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Das Gesetz aufzunehmen, aß sie mindestens drei Jahre als Lehrhäuer
thätig gewesen sein müßten. Er bitte, den Antrag anzunehmen.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Für die Anregung, die der Regierung durch den Antrag der Herren gegeben wird, bin ich in der That sehr dankbar, weil ich, wie ich mich schon in der Commission ausgedrückt habe, dem Grund⸗ gedanken durchaus beitreten kann. Das führt mich aber nicht zu dem Schluß, das hohe Haus zu bitten, den Antrag der Herren Antrag⸗ steller anzunehmen.
Meine Herren, die Bedeutung dieses Antrages liegt auf der einen Seite in den großen Gefahren, die die Arbeit im Bergwerk mit sich bringt, auf der andern Seite in der Thatsache, daß bei steigender Conjunctur die Zahl der beschäftigten Bergarbeiter sich plötzlich sehr erheblich vermehrt, und daß die Rekrutirung dieser Bergarbeiter aus Kreisen stattfindet, die in der Regel von der Bergarbeit garnichts verstehen. Es hat z. B. im Ober⸗Bergamtsbezirk Dortmund die Durchschnittszahl der Bergarbeiter in den Steinkohlengruben 1890 127 800 betragen, 1891 138 600, also in dem einen Jahre ein Zu⸗ wachs in dem einen Ober⸗Bergamtsbezirk von 10 800 Bergarbeitern gleich 8,4 %. Nun ist das Wesentlichste dabei, daß diese Neuhinzu⸗ gekommenen aus Provinzen stammen, wo sie mit dem Bergbau nichts zu thun gehabt haben, daß die wenigsten dieser großen hinzu⸗ strömenden Arbeiterzahl in irgend einer Weise mit dem Bergbau vertraut oder zu demselben angelernt sind. Nach der Ansicht unserer Bergbehörden ist dieser Umstand einer der wesentlichsten Gründe, daß die preußische Bergwerks⸗Unfallstatistik so ungünstig steht, zu meinem Bedauern ungünstiger, als in den meisten anderen bergbautreibenden Staaten. Es handelt sich hierbei ja nicht nur um die Unfälle, die beim Publikum am meisten be⸗ kannt sind, um Unfälle, die durch schlagende Wetter herbeigeführt werden; es giebt eine ganze Reihe anderer Unglücksfälle, die in ihrem Procentsatz die Unglücksfälle durch schlagende Wetter übersteigen. Das sind insbesondere die Unglücksfälle, die durch Stein⸗ fälle herbeigeführt werden; und die Ursachen sind in beiden Fällen, bei den schlagenden Wettern wie bei den Unglücksfällen durch Stein⸗ fall, in der Regel die Unvorsichtigkeit der Arbeiter, und der Grund dieser Unvorsichtigkeit wieder liegt in dem völligen Unvertrautsein mit den Arbeiten und der Beschaffenheit der Bergwerke, in denen die Leute zu thun haben.
Nun ist infolge dieses Umstandes nicht bloß bei den Bergbehörden, sondern auch in den Kreisen der Berg⸗ arbeiter, bei den bergbaulichen Vereinen, bei der Knappschafts⸗ berufsgenossenschaft diese Frage schon vielfach in Erörterung gezogen. Man kann wohl sagen, daß heute die Ansicht all⸗ gemein ist, daß die Abhilfe für diese Zustände nur darin zu suchen ist, daß zur selbständigen Bergarbeit unter Tage nur gelernte Bergarbeiter zugelassen werden. Ueber die Ausführungsmöglichkeit haben vielfach Erwägungen stattgefunden, diese Erwägungen haben aber bisher zum Abschluß noch nicht führen können, weil, meine Herren, in der That die Schwierigkeiten, die sich der Ausführung dieser als gut erkannten Maßregel entgegenstellen, ganz außerordentliche sind. Es müßte, wenn sie zur Ausführung gebracht würde, wenigstens, wie ich die Sache vorläufig ansehe, dazu übergegangen werden, die ganze Masse der Bergarbeiter neu zu organisiren und zu klassifiziren. Wir müßten Unterschiede machen nach Schleppern, nach Lehrhäuern und nach Voll⸗ häuern, die Listen der Bergwerke müßten darnach geführt werden, es würde eine völlige Umkehr des augenblicklich auf den meisten Bergwerken wenigstens bestehenden Zustandes stattfinden — nicht auf allen; denn es ist mir wohlbekannt, daß wir einzelne Gruben haben, z. B. die niederschlesischen, wo diese Abstufung sich erhalten hat und heute noch festgehalten wird, wo kein Vollhäuer zugelassen wird, der nicht einige Jahre als Lehrhäuer, und keiner als Lehrhäuer, der nicht einige Jahre als Schlepper gearbeitet hat.
Nun, meine Herren, kommt ferner hinzu: wenn das alles gelingt, wenn man diese neue Organisation, diese neue Klassification und Listenführung wirklich eingeführt hat, dann entsteht die Frage der Controle, die ganz außerordentlich schwierig ist. Sie müssen sich einen großen Bergbetrieb vorstellen, wo an hundert Orten unter Tage die Leute arbeiten, wo eine vollständige Aufsichtsführung durch die Behörden überhaupt nicht möglich ist — augenblicklich kann ich mir kein Bild machen, wie das geschehen soll —. Es wird unendlich schwierig sein, zu controliren, ob nicht ein Schlepper zu einer Arbeit von seiner Belegschaft heran⸗ gezogen oder zugelassen wird, die er eigentlich nicht verrichten darf.
Endlich, meine Herren, möchte ich noch auf eins hinweisen, was sich als die Wirkung einer solchen Maßregel zweifellos heraus⸗ stellen wird, übergangsweise wenigstens zweifellos: eine Ver⸗ minderung der Production. Auch das ist ein Moment, was jedenfalls in Erwägung gezogen werden muß, ein Moment, was viel weniger die Grubenbesitzer und Bergleute hindern wird, zu einer solchen Maßregel ihre Zustimmung zu geben, als die Consumenten. Sie wissen ja, daß heute sowohl von Seiten der Bergwerksbesitzer wie von Seiten der Bergleute darauf hingearbeitet wird, die Preise der Kohlen nach Möglichkeit hoch zu halten; Sie würden diesen Bestre⸗ bungen durch eine solche Maßregel bis zu einem gewissen Grade und bis zu einer gewissen Dauer zu Hilfe kommen, die Consumenten würden für einige Zeit nach meiner Meinung zweifellos unter einer solchen Maßregel zu leiden haben. Jedenfalls, meine Herren, geht daraus hervor, daß diese ganze Sache nach allen Richtungen einer eingehenden und sorgfältigen Erwägung bedarf, und daß es nicht gerathen ist, ehe diese Erwägung abgeschlossen ist, einen positiven Satz in die Gesetzgebung aufzunehmen, wonach nur gelernte Bergarbeiter zur Häuerarbeit herangezogen werden, und noch viel weniger meines Erachtens kann man dazu übergehen, wozu die Herren Antragsteller sich heute entschlossen haben, für eine bestimmte Art des Bergwerks⸗ betriebes eine bestimmte Zeit als Lehrhäuer vorzuschlagen. Wenn Sie allgemein sagen, daß in allen Steinkohlengruben keiner als Vollhäuer zugelassen wird, der nicht drei Jahre Zeit als Lehrhäuer gearbeitet
hat, so geht das meines Erachtens auch für die Zukunft viel zu weit. Es wird eine Reihe von Bergwerken geben, wo eine kürzere Zeit als drei Jahre genügt.
