bereits seit einiger Zeit bei den Anträgen, die an mich gelangt sind auf Genehmigung der Kleinbahnen, die mir unterstellten Behörden dahin instruirt wurden, es möge bei Beurtheilung der sachlichen und rechtlichen Verhältnisse des betreffenden Unternehmens von den Gesichtspunkten ausgegangen werden, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, so glaube ich, damit nur meine Pflicht erfüllt zu haben. Es sind das Vorbereitungsstadien für die Genehmigung von Kleinbahnen, die sich vermuthlich erst vollziehen wird nach der Verabschiednng des Gesetzes, und es müßte im Inter⸗ esse aller Betheiligten, nicht bloß in demjenigen der Behörden liegen, daß diese Verhandlungen in dem Sinne erfolgten, wie sie das künftige Gesetz vorgesehen hat. Es kann daher wohl aus diesen Vor⸗ schriften logisch nicht der Schluß gezogen werden, daß, wenn man das einfach machen könnte durch eine Verfügung des Ministers, daß man dann dazu nicht hätte den gesetzgeberischen Apparat in Bewegung zu setzen brauchen. Der Minister würde über⸗ haupt nicht eine derartige Verfügung haben erlassen können, wenn nicht die Verabschiedung des Gesetzes vor der Thür stände, er würde nicht in der Lage sein, auf Grund der gegenwärtigen gesetzlichen Be⸗ stimmungen die Regelung des Kleinbahnwesens eintreten zu lassen, die sich als nothwendig ergiebt.
Herr Graf von Mirbach hat ausgeführt, daß für ihn ein weiteres Bedenken bezüglich dieses Gesetzes darin liege, daß nach seiner Auf⸗ fassung es nicht ausbleiben könne, daß nach Verabschiedung dieses Gesetzes eine neue Aera des Gründungsfiebers und des Eisenbahn⸗ schwindels sich bilden würde. (Stimme: Sehr richtig!)
Meine Herren, diese Befürchtung, die, wie ich höre, auch von anderer Seite als sehr richtig angesehen wird, hat sich ja natürlich auch die Staatsregierung nicht verhehlen können. Allein, meine Herren, wenn man das Licht will, so kann man nicht wohl gut den Schatten vermeiden; wenn man das Privatkapital heran⸗ ziehen will zu dem Bau der Kleinbahnen, so kann man nicht wohl ganz vermeiden, daß sich unter diesem Privatkapital auch Unternehmer einschleichen, die von rein egoistischen Erwerbsrücksichten sich leiten lassen, und es wird gewiß eine der schwierigsten, aber auch eine der ernstesten Aufgaben der Staatsreigerung sein, in dieser Beziehung thunlichst Schädlichkeiten abzuweisen. Herr Graf von Mirbach macht darauf aufmerksam, daß das große Schwierigkeiten haben wird. Ich verkenne das durchaus nicht, aber ich meine doch, daß mancherlei Mittel auch in der Beziehung der Staatsregierung wohl zur Hand sind.
Ohne das Priatkapital wird es allerdings nur unter günstigen Verhältnissen gelingen, aus der eigenen Macht der Betheiligten her⸗ aus derartige Kleinbahnen zu stande zu bringen. Daß das auch möglich ist, dafür liegen allerdings mir jetzt bereits schon eine ganze Reihe von Beispielen vor, und gerade in den östlichen Provinzen, gerade in den Provinzen, die Herr Graf von Mirbach als die wirth⸗ schaftlich schwächeren bezeichnet, regt sich das Bestreben, derartige Kleinbahnen aus eigener Initiative zu bauen. In der Pro⸗ vinz Pommern beispielsweise sind verschiedenartige Projecte bereits so weit, daß man von ihnen sagen kann, sie werden nach Ver⸗ abschiedung des Gesetzes ins Leben treten können. Andererseits ist aber gerade auch das Zusammenwirken der Betheiligten, sei es der Privaten oder der betheiligten Corporationen, der Gemeinden, der Kreise und der Provinzen, mit dem Privatkapital in vielen Fällen gewiß die Bedingung des Zustandekommens derartiger Klein⸗ bahnen. Wenn das Privatkapital sich darauf beschränkt, subsidiär einzutreten — und bei einer Gesellschaft, die schon am weitesten in ihrer Gründung vorgeschritten ist, die mir ihre Statuten bereits zur Kenntnißnahme mitgetheilt hat, wird dieser Zweck in erster Linie verfolgt, und zwar in Form der Gesellschaft mit beschränkter Haft⸗ pflicht —, subsidiär einzutreten mit ihrem Kapital, mit ihren Er⸗ fahrungen, mit ihrem Apparat an Personen und an Material, um den Bau und auch, wenn gewünscht wird, den Betrieb derartiger Kleinbahnen zu fördern und zu erleichtern, so werden wir alle damit einverstanden sein, daß, wenn sich derartige Privatgesellschaften finden, dies im großen und ganzen als ein Segen für das ganze Verkehrs⸗ wesen des Landes zu betrachten sein wird.
Ich meine aber, wir sollten der Zukunft mit etwas weniger Be⸗ fürchtung entgegentreten, mit größerer Zuversicht, daß es uns gelingen wird, in der Beziehung das Richtige zu finden und die Schädlichkeiten abzuwenden, ebenso wie es anderen Ländern unter ähnlichen Ver⸗ hältnissen bereits gelungen ist. Was in Belgien und Holland, was in Italien unter zum Theil viel weniger günstigen Verhältnissen möglich ist, kann uns unmöglich schwer fallen. Denn ich glaube, daß der Zustand unserer Rechts⸗ und Verwaltungseinrichtungen, die Auffassung unseres Volkes sowohl, als die Auffassung unserer Regierung in der Beziehung einen größeren Halt bieten wird, als
dies in irgend einem der anderen Staaten der Fall ist, in denen ähnliche Kleinbahnbauten mit Glück zum Segen des Landes erbaut und betrieben werden. Wer heute durch Oberitalien, durch Belgien und Holland fährt, kann sich davon überzeugen, in welchem Maße dieses Kleinbahnwesen dem Lande zum Segen gereicht hat. Es ist, als wenn Berieselungskanäle über die Länder gelegt werden, unter deren fruchtbringendem Naß alles sprießt und keimt. Der Segen, der von diesen Kleinbahnen ausgeht, tritt beispielsweise in Oberitalien so klar zu tage, daß selbst der Tourist sich davon über⸗ zeugen kann. Ich glaube deshalb, meine Herren, Sie dürfen die Be⸗ fürchtung, die in dieser Beziehung gehegt worden ist, nicht in dem Maße theilen, daß Sie sich abhalten lassen, mit Vertrauen in das Gesetz hineinzugehen. (Bravo!)
