Die Deckung des Mehrbedarfs an fortdauernden Aus⸗ gaben, welcher als Folge der in Aussicht genommenen Heeres⸗ verstärkung erwartet werden muß, macht die Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs nothwendig. Die hierfür ausgearbeiteten Gesetzentwürfe sind mit Genehmigung Seiner Majestät des Kaisers dem Bundesrath vor⸗ gelegt. Danach wird beabsichtigt, die erforderlichen Mittel aus einer ergiebigeren Besteuerung des Bieres, des Brannt⸗ weins und der Börsengeschäfte zu gewinnen.
Die Biersteuer soll innerhalb der Brausteuergemeinschaft verdoppelt werden. Um indeß einer Ueberbürdung der kleineren Brauereien vorzubeugen, die infolge ihrer unvollkommeneren
technischen Einrichtungen einen relativ größeren Malzverbrauch
zu haben pflegen, als die Großbetriebe, wird für die ersteren f Ermäßigung der Steuer empfohlen, deren
finanzielle Wirkung durch eine Erhöhung des Satzes für die letzteren ausgeglichen wird. Ferner soll der Satz, nach welchem den einzelnen betheiligten Staaten die
Kosten der Erhebung und Verwaltung der Brausteuer ver⸗
gütet werden, künftig von 15 auf 10 Proc. der Gesammt⸗
einnahme ermäßigt und Elsaß⸗Lothringen bei dieser Gelegen⸗ heit in die Brausteuergemeinschaft einbezogen werden.
Der Ertrag der Branntweinsteuer soll durch eine Er⸗ höhung des niedrigeren Satzes der Verbrauchsabgabe von 50 auf 55 ₰ für das Liter reinen Alkohols gesteigert werden. Daneben wird es nöthig, die Gesammt⸗Jahresmenge Brannt⸗ wein, welche zum niedrigeren Abgabesatze hergestellt werden darf, von 4,5 auf 4 1 reinen Alkohols für den Kopf der Be⸗ völkerung herabzusetzen, um gegenüber dem Zurückbleiben des Trinkconsums hinter den Erwartungen die Wirkung der Con⸗ ingentirung auch für die Zukunft sicher zu stellen. 8
Der letzte Vorschlag geht dahin, die durch das Gesetz vom 29. Mai 1885 eingeführte Abgabe von Kauf⸗ und An⸗ chaffungsgeschäften über Werthpapiere und andere börsen⸗ mäßig gehandelte Waaren, Nr. 4 des Tarifs zum Reichs⸗ tempelgesetze, von 1⁄10 bezw. ⁄10 vom Tausend auf das Doppelte dieser Sätze zu erhöhen und durch veränderte Ab⸗ tufung der Werthklassen in Zukunft die Möglichkeit auszu⸗ chließen, daß namhafte Beträge von der Besteuerung überhaupt rei bleiben. 1 8
Der aus der Durchführung dieser Steuerprojecte sich er⸗ gebende Mehrertrag ist — einschließlich der von den süd⸗ deutschen Staaten an Stelle der Biersteuer zu entrichtenden Aequivalente — auf insgesammt etwa 58 Millionen Mark ährlich zu schätzen.
Eine höhere Besteuerung des Tabacks in irgend welcher Form wird nicht beabsichtigt. 8
Für die Zeit vom 1. April 1892 bis zum Schlusse des Monats Oktober 1892 sind von Einnahmen leinschließlich der reditirten Beträge) an Zöllen und gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern sowie von anderen Einnahmen im Deutschen Reich zur Anschreibung gelangt: .
Zölle 225 613738 ℳ (gegen denselben Zeitraum des Vorjahres — 4 271 619 ℳ), Tabacksteuer 5 470 327 ℳ (+ 164455 ℳ), Zuckermaterialsteuer — 53 708 323 ℳ (+ 3 308 208 ℳ), Ver⸗
brauchsabgabe von Zucker 34 848 897 ℳ (+ 3 691 041 ℳ), Salzsteuer 23 195 971 ℳ (— 338 330 ℳ), Maischbottich⸗ und Branntweinmaterialsteuer 3 374 295 ℳ (+ 737 912 ℳ) Verbrauchsabgabe von Branntwein und Zuschlag zu derselben 65 552 747 ℳ (— 5 814 894 ℳ), Brausteuer 15 342 361 ℳ + 149 006 ℳ), Uebergangsabgabe von Bier 2 005 123 ℳ + 70 701 ℳ); Summe 321 695 136 ℳ (— 2 303 550 ℳ). — Spielkartenstempel 666 427 ℳ (+ 5 635 ℳ), Wechsel⸗ stempelsteuer 4 608 356 ℳ (— 194 660 ℳ), Stempelsteuer ür a. Werthpapiere 1 694 774 ℳ 8 433 796 ℳ), b. Kauf⸗ und sonstige Anschaffungsgeschäfte 5 259 087 ℳ — 1 514 021 ℳ), c. Loose zu Privatlotterien 1 309 087 ℳ + 154 638 ℳ), Staatslotterien 4 040 612 ℳ (+ 27 927 ℳ). Die zur Reichskasse gelangte Ist⸗ Einnahme ab⸗ üglich der Ausfuhrvergütungen und Verwaltungskosten be⸗ rägt bei den nachbezeichneten Einnahmen bis Ende Oktober 1892: Zölle 209 645 742 ℳ (+ 5 720 632 ℳ), Tabacksteuer 7357 723 ℳ (— 654 744 ℳ), Zuckermaterialsteuer 16 579 477 ℳ + 905 142 ℳ), Verbrauchsabgabe von Zucker 30 365 471 ℳ z), Salzsteuer 21 835 630 ℳ (— 224 579 ℳ), und Branntweinmaterialsteuer 9615 956 ℳ — 10 707 ℳ), Verbrauchsabgabe von Branntwein und uschlag zu derselben 56 113 716 ℳ (— 7 786 677 ℳ), Brau⸗ euer und Uebergangsabgabe von Bier 14 742 129 ℳ †+ 186 787 16 Summe 366 255 844 ℳ (— 3 321 979 ℳ). — Spielkartensten ℳ)
8
Bei der allgemeinen Viehzählung, die auf Beschluß es Bundesraths am 1. Dezember d. J. im Deutschen Reich stattfindet, werden voraussichtlich die Ortsbehörden vielfach an Volksschullehrer auf dem Lande das Ersuchen richten, sich bei der Ausführung des Zählgeschäfts in der einen oder anderen Weise zu betheiligen. Soweit die Lehrer dabei mitwirken vollen, hat der Unterrichts⸗Minister genehmigt, daß der ihnen bliegende Unterricht an dem Tage ausfällt.
