er zur Zeit besteht. Dann, meine Herren, die Bank. Auch das habe ich in der „Freisinnigen Zeitung“ damals gefunden und aller⸗ dings mit dem größten Erstaunen gelesen, daß dort aus der Bestimmung des Reichsbankgesetzes, daß die Bank ohne besondere Vergütung die Kassengeschäfte des Reichs führen müsse, deducirt wurde, sie müsse nicht nur die laufenden Geschäfte führen, sondern auch den Betriebsfonds vorschießen. Wenn ich als Privat⸗ mann mit einem Banquier in Verbindung trete, daß er meine Geld⸗ geschäfte führe, so ist das erste, was der Mann verlangt: gebt mir eine Einzahlung, aus der ich die laufenden Zahlungen leisten kann. Ich glaube, die Bank hat genau dasselbe Recht, diesen Anspruch zu erheben. Das widerspricht keineswegs ihrer Verpflichtung, die Kassengeschäfte des Reichs ohne besondere Vergütung zu führen. Die Höhe aber des Vorschusses von zehn Millionen wird man sachlich nicht angreifen können. Das ist wirklich im Ver⸗ gleich zu dem Verkehr der Reichs⸗Hauptkasse keineswegs sehr hoch ge⸗ griffen. Was nun den Giroverkehr betrifft, so kann ich sagen, daß der Giroverkehr von der Reichsverwaltung in ausgedehntem Maße in Anspruch genommen wird. Unter anderem erfolgt der größte Theil der Zahlungen der Post auf dem Wege des Giroverkehrs.
Ich bitte also, daß, wenn der Reichstag beschließen sollte, die Vorlage weiter in der Commission zu behandeln, dort oder sonst hier im Plenum man an die Vorlage mit wohlwollender Prüfung heran⸗ treten möge und in der Ueberzeugung, daß in der Vorlage wirklich den verfassungsmäßigen Rechten des Parlaments keine Schlinge ge⸗ legt werden soll.
Nach den Abgg. Lucius und Freiherrn von Stauffenberg nahm der Staatssecretär Freiherr von Maltzahn noch ein⸗ mal das Wort:
Ich möchte nur den geehrten Herrn Abgeordneten bitten, die zu⸗ letzt vorgetragenen Wünsche bei der Berathung der Pensionsnovelle zur Discussion zu stellen. Im Rahmen der gegenwärtigen Discussion bin ich nicht in der Lage, ihm darauf antworten zu können. Ich kann jetzt nur das sagen, daß, soweit es sich um die Verwaltung des Aller⸗ höchsten Dispositionsfonds handelt — es ist ja bekanntlich ein Fonds von 3 Millionen ausgesetzt, der im wesentlichen für Unterstützungen der Kriegsinvaliden und Hinterbliebenen von Militärpersonen bestimmt ist, soweit dieselben nicht durch das Pensionsgesetz gedeckt werden — ich kann nur sagen, daß bei der Verwaltung dieses Fonds von Seiten der Reichs⸗Finanzverwaltung den Anträgen der betreffenden Personen mit größtem Wohlwollen entgegengekommen wird und daß ich mich nicht eines einzigen Falls aus meiner Verwaltung entsinne, wo ein von der Landesbehörde befürwortetes Gesuch abgelehnt worden wäre.
Es folgt die erste Berathung des Entwurfs eines Gesetzes über Abänderung von Bestimmungen des Straf⸗ gesetzbuchs, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Gesetzes vom 5. April 1888, betreffend die unter Ausschluß der Oeffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhand⸗ lungen (lex Heinze).
