1892 / 70 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 21 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

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näherer Untersuchung als vollkommen falsch. Diese Ausführungen

des Abg. Rickert seiey natürltch von der gesammten Rabbinerpresse mit lautem Beifall begleitet worden; er wolle diesen Umstand nicht

weiter ausführen. Der Minister habe am 9. Februar gemeint, die

Schnittwunde zeuge von einer kräftigen. und gewandten Messerführung, doch sei die Art und Weise der Durchschnei⸗ dung des Halses nicht ausgeführt wie beim Schächten von Thieren nach jüdischem Ritus. Von der gesammten Rabbinerpresse sei diese Aeußerung natürlich mit größter Freude begrüßt worden. Diejenigen, welche darüber aufgejauchzt hätten, hätten sich aber als schlechte Kenner des Talmud erwiesen. Er unterlasse, die Talmud⸗ stellen zu verlesen, die vor ihm lägen, er wolle nur darauf hinweisen, daß darin die Christen als Thiere angesehen würden. Aber gesetzt den Fall, daß ein Schächter unter keinen Umständen in Bezug auf die Messerführung beim Schächten irgendwie von seinem Ritus ab⸗ weichen könne, selbst nicht einmal beim Schächten eines Menschen, so bleibe immerhin die Thatsache feststehen, daß dem betreffenden ge⸗ schächteten Knaben in Kanten das Blut entzogen sei und daß man nicht wisse, wo das Blut geblieben sei. Diese Thaͤtsache habe der Minister auch nicht entkräftet. Thatsächlich habe zu allen Zeiten eine derartige Blutentziehung stattgefunden, ohne daß man ge⸗ wußt habe, wo das Blut geblieben sei. In allen Fällen suche man ein geheimnißvolles Dunkel um den Mord zu verbreiten. Der Minister habe, nachdem die Verhaftung des Buschoff erfolgt sei, sich dahin ausgesprochen, daß dessen Festnahme keine unbegründete gewesen sei. Es seien Verdachtsgründe gefunden worden, welche auf das Haus von Buschoff hinwiesen. Trotzdem sei seine Freilassung erfolgt. Er erlaube sich kein Urtheil, ob das richtig gewesen sei. Er nehme ohne weiteres an, daß der Richter, welcher dee Flellaffung verfügt habe, nach reiflicher Untersuchung verfahren habe; aber dieser Fall fordere doch zu einem Vergleich mit dem Fall Paasch auf. In Xanten handele es sich um einen verdächtigen Menschen, gegen den keinerlei Entlastungsmaterial vorgelegen hätte. Er sei als nicht fluchtver⸗ dächtig freigelassen worden, während man auf der anderen Seite einen ehrenwerthen Kaufmann sehe, der aus China um die halbe Erde hierher gereist sei, um vor einem preußischen Gericht Thatsachen unter Beweis zu stellen, von denen er glaube, daß durch sie das Ansehen des Deutschen Reichs im Auslande geschädigt werde. Dieser Mann werde als fluchtverdächtig verhaftet und sogar, ohne die sächsische Landesgrenze zu respectiren, in Moabit eingesperrt, fünf Wochen in Fsolirhaft gehalten, ohne daß etwas Anderes festgestellt worden sei als seine Identität. Natürlich entspreche dieses Verfahren den Wünschen des gesammten Judenthums. Er verzichte darauf, weitere derartige Fälle anzuführen. Der Abg. Rickert habe selbst zugegeben, über die Thatsachen nur mangelhaft orientirt zu sein; dann sei es aber auch ver⸗ zeihlich, daß er sich mit den Thatsachen bei seinen Ausführungen in Widerspruch setze. Er (Redner) meine mit ihm, daß Blutmorde nicht mehr ins 19. Jahrhundert gehörten, ja, sie gehörten eigentlich auch nicht in frühere Jahrhunderte, aber Gerichtsacken und wissenschaftliche Werke bestätigten ihr Vorkommen unzweideutig. Auch die Behauptung des Abg. Rickert, wegen des Mordes in Korfu seien Christen verurtheilt, sei falsch. Auf seine (des Redners Anfrage habe ihm der Ober⸗ Bürgermeister von Korfu geschrieben; aus der beigelegten Nummer der sogar unter jüdischen Auspizien redigirten „Ephemeris“ könne er er⸗ daß die Sache sich ganz anders verhielte, als der jüdische Abg. Rickert (große Heiterkeit) ja, im Ausland halte man eben verzeih⸗ licher Weise den Vertheidiger des Judenthums selbst für einen Juden sie darstelle; danach seien zwei Männer aus dem Volke von den Ge⸗ schworenen verurtheilt worden, weil sie ein Mädchen durch Schüsse ver⸗ wundet hätten; mit dem bekannten Morde habe diese Sache gar nichts zu thun. Wo das fehlende Blut geblieben sei, sei auch in dem Falle von Korfu nicht festgestelltworden. Gegenüber dem Abg. Rickert verweise er auf die wissenschaftlichen Werke des Cardinals Basonius, der Rolandisten, sowie von neueren auf die Professoren Roland, de Lagarde, Rohling u. a. zum Beweise für das Vorkommen des Blutmordes in allen Jahrhunderten. Betreffs des Urtheils des Bischofs Kopp sage der „Osservatore cattolico“: Bischof Kopp habe, seinem guten Herzen folgend, bei seinem Urtheil den Bitten der Juden nachgegeben, er werde dies Urtheil, bei dem er sich als Dilettant, nicht als Mann der Wissenschaft gezeigt habe, heute wohl nicht wiederholen. Das Blutopfer der Juden existire, und es sei ein Verdienst der katho⸗ lischen Kirche, dies durch mehrfache Prozesse erwiesen zu haben. Die Bulle Innocenz' IV., auf die sich Abg. Rickert berufen habe zum Be⸗ weis, daß die Päpste das Blutopfer als nicht existirend erachteten, sei in der vom Abg. Rickert citirten Form vom Rabbiner Giuseppe Levy mitgetheilt; thatsächlich habe sich in jener Bulle Innocenz IV. nur dagegen gewandt, Juden ohne Verhör zu verurtheilen, und schon unter Sixtus IV. sei durch eine unter dem berühmtesten Juristen der damaligen Zeit tagende Congregation der Trientiner Blutmord erwiesen worden. Auch über den Fall aus Damaskus existirten noch die Gerichtsacten. Aus alle dem folge, daß stets der Blutmord um die Osterzeit vorgekommen Fei daß niemals der Verbleib des dem Ermordeten fehlenden Blutes erwiesen worden sei, daß niemals in solchem Fall ein Christ der That überwiesen worden sei, daß stets die Rabbiner Geldsammlungen veranstaltet hätten zu welchem Zweck, lasse er dahingestellt. Da habe auch der Kantener Fall ein anderes Ansehen, als der Abg. Rickert ihm gegeben habe. Er frage die Regierung, ob sie über das, was die Rabbiner in den Talmudschulen 1er öorientirt sei; er erinnere hierbei an den Fall mit dem Rabbinatsschüler Bernstein. Der Wohlftand und das Eigenthum des deutschen Volkes gehe ungehindert in die Hände des Judenthums über: im Handel, in der Industrie und in der Presse habe das Judenthum den ausschlaggebenden Einfluß er⸗ langt; man sehe es an der Arbeit, das Volk dem Christenthum zu entfremden und, wie der Talmud befehle, das Christenthum zu be⸗ kämpfen. Es würde ein sicheres Zeichen des Niederganges unseres Volkes sein, sollte es nicht mehr die Kraft haben, gegen die jüdische Herrschaft zu reagiren; man sehe aber in allen Schichten der Be⸗ völkerung eine solche Reaction entstehen. Der Abg. Rickert habe neulich mit den Worten geschlossen, es sei eine Ehre, das Juden⸗ thum zu vertheidigen gegen die Angriffe, welche man gegen dasselbe gerichtet habe; er schließe damit, daß es immer Männer geben werde, welchen es eine Ehre sei, das deutsche Volk zu schützen gegen die Uebergriffe des Judenthums. .

