1892 / 276 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 21 Nov 1892 18:00:01 GMT) scan diff

Innern wird das Beamten⸗Corps des Ministeriums am Dienstag empfangen. Graf Tisza übernimmt die Leitung seines Amtes in Wien am Donnerstag. Im Parlament wird vor allem die Schließung der jetzigen Session und hierauf die Eröffnung der zweiten Session erfolgen. Nach Constituirung des Hauses gelangt die Verhandlung der dreimonatigen Indemni⸗ tät und der Vorlage über die Vertiefung des Eisernen Thor⸗ Kanals auf die Tagesordnung, worauf die Budgetdebatte beginnen kann, sodaß es keineswegs ausgeschlossen erscheint, daß der nächstjährige Voranschlag wenigstens im Abgeordeten⸗ hause noch in diesem Jahre erledigt werden dürfte. Der Cultus⸗Minister wird noch vor Ende des Jahres den bereits fertiggestellten kurzen Gesetzentwurf über die Reception der jüdischen Confession dem Hause unter⸗ breiten. Darin wird der factisch bestehende Zustand durch die Inartikulirung des jüdischen Glaubens als staatlich anerkannte Confession gesetzlich ausgesprochen und außerdem die gegen⸗ seitige Gleichberechtigung mit den übrigen anerkannten Feresstonen damit gekennzeichnet, daß der Uebertritt von Christen zum Judenthum gestattet und geregelt wird. Der Gesetzentwurf über die Einführung der staatlichen Standesregister wird dem Reichstage in den ersten Monaten des nächsten Jahres unterbreitet werden und damit in theilweisem Zusammenhang als Grundlage der ganzen Verwaltungsreform eine Vorlage über die Schaffung einer neuen Gemeindeordnung. Der Gesetzentwurf über die freie Ausübung der Religion wird erst später folgen.

Graf Julius Szapary traf gestern in Wien ein, um dem Kaiser seinen Dank für das ihm zugegangene huldvolle Allerhöchste Handschreiben auszusprechen.

Großbritannien und Irland.

Die Königin ist am Freitag früh in Begleitung der

Prinzessin Heinrich von Battenberg im besten Wohlsein aus almoral wieder in Windsor eingetroffen. Der

Premier⸗Minister Gladstone wird sich, wie es heißt, am Dienstag zur Königin begeben. In dem Cabinets⸗ rath, . zu Beginn dieser Woche abgehalten werden wird, dürfte dem Vernehmen der „A. C.“ zufolge die Ver⸗ tagung des Parlaments bis zum 27. Januar beschlossen werden. .“

Der englische Gesandte in Marokko Sir Euan Smith wird nach einer Meldung des „W. T. B.“ Mitte Dezember auf seinen Posten zurückkehren.

Frankreich.

Die Deputirtenkammer setzte am Sonnabend zunächst die Berathung des Preßgesetzes fort. Der Berichterstatter der Commission machte die Mittheilung, die Commission habe verschiedene Amen dements angenommen, um aus dem Gesetz⸗ entwurf jeden Vorwand zu willkürlichem Vorgehen zu beseitigen. Der Minister⸗Präsident Loubet erklärte, er nehme diese Amendements an, welche die Preßfreiheit verbürgten. Mehrere andere Abänderungsanträge wurden hierauf abgelehnt oder von den Antragstellern zurückgezogen und sodann mit großer Mehrheit der Theil des Gesetzentwurfs, der eine Ver⸗ schärfung der in den Artikeln 24 und 25 des gegen⸗ wärtigen Preßgesetzes enthaltenen Strafbestimmungen ein⸗ führt, angenommen. Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde der Theil des Entwurfs berathen, der unter Bezugnahme auf Artikel 49 des gegenwärtigen Preßgesetzes die pro⸗ visorische Beschlagnahme öm die provisorische Verhaftung vorsieht. Trotz der Einwendungen seitens des Justiz⸗Ministers Ricard wurde unter dem Beifall der äußersten Linken mit 289 gegen 256 Stimmen ein Ab⸗ änderungsantrag Jullien angenommen, der den bis⸗ herigen Artikel 49 aufrechterhält und bloß dem Assisenhofe das Recht einräumt, die unverzügliche Vollstreckung eines Urtheilsspruchs anzuordnen. Schließlich wurde das ganze Gesetz angenommen, worauf die Kammer in die Erörterung der Interpellation bezüglich der Panama⸗ Angelegenheit eintrat. Der Präsident Floquet erklärte, bevor er denjenigen, die die Interpellation über die Panama⸗ Angelegenheit eingebracht, das Wort ertheile, wolle er eine ihn persönlich angehende Angelegenheit besprechen. Die „Cocarde“ habe einen Artikel veröffentlicht, worin er (Redner) beschuldigt werde, im Jahre 1888 als Minister⸗Präsident unter Zustimmung Carnot's von der Panamagesellschaft 300 000 Fr. zur Bekämpfung der Pariser Candidatur Boulanger's erhalten zu haben. Er erkläre, daß er niemals von der Panamagesellschaft irgend etwas begehrt, noch irgend etwas erhalten habe. (Lebhafter Beifall.) Das Cabinet, an dessen Spitze er gestanden habe, sei ein loyales gewesen, und er würde auch niemals die Kühnheit gehabt haben, die Ehre des Kammer⸗Präsidiums zu übernehmen, wenn die Erinnerung an eine unlautere Handlung auf seiner Vergangenheitruhen würde. (Lebhafte Beifallsbezeugungen.) Mehrere Abgeordnete beantragten hierauf, die Verhandlung über die Anfrage auf Montag zu ver⸗ tagen. Der Deputirte De lahaye bestand auf der sofortigen Bera⸗ thung der Anfrage, welche nichts mit den eingeleiteten Ver⸗ folgungen zu thun habe, in die er wenig Vertrauen setze. Der Justiz⸗Minister Ricard protestirte gegen diese Bemerkung und sagte, niemand habe ihn gezwungen, diese Verfolgung ein⸗ zuleiten, er habe einzig und allein seinem Gewissen entsprechend gehandelt. Er nehme die Discussion aller Fragen an, die nicht der gerichtlichen Entscheidung unterliegen. Hierauf wurde die Berathung über die Anfrage auf Montag vertagt.