Herr Graf von Mirbach hat ferner hervorgehoben — und ich kann in der Beziehung wohl kurz sein — seine Befürchtung, es möchten durch das Inslebentreten des Kleinbahngesetzes die Neben⸗ bahnen entweder ganz bei Seite gelassen oder doch in einem viel geringeren Maße gebaut werden, als bisher der Fall gewesen ist. Zu meiner großen Freude hat Herr Graf von Mirbach hinzugefügt, daß er durch die Erklärungen des Herrn Finanz⸗Ministers und durch meine Erklärungen in der Commission sowohl, wie im Plenum dieses hohen Hauses beruhigt sei. Ich kann noch weiter sagen, daß ich bereits heute in sehr lebhaften Unterhandlungen mit dem Herrn Finanz⸗Minister über die Vorlage stehe, die wir in der nächsten Tagung des Landtages vorlegen wollen. Also es besteht bei uns durchaus nicht die Absicht — ich brauche das kaum zu wiederholen —, nunmehr von dem Bau der Nebenbahnen abzugehen. Wir stehen aber allerdings unter dem Druck der gegenwärtigen Verhältnisse und haben uns nach der Decke zu strecken.
Der Herr von Bethmann⸗Hollweg hat dem Gesetze zum Vor⸗
wurf gemacht, und daraus, wenn ich ihn recht verstanden habe, eigent⸗ lich seine Hauptbedenken gegen das Gesetz entnommen, daß durch den Instanzenzug, der in diesem Gesetze vorgesehen ist, durch das Con⸗ cessionswesen, welches in diesem Gesetze vorgeschrieben worden ist, der bureaukratische Zug, der durch unser Land geht, noch vermehrt würde, die Schreiberei eine ganz erhebliche Vergrößerung er⸗ fahren würde. Meine Herren, daß mehr geschrieben wird, wenn das Kleinbahngesetz verabschiedet ist, ist auch mir klar, und das ist ja unvermeidlich: wo Holz gehauen wird, da fallen Späne, und ohne Schreiberei mit bloßer mündlicher Verhandlung können wir so wichtige Dinge, wie die Genehmigung von Kleinbahnen, nicht fertig bringen. Aber gegen die Auffassung möchte ich mich doch aus⸗ sprechen, daß der Regierungs⸗Präsident heute nicht mehr im stande sei, die Verhältnisse in seinem Bezirke zu kennen, die Bedürfnisse in seinem Bezirke beurtheilen zu können. Dagegen möchte ich mich entschieden aussprechen. Ich glaube, daß das in dem Sinne und Umfange durch⸗ aus nicht richtig ist. Wenigstens aus meinen Erfahrungen kann ich nur das Gegentheil behaupten.
Es mag ja einzelne große Bezirke geben, und ich kenne solche großen Bezirke, bei denen es allerdings der ganzen Arbeitsfreudigkeit und Pflichttreue des Regierungs⸗Präsidenten bedarf, um über alle ein⸗ zelnen Dinge in seinem Bezirk unterrichtet zu sein und zu bleiben, und ich möchte daher auch meinerseits dringend wünschen, daß unsere Verhält⸗ nisse baldigst es erlauben, in der Beziehung eine Aenderung eintreten zu lassen. Aber ich glaube nicht, daß die Besorgniß, es werde die Ent⸗ scheidung in diesen Fragen lediglich vom grünen Tisch oder, wie Herr von Bethmann⸗Hollweg sich ausdrückte, von jungen Assessoren ge⸗ troffen werden, begründet ist. Ich glaube, die ganze Entwickelung unserer allgemeinen Verwaltung bürgt dafür, daß die wirklichen Be⸗ dürfnisse des wirthschaftlichen Lebens auch in diesen Fragen zu ihrem Rechte gelangen.
Ich möchte daher nochmals zum Schluß dieses Gesetz Ihnen dringend ans Herz legen. Es regt sich überall im Lande, um, wenn dieses Gesetz verabschiedet ist, mit dem Bau von Kleinbahnen vorzu⸗ gehen. Es regt sich in allen Provinzen und wird mit Ungeduld und Spannung erwartet, daß durch dieses Gesetz eine klare Grundlage für die rechtliche und verwaltungsseitige Behandlung der Kleinbahnen ge⸗ schaffen und dadurch die Möglichkeit geboten wird, in Zukunft die Kleinbahnen gedeihlich zu entwickeln, den Bau und Betrieb derselben zum Segen des Landes zu fördern. Ich bitte dringend, daß das hohe Haus die Gesetzesvorlage annehme. (Bravo!)
Graf Mirbach weist darauf hin, daß die Regierungs⸗Präsidenten des Ostens gar nicht die Möglichkeit hätten, ihre Bezirke so kennen zu lernen, wie es in diesem Falle nothwendig sei.
Damit schließt die Generaldiscussion.
Herr von Wedell⸗Piesdorf beantragt, daß Gesetz aus⸗ schließlich der §§ 21 und 30 en bloc Fneknen
Graf Mirbach widerspricht diesem Antrag, worauf Herr von Wedell seinen Antrag zurückzieht.
Beim § 17, der sich auf die Planfestsetzung der Bahn⸗ anlagen, welche die öffentlichen Wege mitbenutzen, bezieht, er⸗ klärt auf eine Bemerkung des Grafen Mirbach
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen: Meine Herren! Ich erkenne gern an, daß die Frage, die Herr Graf von Mirbach eben angeregt hat, von großer Tragweite ist, und
daß die Staatsregierung die Verpflichtung hat, ihrerseits dafür zu
sorgen, daß eine Gefährdung, die aus dem Betriebe der Kleinbahnen, namentlich auf den Straßen, hervorgehen kann, thunlichst hintan⸗ gehalten werde. Diese Frage wird in jedem einzelnen Fall genau zu untersuchen sein; es wird in der Polizeiverordnung, die über den Betrieb der betreffenden Bahnen zu erlassen ist, gerade diesem Punkt befondere Aufmerksamkeit zu schenken sein. Wie nun die Gefährdung des Landverkehrs, namentlich desjenigen, der sich mit Pferden vollzieht, am besten hintan zuhalten ist, das ist eine Frage, die ganz individuell zu beantworten und zu behandeln sein wird. Ob in dem betreffenden Fall beide Verkehre ganz unbedenklich nebeneinander gehen können, wie das ja sehr vielfach der Fall ist, namentlich auf großen Strecken im Westen, oder ob eine räumliche Trennung zwischen den beiden Verkehren stattfinden soll, entweder da⸗ durch, daß eine Schranke zwischen der Bahn und dem Land⸗ verkehr errichtet wird, oder daß die Bahn auf ein höheres Banket zu legen sein wird, oder in irgend einer anderen Weise, das muß der jedesmaligen Entscheidung vorbehalten bleiben. Ich mache auch noch darauf aufmerksam, daß eine Gefahr eintritt nicht nur, wenn die betreffende Kleinbahn auf die Straße gelegt wird, sondern auch dann, wenn die Kleinbahn neben die Straße gelegt wird, also unmittelbar neben letzterer herfährt; das ist aber in Ge⸗ birgsländern überhaupt nicht zu vermeiden; es würde sonst auf den Bau der Bahn ganz und gar verzichtet werden müssen, denn wir haben nur eine Thalsohle und innerhalb dieser Sohle muß sich sowohl die Eisenbahn bewegen als das Landfuhrwerk. In solchen Fällen müssen aber beide lernen, sich miteinander zu vertragen, und nach den Erfahrungen, die nicht bloß bei uns zu Lande, sondern in Italien, Belgien, Holland und den übrigen Ländern, die mehr Kleinbahnen haben als wir, gemacht worden sind, lernen auch diese beiderseitigen Verkehre miteinander auszukommen. Ich hoffe, daß dadurch die Befürchtungen, die Herr Graf von Mirbach angeregt hat, und deren Bedeutung ich durchaus nicht verkenne, sich durch die Erfahrung widerlegen oder doch erheblich abschwächen werden.
