der anderen Städte, die gleiche Gründe für sich geltend machen, nicht wohl eine ablehnende Haltung einnehmen können. Bei allem Wohl⸗ wollen für die Wünsche der Provinz Ostpreußen wird daher in nächster Zeit kaum in Aussicht genommen werden können, in Königsberg eine eigene Eisenbahndirection einzurichten.
Der Antrag des Fürsten Isenburg wird zurückgezogen; der Etat der Eisenbahn⸗Verwaltung wird genehmigt und die Berichte über die Bauausführungen und die Betriebsergebnisse der Eisenbahnen werden durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt.
Beim Etat der Staatsschulden⸗Verwaltung warnt
der Berichterstatter Herr von Pfuel vor der Vermehrung der Anleihen.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren, ich kann mich den Worten des Herrn Bericht⸗ erstatters und den Wünschen, die er für das Staatsschuldenwesen aus⸗ gesprochen hat, von meinem Standpunkte aus nur aus voller Ueber⸗ zeugung anschließen. (Bravo!) Mit Rücksicht auf unsere gesammten Finanzverhältnisse halte ich es auch für dringend nothwendig, in der bisherigen Weise in der jährlichen Bewilligung neuer An⸗ leihen nicht fortzufahren, sondern nach und nach wenigstens — man kann ja hier nicht sprungweise verfahren — die ent⸗ sprechenden Ausgaben so weit zu reduciren, daß wir nicht genöthigt sind, jährlich mehrere Hundert Millionen anzuleihen. (Bravo!) Meine Herren, das spricht sich leicht aus, wenn es sich nicht um eine concrete Beziehung handelt, aber ich hoffe, daß namentlich das Herren⸗ haus den Finanzminister in der Richtung consequent unterstützen wird (Zustimmung), selbst wenn dabei auch für einzelne Gegenden und Provinzen Verwendungen eine Zeitlang zurückgestellt werden müßten. Meine Herren, solange wir es bloß mit Anleihen zu thun haben, welche die Zinsen und Amortisationsbeträge in vollem Betrage mit Sicherheit wieder einbringen, läßt sich ja so ein Zustand ertragen, obwohl es dann doch auch schon bedenklich sein kann, mit Rücksicht auf den Geldmarkt, auf die leider fast immer concurrirenden Anleihen des Reichs, in so er⸗ heblichem Maße fortdauernd neue Anleihen aufzunehmen. Aber wenn Zeiten kommen, wo die Erträgnisse der Werke, die mit diesen Anleihen beschafft sind, in keiner Weise oder wenigstens längst nicht in vollem Betrage Zinsen und Amortisationsbeträge dieser Anleihen decken, dann wird es im höchsten Grade Zeit, vorsichtig zu werden.
Der Herr Berichterstatter hat gefragt, welche laufenden Credite noch vorhanden seien. Es sind an laufenden Crediten, die noch nicht begeben sind, — ich spreche hier nicht von denjenigen Crediten, welche noch zu verwenden sind, diese sind ja erheblich höher, da wir in diesem Jahre ja wieder eine sehr erhebliche Anleihe contrahirt haben, ohne daß dieselbe bereits zur Verwendung gekommen ist — laufend sind aber noch für andere Zwecke, als für Eisenbahnausgaben, 128 242 371 ℳ Für Eisenbahnzwecke laufen noch solche erst zu begebende An⸗ leihen in Höhe von 207 539 000 ℳ In Summa haben wir also noch neue Anleihen aus bereits früheren Crediten zu erwarten in Höhe von 335 781 000 ℳ Dazu wird wieder in diesem Jahre eine Anleihe kommen, die ja schon dem anderen Hause mitgetheilt ist, von etwa 90 Millionen Mark. Wir kommen also hier wieder auf einen noch vor uns liegenden erst zu begebenden Credit von über 400 Millionen. Diese Dinge muß man mit vollem Ernst und offenen Augen ansehen und wir werden wie wir auch in unserem ganzen übrigen Finanzwesen uns eine bedeutende und starke Reserve auferlegen müssen, dies auch bezüglich der Vermehrung unseres Schuldenstandes thun müssen. Das wird natürlich bedingen, daß wir manche wünschenswerthe und gewiß durchaus nützliche Unter⸗ nehmung unterlassen. Wie der Privatmann, wie die Commune, wie jedes einzelne große Unternehmen, so muß auch der Staat in dieser Beziehung sich nach der Decke strecken; (Sehr richtig!) und wir müssen dahin kommen, daß wir — das Nothwendige natürlich nicht unterlassen — aber doch mit unseren Anleihen so sparsam vorgehen, daß wir mit einiger Sicherheit erwarten können, davon auch eine angemessene Rente zu beziehen, oder wenn wir zuschießen müssen, das wenigstens ohne Be⸗ denken aus dem Ordinarium des Etats bewirken können. Wenn wir so verfahren, so wird sich die Finanzlage allmählich verbessern. Wir wollen hoffen, daß namentlich die Eisenbahnüberschüsse sich wieder in Zukunft heben werden; das kann aber noch Jahre dauern. Auf manchen Gebieten, gerade auf dem Eisenbahnwesen, hoffe ich aller⸗ dings auch, daß die Provinzen, die Kreise, und der Privat⸗Unterneh⸗ mungsgeist an der Hand des neuen Gesetzes der Tertiärbahnen manche Aufgaben erfüllen, die der Staat nach meiner Mei⸗ nung, weil sie nur von rein localem Interesse sind, nicht aufzunehmen braucht und auch nicht erfüllen kann. Wenn der Herr Berichterstatter sich nun bezogen hat auf den Betrag von 18 Millionen, welcher zur extraordinären Tilgung der Schulden ausgeworfen ist, so wird die Frage sein, ob wir von diesem Titel Gebrauch machen können, d. h., ob wir nicht in dem abschließenden Etatsjahre wieder ein erhebliches Deficit haben werden, welches ich für das laufende Etatsjahr gegenwärtig schon wieder zu meinem tiefen Bedauern höher veranschlagen muß, als ich im Abgeordneten⸗ hause bei der Berathung des Etats bezeichnet habe, nämlich in einer Höhe von etwa 35 bis 40 Millionen Mark, eine Zahl, die ich natürlich unter allem Vorbehalt gebe. Wenn wir in dem kommenden Etatsjahre 1892/93 wieder ein ähnliches Deficit haben sollten, also wieder eine Anleihe aufnehmen müssen von 40 Millionen, um das Deficit zu decken, dann werden wir entweder zu diesem Titel greifen oder eine Anleihe aufnehmen müssen. Wir würden dann bei einer Staatsschuld von über 6 Milliarden nicht in der Lage sein, mehr als 29 Millionen zur Schuldentilgung zu ver⸗ wenden, die wir auf Grund früherer glücklicher Verhältnisse dafür bestimmt haben. Daß eine solche Schuldentilgung namentlich da, wo