Die Journale aller Parteien constatiren, das von der Kammer angenommene Preßgesetz unterscheide sich infolge der während der Berathung hinzugefügten Amendements in nichts von dem früheren. Während ferner die gemäßigt republi⸗ kanischen Organe das Gesetz in seiner gegenwärtigen Gestalt für vollständig wirkungslos halten, erklären die oppositio⸗ nellen, das Cabinet habe eine moralische Niederlage erlitten.

Die Zollcommission hat bei der Vorberathung der Zollherabsetzungen auf Baumwollengewebe, die in dem EEEEEö Uebereinkommen ent⸗ halten sind, die Zollherabsetzungen für bedruckte Baumwollen⸗ gewebe hauptsächlich deshalb abgelehnt, weil Deutschland und England den größten Vortheil daraus ziehen würden. Die Commission hat sich sodann bis Dienstag vertagt.

In der Untersuchung über die Panama⸗Angelegen⸗ heit haben, wie „W. T. B.“ meldet, Ferdinand und Charles de Lesseps, der Baron Cotta, Fontane, Eiffel und der Baron Reinach auf den 24. d. M. Vor⸗ ladungen vor den Appellationsgerichtshof erhalten. (Der Baron Reinach ist gestern Sein Tod soll infolge eines Ge⸗ hirnschlags, andern Nachrichten zufolge veSg. Selbstmord erfolgt sein.) In den Blättern wird die Besprechung der Panama⸗ Angelegenheit lebhaft fortgesetzt. Unter anderem wird der von der Anklage mitbetroffene, inzwischen verstorbene Baron

Reinach, der mit der publicistischen Lancirung des Unter⸗ nehmens betraut gewesen war, von mehreren Seiten beschul⸗ digt, einzelne Journalleiter und Parlamentarier bestochen zu haben. Das Journal „Libre Parole“ hehauptete sogar, auch der Kriegs⸗Minister de Freycinet habe von der Panama⸗ Gesellschaft zweihunderttausend Francs erhalten, jedoch ließ digser die Behauptung sofort auf das entschiedenste dementiren. Was die auf diese Sache bezügliche Interpellation betrifft, so sind die Blätter der Ansicht, daß die Verhandlung in der Kammer eine sehr lebhafte sein dürfte wegen der verfönlichen Zwischenfälle, die sich ereignen könnten. Mehrere Blätter glauben, die Verhandlung werde mit der Ernennung einer Untersuchungs⸗Commission endigen. Ein gestern Abend abgehaltener Ministerrath hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Haltung das Cabinet bei der Beantwortung der Interpellation einnehmen solle. Wie es heißt, würde sich dasselbe einem Antrage, betreffend eine parlamentarische Untersuchung, nicht widersetzen.

Das Journal „Jour“ meldet, der flüchtige Urheber der Explosion in der Rue des Bons Enfants sei der Anarchist Louvet, ein Freund des in London verhafteten

rancois, der in Begleitung einer mitschuldigen Frauensperson ich auf einem transatlantischen Dampfer eingeschifft habe, dessen Bestimmungsort die Polizei aber kenne. Der deutsche Kürschnergeselle Raabe ist als an jener Explosion nicht be⸗ theiligt befunden, aber wegen seiner Beziehungen zu aus⸗ wärtigen Anarchisten ausge wiesen worden.

Aus Lissabon sind in Paris (bis jetzt indeß noch unbe⸗ stätigt gebliebene) Nachrichten aus Whydah eingetroffen, wonach General Dodds mit dem König von Dahomey Frieden ge⸗ schlossen habe. 1

8 Italien. 11“ 114“

In Palermo fand gestern Abend zu Ehren des vor⸗ maligen Minister⸗Präsidenten Crispi ein Bankett statt, bei dem Crispi in ausführlicher Rede seine Thätigkeit als Minister⸗Präsident besprach. Crispi griff nach einem Bericht des „W. T. B.“ die Rechte heftig an und betonte die Noth⸗ wendigkeit einer Reconstruction der Parteien. Zwischen den Anhängern der Linken und deren Gegnern, den Mitgliedern der Rechten, bestehe eine weitgehende Spaltung. Die Monarchie unterscheide sich von der Republik nur dadurch, daß erstere ein ständiges, die letztere ein aus einer Wahl hervorgehendes Oberhaupt besitze. An dieser Idee halte er mehr denn je fest, weil sich an der Grenze Italiens die fran⸗ zösische Republik gebildet habe. Crispi schloß daran warme Lobsprüche auf die französische Republik, indem er hinzu⸗ fügte, daß diese Lobsprüche aus seinem Munde nicht als Schmeicheleien erscheinen würden. Er erörterte sodann die Reformen, deren Durchführung er wünsche, und erklärte, auf einer Reform des staatlichen Kirchenrechts bestehen u müssen. Bei Besprechung der auswärtigen Politik emerkte Crispi, Italien habe sich im Jahre 1882 den beiden Kaiserreichen behufs gemeinsamer Vertheidigung angeschlossen. Es sei das Princip eines Bündnisses der continentalen Staaten,

das Italien erstrebe; die Vereinigung der Waffen sollte jedoch

von jener der wirthschaftlichen Interessen begleitet sein. Den letzteren sei durch die abgeschlossenen Handelsverträge nur schlecht entsprochen worden. Er spreche gegen das Mi⸗ nisterium, das die Verträge mit Oesterreich⸗Ungarn und Deutsch⸗ land erneuert habe, keinen Tadel aus, sondern mißbillige nur die überstürzte Art und Weise; er selbst würde in die Erneuerung der Verträge nur auf anderen Grundlagen und unter anderen Bedingungen gewilligt haben. Italien sei die⸗ jenige der drei verbündeten Mächte, die am meisten von dem Dreibund leide. Crispi besprach sodann den erbitterten wirthschaftlichen Krieg, den Frankreich gegen Italien seit elf Jahren aus politischen Gründen führe und in der Ueber⸗ zeugung fortsetze, Italien ermüden und dann über dasselbe triumphiren zu können. Das Ministerium hätte bei der Erneuerung des Dreibundes von dem Gedanken durchdrungen sein sollen, daß es unmöglich sei, die wirthschaftlichen Fragen von der Politik zu trennen. Crispi schloß mit der Versicherung, daß ihn Enttäuschungen nicht entmuthigten, daß er vielmehr die Zukunft des Vaterlandes noch in rosigen Farben sehe. Er appellire vertrauensvoll an die jüngere Generation, damit diese sich einen Führer wähle, der sie zur Errungenschaft eines freien, großen und geachteten Italiens zu geleiten und die volksthümliche, durch die Einheit des Landes gewährleistete Monarchie unerschütterlich zu gestalten im stande sei.

