1892 / 71 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 22 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

bildungsschulen, zu deren Besuch keine Verpflichtung besteht, bis zum 1. Oktober 1894 gestatten.

Als Fortbildungsschulen im Sinne dieser Bestimmungen gelten auch Anstalten, in welchen Unterricht in weiblichen Hand⸗ und Haus⸗ arbeiten ertheilt wird.

Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines wei⸗ teren Communalverbandes, welcher nach Maßgabe des § 142 der Ge⸗ werbeordnung erlassen wird, kann mit Zustimmung des Ober⸗Berg⸗ amts für männliche Arbeiter unter achtzehn Jahren die Verpflichtung zum Besuch einer Fortbildungsschule begründet werden. Auf demselben Wege können die zur Durchführung dieser Verpflichtung erforderlichen Bestimmungen getroffen werden. Insbesondere können durch statutarische Bestimmung die zur Sicherung eines regelmäßigen Schulbesuchs den Schul⸗ pflichtigen sowie deren Eltern, Vormündern und Arbeitgebern ob⸗ liegenden Verpflichtungen bestimmt und diejenigen Vorschriften er⸗ lassen werden, durch welche die Ordnung in der Fortbildungsschule und ein gebührliches Verhalten der Schüler gesichert wird. Von der durch statutarische Bestimmung begründeten Verpflichtung zum Besuch einer Fortbildungsschule sind diejenigen befreit, welche eine andere Fortbildungs⸗ oder Fachschule (Steigerschule, Bergvorschule, Berg⸗ schule) besuchen, sofern der Unterricht dieser Schule von dem Ober⸗ Bergamt als ausreichender Ersatz des durch statutarische Bestimmnng geregelten Fortbildungsschulunterrichts anerkannt wird.

Das Dienstverhältniß der von den Bergwerksbesitzern gegen feste Bezüge zur Leitung und Beaufsichtigung des Betriebes nach Maßgabe der §§ 73 und 74 angenommen oder dauernd mit höheren technischen Dienstleistungen betrauten Personen (Maschinen⸗ und Bautechniker, Chemiker, Zeichner und dergleichen) kann, wenn nicht etwas anderes verabredet ist, von jedem Theile mit Ablauf jedes Kalenderviertel⸗ jahres nach sechs Wochen vorher erklärter Aufkündung aufgehoben werden.

Jeder der beiden Theile kann vor Ablauf der vertragsmäßigen und ohne Innehaltung einer Kündigungsfrist die Aufhebung des

ienstverhältnisses verlangen, wenn ein wichtiger, nach den Umständen des Falles die Aufhebung rectfersts lder Grund vorliegt.

Gegenüber den im § 88 bezeichneten Personen kann die Aufhebung des Dienstverhältnisses insbesondere verlangt werden:

1) wenn sie beim Abschluß des Dienstvertrages den Bergwerks⸗ besitzer durch Vorbringen falscher oder verfälschter Zeugnisse hinter⸗ gangen oder ihn über das Bestehen eines anderen sie gleichzeitig ver⸗ pflichtenden Dienstverhältnisses in einen Irrthum versetzt haben:;

2) wenn sie im Dienste untreu sind oder das Vertrauen miß⸗ brauchen;

3) wenn sie ihren Dienst unbefugt verlassen oder den nach dem Dienstvertrage ihnen obliegenden Verpflichtungen nachzukommen be⸗ harrlich verweigern;

4) wenn sie eine sicherheitspolizeiliche Vorschrift bei der Leitung oder Beaufsichtigung der Bergarbeit übertreten oder wenn ihnen durch die Bergbehörde die Befähigung zum Aufsichtsbeamten aberkannt ist;

5) wenn sie durch anhaltende Krankheit oder durch eine längere Freiheitsstrafe oder Abwesenheit an der Verrichtung ihrer Dienste verhindert werden:;

6) wenn sie sich Thätlichkeiten oder Ehrverletzungen gegen den Bergwerksbesitzer oder seine Vertreter zu Schulden kommen lassen;

7) wenn sie sich einem unsittlichen Lebenswandel ergeben.

In dem Falle zu 5 bleibt der Anspruch auf die vertragsmäßigen Leistungen des Bergwerksbesitzers für die Dauer von sechs Wochen in Kraft, wenn die Verrichtung der Dienste durch unverschuldetes Unglück verhindert worden ist. Jedoch mindern sich die Ansprüche in diesem

alle um denjenigen Betrag, welcher dem Berechtigten aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken⸗ oder Unfall⸗ versicherung oder aus einer Knappschaftskasse zukommt. § 90.

Die im § 88 bezeichneten Personen können Dienstverhältnisses insbesondere verlangen:

1) wenn der Bergwerksbesitzer oder seine Stellvertreter sich oder Ehrverletzungen gegen sie zu Schulden kommen

assen;

2) wenn der Bergwerksbesitzer die vertragsmäßigen Leistungen nicht gewährt;

3) wenn der Bergwerksbesitzer oder dessen Stellvertreter Anord⸗ nungen ergehen läßt, welche gegen den Betriebsplan oder gegen sicher⸗ heitspolizeiliche Vorschriften verstoßen, oder wenn er die Mittel zur Ausführnng der von der Bergbehörde getroffenen polizeilichen Anord⸗ nungen verweigert.

die Aufhebung des

§ 91.

Unter den im § 86 aufgestellten Voraussetzungen tritt die daselbst bestimmte Haftung des Bergwerksbesitzers auch für den Fall ein, wenn die im § 88 bezeichneten Personen zur Aufgabe des Dienst⸗ verhältnisses verleitet, in Dienst genommen oder im Dienst behalten werden.

§ 92.

Die wegen Uebertretungen der §§ 84 Absatz 5, 85 und 85f Absatz 3 festgesetzten Geldstrafen fließen zu der Knappschaftskasse, welcher das betreffende Werk angehört.

§ 93.

Auf jedem Bergwerk ist über die daselbst beschäftigten Arbeiter eine Liste zu führen, welche die Vor⸗ und Zunamen, das Geburtsjahr, den Wohnort, den Tag des Dienstantritts und der Entlassung sowie

s Datum des letzten Arbeitszeugnisses enthält. Die Liste muß der Bergbehörde auf Verlangen vorgelegt werden. B. Betreffend die Befugnisse der Bergbehörden. Artikel II. Ahn Stelle des § 77 im Allgemeinen Berggesetze tritt folgende Bestimmung:

„Dieselben sind verpflichtet, die Bergbeamten, welche im Dienste das Bergwerk befahren, zu begleiten und denselben auf Erfordern Auskunft über den Betrieb, über die Ausführung der Arbeitsordnung und über alle sonstigen, der Aufsicht der Bergbehörde unterliegenden Gegenstände zu ertheilen.“

Artikel III.