Nun, meine Herren, das wesentlichste bei dieser ganzen Sache ist
eines Erachtens das, daß jeder Bergmann nicht zur selbständigen Bergarbeit zugelassen wird, wenn er nicht einige Zeit unter einem älteren erfahrenen Bergmann als Lehrhäuer gearbeitet hat. Das ist meines Erachtens der richtige Grund, der in diesem Vorschlage liegt, und soweit ich die Verhandlungen in der Commission verstanden habe, hat sich darüber auch Uebereinstimmung gezeigt; man erkennt, daß es im
Interesse der Sicherheit des Betriebes, im Interesse des Lebens und der Ge⸗ sundheit der Arbeiter nothwendig ist, daß von dem Zustande abgegangen wird, daß ein ungelernter Arbeiter mit der schwierigsten, mit der bedenk⸗ lichsten und mit der gefährlichsten Arbeit betraut wird.
Dieser Grundsatz, daß der Gefährlichkeit des Betriebes wegen nicht jeder Arbeiter ohne weiteres als Vollhäuer zugelassen wird, hat in den Polizeiverordnungen verschiedener Ober⸗Bergämter bereits Ausdruck gefunden. In der Halleschen Polizeiver⸗ ordnung vom 10. Dezember 1884 ist bestimmt: 1
In der Häuerarbeit unerfahrene Arbeiter dürfen bei dieser nicht allein angelegt werden.
Der Grundsatz ist ja also hier schon zum Ausdruck gekommen. Noch weiter geht die Breslauer allgemeine Berg⸗Polizeiverordnung vom 2. Januar 1888; sie bestimmt:
Arbeiter, welche nicht mindestens ein Jahr lang als Lehrhäuer unter der Aufsicht eines erfahrenen Häuers gearbeitet haben, dürfen bei der Häuerarbeit nicht allein angelegt werden.
Hier finden Sie fast alles das, was meines Erachtens für die Sache genügend wäre; nur eins fehlt in der Verordnung, die Control⸗ vorschrift, und ich bin deshalb nicht in der Lage, zu sagen, welche Wirkung diese Polizeiverordnung bis jetzt gehabt hat. Ich werde aber nicht ermangeln, darüber eingehende Ermitte⸗ lungen anzustellen. Jedenfalls sehen Sie, meine Herren, daß ein Anfang auf dem von Ihnen vorgeschlagenen Wege und zwar ein ziemlich bedeutender Anfang bereits gemacht ist. Sie werden ferner erkennen, daß die Behörden nicht nur, sondern auch die be⸗ theiligten Kreise sich eingehend mit der Erwägung darüber be⸗ schäftigt haben, in welcher Weise dem anerkannten Mißstande abzu⸗ helfen ist. Ich werde es mir angelegen sein lassen, diese Er⸗ wägungen so bald wie möglich zum Abschluß zu führen, bin aber der Meinung, daß die Erledigung der Sache, so wie das theilweise schon geschehen ist, in vollständig ausreichendem Maße durch die Berg⸗Polizei⸗ verordnungen geschehen kann, und ich halte es nicht für nöthig, die Gesetzgebung deswegen in Gang zu setzen. Und schließlich, wenn Sie den Antrag ansehen, werden Sie doch finden, daß der wesentlichste Theil der Aufgabe auch hier den Ober⸗Bergämtern zugewiesen ist; Sie haben die nähere Vorschrift den Ober⸗Bergämtern überlassen. In dem Antrag ist nur ausgesprochen worden: es sollen nur gelernte Bergleute als Vollhäuer zugelassen werden. Die Schwierigkeit liegt nicht in der Erkenntniß der Richtigkeit dieses Satzes; die Schwierig⸗ keit liegt in der Ausführung. Auch Sie wollen diese Ausführung den Ober⸗Bergämtern überweisen und deshalb, glaube ich, können Sie mir zustimmen, wenn ich Ihnen in Aussicht stelle, daß die Regelung dieser Angelegenheit im Wege der Berg⸗Polizeiverordnung so bald als möglich erfolgen wird, nach⸗ dem wir conferirt haben mit allen bei dieser Frage betheiligten Körperschaften, zu denen z. B. auch in sehr starkem Maße die Knapp⸗ schafts⸗Berufsgenossenschaft gehört.
Abg. Vopelius (freicons.): Er sehe nicht ein, warum der Abg. Hitze nicht auch die alte berggesetzliche Bestimmung beibehalten wolle, daß ein Bergwerksunternehmer Leute, von denen er wisse, daß sie schon vorher im Bergbau beschäftigt gewesen seien, nur wenn sie ein Zeugniß ihres letzten Arbeitgebers besäßen, anstellen dürfe. Sein Antrag erscheing ihm nach den Ausführungen des Ministers zur Zeit nicht annehmbar, er werde gegen ihn stimmen.
Abg. Engels (freicons.): Nach den Ausführungen des Ministers liege kein Grund vor, die Commissionsfassung durch die vom Abg. Hitze vorgeschlagene zu ersetzen, darum bitte er, diesen letzteren An⸗ trag abzulehnen. 3 8 3
Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (cons.): Dem in dem Antrag Hitze enthaltenen Gedanken ständen seine Freunde sehr sym⸗ pathisch gegenüber, sie wünschten für jede Arbeit, zu der eine besondere Geschicklichkeit nöthig sei, den Nachweis der Befähigung. Sie würden aber gegen den Antrag stimmen, weil er, soweit er die all⸗ gemeine Befähigung der Bergarbeiter betreffe, eigentlich nur eine Resolution darstelle; die näheren Bestimmungen könnten nur die Regierung oder die Ober⸗Bergämter geben, und dabei mässe noch auf jeden einzelnen Spezialfall besonders Rücksicht genommen werden. Den anderen Theil des Antrages könnten sie darum nicht annehmen, weil sie nicht wüßten, ob die Frist von drei Jahren genüge oder zu kurz sei, und sie ohne genügende Information in dieser wichtigen Sache keinen definitiven Beschluß gefaßt sehen möchten.