Portugal. 8

Eine Versammlung von Geschäftsinhabern in Lissabon beschloß, dem „W. T. B.“ zufolge, ihre Läden auf 24 Stunden zu schließen, sobald das erwartete englische Geschwader in den Hafen einlaufen werde. Man beabsichtigt, durch diese Demonstration zu zeigen, daß der portugiesische Handelsstand das englische Memorandum vom 11. Januar 1890 über die portugiesischen Occupationen in Ost⸗Afrika nicht vergessen habe.

Unter den Fenstern des Grafen Folg osa, des Präsi⸗ denten des mit den Vorbereitungen für den Empfang des Königs und der Königin betraut gewesenen Ausschusses, ist eine Dynamitbombe gevplatzt. Die Untersuchung ist ein⸗ geleitet. 1

Schweiz. Anmtlich wird mitgetheilt, daß die erste Berathung des shmetzerisch hhhhh Staatsvertrags über ie Rheinregulirung beendigt ist und daß die schweizerischen Delegirten 8 die Entschließungen des Bundesraths er⸗ warten. Der Schluß der Conferenz wird voraussichtlich bereits in den nächsten Tagen erfolgen.

Das Berner Volk beschloß gestern mit etwa 27 000 gegen 17 000 Stimmen, die gänzlich veraltete Kantons⸗ verfassung vom Jahre 1846 durch den großen Rath revi⸗ diren zu lassen. 8

Belgien.

Die Deputirtenkammer hat am Freitag die Adreß⸗ debatte beendigt. Der Deputirte Janson beklagte, der ,Frkf. zufolge, das Schweigen der Thronrede über die brennende Frage des allgemeinen Wahlrechts und verlangte die Anerken⸗ nung des Rechts der Arbeiter, am politischen Leben theil⸗ unehmen. Der Abgeordnete Bara, obschon ein Gegner es allgemeinen Wahlrechts, erklärte, daß dieses doch würde eingeführt werden müssen, und bedauerte, daß der Minister sich in Schweigen hülle. Der Minister⸗Präsident Beernaert eröffnete, er erwarte zunächst den Abschluß der Arbeiten der Commissionen, dann werde die Regierung mit festen Anträgen vortreten. Schließlich wurde die Adresse mit 50 gegen 38 Stimmen angenommen, das Amendement Janson's wegen des allgemeinen Wahlrechts verworfken. ..“

Als Präsident der morgen zusammentretenden Münz⸗

c onferenz ist dem „W. T. B.“ zufolge Montefiore Levi,

als Vice⸗Präsident der amerikanische Gesandte in Brüssel Terell in Aussicht genommen. In der amerikanischen Gesandtschaft findet morgen ein Empfang statt. Rumänien.

Der provisorische Leiter der Handelssection im auswärtigern Amt Papiniu ist nach einer Meldung des „W. T. B.“ nach Berlin abgereist, um dem dortigen rumänischen Gesandten

bei den Handelsvertrags⸗Verhandlungen zur Seite zu stehen.

Bulgarien. Vorgestern, am Jahrestage der Schlacht von Sliv⸗

nitza, fand, wie „W. T. B.“ berichtet, in Philippopel ein

feierliches Requiem für die in der Schlacht gefallenen Sol⸗ daten statt, dem der Prinz Ferdinand und die Prinzessin Clementine beiwohnten. Der Prinz und die Prinzessin reisten

Nachmittags nach Sofia ab.

Schweden und Norwegen.

Die Kronprinzessin tritt, wie den „Hamb. Nachr.“ geschrieben wird, heute ihre Reise nach Baden an.

Beide Kammern des Reichstags haben, wie die „Hamb. Nachr.“ melden, übereinstimmend beschlossen, heute mit den Verhandlungen über die Militärvorlagen zu beginnen und täglich zwei Sitzungen zu halten.

Dänemark. .

Die Regierung hat dem Landsthing einen Gesetz⸗ entwurf vorgelegt, der bezweckt, den Handel mit Dynamit unter verschärfte Controle zu stellen, namentlich, wie es in der Vorlage heißt, „um zu verhindern, daß Personen, die nicht im stande seien, sich in ihrer Heimath Dynamit zu verschaffen, in Dänemark Explosivstoffe für verbrecherische Zwecke ankauften.“

In der gestern fortgesetzten Verhandlung des Folke⸗ things über den Armee⸗Organisationsplan trat der Kriegs⸗Minister in längerer Ausführung den Angrigen auf die Vorlage entgegen und suchte den Nutzen der Be⸗ festigung Kopenhagens darzuthun. Im Laufe der Verhandlung trat der Abg. Jungersen mit mehreren andern Mitgliedern von der gemäßigten Linken zur Fraction des Dr. Brandes über, indem sie erklärten, mit ihm für die Verweigerung des Uebergangs des Gesetzentwurfs zur zweiten Lesung stimmen zu wollen. Von conservativer Seite wurde angedeutet, daß die Armee⸗Organisation eventuell auf provisorischem Wege werde durchgeführt werden. 8 Afrika.

Wie das „Reuter'sche Bureau“ aus Sansibar meldet, beabsichtigt die dortige Regierung vom 1. Februar kommenden Jahres ab einen auf Wein, Opium und Daback zu erheben. Die Regierung sei hierzu durch das Vorgehen des französischen Consuls genöthigt, der auf dem Pes aller alkoholhaltigen Liqueure, ohne jede Einschränkung, bestehe.

