Gegen die Vorlage habe er das Bedenken, daß der Weg der Po⸗
lizeiverordnungen nicht gangbar sein werde, und möchte die Regierung bitten, diese in socialer wie kirchlicher Beziehung wichtige Frage lieber durch Landesgesetzgebung für das ganze Land zu regeln. . Wirklicher Geheimer Rath von Kleist⸗Retzow wünscht leichfalls, daß die von der Reichs⸗Gewerbeordnung den einzelnen Bundesstaaten überlassenen Bestimmungen über die Sonntagsruhe und die Zulassung der Sonntagsarbeit nicht durch Polizeiverordnungen, sondern durch die Landesgesetzgebung festgestellt würden, und bemän elt die vom Ober⸗Präsidenten der Rheinprovinz in dieser Sache erlassene Verordnung. Minister für Handel und Gewerbe Freiherr Berlepsch: Meine Herren! Ich finde mich durchaus in Uebereinstimmung mit den Ausführungen, die der Herr Vorredner gemacht hat. Auch ich bin der Meinung, daß es Aufgabe der Polizeiverordnungen, die an Stelle der aufzuhebenden landesgesetzlichen Bestimmungen treten werden, sein wird, die Sonntagsheiligung in dem Maße zu schützen, wie es der Stimmung entspricht, die in diesem hohen Hause heute zum Ausdruck gebracht ist, und wie es der Stimmung entspricht, die die preußische Staatsregierung geleitet hat, als sie die Bestimmungen über die Sonntagsruhe in die Gewerbeordnung des Reichs einführte. Ich darf den Herrn Vorredner daran erinnern, daß die preußische Regierung es war, die die Noth⸗ wendigkeit empfand, die Bestimmungen über die Sonntagsruhe der gewerblichen Arbeiter weiter auszugestalten, daß sie den betreffenden Antrag bei dem Bundesrath einbrachte und mit dessen Zustimmung im Reichstag in Bezug auf die Ordnung der Ruhe am Sonntag im Reich zu einem befriedigenden Resultate gelangt ist. Die Staats⸗ regierung, die bei Berathung der Gewerbeordnung auf diesen Standpunkt sich gestellt hat, wird nicht der Meinung sein können, daß die zu erlassenden Polizeiverordnungen nicht zur Heilighaltung des Sonntags das Nothwendige enthalten müssen. In den nächsten Tagen beginnen die Berathungen der betheiligten Ministerien: des Ministeriums des Innern, des Cultus⸗Ministeriums und des Ministeriums für Handel und Gewerbe, über den Entwurf einer Polizeiverordnung, der als Grund⸗ lage für die Ober⸗Präsidenten bezw. Regierungs⸗Präsidenten dienen soll. Er soll nur als Grundlage dienen und berechtigte provinzielle und locale Eigenthümlichkeiten sollen möglichst ihre Beachtung finden. Ich nehme an, daß zwischen den betheiligten Ministerien ein Einverständ⸗ niß stattfinden wird; schon heute glaube ich versichern zu können, daß der Verlauf der Verhandlung ein besserer sein wird, als der, den der ehemalige verehrte Herr Ober⸗Präsident der Rheinprovinz soeben schilderte. Ich kann ihm mittheilen, daß in meinem Ministerium bereits ein Entwurf aufgestellt ist, und daß diesem Entwurf diejenige Polizei⸗ verordnung, die in der Rheinprovinz noch jetzt gilt, als Grundlage gedient hat. (Bravo!)
Darauf wird die Vorlage unverändert angenommen.
In einmaliger Schlußberathung wird der Gesetzent⸗ entwurf, betreffend den Anschluß der Kirchen⸗ gemeinde Helgoland an die evan elisch-lutherische Kirche der Provinz Schleswig⸗Holstein, ohne Debatte auf Antrag des Berichterstatters Grafen Brockdorff⸗Ahle⸗ feld angenommen.
Schluß gegen 3 Uhr.
von
Haus der Abgeordneten 39. Sitzung vom Dienstag, 22. März.
Der Sitzung wohnen der Finanz⸗Minister Dr. Miquel und der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen bei. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Denkschrift über den Kanal von Dortmund nach den Emshäfen. Hierzu liegt ein Antrag des Abg. Grafen Kanitz vor: Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, die vorgeschlagene Aenderung des im Jahre 1886 genehmigten Kanalprojects von der Bedingung abhängig zu machen, daß die auf 4 770 000 ℳ ver⸗ nschlagten Mehrkosten durch freiwillige Beiträge der Interessenten gedeckt werden.
Abg. Schmieding (nl.): Die Veränderungen gegen den früheren Entwurf seien fast sämmtlich als Verbesserungen anzusehen, sowohl in Bezug auf die Linienführung, als auch in Bezug auf die Dimen⸗ sionen des Kanals. Den Löwenantheil bekomme allerdings nicht das rheinisch⸗westfälische Industriegebiet, sondern die untere Ems. Aber dies liege in den natürlichen Verhältnissen begründet. Es sei erfseulich, daß man die Mehrkosten von 1 770 000 ℳ nicht gescheut habe, um eine bequeme Verbindung mit dem Mittellandkanal zu er⸗ möglichen. Ohne diesen Mittellandkanal von der Weser nach der Mittel⸗Elbe würde der Dortmund⸗Ems⸗Kanal nur ein Bruchstück von verhältnißmäßig geringem Werthe sein. Es würde ihm deshalb er⸗ wünscht sein, wenn die Staatsregierung heute über den Stand der Vorarbeiten, welche bestimmt seien, diese Verbindung der übrigen Ströme berzustellen, eine Auskunft ertheilen wolle. Ueber weiter⸗ gehende Wünsche der Interessenten wolle er heute nicht reden, hier möchte das Bessere der Feind des Guten sein. Er möchte nur bitten, daß auf der Strecke Dortmund —Hörde bis zur Mittel⸗ grenze die Schleusen, Brücken und Hebewerke in denjenigen Dimensionen errichtet würden, welche eine spätere Erweiterung des Kanals ohne zu große Kosten ermöglichten. Das Gesetz über den Dortmund⸗Ems⸗Kanal datire vom 9. Juli 1886. Sechs Jahre seien verflossen, bis jetzt der erste Spatenstich zu dem Kanal geschehen solle. Das wirthschaftliche Erwerbsleben befinde sich heute zum theil in einer starken rückläufigen Bewegung; gerade in den jetzigen Zeitläuften sei es erwünscht, Arbeitsgelegenheiten zu schaffen. Die Unruhen der Arbeitslosen hier in Berlin und an anderen Orten könnten ihn in dieser Auffassung nur bestärken. Indem er bitte, der Denkschrift die Zustimmung zu ertheilen, richte er an die Staatsregierung das Ersuchen, endlich mit Ernst an die Inangriff⸗ nahme des Kanalbaues zu schreiten.