Justiz⸗Minister Dr. von Schelling: 1

Ich muß bekennen, daß ich nicht recht verstehe, weshalb der Herr Abg. Freiherr von Wackerbarth den Pantener Knabenmord bei der dritten Lesung des Justiz⸗Etats hier zur Sprache bringt. (Sehr richtig!) Er selbst kann doch keinen anderen Wunsch hegen, als daß über die Schuld des angeklagten Schächters nach Recht und Gesetz Entscheidung getroffen werde. Nun, dieser Zweck ist, wie der Herr Ab⸗ geordnete nicht verkannt hat, durchaus gewährleistet; die Voruntersuchung ist eingeleitet, der Verdächtige ist in Haft genommen, die Zeugen sind vemommen, der objective Thatbestand ist festgestellt und über die Felgerungen, welche aus dem Befunde zu ziehen sind, findet in diesem Augenblick eine Begutachtung durch angesehene medizinische Sach⸗ verständige statt. Sobald diese Begutachtung beendet ist, werden die Acten dem zuständigen Gerichte zur Beschlußfassung über das Er⸗ gebniß der Voruntersuchung vorgelegt werden. Diese Beschlußfassung wird, soweit sich die Sache übersehen läßt, schon in der ersten Hälfte des April erfolgen.

Auf die Einzelheiten der schwebenden Untersuchung einzugehen, muß ich mir versagen. (Sehr richtig! links.) 1 Ich will an dem entgegenstehenden Verhalten des Herrn Abgeordneten keine Kritik üben, ich sehe mich aber durch die Rücksicht, die ich auf die Unabhängigkeit der Gerichte zu nehmen habe, verhin⸗ dert, ihm auf dieses Gebiet zu folgen. (Sehr gut! links.) Bei der zweiten Lesung habe ich allerdings über den objectiven

Befund insoweit Mittheilungen gemacht, als es mir nöthig schien, an, für sie gebe es einfach Staatsbürger, denen sie verpflichtet

um das Verfahren der betheiligten Beamten in das richtige Licht zu

Ich habe keine Veranlassung, diesen Bemerkungen noch etwas hinzuzusetzen; nur in einem Punkte möchte ich mir eine Berichtigung gestatten. Der Freiherr von Wackerbarth hat von den Geldmitteln jüdischen Bevölkerung und welche Criminalcomissarius allgemeinen nicht unrichtig. Nur ist die Sache in einer unrichtigen Weise dargestellt. Criminalcommissarius Wolff hat von Seiten der jüdischen völkerung in Tanten auch nicht einen Pfennig angenommen. Thatsache ist die, daß die jüdische Bevölkerung dem des Innern Geldmittel zur Ermittelung des Thäters zur gestellt hat. Der Minister des Innern hat die ihm zur Verfügung stehenden Geldmittel benutzt (Unruhe rechts und im Centrum), um einen Criminalcommissarius, den er ausgewählt und dessen Remu⸗ nerirung er bestimmt hat (andauernde Unruhe), nach Panten zu ent⸗

gesprochen,

Ich will übrigens nebenbei bemerken, daß derselbe Criminal⸗ commissarius, der nach den Auslassungen des Freiherrn barth verdächtig erscheinen könnte, in Beziehung zu der jüdischen Be⸗ völkerung zu stehen, derjenige gewesen ist, der die Verdachtgründe er⸗ mittelt hat, welche demnächst zur Verhaftung des digten geführt haben. (Hört! hört! links.) Abg. Lehmann (Centr.): einzelnen Falles, über welchene der dritten Lesung? Se 8 stituiren und die Entlastungs⸗ und Belastung Er freue sich, daß der heutige Redner sich von den die Richter freigehalten habe, welche der Abg. Stöcker habe, wenn er sie auch vielleicht nicht so schlimm habe im Rheinland dann werde die le

jetzigen Angeschul⸗

Was solle denn die Erörterung eines in Gerichtsverfahren schwebe, jetzt bei aus sich hier als Gerichtshof con⸗ szeugen hier vernehmen? Vorwürfen gegen

ausgesprochen gemeint habe. seinen Richtern; tzte Stütze eines

Solle das H

Das Publikum wenn das Volk daran irre werde, geordneten Staatswesens verloren sein.

Stöcker (cons.): Die Anklagen, welche der Abg. Lehmann be er in den letzten Wochen vielfach hören

gerichtet habe, ha y es sei seine

8 müssen; in liberalen Blättern habe er gelesen, Absicht gewesen, die Justizverwaltung als parteiisch hinzustellen, ja sogar bis in die Kreise seiner politischen Freunde hinein habe sich diese Anklage verbreitet. 1 es ihm fern gelegen habe,

gegenüber ausdrücklich, Justizverwaltung im all⸗ Judenthums wissentlichen erungen so aus, so weise Man könne aus seinen

Er versichere dem

beugung zu zeihen. Lege man seine Aeuß er das mit aller Entschiedenheit zurück. Worten nur herauslesen, daß sie sich auf einzelne Vorgänge und aber dabei müsse er allerdings stehen bleiben, d sich um jüdische Sachen handele, ei eine Befangenheit vor

ersonen bezögen; n und wieder in Fällen, wo es s den Eindruck mache, als sei ei hierbei denke er nicht, daß wissentlich unrecht gehandelt werde, könne man daß in Prozessen, wo es nicht wodurch, ob infolge der Macht des die Presse die öffentliche Meinung erhitze, seien, die der Justiz nicht zur Ehre gereichten. Anführung sei unwiderlegt geblieben, daß der ein gegen ihn angeblich ergangenes Urth gestanden habe, und „Kreuzzeitung“

sich um jüdische Sachen handele, er wisse Judenthums, Thatsachen vorgekommen Seine frühere Landrichter Kronecker eil citirt habe, das in den Widerspruch leisten