Der 2. Absatz des § 189 erhält folgende Fassung:

SSie handhaben insbesondere die Bergpolizei nach Vorschrift des Gesetzes. In Beziehung auf die ihrer Aufsicht unterworfenen Anlagen und Betriebe stehen ihnen, insbesondere bei der Ueberwachung der lusführung dieses Gesetzes, die Befugnisse und Obliegenheiten der im § 139 b der Reichsgewerbeordnung bezeichneten Aufsichts⸗ beamten zu.“

Artikel IV.

In § 196 wird hinter den Worten: ddie Sicherheit des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter,“ folgender Absatz eingeschaltet:

n die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die Einrichtung des Betriebes.“ 8 1 Artikel V. Der Absatz 1 des § 197 erhält folgenden Zusatz: Insbesondere können die Ober⸗Bergämter, wenn durch über⸗ mäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der zu gewährenden Pausen vorschreiben und die zur Durch⸗ führung dieser Vorschriften S. Anordnungen erlassen.“ Artikel VI.

1) Der § 192 erhält folgenden nösgh 2:

„Widersprechen Verfügungen oder Beschlüsse des Revierbeamten oder des Ober⸗Bergamts den von der zuständigen Berufsgenossenschaft erlassenen Vorschriften zur Verhütung von Unsällen, so ist zur Ein⸗ legung des Recurses binnen der vorstehend bezeichneten Frist auch der 8. der Berufsgenossenschaft oder Berufsgenossenschaftssection

ugt.

2) Der § 197 erhält folgenden Absatz 3:

Vor dem Erlaß von Polizeiverordnungen, welche sich auf die Sicherheit des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter und auf die

Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes im Betriebe beziehen, ist dem Vorstande der betheiligten Berufsgenossenschaft oder Berufsgenossenschaftssection Gelegenheit zu einer gutachtlichen Aeuße⸗ rung zu geben. Auf diese finden die Bestimmungen des § 79 Abs. 1 des Unfallversicherungsgesetzss vom 6. Juli 1884 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 69) Anwendung.“

Artikel VII.

Der § 202 erhält folgenden Absatz 2:

„Im gleichen Falle, senie wenn der Bergwerksbesitzer einer auf Grund des § 197 ergangenen Polizeiverordnung zuwiderhandelt, kann der Revierbeamte bis zur Herstellung des der Verordnung oder der Verfügung entsprechenden Zustandes die Einstellung des Betriebes, soweit derselbe durch die Verordnung oder Verfügung getroffen wird, anordnen, falls dessen Fortsetzung erhebliche Nachtheile oder Gefahren herbeizuführen geeignet sein würde.“ .

C. Straf⸗ und Schlußbestimmungen. .“ 1 Artikel VIII. Der dritte Abschnitt des neunten Titels im Allgemeinen Berg⸗

gesetz vom 24. Juni 1865 enthält folgende Fassung: Dritter Abschnitt. Strafbestimmungen. § 207.

Uebertretungen der Vorschriften in den §§ 4, 10, 66, 67, 69, 71, 72, 73, 74, 77, 93, 163, 200, 201, 203, 204, 205 werden mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark und im Unvermögensfalle mit Haft bestraft.

In den Fällen der §§ 67 und 69, sowie 73 und 74 tritt diese Strafe auch dann ein, wenn auf Grund der §§ 70 und 75 der Be⸗ trieb von der Bergbehörde eingestellt wird.

§ 207 a.

Mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark und im Unvermögens⸗ falle mit Gefängniß bis zu sechs Monaten werden Bergwerksbesitzer bestraft, welche den §§ 84 Absatz 5 und 85f Absatz 3 zuwider⸗ handeln.

§ 207b.

Mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark und im Unvermögens⸗ falle mit Haft wird bestraft, wer ein Bergwerk betreibt, für welches eine Arbeitsordnung 80 a) nicht besteht, oder wer der endgültigen Ano dnung der Behörde wegen Ersetzung oder Abänderung der Arbeitsordnung 80h) nicht nachkommt.

§ 207 c.

Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark und im Unver⸗ mögensfalle mit Haft bis zu vier Wochen wird bestraft:

1) wer der Bestimmung des § 80e Absatz 2 zuwider gegen Arbeiter Strafen verhängt, welche in der Arbeitsordnung nicht vor⸗ gesehen sind oder den gesetzlich zulässigen Betrag übersteigen, oder wer Strafgelder, Lohnabzüge 80 b Nr. 3) oder die in § 80 b Nr. 6 bezeichneten Beträge in einer in der Arbeitsordnung nicht vorgesehenen Weise verwendet;

2) wer es unterläßt, den durch die §§ 80c Absatz 2, 80g Ab⸗ satz 1, 80i und 80 k für ihn begründeten Verpflichtungen nachzu⸗ kommen.

Mit Geldstrafe bis zu dreißig Mark und im Unvermögensfalle mit Haft bis zu acht Tagen wird bestraft, wer es unterläßt, der durch § 80g Absatz 2 für ihn Verpflichtung nachzukommen.

§ 20 7Je.

Mit Geldstrafe bis zu zwanzig Mark und im Unvermögensfalle mit Haft bis zu drei Tagen für jeden Fall der Verletzung des Gesetzes wird bestraft: 3

1) wer den Bestimmungen der §§ 85 und 85b bis 85g zuwider

9 5 8 9. G . einen Arbeiter in Beschäftigung nimmt oder behält;

2) wer außer dem im § 207a vorgesehenen Falle den Bestim⸗ mungen dieses Gesetzes in Ansehung der Arbeitsbücher zuwiderhandelt;

3) wer vorsätzlich ein auf seinen Namen ausgestelltes Arbeitsbuch unbrauchbar macht oder vernichtet;

4) wer den Bestimmungen des § 87 Absatz 1 oder einer auf Grund des § 87 Absatz 3 erlassenen statutarischen Bestimmung zuwider⸗ handelt;

5) wer es unterläßt, den durch § 80e Absatz 3 für ihn begrün⸗ deten Verpflichtungen öö“

208.

Zuwiderhandlungen gegen die von den Bergbehörden bereits er⸗ lassenen, sowie die von den Ober⸗Bergämtern auf Grund des § 197 noch zu erlassenden Bergpolizeiverordnungen werden mit Geldstrafe bis zu dreihundert Mark und im Unvermögensfalle mit Haft bestraft.