Abg. Dr. Dü nckelberg (nl.): Er vermisse bei dieser Denk⸗ schrift unter den ministeriellen Unterschriften diejenige des land⸗ wirthschaftlichen Ministers. Er glaube, daß alle Parteien darüber übereinstimmten, daß bei solchen Werken auch die landwirthschaft⸗ lichen Interessen gewahrt werden müßten und daß aus diesem Grunde es 8v wünschenswerth sei, daß ein solcher Bauplan auch zur Kenntnißnahme des landwirthschaftlichen Ressorts gelange. Wenn dieser Kanalbau auch in erster Linie den Provinzen Hannover und Westfalen und theilweise auch dem Rheinlande zu gute komme, so müsse er nichtsdestoweniger auch das Interesse anderer Provinzen rege machen, weil dieser Bau vorbildlich sein werde für die spätere Entwickelung
es Kanalwesens von ganz Preußen. Der Kanalbau zerfalle in drei
eectionen: die Strecke von der Fluthlinie bis Meppen sei zur Kanalisirung bestimmt, auf der zweiten Strecke solle ein neuer Kanal ausgegraben werden, und im unteren Laufe solle die Schifffahrt in den Fluß selbst verlegt werden; man habe es hier also mit einer so⸗ genannten Flußkanalisirung zu thun, die von den beiden oberen Strecken, die als Kanal angesehen würden, wesentlich verschieden sei. Durch diese Kanalisirung werde der Wasserspiegel tiefer gelegt, dadurch würden die angrenzenden Landflächen trockener, und infolge dessen die Landwirthschaft geschädigt. Auf diese Interessenten müsse daher bei dem Bau auch Rücksicht genommen werden.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen⸗
Meine Herren! Ich möchte mirzunächst gestatten, auf einige Special⸗ bemerkungen eine Antwort zu geben, die seitens der beiden Herren Vor⸗ redner gemacht worden sind, und zwar möchte ich dem Herrn Abg. Dünkelberg in der Beziehung eine beruhigende Antwort geben, daß die Denkschrift, wie sie vorliegt, auch dem Herrn Minister für Landwirth⸗ schaft vorgelegen hat und von ihm geprüft und gutgeheißen ist. Zweitens möchte ich dem Herrn Abg. Schmieding erwidern, daß die Linien der Anschlußkanäle in der allgemeinen Bearbeitung begriffen sind, und zwar ist nach den Mittheilungen, die mir vorliegen, der vorläufige Entwurf der sogenannten Mittellandlinien fertig bearbeitet von Bevergern bis Minden und augenblicklich in der Bearbeitung begriffen von Minden bis Hannover. Für die Rheinlinie, die Verbindungslinie vom Dortmund⸗Ems⸗Kanal nach dem Rhein zu ist die Linie südlich der Emscher bereits ebenfalls im vorläufigen Ent⸗ wurf fertig. Augenblicklich ist in der Arbeit begriffen die Unter⸗ suchung der Lippe⸗Linie, also derjenigen Linie, welche auch von dem Herrn Abg. Dünkelberg vorhin erwähnt worden ist.
Was nun die übrigen von dem Herrn Abg. Dünkelberg vorge⸗ schlagenen Projecte anbetrifft, so muß ich mir versagen, auf dieselben einzeln hier einzugehen. Ich möchte mir nur allgemein zu bemerken gestatten, daß der größere Theil dieser Projecte entweder schon in Berücksichtigung gezogen ist, sich aber theils als nicht zweckmäßig oder zu theuer ergeben haben, zum Theil aber auch noch mituntersucht werden. Wenn aber alle diese Projecte, die der Herr Abg. Dünkel⸗ berg angeregt hat, noch speciell untersucht und veranschlagt und über dieselben mit den Behörden, den Betheiligten und dem Landtag ver⸗ handelt werden soll, so gehen darüber nach meiner allerdings ober⸗ flächlichen Taxe etwa zehn Jahre hin.
Gestatten Sie mir nun, meine Herren, noch einige allgemeine Bemerkungen anzufügen. Die Vorlage der beiden Denkschriften, welche das hohe Haus heute beschäftigen, der Denkschrift über den Dortmund⸗Ems⸗Kanal und der Denkschrift über die Durchführung des Großschiffahrtsweges durch den Breslauer Stadtbezirk, sind vorgelegt, um dem Landtage der Monarchie Kenntniß zu geben von der gegenwärtigen Lage dieser beiden Verkehrsstraßen, denen der Landtag stets ein warmes Interesse entgegengebracht hat, und die ja von weittragender wirth⸗ schaftlicher Bedeutung für größere Landestheile sein werden. Die Staatsregierung hat sich um so mehr für verpflichtet erachtet, ein⸗ gehende Mittheilungen von der Lage dieser Projecte zu machen, als die inzwischen angestellten Ermittelungen, die Erörterungen mit den Betheiligten und auch die Rücksichten auf die in größere Nähe ge⸗ rückten Anschlußprojecte zu wesentlichen Abänderungen der ur⸗ sprünglichen Entwürfe geführt haben, zu Abänderungen, die von erheblichen Folgen für die wirthschaftliche Bedeutung sind, aber auch voraussichtlich die Kosten, insbesondere wenigstens die des Dortmund⸗Ems⸗Kanals nicht unwesentlich beeinflussen werden. Meine Herren, diese Aenderungen sind in der Absicht in Aussicht ge⸗ nommen, den genannten Wasserstraßen eine für ihre wirthschaftliche Bedeutung geeignetere Form zu geben.