Abg. von Holleuffer (deutschcons.): Die schmachvollen Zustände, welche der Prozeß Heinze enthüllt habe, hätten weiten Kreisen die Ueberzeugung gebracht, daß hier mit Entschiedenheit Wandel geschaffen werden müsse. (Zustimmung.) Niemand werde glauben, daß es möglich sein werde, das Uebel der Prostitution mit der Wurzel aus⸗ reißen zu können. Es werde sich darum handeln, diese Schäden einzu⸗ schränken. Es sei hier nichts mit Sentimentalität zu erreichen, sondern dadurch, daß man klar und nüchtern die Verhältnisse beurtheile, wie sie thatsächlich lägen. Seine politischen Freunde seien damit einverstanden, daß im Wege der Gesetzgebung den Polizeibehörden die Möglichkeit geschaffen werden solle, die Prostitution zu kaserniren. Sie verkennten nicht die schweren ethischen Bedenken, die einer solchen Maßregel entgegenständen; aber sie verkennten auf der anderen Seite auch nicht die schweren Bedenken für das Volksleben, wenn die jetzigen Zustände weiter beständen. Sei es der Prostitution ge⸗ stattet, Wand an Wand mit anständigen Familien zu wohnen, so müsse ein derartiger Zustand nothwendiger Weise die Anschauungen der heranwachsenden Jugend verwirren. Er hoffe, daß in Folge dieser Maßregel die Prostitution auch von den Straßen und öffentlichen Lokalen vertrieben werde. Jedenfalls werde man hier erst die nöthige Erfahrung sammeln müssen. Mit besonderer Befriedigung erfülle seine Partei die Strafbestimmung gegen das Zuhälterthum, das sich bisher geschickt durch die Maschen des Gesetzes zu winden gewußt habe. Nach § 16a könne bei der Verurtheilung zu Zuchthaus oder Befangnißstrufen, wenn die That von besonderer Rohheit oder Sittenlosigkeit des Thäters zeuge, auf Verschärfung der Strafe bis auf die Dauer der ersten sechs Wochen erkannt werden. Die Ver⸗ schärfung der Strafe bestehe darin, daß der Verurtheilte eine harte Lagerstätte und als Nahrung Wasser und Brot erhalte. Seine Partei bedauere, daß diese Strafverschärfung nach den weiteren Bestimmungen des Paragraphen eingeschränkt werden könne. Es werde nicht gesagt, aus welchen Ursachen auf mildere Vollstreckungsweise erkannt werden könne. Es könnte nach seiner Meinung die Strafvrerschärfung für die Dauer der ganzen Strafzeit zugelassen werden, selbstverständlich auf Grund eines gerichtlichen Erkenntnisses. Seine Partei sei im großen und ganzen mit dem Entwurf einverstanden. Sie sei von der Zuver⸗ sicht durchdrungen, daß dieser Gesetzentwurf in zweckmäßiger Weise zur Ausführung gebracht und für das Volk segensreich wirken werde. Er beantrage die Ueberweisung der Vorlage an eine Commission von 21 Mitgliedern. 2
Abg. Gröber (Centr.): Einzelne Bestimmungen des Gesetz⸗ entwurfs seien zweifellos unbrauchbar, andere von so zweifel⸗ haftem Werth, daß sie in der vorgeschlagenen Form nicht zum Gesetz gemacht werden könnten. Wenn man das arbeitsscheue Gesindel, Landstreicher, rückfällige, unverbesserliche Verbrecher mit einer strengeren Freiheitsstrafe belegen wolle, so möge man sich diesen Vorschlag gefallen lassen, aber es dürften keine ganz allgemeinen Bestimmungen in das Gesetz aufgenommen werden. Die Begriffe Rohheit und Sittenlosigkeit seien von einer etwas bedenklichen Weite, je nach der wechselndeln Auslegung der Gerichte. So könnten ja auch 11“ gegen hochgestellte Personen, Majestäts⸗ beleidigungen unter den Begriff einer besonderen Sittenlosigkeit fallen. Das scheine ihm gefährlich. Andererseits sollten Strafverschärfungen für eine sogenannte custodia honesta nicht stattfinden. Zeigten denn z. B. Duelle, die mit Festungsstrafe belegt würden, nicht auch Roh⸗ heiten gröbster Art? Besondere Schwierigkeiten biete auch die Durchführung der Strafverschärfung. Es müsse immer ein Arzt fest⸗ stellen, ob der Körperzustand des Bestraften den Strafvollzug zulasse. Als noch die Prügelstrafe bestanden habe, hätten die Richter gesagt, die sogenannten vornehmen Herren hätten nie eine Prügelstrafe be⸗ kommen. Man müsse sich davor wahren, einen solchen Schritt in die Vergangenheit zurück zu machen. Durch solche Strafverschärfungen werde auch das Verhältniß der verschiedenen Freiheitsstrafen zu einander ver⸗ schoben. Eine kleine kurze Strafe mit hartem Lager und jeden vierten Tag Fasten wirke doch anders, als eine verhältnißmäßig längere Frei⸗ heitsstrafe. Eigenthümlich berühre es auch, daß hier Strafver⸗ schärfungen vorgeschlagen würden, während von Strafmilderungen gar keine Rede sei. Die Strafverschärfung sei zwar für gewisse Fälle zu empfehlen, aber es sei doch schwierig, eine richtige Abgrenzung zu treffen. Es wäre rathsam, eine solche Detailgesetzgebung aus An⸗ laß eines Specialfalls überhaupt nicht vorzunehmen, sondern erst nach gründlichen Vorbereitungen ein allgemeines einheitliches Straf⸗ vollzugsrecht für das ganze Reich zu schaffen. Es sei doch sehr zu verwundern, daß ein solches immer noch nicht vorgelegt werde. Daß