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Heute Morgen um 8 ½ Uhr ist der Geheime Ober⸗Bau⸗ und vortragende Rath im Ministerium der öffentlichen Ar⸗ beiten Professor Ludwig Hagen nach längerem, anscheinend bereits gehobenem Leiden plötzlich am Herzschlage dahin⸗ geschieden.
8 Friedrich Ludwig Hagen, als ältester Sohn des Ober⸗ Landes⸗Baudirectors, Wirklichen Geheimen Raths Dr. Hagen am 29. August 1829 in Pillau geboren, wurde, nachdem er bereits im Jahre 1849 als Geometergehilfe bei der Königlichen Ostbahn eingetreten war und 1851 seine Feldmesserprüfung abgelegt hatte, im Jahre 1859 zum Baumeister ernannt und zunächst bis zum Jahre 1862 mit der Leitung der Hafenbauten bei Ruhrort und so⸗ dann bis 1866 mit der Leitung der Bauten zur Kanalisirung der oberen Saar betraut. Im Jahre 1866 wurde er zum Wasser⸗Baumeister in Genthin, 1868 zum Wasser⸗Bauinspector daselbst, 1871 zum Ober⸗Bauinspector bei der Königlichen Regierung in Köslin und 1874 zum Regierungs⸗ und Baurath daselbst ernannt. Am 1. Juli 1875 wurde er als Hilfsarbeiter in das damalige Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten berufen und gleichgeitig mit der Aufgabe betraut, an der damaligen Bau⸗
Akademie Vorlesungen über den Wasserbau zu halten. Am 1. Januar 1876 erfolgte seine Ernennung zum Geheimen Bau⸗ und vortragenden Rath, im Jahre 1880 1 Beförderung zum Geheimen Ober⸗Baurath. Neben dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse am weißen Bande, der Landwehr⸗Dienstauszeichnung zweiter Klasse und der Kriegsdenkmünze für Nichtcombattanten für 1870,71 besaß Hagen den Rothen Adler⸗Orden zweiter Klasse mit Eichenlaub und das Ritterkreuz der französischen Ehrenlegion. Von Jugend auf war Hagen mit unermüdlichem Eifer und bestem Erfolge bestrebt, des Namens und des Ruhmes seines Vaters, des Ober⸗Landes⸗Baudirectors Hagen, des hoch⸗ verdienten Altmeisters der Wasserbaukunst, sich würdig zu er⸗ weisen. Von diesem Bestreben legten schon im Beginne seiner Laufbahn der Ausfall seiner Prüfungen und der Er⸗ folg bei der Schinkel⸗Concurrenz des Jahres 1858 beredtes Zeugniß ab. Sowohl seine Thätigkeit als Baumeister wie als Bauinspector und Regierungs⸗ und Baurath war von den schönsten Erfolgen begleitet, sodaß für die durch das Ausscheiden des Vaters erledigte Stelle eines vortragenden Raths kein würdigerer Nachfolger als der Sohn in Vorschlag gebracht werden konnte. Mit nie rastendem unermüdlichen Eifer, mit schöpferischer Initiative und sichtbarsten Erfolgen hat Hagen die überaus wichtigen praktischen Aufgaben, die ihm während seiner Thätigkeit an der Centralstelle gestellt waren, erfaßt und durchgeführt. In gleicher Weise hat er ein her⸗ vorragendes Geschick als Lehrer für den Wasserbau an der Bau⸗Akademie und der Technischen Hochschule bewiesen, er hat auf seine Schüler in hohem Grade an⸗ regend gewirkt und sie durch häufig veranstaltete sorgfältig vorbereitete Ercursionen ungemein gefördert. Alle Neuerungen und Erfindungen auf dem Gebiete der Wasserbau⸗ kunst verfolgte er mit regem Interesse und erwarb sich, wie im Inlande, so auch im Auslande den Ruf eines ebenso theoretisch durchgebildeten wie praktisch erfahrenen Wasserbau⸗ Technikers. Der Verlust, welchen das Ministerium der öffent⸗ lichen Arbeiten durch sein Hinscheiden erleidet, ist ein überaus schmerzlicher, schwer zu ersetzender. Sein Andenken wird in Ehren bleiben. 9 “
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Im Kaiserlichen Gesundheitsamt ist heute eine Cholera⸗Erkrankung aus einem Dorfe des Kreises Kulm i. Westpr. gemeldet worden; Erkrankungstag etwa der 14. d. M.
Der Kaiserliche Gesandte in Washington von Holleben ist von dem ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub auf seinen Posten zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Gesandtschaft wieder übernommen.