Meine Herren, ich darf im allgemeinen mich wohl der Hoffnung hingeben, daß der Weg, den die Denkschrift vorschlägt, zum Ziele führen wird, und ich freue mich, in dieser Beziehung auch durch die beiden Herren Vorredner beruhigt zu sein, da auch sie ihrerseits an⸗ erkennen, daß diese Abänderungen wesentliche Verbesserungen enthalten. Aber, meine Herren, daneben ist doch bezüglich des Dortmund⸗Ems⸗ Kanals die Besorgniß aufgetaucht und auch hier und da im Lande hervorgetreten, daß die Abmessungen, wie sie in der Denk⸗ schrift vorgesehen sind, noch zu enge gegriffen seien, daß es sich vielmehr empfehlen möchte, dieselben dahin zu erweitern, daß der Dortmund⸗Ems⸗Kanal demnächst, wenn mal die Verbindung nach dem Rhein fertig gestellt sein sollte, auch die größten Rheinschiffe würde aufnehmen und nach den Emshäfen sowie dermaleinst durch den Mittellandskanal auch nach der Weser und nach der Elbe durchführen könne. Meine Herren, dieser Gedanke ist ja an und für sich nahe⸗ liegend und, wie ich gern zugestehen will, verlockend. Nichtsdesto⸗ weniger möchte ich aber dringend abrathen, demselben weitere Folgen zu geben. Die Abmessungen, welche die Denkschrift vorschlägt, sind schon größer, als sie irgend ein Binnenschifffahrtkanal der alten und der neuen Welt besitzt. Der Rhein hat ja allerdings eine größere Fahr⸗ tiefe. Während die Denkschrift für den Dortmund⸗Ems⸗Kanal 2 ½ m vor⸗ sieht, hat der Rhein wenigstens von Köln bis zu seiner Mündung durchgängig eine Fahrtiefe von 3 m. Es bewegen sich auch auf dem Rhein zur Zeit Schiffe von 1000 bis 1200, ja vereinzelt auch sogar von 1500 t Tragfähigkeit. Allein, meine Herren, der Rhein besitzt neben seiner großen Fahrtiefe auch diejenige Breite, die es möglich macht, sich mit solchen Schiffsgefäßen ohne Gefährdung zu bewegen, und er besitzt — und das ist ein Hauptumstand — auch das nöthige Wasser, um dieses Bett auszufüllen, während leider der Dortmund⸗Emskanal nicht in den Verhältnissen steht, um sich diese Wassermassen beschaffen zu können. Er ist leider für seine Scheitelstrecke auf das Pumpen an⸗ gewiesen. Wenn wir die Dimensionen größer nehmen wollen, so ist mit Sicherheit zu erwarten, daß ihm im trockenen Jahre das Pumpen auch nicht vollständig das Wasser zuführen wird, was er brauchen wird, um die Schiffe durchzuführen.
Meine Herren, es ist aber auch ferner dabei zu berücksichtigen, daß auch die Ströme, denen, abgesehen vom Rhein, in Zukunft die Schiffe zugeführt werden sollen, die Weser und die Elbe, bei weitem nicht die Fahrtiefe haben, wie sie der Dortmund⸗Emskanal haben wird. Die Weser hat eine mittlere Fahrtiefe von einem Meter und die Elbe hat eine mittlere Fahrtiefe von anderthalb Metern.
Wenn wir aber trotzdem die Dimensionen vergrößern, dem Dort⸗ mund⸗Emskanal eine Fahrtiefe von drei Metern geben, infolge dessen auch die Breite, und zwar in der Sohle sowohl wie in der Ober⸗ fläche, vermehren wollten, so würden infolge dessen dann auch die sämmtlichen Bauwerke dementsprechend anders gestaltet werden müssen, die Brücke, die Schleuse und alles, was damit zusammenhängt. Die enormen hierdurch entstehenden Mehrkosten würden es im hohen Maße fraglich erscheinen lassen, ob sie noch im wirthschaftlichen Verhältniß stehen zu den Vortheilen, welche durch die größere Abmessung erreicht werden können und welche im wesentlichen doch nur darin bestehen, daß vielleicht die Transportkosten durch die Benutzung der größeren Schiffsgefäße etwas herabgemindert werden.
Meine Herren, ich möchte daher dringend bitten, bei den Ab⸗ messungen, wie sie die Denkschrift vorsieht, stehen zu bleiben, und ich möchte unterstützend dazu noch anführen, daß, wenn diese Abmessungen geändert werden, es nicht möglich sein würde, weder im Laufe dieses Jahres, noch voraussichtlich im Laufe des nächsten
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Jahres mit dem Bau ernstlich zu beginnen, während, w Sie im allgemeinen die Ausführungen der Denkschrift und insbesondere die vorgeschlagenen Abmessungen gutheißen, wir schon in den nächsten Wochen energisch an vielen Stellen den Bau beginnen können. Es ist ja von dem Herrn Abg. Schmieding mit Recht schon darauf hin⸗ gewiesen worden, daß unsere Zeit sehr ernst dazu mahnt, diejenigen öffentlichen Bauten, welche in Angriff genommen werden können, auch nicht länger hinauszuschieben, und dazu gehört in erster Linie der Dortmund⸗Ems⸗Kanal, der einer großen Zahl von in den Industrie⸗ revieren leider beschäftigungslos gewordenen Arbeitern Gelegenheit zu lohnender Beschäftigung bieten wird. 3
Ich möchte Sie daher dringend bitten, meine Herren, sich mit den Grundsätzen der Denkschrift einverstanden zu erklären.
Abg. Graf Kanitz (cons.): Bei der ungünstigen Lage der Finanzen dürfe man die Denkschrift, welche 4 770 000 ℳ mehr ver⸗ lange, nicht eher für durch Kenntnißnahme erledigt erklären, als die Nothwendigkeit dieser Mehrforderung nachgewiesen sei. Nachdem das erste durch ein Gesetz festgestellt sei, würde man besser gethan haben, auch die Aenderungen durch ein besonderes Gesetz vorzunehmen, statt so einfach mittels der Denkschrift. Wegen der gesteigerten Löhne und Baumaterialienpreise werde, glaube er, die Aussicht auf Ersparnisse bei dem Kanalbau hß. nicht realisiren Das Project von 1886 sei mit nur geringer ehrheit bewilligt worden, und nur deshalb, weil man es mit dem Oder⸗Spree⸗Kanal verkoppelt habe. Der Kanal solle die westfälischen Kohlen nach dem Meer befördern und ihnen die Möglichkeit eröffnen, im Ausland mit der englischen Kohle zu concurriren; er habe schon 1886 betont, als die westfälische Kohlenproduction in so ungünstiger Lage gewesen sei, daß Staatshilfe nöthig erscheine. Aber diese würde, statt durch den projectirten Kanal, der es doch nicht ermöglichen werde, die Ruhrkohlen so billig an das Meer zu bringen, wie die englischen, besser erbracht worden sein, durch die Kanalisirung eines Nebenflusses des Rheins, wo der Kanal kaum den vierten Theil der Länge des hier projektirten habe und nicht den vierten Theil der Kosten verursachen würde. Die Kohlen würden dann eben den Rhein hinunter ans Meer fahren. Der von Eynern habe neu⸗ lich ganz Recht gehabt, als er gesagt habe, die englischen Kohlen hätten ungefähr denselben Preis wie die deutschen, nur daß die englischen Kohlen für diesen Preis frei an Bord geliefert würden, was bei den deutschen Kohlen nicht 12 sei, zumal wenn, wie