die Prostitution durch alle Polizeimaßregeln nicht ausgerottet wer⸗ den könne, sei eine durch die Erfahrung der Jahrhunderte bewiesene Thatsache. an müsse mit dem gegebenen Uebel rechnen, und es sei nur die Frage: wie weit könne man gehen, um die sittlichen und sanitären Gesahren der Prostitution möglichst zu verringern? Sehr zweifelhaft sei ihm, ob die Kasernirung einen besonderen Vortheil biete. Wenn men der Polizei eine so weit gehende Vollmacht zur Lokalisirung der Prostitution gebe, daß sie gewissermaßen öffentliche Häuser concessioniren könne, werde das Uebel vielleicht 8xZö vielleicht liege darin sogar eine Förderung der Unzucht. Die Motive sprächen gar nicht davon, ob derartige Erfahrungen gemacht seien, daß man von dem jetzigen Zustande zu einem anderen System über⸗ gehen müsse. Eine besondere Strafverschärfung sei gegen die Zuhälter vorgeschlagen worden, aber auch in einer sehr unklaren Fassung. Er halte es nicht für eine Bereicherung der juristischen Begriffe, daß man auch den Ehemann als Zuhälter bezeichnen könne. Was die Behandlung der Oeffentlichkeit des Gerichtsverfahrens betreffe, so sei der neue Gesetzentwurf nur die Fortsetzung des Gesetzes von 1888, das seine Partei damals vergeblich bekämpft habe. Der jetzige Vorschlag schaffe Unklarheit und sei auch wirkungslos. Wenn 1 B. die Oeffentlichkeit nicht ausgeschlossen sei, aber ein Schweigbefehl er⸗ lassen werde, so scheine ihm damit der Zweck vollständig verfehlt, und werde sich diese Bestimmung auch praktisch schwer durchführen lassen. Es wäre aber ganz gut, wenn bei dieser Gelegenheit auch auf das Gesetz von 1888 zurückgegriffen würde, um den Schweigbefehl, der damals hineingekommen sei, jetzt wieder hinauszubringen. Er halte für die Vorlage eine Commission von vierzehn Mitgliedern für genügend.
Abg. Schneider⸗Hamm (nl.): Man müsse den Gesetzentwurf sine ira et studio behandeln ohne auf den Prozeß, der die öffentliche Meinung in so hohem Grade erregt habe. Er könne aus seiner Erfahrung bestätigen, daß das, was hier vorgeschlagen werde, schon lange vor jenem Prozeß nicht nur juristische, sondern auch andere Kreise des Volkes als ein tiefgefühltes Bedürfniß empfunden hätten. Mit den Bestimmungen über die Strasverschärfung sei er im wesentlichen einverstanden, in anderen Punkten nicht. Gewerbsmäßige Unzucht werde z. B. gelitten, unter der Voraus⸗ setzung natürlich, daß sie sich den polizeilichen Vorschriften füge, während man auf der anderen Seite den Hauseigen⸗ thümer bestrafe, der gegen Bezahlung Prostituirten Kost und Logis gewähre. Wenn man sich auf den Standpunkt stelle, daß die gewerbsmäßige Unzucht auf dem Wege crimineller Verfolgung nicht zu unterdrücken sei, so müsse man sich fragen, welche Maßregeln seien zu treffen, um dieses sociale Uebel möglichst unschädlich zu machen. Und da scheine ihm der im Gesetzentwurf vorgeschlagene Weg der Kasernirung der richtige zu sein. Der Abg. Gröber habe manche Bestimmungen wegen der A““ Der Aus⸗ druck Sittenlosigkeit könne allerdings zu ißbräuchen und zu un⸗ richtiger Auslegung Veranlassung geben, wenn er Redner) auch nicht so weit gehe, es für möglich zu halten, daß eine Bismarckbeleidigung im Rückfall einem deutschen Gericht hätte als Sittenlosigkeit erscheinen können. Er habe zu dem deutschen Strafrichter das Vertrauen, daß er eine solche Gesetzes⸗ auslegung weit von sich weisen werde. Auch er bedauere, daß der Reichstag bis jetzt sich nicht mit einer solchen Vorlage habe befassen können, aber andererseits sei er der Meinung, daß die tiefgreifenden Mißstände, denen durch die Vorlage abgeholfen werden solle, so weit verbreitet und so himmelschreiend seien, daß man jetzt eine Neu⸗ regelung treffen und nicht bis zu dem unbestimmten Zeitpunkte der Vorlage eines WE über den Strasvollzug warten solle. Unter den Begriff Rohheit fielen Körperverletzung mit einem Messer, Raufereien, Ueberfall argloser Passanten, Fälle, die leider in viel zu großem Maße vorgekommen seien. Diese technischen Fragen würden leicht in der Com⸗ mission erledigt werden können. Aber es gebe auch andere Fälle von Rohheit, z. B. Thierquälerei von solcher Natur, daß in diesem “ eine