdemokraten zur definitiven Redaction des Vorschlags in Baden im Aargau stattfinden.

Die Regierung des Cantons Basel⸗Land hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft beschlossen, ein technisches Oberutachten über die Ursachen des Brückeneinsturzes von oͤnchenstein einzuholen.

Niederlande. ““

Die Regierung hat der Zweiten Kammer einen Gesetzentwurf vorgelegt, welcher die Zustimmung zu den internationalen Conventionen über den Schutz des industriellen Eigenthums, die am 15. April 1891 unter⸗ zeichnet wurden, ausspricht. Den zur Verhinderung falscher Herkunftsangaben von Waaren getroffenen Arrange⸗ ments ist jedoch, wie der bezüglichen Meldung des „W. T. B.“ aus dem Haag hinzugefügt wird, die niederländische Regie⸗ rung nicht beigetreten.

Der Minister des Innern hat, wie der „Frkf. Ztg.“ mitgetheilt wird, am 12. März ein Decret veröffentlicht, in welchem den Provinzial⸗Staaten mitgetheilt wird, daß am 1. Mai im Pose und Telegraphendienst die Einheitszeit nach Stundenzonen eingeführt werden soll. Die Prhnsfälhr. Staaten werden deshalb aufgefordert, mitzuwirken, damit auch die Gemeinden ihre Uhren nach dieser Zeit regeln. Für die Eisenbahnen, die bereits nach der neuen Zeitordnung fahren, macht die Neuordnung keinen erheblichen Unterschied; doch müssen am 1. Mai z. B. alle Amsterdamer Uhren 20 Minuten zurückgestellt werden. 1.4“

Griechenland.

Wie der „Magdb. Ztg.“ aus Athen berichtet wird, hat ein am 15. d. M. unker dem Vorsitze des Königs ab⸗ Fehaltener Ministerrath beschlossen, im Staatshaushalt Ersparungen im Betrage von 7 Millionen vorzunehmen, sowie eine Reihe entbehrlicher Aemter, die Delyannis ge⸗ Hhaffen, auszuheben Siebzehn ehemalige Delyannisten aben eine Erklärung veröffentlicht, wonach sie sich der Re⸗

die Berathung werde heute stattfinden können.

dem „W. T. B.“ zufolge zum Geranten der bulgarischen

““ Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußi

Berlin,

2 E“ 8

en Staats⸗Anzeiger. 1892.

Donnerstag, den 17. März

11“ Serbien. FX“; Wie dem „W. T. B.“ aus Belgrad gemeldet wird, verlaute in dortigen Regierungskreisen, daß die Lösung der Cabinetsfrage kaum vor Ende der Woche zu erwarten sei. Es heiße, Vuics und Tauschanovics würden nicht in das Cabinet eintreten. Vielmehr werde der Director der Staats⸗Monopole Pacu abermals als zukünftiger Finanz⸗ Minister genannt. Infolge der andauernden Schwierigkeiten, denen die Er⸗ klärung des Königs Milan auch in ihrer abgeänderten Gestalt bei den Mitgliedern des radicalen Clubs begegnet, ist gestern die Verhandlung darüber in der Skupschtina un⸗ möglich gewesen. Man hofft jedoch in Regierungskreisen,

. Bulgarien. Der General⸗Secretär des Ministerraths Goranow ist

Agentur in Belgrad ernannt worden.

Dänemark.

(F) Kopenhagen, 15. März. Das Kriegs⸗Ministerium hat dem Finanzausschuß des Folkethings einen eingehenden Bericht über die Landbefestigung von Kopenhagen zu⸗ gehen lassen, in welchem die bereits ausgeführten, die un⸗ vollendeten und die noch ausstehenden Befestigungsanlagen näher bezeichnet werden. Fertig ist ein Kanal mit allen Schleusen, Brücken u. s. w., der vom Furesee bis Ermelunds⸗ huset geht und dazu dienen soll, die ganze weite Niederung vom Sunde bis zum Utterslevmoor zu überschwemmen. Hinter der Ueberschwemmung sind folgende Werke angelegt: die Kristianholmslinie mit der Kristianholmsbatterie zum Schutze des Strandweges entlang des Sundes im Norden und der Klampenborgbahn, zwei Batterien bei Ordrupkrat, zwei Batterien bei Bernstorff und Gjentofte, drei Batterien bei Utterslevmoor und eine zusammenhängende gegen 1 Meile lange Enceinte von letztgenanntem Moor bis Kalvebodstrand. Ueberall sind die nöthigen Kasematten, Pulvermagazine u. s. w. fertig. In der Anlage begriffen sind: eine See⸗Batterie am Sunde zum Schutz der Taarbäkbucht, ein Fort bei Fortunen, ein Fort bei Gammelmosegard und eine Strand⸗Batterie am Kalvebodstrand. Alle diese Werke sind soweit vorgeschritten, daß deren Fertigstellung im Laufe des Sommers erwartet werden kann. Eine beantragte Bewilligung von 500 000. Kronen ist für Befestigungsanlagen bei Gladsaxe bestimmt.