Dieselbe Strafe findet bei Zyuwiderhandlungen gegen die auf Grund der §§ 198 und 199 getroffenen polizeilichen Anordnungen Anwendung.

Die Firafe tritt auch ein, wenn der Betrieb auf Grund des § 202 Absatz 2 von der Bergbehörde eingestellt wird.

§ 209.

Ueber die Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Vorschriften 207, § 207 a bis 207 e, § 208) sind von den Revierbeamten Pro⸗ tocolle aufzunehmen.

Diese Protocolle werden der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung übergeben.

Die Entscheidung steht den ordentlichen Gerichten zu. Dieselben haben hierbei nicht die Nothwendigkeit oder Zweckmäßigkeit, sondern nur die gesetzliche Gültigkeit der von den Bergbehörden erlassenen polizeilichen Vorschriften zu prüfen.

§ 209 a.

Die Strafverfolgung der in den §§ 207 b und 208 mit Strafe bedrohten Handlungen verjährt innerhalb drei Monaten von dem Tage an gerechnet, an welchem sie begangen sind.

Artikel IX.

Dieses Gesetz tritt am 1. Juli 1892 in Kraft. Mit der Aus⸗ führung desselben wird der Minister für Handel und Gewerbe be⸗ auftragt.

Die Ober⸗Bergämter sind ermächtigt, den Bergwerksbesitzern auf Antrag angemessene Fristen, längstens bis zum 1. Januar 1893, be⸗ hufs Herstellung der zur Durchführung des § 80 k Absatz 1 erforder⸗ lichen Einrichtungen zu gewähren.

Urkundlich ꝛc.

In der Begründung zu dem Entwurf wird zunächst auf die Feschheg. Entwickelung des Arbeitsverhältnisses der Bergarbeiter Bis zum Jahre 1860 wurden die Bergarbeiter von den Staats⸗Bergbehörden angenommen, verlegt und entlassen; die Berg⸗ behörde bezw. in deren Vertretung vereidete Beamte des Bergwerks⸗ besitzers trugen für die Einhaltung der in den Bergordnungen vorge⸗ schriebenen Anfahrtszeit, Schichtdauer und sonstiger Modalitäten des Arbeitsverhältnisses Sorge, stellten das Gedinge oder überwachten dessen Stellung, beeinflußten somit auch die Lohnhöhe und trugen für richtige Auszahlung des Lohns Sorge; die Bergbehörde übte eine Disciplin über die Arbeiter aus, erließ Disciplinar⸗Strafreglements und schritt erfor⸗ derlichen Falls ein. Das Gesetz vom 21. Mai 1860, die Aufsicht der Bergbehörden über den Bergbau und das Verhältniß der Berg⸗ und Hüttenarbeiter betreffend, beseitigte diesen Rechtszustand, indem es die Abschließung der Verträge zwischen dem Bergwerkseigenthümer und den Bergleuten ihrem freien Ermessen überließ, eine Mitwirkung der Bergbehörde nicht mehr in Anspruch nahm; die Bergbehörde hatte nach diesem Gesetz nur die von den Bergwerkseigenthümern für ihre Werke erlassenen Arbeitsordnungen zu bestätigen, der Erlaß von Arbeitsordnungen war indeß nicht obligatorisch; eine Grund⸗ lage ar die gesammten gegenseitigen Beziehungen des Bergwersbesitzers und des Bergarbeiters war mit dem Gesetz nicht geschaffen worden. Infolgedessen waren auf einer Reihe von Bergwerken überhaupt keine Arbeitsordnungen erlassen und somit den Bergbehörden keine Ge⸗ legenheit gegeben worden, dieserhalb mit Zwangsmaßregeln vorzugehen; ferner waren da, wo Arbeitsordnungen ins Leben traten, wichtige, die gegenseitigen Beziehungen regelnde Festsetzungen nicht in den Arbeits⸗ ordnungen, sondern vielmehr in einem nicht bestätigten Anhange auf⸗

genommen worden. 2 hat den in dem vorerwähnten Gesetz zum Ausdruck gekomm Grundsatz des freien, der Einwirkung der Staatsbehörden entzo en Arbeitsvertrags noch weiter ausgebildet; es erhielt in dieser Bezieknen 8 H n ung folgende Fassung: 11

„Das Vertragsverhältniß zwischen den Bergwerksbesitzern und d

Bergleuten wird nach den allgemeinen gesetzlichen orschriften 5

urtheilt, soweit nicht nachstehend etwas Anderes bestimmt ist 85*

lassen die Bergwerksbesitzer Arbeitsordnungen für ihre Werke *

müssen dieselben gleichzeitig mit der Bekanntmachung auf dem Werke

zur Kenntniß der Bergbehörde gebracht werden.“ n

Also von der Nothwendigkeit des Erlasses von Arbeitsordnung war abgesehen; an Stelle der Bestätigung trat Kenntnißnahme d eventuell zu erlassenden Arbeitsordnungen durch die Bergbehörde. Ds Folge davon war, daß entweder gar keine Arbeitsordnungen erlasser wurden, oder daß, wo solche entstanden, darin nicht der Grundsatz Aug. druck fand, daß die vertragsmäßig bestehenden Beziehungen zwischen Bergwerksbesitzer und Bergarbeitern zur Vermeidung von Mißver⸗ ständnissen, welche zu einer Quelle von Streitigkeiten werden können. vollständig zu regeln seien. Hieraus sind mannigfache Uebelstände hervorgegangen, welche in den Arbeiterausständen vom Frühjahr 1889 zu Tage traten und von der zur Untersuchung der Arbeiterverhältnisse ein⸗ gesetzten Commission der Ministerien des Innern und der öffentlichen Ar⸗ beiten aufgedeckt wurden. Nachdem die Reichsgesetzgesetzgebung obligatorische Arbeitsordnungen eingeführt hat, hat nun die Landesgesetzgebung dar⸗ auf zu achten, daß die Arbeitsordnungen beim Bergbau eine deutliche. Mißverständnisse nach Möglichkeit ausschließende und die Einzelheiten des Arbeitsvertrags klarlegende Fassung erhalten und daß Bergwerks⸗ besitzer und Bergmann die Arbeitsordnung als Grundlage des Arbeits⸗ verhältnisses betrachten lernen. Dies ist der Zweck des vorstehenden Gesetzentwurks. 1