scharfe Strafe, die von dem Thäter wirklich als körper⸗ iches Uebel empfunden werde, verhängt werden müßte. So sei ihm der Fall vorgekommen, daß ein Zuhälter, der im angetrunkenen Zu⸗ stande nach Hause gekommen sei, seine Katze ergriffen, sie mit Petroleum begossen, dann angezündet und in die Nacht hinausgejagt habe. Er he e leider als Strafe für diese Rohheit nur eine Haft⸗ strafe von sechs Wochen verhängen können. Hier wäre eine Straf⸗ verschärfung am Platze. Schon 1875 sei über die Frage der Strafverschärfung für Körperverletzung verhandelt worden. Da⸗ mals habe sich ein kaum nennenswerther Widerspruch erhoben. Doch habe sich bisher die Sache wesentlich ver⸗ ändert, und man stehe vor der Frage, ob nicht einer weiteren Ent⸗ wickelung nach der schlimmeren Seite in energischer Weise entgegen⸗ getreten werden müsse. Man möge die Strafprozeßordnung mit allen Cautelen versehen, die Berufung in Strafsachen einführen, den Unschuldigverurtheilten entschädigen, aber auch den rohen Menschen, der sich außerhalb der Cultur stelle, mit der vollen Kraft des Ge⸗ setzes treffen. Alles in allem genommen, scheine ihm der Gesetzentwurf manche zweckmäßigen Bestimmungen zu bieten, sodaß er die Hoffnung habe, daß er sich, einer Commission von vierzehn Mitgliedern über⸗ wiesen, in einer Weise gestalten werde, die ihn seiner Partei annehm⸗ bar mache. —
Abg. Träger (dfr.): Er schließe sich dem Antrage auf eine Commissionsberathung an, sei jedoch der Meinung, daß eine Com⸗ mission von 21 Mitgliedern vorzuziehen sein würde, da die Vorlage in ihren Hauptpunkten über die juristische Grundlage hinausgehe und die Commission nicht nur aus Juristen bestehen dürfe. In der Beurtheilung des Gesetzentwurfs stehe er in den meisten Punkten auf dem Standpunkt des Abg. Gröber und halte ihn in einzelnen Punkten für außerordentlich discutabel, in anderen für unannehmbar. Man habe hier ein Gelegenheitsgesetz vor sich, das ab irato gemacht sei. Schlimmer sei es, daß man die Gelegenheit benutzen wolle, um noch an anderen Stellen, die der Abhilfe bedürftig schienen, Aenderungen eintreten zu lassen. Die Erhöhung des Strafminimums in § 180 beschränke das Arbitrium des Richters in unangemessener Weise. Wegen der Prosti⸗ tution habe man sich klar zu entscheiden, ob sie in der Freiheit oder kasernirt der Oeffentlichkeit mehr Sicherheit biete. Sehr wichtig sei es, daß unter die Fälle schwerer Kuppelei auch die Verkuppelung der Frau durch den Mann aufgenommen werden solle. Das Zuhälter⸗ thum sei eine der verderbtesten Klassen und liefere die meisten Ver⸗ brecher. Aber im Gesetz sei nicht klar genug gesagt, wer ein Zuhälter sei. Man werde hier lediglich auf Grund einer Auskunft der Polizei⸗ behörde urtheilen müssen. Die Bemühungen müßten darauf sein, bestimmte und greifbare Thatbestandsmerkmale aufzufinden. ie Bestimmungen über den Vertrieb unzüchtiger Darstellungen würden in der vorliegenden Form zu einer Beschränkung der Preßfreiheit führen und rein künstlerische Interessen beeinträchtigen. Alle Ankündigun⸗ gen sollten verfolgt werden, auch wenn sie äußerlich ganz harmlos seien. Ueber das, was das Sittlichkeitsgefühl verletze, ohne unsittlich zu sein, be⸗ dürfe es genauerer Bestimmungen. Sonst sei in Gemäldegalerien erlaubt, was in Schaufenstern anstößig sei. Für seine Partei sei das Gesetz nicht eher discutabel, bis die längst gewünschte Bescitigung der Unebenheiten des Strafvollzugs vorgenommen sei, denn alle Mißstände des Straf⸗ vollzugs würden dadurch noch erweitert. Wenn man eine Straf⸗ verschärfung für die ersten Wochen verhänge, so erscheine dem Be⸗ straften die übrige Zeit als eine Verbesserung seiner Lebens⸗ weise. Lieber sollte man ihn mit Pritsche und Wasser verabschieden. Man gehe immer von der Voraussetzung aus, daß die Richter zu milde und der Aufenthalt im Gefängniß zu angenehm sei; er meine jedoch, daß die gegenwärtigen Strafen vollkommen ausreichten. Diese Bestimmung würde die erste Etappe zur Prügelstrafe sein. Die Begriffe von Rohheit und Sittenlosigkeit seien sehr dehnbar. Die Strafen für Soldatenmißhandlungen könnten eine Verschärfung eben 8. gut ver⸗ tragen; warum beschränke man sich auf das Civil⸗Strafgesetzbuch? Auch Leute, die nach Verbüßung ihrer Haftstrafe der Landes⸗Polizei⸗ behörde überwiesen würden, sollten von der Strafverschärfung betroffen werden. Damit sei er nicht einverstanden, weil die Structur des Eb. eine derartige Verschärfung von vornherein aus⸗ schließe; denn die Haft solle nur in der Freiheitsentziehung bestehen.