Wernigerode, 17. November. Das „W. J.⸗B.“ bringt folgende Bekanntmachungen:
„Seine Majestät der Kaiser und König hat bei seiner Abreise nochmals seiner lebhaften Befriedigung insbesondere über die wohlgelungene, reiche und geschmackvolle Aus⸗ schmückung der Straßen der Stadt Ausdruck zu geben und mich wiederholt anzuweisen geruht, dafür der Bürgerschaft seinen Dank besonders auszusprechen, welchem Allergnädigsten Befehl ich auf diesem Wege Folge leiste. Wernigerode, den 16. November 1892. Der Bürgermeister: Schultz.” 2
„Wernigerode, den 16. November 1892. Seine Majestät der Kaiser und König hat des wiederholten Dank und An⸗ erkennung auszusprechen geruht für den herzlichen Empfang, der ihm seitens der Einwohnerschaft der Stadt Wernigerode sowie der Gemeinden Nöschenrode und Hasselrode bereitet worden ist, und für die schöne und reiche Ausschmückung der Straßen und Häuser in genannten Orten. Ich entledige mich eines Allerhöchsten Auf⸗ trages, indem ich diesen Dank und Anerkennung zur Kenntniß der be⸗ theiligten Einwohnerschaften bringe. Der Königliche Landrath: von Hertzberg.“
Bayern.
Seine Königliche Hoheit der Prinz Ludwig hat der „Allg. Ztg.“ zufolge das ihm angetragene Protectorat über den jüngst in Nürnberg gegründeten Verein für Hebung der Fluß⸗ und Kanalschiffahrt in Bayern übernommen.
Hessen.
Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und der Prinz Heinrich von Preußen sind nach der „Darmst. Ztg.“ am Donnerstag Abend von Darmstadt nach Berlin ab⸗ gereist, um sich mit Seiner Majestät dem Kaiser nach der Göhrde zu begeben und dort an den Jagden am 18. und 19. November theilzunehmen. Ihre Königlichen Hoheiten beabsichtigen, am Sonntag früh wieder in Darmstadt ein⸗ zutreffen. Mecklenburg⸗Schwerin.
Wie den „Meckl. Nachr.“ gemeldet wird, ist an Stelle des wegen Erkrankung des Staatsraths von Buchka nach Schwerin abgereisten Staatsraths von Bülow heute Mittag der Ober⸗Hofmeister Graf Bassewitz als schwerin⸗ scher Commissar bei dem Landtag in Malchin eingetroffen. — Zu den Eisenbahnbaukosten für die Strecken Rostock— Sülze — Landesgrenze mit Abzweigung Sanitz —Tessin, Schwerin — Gadebusch —-Rhena und Crivitz — Parchim wird von dem Landtag eine Landeshilfe von 25 000 ℳ pro Kilometer, zu⸗ sammen 2752500 ℳ, gesordert. Die Gesammtkosten sind auf 8 805 000 ℳ veranschlagt. 6
Bremen.
In der Sitzung der Bürgerschaft vom 17. d. M. be⸗ antragte der Senat, vom Zahre 1893 an den Buß⸗ und Bettag für das bremische Staatsgebiet auf den Mittwoch vor dem letzten Trinitatis⸗Sonntag zu verlegen, indem er bemerkte, daß in Preußen dieser Tag vom nächsten Jahre an als Buß⸗ und Bettag bestimmt und mit Sicherheit zu erwarten sei, daß alsbald in den meisten norddeutschen Bundesstaaten die gleiche Einrichtung getroffen werden würde. Nach kurzer Debatte wurde der Antrag des Senats angenommen.
Hamburg.
Am Donnerstag Abend fand in dem Hause des ver⸗ storbenen Bürgermeisters Dr. Petersen eine Leichenfeier im Kreise der Familienangehörigen statt; sodann erfolgte die Ueber⸗ führung der Leiche nach der Nikolai⸗Kirche zur Aufbahrung. Bei dem Trauergottesdienst, gestern Vormittag, hielt der Haupt⸗ pastor Behrmann die Leichenrede; die Kirche war mit Tausenden von Leidtragenden gefüllt. An der Feier nahm als Vertreter
Seiner Majestät des Kaisers der Staats⸗Minister, Staatssecretär des Innern Dr. von Boetticher theil. Ferner waren anwesend: der Commandeur des IX. Armee⸗ Corps, General der Cavallerie Graf von Waldersee, der preußische Gesandte Freiherr von Thielmann, der Ober⸗ Präsident von Schleswig⸗Holstein von Steinmann, die Bürgermeister der Städte Altona und Wandsbeck, die Senatoren, Vertreter aller Militär⸗ und Civilbehörden, das diplomatische Corps, Deputationen der Krieger⸗ und zahlreicher bürger⸗ licher Vereine, der Feuerwehr u. s. w. Nach Schluß des Trauergottesdienstes setzte sich gegen 12 Uhr der Leichenzug mit dem vierspännigen Leichenwagen unter dem Vorantritt des Musikcorps des in Hamburg garnisonirenden Regiments in Be⸗ wegung. Unmittelbar hinter dem Sarge schritten die Mit⸗ glieder der Familie Petersen; zwischen dem Staatssecretär Dr. von Boetticher und dem commandirenden General Grafen Waldersee ging der preußische Gesandte Freiherr von Thiel⸗ mann; dann kamen die Mitglieder des Senats, an ihrer Spitze Bürgermeister Dr. Moenckeberg, ferner die Senats⸗Syndici, das Präsidium der Bürgerschaft, das Offizier⸗ corps und das diplomatische Corps. Ihnen schlossen sich die übrigen Theilnehmer der Trauerversammlung an. Der fast endlose Zug bewegte sich durch die Hauptstraßen der Stadt. Beim Passiren des Stadt⸗Theaters spielte die Theaterkapelle einen Choral. Gegen 3 Uhr traf der Zug auf dem Kirchhofe zu Ohlsdorf ein, wo der Sarg zunächst in die mit Palmen reich geschmückte Kapelle getragen wurde, in der der Hauptpastor Grimm Worte des Ab⸗ schieds sprach. Der Sarg wurde sodann unter den Klängen des von der Regiments⸗Musik gespielten Beethoven’'schen Trauermarsches zum Grabe getragen. Dort sprach der Haupt⸗ pastor Grimm Gebet und Segen, worauf der Sarg, während der Stadt⸗Theaterchor „Wie sie so sanft ruh’n“ sang und die Militär⸗ musik „Es ist bestimmt in Gottes Rath“ spielte, eingesenkt wurde. In allen Straßen, welche der Zug passirte, bildete eine dichtgedrängte Menschenmenge Spalier. Die meisten
Häuser der Stadt sowie die im Hafen liegenden H Schiffe h
atten Halbmast geflaggt.