von der Regie⸗ rung bei Aufstellung des Projectes erklärt worden sei, der Kanal sich dadurch selbst verzinsen und amortisiren solle, daß eine Gehühr von 2,50 ℳ pro Tonne erhoben werden solle. Er frage die Regierung, ob es bei dieser Gebühr bleiben solle. Der Tiefgang des Kanals solle, wie die Denkschrift wolle, vermehrt werden, aber auch dadurch würden die Transportkosten nicht so ermäßigt, daß unsere Kohle mit der englischen concurriren könne. Dazu würden die Kohlenzechen nur dann im Stande sein, wenn sie das Ausland billiger mit Kohlen versorgten als das Inland. Das geschehe ja auch jetzt. So seien z. B. am 22. Januar d. J. 20 000 Tonnen Koks nach Seraing verkauft worden für 16 Fr. pro Tonne bei 8 ℳ Transport, so daß also Koks an der Zeche 8 ℳ gekostet hätten. Am 3. März d. J. seien 20 000 Tonnen Koks nach Charleroi zu 16 ½ Fr. verkauft worden, wobei auch 8 ℳ Transport berechnet worden seien, so daß also 6,40 Fr. Kokspreis übrig geblieben seien. Das Dortmunder Koks⸗ syvndikat, welches diese niedrigen Preise stelle, erkläre zugleich in feiner amtlichen Cursliste, daß 12 ℳ der niedrigste Preis sei. Bei diesen niedrigen Auslandspreisen habe sich natürlich die Ausfuhr nach Frankreich sehr vermehrt, von 294 000 auf 459 000 Tonnen. Welcher Schaden für unsere Industrie liege in diesem niedrigen Preise fürs Ausland! Die Kohlenzechen Westfalens erwiesen sich als sehr wenig opferwillig; in einem Jahre, in dem 6 Millionen Gewinn vorhanden gewesen seien, hätten sie ganze 3000 ℳ für den Dort⸗ mund⸗Ems⸗Kanal gespendet! Dabei würfen die Zechen 10, 12, 20, 30, ja 80 pCt. Dividende ab, allerdings erst nachdem das zuerst übermäßig große Actienkapital erheblich reducirt sei; er wünsche, man ginge mit diesen Reductionen noch weiter vor. In England bauten die großen Actiengesellschaften Kanäle auf ihre eignen Kosten. Es würde wirklich am besten sein, wenn man das auf den Kanal schon verwandte Geld als à fonds perdu geleistet betrachte. Solle aber der Kanal erbaut werden, so müßten die Interessenten wenigstens die Mehrkosten tragen. Die westfälische Kohlenindustrie habe einen solchen Aufschwung erlebt, daß ihre Arbeitskräfte in zehn Jahren sich von 81 000 auf 138 000, also um zwei Armee⸗Corps, vermehrt hätten, alle diese Kräfte seien den Landwirthen genommen! Er werde nach allem dem sein Votum über die Denkschrift davon abhängig machen, daß das Haus seinen Antrag annehme und daß der Mi⸗ nister erkläre, daß nach der Fertigstellung des Kanals die Gebühr von
2,50 ℳ pro Tonne werde erhoben werden. Finanz⸗Minister Dr. Miquelll: “ Meine Herren! Herr Graf Kanitz hat die Dentschrift nach der
formellen Seite beanstandet. Ich kann nicht leugnen, daß diese Be⸗
anstandung insofern nicht ganz unbegründet ist, als allerdings hier ein ungewöhnlicher Vorgang in der Denkschrift enthalten ist.
Die Sache war folgende: Es wurde klar im weiteren Fortgange der Vorarbeiten, der stattgehabten Ermittelungen aus Untersuchungen, daß es dringend wünschenswerth sei, in einigen nicht unerheblichen Beziehungen Aenderungen an dem ursprünglichen, dem Land⸗ tag vorgelegten Project eintreten zu lassen, welche theils Ersparungen herbeiführten, theils aber auch möglicherweise Erhöhungen des ursprünglichen Anschlags mit sich brachten. Infolge dessen, da man die Nothwendigkeit und Zweckmäßigkeit jedenfalls dieser Aenderungen in allen Ministerien anerkannte, mußte nun die Frage hervortreten, ob es zulässig wäre, das ursprüng⸗ liche Project ohne Kenntnißnahme des Landtags, soweit als hier vor⸗ geschlagen ist, zu modificiren; namentlich das Finanz⸗Ministerium, aber auch die übrigen Minister mußten anerkennen, daß diese Ab⸗ weichungen von der ursprünglichen Vorlage, auf Grund welcher der Credit bewilligt war, doch so wesentliche seien, daß eine Mittheilung an den Landtag nothwendig schien.
Bei Erwägung der Frage, ob man einen neuen Gesetzentwurf in dieser Beziehung vorlegen sollte, trat nun von vornherein in den Vordergrund, daß einen bestimmten Antrag auf eine neue Credit⸗ bewilligung zur Zeit zu stellen, völlig unthunlich war, weil man eben gar nicht übersehen kann, ob nicht mit der ursprünglichen Gesammt⸗ summe, die für diesen Kanal bewilligt ist, auch mit diesen Aenderungen, die theilweise Ersparungen, wie ich schon sagte, theilweise aber Mehr⸗ ausgaben vielleicht bedingen werden, auch das veränderte Project voln⸗ ständig durchzuführen sei.
Streng genommen liegt also etatsmäßig die Sache so. Die Staats⸗ regierung giebt gegenwärtig schon von diesen beabsichtigten Aenderungen in der Denkschrift dem Landtag Kenntniß. Wenn der Landtag von dieset Denkschrift einfach Kenntniß nimmt, ohne daran Beschlüsse zu knüpfen, so werden allerdings, constitutionell streng genommen, die betreffenden Minister die Verantwortlichkeit für etwaige Ueberschreitungen zu über⸗ nehmen haben. Sie können das aber um so eher thun, wenn sie sch überzeugen, daß der vorher völlig unterrichtete Landtag im wesent⸗ lichen diese Aenderungen billigt.
So ist die Sachlage. Ich glaube, bss zugeben, daß hier in einer durchaus loyalen Weise seitens der S
Sie werden jedenfalls das taats⸗
regierung dem Landtag gegenüber verfahren ist, wie dies nur irgend·
ewünscht werden kann, und daß hier vorsichtiger in dieser Be⸗
. verfahren ist, als es in manchen Fällen wohl geschehen
e. 8 . üͤber die formelle Seite der Sache. Im übrigen gehe ich uuf die ausführlichen Darlegungen des Herrn Grafen Kanitz nicht näher ein. Ich habe nur den Eindruck gewonnen, daß seine Rede nehr gegen den Kanal überhaupt gerichtet war, als gegen die hier voxgeschlagenen Abänderungen. Man kann ganz gewiß den Meinungsverschiedenheiten über das Kanalproject selbst, wie sh damals im Landtag zur Geltung kamen, nicht eine väe Bedeutung absprechen und man kann das Für und Wider nit sehr guten Gründen vertreten. Gegenwärtig aber steht die That⸗ sache, daß der Kanal gebaut wird, auf Grund der übereinstimmenden Beschlüsse beider Häuser des Landtags und der Staatsregierung fest, und die einfache Frage, die hier vorliegt, ist die: wenn wir die 64 Millionen für das Kanalproject überhaupt aufwenden, ist es dann nicht rationell, durch einen nur möglichen Zuschuß von 4 Millionen das ganze Project so zu gestalten, daß es seinem Zweck in einer weit vollkommeneren Weise entspricht, als es mit dem ursprünglichen Project möglich war. Das ist, glaube ich, die Frage, auf die es doch hier zur ankommt.