“ 8 “ 8
Bei diesen Personen, die zur größeren Hälfte mehr unglücklich als strafbar seien, seien derartige Verschärfungen auch nicht angebracht. Sehr zu billigen sei es dagegen, daß solche Personen statt in einem Arbeitshaus in einer Besserungsanstalt oder einem Asyl unterge⸗ bracht werden sollten. Bei der Bestimmung, die öffentliche Mitthei⸗ lungen aus Gerichtsverhandlungen untersage, würde wieder die Presse besonders zu leiden haben. Er könne nicht einsehen, wie eine öffent⸗ lich verhandelte Sache gefährlich wirken könne, wenn sie in die Zeitung gebracht werde. Er erkenne den guten Willen der Vorlage an, man könne über die Hauptsache sehr wohl discutiren, könne Ver⸗ besserungen treffen, aber in allem Anderen, was mit dem allgemeinen System des Strafrechts zu thun habe, da möge man eine so gefähr⸗ liche Flickarbeit unterlassen.
Staatssecretär des Reichs⸗Justizamts Hanauer:
Die Vorlage begegnet wie in der Presse, so auch im Hause heute einer gemischten Aufnahme. Einzelne Bestimmungen werden gebilligt, andere werden beanstandet, theilweise sogar für unannehmbar erklärt. Es liegt das in der Natur der Sache und namentlich in der Ver⸗ schiedenheit der einzelnen Bestimmungen.
Von verschiedenen Seiten ist, ähnlich wie in der Presse, auch heute dem Gesetz gewissermaßen der Vorwurf gemacht worden, es sei ein Gelegenheitsgesetz. In gewissem Sinne mag das richtig sein; man mag auch im allgemeinen für Gelegenheitsgesetze nicht sehr empfänglich sein. Aber wenn einmal bei einer Gelegen⸗ heit wie dem Heinze'schen Prozeß Mißstände, die weit ver⸗ breitet sind, Krebsschäden der Gesellschaft in, wie einer der Herren Vorredner sich ausgedrückt hat, so grelle Beleuchtung getreten sind, dann liegt es doch in der Natur der Sache, daß die Gesetzgebung bei einer derartigen Gelegenheit den Hebel ansetzt. Deswegen braucht das Gesetz nicht als cum ira et studio erlassen betrachtet zu werden, und das bitte ich namentlich der gegenwärtigen Vorlage gegenüber im Auge zu behalten. Die Vorlage ist Ihnen diesmal nicht bloß deshalb gemacht, weil sie Ihnen in der letzten Session schon gemacht worden war, sondern weil die verbündeten Regierungen auch jetzt noch nach reiflicher Ueberlegung derselben Ansicht sind, wie früher, daß ein Bedürfniß vorliegt, in der fraglichen Weise im Gesetzgebungswege vorzugehen.
Die Strafbestimmungen über Kuppelei und Zuhälterei, die in der Vorlage gemacht sind, sind keigentlich, wenn ich die Herren richtig verstanden habe, im wesentlichen gebilligt; die Beanstandungen richten sich mehr gegen die, wenn ich so sagen kann, accessorischen Be⸗ stimmungen, die gewiß kaum als ein Gelegenheitsvorschlag betrachtet werden dürfen.