Parlamentarische N

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

5. Sitzung vom 21. November 1892. 8

Der Sitzung wohnen bei Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg und der Finanz⸗Minister Dr. Miquel.

Die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Aufhebung directer Staatssteuern und der Denk⸗ schrift dazu wird fortgesetzt. 1

Abg. von Zedlitz⸗Neukirch (freicons.); Ueber die Haupt⸗ ziele der Vorlagen herrsche unter den Hauptparteien große

Uebereinstimmung. Die Conservativen, die Nationalliberalen.

und die Mehrheit seiner (Redners) Partei billigen den Verzicht des Staates auf die Realsteuern. Meinungsverschiedenheiten beständen nur in Bezug auf die Nebenfragen. In dieser Beziehung werde sich auch Niemand beeinflussen lassen durch die Rede des Herrn Richter, die sich weder durch Rechts⸗ noch durch Sachkenntniß ausgezeichnet habe. Wenn die Grundsteuer, deren innere Ungerechtigkeit man erkannt habe, aufgehoben werde und einige Personen davon Vortheil hätten, die vielleicht einer Erleichterung nicht bedürften, so könne man daraus noch nicht auf eine Be⸗ vorzugung dieser Einzelnen schließen, denen viele andere gegenüberständen, die wirklich einer Erleichterung be⸗ dürften. Selbst der potente Großgrundbesitz würde nicht den ganzen Betrag der Grundsteuer ersparen, denn diesem Betrage ständen gegenüber die Vermögenssteuer und die Erhöhung der Kreissteuer infolge der lex Huene. Dazu komme, daß die Inhaber der Gutsbezirke die Staats⸗ und Communalsteuern ihrer Hintersassen unentgeltlich erheben müßten, während sie dafür bisher Entschädigung erhielten. Die Vortheile, die den kleinen Bauern und Landgemeinden zu theil würden, habe Herr Richter aber vollständig verschwiegen. Herr Richter meine auch, die Landgemeinden hätten für die Schul⸗ lasten mehr zu tragen, als die Gutsbesitzer. Das sei aber nicht richtig, denn die Gutsbesitzer hätten für die Schulbauten alles Material zu liefern, und das falle mehr ins Gewicht, als die persönliche Schullast. Die Armenlast würde meistens von Verbänden getragen, denen die Gutsbezirke ebenfalls ange⸗ hören, und wo das nicht der Fall sein pollte, biete die Land⸗ gemeindeordnung die Mittel, solche Verbände zu bilden. Für 8 Behauptung, daß der Verzicht des Staats auf die Real⸗ teuern zur Entlastung der Bauerngemeinden führe, verweist der Redner auf mehrere concrete Beispiele aus den statistischen Nachweisungen und zwar aus den Kreisen Greifswald, Glatz und Sagan. Die Landgemeinden hätten von der Maßregel einen Vortheil von insgesammt 20 Millionen Mark. Auch in den Städten werde eine Erleichterung der Einkommensteuer⸗ zuschläge erfolgen, selbst in Berlin. Es werde nicht den Haus⸗ esitzern ein Theil der Haussteuer erlassen werden, sondern sie würden wahrscheinlich ebensoviel bezahlen müssen, wie sie bisher an Staats⸗ und Gemeindesteuern bezahlt haben. Bezüglich des Gemeindeabgabengesetzes habe Herr Richter be⸗ mängelt, daß keine Vorschriften darin enthalten seien über die Veranlagung der Realsteuern, daß die veraltete Grund⸗ und Gebäudesteuer als Maßstab zur öges ens komme. Die Gemeinden, welche einen raschen ufschwung nähmen, hätten sich allerdings nach einem anderen Maßstab umsehen müssen, dazu biete das Reglement über die Berliner Hausstener hinreichendes Material; im

der Präsident des Staats⸗

übrigen würden die Gemeinden einfach an der Grund⸗ und Gebäudesteuer festhalten können. Herr Richter bemängele ferner, daß kein festes Verhältniß zwischen der Besteuerung des Grundbesitzes und der des Einkommens festgestellt sei. Ein solches festes Verhältniß würde wünschens⸗ werth sein, wenn die Verhältnisse überall gleichmäßig wären. Da dies aber nicht der Fall sei, so müsse eine ge⸗ wisse Bewegungsfreiheit gestattet werden. Daß die Grund⸗ steuer und die Gewerbesteuer gleichmäßig herangezogen würden, sei durchaus zutreffend, denn der Gewerbebetrieb habe von den städtischen Einrichtungen fast noch mehr Vortheil als der Hausbesitz. Die Folge der Steuerreform werde sein, daß die Realbesitzer von drückenden Staats⸗ steuern entlastet würden und daß die Zuschläge zur Staats⸗ einkommensteuer nicht mehr so hoch sein würden wie bisher. Wenn innerhalb der Gemeinden noch eine ungleiche Belastung bestehen bleiben sollte, dann würde man dahin wirken müssen, daß bei Leistungsunfähigkeit, eines niederen Verbandes der höhere Communalverband eintrete. Der Fortfall der lex Huene sei für die Staatskasse nur mit 24 Millionen in Rechnung gestellt, während man wohl auf 30 Millionen rechnen könne, so lange die Getreidezölle in der jetzigen Höhe bestehen. Vielleicht würde es sich empfehlen, daß der Staat die 6 Millionen, die ihm mehr zu⸗ fließen, an die Kreise als feste Rente vertheilte, welche diese bei der Ueberweisung weniger erhalten als aus der lex Huene. Meinungsverschiedenheiten beständen über die Einzelheiten der Ausführung, namentlich über die Deckung des Fehlbetrages von 35 Millionen für die Staatskasse. Man wolle diesen Betrag decken durch die Besteuerung des fundirten Einkommens in Form einer Erbschaftssteuer oder innerhalb der Einkommensteuer, während die Regierung eine Ver⸗ mögenssteuer vorgeschlagen habe. Redner erkennt an, daß die Vermögenssteuer der ungünstigste, die Besteuerung innerhalb der Einkommensteuer der günstigste Vor⸗ schlag sei; die Erbschaftssteuer liege in der Mitte. Die Ver⸗ mögenssteuer habe gegen sich einmal den Namen, zweitens den Umstand, daß sie eine neue Steuer darstelle, und drittens, daß sie ein tiefes Eindringen in die Verhältnisse erfordere. Innerhalb der Einkommensteuer könne das Vermögen in den meisten Fällen leicht getroffen werden, aber nicht bei der Landwirthschaft, bei der die Oberleitung und Beaufsichtigung, ja die persönliche Mitarbeit bei der Gestaltung des Einkommens betheiligt sei. Dieser Theil des Einkommens könne nicht so leicht ausgeschieden werden, so daß man den Antheil des Vermögens allein erhalte. Beim Gewerbe liege dies vielfach ebenso, deshalb sei eine besondere Vermögenssteuer besser, wenn dabei auch tief in die einzelnen Verhältnisse eingedrungen werden müsse. Die Schätzung brauche ja nicht alljährlich zu geschehen, er würde dafür sprechen, daß längere Perioden, etwa von 5 Jahren, eingeführt würden, denn ein Irrthum in der Schätzung des Vermögens um 10 000 bedeute nur eine Differenz von 5 in der Steuer. Die Erbschaftssteuer sei deswegen nicht brauchbar, weil die Erbfälle nicht in regel⸗ mäßiger Folge entständen, sondern sehr unregelmäßig. Wenn man aber den neuen Steuerplan wolle, dann müsse man klein⸗ liche Bedenken bei Seite lassen.