Nun hat der Herr Graf Kanitz die Frage an uns gerichtet, ob m dem damaligen Beschluß, der vielleicht für viele Mitglieder des Landtags eine Voraussetzung gewesen sein wird, in Zukunft festgehalten werden soll, daß angemessene Kanalgebühren, die jedenfalls mehr decken als die Betriebskosten und die Unterhaltungskosten des Fanals, erhoben werden sollen. Was mich betrifft — und ich glaube, in dieser Beziehung ganz in Uebereinstimmung mit dem Staats⸗ Ministerium und besonders mit meinem hier anwesenden Herrn Collegen zu handeln — so kann ich dem Herrn Grafen die bestimmte Versicherung geben, daß nach wie vor die Staatsregierung von der Nothwendigkeit und der Berechtigung, solche Gebühren zu erheben, durchdrungen ist. Ich will bei dieser Gelegenheit überhaupt den Standpunkt hier bezeichnen, den die Staatsregierung einnimmt und insbesondere das Finanz⸗Ministerium, der dahin geht, daß, wer eine den Bedürfnissen des Landes entsprechende Entwickelung unserer Wasserstraßen, der Schiffbarmachung der Flüsse und der Herstellung neuer Kanäle, wo sie nöthig sind, will, sich sagen muß, daß unser Land nicht reich genug ist, neben den anderen gewaltigen Ausgaben, dieser großen Aufgabe sich zu unter⸗ jehen, wenn nicht auch die Kanalgebühren eingeführt werden oder ine angemessene Rente von der Benutzung der Kanäle erhoben wird. Sehr richtig!) In der Beziehung können wir uns auf die Cultur⸗ linder, die unmittelbar an uns grenzen, und auch auf England be⸗ iehen, wo diese Erfahrungen in vollem Maße gemacht sind; und auch schon jetzt, wo wir solche Gebühren erheben, zeigt sich, daß da⸗ zurch die Schiffahrt selbst in keiner Weise derart eingeengt wird, daß das Unternehmen als nutzlos erschiene. Ich halte es für außer⸗ ordentlich billig und ganz gerecht, wenn diejenigen, die in ihrem Interesse hauptsächlich den Kanal benutzen, auch ein entsprechendes Aeauivalent der Staatskasse zuführen. Ich bin auch nach meinen Erfahrungen überzeugt, daß eine mäßige Abgabe doch noch immer die Schiffahrt weit billiger sein läßt als die Transportkosten zu Lande mittels der Eisenbahn, und daß daher die Bedeutung des Kanals unter Erhebung angemessener Kanalgebühren nicht wesentlich leiden wird.
Was nun in specie den Antrag des Herrn Grafen Kanitz be⸗ nifft, so könnte es ja mir als Finanz⸗Minister ganz angenehm sein, wenn dieser Antrag angenommen würde und schließlich auch zur Wirksamkeit käme. Aber ich möchte doch von vornherein bemerken, daß, wenn wir nur eine mögliche Ueberschreitung der Gesammtaus⸗ gaben von 4 770 000 ℳ, wie in der Denkschrift bezeichnet, voraus zaben, davon von vornherein absetzen müssen einen Betrag von 1750 000 ℳ, welcher gar nicht durch diesen Kanal veranlaßt wird, sondern durch den wenigstens möglich zu erhaltenden Anschluß an den Mittellandskanal, der Weser und Elbe mit diesem Kanal verbinden soll. (Hört! hört!) Diesen Betrag könnte man also in keinem Fall den Kohleninteressenten zur Last legen.
Ich will doch bei dieser Gelegenheit einschalten, daß, wenn hier dieser Betrag von 1 750 000 ℳ mit Rücksicht auf einen demnächst herzustellenden Mittellandskanal verwendet werden soll, damit weder die Staatsregierung noch der Landtag sich gewissermaßen schon jetzt bindet in Beziehung auf eine demnächstige Beschlußfassung wegen der wirklichen Ausführung dieses Mittellandskanals. Man hält es, wenn man diesen Betrag einstellt, nur für zweckmäßig, die Möglichkeit dder die Wahrscheinlichkeit einer in der Zukunft liegenden Herstellung des Mittellandskanals in Betracht zu ziehen und deswegen die Anschluß⸗ strecke so zu gestalten, daß die Herstellung des Mittellandskanals in der Zukunft offen bleibt. Es soll nicht darin gewissermaßen eine vor⸗ weggenommene Beschlußfassung liegen, und es kann, wenigstens von meinem Standpunkt aus dieser Betrag in diesem Sinne nicht auf⸗ gefaßt werden. Herr Graf Kanitz hat gesagt, indem er hinweist auf die That⸗ sache, daß die Kohlen im Auslande billiger verkauft werden als im Inlande, daß nur die Kohlenindustrie an diesem Kanal ein Interesse hätte, folglich auch die Kohlenindustrie diese 4 770 000 ℳ zu zahlen habe. Er hat es dem Interesse des Landes nicht entsprechend er⸗ achtet, wenn ich ihn recht verstanden habe, überhaupt den Export von Kohlen ins Ausland zu begünstigen; er hat gemeint, es läge darin eine sehr erhebliche Schädigung der inländischen Industrie und der inländischen Kohlenconsumenten. Diese Gesichtspunkte, die ich hier nicht weiter berühren oder bekämpfen will beziehen sich auf den Kanal überhaupt. Der Landtag hat aber die Herstellung des Kanals, wesentlich um den Export der Kohlen zu er⸗ kechtern, beschlossen. Wir können also heute dieser Vorlage gegen⸗ über diese Erwägungen nach meiner Meinung nicht mehr anstellen. Dann aber auch wäre es doch nicht richtig, zu glauben, daß dieser Kanal lediglich den Zweck hat, den Kohlenexport ins Ausland zu be⸗ günstigen. Eine Summe anderer wichtiger Interessen, landwirth⸗ chäaftlicher und allgemeinerer Verkehrsinteressen, hängen an diesem 8 und ich bin überzeugt, wenn Sie die Ortschaften, die Städte, sie an diesem Kanal liegen, fragen, so werden sie Ihnen darlegen, welche vwf Bedeutung für sie dieser Kanal hat, und daß das Inland wesentlich 8 an Betracht kommt. Dann aber auch braucht der Export oder “ von Kohlen auf diesem Kanal keineswegs wesentlich für 8 Zweck zu verfolgen, die Kohlen an das Ausland abzugeben. Ich
meinen Theil glaube gar nicht, daß in dieser Beziehung der Kanal
8— sehr großer Bedeutung ist; wohl aber kann der Kanal in Be⸗
ziehung auf den Kohlenverkehr von erheblicher Bedeutung sein, bei⸗
spielsweise in der Richtung, unseren eigenen Dampferlinien die Kohlen in billiger Weise zuzuführen. Also ich glaube, dieser Gesichtspunkt kann hier doch allein nicht maßgebend werden. Daß eine Erleichte⸗ rung und Verbesserung der Schiffahrt auf diesem Kanal durch größere Abmessungen auch der Kohlenindustrie zu gute kommt, kann allerdings keinem Zweifel unterliegen.