ürst Hatzfeldt weist darauf hin, daß die Gefahren, die für Pear aus dem Nebenherlaufen einer Bahn entstehen könnten,
hätzt würden.
17 wird in der on dem Hause der Abgeordneten beschlossenen Fassung genehmigt. b
Ges § 21 beantragt Fürst Haßfalbt in der von dem Hause der Abgeordneten beschlossenen Fassung wieder⸗ herzustellen; Herr von Graß⸗Klanin beantragt außerdem noch folgenden Zusatz: „Ermäßigungen der Beförderungspreise, welche nicht unter Erfüllung der gleichen Bedingungen jeder⸗ mann zu gute kommen, sind unzulässig.“
Fürst Hatzfeldt macht darauf aufmerksam, daß der Beschluß des Hauses der Abgeordneten von der Commission des errenhauses nur mit Stimmengleichheit abgelehnt sei. Es sei kein Zweifel, daß das Haus der Abgeordneten mit seiner Fassung nur die Ausnahmetarife beseitigen wolle.
Herr von Graß⸗Klanin: Der Beschluß des Hauses der Ab⸗ geordneten bezwecke, die Eisenbahnverwaltungen an die einmal von ihnen festgestellten Tarife zu binden; es könne nicht verkannt werden, daß die absolute Freiheit der Eisenbahnverwal⸗ tungen, jeder Zeit von den von ihnen selbst publicirten Tarifen abzuweichen, in wirthschaftlicher Hinsicht nachtheilig wirken
die über
könne. Es sei nicht ausgeschlossen, daß einzelne bei der Verwaltung betheiligte größere Kapitalisten oder Unternehmungen durch eine ein⸗ seitige Ausnutzung der Bahn für die für sie zu transportirenden Waaren die mit ihnen concurrirenden kleineren Unternehmungen ge⸗ fährden könnten. Und es sei nicht zu verkennen, daß die Bere tigung der Verwaltungen, nach ihrem Belieben jeder Zeit einzelne Waaren von den bestehenden Tarifen befreien zu können, schließlich dazu führen könnte, daß die wirthschaftlich Schwächeren thatsächlich in ihrer Existenz bedroht würden. Andererseits aber seien Fälle denkbar, in denen eine Abweichung von den einmal festgesetzten Tarifen nicht allein zulässig, sondern sogar geboten sei. So könne z. B. eine Eisenbahn⸗ berwaltung einer Fabrik den Kohlentransport sehr viel billiger leisten, wenn sie sichere Aussicht habe, eine Rückfracht zu finden. Bei strikter Festhaltung des Beschlusses des Herrenhauses würde die Eisen⸗ bahnverwaltung gar nicht in der Lage sein, einen Ausnahmetarif zu bewilligen. m dies zu verhüten, habe er sein Amendement ge⸗ stellt. Das Haus der Abgeordneten werde zweifellos damit ein⸗ verstanden sein. 8
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Ich möchte nur zunächst eine Erklärung darüber geben, warum der angefochtene Absatz ursprünglich in die Regierungs⸗ vorlage nicht aufgenommen worden ist. Das ist nicht etwa darum geschehen, weil die Regierung der Meinung gewesen ist, auf den Kleinbahnen könne reine Tarifwillkür eingeführt werden, könnten Re⸗ factien und ein Handel mit Tarifen stattfinden, darum brauche sich die Staatsregierung nicht zu kümmern. Diese Ansicht hat durchaus nicht obgewaltet, sondern die Staatsregierung ist der Meinung gewesen, daß von einer öffentlichen Verkehrsanstalt, sei es eine Klein⸗, Neben⸗ oder Vollbahn, die gleichmäßige Behandlung aller Interessenten durchaus unzertrennlich ist. Es würde den Charakter der öffentlichen Verkehrsanstalten meines Erachtens ver⸗ nichten, wenn man zugeben wollte, daß eine derartige, mit allen Pri⸗ vilegien des Staats ausgerüstete Anstalt nunmehr frei schalten und walten dürfe nach Willkür und ihre Tarife nach Gunst und Gabe jedem einzelnen zu gute kommen lassen dürfe. Diese Auffassung hat nicht obgewaltet. Die Regierung ist vielmehr der Ansicht gewesen, daß unter den Concessionsbedingungen, den allgemeinen Vorschriften für die Concession diese Bedingung die erste sein und daß in jeder Concessionsurkunde diese Clausel Aufnahme finden müsse.
Das Abgeordneten haus hat es für zweckmäßig befunden — und die Staatsregierung hat dem Hause darin Recht geben müssen —, diesen Grundsatz in das Gesetz selbst aufzunehmen, und aus dieser Er⸗ wägung heraus ist der Absatz 2 des § 21 entstanden. Die Erörte⸗ rungen, die in der Commission stattgefunden haben, haben wesentlich den Zweck gehabt, den Sinn dieses zweiten Absatzes klar zu stellen, und diese Klarstellung ist meines Erachtens auch durch die Erklärungen, die meinerseits abgegeben worden sind, erreicht.
Ich kann daher nur erklären, daß die Staatsregierung an und für sich den Antrag auf Wiederherstellung dieses Absatzes als voll⸗ ständig ausreichend erachtet, auch um diejenigen Bedenken zu beseitigen, die von Seiten Einzelner in der Commission aufgestellt worden sind, daß die Staatsregierung aber auch ihrerseits keine Bedenken dagegen hat, wenn das hohe Haus sich für den Antrag des Herrn von Graß entscheidet. Nach meiner ganz unmaßgeblichen Meinung würde es sich aber vielleicht doch empfehlen, die Fassung des Abgeordnetenhauses wiederherzustellen, da nach den Erklärungen, die in der Commission wie im Plenum abgegeben sind, ja über den Sinn dieses Absatzes durchaus kein Zweifel mehr obwalten kann.