ür große Betriebsverwaltungen diese Schulden contrahirt sind, n keiner Weise auf die Dauer ausreicht, da die Kapitalien licht nur verzinst werden sollen, sondern da dieselben och Ueberschüsse für die Schuldentilgung zu liefern haben, kann einem Zweifel unterliegen. Nun kann die Eisenbahnverwaltung sich ewiß darauf stützen, daß sie nicht bloß die Zinsen der gesammten aatsschuld, sondern noch sehr bedeutende Beträge zur Deckung onstiger Etatsausgaben liefere. Hierin aber liegt das Schwergewicht userer ganzen finanziellen Lage, und ich scheue mich nicht, das offen uszusprechen — denn ich meine, der Landtag muß darüber klar sein — ir haben in den letzten Jahren unsere dauernden Ausgaben in tärkerem Maße vermehrt, als uns die entsprechenden Einnahmen zu⸗ Wenn wir unsere Einnahmen nicht vermehren können ent⸗ Ausgaben, so wird nichts anderes übrig bleiben als auf fortschreitende Entwickelung des Landes zu rechnen und ns der äußersten Sparsamkeit zu befleißigen. Es giebt kein anderes u 1 8
Mittel, um die Blüthe des Landes, die Grundlage, auf welcher eine
solide Finanzlage beruht, zu erhalten. (Lebhaftes Bravo!)
err von Pfuel: Das Herrenhaus könne den Minister nur unterstützen in seiner Sparsamkeit, wenn die Ausgaben nicht im Etat ständen, dem gegenüber das Haus machtlos sei.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Diesem letzteren Anheimgeben des hochverehrten Herrn Bericht⸗ erstatters zu folgen, kann ich nicht in Aussicht stellen. Denn ich bin gerade der Meinung, daß wir die Anleihen möglichst vermindern und die nothwendigen Ausgaben durch die laufenden Einnahmen des Staats zu decken suchen müssen. Ob wir das in früheren Zeiten immer in vollem Maße gethan haben, lasse ich dahingestellt. Aber ich meine, namentlich in der Betriebsverwaltung muß man dahin streben, daß die Ausgaben möglichst durch die Einnahmen gedeckt werden und daß keine außerordentlichen Griffe auf Anleihen stattfinden. Ich nehme an, daß der Herr Berichterstatter nicht das Gegentheil davon gewünscht hat.
Beim Etat empfiehlt
Freiherr von Durant die Verleihung des Allgemeinen Ehren⸗ zeichens an die Gemeinde⸗Vorsteher und Gemeindeschreiber, im An⸗ schluß an die Ausführungen des Abg. von Mever⸗Arnswalde im anderen Hause. ““ 1
Beim Etat des Ministeriums für Handel und Gewerbe dankt
Ober⸗Bürgermeister Bötticher dem Minister für die Ausbildung des gewerblichen Unterrichts. Die Ausgaben dafür, wenn sie auch erheblich vermehrt seien, reichten noch nicht aus, hierbei I der Finanz⸗Minister wohl keine falsche Sparsamkeit walten assen.
Ober⸗Bürgermeister Struckmann empfiehlt eine landesgesetz⸗ liche Regelung der facultativen Krankenversicherung der Dienstboten und ländlichen Arbeiter. Redner empfiehlt ferner die Uebertragung der Erhebung der Beiträge zur Invalidenversicherung auf die Kranken⸗ kassen und Gemeinden und bittet um Aufhebung eines Ministerial⸗ rescripts, welches dem entgegenstehe. “
Miinisterial⸗Director Lohmann: Die erste Frage werde von der Reichs⸗ und Staatsregierung erwogen werden; die zweite Frage werde von dem Handels⸗Minister einer wohlwollenden Prüfung unterzogen werden. 1
Beim Etat der Justizverwaltung lenkt 8
Graf von Hohenthal die Aufmerksamkeit des Ministers auf die antimonarchischen Ausschreitungen der Presse, welche eine ganze Reihe von Majestätsbeleidigungsprozessen in Aussicht stellten. Es sei kürzlich an die Staatsanwalte die Verfügung ergangen, daß sie, bevor sie Klage in solchen Fällen erhöben, an den Justiz⸗Minister. berichten und dessen Genehmigung einholen sollten. Er sei kein principieller Gegner einer freien Presse; wenn sie wahrhaftig und maßvoll sei, könne sie dem Lande nützlich sein. Aber man müsse sich auch hüten, die Macht der Presse zu überschätzen. Er halte die Verfügung des Justiz⸗ Ministers für nicht richtig und dem monarchischen Princip für nicht zuträglich. Jeder Preuße habe ein gutes Recht auf die Unverletzlich⸗ keit des Königs. Warum wolle man es nicht den Staatsanwalten überlassen, ob sie einschreiten wollten oder nicht? Wolle man das unter den Gesichtspunkt der Opportunität stellen? Er würde es richtig finden, wenn man jedes Preßvergehen ohne weiteres verfolgte. Denn die Nichtverfolgung einzelner Artikel würde das Rechtsbewußtsein im Volke vermindern und nicht zur Stärkung des onarchischen Gefühls beitragen. 8
Justiz⸗Minister Dr. von Schelling:
Ich bin darüber erfreut, daß Herr Graf von Hohenthal auf den Vorwurf nicht zurückgekommen ist, der in seiner vorjährigen Rede zu erblicken war, daß nämlich antimonarchischen Aeußerungen der Presse von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht energisch entgegen getreten werde. Ich nehme also an, daß die Beschwerden des Herrn Grafen von Hohenthal in materieller Beziehung vollständig erledigt sind; es handelt sich nach seinen heutigen Ausführungen nur darum, den Sinn einer Verfügung richtig zu stellen, welche ich allerdings meinerseits an die Beamten der Staatsanwaltschaft erlassen habe. Die Veranlassung dazu war, daß ich neuerdings von mehreren gegen die Presse eingeleiteten Verfolgungen wegen Majestätsbeleidigung erst durch die Zeitungen Kenntniß erhalten habe. Die Stellung und das Ansehen des Justiz⸗ ministers erfordert es aber, daß alle wichtigen Vorgänge auf dem criminalistischen Gebiet alsbald zu seiner Kenntniß gebracht werden. In Beziehung auf andere Aufsehen erregende Verbrechen erxistirt schon längst die Bestimmung, wonach dem Justizminister Anzeigen zu erstatten sind; ich habe diese Bestimmung nur ausgedehnt auf Verfolgungen wegen Majestätsbeleidigung gegen die Presse.]