Weiter beabsichtigt er, einige Bestimmungen des III. Theils des Allgemeinen Berggesetzes der gegenwärtigen Fassung des VII. Titels der Gewerbeordnung vom 1. Juni 1891 anzupassen. Durch die letztere hat sich der Kreis der für den Bergbau geltenden reichsgesetzlichen Bestimmungen noch erweitert: die Vorschriften über die Arbeiten an Sonn⸗ und Festtagen gelten auch für den Betrieb von Bergwerken Salinen und Aufbereitungsanstalten, ebenso ist § 119 a der Gewerbeordnung (Lohneinbehaltungen, Lohn⸗ und Abschlags⸗ zahlungen, Auszahlung der Löhne für minderjährige Ar⸗ beiter an die Eltern und Vormünder u. s. w.), auch für die Besitzer und Arbeiter von Bergwerken verbindlich. Demgemäß haben die durch die Gewerbeordnung außer Kraft gesetzten Bestimmungen des Berggesetzes ausgeschieden werden, andere eine andere Fassung er⸗ halten müssen. Die einzelnen bisher für den Bergbau nicht in Geltung gewesenen Vorschriften des Tit. VII der Gewerbeordnung haben auch für die Besitzer und Arbeiter von Bergwerken geprüft bezw. ausgestaltet oder geändert werden müssen. Weiter hat auch die Zuständigkeit der Bergbehörden neue Regelung erfahren.

In § 80 b sind infolge der Erfahrungen bei den letzten Arbeiter⸗ ausständen die Gegenstände bezeichnet, deren Festsetzung durch die Arbeitsordnungen dem Besitzer zur Pflicht gemacht wird; namentlich war zu berücksichtigen: Gedingeabschluß, Dauer der Schicht, Ueber⸗ schichten, Abzüge (wozu das sogenannte Streichen oder Nullen der Förderungen gehört), Festsetzung von Conventionalstrafen und Ver⸗ wendung der Strafgelder, Lieferung von Brennmaterialien, Be⸗ ziehungen zu bestehenden Unterstützungskassen; dies hat sich aus der Untersuchung der oben genannten Commission als nothwendig erwiesen. Die Befugniß der Staatsgewalt, in der Weise, wie es in dem Entwurf geschehen, für den Abschluß des bergmänni⸗ schen Arbeitsvertrags eine feste Form zu verlangen, sowie zugleich darauf hinzuwirken, daß gewisse Punkte im Rahmen dieser Form ihre Erledigung finden, ist auch von der Gesetzgebung anderer Staaten nicht in Zweifel gezogen worden, und man hat dort sogar nicht gezögert, noch weiter zu gehen und ebenso wie dies schon nach dem Gesetz vom 21. Mai 1860 der Fall war dem Staat die Genehmigung der obli⸗ gatorischen Arbeitsordnungen vorzubehalten; dies ist in Oesterreich, in Sachsen und in der Schweiz geschehen. Für die Verlängerung des Tagewerks soll das Einverständniß der Arbeiter erforderlich sein; daß durch regelmäßige Vereinbarung von Ueberschichten die Gesund⸗ heit der Arbeiter nicht gefährdet wird, dafür bietet Sicherheit die Befugniß der Ober⸗Bergämter, welche Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit regeln sollen. Weiter soll die Arbeitsordnung auch die Festsetzung der Ein⸗ und Ausfahrt enthalten, weil der Mangel einer solchen ein⸗ für allemal geltenden Regelung, wie aus den Untersuchungen der Commission über die Ursachen der Arbeiterausstände hervorgeht, den Anlaß zu den Hauptbeschwerden der Arbeiter bildet. Die Bestimmungen über die Arbeiterausschüsse ent⸗ sprechen im wesentlichen der Gewerbeordnung. Eine Bestätigung der Arbeitsordnungen durch die Bergbehörde, wie es in dem Gesetz vom 21. Mai 1860 der Fall war, ist nicht vorgesehen; es haben vielmehr lediglich die betreffenden Bestimmungen der Gewerbeordnung Platz gefunden, welche die unteren Verwaltungsbehörden und zwar hier den Revierbeamten mit der Prüfung betrauen. Die Bergbehörde würde durch die Verpflichtung der Prüfung aus ihrer Stellung über den beiden Contrahenten des Arbeitsvertrags hinausgedrängt und mit einer nicht angemessenen Verantwortung belastet werden. Die Be⸗ seitigung der Verschiedenheit der Fördergefäße in Größe und Form 80 k) wird als im öffentlichen Interesse gelegen bezeichnet, da gerade aus der Verschiedenheit ein Mißtrauen der Arbeiter entspringt, wenn sich dieses auch in der commissarischen Untersuchung nicht als berechtigt herausgestellt hat. Die Abkehrscheine sollen ent⸗ sprechend dem § 113 der Gewerbeordnung auf Verlangen auch auf die Leistungen ausgedehnt werden; jedoch dürfen sie, übereinstimmend mit § 113 der Gewerbeordnung, nicht mit sonstigen Merkmalen per⸗ sehen sein. Für den Abschluß des Arbeitsvertrags der Minderjährigen soll das Arbeitsbuch eingeführt werden, um die elterliche Autorität zu stärken und die Unbeschränktheit der Minderjährigen einzudämmen (gemäß § 131 der Gewerbeordnung). Der Entwurf erweitert ferner die Befugnisse der Vergbehlede, indem er den Revierbeamten die Obliegenheiten der Fabrikaufsichtsbeamten für das Gebiet des Bergbaus 1ee es wird erwartet, daß der erhöhte Einfluß, welchen der Revierbeamte hierdurch zunächst auf dem Gebiet des Arbeiterschutzes gewinnt, seine Stellung und sein Ansehen im allgemeinen kräftigen und ihm in noch erhöhterem Maße, wie bisher, die Möglichkeit gewähren wird, eine Vertrauensstellung sowohl den Arbeit⸗

ebern als den Arbeitern gegenüber zu gewinnen. Die Frage der Regelung der täglichen Arbeitszeit, die für den Arbeiter⸗ schutz von ganz besonderer Bedeutung ist, ist in Art. V. berücksichtigt. Ist freilich in Bezug auf die frühere unbeschränkte Zulassung von sog. Ueberschichten, welche mit zu den Ausständen Anlaß gab, schon vielfach eine Besserung eingetreten; dennoch ist die Ge⸗ fahr eines Rückfalls in die früheren Verhältnisse nicht ausgeschlossen, da die Regelung der täglichen Arbeitszeit im allgemeinen Gegenstand der freien Vereinbarung verbleiben soll. Die Möglichkeit eines Ein⸗ greifens der Aufsichtsbehörde zum Zwecke der Verhütung einer go⸗ meinschädlichen mißbräuchlichen Anwendung der Vertragsfreiheit ift daher wünschenswerth. Schon nach § 120 e Absatz 3 der Gewerbe⸗ ordnung ist dem Bundesrath die Befugniß beigelegt, in den serigare Fällen Dauer, Beginn und Ende der zulässigen täglichen Arbeitszei und der zu gewährenden Pausen vorzuschreiben. Mit Artikel v soll nun diese Frage für den Bergbau unter Beseitigung der Zweifel über die behördliche Zuständigkeit geregelt werden. Da dies nur für größere Productionsgebiete geschehen kann, sind die Ober⸗Bergämter mit der Befugniß auszustatten, hierüber Anordnungen zu treffen. Daß sol ch⸗ Anordnungen in den verschiedenen Ober⸗Bergamtsbezirken zu un lei 4 artigen Belastungen führen, wird dadurch verhindert, daß die hbft Bergämter sich nach den bestehenden Verwaltungsvorschriften zunäch des Einverständnisses der Centralstelle versichern müssen