Professor Dernburg: Es könne doch nach den Ausführungen des Ministers nicht in der Absicht des Hauses liegen, an die Stelle der von dem Hause der Abgeordneten beschlossenen Fassung den gleich⸗ werthigen Antrag Graß zu setzen, da das nur zu Weiterungen Anlaß
eben würde. Er bitte, die vom Hause der Abgeordneten beschlossene Feas anzunehmen.
Der Antrag Graß wird angenommen.
Hn § 30 Sefaswert Berichterstatter Graf Frankenberg den Commissionsantrag.
Fürst Hatzfeldt: Da der Minister seinen Widerspruch gegen die Fücht he des Abgeordnetenhauses zurückgezogen habe, so habe das Herrenhaus keine Veranlassung, hier fiscalischer zu sein als der Fiscus. Er möchte bitten, um das Zustandekommen des Gesetzes zu ichern, die von der Commission gestrichenen Worte wiederherzustellen.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Herr Fürst von Hatzfeldt hat mich doch wohl mißverstanden. Ich habe in der Generaldiscussion gesagt, daß das Bedenken, welches die Staatsregierung im Abgeordnetenhause in sehr lebhafter Weise geltend gemacht hat, auch heute noch bei ihr bestehe, und daß sie nur dann, wenn etwa das hohe Haus sich entschließen könnte und bereit sein würde, das Gesetz in der Fassung des Abgeordnetenhauses pure zu acceptiren, auch ihrerseits bereit wäre, von einer Aenderung des § 30 im Sinne der Wiederherstellung der ursprünglichen Vorlage Abstand zu nehmen. Da diese Voraussetzung aber nicht zutrifft, so⸗ möchte ich doch großen Werth darauf legen, daß die Beschlußfassung. der Commission auch von dem hohen Hause zu der seinigen gemacht wird. Die Gründe, die dafür sprechen, sind in der Commission dieses Hauses, wie auch im Abgeordnetenhause in sehr eingehender Weise von mir ausgeführt worden, und bestehen im wesent⸗ lichen darin, daß die Staatsregierung meines Erachtens un⸗ bedingt das Recht haben muß, Bahnen, deren Erwerb für das allgemeine Staatswohl nothwendig ist, aus diesem oder aus jenem Grunde — es werden im wesentlichen immer entweder Betriebs⸗ rücksichten des Staatseisenbahnnetzes oder strategische Rücksichten sein, und, wie ich voraussetze, wohl kaum jemals rein fiscalische Gründe gegen die im Gesetze vorgesehenen sehr reichlichen Entschädigungen in das Eigenthum und den Betrieb des Staats über⸗ zuführen. Der Erwerb der Bahn ist aber durch den Zusatz, den das Abgeordnetenhaus dem § 30 gegeben hat, in die Hand des Unternehmers gelegt worden. Der Unter⸗ nehmer hat danach die Wahl, ob er das Angebot des Er⸗ werbes des Unternehmens durch den Staat annehmen will, oder ob er sich dem Gesetz vom 3. November 1838 unterwerfen will. Wenn auch nichts Anderes, so würde doch diese Bestimmung jedenfalls den Erfolg haben, daß die Verhandlungen darüber sich in ungemessene Zeiten hinziehen. Ich bitte daher dringend, daß das hohe Haus an den Beschlüssen seiner Commission festhält.
Graf Mirbach: Er freue sich, daß der Minister seine Stellung mit Entschiedenheit aufrecht erhalten habe. Würde Fürst Hatzfeldt seinen Antrag auf Wiederherstellung der Beschlüsse des Abgeordneten⸗ hauses aufrecht erhalten, dann müßte er eine namentliche Abstimmung beantragen und würde eventuell gegen das Gesetz stimmen. 3
Fürst Hatzfeldt zieht e Antrag zurück, um nicht unter den obwaltenden Umständen (es sind nämlich nur 55 Mit⸗ glieder anwesend, während 60 zur Beschlußfähigkeit gehören) die Gefahr einer namentlichen Abstimmung heraufzubeschwören.
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8830 wird nach dem Antrage der Kenmiffion angenommen, die übrigen Paragraphen werden ohne Besprechung en bloc angenommen.
Die Vorlage muß wegen der Aenderungen in §§ 21 und 30 an das Abgeordnetenhaus zurückgehen.
Ueber die Petition des Stabsarztes a. D. Dr. Stern⸗ berg und dessen Ehefrau, wegen der Beschwerde über Ein⸗ leitung des Entmündigungsverfahrens unter einer großen Zahl von Rechtsverletzungen beantragt die Petitionscommission „in 1) daß die Prüfung des Entmuündigungs⸗ verfahrens über den Dr. Sternberg zur Zeit im geordneten Rechtswege noch schwebt, 2) daß das Entmündigungsverfahren über die Frau Sternberg auf den Antrag vhans Vertheidigers stattfindet und das Strafverfahren gegen dieselbe noch schwebt, zur Tagesordnung überzugehen.“
Berichterstatter Freiherr von Durant: Er sei in der schwierigen Lage, daß er als Berichterstatter verpflichtet sei, einen Beschluß der Petitionscommission vor dem hohen Hause zu vertreten, der seiner innersten Ueberzeugung nach nicht den Thatsachen gerecht werde. Der Ursprung der Petition und des darin erwähnten Entmündigungs⸗ verfahrens stamme von einer Beleidigungsklage eines Rechtsanwalts gegen Dr. Sternberg, die vor mehr als Jahresfrist angestrengt worden sei. Das Verfahren, das ein Jahr lang gedauert habe, sei schließlich als ungesetzlich und unzulässig eingestellt worden. Hieran hätten sich zwei Klagen des Dr. Sternberg gegen zwei Richter des Amts⸗
erichts Charlottenburg und den erwähnten Rechtsanwalt ge⸗ chlossen. Diese Klagen seien indessen erfolglos geblieben, und schließlich ei das Entmündigungsverfahren gegen den Dr. Sternberg eingeleitet worden. In der Pelttion werde nun ausgeführt, daß bei diesem IIIJII“ eine Reihe schwerster Rechtsverletzungen stattgefunden habe. Nach der Ansicht Sternberg's habe einen Haupt⸗ rund dafür abgegeben eine delicate Angelegenheit, die den Justiz⸗ Minister betroffen habe. Der Sachverständige, Kreisphysikus Dr. Falk, habe Dr. Sternberg zu einem Sonntag Vormittag zu sich bestellt, und als er für diesen Tag behindert gewesen sei, auf den ersten Weihnachtsfeiertag, Vormittags 10 Uhr. Dr. Sternberg habe gegen diese Porladung in einem Schreiben, das seiner Meinung nach vollständig sachgemäß abgefaßt gewesen sei, Einspruch erhoben. Aus diesem Schreiben habe aber Dr. Falk sein Gutachten über den Geisteszustand des Dr. Sternberg abgeleitet und eine Untersuchung nunmehr für überflüssig erklärt. Ein weiteres Gutachten des Herrn Dr. Gutfleisch sei ebenfalls oberflächlich abgefaßt. Die Folge sei ge⸗ wesen, daß das Entmündigungsverfahren eingeleitet worden fer Frau Dr. Sternberg habe ihre Kenntniß von der eingangs erwähnten delicaten benutzt und sich unter Hinweis hierauf in einem Brief an die Gemahlin des Justiz⸗Ministers gewandt; deswegen sei sie wegen Be⸗ leidigung in erster Instanz zu zwei Monaten Gefängniß verurtheilt. Im