1e““
Oesterreich⸗Ungarn.
Wie dem „Frdbl.“ aus Konstantinopel berichtet wird,
haben dort nach längerer Unterbrechung am 8. und 12. d. M. wieder Conferenzen der beiderseitigen Delegirten für die Verhandlungen über den Abschluß eines neuen Handels⸗ vertrags zwischen Oesterreich⸗Ungarn und der Türkei stattgefunden, in denen es jedoch nicht gelungen ist, eine Einigung über die noch strittigen Punkte des Vertragsentwurfs zu erzielen.
Der ungarische Minister⸗Präsident Dr. Wekerle con⸗ ferirte gestern, wie „W. T. B.“ meldet, mit den aus Pest in Wien eingetroffenen ungarischen Ministern und wurde hierauf vom Kaiser in einer halbstündigen Audienz empfangen.
In der gestrigen Sitzung des österreichischen Ab⸗ geordnetenhauses ist es bei der Weiterberathung des Budgets zu einer tumultuarischen Scene gekommen, wie sie sich in diesem Hause noch niemals ereignet hat. Der Jung⸗ czeche Professor Massaryk griff, wie der „Magd. Ztg.“ ge⸗ meldet wird, die Deutschen in heftigster Weise an und be⸗ hauptete u. a., der Dreibund habe eine antiböhmische Spitze. Er citirte dabei verschiedene Autoren, wie Rat⸗ kowsky, Lagarde, Hartmann, um zu beweisen, daß die Deutschen Oesterreich vernichten und alle Slaven germanisiren oder ausrotten wollten; der deutsche Geist sei verroht. Der Abg. Menger bezeichnete die Ausführungen Massaryk's als den wildesten Ausbruch des Deutschenhasses, der je im öster⸗ reichischen Parlament vorgekommen sei. (Lebhafte Zu⸗ stimmung links.) Eine solche Sprache eines öster⸗ reichischen Professors sei eine Gewissenlosigkeit. „Wir wollen keinen böhmischen Staat (stürmischer Beifall links; Lärm bei den Jungczechen) und heute ist es Hochverrath, vom böhmischen Staatsrecht zu sprechen.“ Diese Worte Menger's riefen bei den Czechen einen ungeheueren Sturm hervor: sie sprangen von den Sitzen auf, klopften auf die Pulte und viele von ihnen stürmten in die Mitte des Saales zur Präsidententribüne unter den Rufen: „Zur Ordnung! Das lassen wir uns nicht gefallen! Zurücknehmen! Widerrufen!“ Dagegen rief die Linke: „Recht hat er, Bravo Menger! Nicht widerrufen!“ Menger rief den Czechen zu: „Sie sprechen von unpassenden Aeußerungen Ratkowsky's, aber ein so gefährlicher Hochverräther wie Sie, Professor Massaryk, ist er nicht.“ Nun steigerte sich die Er⸗ regung der Jungczechen noch. Mit drohend geballten Fäusten und wildem Geschrei stürzten sie gegen die Bänke der Linken. Man schrie sich gegenseitig allerlei Beleidigungen zu und erwartete jeden Augenblick, es werde zum Handgemenge kommen. Da rief Menger den Jungczechen zu: „Es giebt in ganz Schlesien keinen Deutschen, der die Errichtung eines czechischen Staats nicht für Hochverrath hielte!“ Jetzt erreichte der Lärm seinen Gipfelpunkt. Der Präsident erklärte die Fortsetzung der Verhandlung für unmöglich und schloß die Sitzung. Unter andauernder Erregung und heftigen Discussionen ver⸗ ließen die Abgeordneten den Saal.
Fünf Abgeordnete zum Reichsrath aus Dalmatien und Istrien haben einen unabhängigen kroatisch⸗sloveni⸗ schen Club gebildet und dem Präsidenten des Abgeordneten⸗ hauses sowie den übrigen Reichsraths⸗Clubs die erfolgte Con⸗ stituirung des Clubs angezeigt.
Eine Versammlung der Delegirten von etwa vierzig Ver⸗ einen in Budapest beschloß einstimmig die Veranstaltung eines Fackelzugs zu Ehren des Minister⸗Präsidenten Dr. Wekerle. führung kommen.
Großbritannien und Irland. “
Der nächste Cabinetsrath ist auf den 21. d. M. ein⸗ berufen. Nach der „A. C.“ wäre die Unterbrechung der Sitzungen des Ministeriums dem Umstand zuzuschreiben, daß Morley nach Dublin gegangen sei, um besondere Erkundi⸗ gungen über die Fragen einzuziehen, die das Ministerium gegenwärtig erwägt. 1“
Der Verwaltungsrath der Liberations⸗Gesellschaft, die bekanntlich für das ganze Vereinigte Königreich die Ent staatlichung der Kirche anstrebt, tagte kürzlich in Londan und beschäftigte sich eingehend mit dem Gegenstande. Die Gese 4 schaft glaubt um so bessere Aussichten Durchführung ihre zu haben, da so viele Nonconformisten nch Parlament gewählt worden seien Die vom Verwaltungsra
in Moskau und in dem verboten wird.