Acten nicht Bemerkung

sich, ohne gefallen lassen

Kritik des wie im Hause selbst Minister heftig angegriffen würden, müsse es die einen Fehler begingen; ein Re⸗ eneral habe nicht weniger ter, und er sehe nicht ein, 1 acrosancter sein sollten, als Seine Majestät der König. Die Gerechtigkeit sei nur ein eben solcher Aus⸗ wie etwa die Verwaltung und jeder andere eß, in dem es sich auch

unterstehen sollten;

Verwaltungsbeamte o Richtern gegenüber geschehen, gierungs⸗Präsident und commandirender G die Pflicht, gerecht zu handeln, als ein Rich warum die Richter womöglich s

fluß des Staatslebens, des öffentlichen Lebens. In einem Proz Juden gehandelt habe, und in dem er als Zeuge vernommen worden sei, sei in den beiden ersten Tagen ganz objectiv verhandelt worden, dann sei eine Pause von zwei Tagen eingetreten, und in sei die öffentliche Meinung von der Presse in der wie man sie jetzt vom Volksschulgesetz her Landgerichts⸗Director so beeinflußt gewesen, daß er ihn, den Zeugen, fünfmal mit „Angeklagter“ angeredet habe! so befangenen Richter eine obj er wegen dieses Vorkommnisses vom Justiz⸗Minister Remedur ver⸗ langt habe, habe dieser dies nicht für nöth würfen keinen Schatten auf die ganze Justizverwaltung, er warne in Volksversammlungen oft genug davor, einzeln ss f di Gesammtverwaltung zu uübertragen; aber der Abg. von Wackerbarth habe Recht, wenn er in diesen Dingen Unbegreiflichkeiten erblicke, die dem Laienverstande verborgen blieben. 8 suchungsrichter Brixius in Xanten der Schwiegervater des Vertheidigers, nd zugeben, daß in diesem Falle nicht mit der nöthigen Energie zugegriffen worden sei, weder vom Untersuchungs r Seine Behauptung, daß zur Vor⸗ untersuchung der Synagogenvorsteher zugelassen worden sei, werde dahin „berichtigt“, daß zu einer Localbesichtigung außer den dazu ver⸗ pflichteten Personen auch, weil kein anderer Vertreter d dagewesen sei, der Synagogenvorsteher als stummer Zuhörer zugezogen ei, der in die Verhandlung nicht einzugreifen versucht

um einen 2

dieser Zeit Weise beeinflußt worden, Vorsitzende,

He! Wie könne ive Rechtsprechung erwarten!

Vorkommnisse auf die

. B. der Unter⸗ und jedermann

richter, noch vom Staatsanwalt.

s Verklagten

eingreifender Behauptung,

unbegreiflich, wie die Thatsache, daß eine harmlose B „Kreuzzeitung“ worden sei, eine Notiz der „Voss.

emerkung der maison de santé, worin bloß bemerkt d. Ztg.“ über diese Anstalt scheine der Reclame dienen zu sollen, der Staatsanwaltschaft Anlaß zur Er⸗ hebung der Anklage gegeben habe, weil öffentliche Interessen verletzt Die maison de santé befinde sich im Besitz eines Juden! Die Regierung möge alle diese Dinge von Kronecker, Lüty, Brixius, 1 Fall mit der „Kreuzzeitung“ erklären, und er wolle zugeben, daß es sich um mouches volantes in seinen Augen unde Er wolle nur solche Vorkommnisse an die Oeffentli keit ziehen, und könne weiter nichts wünschen, als daß seine Besorgnisse als unbegründet nachgewiesen würden. 28 1 Geheimer Ober⸗Justiz⸗Rath Dr. Lucas: Der Minister ermächtige ihn, der in Gegensatz zum Fall Buschoff ge⸗ stellt worden sei, etwas mitzutheilen. Der Kaufmann Paasch, welcher eine Reise nach China unternommen habe, habe ehrenrührige Beleidi⸗ ungen gegen das Auswärtige Amt des Deutschen Reichs und einzelne eamte dieses Ressorts in einer größeren Schrift und mehreren klei⸗ t 1— Der Termin stehe zum Herr Paasch habe in Untersuchungshaft gesessen, nach Caution von 10 000 sei er auf freien Fuß gesetzt w Abg. von Wackerbarth gesammten

den letzterwähnten Fa

handelt habe.

ihn, über den Fall Paasch,

neren Artikeln 22. April an;

Stellung einer

daß diese Rigorosität entsprochen

angedeutet, de nschen de . Judenthums Dem Minister sei es gleichgültig, ob das Vorgehen der Justiz den Wünschen des Judenthums oder den Wüns semit

hums oder chen der Antisemiten Bei der Justiz komme es

allein auf die Pflicht

entspreche oder nicht.