weiteren Verlaufe der Angelegenheit hätten sich, wenn die in der Petition angeführten Thatsachen wahr seien, Vorfälle wieder⸗ holt, wie sie bei Verhandlungen des Falles Paasch zur Sprache ge⸗ kommen seien. Schließlich sei auch gegen Frau Dr. Sternberg das Ent⸗ mündigungsverfahren eingeleitet. Der Vormund des Dr. Sternberg, Rittergutsbesitzer und Premier⸗Lieutenant Herr von Oertzen habe in einem Schreiben an den Polizei⸗Director von Charlottenburg den Geistes⸗ zustand seines Mündels für normal erklärt. Er kenne den Herrn von Oertzen persönlich als einen einwandsfreien Zeugen. Er habe ferner Gelegenheit genommen, Herrn Dr. Sternberg zu sehen, und habe bei mehreren Unterredungen mit ihm nicht die Spur einer Geistesgestört⸗ heit an ihm wahrnehmen können. Er könne es von seinem Standpunkt aus nicht begreifen, wie ein Mann von derartiger geistiger Frische und Klarheit für geisteskrank habe erklärt werden können. Auf Grund der Thatsachen habe er beantragen zu sollen geglaubt, die Petition der Regierung zur Berücksichtigung dahin zu überweisen, daß das Entmündigungsverfahren gegen den Dr. Sternberg aufgehoben oder unter Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften vorgenommen werde; zweitens, daß wegen der Frau Dr. Sternberg alle Maßregeln unterlassen würden, die ihrer Gesundheit zu schaden geeignet seien, und alle gesetzlichen Bestimmungen beobachtet würden, und drittens, daß eine Untersuchung darüber vorgenommen werde, wie weit etwa in diesem Verfahren gesetzliche Vorschriften verletzt worden seien. Der Regierungsvertreter habe aber erklärt, daß dieser Antrag weit über die Befugnisse des Herrenhauses hinausgehe und in ein schwebendes Verfahren eingreife. Rechtsverletzungen seien durchaus nicht vorgekommen. Gegen Dr. Sternberg sei Querulanten⸗ wahnsinn angenommen, und sehr häufig sei in ähnlichen Fällen das Entmündigungsverfahren eingeschlagen worden. Wenn man nun bedenke, wie groß die Trauer in einer Familie sei, in der sich ein wirklicher Fall von Irrsinn ereigne, so könne man sich vorstellen, wie groß die Trauer hier sein möge, wo wegen gehäufter Beschwerden
über eine Behörde ein Mensch seiner bürgerlichen Existenz und
Selbstbestimmung beraubt werde, ohne daß er in der That geisteskrank sei. Der Berichterstatter habe unter diesen Umständen geglaubt, seinen Antrag aufrecht erhalten zu sollen, aber die Kommission sei schließlich zu einem anderen Beschluß gekommen, nämlich zu dem vorliegenden Antrag. Geheimer Justiz⸗Rath Vierhaus: In dem Vortrage des Bericht⸗ erstatters seien eine ganze Reihe von schweren Anklagen gegen die mit dem Fall befaßte Justizbehörde enthalten. Der Berichterstatter habe mehrmals erklärt, daß er nur relata referire, andererseits habe er aber Schlüsse daraus gezogen, so daß man annehmen müsse, er habe sich die angeführten Thatsachen zu eigen gemacht. Gehe er von der letzteren Voraussetzung aus, so müsse er (Redner) bedauern, daß der Vorredner sein Vertrauen schwer habe täuschen lassen. Denn die Darstellung entspreche durchaus nicht den Thatsachen. Das Verfahren gegen Dr. Sternberg sei unter strenger Beachtung aller Vorschtiften geführt worden, und dasselbe gelte von dem Verfahren gegen Frau Dr. Sternberg. Ueber ein schwe⸗ bendes Versabben könne er keine Kritik üben, auch das hohe Haus werde das nicht thun. Dr. Sternberg sei ent⸗ mündigt und habe das zuständige Rechtsmittel dagegen ergriffen; hier⸗ über schwebten noch Verhandlungen. Die Frau Dr. Sternberg sei wegen Nöthigung zu einer gesetzwidrigen Handlung gegenüber dem Justiz⸗Minister angeklagt, und auch hierüber schwebten Verhandlungen. Zwei Urtheile, die sie schuldig gesprochen hätten, seien aus rein for⸗ mellen Gründen aufgehoben und jetzt schwebe ein neues Verfahren, auch hier sei in keiner Weise eine Gesetzesverletzung vorgekommen. Daß das Verfahren sich so lange hingezogen, beruhe lediglich auf einer Verschleppungstaktik des Herrn Dr. Sternberg und seiner Frau, wie sie wohl noch niemals vorgekommen sei. Der Justiz⸗Minister habe sich unter Verzichtleistung auf sein Recht, in seiner Wohnung vernommen zu werden, bereit erklärt, vor Gericht die Unrichtigkeit der Behauptungen der Frau Dr. Sternberg eidlich zu erhärten. Graf Klinckowström: In der Commission sei ein prin⸗ cipieller Punkt zur Erörterung gekommen, durch den er und die ganze Commission sehr erschreckt worden seien. Das sei die Frage wegen des Querulantenwahnsinns. Es sei nämlich allgemein Fbrich⸗ aß, wenn jemand Behörden fortwährend mit Eingaben und Be⸗ schwerden belästige, gegen ihn das Entmündigungsverfahren wegen uerulantenwahnsinns eröffnet werde, und das habe das Be⸗ gueme, daß die Behörden alle von ihm eingehenden Beschwerden ad gcta legen könnten. Das sei ja sehr bequem, aber er würde sch. do hundertmal besinnen, ehe er ein solches Verfahren eintreten asse. Er müsse deshalb drei Fragen stellen: 1) Von wem wird der Entmündi ungsantrag gestellt, etwa von der durch die Eingaben be⸗ helligten Behörde? 2) Wird dieser Antrag gestellt, weil man über⸗ zäugt ist, der Betreffende sei geisteskrank, oder nur, weil man Flaubt, daß er Querulantenwahnsinn hat? und 3) Ist der Queru⸗ antenwahnsinn eine von ärztlichen Autoritäten anerkannte Species 8 Wahnsinns?⸗ velc⸗Seheimer Justiz⸗Rath Vierhaus: Der Regierungs⸗Commissar, nfschen der Commission beigewohnt habe, sei durch andere Dienst⸗ 8 chäfte verhindert, hier zu erscheinen; er (Redner) wisse nicht, was er Mißvr Commisson erklärt habe, glaube aber, daß es sich um ein 2 ißverständniß handele, das am besten durch Beantwortung der ge⸗
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stellten drei Fragen zu beseitigen sei. Auf die erste Frage erwidere er, daß der Antrag entweder von Verwandten oder vom Staats⸗ anwalt gestellt werde; entstehe bei einer Behörde der Verda ht, daß der Antragsteller geisteskrank sei, so sei sie verpflichtet, der Staats⸗ anwaltschaft Anzeige zu machen. Die zweite Frage beantworte er damit, daß der Verdacht des Querulirens allein niemals das Ent⸗ mündigungsverfahren veranlassen könne. Die dritte Fage könne er als Jurist nicht beantworten. Er wisse nur aus dem Gutachten, daß der Kreisphysikus Mittenzweig und auch andere Aerzte von Queru⸗ lantenwahnsinn als von einer speciellen Form des Verfolgungswahn⸗ sinns sprächen. 1“ .