Amerika.

Präsident Harrison hat am 15. d. M. durch eine Pro⸗ clamation bekannt gemacht, daß auf Columbia, Hayti und Venezuela, nachdem sie die ihnen gesetzte Frist zum Abschluß eines Handelsvertrages haben verstreichen lassen, die Bestimmungen des dritten Abschnittes der Mac Kinley⸗Bill bezüglich der Zölle auf Zucker, Syrup, Kaffee und Häute An⸗ wendung finden. Der Handelsvertrag mit Nicaragua ist bereits veröffentlicht und der mit Honduras soll in diesen Tagen bekannt gemacht werden.

Statistik und Volkswirthschaft.

Arbeiterwohnungsverhältnisse im oberschlesischen In dustriebezirk.

Der Bergrath Dr. Sattig in Beuthen hat in der Zeitschrift des „Oberschlesischen Berg⸗ und Hüttenvereins“ Bericht über die von der dortigen „Arbeiterwohlfahrtscommission“ über die Wohnungs⸗ verhältnisse angestellten Erhebungen erstattet. Der „Schles. Ztg.“ entnehmen wir darüber Folgendes: .

Im äußeren, dem Centrum der Industrie ferner liegenden Bezirk, namentlich im Kreise Tarnowitz, in welchem vorzugsweise Erzbergbau getrieben wird und der Bergmann gleichzeitig Ackerbauer ist, hat ein großer Theil der Arbeiter von Alters her sein eigenes Besitzthum. Infolge der Gewährung von freiem oder billigem Baugrund, von Bauprämien, von Baumaterialien zum Selbstkostenpreise, von zinsfreien oder billigen Darlehen seitens der Gecerkschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten eine große Zahl von Arbeitern, namentlich auch im inneren Bezirk, eigene Häuser errichtet. Im ganzen wohnten Anfang 1890 nach den Angaben der Magistrate und Amtsvorsteher in dem Untersuchungsbezirk in eigenen Häusern 8830 männliche Arbeiter oder 12,4 % aller der berg⸗ und hüttenmännischen Bevölkerung angehörigen männlichen Arbeiter. Mit Beihilfe der Werke wurden von Arbeitern 1769 Häuser mit zusammen 11 135 Familienwohnungen (im Durchschnitt 6,3) erbaut. Die Bedeutung und der Werth der Gewährung von Hausbau⸗Bei⸗ hilfen für die Ansiedelung von Arbeitern ist nicht zu verkennen. Die in großem Maßstabe erfolgte Herrichtung gewerkschaftlicher Familienhäaäͤuser hat sich indessen als weit segensreicher herausgestellt. Sie sind zumeist besser gebaut, die Wohnungen selbst sind geräumiger und gesünder, auch die von den Gewerkschaften geforderten Miethen erheblich geringer, als die von den Besitzern der Beihilfehäuser. Der durchschnittliche Rauminhalt einer Arbeiterwohnung beträgt in den Kreisen Tarnowitz, Gleiwitz, Pleß und Rybnik im großen Durchschnitt 40 bis 54, in den nördlichen Theilen der Kreise Kattowitz und Zabrze, sowie im Kreise Beuthen (Land) 75 cbm. Der Procentsatz derjenigen Arbeiter, welche in Häusern wohnen, die weder einem Werke noch industriellen Arbeitern gehören, ist sehr mäßig. Er wäre noch geringer, wenn nicht ein Theil der Bei⸗ hilfehäuser in fremde Hände übergegangen wäre. Der monatliche Miethszins der gewerkschaftlichen Wohnungen schwankt zwischen 0 (Friedenshütte) und 10 (Borsigwerk), der nicht gewerkschaftlichen zwischen 1,5 und 12 Am geringsten (1,5 bis 2 ℳ) ist er in den kleinen, an der Peripherie des Industriebezirks Pehasehsn Ortschaften, am höchsten in Roßberg, Königshütte, Lipine, Dorotheendorf, Ruda, Zabrze, Laurahütte, Hohenlohehütte, Zalenze, Rosdzin, Schoppinitz, Gleiwitz, Petersdorf (bis 10 ℳ) und namentlich in Beuthen und Katto⸗ witz (bis 12 ℳ). Die Miethszinse im inneren Industriebezirk sind im allgemeinen zwei bis drei Mal so hoch als die im äußeren. Der vurchschnittliche Miethszins der Wohnung eines industriellen Arbeiters wird im inneren Bezirk zur Zeit etwa 80 betragen. Unter dieser Annahme ist von dem durchschnittlichen, reinen Jahresarbeits⸗ verdienst der sämmtlichen Häuer, Maschinenwärter, Maurer und Anschläger 81 den Steinkohlengruben des Beuthener Bergreviers (33,5 % der Gesammtbelegschaft auf denselben), welches im Jahre 1888: 706 ℳ, 1889: 770 ℳ, 1890: 926 betrug, daher gegen⸗