Abg. Bachem (Centr.): Er danke dem Vorredner dafür, daß er für die Idee des Befähigungsnachweises eingetreten sei, aber eine bloße Resolution könne er in dem ersten Theil des Antrages nicht erkennen; denn wenn auch das Ober⸗Bergamt die genauere Bestimmung über die Art der Durchführung haben müsse, so sollten eben die Ober⸗ Bergämter hierdurch gezwungen werden, irgend welche Bestimmungen zu treffen. Er glaube nach dem Gang der Debatte, daß, wenn selbst der Antrag seiner Partei heut abgelehnt werden sollte, ein diese Materie regelndes, von der Regierung einzubringendes Gesetz große Aussicht auf Annahme habe; auf Polizeiverordnungen bitte er den Minister nicht zu reeurriren, es handele sich um einheitliche, gesetzliche Regelung des Gegenstandes. Früher sei die Unterscheidung zwischen Lehr⸗ und Vollhäuern überall durchgeführt worden, erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts habe sie aufgehört, er sehe aber nicht ein, warum das, was früher Rechtens gewesen sei, nicht wiederum gesetzlich solle eingeführt werden können. Die Rücksicht auf die Consu⸗ menten sollte von dem Minister doch nicht der auf die Arbeiter vor⸗
tezogen werden, wie er thue, wenn er sich gegen den Antrag mit n sicht auf die dadurch entstandene Erhöhung der Kohlenpreise erkläre. Die Nothwendigkeit einer Aenderung des gegenwärtigen Systems werde allseitig, auch von Bergbehörden und Bergwerksbesitzern anerkannt, und zur Abhilfe sei nur die Einführung des Befähigungs⸗ nachweises geeignet. Seine Partei wolle ja den landwirthschaft⸗ lichen Arbeitern die Möglichkeit nicht nehmen, im Bergbetriebe einen besonderen Erwerb zu finden, aber leichtsinnig dürfe man dabei nicht verfahren. Wolle das Haus den Antrag heute nicht annehmen, so bitte er es um sein Wohlwollen für die Zeit, wo der Minister oder seine (des Redners) Partei mit einer gesetzlichen Formulirung der Materie vor es treten werde.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat unter anderem bemerkt, der Minister solle doch mehr auf das Wohl der Arbeiter sehen als auf den Consumentenstand. Es liegt darin ein Vorwurf, den ich nicht glaube verdient zu haben. Ich habe mich ausdrücklich einver⸗ standen erklärt mit dem Gedanken des Antrags und habe ausdrücklich erklärt, daß ich das meinige dazu beitragen würde, ihn in den möglichen Grenzen zu verwirklichen. Schon daraus geht hervor, daß für mich die Frage der Sicherheit der Arbeiter den Ausschlag giebt, nicht die Frage der Preisgestaltung für die Consumenten. Daß ich aber die Frage mit erwähnt habe als eine einer plötzlichen Regelung der Sache entgegen⸗ stehende, ist gewiß gerechtfertigt. Die Folge einer solchen Maß⸗ regel ist für mich ganz zweifellos die, daß wir zeitweise eine Preiserhöhung haben werden, namentlich wenn sie in Zeiten aufsteigender Conjunctur eingeführt wird. Daraus schließe ich aber nicht, daß die Maßregel unterbleiben soll, sondern
nur, daß man bei der Ausführung die nöthigen Cautelen finden soll, um den bezeichneten Mißstand zu beseitigen. Solche Cautelen würden dadurch zu finden sein, daß man nicht plötzlich eine zu lange Zeit für den Dienst als Lehrhäuer oder Schlepper einführt.
Wenn ich noch kurz zurückkomme auf den Antrag, den die Herren gestellt haben, so möchte ich darauf hinweisen, daß ich auch nach den Ausführungen des Herrn Vorredners zweifelhaft geworden bin, ob die Fassung des Absatzes 1 als acceptabel anzusehen ist. Zunächst will ich vorweg bemerken, daß die Bezeichnung der Arbeit, „welche Leben und Gesundheit der Mitarbeiter gefährdet“, mir nicht ganz zu⸗ treffend erscheint. Ich glaube, daß man richtiger sagen würde: „alle Arbeiten unter Tage.“
Dann aber geht aus den Ausführungen des Herrn Vorredners meines Erachtens hervor, daß er unter den Worten: „welche den Be⸗ weis erbringen, daß sie für die bezügliche Arbeit befähigt sind“, die be⸗ stimmte Form eines Befähigungsnachweises versteht; er hat ausdrück⸗ lich das Wort gebraucht. Nun war ich bis dahin der Meinung, daß der Sinn des Antrages ein allgemeiner war: daß dem Ober⸗Bergamt überlassen sein sollte, zu bestimmen, in welcher Weise nachgewiesen werden soll, daß ver gelernte Arbeiter befähigt ist, die Arbeit eines Lehrhauers oder Vollhäuers vorzunehmen. In diesem Falle würde es ja auch genügen, daß z. B. bestimmt wird: der Bergmann muß wenigstens drei Jahre als Schlepper und drei Jahre als Lehr⸗ häuer angestellt sein. Ich bin darin irre geworden, weil der Herr Vorredner ausdrücklich von Befähigungsnachweis sprach; das könnte man als Prüfung deuten. Ich kann nur bemerken, daß ich bei der Masse von Bergarbeitern, die in Frage sind, die Veranstaltung von Prüfungen unter Tage und die Einsetzung von Commissionen für Prüfungen für unmöglich halte.
Abg. Jerusalem (Centr.) weist darauf hin, daß die Unfall⸗ statistik, namentlich in Steinkohlenbergwerken, beweise, wie durch die Zunahme der Zahl der ungelernten Bergarbeiter die Gefährlich⸗ keit des Betriebes zugenommen habe. Deshalb sei es nothwendig, einen Befähigungsnachweis in irgend welcher Form einzuführen.
g. Stötzel (Centr.) ergänzt diese Ausführungen durch Bei⸗ spiele aus dem praktischen Leben. . * 8
g. Dr. Hammacher (nl.): Die Gründe für den Antrag seien so schwerwiegend, daß kaum ein Abgeordneter sein werde, der sich nicht auf den Boden des Antrags stelle; aber es sei doch schwierig, die Sache jetzt in Angriff zu nehmen nach den formellen Bedenken, welche der Minister hier vorgetragen habe. Das zweck⸗ mäßigste werde es wohl sein, den Antrag zur Zeit zurückzuziehen, nachdem man sich von allen Seiten für die Tendenz des Antrags erklärt habe. 1 8
Abg. von Erffa (cons.): Er stehe dem Antrag Hitze sehr sympathisch gegenüber. Vom Standpunkt der Landwirthschaft im Osten habe man gar keine Veranlassung, dem Zuzug der Arbeiter nach dem Westen irgendwie Vorschub zu leisten. Das werde aber geschehen, wenn die Bergwerksbesitzer die Möglichkeit hätten, an die Stelle der Geschick⸗ lichkeit, welche durch diese Vorschrift gefordert werde, die einfache rohe Kraft zu setzen, und das seildas einzige, was die Leute aus dem Osten mit sich brächten. Würden aber diese Vorschriften eingeführt, dann würden die Bergleute nicht so zahlreich nach dem Westen gehen.