Abg. Staats⸗Minister Herrfurth: Der Vorredner habe sich vollständig für den Steuerplan der Regierung aus⸗ gesprochen, er (Redner) fürchte aber, daß seine Hoffnungen sich als Illusionen ergeben würden. Ueber den Plan der Re⸗ gierung, der als der Plan der „ganzen Steuerreform“ be⸗ eichnet werde, sei in den Tagesblättern schon lange ge⸗ sitychem worden. Dieser Plan habe etwas Bestechendes und werde nicht verfehlen, nach vielen Richtungen Anhänger zu sinden. Seine Bedenken richteten sich nicht sowohl gegen die theoretischen Grundlagen des Systems der Staats⸗ und Communalbesteuerung, als gegen die praktischen Folgen, die ihre Rechtfertigung nicht in dem rein steuerlichen Theil der Vorlagen, sondern in der Rückwirkung fänden, welche dieser Plan auf das gesammte politische Leben äußern werde, in den politischen Folgen von Gesetzen, die ihrer Natur nach nicht politisch seien und nicht politisch sein sollten. Die Stellung zur Steuerreform sei keine Parteifrage und sollte von keiner Seite zur Parteifrage gemacht werden. Bis zu diesem Jahre sei nur die Rede gewesen von der Ueber⸗ weisung der Grund⸗ und Gebäudesteuer, oder vielmehr eines Theils derselben an communale Verbände. Auch der jetzige Finanz⸗Minister habe 1879 nur von der Ueberweisung ge⸗ sprochen; jetzt bringe die Regierung den Plan eines solchen Erlasses der vollen Grund⸗ und Gebäude⸗, Gewerbe⸗ und Berg⸗ werkssteuer, von welcher letzteren bisher überhaupt nicht die Rede gewesen. Zur Begründung dieses Plans sehe sich die Regierung durch den Wortlaut des § 82 des Ein⸗ kommensteuergesetzes in Verbindung mit der unerwarteten Mehreinnahme der Einkommensteuer veranlaßt. § 82 nehme allerdings den Mehrbetrag zur Beseitigung der Grund⸗ und Gebäudesteuer in Aussicht; nur mit einem „beziehungsweise“ werde die Ueberweisung damit in Verbindung gebracht. Da⸗ durch werde diese letztere aber nicht in den Vorder⸗ grund gedrängt, sie sei vielmehr in erster Linie in Aussicht genommen gewesen. Gegen die Streichung des Wortes „Ueberweisung“ habe sich der Finanz⸗Minister selbst ausgesprochen. Aus der Höhe des Mehrbetrages der Ein⸗ kommensteuer könne ebenfalls nicht der Schluß gezogen werden, daß die Aufhebung der Grund⸗ und Gebäudesteuer erfolgen müsse. Der Mehrertrag sei früher auf 20 Millionen höchstens geschätzt worden; daß er höher sei, könnte doch nicht dazu führen, so viele Millionen weiter zu verwenden, um die Realsteuern vollständig aufzuheben. Viel näher läge es vielleicht, von den 40 Millionen 10 Mil⸗ lionen abzuzweigen zur Befriedigung von vrcctngeda seüse. welche längft als nothwendig anerkannt seien: zur Erhöhung der Gehälter der Subalternbeamten und zur Verbesserung der Schulverhältnisse. Das Velteschulgeset nehme ja eine Verwendung von 9 Millionen Mark von den Ueberschüssen in Aussicht. Eine Nothwendigkeit des „ganzen Planes“ könne also nicht gegründet werden auf § 82 des Einkommensteuer⸗ gesetzes. Die Motive führten mit Recht aus, daß der Begriff Ueberweisung nicht feststehe, daß auch nicht feststehe, an welche Communalverbände die Ueberweisung erfolgen solle; die Auf⸗ fassung sei allgemein gegangen, daß die Steuer weiter erhoben werden solle, aber den Gemeinden zur Erleichterung zu⸗ gewiesen werden solle. Jetzt würden die Steuern auf⸗ gehoben, und die Gemeinden erhielten nur das Recht, die Steuerzahler ihrerseits heranzuziehen. Gegen die Ueberweisung sei geltend gemacht worden, daß die großen Städte und die wohlhabenden Landestheile allein davon Vortheil hätten; das treffe aber von der Aufhebung der Grund⸗ und Gebäudesteuer ebenfalls zu. Der Erlaß beliefe sich in

den wohlhabenden Landestheilen Sachsens, Hannovers und Schleswig⸗Holsteins auf 7 bis 8 ℳͤ, in dem Kreise Eiderstedt sogar auf 13 pro Kopf, in den östlichen Landestheil aber nur auf 1 pro Kopf. Das sei ungerecht. (Bei Schluß des Blattes spricht der Redner fort.)

n

Im 1. Frankfurter Landtagswahlbezirk (Arns⸗ walde Friedeberg) ist, an Stelle des verstorbenen Land⸗ raths a. D. von Meyer in Helpe, von Waldow (conservativ) mit 287 Stimmen zum itglied des Hauses der Ab⸗

eordneten gewählt worden. Der Gegencandidat von Reibnitz⸗ Heinrichsau (Frennmig) hat 21 Stimmen erhalten.