Das Allgemeine Berggesetz vom 24. Juni 8 b

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 38. Sitzung vom Montag, 21. März

Der Sitzung wohnen der Finanz⸗Minister Dr. Miquel der Minister für Landwirthschaft ec. von Heyden bei. nd Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung z Gesetzentwurfs zur Ergänzung der Gesetze, 8; das Ruhegehalt der emeritirten Geist⸗ sicen und betreffend die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der Geistlichen der evangelischen Landes⸗

irhe in den neun älteren Provinzen der Monarchie.

Abg. Dr. Brüel (Centr.): Schon vor Jahren habe das Haus legentlich der Etatsberathung eine Resolution angenommen, auch für 4 meritirten Geistlichen und Relicten von Geistlichen aus den neuen Frrvinzen, namentlich Hannover, ähnlich Fürsorge zu treffen, wie es er die aus den alten Provinzen geschehen sei. Es sei aber in dieser brscht nichts geschehen, wenn auch, wie er glaube, bei Anwendung Famr Energie die Sache heute schon geregelt sein könne. Er be⸗ aute diese Gelegenheit, die Regierung wiederum zu fragen, wie die Ungrlegenheit sich jetzt verhalte. Gegen die Vorlage an sich labe er nichts einzuwenden. 1

Feheimer Ober⸗Regierun s⸗Rath Hegel: vom Vorredner mährte Sache sei von der Staatsregierung keinen Augenblick außer üüt gelassen worden, es hätten Ermittelungen stattgefunden, doch ite die entgegenstehenden Schwierigkeiten nicht überwunden werden ranen: er hoffe, daß es der Regierung gelingen werde, in de ztsten Session der Landessynode die Angelegenheit schon vorzulegen, neralls bestehe bei der Regierung der Wunsch, den berechtigten Ferengen der evangelischen Landeskirche in den neueren Landes⸗ i Korsch (cons.): Es handele sich hier um eine sehr restenswerthe Ausdehnung der bestehenden Gesetze, welche die

inge von emeritirten Geistlichen und Relicten von Geistlichen zein alten Landestheilen regelten. Um Härten zu vermeiden, rirce er, daß die Vorlage schon zum 1. April d. J. in Kraft im Die Geschäftslage gestatte dem Hause, das Gesetz vor dem rril durchzuberathen; er möchte zu dem Zweck vorschlagen, gleich n die Beendigung der ersten Lesung die zweite anzuschließen, und knige für die zweite Lesung einen Antrag an, der es ermögliche, daß e Gesetz zum 1. April schon Gesetzeskraft erhalte.

Abg. Richter (dfr.) (zur Geschäftsordnung): Es sei mit den znlamentarischen Formen schlecht vereinbar, jetzt diese Vorlage zu nmthen. Wer vertrete denn eigentlich die für die Vorlage verant⸗ vonliche Stelle der Regierung? Das Haus möge doch nicht thun s visse es nicht, was außerhalb des Hauses vorgehe, als sei ihm lles, was geschehen sei, unbekannt! Es sei notorisch, daß man sich

ner Ministerkrise befinde, daß der für diese Vorlage verantwort⸗ sce Minister ein Entlassungsgesuch eingereicht und der Monarch uch keine Entscheidung darüber getroffen habe. Es sei also e Interregnum vorhanden, und in solcher Zeit pflege man die descussion über solche Materien zu vertagen. Der Regierungs⸗ nmissar habe eine Erklärung namens der Regierung 12— iee beruhe vermuthlich auf einer früher vom Minister ihm ertheilten rormation, deren Geltung aber in dem Moment erloschen sei, te der Minister sein Entlassungsgesuch eingereicht habe. Der Minister athalte sich orrecter Weise der Theilnahme an den Plenar⸗ und Com⸗ issonsberathungen. Nach parlamentarischem und constitutionellem zruch sei es das allein Richtige, die Verhandlungen über diese Srche zu vertagen, noch weniger aber sei es möglich, heut in die neite Lesung einzutreten, wie Abg. Korsch beantrage.

Agg. von Eynern inl.): Er wisse nicht, ob der Abg. Richter tren Antrag stellen werde, der die Anwesenheit des Ministers ver⸗ enge. Würde ein solcher Antrag angenommen, so könnte das Haus net in der Verhandlung nicht fortfahren, und bis über diese Frage emschieden sei, werde er sich weiterer sachlicher Ausführungen ent⸗