Es hat mirkdurchaus fern gelegen, und ich glaube, niemand, der mich kennt, wird eine solche Vermuthung hegen können, damit der gerechtfertigten Verfolgung von Majestätsbeleidigungen ein Hinderniß in den Weg zu legen. Aber ich muß darauf Werth legen, daß ich, wenn solche Vorgänge bei der Staats⸗ anwaltschaft sich ereignen, die eine größere Bewegung innerhalb des Landes hervorrufen können, meinerseits auch in der Lage bin, von den⸗ selben Kenntniß zu erhalten und je nach Umständen eine Einwirkung auf die Staatsanwaltschaft auszuüben. Eine solche Einwirkung ist keine ungesetzliche. Allerdings hat Herr Graf von Hohenthal ganz recht: wir haben in der jetzigen Strafprozeßordnung das Legalitäts⸗ prinzip, die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, wegen jeder strafbaren Handlung, soweit nicht Ausnahmen bestimmt sind, von Amtswegen einzuschreiten, aber doch nur unter der Voraussetzung, daß zu⸗ reichende thatsächliche Anhaltspunkte vorhanden sind. Die Ent⸗ scheidung darüber, ob das letztere der Fall ist, steht nicht allein der Staatsanwaltschaft zu. Ich werde ihr zwar von vorn herein immer sehr gern die erste Beurtheilung dieser Frage einräumen; aber es können doch Fälle vorkommen, in welchen eine Correctur am Platze ist, in welchen die Staatsanwaltschaft eine Anklage unterläßt, wo diese hätte erhoben werden sollen, oder umgekehrt zu einer Anklage schreitet, zu welcher keine genügenden thatsächlichen Anhaltspunkte vor⸗ liegen. Ich glaube also, ich habe durch meine Verfügung in keiner Weise dem Legalitätsprincip Eintrag gethan, ich habe nur diejenige Wirksamkeit auch in Bezug auf Majestätsbeleidigungen in Anspruch genommen, welche das Gesetz der Justizverwaltung einräumt.
Darauf wird um 5 Uhr die weitere Berathung auf Donnerstag 12 Uhr vertagt.
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der General⸗Ordens⸗Commission
In dritter Berathung werden die Gesetzentwürfe, be⸗ treffend die äußere EEEö der Sonn⸗ und Festtage in den Provinzen Schleswig⸗Holstein, Hannover und Hessen⸗Nassau, sowie in den Hohen⸗ zollernschen Landen, und betreffend die Aufhebung älterer, in der Provinz Hessen⸗Nassau geltender
8 28 8 Bestimmungen über die Untersuchun es Schlachtviehs und die Ausstellung von Fng gesundheitsscheinen, ohne Debatte angenommen. 8
Zur dritten Berathung steht ferner der Gesetzentwurf betreffend die Entschädigung für an Milzbrand ge⸗ fallene Thiere. 1
Zu § 1, nach welchem die Provinzialverbände für solche Thiere Entschädigung köͤnnen, beantragt
Abg. Knebel [nl.) hinzuzufügen, daß die Provinzialverbände die Entschädigung für ihren ganzen Bereich oder für Theile desselben be⸗ schließen könnten, und begründet diesen Antrag damit, daß die Bil⸗ dung kleinerer Versicherungsverbände innerhalb der Provinzen ermög⸗ licht werden müsse. 8
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Sterneberg spricht sich gegen den Antrag aus, weil sonst die Provinzialverbände kleinere Ver⸗ ände bilden könnten, ohne daß diese darüber gehört würden.
Abg. Freiherr von Erffa (cons.) hält den Antrag für ü;ber⸗ flüssig, weil die Provinzialverbände schon jetzt in der Lage seien, durch Reglement einzuführen, was der Antrag wünsche. —
Die Abgg. Roeren (Centr.), Broekmann (Centr.) und von Schalscha (Centr.) sprechen sich gleichfalls gegen den Antrag aus.
Der Antrag wird abgelehnt und der Gesetzentwurf un⸗ verändert angenommen.
In erster und zweiter Berathung werden die Gesetzent⸗ würfe, betreffend die Abänderung von Amtsgerichts⸗ bezirken, und betreffend die Errichtung eines Amts⸗ gerichts in der Gemeinde Lechenich, unverändert an⸗ genommen.
Es folgte die Berathung von Petitionen.