Kunst und Wissenschaft. 8 Nachruf. 8

Am 19. d. M. entschlief nach kurzem Krankenlager der Geheime Ober⸗Baurath und vortragende Rath im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Professor

Ludwig Hagen hierselbst. Derselbe gehörte der unterzeichneten Akademie seit deren Gründung als ordentliches Mitglied der Abtheilung für das Ingenieur⸗ und Maschinenwesen an und zählte zu den hervorragendsten Vertretern seines Fachs.

Sein umfassendes Wissen, der große Schatz seiner in einer langen und erfolgreichen praktischen Thätigkeit erworbenen Erfahrungen, das Interesse, mit welchem er alle Fortschritte seines Fachs im In⸗ und Auslande verfolgte und die Ver⸗ bindung mit den bedeutendsten Ingenieuren aufrecht erhielt, befähigten ihn in hohem Maße zur Förderung unserer Arbeiten, an denen er sich mit stets bereitem Eifer be eiligte. Wie wir hierbei sein gereiftes Urtheil und seinen strengen Gerechtigkeitssinn stets zu schätzen gehabt haben, so werden wir auch das Andenken an den uns durch sein biederes und liebenswürdiges Wesen theuer gewordenen Freund nie in uns erlöschen lassen. 8

Berlin, den 19. November 1892. Königliche Akademie des Bauwesens.

z† In der Königlichen Akademie der bildenden Künste sind für

kürzere Zeit vier Concurrenz⸗Entwürfe für ein in Berlin

zu errichtendes Denkmal der Tondichter Haydn, Mozart und Beethoven ausgestellt, die von den Bildhauern Hilde⸗ brand, Hundrieser, Schaper und Siemering herrühren. Die Aufgabe, das Gedächtniß dreier nur durch ideale Gemeinschaft verbundener Männer durch ein Monument zu verewigen, bot der Ein⸗ bildungskraft der Künstler ebensoviel Schwierigkeiten wie Reize. Nur einer von ihnen hat es gewagt, die drei Gestalten zu einer Gruppe zu vereinigen, die anderen haben es vorgezogen, die Büsten der Ton⸗ dichter durch einen architektonischen Rahmen zu vereinigen. Die Architektur, welche in der modernen Monumentalplastik sich immer breiteren Raum erobert, hat bei diesex besonderen Gelegenheit zwei Aufgaben zu erfüllen: die Vermittelung des plastischen Kunstwerks mit seiner Umgebung, als welche der Thiergarten gedacht ist, und den Zusammenschluß der drei Gestalten, beziehungsweise Büsten. Am glücklichsten ist dieser Theil der Denkmalsanlage von Adolf Hilde⸗ brand in Florenz gelöst worden. Er giebt einen fest abgeschlossenen Bezirk in elliptischer Form mit Kuppeldach und einfallendem Oberlicht, in den strengen, feierlichen Formen römischer Architektur. An der Vorderseite öffnet sich dieser tempelartige Bau in einer durch niedrige Balustraden verbundenen und durch einen kleinen Springbrunnen be⸗ lebten Säulenstellung, durch welche man in die Halle hineinblickt, an deren geschlossener Hinterwand die Hermen der drei Tonheroen aufge⸗ stellt sind. Die seitlichen Zugänge werden durch vorgelegte Säulen⸗ hallen betont, in deren Intercolumnien die Gestalten der Vocal⸗ und Instrumentalmusik Aufstellung gefunden haben. Im Innern der Halle laden Bänke zu beschaulicher Betrachtung ein. Der ganze Entwurf, welcher nur in einer Federzeichnung vorliegt, athmet Ruhe, Feierlichkeit und Vornehmheit. Die innerliche Sammlung, welche die Musik erheischt, findet darin ihren treffenden Ausdruck, die decorative Absicht des Monuments kommt dagegen weniger zur Geltung. Ueber die plastische Durchführung der Einzelheiten läßt sich angesichts der flüchtig an⸗ deutenden Zeichnung kein Urtheil abgeben. In Fritz Schaper s Entwurf fesseln am meisten die allegorischen Gruppen, welche vor den Hermenschäften der drei durch eine flach gekrümmte Säulen⸗ balustrade vereinten Büsten angeordnet sind. Haydn's Eigenart wird in der Gruppe eines idea er Violinspielers und eines flötenblasenden Kindes versinnbildlicht, zu der lyrischen Muse Mozart's tritt der Genius des Dramas mit der Maske heran, während am Fuße der Beethovenherme ein finster brütender Held sich niedergelassen hat, der, im Begriff sein Schwert zu ziehen, von einer Psyche belcft gt wird. Die feinsinnige Erfindung zeichnet diese Gruppen eben so sehr aus wie der anmuthige Linienfluß ihrer Gestalten. Nuch die Büsten sind bereits in dem kleinen Maßstab des Modells als charakteristisch aufgefaßt und durchgeführt erkennbar. Schwächlich und unorganisch erscheint dagegen der architektonische Theil der Anlage, zu der eine breite, von Sphinxen flankirte Freitreppe hinaufführt. Im Gegensatz zu dieser gebrechlichen Säulengalerie hat Hundrieser eine ungefüge, viel zu schwere E11 geplant, die sich in der Mitte des zurückweichenden Kreissegments in einem Triumphbogen öffnet. Unter diesem Triumphbogen, auf schmalem Postament in das Halbrund hervortretend, ist die Gruppe der drei Componisten mit allegorischem Sockelschmuck angeordnet. Die Gestalten Haydn’s und Mozart'’s stehen hinter dem sitzend dargestellten Schöpfer des Fidelio. Die Gruppe ist durchaus mißlungen; es fehlt ihr an klarer Ent⸗ wickelung und Lösung der Massen, sie wird durch die gewaltigen Architekturflanken eingezwängt und erdrückt. Die am Postament gelagerten allegorischen Gestalten und der Relieffries der Balustrade, der die Hauptschöpfungen der drei Meister versinnlicht, vermögen trotz ihrer reich bewegten Composition und glücklichen Erfindung für die unglückliche Gesammtanordnung nicht zu entschädigen. Rudolf Siemering schcestich concentrirt das ganze Monument in ein flaches Frührenaissance⸗Tabernakel, von dessen durch Mosaikschmuck be⸗ lebter Hinterwand sich die prächtig charakterisirten Porträt⸗ büsten auf Pfeilersockeln abheben. In ihnen liegt der Schwer⸗ punkt der ganzen Composition; die allegorischen Zuthaten, wie die die Lünette flankirenden Putti, sowie die musizirenden Genien am Sockel der Beethoven⸗Büste und die beiden größeren Figuren zur Seite wirken lediglich decorativ. Wenn sich Siemering's Büsten mit Schaper's allegorischen Gruppen in dem von Hildebrand entworfenen Tempelbau vereinigen ließen, würde das Denkmal sicherlich zu den bedeutsamsten Schöpfungen moderner Bildnerei zu zählen sein und den herrlichen Parkanlagen des Thiergartens zu idealer Zier gereichen.