Der Zug dürfte am nächsten Mittwoch zur Aus⸗
angenommenen Beschlüsse stützen sich auch auf diese Thatsache und fordern erhöhten Ernst in den Bemühungen Tbasfach schaft und ihrer Freunde, eine günstige Stimmung für die Entstaatlichung der Kirche herbeizuführen. Die irischen Grundbesitzer sind bemüht, Material
für ihre Sache zu sammeln, um die Bedeutung der Er⸗ hebungen der Commission über die ausgewiesenen Pächter ab⸗ zuschwächen. Aus Dublin wird gemeldet, daß das Executiv⸗ Comité der irischen Grundbesitzer⸗Convention die⸗ jenigen Eigenthümer, deren Besitz Gegenstand der Untersuchungen der genannten Commission bildet, aufge⸗ fordert hat, Berichte, die detaillirt die Ursachen, Ge⸗ schichte ꝛc. der auf ihren Gütern seit 1879 vorgenommenen Ausweisungen behandeln, so schnell wie möglich herbeizuschaffen. Ein ähnliches Ersuchen wird auch an alle jene Grundeigen⸗ thümer gerichtet werden, deren Besitz möglicherweise Gegen⸗ stand der Untersuchung der Commission gilden könnte. Es besteht die Absicht, diese Berichte möglichst gleichzeitig mit denjenigen der Untersuchungs⸗Commission zu veröffentlichen. In Goleen (West⸗Cork) fand am 15. d. M. im Freien eine Kundgebung zu Gunsten der Nichtzahlung der Pacht statt. Sowohl der Pater Forrest als auch das irische Parla⸗ mentsmitglied Gilhooly empfahlen den Pächtern, angesichts des Nothstandes erst für ihren Unterhalt zu sorgen und nur dann den Pachtzins zu entrichten, wenn ihnen dazu noch etwas übrig geblieben sei.
In Dublin tagten am 15. d. M. zugleich die Anti⸗ varnellitische Irish National Federâtion unter Justin Mac Carthy und die Parnellitische Nationalliga unter Vorsitz John Redmond’'s. Die erstere Versammlung verlief ziemlich ruhig, in der letzteren fielen heftige Aeußerungen nd wurde die Gründung einer besonderen Organisation unter dem Titel grlands Unabhängigkeitsarmee“ beschlossen
Die Deputirtenkammer beendete gestern die General⸗ ebatte über den Preßgesetzentwurf und beschloß mit 329 gegen 228 Stimmen, dem von der Regierung ausgesprochenen Wunsch gemäß zur Berathung der einzelnen Artikel des Ent⸗ wurfs überzugehen. Ueber den Verlauf der Debatte ist den Berichten des „W. T. B.“ Folgendes zu ent⸗ nehmen: Der Deputirte Pichon (radical) bekämpfte
ie Vorlage und vertheidigte die Politik der republi⸗ kanischen Partei, welche die errungene Freiheit zu erhalten Der Deputirte Méziêéres trat für die Vorlage
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wissen werde. als eine Maßregel im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt ein. Nachdem sodann noch mehrere Redner gegen den Ent⸗ wurf gesprochen hatten, erklärte der Minister⸗Präsident Loubet auf eine an ihn gerichtete Anfrage unter dem Beifall des Centrums, er sei bereit, eine Interpellation über die allgemeine Politik des Cabinets zu beantworten, aber erst nachdem die Kammer sich über den Preßgesetzentwurf geäußert haben werde. Die Regierung sei sich bewußt, ihre Pflicht erfüllt zu haben und ihrem Programm treu geblieben zu sein, indem sie jede Freiheit zugelassen habe und nur der Zügellosigkeit entgegen⸗ getreten sei. Sie werde auch ferner in der Ausführung ihres Programms fortfahren, wenn sie weiter die Macht in Händen behalte. Im weiteren Verlauf der Debatte erörterte dann och der Justiz⸗Minister Ricard die Vorlage im einzelnen und legte die Nothwendigkeit der Annahme des Gesetzentwurfs dar. Die Generaldiscussion wurde hierauf geschlossen. Sodann begehrte der Deputirte Goirand, die Regierung über ihre allge⸗ meine Politik zu interpelliren. Der Minister⸗Präsident Loubet verlangte, daß die Kammer zunächst über den Preßgesetz⸗ entwurf entscheide, und stellte zu dieser Forderung die Ver⸗ trauensfrage, wobei er hinzufügte, er werde danach dem Deputirten Goirand zur Verfügung stehen. Die Kammer be⸗ schloß nunmehr die Dringlichkeit der Berathung der Regierungs⸗ vorlage und den Eintritt in die Specialberathung. Alsdann wurde die Sitzung aufgehoben. Die heutigen Morgenblätter constatiren den vom Cabinet in der gestrigen Kammersitzung errungenen Erfolg und schreiben ihn den entschiedenen und loyalen Erklärungen des Minister⸗ Präsidenten Loubet zu. Die endgültige Annahme des Preßgesetzes gilt für hochwahrscheinlich, obschon die Organe der Opposition dies nach wie vor in Zweifel ziehen. Ddie Polizei hat gestern einen angeblichen Anarchisten, einen Deutschen, Namens Fritz Püschel, 36 Jahre alt, wie es heißt aus Köln, verhaftet, der anarchistische Broschüren ver⸗ trieben haben soll. Püschel weigert sich, seine Wohnung an⸗ zugeben.