das Recht im gleichen Maße zuzuwenden. Der Minister 8 jede Verdächtigung, welche gegen die Justizverwaltung gerichtet sei zurückweisen. Der Grund der Verhaftung sei Fluchtverdacht 22 wesen; Paasch habe damals kein festes Domizil besessen danach * die Verhaftung gesetzlich begründet gewesen. Als er die Caution ge stellt habe, sei der Fluchtverdacht weggefallen. Daß der preußisch Richter sich nicht an die sächsische Landesgrenze gekehrt habe, beweise daß der Abg. von Wackerbarth die einschlägigen Rechtsvorschriten nicht kenne, denn seit 1879 gebe es in Strafsachen innerband Deutschlands keine trennenden Landesgrenzen mehr für die Justi Ob der Angeklagte in mehreren Wochen nur ein Verhör cehabt habe, könne er im Augenblick nicht feststellen, da die Acten beim Gerich lägen. Daß aber in diesem einen Verhör Herr Paasch nur übet seine Personalien befragt worden sei, möchte er bestreiten; eine Ver⸗ nehmung zur Sache müsse stattfinden und werde auch wohl statt⸗ gefunden haben; zu mehreren Verhören sei der Richter, wenn er si sachlich nicht für nöthig halte, gesetzlich nicht verpflichtet. Eine Dare stellung des Sachverhalts zu geben, müsse er sich versagen, denn es handele sich um schwebende Untersuchungen und es sei schädlich, wen solche Dinge vor dem Parlament einer Besprechung unterzogen würden Was den zuletzt vom Abg. Stöcker erwähnten Fall mit der „Kreus⸗ zeitung“ anlange, so sei dem Minister nichts darüber bekannt, doch werde er beim Ersten Staatsanwalt darüber Erkundigung einziehen Er könne aber schon jetzt als wahrscheinlich oder gewiß hinstellen, daß der Fall eine sehr harmlose Aufklärung finden werde. Abg. Dr. Enneccerus (nl.): Die Rede des Abg. von Wacker⸗ barth sei geeignet, gegen einen Criminalcommissarius den Verdacht 88 erwecken, daß er 1ch durch jüdisches Geld habe bestechen lassen, sie sei ferner geeignet, das Gericht zu beeinflussen. Der Abg. Stöcker meine, daß ein Angriff gegen die Justiz nichts anderes sei, als ein Angriff gegen andere Beamte. Beschwerden gegen die Bcamten seien nur dann hier gerechtfertigt, wenn Beschwerden über sie bei den höheren Instanzen keinen Erfolg gehabt hätten. Wenn man beim Volk den Glauben an die Unparteilichkeit der Justiz erschüttere, wem man auch nur den Verdacht errege, daß die Juden besser behandelt werden könnten, dann erschüttere man die besten Stützen für Thron und Vaterland. Deshalb bedaure er die heute gehaltenen Reden. Abg. Rickert (df.): Die conservative Partei scheine jetzt ins⸗ gesammt dem Antisemitismus zu huldigen. Das habe das Bravo be⸗ wiesen, das die Herren von der Rechten einer Rede gespendet hätten einer Rede, wie solche in so hervorragend antisemitischen Sinne hier noch nie gehalten sei. Der Stern des Abg. Stöcker sei im Erblassen der Abg. von Wackerbarth sei die neu aufgehende Sonne. Der Abg. von Wackerbarth hole das ganze Material aus finstern Jahrhunderten zusammen, um das Vorkommen von Ritualmord zu beweisen, wäh⸗ rend der Abg. Stöcker schüchtern um die Sache herumgehe. Diesen Gegenstand werde er nachher kurz behandeln. Der Abg. Stöcker ver⸗ wahre sich dagegen, daß er der Justizverwaltung im allgemeinen habe einen Vorwurf machen wollen. So mache er es immer, erst komme die Liebe, mit der er die ganze Menschheit umfasse, dann aber die Zangen, mit denen er kneife. Man möge nur fortfahren solche Reden zu halten, die Frucht dieser Aussaat würden blutige Köpfe sein. Der Abg. Stöcker habe sich in absprechendem Sinne über die öffentliche Meinung gegenüber dem Volksschulgesetz geäußert. Er (Redner) meine, angesichts der heutigen Situation habe er doch Ursache, mäuschenstill zu sein. Der Abg. Stöcker habe in der zweiten Lesung der Justizverwaltung die schwersten Vorwürfe gemacht, namentlich auch den, daß sie die Schuldigen laufen lasse, wenn es sich um Juden handele. So mache er es immer, das sei der Prediger der christlichen Liebe! Die antisemitische Presse habe ihn (Redner) wegen seiner Aeußerungen in zweiter Lesung in unerhörter Weise angegriffen, ja man habe sogar die im Jahre 1884 zu Wahlzwecken gefälschten, angeblich von ihm herrührenden Briefe ausgebeutet. Diese Blätter seien ihm zu elend, um sie einer Berichtigung zu würdigen. Der Abg. Stöcker amüsire sich darüber. Er sollte lieber in sich gehen. Man habe es auch so dargestellt, als sei er (Redner) in zweiter Lesung Beauftragter des Judenthums gewesen. Ihm habe eine Broschüre, die ihm ein Colporteur auf der Straße angeboten habe, den Grund zu seinen Aeußerungen gegeben. Nun zu dem Ritualmord! Für ihn sei es ein niederdrückendes Gefühl, daß er am Ende des neunzehnten Jahrhunderts in der preußischen Volksvertretung genöthigt sei, einem Mitglied der stärksten Fraktion dieses Hauses nachzuweisen, daß dies ein albernes Märchen sei. Als solches habe es bereits der Ober⸗ Staatsanwalt von Düsseldorf in einem Erlaß vom 26. Juli 1834 bezeichnet. Der Abg. von Wackerbart habe seinen Antisemiten⸗ katechismus gut studirt, sein Material stamme aus den finster⸗ sten Jahrhunderten. Er (Redner) bedaure, daß niemand aus der conservativen Partei gegen dieses Verfahren aufgetreten sei. Und was sei das für Material! Ueber Rohling seien die Aecten geschlossen. Ein evangelischer Professor, der ihn früher verehrt habe, habe ihm später Lüge, Heuchelei ꝛc. nachgewiesen. Daß der Abg. von Wacker⸗ barth Anfragen an die Regierung bezüglich des Talmud gerichtet habe, stehe auf demselben Standpunkte wie eine Petition aus Antisemiten⸗ kreisen, die der Regierungsvertreter in der Commission als schlechten Witz bezeichnet habe. Er sei ganz damit einverstanden, daß die Herren diese Sache bei den nächsten Wahlen verwerthen wollten. Das Volk werde entscheiden, wer in diesem Fall im Rechte sei, seine Partei

oder die, welche ihre jüdischen Mitbürger in dieser Weise verdächtigten.

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Minister des Innern Herrfurth:

8 8 2 8 ö Durch ein dringendes Amtsgeschäft war ich verhindert, der Sitzung

heute von Anfang an beizuwohnen, und habe ich deshalb die Rede des Herrn Abg. Freiherrn von Wackerbarth nicht mit anhören können. Ich habe mich soeben erst aus dem Stenogramm vergewissert, daß er darüber Beschwerde erhoben hat, weil zwei Königliche Polizei⸗ Commissarien für jüdisches Geld, für das Geld, das aus der Synagogengemeide gesammelt worden ist, zu haben gewesen wären, und daß ein Rabbiner Geld zur Verfügung gestellt habe, damit die Polizei⸗Commissarien ihre dienstlichen Functionen verrichteten.

Da die Entsendung des Polizei⸗Commissarius Wolf auf meine Veranlassung stattgefunden hat, so halte ich mich für verpflichtet, kurz darauf hinzuweisen, daß bei Entsendung dieses Criminal⸗ commissarius lediglich diejenigen Grundsätze zur Anwendung gebracht worden sind, die für derartige Entsendungen seit länger als einem halben Jahrhundert feststehen. Bei dem Mangel an criminalistisch geschulten Polizeibeamten in den Provinzen ist von jeher bei besonders schweren Verbrechen der Wunsch von den rver⸗ schiedensten Seiten ausgesprochen worden, die criminalistisch besonders gut geschulten Beamten des Berliner Polizei⸗Präsidiums zur Ent⸗ deckung schwerer Verbrecher mit verwenden zu können.