Im Verein für deutsches Kunstgewerbe wird am nächsten Mittwoch, 8 ½ Uhr Abends, im großen Saale des Archi⸗ tektenhauses Herr B. Mannfeld eine 2 usstellung seiner Radirungen veranstalten, darunter auch eine Anzahl neuer, noch nicht bekannter Arbeiten. Herr Mannfeld selber wird die Ausstellung durch einen Vortrag über „Kunst und Technik der Radirung“ er⸗ läutern. Vorher wird Herr Professor E. Doepler d. J. die fünfzig Wettarbeiten der letzten Vereinsconcurrenz (Entwürfe für ein Titelblatt) besprechen.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Kopenhagen ist ger Jens Christian Hostrup heute Vormittag ge⸗ orhben. b““ 1“

11“ 8 8

irthschaft.

Ernte. 3

Im Regierungsbezirk Käln ist die Ernte in Roggen quantitativ wie qualitativ eine gute, theilweise ausgezeichnete gewesen. Auch die Weizenernte war fast überall eine sehr gute. Der Hafer ist im ganzen Bezirke mit Ausnahme der Kreise Euskirchen und Gummersbach und Wipperfürth, wo nur eine Mittelernte erzielt wurde, recht gut gerathen. Dasselbe gilt von Gerste und Buchweizen. Ebenso Erfreuliches ist von den Kartoffeln zu berichten. Die Früh⸗ kartoffeln haben eine sehr ute Ernte geliefert, die

Land⸗ und Fo

Spätkartoffeln versprechen eine solche für den ganzen Bezirk. Die

uckerrüben haben in den meisten Districten eine gute, in andern eine Mittelernte ergeben. Dagegen hat den Hülsenfrüchten, den Gemüsen und sämmtlichen Futtergewächsen die Dürre des August sehr geschadet.

Im Regierungsbezirk Koblenz war die Ernte im allgemeinen recht befriedigend und lieferte in auf die Güte einen ausgezeichneten Ertrag. Der Körnerertrag von Roggen, Weizen und Gerste ist 2. Güte und Menge durchweg zufriedenstellend, dagegen bei Hafer schwa und vielfach auch von geringer Güte. Die Kartoffelernte ist seit langer Zeit nicht mehr so ergiebig gewesen wie in diesem Jahre.

Im Regierungsbezirk Trier hat das Wintergetreide im all gemeinen einen guten Körnerertrag geliefert, welcher bei Roggen au etwa 110 % und bei Weizen auf etwa 100 % einer Mittelernte zu schätzen sein dürfte. Die Ernte an Frühkartoffeln war eine sehr er⸗ giebige und in Bezug auf Güte der Frucht befriedigend. Die späten Sorten haben reiche Erträge geliefert; die Kartoffeln sind mehlreich und schmackhaft und zeigen keine Neigung zu Fäulniß. Die Wurzel⸗, Futter⸗ und Gemüsepflanzen haben sich infolge des ausgiebigen Regens im September gut entwickelt und stellen befriedigende Erträge in Aussicht. 8 8

In den Hohenzollernschen Landen war die Ernte, was die Qualität anlangt, eine sehr gute; hinsichtlich der Quantität stand sie gegen frühere Jahre etwas zurück. Heu⸗ und Futterkräuter lieferten beim zweiten Schnitt kaum einen halben Ertrag. Auch das Er trägniß an Stroh war ein geringes. Von den Hackfrüchten haben sich die Rüben gut, die Kartoffeln sehr gut entwickelt und versprechen sowohl qualitativ wie quantitativ eine gute Ernte.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs 3 b Maßregeln.

11“ 1141“ Cholera. 1““ Ueber das mehrerwähnte Experiment des Geheimen und Ober⸗ Medizinal⸗Raths Professors Dr. Pettenkofer und des Professors Dr. Emmerich in München mit den Kommabaecillen ver öffentlicht die „National⸗Ztg.“ einen Artikel, dem wir folgende neuen Mittheilungen entnehmen:

Die eigenen Angaben Pettenkofer’s über die Infection bei ihm sowie insbesondere das Krankheitsbild, welches sein Mitarbeiter Pro fessor Emmerich durch seinen Selbstversuch bei sich hervorrief, zeigen daß beide Herren in gewisser Beziehung sogar recht typische Cholera fälle repräsentiren. Fettenkofer hat das, was man eine Cholera diarrhöe nennt, 8Gx dagegen einen ausgesprochenen Choleraanfall durchgemacht.