1

herrschte, ist es doch in vielen Orten desselben noch nicht gelungen 8 der Nachfrage nach Arbeiterwohnungen zu genügen. Was das An⸗ siedelungs⸗System anbelangt, so kann,] wie der Bergrath Dr. Sattig ausführt, nach den gemachten Erfahrungen kaum erwartet werden, daß die Errichtung von Arbeiterhäusern durch Arbeiter selbst unter Ge⸗ währung von Beihilfen in der bisher geübten Form auch in Zukunft noch in größerem Maßstabe stattfinden wird. Besser erscheint die Errichtung der Häuser durch die Werkverwaltungen selbst und ihre Ueberweisung an die Arbeiter nach ratenweiser Abzahlung ihres Werthes. Was die Bauart betrifft, so drängt, wie in großen Städten die Höhe der Bodenrente, im Industriebezirk die Rücksicht auf die Erhaltung des Kohlenfeldes zur Errichtung großer und hoher Arbeiterhäuser, sodaß auch hier den sogenannten Arbeiter⸗Casernen ihre Existenzberechtigung nicht abgesprochen werden kann. Für die ledigen Arbeiter kann auch das Schlafhaus nicht entbehrt werden. Die Schlafhäuser erfordern der Regel nach Zuschüsse, werden aber von den Werkverwaltungen mit einer Ausnahme empfohlen, da die Arbeiter in ihnen zu einem regelmäßigen Lebenswandel (auch regel⸗ mäßigerem Anfahren der Schichten), zur Ordnung, Reinlichkeit und Sittlichkeit angehalten werden können.

Zur Arbeiterbewegung. 8

Halberstädter Congreß der deutschen Gewerkschaften setzte gestern die Berathung der Anträge über die Organisationsreform fort. Schon in der vorgestrigen Nachmittags⸗Sitzung wurde, wie wir dem „Vorwärts“ ent⸗ nehmen, eine von 20 Delegirten unterzeichnete Resolution zur Verlesung gebracht, die sich gegen den Organisationsentwurf der General⸗Commission ausspricht und Localorganisationen mit dem System der Vertrauensmänner empfiehlt. Ferner wurde ein von 22 Delegirten unterzeichneter Antrag mitgetheilt, der verlangt, alle Organisationen sollten ihre Statuten dahin ändern, daß auch Frauen der Beitritt zu den gewerkschaftlichen Vereinigungen ermöglicht wird. In der gestrigen Verhandlung ergriff der von dem Berliner Schriftsetzer⸗Ausstande her bekannte Vor⸗-⸗ sitzende des Buchdrucker⸗Verbandes Döblin⸗Berlin das Wort und warnte davor, daß sich die Gewerkschaften mi Politik befassen. Herr Döblin bemerkte u. a.:

Wenn man es als Hauptaufgabe betrachte, die Arbeiter für di politischen Bestrebungen zu gewinnen und die Erreichung besserer Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen als Nebensache ansehe, dann habe man kein Interesse an der Erstarkung der Gewerkschaften. Es müsse die Frage entschieden werden, ob die Gewerkschaften das ihnen Nächstliegende: die Aufbesserung der wirthschaftlichen Lage der Arbeiter erstreben oder die Arbeiter nur gewerkschaftlich organi⸗ siren wollen, um sie der politischen Bewegung zuzuführen. Der Redner war der Meinung, im Interesse der Arbeiter liege es, die Gewerkschaften nicht als Mittel, sondern nur als Vorschule für die politische Bewegung zu betrachten. Die Hauptaufgabe der Gewerk schaften müsse die Erreichung besserer Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen sein. Schließlich erklärte sich der Redner für die Resolution der General⸗Commission, die jede Organisationsform als berechtigt an⸗- erkenne.