Rußland und Polen.
Der Großfürst⸗Thronfolger ist, wie telegraphisch gemeldet wird, am Donnerstag früh in Batum eingetroffen und hat Nachmittags seine Reise nach Abbas Tuman wo sich gegenwärtig der Großfürst Georg
Alexandrowitsch aufhält. Der „Regierungsbote“ veröffentlicht eine Verordnung, durch welche den Hebräern, die in der Armee als Unter⸗ ärs nach dem früheren Rekruten⸗Reglement gedient haben, sowie deren Familienangehörigen, die in Städten der inneren Gouvernements neh sind, der Aufenthalt Moskauer Gouvernement
Spanien. 1 Wie es heißt, wird der spanisch⸗portugiesische Handelsvertrag zahlreiche gegenseitige Zugeständnisse der beiden contrahirenden Länder enthalten. Namentlich soll den spanischen Waaren, welche nach Amerika versandt werden, freie Durchfuhr durch Portugal, und den portugiesischen Waaren, welche nach Frankreich bestimmt sind, freie Durchfuhr durch Spanien gestattet sein. v“
Portugal.
Dem König und der Königin, die gestern wieder in Lissabon eingetroffen sind, wurden bei der Ankunft enthu⸗ siastische Ovationen dargebracht. Die Stadt war mit Flaggen geschmückt. Abends hann Illumination und Kunstfeuer⸗ werk statt 8 8 Schweiz.
Der socialdemokratische Re acteur Steck, der üngst in den Berner Großen Rath gewählt worden ist, ollte vorgestern vereidigt werden, erklärte jedoch, seine religiöse Ueberzeugung gestatte ihm nicht, den Eid zu leisten, er könne nur ein Geluͤbde ablegen. Der Rath entschied sich nach längerer Berathung mit 134 gegen 40 Stimmen gegen die Zu⸗ lässigkeit eines bloßen Gelübdes. Steck erklärte, er
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werde bei der Bundesbehörde Schutz suchen.
Belgien.
Die internationale Münzconferenz soll am nächsten Dienstag eröffnet werden; die Eröffnungsrede wird der Minister⸗Präsident Beernaert halten.
In der belgischen Repräsentantenkammer hat am 17. d. M. die Adreßdebatte begonnen. Der radicale Partei⸗ führer Janson begründete, wie der „Nat.⸗Ztg.“ berichtet wird, seine ablehnende Haltung gegenüber einer an den König als Antwort auf die Thronrede zu richtenden Adresse insbesondere⸗ damit, daß alle von seiner Partei erhobenen Forderungen unerfüllt geblieben seien. Janson, der die Thronrede als farblos bezeichnete, exemplificirte insbesondere mit dem allge⸗ meinen Stimmrecht. Der Redner bezeichnete die Lage als ernst, sodaß bestimmte Entschließungen nothwendig seien. „Die Stunde ist gekommen“, betonte der Redner, „in der gesprochen, Gerechtigkeit gewährt, auf die Privilegien verzichtet, sowie das Regime des Rechts eingeleitet werden muß... Ich appellire an Ihre Billigkeit, Ihre Gerechtigkeit, um dem Volke dasjenige zu gewähren, was es fordert.“ Janson schlug deshalb ein Amendement vor, wonach der Artikel 47 der Verfassung in dem Sinne revidirt werden soll, daß das allge⸗ meine Stimmrecht allen denjenigen gewährt wird, die nicht durch ihre Unwürdigkeit ausgeschlossen werden. An der Adreß⸗ debatte betheiligten sich insbesondere die Abgg. Woeste und Bara, sowie der Minister⸗Präsident Beernaert, der die Thronrede gegenüber den gegen sie gerichteten Angriffen ver⸗ theidigte. Auch Bara erklärte wie Janson, daß er gegen die Adresse stimmen würde. Die Debatte wurde dann vertagt.
Im Verlaufe der gestrigen Sitzung forderte der Abg. General Brialmont die Regierung auf, kategorisch zu er⸗ klären, ob sie noch im Laufe der gegenwärtigen Session einen Gesetzentwurf über die persönliche Wehrpflicht einzu⸗ bringen gedenke. Der Minister⸗Präsident Beernaert er⸗ widerte, die Regierung habe sich mit dieser Frage nicht befaßt. Der Kriegs⸗Minister Pontus hob hervor, er habe die Ver⸗ mehrung der Contingente durchgeführt und die Frage der Reserve gelöst; die Frage der persönlichen Wehrpflicht hin⸗ gegen habe er in sein Programm nicht aufgenommen.
Rumänien.
Der König und der Prinz Ferdinand sind gestern Abend wieder in Bukarest eingetroffen. Die Minister und andere hohe Würdenträger waren zum Empfange am Bahn⸗ hof anwesend. Von einer zahlreichen Volksmenge enthusiastisch begrüßt, wurden der König und der Prinz Ferdinand mit Fackeln nach dem Palais geleitet. Die Stadt war reich be⸗ flaggt; der Platz vor dem Schlosse beleuchtet.