Wenn der Antrag des Herrn Grafen Kanitz aber angenommen würde, so fürchte ich davon mindestens eine wesentliche Verzögerung der Ausführung des Kanals, eine neue sehr erhebliche Schwierigkeit, die man in die Sache hineinbringt. Ich erinnere daran, wie schwer es gewesen ist, nur die Ausgabe für die Erwerbung des Grund und Bodens von den Interessenten zu erlangen, und daß man sich schließ⸗ lich entschlossen hat, hierfür einen neuen Zuschuß zu geben. Ich kann daher von meinem Standpunkt aus auch nicht empfehlen, den Antrag des Herrn Grafen Kanitz anzunehmen, und möchte auch denjenigen Herren, welche ursprünglich große Bedenken gegen das ganze Project hatten und ihre Bedenken heute noch festhalten, ans Herz legen, sich einfach die Frage vorzuhalten: ob, wenn wir eine solche colossale Summe von 64 860 000 ℳ ursprünglich bewilligt haben für den betreffenden Kanal, es dann rationell ist, diesen geringen Betrag nicht zu bewilligen, während feststeht, daß eine wesentliche Verbesserung der Schiffahrt auf dem Kanal mit Zuhilfe⸗ nahme dieser doch verhältnißmäßig geringeren Summe ermöglicht werden kann? Ich glaube, auf diesen Standpunkt muß man sich stellen. Ich bitte Sie daher, von diesem Gesichtspunkt aus die Denkschrift aufzufassen, eine materielle Zustimmung zu der Sache zu ertheilen, aber den Antrag des Herrn Grafen Kanitz nicht anzunehmen. (Bravo! bei den Nationalliberalen.)
Abg. Dr. Hammacher (nl.): Graf Kanitz wünschte als Gegner des Kanals, daß dieser nicht zu stande komme, und sein Antrag solle, glaube er, das Zustandekommen des Kanals verhindern. Sollten die 4 770 000 ℳ von den Interessenten aufgebracht werden, so sei die Ausführung des Projects auf unübersehbare Zeit hinausgeschoben. Dem könne das Haus 8s nicht beitreten, weil im gesetzlichen Wege das Project des Dortmund⸗Ems⸗Kanals angenommen sei, und weil heut niemand beweisen könne, daß die Ersparnisse bei dem neuen Project die dadurch an anderen Punkten bedingten Mehrkosten ni uͤbersteigen würden; ein solches Ersparen sei sogar wahrscheinlich, weil während der sieben bis zehn Jahre, die der Bau dauern werde, die Löhne und Materialienpreise wohl niedriger sein würden als jetzt, wo diese hohen Kosten den specialisirten Anschlägen zu Grunde gelegt seien. Wozu werde also dieser in dem parla⸗ mentarischen Gebrauch so ungewöhnliche Antrag vom Grafen Kanitz gestellt? Die westfälische Kohlenindustrie sei keineswegs durch Staatshilfe groß geworden — solche habe sie nie erbeten —, sondern dank der weisen Berggesetzgebung, dank dem wirthschaft⸗ lichen Aufschwung, dank der Entwickelung des Eisenbahnsystems — aber an allem diesem habe der ganze Staat ein lebhaftes Interesse gehabt, ohne alles dies hätten namentlich die Staatsbahnen nicht so reiche Erträge einziehen können, die die westfälische Industrie neidlos dem Eisenbahnbau in dem ärmeren Osten der Monarchie zu gute kommen lasse. Die stärkeren Kräfte des Landes müßten eben den schwächeren helfen, das sei ein alter preußischer Grundsatz, dessen Befolgung nicht wenig zu unserer Größe beigetragen habe. Darum thäten die, die das Kanalproject bekämpften, Unrecht. Er gebe zu, der Dortmund⸗Ems⸗Kanal dürfe nicht ohne Verästelungen und Fortsätze bleiben; aber das habe er schon 1882, 1886 und 1888 gesagt und der Wortlaut des Gesetzes von 1886 zeige, daß der Kanal als integrirendes Glied einer Rhein⸗Ems⸗Weser⸗Elbe⸗Kanalverbin⸗ dung gedacht gewesen sei. In Bezug auf die Kanalgebühr bestehe zwischen der Anfrage des Grafen Kanitz und der Bemerkung des Finanz⸗Ministers doch eine Kluft; Graf Kanitz wolle den Kanal durch die Forderung der Gebühr von 2,50 ℳ pro Tonne von vornherein discreditiren, er greife das Project mit nicht loyalen Mitteln an, er widerspreche sich dabei sogar, indem er einmal meine, der Kanal solle den Kohlenexport zu niedrigeren Preisen, als sie im In⸗ lande gezahlt würden, vermehren, und dann sage, der Kanal werde nicht im stande sein, die westfälischen Kohlen so billig ans Meer zu führen, wie die englischen! Dabei sei es doch wohl kaum an⸗ gebracht, die kaufmännische Gewohnheit, in Zeiten großer Production nach dem Auslande billiger zu verkaufen, als nach dem Inlande, die bei uns wie in Frankreich und England geübt werde, und die auch von der Landwirthschaft getheilt werde, wenn man sie bekämpfen wolle, durch Ausführungen im Parlamente anzugreifen. Der Finanz⸗ Minister wolle dem Grafen Kanitz entgegenkommen und sage, im Princip verlange er eine angemessene Gebühr für die Kanalbenutzung. Von 2,50 ℳ pro Tonne habe er nichts gesagt. Der Antrag Kanitz habe, um den Kanalbau zu bekämpfen, einen besonderen Dämonismus walten lassen, indem er die Mehrforderung den Interessenten auflegen wolle. Aber was würde er sagen, wenn bei Errichtung einer Secundärbahn, bei denen häufig die Voranschläge überschritten werden müßten, die Mehrkosten den Interessenten, den Landwirthen, denen diese Bahn zu gute komme, aufgebürdet werden sollten? Er glaube also nicht, daß die Mehrheit geneigt sei, dem Abg. Kanitz zuzustimmen, die Loyalität werde sie davon zurückhalten. Die Entwickelung der Kohlen⸗ industrie habe ja der Landwirthschaft Kräfte entzogen, aber darum sei es nicht nöthig, die politische Pflicht der Gerechtigkeit gegen die Industrie aus den Augen zu lassen. Er bitte, unter Ablehnung des Antrags Kanitz die Denkschrift zu genehmigen, und hoffe, daß die Regierung dann den Kanalbau energisch fördern werde.