Diesen Anträgen wird grundsätzlich unter folgenden Voraus⸗ setzungen stattgegeben: erstens, daß es sich um ein schweres Verbrechen handelt, dessen Entdeckung im öffentlichen Interesse dringend erwünscht ist; zweitens, daß hier in Berlin zu diesem Zweck ein criminalistisch geschulter Beamter disponibel ist; drittens, daß nach dem Urtheil der Behörde aus den Umständen des besonderen Falls keine Bedenken gegen die Entsendung herzuleiten sind und endlich, daß die Mittel zu dieser Entsendung anderweitig zur Disposition gestellt werden, da das Ministerium des Innern die hierfür erforderlichen Geldmittel nicht verwenden kann und nicht verwenden darf aus denjenigen Summen, welche im Etat für die Berliner Polizeiverwaltung ausgeworfen sind, und zwar umsoweniger, als ja die sächlichen Kosten hier die St Berlin zu tragen hat.

Meine Herren, nachdem der Knabenmord in Panten vorgekommen

war, gelangte an mich ein dringendes Gesuch der Synagogengemeinde

Rücksicht darauf, daß aus diesem Morde gegen ft besondere Angriffe entstanden seien und sie ste Interesse habe, den wahren Mörder zu entdecken, einem geeigneten Beamten hierfür fehle, einen

nach Panten erklärte, die desfalsigen Kosten zu tragen. dessen Entdeckung

8 dortige Inden selbst das dringend

Es lag hier im öffentlichen

schweres Verbrechen vor, Ich fragte deshalb den

dringend wünschenswerth war. Präsidenten, ob hierfür ein geeigneter Criminal⸗ bel sei. Diese Frage wurde bejaht, und es wurde ninalcommissarius Wolf als derjenige bezeichnet, der für solchen Verbrechens besonders geeignet sei. Aus aren irgend welche Bedenken den gegen die Entsendung nicht berzu⸗ gung der Kosten hatte sich die Synagogengemeinde d in Anwendung dieser Grundsätze, die namentlich Anträgen von Gutsbesitzern auf Entsendung von commissarien zur Entdeckung bei Brandstiftungen Anwendung haben, wir haben gerade nach dieser Richtung hin be⸗ ist im vorliegenden Falle die Der Criminalcommissarius Wolf ist mehrere Material gesammelt und hat sein en dahin zusammengefaßt, daß zwar von einem sogenannten cht die Rede sein könnte, daß aber dringende Verdachts⸗

daß der Schächter Buschhoff und dessen ganze ie bei dem Morde betheiligt sei; das Material ist erliefert worden und hat zuerst zu der Buschhoff geführt. Demnächst wurde mir von dem ꝛc. Wolf vorgelegt mit der

ziesigen Polizei

mir der Crimina eckung eines mständen de nach dem Urth leiten. Zur Tra bereit erklärt, un r häufig bei

besonderen Falles 1 eil der Behör

ers vorzüglich geschulte Beamte, Entsendung erfolgt. Wochen dort gewesen; er hat

Ritualmorde ni gründe vorlägen, Familie irgendw daraufhin dem Staatsanwalt üb Verhaftung des lizei⸗Präsidium die Liquidation des mit Rücksicht auf die besonderen Kosten, die der Criminal⸗ be, den gewöhnlichen Diätensatz zu erhöhen. Das habe ich gethan und habe demnächst durch den Regierun denten die Summe ich glaube, es waren 712 Svnagogengemeinde einziehen lassen.

Meine Herren, wenn vielleicht auch diese Entsendung des Criminal⸗ Commissarius Wolf mit zu den „Unbegreiflichkeiten“ gere von denen der Herr Abg. Stöcker gesagt hat, daß sie dem dlich seien, so hoffe ich, daß ich Herrn Freiherrn Verständniß werde er⸗

Commissarius gehabt ha

net werden

Lienverstande unverstän von Wackerbarth für diese Unbegreiflichkeit das ifnet haben. Simon von Zastrow (cons.): Vort gemeldet, weil in Angriff gegen die Justi ob die ganze conservativ Da der Abg. Stöcker in loya

Absicht geh 5 als ungewöhnlich hinzustellen, acht zu erwecken, Stöcker spreche. Glauben zu erwecken, als eiten in unserer Fraction beständen. „Neuen deutschen Ze

Lesung der Abg. Stöcker einen erhoben habe; er habe den Schein vermeiden e Partei dessen Ansichten theile. ler Weise erklärt habe, e Justizverwaltung im allgemeinen anzu⸗ abt habe, sondern nur die einzelnen genannten so möchte er nicht sprechen, schon als ob er für den Abg. Rickert Er glaube, daß es nicht ange⸗ wenn in dieser Frage

der zweiten

daß er mißver⸗

um nicht den Verd und gegen den Abg bracht sei, hier den Meinungsverschiedenh sichten, welche in der seien nicht die ihrigen. Auf die gar nicht eingehen, am liebsten

üͤberhaupt nicht in die Discussion Ritualmorde werde er nicht sprechen. daß die conservative Fraction al Justizverwaltung im Allgemei einzelnen Mitgliedes der Partei, auch wenn es sich um Richter handele. er Kritik nicht;

itung“ ausgesprochen seien, ch und Buschoff wolle er würde es ihm gewesen sein, wenn sie gezogen worden wären; auch über Er freue sich, erklären zu können, olche kein Mißtrauen gegen die habe; dagegen sei es Sache jedes einzelne Fälle zur Sprache zu bringen, Er denke, die Richter scheuten sie seien überzeugt, sie würden schließlich che doch mit Glanz hervorgehen.

Abg. Dr. Virchow (dfr.): 8 roßen Dingen einig; er sch Das sei pharisäis ei sie auch verantwortlich dafü ischen Kunststückchen, die die A In dem Prozeß des Abg. der Abg. Stöcker Namens Ewald zum Man müsse doch jetzt, wo

aus der Sa Der Vorredner eine den Antisemitismus für etwas Kleines zu halten. Wenn sie den Anti⸗ semitismus dulde, sich gebrauchen zu allen antisemit und Freiherr von Wackerbarth aufführten. Stöcker sei auch folgende Episode vorg habe behauptet, daß er einen Male gesehen habe. die Rechte wieder etwas unterdrückt zu en etwas festnageln, die von ihr ausgegange ei züber den Eid ausführlich verh Stöcker als Zeuge abgelegt habe ellt worden, daß der Zeuge sich onflict gesetzt habe. wie sie heute hier vorgekommen seien, begonnen, wo sich unmittelbar daraus hier hätten vorkommen können, des Abg. Stöcker sei Versammlungen ansehen, die kalte, und sie mit denen vergleichen, t kämen die Herren das Gewicht der conservativen Partei für ein Interesse, ihre Sache mit der Wollten sie sich nur der Antisemiten sichern? Diese könnten Er beneide sie n punkt der Partei aus könne er nu Abg. Freiherr von Wackerb Freuden begrüßt haben, wenn die Antwort des chon in der zweiten Lesung erfolgt Meinung von anerkannten Autoritäten habe, so habe er dabei die Absicht schworenen oder das Gericht zu beeinflussen. amen ganz obiective Betrachtungen vorgetragen. „Abg. Rickert (dfr.): vativen Partei, das heute ges Ausführungen der Abg B testiren beiden Herren hingen also conservativen Partei und seine Pa „Volksschulgesetz und Judenfrage“ Abg. Stöcker (cons.): Was der Abg. rühre aus einer Broschüre Dinge ganz anders. Abg. Virchow anerkennen werde, Stöcker daraus keinen Vorwurf machen. seine Versammlungen sage, wisse resse, die bekanntlich niemals die Wahrhe vm Perhch Trichinen kümmern, davon v 2 itik. (Große Heiterkeit.) Abg. von Kröcher (cons.): enschen seine Schwächen. Muth gehabt, in Berlin zuerst aufz ekraten und er sei der einzige gewesen, Erfolge bn. habe, so liege es zmen Freunden und denen, die servative Partei einen solch werde man doch begreiflich finden. sie nicht. (Lebhafter Beifall.) bg. Dr. Virchow (dfr.): Die r mehr heruntergekommen.