Nach einer Meldung der „Neuen freien Presse“ aus Bukarest hätte sich die russische Regierung bei der internationalen Donaucommission über die Be⸗ handlung beschwert, welche das Gagarin’'sche Schiff „Olga“ bei der Einfahrt in die Sulina⸗Mündung erfahren habe
Serbien. 8
Der russische Gesandte Persiany hat, wie der „Köln. Z.“ aus Belgrad berichtet wird, dem Minister des Aeußern Avakumowitsch eine Einladung seiner Regierung zur Ein⸗ leitung von Handelsvertragsverhandlungen überbracht. Die serbische Regierung ernannte infolgedessen den Director des Zolldepartements Kosta Stefanowitsch, ferner den Abg. Gentschitsch und den Minister⸗Secretär Zukitsch zu Vertretern. Die Verhandlungen haben bereits begonnen, sie werden in Belgrad geführt und russischerseits von dem Staatsrath Timirjazew geleitet werden. 8
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Nachdem das Folkething in seiner Sitzung vom 14. d. M. das Finanzgesetz in erster Lesung angenommen und mit 65 gegen 25 Stimmen dessen zweite Lesung bewilligt hatte, begann gestern die erste Lesung des Entwurfs über die Organisation der dänischen Armee. Der Abg. Bojsen wollte, wie das „D. B. H.“ berichtet, die Vorlage als den Versuch der Re⸗ gierung, eine vollständige Armeeorganisation zu erhalten, anerkennen, aber die Ansicht mache sich immer mehr geltend, daß die militärischen Ausgaben in zu hohem Grade gewachsen seien und vermindert werden müßten. Seine Partei stehe auf dem Standpunkt des Armeeplanes von 1876, wonach die dänische Armee aus 21 Linien⸗ und 21 Reservebataillonen bestehen solle; gegenüber dem vorgelegten Plane werde man dann über 1 ½ Millionen Kronen sparen. Der Abg. General Thomsen (Rechte) erklärte, daß seine Partei für die Vertheidigung des Landes weiter arbeiten wolle; zu normalen Zu⸗ ständen werde man nicht eher kommen, als bis man sich über eine Ordnung des Vertheidigungswesens geeinigt habe. Das Folkething müsse in jedem Falle bestimmt sagen, was es wolle. Der Abg. Stagil wollte diesem Ministerium, das so lange entgegen der Verfassung regiert habe, die Durch⸗ führung dieser Sache nicht anvertrauen; auch der Abg. Dr. Brandes erklärte sich aus finanziellen Gründen gegen die Vorlage.
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Amerika.
Das amerikanische Schiff „Philadelphia“ ist nach einer Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ mit dem bisherigen Gouverneur von Caracas Mijares an Bord in New⸗York eingetroffen. Der Capitän des Schiffs hatte die von den Behörden von La Guayra geforderte Auslieferung des Gouverneurs verweigert. Man befürchtet daraus Ver⸗ Wö da das Schiff zu den Reserve⸗Kriegsschiffen gehört.
Preußischer Landtag. 3 Haus der Abgeordneten. 4. Sitzung vom 19. November, 11 Uhr.
Der Sitzung wohnen bei der Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg, der Finanz⸗Minister Dr. Miquel und der Justiz⸗Minister Dr. von Schelling mit Regierungs⸗Commissarien.
Die erste Berathung des Gesetzentwurfs wegen Aufhebung directer Staatssteuern und der Denk⸗ schrift wird fortgesetzt. 8
Abg. Graf Behr (freicons.) vermißt den Beweis der Noth⸗ wendigkeit der beabsichtigten Umwälzung des Steuersystems. Man habe früher stets nur von der Ueberweisung, nicht von der
Aufhebung der Realsteuern gesprochen; niemand sei also durch seine frühere Stellungnahme gebunden. Die Reform biete aber auch keine großen Vortheile: es trete keine Erleichterung der Steuerlast, sondern nur eine Verschiebung ein, und zwar mit Hilfe einer neuen Steuer, die keinen ange⸗ nehmen Eindruck mache. Es sei bedenklich für den Staat, auf Steuern zu verzichten, die man stets als das Rückgrat der Staatsfinanzen bezeichnet habe. Die Aufhebung der. Grundsteuer bringe dem Grundbesitz ein Geschenk auf Kosten der Allgemeinheit. Redner ist mit der Aufhebung der lex Huene nicht einverstanden, da dieser bald die Aufhebung der landwirthschaftlichen Zölle folgen werde. Auch hätte ein Wahlgesetz gleichzeitig mit den Steuergesetzen vorgelegt werden müssen; ohne ein solches könnten letztere nicht an⸗ genommen werden. Die Rückforderung“ der Grund⸗ steuer-⸗Entschädigung hält Redner für ein Unrecht. Mit der Vermögenssteuer werde eine richtige Heranziehung des fundirten Einkommens nicht erreicht; es könne dies besser im Rahmen der Einkommensteuer geschehen. Der Bauer würde lieber 10 Proc. Steuern mehr bezahlen als die neue Steuer, welche so tief in alle Verhältnisse eingreife. Redner empfahl Aufrechterhaltung der lex Huene unter gleich⸗ zeitiger Fixirung des Betrages, Ueberweisung der 40 Millionen Ueberschüsse aus der Einkommensteuer an die Gemeinden und Gutsbezirke oder an die Provinz.