Was die Strafschärfung zunächst anlangt, so liegt es doch in der Natur der Sache, daß, wenn gegen die Zuhälter vorgeschritten werden soll, man auf die Betrachtung gedrängt wird: die Zuhälterzunft gehört zu der rohesten, sittenlosesten Menschenklasse, die überhaupt existirt. Das beweist jeder gerichtliche Vorgang in der fraglichen Richtung, das beweisen die Straflisten, die bei einzelnen Zuhältern zum Vorschein kommen, die in erschreckender Weise alle möglichen Delicte und Reate in übergroßer Anzahl aufweisen. Also was ist natür⸗ licher, als daß der Gesetzgeber dann fragt, ob diesen Personen gegen⸗ über es nicht angezeigt erscheint, in empfindlicherer Weise als gewöhn⸗ lich vorzugehen. Ich glaube, der Gedanke an sich muß gebilligt werden, daran knüpft sich aber in logischer Folge, möchte ich sagen, die Erwägung, daß die gewöhnlichen Strafen, wie sie das Strafgesetzbuch vorsieht und ohne Detailbestimmungen über die Aus⸗ führung nur mit allgemeinen Zügen die Art und Weise der Aus⸗ führung skizzirt, nicht ausreichen — daß diesen Bestimmungen gegen⸗ über eine besondere Verfügung von Strafverschärfungen am nächsten liegt, um die Strafe für derartige Personen auch empfindlich zu machen, denn sonst ist der Zweck der Strafen überhaupt verfehlt.
Will man das thun, so ist sofort der weitere Schluß noth⸗ wendig, daß man bei einer derartigen Bestimmung nicht gegen diese Strafthaten allein vorgehen darf, sondern, weil der Grund in der Rohheit und Sittenlosigkeit der betreffenden Individuen liegt — auch verallgemeinern kann und verallgemeinern muß. Dieselben Gründe für die Strafverschärfung liegen bei anderen Reaten na⸗ türlich auch vor, oder können vorliegen, und wenn sie vorliegen, dann müssen sie zu demselben Resultat führen.
„Nun hat einer der Herren Vorredner angedeutet: ja, der Gedanke wäre an sich nicht verwerflich und er könne sich mit ihm befreunden, allein, dann wünsche er detaillirte Bestimmungen, eine Aufzählung der Reate, bei denen eine solche Strafschärfung zulässig sein soll. Ich glaube, der Versuch wäre ohne befriedigenden Erfolg. Die Be⸗
gründung liegt ja sehr nahe; jedwedes Deliet, jedwede strafbare Hand⸗-
lung kann unter Umständen in einer Weise ausgeführt werden, daß man den Stempel der Rohheit und Sittenlosigkeit dabei obwalten sieht. Wenn die Frage, ob ein solcher Grad der Strafbarkeit, ein Grund für die Strafverschärfung vorliegt, im allgemeinen dem Richter überlassen wird, dem die Sachlage des einzelnen Falles vorliegt, so glaube ich: bei dem Vertrauen, das der Deutsche zu seinen Ge⸗ richten überhaupt hat, kann eine Gefahr darin nicht liegen, wenn der Gesetzgeber in der allgemeinen Weise eine solche Maßregel vorsieht.
Ein weiterer Vorwurf und ein weiteres Bedenken gegen den Gesetz⸗ entwurf ist in derselben Richtung gemacht worden, daß hier dem Straf⸗ vollzugsgesetze gewissermaßen vorgegriffen würde, oder daß man eine derartige Bestimmung nicht erlassen solle, bevor das langersehnte Strafvollzugsgesetz erlassen wäre. Die Wünsche nach dem Erlaß eines Strafvollzugsgesetzes erkenne ich für meine Person als vollständig berechtigt an; allein in dem Nichtbestehen eines derartigen Gesetzes zur Zeit kann ich einen Grund für den Nichterlaß einer derartigen Strafschärfungsbestimmung, wie sie hier vorgeschlagen ist, in keiner Weise erblicken; denn hier handelt es sich nicht um den Straf⸗ vollzug, sondern um die Strafbestimmung, um einen Urtheils⸗ spruch, um eine Entscheidung des Gerichks und nicht um eine Maß⸗ regel, die von der Strafvollziehungsbehörde verfügt werden foll.
Also dem Herrn Vorredner möchte ich entgegenhalten: als ein Bruch mit dem System des Strafgesetzbuches kann dies nicht er⸗ scheinen; es ist keine Strafvollzugsbestimmung, sondern eine Straf⸗ bestimmung selbst, eine Ergänzung der vorhandenen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über die Art und Weise der Freiheitsstrafe. Natürlich, wenn die Vorschrift so erlassen wird, wie sie hier vor⸗ gesehen ist, muß bei dem Strafvollzug das Einzelne ge⸗ regelt werden; es muß untersucht, geprüft werden, ob der betreffende Sträfling diese Strafverschärfung nach seinen Ge⸗ sundheitsverhältnissen auch aushalten kann und dergleichen. Aber das ist ja ähnlich bei jedem Vollzuge einer Strafe der Fall.