betreffend

Die

Dle

8* lI. bg. Richter (dfr.): Die Gegenwart des Cultus⸗Ministers kimeernicht wohl verlangen, da dieser sich von der Theilnahme an den Vatendlungen habe entschuldigen lassen. Es würde fast einer Ironie gectiemmen, einen Antrag in dieser Richtung zu stellen, man könne de Cultus⸗Minister nicht übel nehmen, wenn er unter diesen Um⸗ tinm nicht an den Verhandlungen theil nehme; da sei es formell üttig zu beantragen, die Verhandlung über die Vorlage zu vertagen, * die Krise Entscheidung getroffen sei. Diesen Antrag stelle e liermit. pg. Graf zu Limburg⸗Stirum (cons.): Der Abg. Richter de seinen Antrag in einer Weise, die ihm (Redner) nicht zu⸗ cheine; er stütze sich auf Dinge, die in außerofficieller Form ener Kenntniß gekommen seien; er sage, der Cultus⸗Minister habe Entlassungsgesuch eingereicht, es sei darüber vom Monarchen noch ine Entscheidung getroffen das Haus wisse davon nichts, der fenster habe seine Entlassung noch nicht, denn sonst müßte es dem ase officiell mitgetheilt sein, er vertrete die Sache noch, die Contra⸗ betur bestehe; wenn der Minister also Commissaren den Auftrag ee seine Ansicht hier mitzutheilen, so seien diese völlig autorisirt, aun vertreten. Das Haus könne, wenn es wolle, die Gegenwart Ministers in Person nach der Verfassung verlangen, aber dagegen *, denn die Vorlage sei nicht von solcher Bedeutung, daß sie die Henwart eines Ministers nöthig mache. Er bitte also, diesen An⸗ des Abg. Richter abzulehnen. bg. Rickert (dfr.): Er sei nicht der Meinung des Abg. Limburg⸗S irum. Es wiederhole sich hier der Vorgang in 8 vlksschulgesetzeommission, wo die Mehrheit weiter zu berathen lessen habe in einem Moment, wo die Anwesenheit des Mi⸗ nothwendig erschienen sei. Der Abg. Richter habe ja nicht daß dem Cultus⸗Minister die Entlassung bewilligt sei, son⸗ mrnur, das Haus wisse darüber noch nichts. Es sei aber öffent⸗ g geheimniß und werde von der „Nordd. Allgem. Ztg.“ officiös bahes daß der Minister sein Entlassungsgesuch eingereicht habe, sonssich hier und in der Commission von der Theilnahme an den erenungen entschuldigt. Die Rücksicht auf den Minister selbst et. es solche Gesetzentwürfe nicht zu berathen, bis diese Frage nis , ergrWolle das Haus aber diese Gründe nicht gelten lassen, teten ausschlaggebend dafür, nicht in die zweite Lesung sofort ein⸗ dr angekidie Thaksache sein, daß der Abg. Korsch dafür einen An⸗ 8 age ündigt habe, von dessen Tragweite und Inhalt das Haus mchemntniß habe. Wolle das Haus also die erste Lesung nicht Aba“ so bitte er doch, nicht in die zweite einzutreten. 1 ndln von Eynern (nl.): Ganz so, wie in der Commissions⸗ seeung liege die Sache mit der Plenarverhandlung doch nicht. eiteen aber Widerspruch gegen die Weiterberathung der Vorlage vaötrenen hätten seine Fractionsfreunde keinen Anlaß, dem ent⸗ 8 1e- von Kardorff (freicons.): Es würde ein großer Uebelstand zvenn das Gesetz nicht vor dem 1. Avpril zu stande käme, und knüse ah iege ja vor, wenn die Verhandlung vertagt werde; Pa se er doch anerkennen, daß die alte parlamentarische Praxis, ie in nun 26 Jahren kennen gelernt habe, dahin gehe, daß, einem Falle, wie im vorliegenden, die Vertagung beantragt Das Haus müßte also dem

eke, 1 - 8 11 das Haus dem Antrage zustimme.

nzeiger und Königlich Preußischen

k. 1892.

Berlin, Dienstag, den 22. Mürz

Antrag Richter, wenn er aufrecht erhalten werde, wohl zustimmen. Er gebe aber dem Abg. Richter zu erwägen, ob er sich nicht damit begnügen wolle, wie ja auch Abg. Rickert angedeutet habe, die erste Lesung passiren zu lassen und sich vorzubehalten, für die zweite und dritte Lesung die Gegenwart eines Cultus⸗Ministers zu verlangen.

Abg. Dr. Freiherr von Heereman (Centr.): Er sehe keinen Grund ein, die Sache heut zu vertagen. Das Haus wisse officiell über die Ministerkrisis nichts; solange die Entlassung nicht bewilligt sei, trage der Minister die Verantwortung, er habe das Recht, sich durch Commissare hier vertreten zu lassen, welche dem Hause sagen könnten, wie der Minister über die Sache denke, er sehe also keinen Grund ein, die Verhandlung abzubrechen, da principielle Sachen nicht in Frage kämen. Man könne ja die Anwesenheit des Ministers in Person verlangen, aber es sei im Augenblick nicht nothwendig. In der Volks⸗ schulgesetzeommission habe die Sache anders gelegen. Er schließe sich also dem Grafen Limburg⸗Stirum an, und beantrage, in der Ver⸗ handlung fortzufahren.

Präsident von Köller: Für die erste Berathung habe sich zur Sache nur noch der Abg. Bachem zum Wort gemeldet.

Abg. Korsch: Der Antrag, den er in der zweiten Lesung stellen wolle, gehe dahin, durch einen neuen Paragraphen zu bestim⸗ men, daß der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes durch König⸗ liche Verordnung bestimmt werden solle. Werde das angenommen, so könne das Gesetz zum 1. April in Kraft treten. Zur Vertagung liege, glaube er, kein Grund vor. Das Haus habe nach der Ver⸗ fassung das Recht, die Anwesenheit eines Ministers zu verlangen, aber der Abg. Richter werde zugeben müssen, daß hierzu jetzt kein Grund vorliege. Daß der Cultus⸗Minister noch im Amte sei, müsse man annehmen, weil man noch keine officielle Mittheilung über das Gegentheil habe. Er bitte also, den Vertagungsantrag abzulehnen.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Es handelt sich zwar schließlich nur um eine Geschäftsordnungsfrage des hohen Hauses, und es liegt mir fern, in dieselbe an und für sich einzugreifen. Das möchte ich aber doch namens der Staatsregierung erklären, daß eine Verzögerung in der Berathung dieses Gesetzes derselben höchst unerwünscht sein würde. Nun wird nicht bestritten werden können, daß die Minister des Königs so lange im Dienst bleiben, als sie ihre Entlassung nicht erhalten haben. Es wird ferner nicht bestritten werden können, daß der Herr Cultus⸗Minister hier durch seine Commissarien vertreten ist. Ein Antrag auf-die Anwesenheit der Person des Herrn Cultus⸗Ministers selbst ist nicht gestellt. Sachliche Gründe sind bis jetzt noch keines⸗ wegs hervorgetreten, warum es wünschenswerth wäre, daß der Herr Cultus⸗Minister in Person hier anwesend sei. Unter diesen Umständen kann ich nur bitten, in der Discussion des Gesetzes fortzufahren.

Abg. Simon von Zastrow (cons.): Er bitte, den Antrag Richter abzulehnen, damit die hungernden Waisen und Wittwen der Geistlichen der Wohlthaten, die ihnen das Gesetz zuwenden wolle, möglichst bald theilhaftig würden.