Eine Petition von Dr. Stolp zu Charlottenburg wünscht den Erlaß eines Gesetzes, nach 8 den bei Neubauten betheiligten Unternehmern und Bauhandwerkern bezüglich ihrer Forderungen ein Vorzugsrecht vor allen hypothekarischen Eintragungen zu gewähren sei.
Der Berichterstatter der Petitionscommission Abg. Czwalina (dfr.) beantragt, die Petition der Regierung als Material für die Gesetzgebung zu überweisen.
Abg. Goldschmidt (dfr.) weist darauf hin, daß diese all⸗ gemein wichtige Frage bereits die Handwerkertage und auch den Ju⸗ ristentag beschäftigt welcher letztere die Forderungen der Hand⸗ werker mit 21 gegen 20 Stimmen abgelehnt habe. Die Commission habe leider ohne Zuziehung eines Regierungscommissars über diese Petition verhandelt, und es sei deshalb am besten, die Petition an die Commission zurückzuverweisen, damit ein Vertreter der Regierung hinzugezogen vwet
Abg. Stöcker (cons.) tritt entschieden für diese Forderung
der Handwerker ein. Die Schädigung der Bauhandwerker durch ge⸗ wissenlose Bauspeculanten sei himmelschreiend. In Berlin existire eine ganze Straße, in welcher die Bauunternehmer sämmtlicher Häuser mit den Bauhandwerkern wegen der Forderungen der Letzteren im Prozesse lägen. Die Abgg. Pleß (Cent.) und Metzner (Centr.) betonen gleich⸗ falls, daß diese Zustände dringend einer Abhilfe bedürften; es handle sich nicht allein um solche Verhältnisse in Berlin, sondern im ganzen Lande. Der letztere Redner habe besonders auf die schlimmen Er⸗ fahrungen der Handwerker mit dem Bau des Alexanderplatz⸗Hotels in Berlin hingewiesen.
Abg. Goldschmidt (dfr.) bemerkt, daß er zu der Frage mate⸗ riell noch keine Stellung nehmen wolle; es sei noch zu prüfen, ob die Verhältnisse im ganzen Lande ebenso seien, wie in Berlin. Um die Ansicht des Justiz⸗Ministers kennen zu lernen, beantrage er die Ueberweisung der Petition an die Justizcommission.
Abg. Hitze (Centr.) schließt sich den Ausführungen der Abgg. Pleß und Metzner an und beantragt die Ueberweisung der Petition an die Regierung zur Berücksichtigung.
Abg. Francke⸗Tondern (nl.) betont, daß es sich hier lediglich um eine juristische Frage handle, und empfiehlt deshalb die Ueber⸗ weisung an die Justizcommission.
Abg. Dr. Dürre (nl.) erkennt an, daß die Bauspeculanten viel Unheil anrichteten, aber die Bauhandwerker seien auch nicht die reinen Unschuldskinder. Nur durch deren Unterstützung werde den Bauspeculanten erst ihre unheilvolle Thätigkeit ermöglicht.
Abg. Lückhoff ffreicons.) hält es auch für an der Zeit, in diesen Verhältnissen Wandel zu schaffen, bedauert gleichfalls, daß in der Commission kein Regierungscommissar zugegen gewesen sei, und wünscht deshalb gleichfalls die nochmalige Berathung in der Justiz⸗ commission.
Abg. Pleß (Centr.) tritt der Behauptung des Abg. Dürre ent⸗ schieden entgegen. 8
Abg. Dr. Friedberg (nl.) warnt vor einer einseitigen Auf⸗ fassung der Frage lediglich vom Standpunkt der Handwerker aus, er⸗ kennt jedoch an, daß die Frage einer sorgfältigen Prüfung bedürfe.
Die Petition wird darauf an die Justizcommission überwiesen. 8
Verschiedene Petitionen um Erlaß eines Verbots, körperliche Zwangsmittel zur Herbeiführung der Impfung anzuwenden, beantragt die Petitionscommission, durch Uebergang zur Tagesordnung zu erledigen, dagegen die Regierung um Erwägung darüber zu ersuchen, ob nicht Zwangsimpfungen lediglich bei Ausbruch einer Pockenepidemie zulässig seien und ob nicht in epidemiefreien Zeiten von Zwangsimpfungen Abstand zu nehmen sei.
Das Haus beschließt ohne Debatte nach diesem Antrage.
Ueber die Petition des Tuchfabrikanten Loll und Genossen in Falkenburg (Pommern) um Errichtung von Bekleidungs⸗ ämtern für die Eisenbahn⸗ und Postbeamten geht das Haus ohne Debatte auf Antrag der Petitionscommission zur Tages⸗ ordnung über.
Bezüglich der Petitionen des Vereins Frauenwohl in Berlin und des Frauenvereins Reform in Weimar, betreffend die Zu⸗ lassung der Frauen zum Universitätsstudium, beantragt die Unterrichtscommission, über sie, soweit sie die Errichtung eines Mädchen⸗Gymnasiums und die Zulassung zum philosophischen Studium betreffen, zur Tagesordnung überzugehen, soweit sie die Zulassung zum medizinischen Studium und die Erlaubniß zur Ablegung des Maturitätsexamens an einem Gymnasium betreffen, der Regierung zur Erwägung zu überweisen
An der Debatte betheiligen sich die Abgg. Dr. Hartmann (Lübben), Seyffardt (Magdeburg), Rickert und Stöcker; Letzterem antwortet
Wirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Schneider: Schon jetzt seien Lehrerinnen auch in den oberen Klassen der höheren Mädchenschulen, selbst der öffentlichen, beschäftigt. Es würden auch alle Veranstaltungen gefördert, die den Mädchen die Möglichkeit gäben, ihre Kenntnisse über das hinaus, was sie im ersten Examen nachweisen müßten, zu erweitern. Die Pflicht werde anerkannt, für die Mädchenbildung weitere Wege zu finden, aber fraglich sei es, ob die Bildungswege für die Frauen dieselben sein würden wie für die männliche Jugend. Darin gebe er dem Vorredner völlig Recht. Es gebe eine Menge von Männern ohne jede akademische Prüfung, die zahlreiche andere Männer mit akademischer Bildung überragten. Was bei den Männern der Fall sei, müsse auch bei den Frauen der Fall sein können. Das Haus dürfe gewiß sein: erwogen werde die Sache. Der vorige Minister habe bereits damit begonnen, der neue werde ebenfalls die Frage gewissenhaft prüfen. (Beifall.)