Abg. Schmieding (nl.): Seine Partei sei ebenfalls mit dem Grundgedanken des Antrags einverstanden. Eine bessere Vorbildung der Bergarbeiter, namentlich der jüngeren Elemente, sei ein dringen⸗ des Bedürfniß. Nachdem aber der Minister erklärt habe, daß die Sache heute zur Entscheidung noch nicht reif sei, könne sie den Antrag unmöglich in der vorgeschlagenen Form annehmen. ich ihg Hitze (Centr.) erklärt, daß er seinen Antrag nicht zurück⸗ ziehen könne. 1“
Abg. von der Reck (cons.) schlägt vor, den Antrag und den § 85 an die Commission zurückzuverweisen. ““
Die Zurückverweisung wird abgelehnt. § 85 wird darauf unter Ablehnung des Antrags Hitze, für den neben dem Centrum auch einige Conservative, u. a. Sack, von Busse, von Meyer⸗ Arnswalde, von Erffa, von Oertzen (Bromberg), Stöcker, Kropatscheck, Wüsten, von Bandemer, Cremer, von Puttkamer⸗ Plauth, von Puttkamer⸗Nipkau, Jacobs, Bohtz, von Enckevort, stimmen, nach dem Antrag der Commission angenommen.
Darauf wird um 3 ½ Uhr die weitere Berathung vertagt.
Revisionsentscheidungen des Reichs⸗Versicherungsamts, Abtheilung für Invaliditäts⸗ und Altersversicherung.
127) In einer Revisionsentscheidung vom 29. Februar 1892 hat das Reichs⸗Versicherungsamt — in Uebereinstimmung mit dem Schiedsgericht — einen an der katholischen Kirche einer kleinen nord⸗ deutschen Stadt mit einem Jahresgehalt von 840 ℳ einschließlich aller Nebeneinnahmen angestellten Organisten als einen Gebilfen der Kirchengemeinde im Sinne des § 1 Ziffer 1 des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes angesehen und infolge dessen seine Rentenberechtigung anerkannt. In den Gründen wird aus⸗
geführt: Es kaäßt sich nicht verkennen, daß der Kläger
eine Ausbildung genossen hat, wie sie oft Künstlern nicht anders zu theil wird. Hierauf aber kommt es ebensowenig an, wie auf die Begabung, die er besitzt; entscheidend ist vielmehr, welches Maß von Ausbildung und Fähigkeiten zur Ausfüllung der ihm über⸗ tragenen Stelle erforderlich ist. In dieser Hinsicht ist festgestellt, daß die Anordnung und Leitung der Gesänge und der musikalischen Aufführungen nicht dem Kläger, sondern einem ihm vorgesetzten Cantor zusteht, während die Thätigkeit des Klägers sich darauf beschränkt, den Weisungen des Geistlichen und des Cantors gemäß die Gesänge des ersteren, der Gemeinde und des Chors auf der S zu begleiten. Ein solches Orgel⸗ spiel in der Kirche einer kleinen Stadt muß bei der regel⸗ mäßigen Wiederkehr derselben Melodien immer mehr zu einer rein manuellen Thätigkeit werden und kann im großen und ganzen als eine Kunstleistung nicht angesehen werden. Jedenfalls bedarf es, um den Anforderungen, die an einen Organisten solcher Art gestellt werden, weder einer über das Maß gewöhnlichen Musikunterrichts hinaus⸗ gehenden Ausbildung, noch der Entfaltung einer höheren geistigen Thätigkeit, wie solche bei dem ausübenden Künstler gefunden wird, dessen Bestreben es ist, durch schöpferische Leistungen bei den Hörern den Eindruck des Schönen hervorzurufen. Dazu kommt, daß auch das Stelleneinkommen so gering bemessen ist, daß von ihrem Inhaber künst⸗ lerische Leistungen nicht erwartet werden können, und daß derselbe da⸗ durch keineswegs befähigt erscheint, sich in socialer Beziehung über den Kreis der „Gehilfen“ im Sinne des Invaliditäts⸗ und Altersversiche⸗ rungs⸗Gesetzes zu erheben. (Zu vergleichen Bescheid 3, „Amtliche Rachrichten des R.⸗V.⸗A. J.⸗ u. A IV⸗ 1891 Seite 53.)
128) In einer Revisionsentscheidung vom 29. Februar 1892 hat das Reichs⸗Versicherungsamt die Versicherungspflicht eines in einer Stadt der Provinz Hessen⸗Nassau thätigen Fleisch⸗ beschauers verneint und demselben — in Uebereinstimmung mit dem Schiedsgericht — die Altersrente abgesprochen. In den Gründen heißt es: Zunächst unterliegt es keinem Zweifel, daß die Fleischbeschauer als Arbeiter oder Gehilfen derjenigen Personen, welche ihre Thätigkeit in Anspruch nehmen, nicht gelten können. Denn sie sind der Aufsicht und Leitung ihrer Auftraggeber bei der Arbeitsausführung nicht unter⸗ worfen und an der Bethätigung ihres eigenen Willens nicht behindert, nehmen vielmehr die ihnen übertragenen Untersuchungen nach ihrem freien Ermessen vor, in dem sie lediglich durch gesetzliche und instructio⸗ nelle Vorschriften beschränkt sind. Ebensowenig kann aber auch der
Kläger in seiner Eigenschaft als Fleischbeschauer nach den in der Hevdhe Hessen⸗Nassau geltenden Vorschriften als ein Arbeiter oder ilfe der Gemeinde oder der Behörde, die ihn angestellt hat, an⸗ gesehen werden. Die Fleischschau gehört zu denjenigen Ge⸗ werben, welche nach § 36 der Gewerbeordnung frei betrieben werden dürfen. Wenn nun auch diese Bestimmung, welche lediglich die Gewerbefreiheit der die betreffenden Gewerbe ausübenden Unter⸗ nehmer ausspricht, die Frage aber, wer als ein solcher Unternehmer zu erachten ist, dahingestellt sein läßt, nicht unter allen Umständen 18 zwingt, die darin bezeichneten Personen als selbständige Gewerbe⸗ treibende zu behandeln, so wird doch im allgemeinen davon auszugehen sein, daß die Thätigkeit jener Personen in der Regel unter den Be⸗ griff eines selbständigen Unternehmens fällt. Selbständige Gewerbe⸗ treibende bleiben die im § 36 bezeichneten Personen regelmäßig auch dann, wenn sie von einer verfassungsmäßig dazu befugten Staats⸗ oder Communalbehörde öffentlich angestellt und auf die Beobachtun der bestehenden Vorschriften beeidigt sind (Revisionsentscheidungen 5 und 73, „Amtliche Nachrichten des R.⸗V.⸗A. J.⸗ u. A.⸗V.“ 1891 Seite 161 und 178). Was die besonderen Verhältnisse der Provinz Hessen⸗Nassau betrifft, so folgt die Befugniß der dortigen Polizeibehörden, Fleischbeschauer öffentlich anzustellen und zu beeidigen, aus den §§ 5, 6 ff., 18 der Verordnung über die Polizeiverwaltung in den neu erworbenen Landestheilen vom 20. September 1867 (Preußische Gesetz⸗Samml. 