Darauf wird die Discussion geschlossen.
Berichterstatter Freiherr von Durant: Der Regierungs⸗Commissar habe die Frage nicht beantwortet, wie das Gutachten des Kreis⸗ physikus enkstanden sei. Die körperliche Untersuchung des Dr. Stern⸗ berg durch den Kreisphysikus sei eine so ungenügende gewesen, daß letzterer nicht einmal erkannt habe, daß der Dr. Sternberg nur ein Auge habe. Der Regierungs⸗Commissar habe gesagt, der Justiz⸗ Minister habe sich bereit erklärt, eidlich zu erhärten, daß die von der Frau Dr. Sternberg seiner, des Ministers, Gemahlin gemachten Angaben, auf Unrichtig eiten beruhten. Nichts anderes wünsche die
rau Dr. Sternberg. Sie wünsche die eidliche Vernehmung des inisters. Das sei aber bisher vermieden worden. Schließlich stelle er fest, daß Frau Dr. Sternberg elf Tage in Untersuchungshaft sich befunden habe, während der Gerichtsbeschluß nicht darauf ge⸗ lautet habe, sie in Untersuchungshaft zu bringen, sondern auf eine Beobachtungsstation. Also diese elf Tage habe sie seiner Auffassung nach zu Unrecht im Untersuchungsgefängniß zugebracht. Seiner per⸗ sönlichen Auffassung nach erscheine es nicht gerechtfertigt, dem Be⸗ schluß der Conmnission beizutreten. Indessen müsse er als Bericht⸗ erstatter anheimstellen, zu beschließen, was dem Hause gut dünke.
“ Herzog von Ratibor: Er könne nur den Antrag der Geschäftsordnungs⸗Commission zur Abstimmung bringen, da ein anderer Antrag nicht vorliege.
Der Antrag der Commission, auf Uebergang zur Tages⸗ ordnung, wird angenommen
Schluß 5 ¼ ÜUhr.
“
Statistik und Volkswirthschaft.
Wohnungsverhältnisse der Arbeiter.
In den soeben erschienenen, schon in Nr. 142 des „R.⸗ u. St.⸗A.“ an dieser Stelle erwähnten „Jahresberichten der Königlich preußischen Regierungs⸗ und Gewerberäthe und Bergbehörden für 8 den Wohnungsverhältnissen der. Arbeiter ein breiter Raum gewidmet. .
Der Regierungs⸗ und Gewerbe⸗Rath Sack in Königsberg hebt hervor, daß die verheiratheten Arbeiter in den größeren Städten der Provinzen Ost⸗ und Westpreußen im Durchschnitt an Mieths⸗ zins noch immer über 20 %. ihres Einkommens bezahlen. Der Mangel kleinerer und gefunder Wohnungen von einer Stube und Küche macht sich besonders in Königsberg fühlbar. Bei den hohen Preisen des Grund und Bodens innerhalb der Stadt sind Unternehmungen zum Bau von zweckmäßigen Arbeiterhäusern nur sehr schwierig ein⸗ zuleiten, und außerhalb der Festungswerke erschweren die ungünstigen Bodenverhältnisse und die Bestimmungen des Rayongesetzes die Ent⸗ wickelung einer etwa nach dieser Richtung hin rege werdenden Baulust. Einige größere Fabriken wären schon längst —mit der Einrichtung von kleinen Wohnungen vorgegangen, wenn sich die Kosten aus diesen Gründen nicht gar zu unverhältnißmäßig hoch stellten. Die Schlafstellen der Ziegelarbeiter, denen die große Entfernung ihres Wohnatzes eine allabendliche Rückkehr nach dem⸗ selben von der Arbeitsstelle nicht gestattet, bieten ein wenig erfreuliches Bild; nur in wenigen Fällen werden den Arbeitern von den Arbeit⸗ gebern wollene Decken zur Verfügung gestellt; Waschgelegenheiten seien in den Ziegeleien nirgends vorhanden.
Auch in den Regierungsbezirken Frankfurt und Potsdam entsprechen die Arbeiterwohnungsverhältnisse nach dem Urtheil des Regierungs⸗ und Gewerbe⸗Raths Dr. von Rüdiger in den zum Fabrik⸗ betriebe gehörigen Arbeiterkasernen (einige wenige ausgenommen) nicht den Anforderungen, welche auf Grund bestehender Kreis⸗Polizei⸗ verordnungen oder vom rein menschlichen Standpunkt aus gestellt werden können. Die Räume in den meisten Ar⸗ beiterkafernen waren (bei der Besichtigung) sehr schmutzig, schlecht gelüftet und mit Ungeziefer behaftet. In vielen Kasernen befanden sich Eß⸗ und S lafräume vereinigt. Der Regie⸗ rungs⸗Präsident von Potsdam hat hieraus und aus anderen Ver⸗ hältnissen Veranlassung genommen, eine Polizeiverordnung über die Einrichtung und Benutzung von Arbeiterwohnungen zu erlassen, welche geeignet erscheint, auf diesem Gebiete gründlich Wandel zu schaffen. Die Pgsißer zweier Glashütten haben im Jahr 1891 neue und gute Wohnhäuser gebaut, deren einzelne Wohnungen aus zwei Zimmern, Küche, Kammer und Stallung bestehen. Auf den Zschipkauer Werken im Kreise Kalau sind bis jetzt 45 derartige Arbeiterwohnungen ein⸗ gerichtet worden.