(Unruhe rechts.)

andelt worden, den der sei im Erkenntniß fest⸗ mit der Wahrheit bewußt in in Angriffen ge habe man

die Justiz, in solchen Ländern die Revolution ergeben habe.

geschwunden. der Abg. Stöcker jetzt gehalten habe. nd hingen dem Abg— Was hätten die Herren s Abg. Stöcker zu verknüpfen? für die nächsten Wahlen ver⸗ Zeit ins Gegentheil dung; vom Stand⸗ chten so fortfahren. Er würde es mit

5 Tiefste. Der Einfluß möge sich doch die

vom Lande u

doch in dieser bedenklichen icht um diese Verbin nur sagen, sie arth (cons.):

Wenn er hier die über Ritualmorde vorgebr nicht haben können, die Ge⸗ Er habe nur im eigenen

ewesen wäre.

is der conser⸗ habe es nicht gewagt, nd von Wackerbarth zu an den Rockschößen der also unter der Parole mit ihnen kämpfen.

Virchow vorge Erkenntniß ständen die alt Sello, dessen Autorität der man könne Herrn der Abg. Virchow der fortschrittlichen Der Abg. Virchow ‚aber nicht

einzige Mitglied au prochen habe, g. Stöcker u

lesen habe,

Herr Rechtsanw habe gesagt,

möge sich um erstehe er etwas Der Abg. Stöcker habe wie alle Verdienste aber habe er: er habe utreten gegen die Social⸗ der gegen Fortschritt und Wenn er nicht mehr nern, sondern an

abschütteln Selbstmord

Zahl der conservativen In Herrn Stöcker's Ver⸗

aufzuweisen habe. nicht an seinen Gegr ihn nicht unterstützt en Mann nicht von sich Einen solchen

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sammlungen gehe er nicht, aber Herr Stöcker selbst habe es in seinen Zeitungen schreiben lassen, daß die Berliner Bewegung zurückgehe. Wenn man den Antisemitismus künstlich aufbauschen wolle, nun, so möge man es doch thun, seine Partei werde ja abwarten, was daraus werde. Wenn die Conservativen sich mit dem Antisemitismus verbünden wollten, so möchten sie in ihr Verderben rennen; seine 2 artei wasche ihre Hände in Unschuld. Wann Herr Sello seinen Ausspruch ge⸗ than, wisse er nicht, vielleicht in einem Falle, der ebenso verzweifelt gelegen habe, wie der des Herrn Stöcker.

Abg. Stöcker (cons.): 1887, hätten die Conservativen 84 000 Stimmen auf ihre Freunde vereinigt, mehr als der Fortschritt ge⸗ habt habe. Er habe mit dem Abg. Virchow zur Stichwahl gestanden und sei durchgefallen, weil die Socialdemokraten für Virchow eingetreten seien. Aber bei den Kirchenwahlen hätten seine Freunde doch die Mehrheit erhalten und das sei ein Erfolg im öffentlichen Leben.

Abg. Dr. Virchow (dfr.): Dieser Erfolg des Herrn Stöcker rühre her von der Thatsache, daß unter dem Einflusse Bismarck’s sämmtliche Beamte für ihn hätten eintreten müssen. Die für ihn damals gestimmt hätten, seien keine Antisemiten gewesen. Bei der Verhandlung über den Welfenfonds werde sich zeigen, daß er Widerstand gegen falsche Maßnahmen geleistet habe, als die conser⸗ vative Partei noch auf dem Bauch gerutscht sei. Dies zur Antwort darauf, daß er sich um Politik nicht kümmern solle.

Abg. Stöcker (cons.): Der Abg. Virchow werde wohl seine berühmten Aussprüche aus dem Jahre 1864 und 1866 kennen.

Damit schließt die Debatte.

Auf eine Anregung des Abg. Roeren (Centr.) erklärt

Geheimer Justiz⸗Rath Vierhaus, daß den Gerichtsschreiber⸗ gehilfen, welche eine längere Zeit im Dienste der Steuerverwaltung gestanden hätten, diese Zeit auf ihre Dienstzeit nach Möglichkeit an⸗ gerechnet werden solle.

Abg. Lückhoff (freicons.): In der vorigen Session sei über eine Petition von Berliner Innungsverbänden, die Regelung der Gefängnißarbeit betreffend, verhandelt worden. Diese Petition sei der Staatsregierung zur Erwägung überwiesen worden. Diese habe auch diesem Beschlusse Rechnung getragen, indem sie in der Uebersicht der von ihr gefaßten Entschließungen auf Anträge des Ab⸗ geordnetenhauses die Zusicherungen gegeben habe, die Bemühung, eine Beeinträchtigung des freien Gewerbes durch die Gefängnißarbeit zu verhüten, fortzusetzen; namentlich würden Aufträge von den Militär⸗ und Eisenbahnverwaltungen sie dazu in den Stand bringen. Im Gegensatze zu diesen Zusicherungen gehe nun das Justiz⸗Ministerium mit dem Plane um, in Plötzensee eine Korbmacherei für Rechnung eines Unternehmers zu betreiben. Die Folge werde sein, daß die 300 Korbmachermeister mit ihren zahlreichen Gehilfen schwer geschädigt würden, denn die in Plötzensee gefertigten Korbwaaren würden durch die Hausirer auf den Berliner Markt geworfen werden. Aber und das sei besonders schmerzlich auch viele Blinde, welche durch Korb⸗ flechterei, die leicht von ihnen erlernt werden könne, ihr Brot ver⸗ dienten, würden in ihrer Existenz bedroht werden, denn mit Gefängniß⸗ arbeit könne niemand concurriren. Er bitte um Abhilfe.