1867 S. 1529), wonach die Polizei⸗ behörden ermächtigt sind, polizeiliche Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit zu erlassen und alle Einrichtungen zu treffen, welche zur Durchführung der hierauf abzielenden Maßregeln erforderlich sind (zu vergleichen Verfügung der Königlich preußischen Ressort⸗Minister vom 6. April 1877, Ministerialblatt für die ge⸗ sammte innere Verwaltung 1877 S., 166). Wenn nun die Polizei⸗ behörde, um für die Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit der von den Fleischbeschauern vorzunehmenden Untersuchungen und zu er⸗ stattenden Gutachten eine größere Gewähr zu schaffen, von jener Be⸗ fugniß Gebrauch macht, so erlangen dadurch zwar die von ihnen in ihrem Gewerbebetriebe vorgenommenen Handlungen in gewissem Umfange öffentlichen Glauben; ihre persönliche und gewerbliche Selbständig⸗ keit wird dadurch aber nicht beeinträchtigt (Revisionsentscheidung 53, „Amtliche Nachrichten des R.⸗V.⸗A. J.⸗ u. A.⸗V.“ 1891 Seite 161). Nicht minder ist es auch mit der persönlichen Unabhängigkeit eines selbständigen Gewerbetreibenden wohl vereinbar, wenn den amtlich bestellten Fleischbeschauern bestimmte Bezirke, auf welche sie sich bei der Ausübung ihrer Functionen zu beschränken haben, zugewiesen und sie verpflichtet werden, innerhalb ihres Bezirks alle von ihnen verlangten Untersuchungen vorzunehmen; denn es handelt sich dabei lediglich um die Abgrenzung der Rechte und Pflichten einer Klasse der unter § 36 der Gewerbeordnung fallenden Gewerbetreibenden, sowie um eine Bestimmung darüber, auf welche Weise das Publikum sich einer ihm durch Polizeiverordnung auferlegten Verpflichtung zu ent⸗ ledigen hat (zu vergleichen die vorerwähnte Ministerialverfügung vom 6. April 1877 zu Ziffer 3). Ein persönliches Abhängigkeitsverhältniß zwischen den Gewerbetreibenden und der Behörde wird dadurch nicht geschaffen. Uebrigens liegt die Auffassung, daß die Fleischbeschauer in der Regel ihre Thätigkeit als ein selbständiges Gewerbe betreiben, offenbar auch dem Gesetz, betreffend die Errichtung öffentlicher, ausschließlich zu benutzender Schlachthäuser, vom 18. März 1868 (Preußische Gesetz⸗Sammlung 1868 Seite 277) und dem in Er⸗ änzung und Abänderung desselben crlassenen Gesetz vom 9. März 1881 (Preußische Gesetz⸗Sammlung 1881 Seite 273) zu Grunde, woselbst unter anderem die Fleischbeschauer überall nur als Sachverständige, nirgends aber als Gehilfen, Beamte oder Organe der Polizei oder der Gemeinde bezeichnet werden. Obgleich daher nicht ausgeschlossen ist, daß den Fleischbeschauern unter Umständen, ins⸗ besondere dann, wenn sie in einem Communalschlachthause an⸗ gestellt sind, die Eigenschaft von Gemeindebeamten bei⸗ wohnen kann, so handelt es sich doch offenbar um einen solchen Fall hier nicht. Wenn schließlich in einer Reichs⸗ gerichts⸗Entscheidung vom 20. September 1881 Sn dungen in Strafsachen Band 4 Seite 421) ein in der Provinz Brandenburg auf Grund der für diesen Landestheil erlassenen Polizeiverordnung des Ober⸗Präsidenten vom 26. Mai 1880 öffentlich angestellter Fleischbeschauer schlechthin für einen Beamten im Sinne des § 359 des Strafgesetzbuchs erklärt ist, so wird hierdurch die oben dargelegte Auffassung schon deshalb nicht berührt, weil auf dem Ge⸗ biete des Strafrechts eine Person sehr wohl als „Beamter“ an⸗ gesehen werden kann, der es doch an demjenigen Maße persönlicher Unselbständigkeit und Abhängigkeit gebricht, welches zum Begriff eines versicherungspflichtigen „Arbeiters“, „Gehilfen“ oder „Betriebsbeamten“ 8 Sinne des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungs⸗Gesetzes unbedingt gehört.
Sttatistik und Volkswirthschaft.
Auswärtiger Handel.
Das soeben ausgegebene Märzheft der „Monatlichen Nach⸗ weiseüberden Auswärtigen Handel“ Deutschlands bringt, neben den Nachweisungen über die Mengen der Einfuhr und Ausfuhr im März und in den drei Monaten Januar/ März 1892, mit Unterscheidung von 933 einzelnen Waarengattungen, auch Berechnungen der Werthe der im Specialhandel ein⸗ und ausgeführten Waaren; ebenfalls nach den 933 Gattungen, und zwar für das erste Vierteljahr 1892. Als Grundlage dieser Werthsberechnungen dienen die für das Jahr 1891 festge⸗ stellten Einheitswerthe. Das Kaiserliche Statistische Amt will diese vorläufigen Werthberechnungen vierteljährlich fortsetzen, sodaß im Dezemberheft der „Monatlichen Nachweisungen“, also bald nach Jahresschluß, die Ein⸗ und Ausfuhrwerthe des Jahres, unter Zu⸗ Fnes der Einheitswerthe des Vorjahres, gegeben werden können. Nach Ermittelung der Einheitswerthe für das betreffende Jahr, also zunächst 1892, wird dann diese vorläufige Feststellung durch eine definitive Werthberechnung — die in der ausführlichen Veröffentlichung über den Handel des betreffenden Jahres zu bringen ist — zu ersetzen sein. Das Statistische Amt hofft durch diese vorläufigen Werth⸗ angaben einem aus Fachkreisen seit langem und häufig geäußerten Wunsch entgegen zu kommen, nachdem es kürzlich die Brauchbarkeit seiner Monats⸗Nachweise schon dadurch zu erhöhen gesucht hat, daß sie nicht mehr auf die wichtigeren Waaren beschränkt, sondern auf die gesammte Ein⸗ und Ausfuhr im Specialhandel ausgedehnt sind. Auch wird es infolge von neuerdings ergangenen Bestimmungen des Bundes⸗ raths über die Handelsstatistik künftig möglich sein, die Nachweise schon etwas früher herauszugeben als bishere wo sie vor dem Schluß des auf den Berichtsmonat folgenden Monats nicht erscheinen konnten. Im ersten Vierteljahr betrug der Werth der Einfuhr
28 277 000 ℳ, der Ausfuhr 826 682 000 ℳ
5
Die Einfuhr von Wein und Most in Fässern
in das deutsche Zollgebiet betrug im ersten Vierteljahr 1892:
. FTrinkneeiemen 1“ —: 2 b. Rothverschnittwein. . . 1 466 500 — “ 7823909 9 c. Wein zur Cognacbereitung 58 300 2 33 000
In dem gleichen Zeitraum des Vorjahres wurden 1 3
Wein in Fässern eingeführt, also für 1892 mehr: 112--one
darunter 1 392 700 kg Rothverschnittwein aus Italien. 8 Die Ausfuhr von Wein in Fässern ist im ersten Vierteljahr 1892
auf 1 911 300 kg von 2 359 600 kg des Vorjahrquartals gefallen.