Abg. Schöller (freicons.) bemerkt, daß die Vortheile des Dort⸗ mund⸗Ems⸗Kanals wesentlich darin beständen, daß er den Bau des Mittelland⸗Kanals zur Nothwendigkeit mache. Der Dortmund⸗Ems⸗ Kanal bilde die Einfuhrstraße für die ausländischen landwirth⸗ schaftlichen Producte, und da könne die Landwirthschaft des Ostens mit Recht verlangen, daß die Verbindung nicht nur mit dem Rhein, sondern auch mit der Weser und Elbe stattfinde, um den Austausch der Producte dieser Landestheile zu erleichtern. Es sei erfreulich, daß in der Denkschrift die Linienführung dahin abgeändert worden sei, daß sie die Erbauung des Mittelland⸗Kanals erleichtere.
Abg. Herold (Centr.): Die Gemeinden seien, als der Plan dieses Kanals zur Ausführung habe kommen sollen, zu Beiträgen für den Kanalbau veranlaßt worden; sie hätten die Beiträge geleistet
in der Hoffnung, daß ihnen daraus auch Vortheile zufließen möchten.
Sie wünschten auch, daß neben dem Kanal chaussirte Treidelwege angelegt würden, damit diese für den Wagenverkehr zugänglich seien. Nun seien seitdem die Pläne erheblich geändert, es beständen daher die Voraussetzungen für die Leistung der T eiträge nicht mehr, es müßten den Gemeinden diese daher ganz oder wenigstens theilweise erlassen werden. Den Antrag Kanitz bitte er abzulehnen. Der Dortmund⸗ Ems⸗Kanal selbst sei bewilligt und die Abänderungen seien vor⸗ zugsweise in Rücksicht auf den Mittelland⸗Kanal getroffen worden; dieser komme aber der ganzen Monarchie zu gute, es sei daher kein Grund vorhanden, daß zu den Kosten, welche gerade aus dieser deve vsge entständen, besondere Interessentenkreise herangezogen würden.
Abg. Osstrop (Centr.): Dadurch, daß statt der früher geplanten Schleuse in der Nähe von Henrichenburg jetzt ein Schiffshebewerk eingerichtet werden solle, werde eine Verbilligung und größere Schnelligkeit des Betriebes erreicht werden. Für die Kanalisirung der Lippe hätten sich große Kreise von Interessenten auch auf dem platten Lande ausgesprochen. Es werde vielfach gewünscht, daß man mit dieser eher vorgehe als mit den Arbeiten zum Mittelland⸗Kanal.
Abg. Brand 2198 (Ctr.): Er sei gegen den Antrag des Grafen Kanitz aus denselben Grü⸗ ie der Abg. Herold. Di
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neue Linie des Kanals entferne sich weiter von Rheine alte Linie. Wenn das allgemeine Interesse das bedinge, so wolle er dagegen keine Sonderinteressen geltend machen. Es könnten aber die Wünsche der Interessenten durch Anlegung eines Stichkanals nach Rheine genügend berücksichtigt werden. Er erkenne dankbar an, daß der Kanal von Meppen an durch die Ems geführt werden solle an Stelle des früher geplanten Seitenkanals, dadurch würden die Interessen der Landwirthschaft mehr berücksichtigt. Abg. Fegter (nl.): Er möchte für den in Aussicht genommenen Kanal von Oldersun nach gegen das Eindringen des Seewassers empfehlen. B* Abg. Kempe (nl.) bittet um die Berücksichtigung der Petition der Stadt Leer seitens der Regierung. 1 Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen: Ich bin zu meinem großen Bedauern nicht in der Lage, in dieser Specialfrage, die mit dem Dortmund⸗Ems⸗Kanal an sich wenig Zusammenhang hat, eine Erklärung meinerseits abzugeben, da die Verhandlungen, die über diesen Gegenstand gepflogen worden sind, bisher zu einem Abschluß noch nicht geführt haben. Da aber der Herr Vorredner neue Eingaben und ⸗-neue Motivirungen seitens der Stadt Leer zugesagt hat, so bin ich gern bereit, daraufhin auch er⸗ neute Verhandlungen aufzunehmen, an denen aber außer mir insbe⸗ sondere auch der Herr Finanz⸗Minister betheiligt sein würde. Abg. von Evnern (nl.): Daß er jetzt noch auf der Rednerliste stehe, sei ein Irrthum; er habe sich nur zum Wort gemeldet, weil er 5 laubt habe, Graf Kanitz werde etwas neues vorbringen. Das abe er aber nicht gethan, er habe nur die alten Dinge über di Kohlenverkaufsvereine u. s. w. vorgebracht, bei denen er sich immer Die L e
besondere Schutzmaßregeln mden
in rührender Uebereinstimmung mit Herrn Broemel befinde. der Kohlenindustrie, wie Graf Kanitz sie geschildert habe, sei dur aus unrichtig. Die Kohlenindustrie werde bald eine Industrie werden, mit der der Staat sich in Bezug auf die Beschäftigung der Arbeiter sehr werde beschäftigen müssen. Der Versuch des Grafen Kanitz, jetzt durch seinen Antrag die Ausführung des schon früher beschlossenen großen Werkes zu verhindern, schade nicht bloß dem Westen, sondern
der ganzen Monarchie. Wenn 64 Millionen bewilligt würden für einen Kanal, der die
esammte Industrie und auch die Landwirthschaft des Landes fördern solle, so könne doch durch die kleine Forderung von 4 Millionen nicht das ganze Werk in Frage gestellt werden. Er hoffe, das Haus werde sich nicht auf den Standpunkt des Grafen Kanitz stellen.