Geheimer Ober⸗Justiz⸗Rath Starke: Der Justizverwaltung sei von den Interessenten keine Klage vorgebracht worden. Es sollten allerdings Gefangene mit Korbmacherarbeiten beschäftigt werden; aber der Unternehmer arbeite hauptsächlich für den Export, sodaß für die einheimische Korbmacherei keine Gefahr entstehe.

Abg. Lückhoff (freicons.): Die Blumenfabrik von Emler solle auch nur für den Export arbeiten und trotzdem würden die Blumen zum großen Theil hier in Berlin verkauft zum Schaden der Berliner Unternehmer.

Abg. Pleß (Centr.) empfiehlt die Beschäftigung der Gefangenen in Arbeitszweigen, wo sie nicht den Kleinhandwerkern Concurrenz machten.

Abg. Czwalina (dfr—.): Irgendwie müßten die Gefangenen doch arbeiten; wenn jede Concurrenz vermieden werden solle, dann könnten die Gefangenen höchstens benutzt werden, um Gräben auf⸗ zuwerfen und wieder zuzuwerfen.

Abg. Dr. Dürre (nl.) tadelt die mangelhafte Einrichtung der Gerichtsgebäude in Magdeburg, welche geradezu für die richtige Hand⸗ habung der Justiz eine Gefahr mit sich bringe.

Geheimer Ober⸗Justizrath Starke: Die Mißstände seien der Regierung bekannt und es solle sobald als möglich für eine Ver⸗ besserung Sorge getragen werden.

Abg. Frentz (cons.) befürwortet die Erbauung eines neuen Amtsgerichtsgebäudes in Demmin.

Abg. Nadbyl (Centr.) empfiehlt die Revision der Gebühren⸗ ordnung für Notare.

Geheimer Justiz⸗Rath Vietsch weist darauf hin, daß die Wünsche sowohl der Notare als der Interessenten sehr weit aus⸗ einander gingen, deshalb habe die Regierung erst noch weitere praktische Ermittelungen angeordnet.

.Abg. Seer (nl.) befürwortet die Errichtung eines Amtsgerichtes in Znin.

Jühni ner Justiz⸗Rath Planck: Ein solcher Antrag sei bereits 1885 gestellt, aber damals abgelehnt worden; inzwischen sei ein neuer Kreis Znin gebildet worden, deshalb werde die Regierung die Frage in wohlwollende Erwägung ziehen.

Die Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole) und von Tiede⸗ mann⸗Labischin (freicons.) empfehlen die Errichtung eines Amts⸗ gerichtes in Znin. ö

Abg. Hollesen (nl.) befürwortet den Neubau des Amtsgerichts⸗ gebäudes in Rendsburg.

Abg. Lerche (dfr.) empfiehlt die Besetzung aller dauernd noth⸗ wendigen Richterstellen mit fest angestellten Richtern, nicht mit Hilfs⸗ richtern. 8

Abg. Munckel (dfr.) unterstützt diesen Wunsch; hauptsächlich fehle es an den nöthigen Mitteln; denn die Wünsche seien überall leich: es fehle überall an Richtern und auch an ordentlichen Ge⸗ äuden, wofür dem Finanz⸗Minister die nöthigen Mittel fehlten, um alle Wünsche zu befriedigen. Redner empfiehlt eine Aufbesserung der Besoldung der Kanzleigehilfen. B

Geheimer Justiz⸗Rath Vierhaus verweist darauf, daß die Pe⸗ titionscommission mit Petitionen beschäftigt sei, welchen die Regierung mit großem Wohlwollen gegenüberstehe.

Abg. Dr. Virchow (fr.): Den Aerzten, welche zur Behand⸗ lung der Kranken in Gefängnissen angestellt seien, würden Contracts⸗ bedingungen auferlegt, die mit dem Ansehen der Aerzte nicht ver⸗ einbar seien. Die ostpreußische Aerztekammer habe sich mit der Sache beschäftigt und dagegen eine Resolution angenommen. Redner fragt, ob diese Contractsvorschriften allgemein vorgeschrieben seien; in keiner anderen Verwaltung würden ähnliche Anforderungen gestellt.

Geheimer OberJustiz⸗Rath Starke: Er bedauere, daß der Vor⸗ redner ihm nicht früher Mittheilung von seinen Materialien gemacht habe; er sei nicht in der Lage, seine Frage jetzt zu beantworten.

Abg. Dr. Virchow (dfr.): Ihm sei gestern Abend das Material zugegangen; es handele sich um einen Erlaß der Ober⸗Staatsanwalt⸗ schaft in Königsberg. .

Der Etat der Justizverwaltung wird genehmigt.

Beim Etat des Ministeriums des Innern weist

Abg. Knebel (nl.) darauf hin, daß für die Erweiterung von Ortschaften ein gemeinsamer Bebauungsplan erforderlich sei. Ein Hinderniß für einen solchen Bebauungsplan sei aber oft die schlechte Lage der Grundstücke, die vielfach im Gemenge lägen. Es sei schwer, eine Einigung unter den einzelnen Interessenten zu erzielen, sodaß eine Minderheit von Betheiligten die Mehrheit be⸗ hindern könne an der Bebauung. Deshalb habe man mehrfach eine Aenderung der Gesetzgebung vorgeschlagen, welche die Gemeinden er⸗ mächtige, in solchen Fällen die Einigung vorzunehmen. Redner möchte die Aufmerksamkeit der Regierung auf diese Frage lenken.

Minister des Innern Herrfurth:

Die von dem Herrn Abg. Knebel berührte Angelegenheit ist, wie ich anerkenne, von weittragender Bedeutung, und er hat hochbedeut⸗ same Gesichtspunkte für dieselbe zur Sprache gebracht. Bei jeder

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Aufstellung eines Bebauungsplans zeigen sich sofort und zwar nicht

bloß im Westen der Monarchie große Schwierigkeiten, die aus der eigenthümlichen und unzweckmäßigen Configuration der Baugrundstücke, aus dem Vorhandensein von Baumasken u. s. w. entstehen. Es sind as Unzuträglichkeiten, die zu beseitigen, auch im öffentlichen Interesse wünschenswerth ist. Allerdings sind diese öffentlichen Interessen wesentlich ästhetischer Natur. Daß aber nicht nur im Westen der Monarchie solche Unzuträglichkeiten vorkommen, das

kann man jedem ad oculos demonstriren, wenn er hier in Berlin vom Wrangelbrunnen die Thiergartenstraße entlang geht und die Un⸗

schönheit der schiefwinkligen Bebauung betrachtet.

Im wesentlichen aber sind es privatliche Interessen, di dabei in Frage kommen, und es ist mir sehr zweifelhaft, ob das an⸗ gestrebte Ziel durch Zusammenlegungsverfahren entsprechend der Ver⸗ koppelung landwirthschaftlicher Grundstücke erreicht werden könnte. Ich möchte glauben, daß man durch die Bildung von Zwangs⸗ genossenschaften nöthigenfalls unter Verleihung des Expropriations⸗ rechts vielleicht eher jenes Ziel erreichen könne.