1 ub S des Faßweins beträgt im ersten Quartal 1892
der Bevölkerung im Jahre 18930. en ierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Rei
(Jahrg. 1892 Heft 1) sind folgende Angaben zu .eee Fichh den im Laufe des Jahres 1890 erfolgten Anmeldungen wurden im Gebiete des Deutschen Reichs (bei einer mittleren Bevölkerung von 49 239 000 Einwohnern) 1 759 253 Kinder lebend geboren, davon
158 652 (9 %) außerehelich. Todtgeboren wurden zu gleicher Zeit 61 011 Kinder, darunter 7020 (11,5 %) außereheliche. on je 100 geborenen Kindern sind demnach 3,26 eheliche, 4,24 uneheliche als todtgeboren gemeldet. Weitaus die -vvvS Geburten (täglich 4302) entfielen ausnahmsweise auf den Monat Oktober, was der Influenza⸗ epidemie, welche im Dezember und Januar vorher ihren Höhepunkt erreicht hatte, zugeschrieben werden muß. Die meisten Geburten (täglich 5388) kamen im Dezember vor.
Es starben im Jahre (ausschl. der Todtgeborenen) 1 199 006 eesonen, und zwar am meisten (täglich ca. 4674) im Influenza⸗ Monat Januar, demnächst im Februar (3555) und März (3547);
die wenigsten im Oktober (2836) und November (2858). Der Ueber⸗ schuß der Geborenen beläuft sich für das Jahr 1890 auf 560 247. (Ueber den Einfluß der Influenza auf die Geburten und Sterbefälle des Jahres 1890 werden wir morgen unter „Gesundheitswesen“ nähere Mittheilungen bringen. D. Red.) Auf je 1000 Ein⸗ wohner kamen während des Berichtsjahres im Deutschen Reich 35,7 Lebendgeborene, in Frankreich nur 21,9, in Großbritannien 29,6, in Irland 22,5, in Italien 36,0; es starben LI der Todtge⸗ borenen) auf je 1000 Einw. im Deutschen Reich 24,3, in Frankreich 22,9, in Großbritannien 19,2, in Irland 18,4, in Italien 26,5. Der Geburtenüberschuß war also am beträchtlichsten im Deutschen Reich, (= 11,4 %°), demnächst in Großbritannien (10,4), während in Frank⸗ reich 38 446 Sterbefälle mehr als Geburten vorkamen.
Internationaler Congreß der Volks⸗Credit⸗ Gesellschaften.
In Lyon ist gestern der vierte internationale Congreß der Volks⸗Credit⸗Gesellschaften eröffnet worden. Unter den gewählten Ehren⸗Vice⸗Präsidenten befindet sich auch Raiffeisen als Vertreter des allgemeinen Verbandes der deuts Hen länd⸗ lichen Darlehns⸗Genossenschaften. Der deutsche Delegirte berichtete über sein Princip der Darlehnskassen und schilderte den Betrieb und die Vortheile der Volks⸗Credit⸗Gesellschaften. Die Aus⸗ führungen des Redners wurden, wie „W. T. B.“ berichtet, mit leb⸗ haftem Beifall aufgenommen.
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Zlur Arbeiterbewegung. ““ leber Arbeitseinstellungen und Ausstände liegen heute folgende Nachrichten vor:
Der Theilausstand der Bergarbeiter in Oberschlesien
dauert der „Bresl. Ztg.“ zufolge fort; es scheint wenig Aussicht auf eine baldige Beilegung des Strikes vorhanden zu sein. Wie der „N. Pr. Ztg.“ aus Holtenau über die Arbeitsein⸗ stellung am Nord⸗Osts ee⸗Kanal geschrieben wird (vgl. Nr. 105 d. Bl.), stellten am Montag auf dem Bauplatz der Baugesellschaft Wittkop, Foerster, Cordes und Soenderup an der neuen Schleuse sämmtliche Maurer und Arbeiter, reichlich 600 Mann, die Arbeit ein. Die Vorstellungen der Kaiser⸗ lichen Kanalcommission und der Baugesellschaft, die Arbeiten wieder zu den bisherigen Lohnsätzen aufzunehmen, blieben erfolglos. Die Arbeiter verlangten einen Stundenlohn von durchschnittlich 30 ₰. Am Nachmittag fand die Entlassung sämmtlicher Arbeiter statt, gleichzeitig wurde ihnen der rückständige Lohn ausgezahlt. Abends wurde einer der Strikenden, der einen Bauaufseher zu Boden schlug, verhaftet; sonstige Ausschreitungen sind nicht vorgekommen.
Aus Christianstadt, Kreis Sorau, wird der „Fr. O. Ztg.“ unter dem 2. d. M. geschrieben: Hier ist heute früh ein Ausstand ausgebrochen. Von den in den drei Müller'’'schen Fabhxiken be⸗ schäftigten 450 Arbeitern und Arbeiterinnen wollten heute Morgen etwa 400 wegen eingetretener Lohnstreitigkeiten die Arbeit zur gewöhn⸗ lichen Zeit nicht aufnehmen. Der Fabrikherr gab ihnen zur Ueberlegung eine Frist von 15 Minuten. Da nach Ablauf dieser Zeit die Arbeit nicht angetreten wurde, so forderte der Gendarm die Leute auf, die Arbeit aufzunehmen oder nach Hause zu gehen. e- nach der drei⸗ maligen Aufforderung des Sicherheitsbeamten ging die versammelte Schaar noch nicht gleich vom Platz. Der Auffordernde hielt es darum für seine Pflicht, sein Gewehr mit scharfen Patronen zu versehen; so gelang es ihm, die Menge zum Weggehen zu bewegen. Schaarenweise durchzogen die Ausständigen die Straßen, um endlich ihre Wohnstätten aufzusuchen. Nachmittags nahmen etwa fünfzig Personen die Arbeit wieder auf.