Abg. Freiherr von Huene (Centr.): In der Hauptsache stimme er dem Abg. von Heereman zu, er sei auch für die Weiterberathung der Vorlage, halte aber doch dafür, daß die Sache hier nicht so liege, wie in der Commission. Hier im Plenum habe das Haus nach der Verfassung das Recht, die Anwesenheit des Ministers zu verlangen, in der Commission sei aber den Ministern und ihren Commissaren frei⸗ gestellt, den Sitzungen beizuwohnen. 8 1

Abg. Richter (dfr.): Das Motiv, die Vorlage möglichst zum Abschluß zu bringen, könne nur zu einer Abkürzung der Ministerkrisis Anlaß geben, nicht aber dazu, daß das Haus bei seinen Verhandlungen nicht correct verfahre. Durch Verkürzung der Verhandlungsfristen könne das Zustandekommen des Gesetzes be⸗ schleunigt werden. Er lege der Sache keine materielle Bedeutung bei, nur formell müsse das Haus constitutionell so verfahren, daß es die Anwesenheit des Ministers verlange. Die Volksschulgesetz⸗ commission nehme ja dieselbe Rücksicht, indem sie ihre Berathungen ausgesetzt habe. Der Abg. Graf Limburg⸗Stirum bestreite das Vor⸗ handensein einer Ministerkrise, aber nachdem der Staats⸗Minister Dr. Miquel sie nicht in Abrede gestellt habe, werde wohl auch für den Grafen Limburg⸗Stirum die Sache genügend geklärt sein. Man habe heute hier die Frage gestellt, wie die Sache in den neuen Provinzen werden solle, der Regierungscommissar habe im Namen des Ministers eine Erklärung abgegeben, aber man habe keine Kennt⸗ niß der Tragweite dieser Erklärung, wenn der Minister nicht im Amt bleibe. Sollte sein Antrag abgelehnt werden, so werde er den correcteren, allerdings auch strengeren Antrag stellen, die Anwesenheit des Ministers zu verlangen, und bei der dritten Nummer der Tages⸗ ordnung, die einen ähnlichen, nur noch principiell wichtigeren Gegen⸗ stand enthalte, werde er diese Anträge wiederholen. 8

Abg. Hobrecht (nl.): Die Sache habe in der Volksschul⸗ commission allerdings anders als hier gelegen, wo es sich nicht um so hochwichtige Dinge handele. Er möchte also dafür sein, die Berathung fortzusetzen, aber nicht in die zweite Lesung einzutreten, zumal die sofortige Vornahme der zweiten Lesung nie einzutreten pflege, wenn auch nur eine Minderheit sich dagegen erkläre. 8

Abg. Rickert (dfr.): Der Abg. von Kardorff habe darin Recht, daß in solchen Fällen, wie er hier vorliege, früher immer die Ver⸗ tagung beschlossen worden sei, wenn sie von irgend einer Seite beantragt worden sei. Der Antrag Korsch sei nicht so einfach, wie er scheine; in die zweite Lesung könne das Haus ganz gewiß nicht eintreten. 8

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Hegel: Er habe die Erklärung abzugeben, daß der Antrag Korsch der Regierung sehr erwünscht sei und auch einem Wunsch des Kirchenregiments entgegenkomme.

Abg. Richter (dfr.): Auf welche Weise habe sich der Re⸗ gierungscommissar diese Ansicht verschafft? Habe der Minister schon vorher seine Ansicht kundgegeben oder habe er auf unsichtbarem Wege sich die Erklärung verschafft? Ein Verordnungsrecht könne man der Regierung doch nicht geben, wenn man nicht wisse, wer der verantwortliche Minister sei, und in Bezug auf das Cultusressort wisse man das im Augenblick nicht.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Wie ich schon gesagt habe, ist es nicht meine Absicht, in die Geschäftsordnungsdebatte einzugreifen. Aber ich muß doch be⸗ merken, daß, wenn ein Regierungscommissar eine bestimmte Erklärung abgiebt, er nicht auf eine Frage zu antworten braucht; wodurch er berechtigt sei, diese Erklärung abzugeben. (Sehr richtig! rechts.)

Abg. Richter (dfr.): Das sei formell unzweifelhaft richtig, aber die Autorität der Erklärung hänge doch wesentlich davon ab, daß man vergewissert werde, in welcher Weise die Vollmacht ertheilt sei; der Cultus⸗Minister sei augenblicklich außer stande, wie dies notorisch feststehe, überhaupt eine Vollmacht zu ertheilen.

Abg. Bachem: Er bitte, von der Rednerliste gestrichen zu werden. 1 .“

Gegen die Stimmen der Freisinnigen und eines Theils der Nationalliberalen wird die Aussetzung der Berathung ab⸗ gelehnt, ebenso gegen die Stimmen der Freisinnigen der Antrag,

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die Gegenwart des Ministers zu verlangen.

Dagegen wird gegen die Stimmen der Conservativen und eines Theils des Centrums die Aussetzung der zweiten Be⸗ rathung beschlossen.

Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Aufhebung der durch die Verordnung vom 2. März 1868 verhängten Beschlagnahme des Vermögens des Königs Georg.