Im Verlaufe der Verhandlung äußerte Herr Drechsler Legien⸗Hamburg sich noch in ähnlichem Sinne wie Herr Döblin:

Wenn es richtig sei, was ein Berliner Delegirter gesagt habe, daß nämlich der Kampf auf wirthschaftlichem Gebiete eine Phrase sei, dann würde er jeden Pfennig bedauern, für diesen Congreß verausgabt worden sei. Auch sei b eine grundfalsche Auffassung, daß in Zukunft die Arbeiter nu noch Abwehrstrikes unternehmen würden. Jeder wirthschaftlichen Krisis folge immer wieder ein wirthschaftlicher Aufschwung. In einer solchen Periode sei es aber nothwendig, die Lebenshaltung der Ar⸗ beiter zu erhöhen, in Zeiten der Krisen dagegen das Errungene fest⸗ zuhalten. Deshalb würden in Zeiten Füi tiger Conjunctur au wieder Angriffsstrikes stattfinden.

Hierauf erwiderte Herr Tapezierer Feder⸗Berlin:

Er sei der Meinung, deß die Gewerkschaften nur dann Wert haben, wenn sie eine wirthschaftlich⸗politische Thätigkeit entfalten, d. h. wenn sie auch den Arbeitern klar machen, daß besser werden könne, wenn der ganze „Krempel“ über den Haufen geworfen werde. Dies sei aber nur in Local⸗Organisationen möglich. Centralisirte Gewerkschaften dürfen sich, wenn sie mit den Vereinsgesetzen nicht collidiren wollen, nur mit dem Herbergs⸗ und Unterstützungswesen beschäftigen. Da durch gelange man aber auf den Standpunkt der Hirsch⸗Duncker'schen Gewerkvereine. Für eine solche Gewerkschaftsbewegung danke er.

Die Verhandlung wurde auch gestern noch nicht zu Ende geführt und sollte heute fortgesetzt werden. 8

Im ganzen Ruhrkohlenbezirk, schreibt man der „Köln. Ztg.“ aus Essen, macht sich augenblicklich wegen der vom Vorstande des Allgemeinen Knappschafts⸗Vereins auf den 26. d. festgesetzten Wahl der neuen Knappschafts⸗ Aeltesten eine allgemeine Bewegung unter den Arbeitern be⸗ merkbar. Seit Jahren haben die Anhänger des alten (social⸗ demokratischen) Bergarbeiter⸗Verbandes den bisherigen Knapp⸗ schafts⸗Aeltesten ungerechtfertigter Weise immer wieder den Vorwurf gemacht, daß sie ihre Schuldigkeit nicht gethan, in dem sie als Vertreter der Arbeiter die ihnen obliegender Interessen nicht wahrgenommen hätten, zuletzt noch bei Ge⸗ legenheit der Umwandlung des Knappschafts⸗Statuts. Das Bestreben dieser Führer ist einzig darauf gerichtet, allenthalben bei dieser Wahl, die für eine sechsjährige Amtsdauer erfolgt, ihre Anhänger als Candidaten auf den Schild zu erheben. Zu dem Zwecke hatten sie am 811 Sonntag nicht weniger als zwölf öffentliche Bergarbeiter⸗Versammlungen Die Parole ist: „Nur Aelteste wählen, die dem Ver⸗ bande angehören, keine Hasenherzen und Feiglinge!“ Bei dieser Lage ist man auf der anderen Seite nicht müßig. Die bisherigen Aeltesten bemühen sich, die Bewegung in die richtigen Bahnen zu lenken und den Bestrebungen de socialdemokratischen Verbändler einen Damm entgegenzusetzen Sie haben an mehreren Orten, wie in Essen, Steele, Kray, Borbeck u. s. w. Versammlungen einberufen zur Bericht⸗ erstattung über ihre Thätigkeit und zur Besprechung der be⸗ vorstehenden Wahl. Leider sind die bis jetzt abgehal⸗ tenen Versammlungen völlig ergebnißlos verlaufen, mit Ausnahme derjenigen in Steele. In allen Versammlungen waren socialdemokratische Bergarbeiterführer mit einer Schaar ihrer Anhänger erschienen und brachten es durch Schreien und

törungen aller Art dahin, daß die kaum eröffneten Ver⸗ sammlungen wieder geschlossen werden mußten. In unter⸗ richteten Kreisen glaubt man nicht an einen Sieg der An⸗

unang anschließen. Der König hat viele Zustimmungs⸗ vngebungen von politischen Vereinen erhalten.

wärtig 8,6 % für die Wohnung zu zahlen. Trotz der regen Baut hätig. keit, die in den letzten Jahren fast in allen Theilen des Industriebezirks

hänger des alten Verbandes, zumal auch in den katholischen

es nur