In Aachen stellten, wie der „Köln. Ztg.“ vom gestrigen Tage telegraphisch gemeldet wird, an der W. J. Maaßen'’schen Weberei 1000 Weber und Weberinnen wegen Lohnstreitigkeiten die Arbeit ein.
Hier in Berlin legten in der Marmorwaaren⸗Fabrik von C. Fink die Steinmetzen die Arbeit nieder; Veranlassung nach dem „Vorwärts“ Lohnstreitigkeiten und die neue Fabrik⸗ ordnung.
Aus Wien meldet ein Telegramm des „H. T. B.“ vom heutigen Tage: Die Maurer und Steinmetzgehilfen richteten an ihre Arbeitgeber eine Denkschrift, in der sie fordern, daß die Arbeitszeit Gum 6 Uhr früh beginne und um 6 Uhr Abends schließe und für Frühstück und Vesper je eine halbe Stunde gewährt werde. Für den Fall, daß diese Forderungen nicht bewilligt werden sollten, würden sämmtliche Bauarbeiter Nieder⸗Oesterreichs in den Strike eintreten. .
Aus Kopenhagen berichtet ein Telegramm des „D. B. H.“ Die Beendigung des etwa 10 000 Mann umefassenden vereinigten Ausstandes der Fuhrleute, Grundgräber und der verwandten Bauarbeiter und Hafenarbeiter scheint unmittelbar bevor⸗ zustehen, obwohl die Arbeit noch nicht officiell aufgenommen worden 11. Arbeitgeber haben die schiedsrichterliche Vermittelung ab⸗ gelehnt.
In Liverpool ist, wie die Londoner „Allg. Corr.“ mittheilt,
am Montag ein Strike unter den Steinmetzen ausgebrochen. Im Oktober vergangenen Jahres verlangten die Steinmetze eine Lohnerhöhung von ½ d pro Stunde und Zahlung des Lohnes am Sonnabend um 12 Uhr anstatt 12 Uhr 30 Minuten. Die Arbeitgeber erwiderten mit der Ankündigung einer Lohnherabsetzung bei erhöhter Arbeitszeit, ent⸗ schlossen sich jedoch später zu gewissen Concessionen und wollten es eventuell auf einen Schiedsspruch ankommen lassen. Die Steinmetze haben nun in einer Versammlung vom Sonnabend Abend das Aner⸗ bieten der Meister verworfen und nach der Darstellung des Secretärs des Baumeister⸗Vereins mit Außerachtlassung des vorgeschlagenen Schiedsspruchs den Strike begonnen. 8
Wie ein „D. B. H.“⸗Telegramm aus London meldet, hat die Vereinigung der Spinnereibesitzer von Lancashire eine Deputation ernannt, die mit den Arbeitern ein Uebereinkommen er⸗ zielen und das Ende der Arbeitssperre herbeiführen soll. 1
Die Frage der Organisationsform beschäftigte in Berlin am Dienstag eine öffentliche Versammlung der Tischlergesellen. Die Berliner „Volksztg.“ berichtet über die Versammlung⸗
Aus den Verhandlungen ging hervor, daß von den etwa 20 000 Tischlergesellen Berlins nur etwa 5000 den bestehenden Vereinigungen angehören. Am besten sind die Musikinstrumenten⸗Arbeiter organisirt, diese haben beschlossen, nun auch die in der Branche befchäftigten Frauen aufzunehmen. Nach dem erstatteten Bericht sind in der Strike⸗Controlcommission 50 Gewerkschaften durch 51. Delegirte vertreten. Neu ist der Beschluß dieser Commission, daß nunmehr auch eine Controlmarke für Schneider eingeführt werden soll. Bisher hatten nur die Hutmacher und seit kurzem auch die Textilarbeiter eine solche Marke im Verkehr. Bezüglich der Form einer Organisation gelangte die Versammlung zu keinem Resultat, es soll zunächst noch eine abwartende Stellung eingenommen werden.
Ueber einen internationalen socialistischen
Studentenverein wird der „Magdeb. Ztg.“ aus Zürich
geschrieben: Es war längst bekannt, daß die Mehrzahl der ausländischen
Studirenden an den beiden hiesigen Hochschulen, namentlich die
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Russen, Polen, Ungarn u. s. w. socialistischen und revolutionären Anschauungen huldigen. Indessen bestand bisher keine eigentliche Organisation; diese ist nun bei Gelegenheit der Arbeiter⸗Mai⸗ feier geschaffen worden. Etwa 70 Studenten ünd Polytechniker, unter denen sich nur zwei Schweizer befinden, gründeten nämlich einen internationalen socialistischen Studentenverein. In diesem jungen Verein soll die radicalste Richtung besonders stark vertreten sein, da namentlich alle Nihilisten, die in Zürich studiren oder sich doch
Studirens halber aufhalten, dem Bunde beigetreten seien.
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Gesetze, Verordnungen ꝛc.
Das Reichsgesetz, betr. die Gesellschaften mit be⸗ schränkter Haftung, vom 20. April 1892. Mit einer Ein⸗ leitung über die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und die Charakteristik der neuen Gesellschaftsform. Erläutert von Th. Hergenhahn, Ober⸗Landesgerichts⸗Rath a. D. In Leinen eleg. carton. Preis 3 ℳ Verlag: Otto Liebmann, Buchhandlung für Rechts⸗ und Staatswissenschaften, Berlin W 35, Lützowstraße 27. — Eige werth⸗ volle Einleitung über die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und die Charakteristik der neuen Gesellschaftsform geht dem Gesetze voran, welches zweckmäßig und eingehend erläutert ist. Die vorliegende Be⸗ arbeitung zeichnet sich vor ähnlichen Ausgaben besonders dadurch aus, daß sie hinsichtlich des Umfanges der Erläuterungen den Mittelweg einschlägt zwischen einer Textausgabe und einer für den Praktiker allzu ausführlichen und deshalb entbehrlichen Commentirung des Gesetzes. Auch ist Verfasser von dem Gesichtspunkte ausgegangen, in einer soweit möglich systematischen und gemeinverständlichen Dar⸗ stellung einen Ueberblick über die Bestimmungen des Gesetzes zu bieten, um hierdurch die Benutzung wesentlich zu erleichtern. Ein ausführliches Inhaltsverzeichniß, sowie ein übersichtliches und genaues Sachregister erhöht die Brauchbarkeit des Buches.