Die Staatsregierung ist bisher dieser Frage nicht näher getreten, insbesondere haben im Ministerium des Innern Erörterungen hier⸗ über noch nicht stattgefunden. Mein Ressort ist ja dabei auch nur in zweiter Linie betheiligt. Ich bin aber sehr gern bereit, den An⸗ regungen, die der Herr Abg. Knebel gegeben hat, weiter nachzugehen; ich kann natürlich irgend eine bestimmte Zusicherung wegen Ein⸗ bringung einer Gesetzesvorlage heute nicht machen.

Abg. Grimm⸗Frankfurt (nl.) schließt sich den Ausführunge

es Abg. Knebel an und dankt dem Minister für die entgegenkommende

Erklärung. Er regt ferner an, ob es nicht nothwendig sei, den Städten in Bezug auf die Durchlegung von Straßen u. s. w. größere Befugnisse zu geben.

Abg. Wallbrecht (nl.) hält es für nothwendig, daß die Gesetzgebung dahin geändert werde, daß nicht die Allgemeinheit die Kosten der Anlage von Straßen trage, sondern Diejenigen, welche den Vortheil von ihr hätten.

Abg. Schreiber⸗Nordhausen (freicons.) hält es für nothwendig,

daß die Vorschriften über di Entschädigung für den durch Tumulte angerichteten Schaden auf eine andere Basis gestellt würden. Es könne natürlich auf die Excedenten zurückgegriffen werden, aber diese hätten meistens nichts, es würden schließlich die Gemeinden eintreten müssen und dabei müßten dann auch die mitzahlen, welche geschädigt worden seien. Man solle in erster Linie den Kreis als Träger dieser Last hinstellen und in zweiter Linie den Staat, wenn der

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Aufruhr einen größeren Umfang annimmt. Minister des Innern Herrfurth: Ich kann dem Herrn Abg. Schreiber ohne weiteres zu⸗

geben, daß das Tumultgesetz vom 11. März 1850 veränderungs⸗

fähig und verbesserungsbedürftig ist. Es ist mir nur zweifelhaft, ob, wenn man an diese Veränderung herantreten will, man zu demjenigen Ergebniß kommen würde, was der Herr Abg. Schreiber als wünschenswerth bezeichnet. Die Geschichte dieses Ge⸗ setzes muß vielmehr eigentlich zu der Ueberzeugung führen, daß, sobald man an diesem Gesetze rührt, man nur zur Aufhebung desselben gelangt. Das Gessetz selbst, welches übrigens nicht für den ganzen preußischen Staat, sondern nur für die alten Provinzen gilt, ist in unmittelbarem Zusammenhang mit der obligatorischen Einführung der Bürgerwehr erlassen worden und er stand in directem Zusammen⸗ hang mit dem inzwischen aufgehobenen Artikel 105 der Ver⸗ fassung. Eine Begründung dieses Gesetzes, welches bekanntlich auf Initiative der ersten Kammer erlassen worden ist, erscheint sehr schwierig und ist damals nicht möglich gewesen. Man sprach von einer Gesammtbürgschaft der nachbarlichen Genossenschaften, von der Ein⸗ führung einer allgemeinen Versicherungspflicht der Gemeinden; man erkannte aber schließlich an, daß die Corporation der Gemeinde weder privatrechtlich noch strafrechtlich für die Excesse von Einzelnen ver⸗ antwortlich gemacht werden könne.

Als die neuen Provinzen dem Staate hinzutraten, kam die Frage in Betracht, ob man nicht dieses Gesetz auf dieselben ausdehnen solle. Es ist damals mit einer sehr großen Majorität in der Commission dieses Hauses ausgesprochen worden: ie Ausdehnung ist nicht nur nicht wünschenswerth, sondern es giebt nur eine Verbesserung des Gesetzes das ist seine vollständige Aufhebung, und auf Grund dieses Beschlusses ist die Frage der Ausdehnung des Gesetzes auf die neuen Provinzen seitens der Staatsregierung nicht weiter verfolgt worden.

Ebenso hat im Jahre 1876 dieses Haus sich bei Berathung einer Petition wegen Aufhebung dieses Gesetzes in gleichem Sinne aus⸗ gesprochen, und ich muß sagen: bei den außerordentlich bedenklichen Rechtsdeductionen, auf die ein solches Gesetz überhaupt gegründet werden kann, bei der Verschiedenartigkeit der Gesetzgebungen in den einzelnen Provinzen und bei der immerhin nach der ganzen geschichtlichen Entwickelung sehr zweifelhaften Frage, ob die Zustimmung der Häuser des Landtags zu irgend einer Aenderung des Gesetzes, namentlich zu einer Ausdehnung desselben zu gewinnen sein würde, trage ich Bedenken, irgend eine Zusicherung nach der Richtung zu

geben, daß ich an eine Aenderung des Gesetzes herantreten würde.

Der Etat des Ministeriums des Innern wird darauf genehmigt und um 4 Uhr die weitere Debatte vertagt.

Sitzung vom Sonnabend, 19. März, Abends.

Der Sitzung wohnen der Finanz⸗Minister Dr. Mig uel

der Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden bei.

Die Etatsberathung wird beim Etat der landwirth⸗ schaftlichen Verwaltung fortgesetzt.

Abg. Freiherr von Zedlitz (freicons.) macht auf die niedrigen Gehälter der Lehrer an den Landwirthschaftsschulen aufmerksam. Er bitte die Regierung, bei der in Aussicht genommenen Aufbesserung der Gehälter der Lehrer an nichtstaatlichen Anstalten auch diese Kategorie zu berücksichtigen. (Beifall.) 1

Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:

Ich erkenne den von dem Herrn Vorredner angeregten Mißstand bezüglich der landwirthschaftlichen Mittelschulen und der Gehälter der Lehrer an denselben als vollkommen begründet an. Ich bedaure, daß ich von der beabsichtigten Erhöhung der Gehälter der Lehrer an den auf dem Etat des Cultus⸗Ministeriums stehenden gleichartigen Schulen erst durch den Etat Kenntniß erhalten habe. Wäre ich in dieser Be ziehung früher orientirt gewesen, so würde ich gleich die einleitenden Schritte gemacht haben, um auch bezüglich der landwirthschaftlichen Mittelschulen zu besseren Gehaltsverhältnissen für die Lehrer zu ge⸗ langen. Sobald ich von dem Vorgehen im Bereich des Cultus⸗ Ministeriums Kenntniß erhalten habe, habe ich meinerseits Anordnung getroffen, für die landwirthschaftlichen Mittelschulen den gleichen Zustand zu erstreben. Für dies Jahr läßt sich nichts mehr machen. Ich muß bemerken, daß eine gewisse Schwierigkeit obwaltet, b