Abg. Dr. Hartmann⸗Lübben (cons.) bemerkt dem Abg. Rickert
nsicht
Fegenüber. daß von einem Mißbrauch der männlichen Gewalt nicht die
ede sein könne, weil eine große Zahl von Frauen derselben sei wie seine Partei. — Das Haus beschließt nach dem Antrage der Commi Schluß gegen 2 ¾l Uhr.
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i Deutschen Reichs⸗
Dritte Beilage
Anzeiger und Königlich Preußischen Staat
2 Berlin, Donnerstag, den 31. März
Anzeiger. 1
892.
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ichtamtliches.
“ Frankreich. 8
Die Stimmung der letzten Tage war in Paris, wie sich aus den Blättern ergiebt, eine sehr gedrückte; so schrieb der „Petit National“: „Der Schrecken herrscht in Paris, fast täglich finden in den Kirchen der Hauptstadt Schlachten statt, Frankreich ist in der Hand unfähiger Machthaber in Gefahr“: das „Evénement“: „der Minister⸗Präsident sieht in der Zu⸗ kunft die trübsten Ueberraschungen“; der „Rappel“: „noch einige Explosionen und Frankreic wird in seinem Zorn zur Lynchjustiz zurückkehren“; die „Autorité“: „das Gesetz, welches die Dynamitunholde mit dem Tode bedroht, ist platonisch, denn der Schuldigen kann man nicht habhaft werden.“ Nun⸗ mehr dürfte sich aber wohl die Aufregung wieder legen und der Pessimismus in Optimismus verwandeln, nachdem es der Polizei gestern gelungen ist, den Anarchisten Ravachol, der bekanntlich für den Urheber der Explosionen auf dem Boulevard St. Germain und in der Rue Clichy gehalten wird, zu ver⸗ haften. Ueber die Vorgänge bei dieser Verhaftung meldet „W. T. B.“ nachfolgende Einzelheiten: Mehrere Polizeiagenten beobachteten ein Individuum, in welchem sie Ravachol zu erkennen glaubten, in dem Augenblicke, wie er in eine Weinwirthschaft auf dem Boulevard de Magenta hineinging. Die Agenten benach⸗ richtigten hiervon den “ Dresch, welcher sich in Begleitung seines Secretärs sogleich in dieselbe Weinwirthschaft begab. Ravachol nahm, da er sich beobachtet sah, in Eile das Frühstück ein und verließ das Local. Dresch und dessen Secretär folgten ihm sofort und holten ihn ein. Auf ein von Dresch gegebenes Zeichen eilten drei Polizeiagenten herbei, und nun warfen sich alle fünf auf Ravachol. Dieser zog einen Revolver aus der Tasche, der ihm jedoch von den Beamten entrissen wurde. Ravachol wurde nun nach einem in der Nähe belegenen Polizeiposten abgeführt. Hier setzte er den Beamten verzweifelten Widerstand entgegen, indem er mit Füßen und Händen um sich schlug und den Versuch machte, einem der Polizisten den Säbel zu entreißen. Den Letzteren gelang es schließlich, den Verhafteten zu fesseln. Inzwischen hatte sich eine zahlreiche Menschenmenge vor dem Polizei⸗ gebäude angesammelt, welche rief: „Nieder mit dem Anarchisten!“ Ravachol wurde nun in einem Wagen nach der Präfectur gebracht. Auf dem Wege dorthin rief er wiederholt: „Es lebe die Anarchie! Es lebe das Dynamit!“ Mit Hilfe anthropometrischer Messungen wurde der Ver⸗ haftete bestimmt als Ravachol erkannt, da diese Messungen zu dem gleichen Ergebniß führten, wie die seinerzeit in St. Etienne an ihm vorgenommenen. Ueberdies trug der it des Verhafteten den Stempel einer Firma von St. Etienne. e Polizei war durch den betreffenden Weinwirth auf dem Boulevard de Magenta selbst auf die Spur Ravachol'’s geführt worden, der bereits am Sonntag in diesem Local sein Früh⸗ stück eingenommen und den Verdacht des Wirths erregt hatte. Ravachol wurde sodann mit einem kürzlich verhafteten Anarchisten confrontrirt und von diesem als Leon Leger er⸗ kannt, unter welchem Namen sich Ravachol in letzter Zeit ver⸗ borgen gehalten hat. Ravachol gab hierauf zu, Leon Leger zu sein, bestritt aber zuerst, mit Favachol identisch zu sein, doch räumte er auch dies in einem späteren Verhör ein; da⸗ gegen leugnete er, der Urheber der jüngsten Explosionen zu sein. Bei einer in seiner Wohnung in St. Mandé vor⸗ genommenen Haussuchung wurden Schwefelsäure, Salpeter⸗ säure und Retorten gefunden. Wie es ferner heißt, ist in der Seine bei Asnières und in der Nähe der Javel⸗ Brücke eine größere Menge Dynamit gefunden worden. Weeiiter dürfte es zur Beruhigung beitragen, daß gestern Vormittag die Decrete unterzeichnet worden sind, durch die einige vierzig ausländische Anarchisten aus⸗ gewiesen werden. Mehrere der letzteren, die bereits aus⸗ gewiesen waren, wurden sofort an die Grenze gebracht. Die übrigen von dem Decret betroffenen Anarchisten, 1“ ob Italiener, Deutsche, Oesterreicher, Schweizer oder Belgier, müssen Frankreich innerhalb 24 Stunden verlassen. Mehrere von ihnen werden, da sie mittellos sind, auf Kosten der Regierung an die Grenze gebracht werden. Der Frau eines der Ausgewiesenen wurde seitens des Polizei⸗ Präfecten eine Unterstützung gewährt; zwei andere baten um Aufschub, es sind deshalb Erhebungen angestellt, ob der Auf⸗ schub zu bewilligen sei. Unter den Ausgewiesenen befinden sich auch zwei deutsche Anarchisten, namens Fleiß und Mayer. Der ausgewiesene Prediger Forbes hat Paris gestern früh verlassen, um sich nach London zu begeben.