General⸗Director der directen Steuern Burghart: Wenn wirklich der Vorschlag des Vorredners allgemeine Zu⸗ friedenheit erregen würde, dann brauchte man sich mit den Vor⸗ lagen nicht weiter zu befassen. Aber er bezweifle nicht, daß sich gegen diesen Vorschlag noch viel mehr Widerspruch als gegen die Vorlage erheben würde. Zudem würde es nur ein schwankendes Uebergangsstadium sein, in welches man hineinkomme, und eine Steuerreform wäre dann mindestens auf ein Menschenalter hinaus ausgeschlossen. Die stärkere Heranziehung des fun⸗ dirten Einkommens solle ein Schlagwort sein! Zehre nicht der Arbeiter seine Arbeitskraft auf, während der Rentier seine Kraft, das heißt sein Vermögen behalte? Der Vorredner meine, der Werth des Grundbesitzes könnte nicht geschätzt werden. Werde er denn nicht bei der Erbschafts⸗ steuer, bei Beleihungen und Veräußerungen ebenfalls geschätzt? Die Provinzialbehörden seien seit dem Frühjahr hingewiesen auf die Steuerreformpläne, sie hätten also Zeit gehabt, ihre Gutachten vorzubereiten, und die Regierung habe diese gründlich durchgearbeitet. Wenn die Gemeinden die Realsteuern erhielten, dann sollten sie diese nicht etwa übermäßig belasten; denn jede Realsteuer, die ohne Rücksicht auf den Schuldenstand erhoben wird, habe ihre Grenze in sich. Die ungemessenen Zuschläge zur Einkommensteuer seien der Ruin der Staatssteuern; denn bei 500 oder 600 Proc. Zuschlag könne keine richtige Einschätzung stattfinden. Bei aller Achtung vor dem deutschen Volk müsse er doch sagen: wenn durch Declaration der Steuerzahler gleich von vornherein 8 bis 16 Proc. seines Einkommens als Steuer feststellen solle, dann würde er nicht gern declariren. Die Staatsregierrzig gebe die Realsteuern nicht leichtherzig weg, sie fordere ihren Preis dafür, die Ergänzungssteuer, welche manche Unbequemlichkeiten mit sich bringe. Die Real⸗ steuern seien ein Opfer, welches die Regierung bringe für die Durchführung eines großen Planes.
Abg. von Jagow (cons.) erklärt, daß er im Namen der conservativen Partei spreche, welche in dieser Frage einig sei. Die Vorlagen enthielten die Ausführung eines Punktes des Programms der conservativen Partei, der auch durch den § 82 des Einkommensteuergesetzes die Zustim⸗ mung beider Häuser des Landtags gefunden habe. Die lex Huene habe fast überall gut gewirkt, aber die Pro⸗ duction habe sich im Laufe der Jahre wesentlich geändert. Das Unwesen der hohen Zuschläge zu den Staatssteuern könnte man nur dadurch beseitigen, daß man den Gemeinden die Realsteuern zugänglich mache. Die Finanzlage sei keine derartige, daß der Staat auf die Realsteuern einfach verzichten könne, aber der gegenwärtige Zeitpunkt sei ein solcher, daß die Reform jetzt am besten durchgeführt werden dürfte. Seine Partei wolle deshalb den ganzen Plan unterstützen und sich nicht an halber Arbeit betheiligen Sie glaube, daß die Regierung den richtigen Weg eingeschla⸗ gen habe. Aber gans ohne Bedenken seien seine Freunde den Vorlagen gegenüber nicht, namentlich vermißten sie eine Regelung des Wahlrechts. Seine Partei halte das allgemeine directe Wahlrecht theoretisch für falsch und praktisch für gefährlich, dagegen das Dreiklassenwahl⸗ system für das richtige. Die Schmälerung des Wahlrechts der Grundbesitzer würde alle finanziellen Vortheile der Vorlage aufheben. Die conservative Fraetion wünsche die Vorlage möglichst zu stande gebracht zu sehen, aber sie wünsche keine Verschiebung des Wahlrechts im plutokratischen Sinne. Wenn nicht bis zum Abschluß dieser Reform der Fraction der Nachweis erbracht werde, daß ihre Befürchtungen bezüglich der Verschiebung des Wahlrechts unbegründet seien, wenn nicht durch ein besonderes Wahlgesetz Garantien geschaffen würden, würde sie schweren Herzens gegen die ganze Reform stimmen müssen. Er verlange indessen nicht, daß die Staatsregierung schon heute darüber eine bindende Erklärung abgebe; denn die Thronrede gewähre die Ueberzeugung, daß die Regierung bemüht sei, eine Regelung des Wahlrechts herbeizuführen.
(Schluß des Blattes). 8
Dem Herrenhause ist die Uebersicht der von der Staats⸗ regierung gefaßten Entschließungen auf Anträge und Resolutionen desselben aus der Session von 1892 zugegangen. U. a wird einen bezüglichen Beschluß des Herrenhauses bemerkt: „Soweit es die Verhältnisse gestatten, ist bisher schon nach dem Grundsatze verfahren, daß die e der nicht schiffbaren Flüsse in der Regel von unten nach oben erfolgt. Auch in Zukunft wird dieses Verfahren beobachtet werden.“ — Durch Beschluß vom 18. Juni 1892 hatte das Herrenhaus die Staatsregierung aufgefordert: zu er⸗ wägen, ob aus Billigkeitsgründen den Familien Bentheim⸗ Tecklenburg⸗Rheda und Sayn⸗Wittgenstein⸗Berleburg Entschädigung für die früher von ihnen genossene Befreiung von ordentlichen Personalsteuern zu gewähren sein wird. Die Staats⸗ regierung erklärt dazu: „Die früͤher von den Familien Bentheim⸗ Tecklenburg⸗Rheda und Sayn⸗Wittgenstein⸗Berleburg genossene Be⸗ freiung von ordentlichen Personalsteuern ist bereits durch die Gesetze vom 25. Oktober 1878 aufgehoben und ein Rechtsanspruch auf Entschädigung jetzt ohne Zweifel nicht begründet. Allerdings war in den zuvor mit den Häuptern der genannten Familien abgeschlossenen Verträgen die Befreiung von den Personalsteuern ausdrücklich vor⸗ behalten. Als aber das Haus der Abgeordneten die hierauf bezügliche Bestimmung der Regierungsvorlage gestrichen hatte und das Herren⸗ haus diesem Beschlusse beigetreten war, ist die Allerhöchste Vollziehung der Gesetze erst 22 nachdem dieselbe von Seiten des Fürsten zu Sayn⸗Wittgenstein⸗Berleburg ausdrücklich erbeten, vo iten des