Eine wesentliche Beanstandung hat der § 184, wie auch voraus⸗
zusehen war, im Hause erfahren; denn die Preßvorgänge sind ja
dabei noch von
darin bezeichnend gewesen. Nun wird aber doch kein Zneifel darüber sein können, daß die Unsittlichkeit, über deren Zunahme nicht von einer Seite, sondern von verschiedenen Seiten erheblich geklagt wird, durch nichts mehr gefördert wird, als durch die Verbreitung unsittlicher Schriften. Das Gesetz hat bis jetzt nur die unzüchtigen Schriften im Auge gehabt, und eine ziemlich constunte Jurisprudenz hat sich in der Richtung gebildet, daß die unsittlichen und nicht zagleich unzüchtigen Schriften aus dieser Strasbestimmung ausscheiden. Wenn nun die Gefahr, die ich eben bezeichnet habd, als vor⸗ handen erachtet werden muß, so liegt es doch zweifel⸗ los nahe, daß dann micht bloß die Verbrektung selbst und der Verkauf solcher unzüchtigen Schriften vom Gesetzgeber ins Auge ge⸗ faßt werden muß, sondern, was im Effect doch eben so gefährlich sein muß und zu denselben Resultaten bezüglich der Gefährdung der Sittliczkeit führen muß, ebenso auch die Ankündigung, und ich ver⸗ stehe micht, wie man folgern kann: die bloße Ankündigung soll straflos sein, vie Verbreitung soll strafbar sein. Wenn die Ver⸗ breitung gefährlich ist, so ist's die Ankündigung in gleichem Maße. Die Ankündigung ruft die Verbreitung hervor, und wenn verbreitet ist, kann der Strafrichter repressiv einschreiten; allein vorbeugend kann er es viel besser thun, wenn er auch die Ankündigung unsittlicher Schriften bestraft.
Und was die unsittlichen, nicht unzüchtigen Handlungen betrifft, so liegt es doch ebenso klar auf der Hand, daß es viele Dar⸗ stellungen, Bilder u. s. w. geben kann, die, ohne dem Regquisit der Unzüchtigkeit zu entsprechen, doch das Scham⸗ und Sittlichkeitsgefühl empfindlich verletzen. Wenn nun hier vorgeschlagen wird, daß die öffentliche Schaustellung von derartigen Bildern u. s. w. auch mit Strafe bedroht sein soll, so stellt sich dies nur als eine zweckmäßige Ergänzung der bisherigen Bestimmung des § 184 dar.
Ich gehe auf die weiteren Einzelheiten des § 184 in der Rich⸗ tung nicht weiter ein; wir sind ja jetzt bei der ersten Lesung. Man wird darüber zja verschiedener Meinung sein können, wie weit der Gesetzgeber im einzelnen zu gehen hat; aber daß im allgemeinen der § 184 mit seiner bisherigen beschränkten Strafandrohung nicht ausgereicht hat, darüber, glaube ich, wird man sich leicht eine Ueber⸗ zeugung verschaffen können.
Der Schweigbefehl, die Bestimmung über den Schweigbefehl ist ebenfalls beanstandet. Ich will den Herren, die sich hierüber über⸗ einstimmend geäußert haben, sofort zugeben, daß der vorgeschlagene Art. 4 nicht immer sichern wird eine Bestrafung desjenigen, der durch Verbreitung in der Presse die Resultate einer Verhandlung öffentlich kundgiebt, bei welcher die Oeffentlichkeit nicht ausgeschlossen, bei der aber der Schweigbefehl ergangen war; denn die Bestimmung des Art. 4 setzt natürlich voraus ein vorsätzliches Handeln: es muß dem Betreffenden also der Schweigbefehl bekannt geworden sein; ist er ergangen ohne sein Wissen, weiß er nichts davon, so kann er nicht gestraft werden. Das gebe ich sofort zu in klarer Festhaltung der all⸗ gemeinen Grundsätze des Strafgesetzes über strafbare Handlungen. Daraus folgt aber doch noch nicht, daß deshalb eine derartige Maßregel des Gesetzgebers von vornherein und in ihrer Allgemeinheit perhorrescirt werden muß. Es kann doch eine Verhandlung stattgefunden haben, ohne daß man im voraus zu ermessen im stande war, daß und in wie weit die Sittlichkeit dadurch gefährdet würde; sie hat also öffentlich stattgefunden. Im Verlauf der Verhandlung ergiebt sich aber, daß die Verhandlung geeignet gewesen wäre, die Oeffentlichkeit zu beschränken, oder es kann auch der Richter aus anderen Gründen veranlaßt gewesen sein, von seiner Befugniß zum Beschränken der Oeffentlichkeit keinen Gebrauch zu machen. Deshalb wird aber doch die Wirkung der Veröffentlichung der Ver⸗ handlung in keiner Weise alterirt. Wenn dieselbe Charakter⸗ eigenschaft dieser Verhandlung beiwohnt wie einer anderen, bei welcher die Oeffentlichkeit ausgeschlossen war, so ist es consequent, wenn der Gesetzgeber sich bemüht, den nachtheiligen Folgen einer Veröffentlichung entgegenzutreten, und das will er thun durch den hier vorgeschlagenen Artikel, in dem er den Schweig⸗ befehl für zulässig erklärt, und wenn er ergangen ist, in der Zuwider⸗ handlung gegen den Schweigbefehl eine strafbare Handlung erblickt.