„Im Regierungsbezirk Oppeln 68 vielfach eine größere Fürsorge für die Einrichtung von Arbeiterwohnungen zu erkennen. Es sind dort theilweis Einrichtungen geschaffen worden, die weit über das 1“ was man im allgemeinen für die Lebenshaltung des obersch si In den von
1
esischen Arbeiters als Bedürfniß bezeichnet.
itzner, Königshütte, Donnersmarckhütte u. a. errichteten Häusern
esteht die Wohnung aus drei Räumen mit den zugehörigen Neben⸗ räumen, während früher nur zwei Räume üblich waren. Die Ein⸗ richtung und Ordnung in diesen Arbeiterwohnungen zeigt deut⸗ lich, daß die Arbeiter die Vorzüge einer besseren Wohnung zu schätzen wissen. Die Einrichtung und Ausstattung der Schlafhäuser trägt jetzt mehr als früher den in gesundheitlicher und sittlicher Hin⸗ sicht zu stellenden Forderungen Rechnung. Ferner sind vielfach Wasch⸗, Ankleide⸗ und Badeanstalten errichtet.
In Altona haben sich ungünstige Wohnun sverhältnisse, hohe Miethen und übervölkerte Wohnungen ergeben. er commissarische Gewerbe⸗Inspector Scheibel hat darüber einen Bericht an den Re⸗ gierungs⸗Präsidenten von Schleswig⸗Holstein erstattet und dieser hat die erforderlichen Maßnahmen getroffen, um die Lösung der Frage der Neuerrichtung von billigen und gesunden Nrk sde lansen. in Altona in dringlichster Wesßse anzuregen.
In der Zuckerfabrik Mühlberg (Provinz Sachsen) war vor Jahr und Tag ein Theil der Arbeiter⸗Schlafräume polizeilicherseits geschlossen worden; jetzt ist dort eine musterhafte Arbeiterkaserne für weibliche und männliche Arbeiter errichtet worden.
Die Ilseder Hütte (Provinz Hannover) hat zahlreiche Arbeiterwohnhäuser errichtet. Jede Wohnun liegt in einem etwa 200 qm großen Grundstück, welches für den Bau von Kartoffeln und Gartenfrüchten für eine Familie genügt. Je zwei Wohnungen bilden ein durch eine and getrenntes Gebäude, wobei zwei Systeme berücksichtigt wurden: Wohnungen nur für eine Familie, und größere Wohnungen mit der Einrichtung, unverheirathete Kostgänger aufzunehmen. Die Herstellungskosten einer Wohnung der ersten Art betragen 2100 ℳ und der zweiten 3200 ℳ, der jährliche Mieths⸗ preis 90 bezw. 120 ℳ An Familienwohnungen waren Ende 1891 271 vorhanden. Mit einer rößeren Anlage von Arbeiterwohnhäusern ist die Oderfelder Möbelfabrik in Barbis am Harz beschäftigt. Die in Wilhelmsburg belegene Hamburger Wollkämmerei hat 40 Wohn⸗ häuser für ihre Arbeiter errichtet; der Miethzins beträgt für ein Haus monatlich 18 ℳ Jedes dieser Wohnhäuser enthält im Erdgeschoß die Küche und ein großes Zimmer und im ersten und zmeiten Sto je 2 Zimmer, von denen das eine zwei, das andere ein Fenster hat; auch gehört zu jedem Haus ein Garten von etwa 75 qm.
Im “ Arnsberg hat ein Arbeitgeber eine Wohnungsrevisions⸗ ommission errichtet, welche die Wohnungen von Arbeitern auf ihre Güte und Gesundheit zu revidiren hat. Es
werden überhaupt solche Wohnungen revidirt welche von Ark
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die Heimathgemeinde ni
hzur Beschlu⸗
der Firma gemiethet sind. Dabei stoellte sich heraus, daß von untersuchten Wohnungen in der Stadt Altena — im Urtheil des Fabrikarztes 84 zulässig, 7 zu klein, 12 mangelhaft, 2 unwürdig, 14 ungesund, 4 durchaus unzulässig waren.
Im Regierungsbezirk Kassel hat sich die Sorge für Beschaffun gesunder und billiger Wohnungen für Arbeiter auch im Jahre 1898 8 erfreulich bethätigt. Die Heyn'sche Glasfabrik hat jetzt 50 Arbeiter⸗ wohnhäuser. Die Rechberg'sche Tuchfabrik in Hersfeld ist mit der Anlage einer Arbeiter⸗Colonie beschäftigt. Die Firma Wegmann in Rothenditmold bei Kassel hat eine ausgedehnte Baufläche erworben, um in diesem Jahr mit dem Bau von Arbeiterwohnungen vorzu⸗ gehen.
Im Regierungsbezirk Wiesbaden sind die Wohlfahrtseinrich⸗ tungen der Firma Farbwerke vormals Meister, Lucius und Brüning in Höchst zu beachten; sie hat jetzt 180 Familiendoppelwohnungen mit Stallung und Gärtchen; sie erhebt dafür eine Miethe, welche einer Verzinsung von ungefähr 3 % des Baukapitals ent⸗ spricht. Zur Beschaffung von gesunden und billigen Wohnungen für Arbeiter ist in Höchst eine Actiengesellschaft zusammengetreten. Swei Wohnhäuser — bereits fertiggestellt. 8 .
In den Regierungsbezirken Köln und Koblenz war die Bau⸗
thätigkeit für Arbeiterwohnungen eine geringere als im Vorjahr, was
auf die ungünstigere Geschäftslage zurückgeführt wird. Krupp hat auf der Hermannshütte ein Arbeiter in mustergültiger Weise errichtet. In Köln hat sich die Stadtverwaltung durch Zeichnung eines Theils des auf 600 000 ℳ bemessenen Actienkapitals an der dort in Bildung be⸗ 5 gemeinnützigen Baugesellschaft betheiligt. Im Regierungs⸗ ezirk Düsseldorf sind auch im Jahre 1891 gemein⸗ nützige Bauvereine, Werksverwaltungen und Private mit dem Bau von Arbeiterwohnungen weiter vorgegangen. Im Regierungsbezirk öö“ bestehen Arbeiterwohnungen nur in einem Hücter werk; ein dringendes Bedürfniß zur Errichtung solcher ist bei de dortigen Verhältnissen auch nicht vorhaneeen.