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In der Deputirtenkam mer brachten gestern die Ab⸗ geordneten Galli und Papadopoli eine Interpellation ein über angebliche Angriffe auf italienische Fischer
” den dalmatinischen Gewässern und richteten an die Regierung die Anfrage, ob sie Maßnahmen zum Schutze der
Fischerei ergriffen habe.
Portugal.
Die Deputirtenkammer ist, nach der „Köln. Ztg. dem Votum ihres Ausschusses, wonach kein Grund vorliege, gegen den früheren Finanz⸗Minister Mariano Carvalho Sei gerichtliche Untersuchung einzuleiten, mit 72 gegen 2 Stimmen beigetreten. 1
Belgien.
G biUeber die noch immer schwebenden Verhandlungen zwischen
abinet und Kammern wegen der Frage der Verfassungs⸗ revision, speciell des sogenannten „Königs⸗Referendums“ wird der „Köln. Ztg.“ (in Ergänzung der in Nr. 74 d. „R.⸗ 8 St⸗A.“ gegebenen Mittheilungen) aus Brüssel geschrieben:
as Ministerium sah sich dieser Tage abermals genöthigt, wegen des „Königs⸗Referendums“ die Cabinetsfrage zu stellen. Bwischen der Regierung und der Mehrheit war es ausgemacht, 5b2 in dieser Tagung, vor der Kammerauflösung, festzusetzende, Revis⸗ späteren Erweiterung fähige Programm der Verfassungs⸗
kevision die Möglichkeit eines Zusatzes zum Grundgesetz er⸗
sollten.
wähnen soll, wonach dem König wenigstens das Recht zur „nach⸗ träglichen“ Befragung der Wählerschaft zustehen soll, d. i. zur Befragung über ein Gesetz, das die Kammern bereits verab⸗ schiedet haben. Es sollte dann jedem Mitgliede der Partei freistehen, in dem Verfassungsparlament nach eigener Ueber⸗ Fugung für oder gegen das Referendum zu stimmen. Mittlerweile strebten die grundsätzlichen Gegner dieser Neuerung, die jene Lösung bloß zur Vermeidung einer Ministerkrisis und der Berufung eines Geschäfts⸗Ministeriums hingenommen hatten, eine Vereinbarung unter ihren Parteigenossen dahin an, daß diese sich von den Wählern einen bindenden Auftrag, gegen das Referendum zu stimmen, ertheilen lassen Das konnte sich die Regierung nicht gefallen lassen. Sie regte daher die Berathung der Rechten an, die am 24. und 25. März stattgefunden hat und in der es ziemlich stür⸗ misch hergegangen ist. Schon vor dem Ende der ersten Sitzung hatte die Regierung, deren Führer Minister⸗Präsident Beernaert das Entlassungsgesuch des Gesammt⸗Ministeriums bereit hielt, die Versammlung verlassen, dieser das weitere überlassend. Darauf besann sich die Rechte und faßte einen Parteibeschluß, wonach jeder Bewerber bei den Juniwahlen sich mit seinen Wählern über das Referendum zwar frei be⸗ nehmen könne, auf einen bindenden Auftrag jedoch nicht ein⸗ gehen dürfe.
An Stelle des verstorbenen Fürsten Chimay ist, wie der „Hamb. Corr.“ aus Brüssel erfährt, der clericale Senator Herzog d'Ursel zum Minister des Auswärtigen designirt.
Der Canonicus de Crolière, Präsident des Seminars zu Tournai, ist, dem „W. T. B.“ zufolge, zum Bischof von Namur ernannt worden. —
Türkei. Ueber die Gründe für die Verzogerung, welche die Ab⸗ sendung des Investitur⸗Fermans für den Khedive Abbas erfahren hat, liegen im „Daily Chronicle“ nähere Mittheilungen aus Konstantinopel vor. Wie das genannte Blatt erfährt, sei der ursprüngliche Ferman in seinem Wort⸗ laut demjenigen bei der Thronbesteigung des verstorbenen Khedive angepaßt gewesen und hätte nicht allein Egypten, sondern alle diejenigen Theile Afrikas mitumschlossen, über welche der Sultan die Oberherrschaft beansprucht. Hier⸗ mit wären die Botschafter Englands und Italiens jedoch nicht einverstanden gewesen; beide hätten sich auf den Standpunkt gestellt, daß der Ferman vollendete Thatsachen an⸗ erkennen solle, und Italien hätten mit besonderem Nach⸗ druck die Anerkennung seiner Occupation Massowahs verlangt. Infolgedessen seien einige Aenderungen an dem Ferman vor⸗ genommen worden, welche die Vertreter der beiden Großmächte indeß noch nicht zufrieden gestellt hätten. Die britische Re⸗ gierung habe zudem noch gewisse Wünsche wegen des bei der Investitur zu beobachtenden Ceremoniells, welche der Pforte gleichfalls widerstrebten. Wie weiter die „Daily News“ aus
Konstantinopel erfährt, hätte die Pforte Unterhandlungen mit dem Khedive über die Abtretung der Halbinsel Sinai an⸗ geknüpft.