Abg. Richter (dfr.): Mit dem Princip des Gesetzentwurfs sei seine Partei einverstanden. Man habe ja zu der Zeit, als es sich darum gehandelt habe, die Abfindungssumme des Königs Georg zu bemessen, zweifelhaft darüber sein können, ob es richtig sei, eine so große Abfindungssumme aus preußischen Staatsmitteln zu bewilligen. Nachdem dies aber damals in dem rechtmäßig zu stande gekommenen Vertrag geschehen sei, so sei ein vermögensrechtlicher Anspruch der Welfenfamilie erwachsen. Es seien Gründe vorhanden gewesen, diesem Anspruch keine Folge zu geben, und diese Gründe hätten zur Beschlag⸗ nahme des Vermögens geführt. Daß diese Gründe aufgehört hätten zu bestehen, sei von seiner Partei verschiedentlich ausgeführt worden. Daraus rechtfertige sich auch ihre jetzige Stellungnahme. Anders ver⸗ halte es sich mit der Form, in welcher in dem vorliegenden Gesetz⸗ entwurf diese Aufhebung der Beschlagnahme vorbereitet werden solle. Man habe annehmen dürfen, daß die Zustimmung des Hauses im Sinne einer Aufhebung des Gesetzes von 1869 werde nachgesucht werden. Statt dessen werde nur verlangt, eine Vollmacht der Krone zu ertheilen, damit diese ihrerseits durch Verordnung in einer in der Zukunft liegenden Zeit diese Aufhebung bewirken könne. Gründe würden dafür eigentlich nicht angeführt. Es werde gesagt, die Vorlage bezwecke, im Princip festzustellen, ob der Landtag mit der Aufhebung der Beschlagnahme einverstanden sei. Dazu würde eine Resolution ausgereicht haben. Die Meinung habe längst festgestanden. Diese Vollmacht sei aber auch zeitlich gar nicht limitirt. Wenn von irgend einer Seite Anstände erhoben würden, die es zur Zeit unmöglich machten, die Aufhebung herbeizuführen, so würde die Vollmacht, wenn sie einmal ertheilt sei, fortdauern und könne unter ganz anderen Verhältnissen, unter einem ganz anderen Ministerium und unter ganz anderen Voraussetzungen zur Wirksamkeit gelangen. Gerade die Geschichte des Welfenfonds habe so viele par⸗ lamentarische Enttäuschungen mit sich gebracht, daß man sich hüten müsse, eine neue Vollmacht zu ertheilen, die nicht durch die Sache ge⸗ boten sei. Die Auseinandersetzung zwischen dem Herzog von Cumber⸗ land und dem preußischen Staat sei deshalb nicht so einfach, weil die Auseinandersetzung zwischen dem, was preußische Staatsgelder ge⸗ wesen seien, und dem, was nach dem Vertrag von 1867 der Welfenfamilie zukommen solle, in dem Augenblick nicht beendet gewesen sei, als die Beschlagnahme erfolgt sei. Bekanntlich habe der König von Hannover han⸗ noversche Staatsgelder mit nach England genommen. Diese müßten an den preußischen Staat zurückerstattet werden. Dabei sei das Interesse seiner Partei identisch mit dem der Regierung. Andererseits könne sie unter Umständen ein selbständiges Interesse gegenüber der Staats⸗ regierung haben, bei dem der Herzog von Cumberland nicht in Frage komme. Das betreffe die Auseinandersetzung über die Revenüen, über die Activa und Passiva des Welfenfonds. Nach dem Vertrag sollten Ersparnisse aus diesen Revenüen dem Fonds selbst zuwachsen. Fürst Bismarck habe grundsätzlich ausgesprochen, er werde dafür sorgen, daß solche Ersparnisse nicht entstünden. Graf von Caprivi aber habe der Verwendung aus den Revenüen ganz andere Grenzen gezogen. Man müsse also annehmen, daß gewisse Ersparnisse in den letzten Jahren gemacht worden seien. Es frage sich nun, ob den Activen Passiva gegenüber stünden, und ob auf diesen Revenüen nicht Verbindlichkeiten lasteten, die nicht abliefen mit dem Tage der Aufhebung der Beschlag⸗ nahme. Beständen solche Passiva, so würde hier eine Restverwaltung des Reptilienfonds entstehen und man würde in gewissen Grenzen noch Jahre lang den Reptilienfonds beibehalten. Dieser Zustand werde wohl von keiner Seite des Hauses beabsichtigt werden. Aus den Revenüen dieses Fonds solle eine Garnisonkirche in Hannover gebaut werden. Wenn nun die Aufhebung der Beschlagnahme erfolge, wer baue dann die Kirche fertig? Solle sie aus den Mitteln des preußischen Staats oder aus der Rest⸗ verwaltung jener Revenüen gebaut werden? Der Fürst Bis⸗ marck habe sich für berechtigt gehalten, dem früheren Civilkabinets⸗ Secretär Meding eine lebenslängliche Pension zu bewilligen. Werde nun die Pension auf den preußischen Etat übergehen, oder werde man den Herrn aus den Mitteln der Revenüen in eine Lebensversicherungs⸗ anstalt einkaufen? Es sei ihm mitgetheilt worden, was ihm kaum glaublich erscheine, daß zu den Kostgängern dieses Reptilienfonds der Cardinal Melchers in Rom gehört habe. (Heiterkeit.) Der Cardinal habe mit der Welfenfamilie und den Bestrebungen des Königs Georg niemals etwas zu thun gehabt. Aber es habe im kirchenpolitischen Kampf ine hgfe gegeben, in der der Regierung daran gelegen habe, den Cardinal Melchers von dem Erzbisthum Köln loszulösen und ihm eine Cardinalstelle zu verschaffen, und das sei nur möglich gewesen durch eine Zuwendung aus dem Reptilienfonds in Form eines Ge⸗ haltes oder einer Pension. Er bitte den Minister, ihm eine runde, bestimmte Antwort darüber zu geben. Seine Freunde beantragten daher eine Commissionsberathung über den Gesetzentwurf, um festzu⸗ stellen, welche Bewandtniß es mit der Verwendung dieses Fonds habe. Man möge doch bedenken, daß, wenn das Haus seine Befugniß aus der Hand gebe, es die letzte parlamentarische Handhabe verliere, die ihm überhaupt geblieben sei. Die heutige Zeit sei ja so reich an politischen Ueberraschungen, an plötzlichen Aenderungen des Curses, daß es nicht gut sei, die parlamentarischen Befugnisse durch Voll⸗ machten an die Krone einzuschränken. (Beifall links.)

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Hochgeehrte Herren! Ich bedauere, daß ich nicht vorher die Worte des Herrn Präsidenten, wodurch dieser Gegenstand hier zur Discussion gestellt wurde, verstehen konnte, und daher meine Absicht, einige ein⸗ leitende Worte für diesen Gesetzentwurf tzu sagen, nicht in Ausführung zu bringen in der Lage war; vielleicht wären dadurch einige Bemer⸗ kungen, die der Herr Abg. Richter soeben vorgetragen hat, von vorn⸗ herein beseitigt worden.

Das hohe Haus weiß, daß dieser Gesetzentwurf, wie ja auch aus der Allerhöchsten Ordre, welche an den Herrn Reichskanzler gerichtet, im Staats⸗Anzeiger publicirt ist, zu ersehen, aus der hochherzigen Initiative Sr. Majestät des Kaisers hervorgegangen ist, Allerhöchst⸗ welcher den Zeitpunkt, die Beschlagnahme des Vermögens des vor⸗ maligen Königs Georg aufzuheben, für gekommen erachtete und von dem Wunsche erfüllt war, der Provinz Hannover das Allerhöchste und vollste Vertrauen hierdurch in bestimmter Weise auszudrücken, andrerseits aber auch ein Bedürfniß, diese Beschlagnahme weiter fort⸗ zusetzen, nicht mehr als vorliegend erachtete, insbesondere mit Rücksicht auf die loyalen Erklärungen, welche in einem Schreiben Seiner König⸗ lichen Hoheit des Herzogs von Cumberland an Seine Majestät ent⸗ halten waren.

Das Staats⸗Ministerium, in voller Uebereinstimmung mit dieser Allerhöchsten Auffassung, hat nicht gezögert, diesen Gesetzentwurf vor⸗ zulegen, in der bestimmten Absicht, sobald noch entgegenstehende, kleine,