1““ Trinkerheilanstalt. 8 11 Königreich Sachsen ist jetzt die erste Trinkerheilanstalt eröffnet worden; sie bietet bereits einigen Patienten ein friedliches eim, in dem sie ihrer Gesundung entgegengehen. Vorsteher der nstalt ist der frühere Rettungshaus⸗Inspector, jetzige Gutsbesitzer L. Kretzschmar in Stenz bei Königsbrück. Ein Comité zur Ueber⸗ wachung und Förderung des Unternehmens hat sich unter dem Vorsitz des Geheimen Regierungs⸗Raths Dr. Böhmert in Dresden gebildet, und die Mitglieder dieses Comités sind gern zur Auskunfts⸗ ertheilung an Alkoholkranke und deren Angehörige bereit. Es sind außer dem genannten Vorsitzenden die Herren Dr. Bode⸗Herms⸗ dorf bei Dresden, von Graisowsky⸗Dresden, Bürgermeister Heinze und Dr. med. Hottenroth in Königsbrück, Oberforster Lehmann⸗ Laußnitz, Dr. med. Meinert⸗Dresden und Pastor Weinart in Krakall. Die Anstalt steht im Zusammenhang mit dem Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, der in Dresden, 7, seinen Sitz hat, und der Vorstand dieses Vereins hat kürzlich auch be⸗ sch efsen, einigen von der Trunksucht betroffenen Familien dadurch bei⸗ zuste en, daß die Kosten des Aufenthalts in Stenz zum theil von der Vereinskasse übernommen werden. Selbstverständlich wird diese Vergünstigung nur dann gewährt werden, wenn die Angehörigen oder d it in der Lage sind, die ganze Summe zu zahlen, und wenn der Fall von einem Vereinsmitgliede empfohlen wird. Der Pensionspreis beträgt 400 ℳ im Jahr, kann aber auch ermäßigt werden, wenn der Pflegling zu voller Arbeitsleistung fähig und willig ist. Ein Aufenthalt von weniger als einem Jahr ist nicht zu empfehlen. An die Vorstände von Armenverbänden, Wohl⸗ thätigkeitsvereinen und Krankenkassen ergeht die Bitte, die Unter⸗ bringung von Trunksüchtigen in dieser Anstalt in Erwägung zu ziehen, wo dadurch dauernder Noth odes dauernder Krankheit vorgebeugt werden kann.
Friedrich
Logirhaus für
Trunksucht als Todesursache.
Nach den aus 15 größeren Städten der Schweiz vorliegenden amtlichen Sterbekarten ist im Jahre 1891 bei 425 Personen im Alter von 20 Jahren und darüber Trunksucht als mittelbare oder unmittel⸗ bare Ursache des Todes angegeben, und zwar bei 366 (von insgesammt 3409) verstorbenen Männern und bei 59 (von insgesammt 3476) ver⸗ storbenen Frauen dieses Alters. Auf je 100 gestorbene männliche Personen kamen im Alter von 20 bis 39 Jahren 11,6, im Alter von 40 bis 59 Jahren 14,8 Todesfälle an Trunksucht und deren Folgen. Von den einzelnen Berufsarten waren am häufigsten die Handwerker und Fabrikarbeiter (139 Mal), demnächst die Wirthe (46 Mah) unter jenen 366 Gestorbenen vertreten.
Zur Arbeiterbewegung. “
Opposition gegen die socialdemokratische Parteileitung und das Centralorgan „Vorwärts“ macht sich in Arbeiterver⸗ sammlungen periodisch immer wieder bemerklich. Der „Vorwärts“ aflegt dann die Widerstrebenden einfach den sogenannten „Unabhängigen“ zuzuzählen. Das geschieht auch mit den Berliner Klempnergehilfen, die in einer Ver⸗ sammlung des Fachvereins der Klempner und Berufsgenossen am Nüntag sich sehr heftig über den „Vorwärts“ und ein Mitglied der socialdemokratischen Parteileitung aussprachen. Die Berliner „Volksztg.“ berichtet über diese Versammlung:
Klempner Elend theilte der Versammlung mit, daß der „Vorwärts“ sich weigere, Berichte von den Klempnern⸗ aufzunehmen. Diese Mittheilung rief große Entrüstung hervor und gab zu einer heftigen Polemik gegen das socialdemokratische Centralorgan Veranlassung. Die Klempner hätten sich von dem Metallarbeiter⸗Verband losgesagt und eine selbständige Vereinigung begründet, um ihre Interesen besser wahren zu können. Dies sei nicht nach dem Willen des Verbands⸗ vorsitzenden Herrn Gerisch, der gleichzeitig Vorstandsmitglied der socia demokratischen Parteileitung ist, gewesen, und nun suche dieser augenscheinlich die “ der Berichte über die Klempner⸗ bewegung zu hintertreiben. Der „Vorwärts“ sei ein reines „Bourgeois⸗ blatt“; das Geld der Arbeiter sei den Herren dort angenehm. Klempner Bräuer trat den Ausführungen einiger Vorredner, soweit diese sich gegen den Metallarbeiter⸗Verband richteten, entgegen, wurde aber durch Zwischen⸗ rufe und Lachen unterbrochen. Klempner Selchow empfahl die An⸗ nahme einer Resolution gegen den „Vorwärts“. Hiergegen machte Klempner Köhler geltend, daß man das Blatt einfach nicht mehr halten möge; dies zu befolgen, sei besser als eine Resolution. Da diese Ansicht keinen Widerspruch fand, wurde von der Annahme einer Resolution Abstand genommen.
Die Agitation auf dem Lande bildete den Gegen⸗ stand der Verhandlung in einer socialdemokratischen Versammlung in Leipzig, zu der sich der „Lpz. Ztg.“
1b zufolge etwa 400 Personen am Dienstag eingefunden hatten
as Blatt berichtet:
Die auf die “ der Bezirke von der Social tigkei
demokratie gerichtete Thä t der conservativen Partei schien un angenehm empfunden worden zu sein; wenigstens unternahm Herr Geyer als Referent mehrere scharfe Angriffe auf diese Thätigkeit Er kündigte das Erscheinen zweier epochemachenden Broschüren über die lünclichen Verhältnisse und das Parteiprogramm an und empfahl bis dahin seiner Partei bei ihren Agitationsausflügen aufs Land das unausgesetzte Betonen der Getreidezölle und der Gesindeordnung als vorzüglich geeignet für den „Gimpelfang“. Der Rath eines anderen ing dahin, die in den Städten herangebildeten Agitatoren nach ihren Heimathdörfern zum Zwecke der Agitation zu entsenden.
In Breslau fand am letzten Sonntag die Haupt⸗ versammlung des Deutschen Buchdruckervereins statt, in der die Tarifangelegenheit zu einer langen Debatte Veranlassung gab. in ursprünglich vom Vereinsvorstand
1 ssung vorgelegter Antrag wurde von ver⸗