Nach einem Bericht der „Pol. Corr.“ aus Konstantinopel machen die Versuche zur Beruhigung Yemens (in Süd⸗ Arabien) unter dem thatkräftigen Cbommando Ahmed Fehzi Pascha's zwar erfreuliche Fortschritte, an einzelnen Punkten des Landes jedoch gebe die aufrührerische Erhebung den türki⸗ schen Truppen, die in ausreichender Anzahl an Ort und Stelle geschickt wurden, neuerdings zu schaffen, sodaß immerhin noch einige Wochen vergehen dürften, bevor in der genannten Provinz das volle Ansehen der türkischen Behörden überall wiederhergestellt sein werde.
Griechenland.
Die griechische Regierung hat, um die Differenzen mit der Gesellschaft, welche die Eisenbahn vom Piräus nach Larissa baut, wegen der Bezahlung der Arbeiter zu beendigen, nunmehr einem Wolffschen Telegramm aus Athen zufolge die Entscheidung des nach den Statuten competenten Gerichts angerufen.
Serbien.
Wie es heißt, wird die Reconstruction des Cabinets noch vor dem Schluß der ion der Skupschtina erolgeacct. 1“
Schweden und Norwegen. 1ö6““
(F) Christiania, 28. März. Das Vertheidigungs⸗ departement hat dem Odelsthing einen Gesetzentwurf, betreffend die Beschränkung des militärischen Strafgesetzes in Bezug auf ausgeschriebene Dienstpflichtige, vorgelegt. Die Dienstpflichtigen sollen, wenn sie nicht zum Dienst einberufen worden sind, als Civilpersonen angesehen werden. Die Re⸗ gierung theilt gleichzeitig mit, daß sie hoffe, dem nächsten Storthing einen Gesetzentwurf, betreffend die Ordnung der militärischen Rechtspflege, vorlegen zu können.
Amerika.
An die in diesem Jahre stattfindende Präsidentschafts⸗ wahl knüpft sich, wie die „A. C.“ mittheilt, insofern ein be⸗ sonderes Interesse, als bei ihr zum ersten Male in der nord⸗ amerikanischen Republik das australische Wahlsystem zur Anwendung gelangen wird. Fast drei Viertel aller Staaten haben sich für die Geheimwahl entschieden, darunter die Neuengland⸗ und Binnen⸗ sowie die westlichen und nord⸗ westlichen Staaten, mit Ausnahme von Jowa, Kansas, Nevada und Idaho. Auch in vier Südstaaten, in Arkansas, Tennessee, Mississippi, West⸗Virginien und außerdem noch in Kentucky und Texas wird das System zur Anwendung ge⸗ langen. 7 Südstaaten haben sich jedoch aus dem einen oder anderen Grunde nicht zur Einführung der Reform entschlossen, obgleich diese für den Süden größere Wichtigkeit als für jeden anderen Theil der Union besitzt.
Die Agenten der transatlantischen Dampf⸗ schiffslinien wollen der „A. C.“ zufolge auf gerichtlichem Wege gegen die Entscheidung der Einwanderungscommissäre bezüglich der Detention und Rücksendung von Ein⸗
derern Einspruch erheben.
Nach einem der „Mgdb. Ztg.“ aus Buenos Aires über New⸗York zugegangenen Telegramm ist in der brasilianischen Provinz Mattagrosso eine Revolution ausgebrochen.
Afrika.
Ueber neue Kämpfe in Witu hat die Britische Ostafrikanische Gesellschaft der „Times“ zufolge aus Sansibar nachstehenden, vom 29. März datirten Draht bericht erhalten:
Capitän Rogers und die Streitkräfte der Gesellschaft griffen die Einwohner von Witu, welche jüngst einen Ueberfall gemacht hatten, am 18. März an. Der Kampf dauerte mehrere Stunden; die Stärke des Feindes ist noch nicht bekannt, aber nach Angaben eines Flücht⸗ lings wurden 23 getödtet, 14 verwundet, viele vermißt. Der Verlust der Gesellschaft betragt 3 Todte und 10 Vermwundete, darunter Offizier Thompson. Rogers vermochte nicht die Pallisadenwerke ein⸗ zunehmen, ohne großen Menschenverlust zu riskiren: deshalb zog er sich gegen Abend unbehelligt langsam zurück. Alle Wasserbrunnen waren vergiftet, aber Rogers war glücklicherweise gewarnt worden. Er erklärt, mit leichten Feldgeschützen hätte er die Befestigungen ohne Schwierigkeit nehmen und den Sieg vervollständigen können.
1“ Kunst und Wisfenschaft.