Abg. Graf Kanitz: Ueber die Erklärung des Finanz⸗Ministers sei er in hohem Grade befriedigt, wenn dieser sage, es werde nach wie vor Aufgabe der Staatsregierung sein, dafür zu sorgen, daß die Betriebs⸗ und Verwaltungskosten des Kanals durch die Kanalabgaben gedeckt würden. Die Ausführungen würden ihn völlig beruhigt haben, wenn sie sich auch erstreckt hätten auf die Verzinsung und Amorti⸗ sation des für den Kanal angelegten Kapitals. Wenn nun gegen seinen Antrag bemerkt sei, daß auch ein erheblicher Theil der Summe von 4 Millionen auf den Mitteland⸗Kanal entfalle, so glaube er, daß man deshalb seinen Antrag nicht abzulehnen brauche. Der Mittelland⸗ Kanal sei einstweilen noch nicht bewilligt. Werde er nachher erbaut und ergebe sich daraus eine Veränderung des Kostenbetrages, so sei es ganz selbstverständlich, daß die kee Beiträge der Inter⸗ essenten um den Betrag erhöht würden. Der Abg. Hammacher sage, er (Redner) habe sich nicht ganz loyaler Waffen bedient. Möge man von seinen Ausführungen halten, was man wolle, er sei niemals anders als offen und loyal hier aufgetreten. Wenn seine Aus⸗ führungen dem Abg. Hammacher nicht gefielen, so seien sie des⸗ wegen doch nicht illoyal. Es sei weiter bemerkt worden, es sei durchaus verwerflich, hier von Interessentenbeiträgen zu sprechen. Was solle aus den Secundärbahnen werden? frage man. Die Vorbedingung für alle Bahnbauten sei, daß die Interessenten den Grund und Boden hergäben. Dasselbe sei auch der Fall bei der Pillauer Fahrrinne, auch da trage nicht der Staat die Kosten, sondern die Königsberger Kaufmannschaft. Nur beim Dortmund⸗Ems⸗Kanal solle eine Ausnahme gemacht werden, nur deswegen, weil die Inter⸗ essenten zu arm seien. Den Ausdruck Dämonismus, welchen der Abg. Hammacher gebraucht habe, kenne er nicht. Er werde erst im Con⸗ versationslexikon nachsehen und dann darauf antworten. Die Aus⸗ führungen in seiner vorjährigen Broschüre halte er, was die Aus⸗ landsverkäufe anbetreffe, Punkt für Punkt aufrecht. Er befinde sich darin in Uebereinstimmung mit allen Eisen⸗ und Tertilindustriellen. Er behaupte auch heute noch, daß die großen Auslandsverkäufe von Kohlen und Koks, wie sie von dem Kokssyndikate betrieben würden, geradezu curios seien. Er bitte, seinen Antrag anzunehmen, damit auch bei diesem Kanal die Interessenten ihre Beihilfe leisteten.
Abg. Wallbrecht (nl.): Graf Kanitz stelle sich so, als wenn die Interessenten gar nichts für den Kanalbau aufgebracht hätten. Das sei durchaus nicht der Fall. Sie hätten bereits fünf Millionen für Grund und Boden aufgebracht. Werde der Antrag Kanitz ange⸗ nommen, dann werde der Kanal entweder in schlechterer Form ge⸗ baut werden, als jetzt vorgeschlagen sei, oder überhaupt nicht zur Ausführung kommen. Die Industrie habe jedoch ein großes Interesse daran, mit dem Bau der Wasserstraßen nicht zu warten, bis sie die Nachbarländer überholten. Die Herren aus dem Osten würden ebenso wie die Industriellen aus dem Westen ihre Producte baßen absetzen können. Er bitte den Minister, die Vorarbeiten für den Rhein⸗Weser⸗Elbe⸗Kanal etwas zu V damit eine dies⸗ bezügliche Vorlage ins Budget von 1894 gestellt werden könne.
Abg. Bödiker (Centr.): Der Antrag Kanitz habe ihn über⸗ rascht und würde ihn erschrecken, wenn er auf Annahme rechnen könnte. Sollte der Antrag angenommen werden, würde die ganze Sache ins Stocken gerathen und die Ausführung des Mittellandkanals würde um Decennien fortrücken. Er bitte, den Antrag abzulehnen.
Abg. Pleß (Centr.): Der Mittellandkanal werde dem Dort⸗ mund⸗Ems⸗Kanal erst die richtige Bedeutung geben, er werde auch dem Osten und seinen Produecten zu gute kommen. Die Bedeutung des Bergbaues solle durch den Kanal gehoben und der deutschen Kohle im eigenen Lande der Sieg verschafft werden gegen die englische Kohle. Die überaus geringe Summe, welche zu der vorgeschlagenen Ver⸗ besserung nöthig sei, werde die Rentabilität des Werkes ganz be⸗ deutend erhöhen. Er bitte, gegen den Antrag Kanitz zu stimmen. Die Ausführungen des Abg. Hammacher in Betreff des Kohlen⸗ verkaufs an das Ausland könne er nicht billigen. “
Damit schließt die Discussion.
Der Antrag des Grafen Kanitz wird gegen die Stimme der Conservativen, der Freiconservativen Wessel, Christophersen, Schreiber⸗Nordhausen und des Centrumsmitgliedes Hauptmann abgelehnt. 1
Die Denkschrift wird durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt.
Es folgt die Berathung der Denkschrift, betreffend die Durchführung des Großschiffahrtsweges durch den Breslauer Stadtbezirk.
Abg. Schöller (freicons.): Es sei mit Befriedigung in Schlesien und in Breslau begrüßt worden, daß eine Einigung zwischen den Königlichen Staatsbehörden und den städtischen Behörden stattgefun⸗ den habe. Er möchte nur die Bitte aussprechen, daß die kurze Kanalstrecke von der Hundsfelder Brücke bis zur Oder in größeren Dimensionen hergestellt werde. Gerade in der Denkschrift über den Dortmund⸗Ems⸗Kanal sei überzeugend dargelegt worden, welche Verschwendung von Staatsmitteln damit verbunden sei, wenn Kanal⸗ straßen in zu Zleinen Dimensionen ausgeführt würden und voraussicht⸗ lich bald eine größere Abmessung nothwendig werde. Es sei mit Bestimmtheit vorauszusehen, daß in der allernächsten Zeit die an⸗ genommenen Dimensionen: 16 m Sohlbreite, 24 m Wasserspiegel und 3 m Tiefe, nicht genügen würden. Der Verkehr sei von 3 Millionen Eentnern im Jahre 1888/89 auf 25 ½ Millionen Centner im Jahre 1890 gestiegen, und die Vertreter der Staatsregierung hätten im Juni 1890 erklärt daß ein Verkehr von 100 Millionen Centnern in