— Die Landgemeindeordnung für die sieben östlichen rovinzen der Monarchie vom 3. Juli 1891 nebst den zu ihrer Aus⸗ hhrung erlassenen Anweisungen. Zum Gebrauch für die Selbstver⸗ waltungsbehörden erläutert von St. Genzmer, Landrath des Kreises Marienwerder. Berlin, Verlag von H. W. Müller. — Diese Ausgabe der Landgemeindeordnung ist nicht wie die größeren Commentare zum wissenschaftlichen Studium bestimmt, sondern will dem praktischen Gebrauch dienen. Der Verfasser hatte hauptsächlich den Zweck im Auge, den Behörden und Beamten der Selbstverwal⸗ tung, namentlich den Gemeindevorstehern ihre Aufgabe bei der Aus⸗ führung des Gesetzes zu erleichtern und das Verständniß der darin enthaltenen Vorschriften zu fördern. Ihnen werden seine Erläute⸗ rungen in vieler Hinsicht von Nutzen sein.
— Das gesammte preußisch⸗deutsche Gesetzgebungs⸗ material, herausgegeben von G. A. Grotefend, Geheimem Regierungs⸗Rath. Jahrgang 1891. Verlag von L. Schwann, Düsseldorf. Preis 6,80 ℳ — Der neue Jahrgang dieses hinreichend bekannten und bewährten Werks enthält alle Gesetze und Verordnungen nebst Erlassen, Rescripten, Anweisungen und Instructionen der preußischen und deutschen Centralbehörden für 1891, die den Amtsblättern ent⸗ nommen und hier chronologisch sind. Ein chronologisches Register sowie ein Sachregister erleichtern die Benutzung dieser außer⸗ ordentlich vollständigen Sammlung.
Volkswirthschaft.
— Von der seinerzeit besprochenen Anleitung zum Einschätzen: „Bin ich richtig eingeschätzt oder soll ich Berufung ein⸗ legen?“ von Regierungs⸗Rath A. Fernow (Verlag der Hofbuch⸗ druckerei Trowitzsch u. Sohn in Frankfurt a. O.) ist jetzt die zweite Auflage erschienen. Der Verfasser ist Vorsitzender einer Berufungs⸗ commission und daher wohl in der Lage, dem Steuerpflichtigen in der vorliegenden Frage gute Winke und sachliche Auskunft zu ertheilen.
— Praktische Anlertung für alle Stände zur vor⸗ schriftsmäßigen Reclamation gegen die Einkommen⸗ steuer auf Grund des Gesetzes vom 24. Juni 1891. Leipzig, Gustav Weigel. 8. S. 48. — Sachverständig und zuver⸗ lässig unter Beifügung von Formularen wi 8 i i esagt geboten. Bereits 11 Auflagen. 8
Unterhaltung.
— Werthvolle und interessante Gaben bietet die soeben aus⸗ gegebene neue Folge von „Meyer's Volksbüchern“ den zahl⸗ reichen Freunden dieser in Millionen Bändchen verbreiteten Samm⸗ lung guter und billiger Literaturerzeugnisse. Wir begegnen da zu⸗ nächst zweien der bedeutendsten und gehaltvollsten Werke des spanischen Dramatikers Don Pedro Calderon: Der Arzt seiner Ehre. Schauspiel in drei Aufzügen. Aus dem Spanischen von J. D. Gries (Nr. 921 bis 922), und Der wunderthätige Magus, Schauspiel in drei Aufzügen. Aus dem Spanischen von J. D. Gries (Nr. 923 bis 924). — Nr. 925 bringt des altrömischen Geschichtsschreibers Cornelius Tacitus: Germania. Aus dem Lateinischen von K. Blümel. — Das sich durch musterhaften Stil, geist⸗ und gemüth⸗ volle Auffassung von Kunst, Literatur und Leben auszeichnende Hauptwerk des klassischen Reiseschriftstellers Georg Forster: Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich hat in den Nummern 926 bis 933 seinen Platz angewiesen erhalten. Der gemüthvolle Jugendschriftsteller Christoph von Schmid ist in Nr. 934 ver⸗ treten mit: Der Weihnachtsabend, eine Erzählung für Kinder. — Eine der besten jener reizvollen Erzählungen des französischen Schriftstellees Tavier de Maistre: Die Gefangenen im Kaukasus, aus dem Französischen von E. Walter, ist in Nr. 935 enthalten. Von Paul Gerhardt, dem hervorragendsten geistlichen Liederdichter des 17. Jahrhunderts, liegen in Nr. 936 bis 939. Aus⸗ gewählte Dichtungen vor. — Der geschickten Wahl verdanken wir in der neuen Folge von „Meyer's Volksbüchern“ ferner zwei der besten Novellen des bekannten holländischen Dichters J. van Lennep: Das Gott esurtheil. — Die beiden Admirale (Nr. 938 bis 939), aus dem Holländischen von G. Gärtner. Nr. 940 schließt mit des russischen Dichters A. S. Puschkin Poetischen Erzäh⸗ lungen, aus dem Russischen von Johansen.
Verschiedenes.
— Die Post im Auslande. Eine Darstellung der Post⸗ einrichtungen des Auslandes nach amtlichen Quellen bearbeitet von Otto Sieblist, Kaiserlichem Post⸗Inspector, Geheimem expedirenden Secretär im Reichs⸗Postamt. Zweite unveränderte Auflage. Berlin, Verlag von Julius Springer. — Das vorliegende Werk enthält eine Darstellung der Posteigr htungen und Postversendungsvorschriften in nahezu sämmtlichen Culturstaaten der Erde, begründet auf amtlichem Material, das sonst wenig zugänglich und, weil in den Landessprachen abgefaßt, den meisten unverständlich ist. Das Buch hat den Zweck, von den Postbeamten als Lehrbuch benutzt zu werden, namentlich aber auch der kaufmännischen Welt, die mit dem Auslande in Geschäftsbeziehungen steht, als praktisches und lehrreiches Hand⸗ und Nachschlagebuch zu dienen. Wegen des In⸗ halts des Werks ist * bemerken, 176 die Schilderung der Posteinrich⸗ tungen eines jeden Landes in übersichtlicher Form je ein in sich ab⸗ eschlossenes Ganzes bildet. An eine kurze Darstellung der Organi⸗ ln der Verwaltung und der gesetzlichen Grundlagen schlisß sich die Erörterung der einzelnen Dienstzweige — Briespost einschließlich des Postzeitungsdienstes, des Bestellungs⸗ un Ausgabedienstes und des Vertriebes der Postwerthzeichen, ferner Werthbriefe, Postanweisungen, Postaufträge, Packete, Postsparkassen, Check⸗ und Clearingdienst, Postrenten⸗ und Lebensversicherungsdienst, Personenbeförderung u. s. w. Als Anhang sind Mittheilungen über die deutschen Postanstalten in den Schutzgebieten und im Auslande sowie über deren Geschäftszweige beigegeben. Ein ausführliches Inhaltsverzeichniß und eine am Schluß des Buches angefügte, sehr zweckmäßig abgefaßte, vergleichende Inhaltsübersicht in Tabellenform vereinfachen das schnelle Aufsuchen der Angaben über bestimmte Dienst⸗ zweige in den verschiedenen Ländern.
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