ꝓ† Die lebhafte Aufmerksamkeit der Kunstfreunde und Kunst⸗ gewerbetreibenden verdient eine im Kunstgewerbe⸗Museum aus⸗ gestellte Sammlung von Arbeiten des Pariser Medailleurs Louis Oskar Roty, welche unlängst von der Generalverwaltung der Königlichen Museen erworben ist. Es handelt sich um Medaillen und Plaketten, jene kleinen Metallreliefs mit figürlichen Darstellun⸗ gen, wie sie uns aus den Sammlungen italienischer Renaissanceplastik gut bekannt sind. Seit noch nicht allzulanger Zeit hat sich der Sammeleifer, besonders französischer Kunstfreunde, diesem Gebiere der Kleinplastik zugewandt. Die in den öffentlichen und privaten Samm⸗ lungen von Paris zusammengebrachten Vorbilder aus der Zeit der italienischen Frührenaissance Se hier die Technik wieder neu er⸗ stehen lassen. Der Medailleur Oudiné gehörte mit zu den Ersten, welche sich auf diesem Gebiete hervorthaten, aber auch Monumental⸗ bildhauer wie Carpeaux und Chapu verschmähten es nicht, in diese kunstgewerbliche Thätigkeit fördernd einzugreifen. Die Arbeiten Roty's, welche bereits auf der letzten Münchener Ausstellung in deutschen Kennerkreisen Aufsehen und Bewunderung erregten, zeichnen sich durch erlesenen Geschmack in der Erfindung und Zeichnung eben⸗ sowohl wie durch Finesse der technischen Ausführung aus. Nur zum geringen Theil sind diese Denkmünzen und Plaketten mit Stempeln geprägt, die Mehrzahl ist vielmehr nach Wachsmodellen gegossen und von der Hand des erfindenden Künstlers nachciselirt. Bei aller Sauberkeit und Zartheit der Durchführung vermißt man doch nie die Sicherheit und Großzügigkeit eines frei schaffenden Künstlers. Als besondere Meisterleistungen seien die Chevreuilmedaille und die Denk⸗ münze auf die Eröffnung der französischen Bahn von Algier nach Constantine genannt. Diese Verwendung der Medailleurkunst zur Verewigung wichtiger Ereignisse, bedeutender Persönlichkeiten, festlicher Begebenheiten ꝛc. ist auch in Deutschland nicht unbekannt. Anton
arff in Wien gilt als der hervorragendste deutsche Vertreter dieses Kunstzweiges. Neu dagegen dürfte vielen der Gebrauch sein, auch das Gedächtniß an familiäre Ereignisse und Beziehungen in diesen kleinen Erzgüssen und Prägemedaillen zu verewigen. Zwar kennen wir auch Tauf⸗ medaillen und ähnliches, aber zumeist fehlt diesen für den allgemeinen Bedarf gearbeiteten Stücken der intime Reiz individueller Beziehung zu dem besonderen Vorgang. Roty hat seine ganze Familie in Erz verherrlicht: da finden wir das Doppelbildniß seines schlichten Eltern⸗ paares, seine beiden Kinder Maurice und Jeanne, das Porträt seiner Gattin mit der rührenden Inschrift: „Tuum carissima conjux vultum aere fixi, ut te semper ante oculos habeam juvenem semper et felicem.“ Auch solche Inschrift verräth, daß wir es mit einem feinempfindenden und gebildeten Künstler, nicht mit einem vir⸗ tuosen Handwerker zu thun haben. In dem Freundeskreis Roty's begegnen uns die feinsinnigen Kenner alter Kunst: Georges Duplessis, der Vorsteher des Kupferstichcabinets der Bibliotheque Nationale und Leopold Delisle, der Verwalter und Erforscher der reichen Miniaturenschätze der gleichen Sammlung. Zwischen Miniatur und Kupferstich nimmt auch die Gedenkmünze und Bildnißplakette ihren Platz ein als ein künstlerisch vornehmer und monumentaler Ersatz der Photographie. Welch' ein hübscher Gedanke z. B. wäre es, wenn der Gastgeber den Theilnehmern einer größeren Festlichkeit ein dauerndes Erinnerungszeichen an die frohverlebten Stunden in Gestalt einer künstlerisch durchgeführten Plakette verehrte! In Hamburg, dessen Kunsthalle zur Zeit die reichhaltigste Sammlung moderner französischer Medailleurarbeiten besitzt, besteht z. B. der alte Brauch, bei ähnlichen Gelegenheiten eine goldene Schaumünze, den sog. Portugalöser zu vertheilen, der, obwohl er festen Geldwerth besitzt, doch nicht zu den cursirenden Münzen gehört. Hier könnte die Plakette einen künstlerisch werthvollen Ersatz liefern. Roty hat übrigens auch Courantmünzen geprägt, wie z. B. das goldene Hundertfrancsstück des Fürsten von Monaco beweist. Aber wesentlich freier und geistreicher zeigt sich seine Kunst in den größeren viereckigen, ovalen und runden Plaketten, deren Guß von vollendeter Reinheit, nur in seltenen Fällen noch der Nach⸗ ciselirung bedurfte. Es ist zu hoffen, daß die Ausstellung seiner Arbeiten, welche, wie wir hören, nur den Grundstock einer umfang⸗ reicheren Sammlung ähnlicher Kunstwerke bilden sollen, auch unserem heimischen Kunstgewerbe reiche Anregung und Förderung bieten wird.
Literatur.
Unterhaltung. 1
— Die am 26. März erschienene Nummer 2543 der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ (J. J. Weber) enthält folgende Abbildungen: Der Tod des Großherzogs Ludwig IV. von Hessen, 2 Abbildnngen von E. Limmer: Großherzog Ernst Ludwig am Sarge seines Vaters im Mausoleum auf der Rosen⸗ höhe. Die Leiche auf dem Paradebett. — Die Brotvertheilung an Arbeitslose in Wien, 2 Abbildungen, Originalzeichnungen von W Gause. Johann Amos Comenius. (Zum 300 jährigen Ge⸗ burtstage.) Das neue Armeedenkmal in der Feldherrnhalle in München. Der Schneesturm in Wien in der Nacht vom 10. zum 11. März. Schießergebnisse mit dem neuen deutschen kleinkalibrigen Gewehr: Schießen durch gefrorene Schneewälle auf Scheiben. — Paul de Lagarde, †am 22. Dezember 1891. Karl Credé, † am 14. März 1892. Der Athlet Rasso im Circus Renz, ein ganzes Orchester hebend, nach einer Skizze von E. Hosang. — Berliner Bilder: Ein Straßenbild während der “ Nach einer Skizze von E. Hosang. — Japanischer Messerwerfer. — Das Gruben⸗ unglück zu Anderlues (Belgien), nach photographischen Aufnahmen ge⸗ zeichnet von E. Limmer. — Merkwürdige Kopfformen bekannter Per· sonen aus dem Album der Hutsabri von Hermann Haugk in Leipzig. 40 Abbildungen. — Polytechnische Mittheilungen. — Moden.
— Im 17. Heft der illustrirten Zeitschrift „Zur guten Stunde“ (Berlin W. 57, Deutsches Verlagshaus von Bong u. Co.) behandelt ein Aufsatz von W. Gallenkamp die Wunderwelt des
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Saturn, die den Bewohnern unseres Planeten so viele, zum theil noch
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