„Zum besseren Verständniß müssen wir auf das Experiment selbft näher eingehen, schicken aber zur Erläuterung voraus, daß Pettenkofe das Zustandekommen der Cholera einer Reihe von Factoren zu schreibt, die er in Form einer mathematischen Gleichung, X + y + = Cholera, ausdrückt. x ist der Krankheitskeim (Koch's Komma bacillus), y der Einfluß der örtlich zeitlichen Verhältnisse, 2 die indi viduelle Disposition.

Pettenkofer nahm seinen „Choleratrank“ 2 ¼ Stunden na dem aus einer Tasse Chokolade und zwei weichen Eiern be stehenden Frühstück. Er befand sich trotz seiner 74 Jahr und den entsprechenden Alterserscheinungen in einem guten E nährungszustand. Bei seiner geregelten und nüchternen Lebenswe besaß er sonach wahrscheinlich eine bedeutende Widerstands fähigkeit gegen das Krankheitsgift;: seine individuelle Disposition das 2 seiner Choleragleichung, kann demnach nur gering ge wesen sein. Das x, welches er einnahm, bestand in 1 cem eine frischen Cholerabouilloncultur, die er in 100 ccm Wasser vermisch mit 1 g doppelt⸗kohlensaurem Natron trank. Dies entspricht nur allerdings nicht ganz weder der natürlichen Infection noch dem von Koch angegebenen Experiment, wie es an Meerschweincher emacht wird. Beim Vermischen der Bouilloncultur mit der Natronlösung können die Cholerabakterien geschädigt werden, des⸗ halb pflegt man den Meerschweinchen das doppelt⸗kohlensaure Natron zur Abstumpfung der Magensäure vorher einzugeben und die Cultur nachfolgen zu lassen. Ebenso sei bemerkt, daß man der Thieren doch etwas mehr, bis zur fünffachen Menge, also 5 cem Reincultur eingiebt. Auch bei der natürlichen Infection, mag sie nun durch verseuchtes Wasser zu verschiedenen Malen, oder durch ein mit Cholerakeimen besetztes Nahrungsmittel erfolgen, kann die von Petten⸗ kofer ungeheuer genannte Menge von Infectionsstoff sehr wohl er reicht, beziehungsweise noch weit übertroffen werden.

Bei Pettenkofer zeigten sich die ersten Symptome zwei Tag nach der Infection in Form von Gurren in den Gedärmen und viermaligem Durchfall. Derselbe trieb ihn in der Nacht zum dritten Tage wiederholt aus dem Bett und stellte sich im Verlauf dieses Tages noch fünfmal ein. Das Kollern im Leib und die Durchfälle hielten bis zum sechsten Tage an. Erst dann stellte sich das frühere normale Verhalten wieder ein. In den dünnen Aus⸗ leerungen fanden sich bis dahin auch die Cholerabakterien und zwar in großer Menge, ja theilweise in Reinkulturen. Das Allgemein⸗ befinden Pettenkofer's war so wenig gestört, daß er „seine Arbeit in gewohnter Weise verrichtete. Seine Ernährung änderte er allerdings insofern ab, als er an Stelle des Biers Rothwein trank (theilweise als Glühwein, Bordeaux mit Zimmetrinde), und Schleimsuppen aß, um seinen Darm, wie er selbst angiebt, weniger zu reizen. Er that also glücklicherweise das, was man in Cholerazeiten bei solch ver⸗ dächtigem Durchfall eben thun muß. 2

Einen weit schlimmeren Verlauf nahm das Experiment bei

rof. Emmerich, trotzdem dieser Herr erheblich jünger ist als

ettenkofer. Er begnügté sich mit dem zehnten Theil der Dosis von Pettenkofer, nahm sie jedoch in gleicher Weise. Sein X war also zehnmal schwächer. Durch absichtliche Diätfehler (Genuß von Pflaumenkuchen und 3 ½ 1 Bier) erhöhte er sein 2, seine indivi⸗ duelle Disposition. Für die große Wirksamkeit der zehnfach geringeren Giftdosis unter diesen Umständen liefert sein Krankheitsbild, das jeder Unbefangene ein recht stürmisches nennen muß, die beste Illustration. Emmerich selbst hatte, wie Pettenkofer bemerkt, „einen so raschen Verlauf nicht erwartet“. Schon am nächsten Tage hatte er drei dünne Entleerungen, und in der darauffolgenden Nacht bis Morgens 5 Uhr drei weitere .“ Eine so schnelle und wie man wohl hinzufügen kann recht unangenehme Wirkung von x plus z hatten die Münchener Herren in ihrer Verachtung der kleinen Kommas, die man laut Pettenkofer in der Natronlösung nicht einmal „schmeckte“, denn doch nicht erwartet. Es sollte aber noch besser kommen, und fast hätten die verachteten Kommas einen recht großen Strich unter das Lebensconto Emmerich's gezogen. Am zweiten Tage hatte er 15 bis 20 Reis⸗ wasserstühle. Es stellte sich, wie gewöhnlich in diesem Stadium der Cholera, sehr großer Durst ein, und er wurde heiser (vox cholerica). Es ist ihm babir gewiß nicht zu verdenken, daß er Geheim⸗Ratb von Ziemßen consultirte, welcher ihm ein Clystier von Opium uno drei Pulver von Gerbsäure und Opium verordnete. Trotzdem setzten sich die Diarrhöen fort. In der Nacht zum nächsten Tage hatte er noc acht und im Laufe des Vormittags noch zwölf reiswasserähnliche Stühle. Zwei La. später wurde sein Befinden wieder normal. Die Kommabaeillen fanden sich bei Emmerich schon etwa 24 Stunden nach der Infection in den Entleerungen, traten in den Reiswasserstühlen in Form von Rein⸗ kulturen auf, und bis zum elften Tag, also vier Tage länger, als die eigentliche Erkrankung dauerte, nachweis! Pettenkofer sagt,

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