Wie bereits erwähnt, wir sind in der ersten Lesung; die Einzel⸗ heiten des Gesetzesvorschlages im übrigen werden ja in der Com⸗ mission weiter besprochen werden können. Ich habe mir das Wort hauptsächlich zu dem Zwecke erbeten, um Ihnen zu sagen, daß der Gesetzentwurf nicht ab irato aufgestellt ist, sondern in reiflicher Er⸗ wägung des Bedürfnisses von Selten der verbündeten Regierungen eingebracht worden ist.
Abg. Bebel (Soc.): Die Ausführungen des Regierungsvertreters hätten ihn enttäuscht, er habe nur einige Einwendungen der Vor⸗ redner zurückgewiesen. Der Fall Heinze solle die erste Veranlassung zu diesem Gesetz gewesen sein, weil er die Mißstände des socialen Lebens besonders grell beleuchtet haben solle. Es sei erfreulich, daß die Re⸗ ierung sich beim Hervortreten von Mißständen beeile, Gesetze vorzu⸗ egen, er wünschte nur eine gewisse Consequenz darin gegenüber ande⸗ ren Mißständen, wie z. B. den zahlreichen Mißhandlungen von Sol⸗ daten durch Unteroffiziere und selbst Offiziere. Die Prostitution sei zu derselben Zeit entstanden, wo das Privateigenthum entstanden sei, und sich der Gegensatz zwischen Armen und Reichen gebildet habe. Wo die gesellschaftlichen Gegensätze am schärfsten seien, sei die veg am stärksten, und in Zeiten, wo einzelne Schichten der
esellschaft am meisten in einer Nothlage seien, vermehre sich die ahl der Prostituirten. Man sage, die Prostitution sei eine öffent⸗ iche Gefahr. Kein Zweifel, sie verbreite ansteckende Krankheiten und vergifte auch das Familienleben. Dann wäre es doch viel richtiger, wenn die, welche sich durch den Genuß der Prostitution solchen Gefahren aussetzten, davon abgebracht würden. Um die Gefahr an⸗ steckender Krankheiten zu beseitigen, wolle man die Prostitution gesetzlich regeln und zu einer staatlichen Einrichtung machen, die als ebenso nothwendig anerkannt werde, wie Schule, Kirche und Polizei. Die größte Zahl der Prostituirten greife aus socialer Noth zu diesem traurigen Erwerbe. 99 % der Prostituirten würden mit diesem traurigen Erwerbe entsagen, wenn sie einen ehr⸗ aren Erwerb finden könnten. Er sei der letzte, der die Zuhälter nicht als den Abschaum der Gesellschaft ansehe; sie stellten auch ein großes Contingent für das Verbrecherthum, aber es sei ein Irrthum, wenn man durch Einschränkung des Zuhälterthums auch das Verbrecherthum einzuschränken hoffe. Im Gegentheil, wenn man ihnen diese Quelle der Ernährung versage, würden sie erst recht zu Verbrechern werden. Nicht allein die Zu⸗ hälter, sondern auch die Wirthe und Wirthinnen beuteten die armen Prostituirten aus. Aber ändere man diesen Zustand, wenn man die Prostitution kasernire? Man setze an die Stelle einer großen Zahl von Wirthen, an die Stelle des einzelnen Unternehmers, den Großunternehmer, der ganze Häuser mit Mädchen fülle und der Polizei gestützt und unterstützt werde. Man wolle den Zuhälter bestrafen, auch wenn er keinen Gewinn aus seinem Verhältniß zur Prostituirten ziehe. Diese Definition des Zu⸗ hälters sei unhaltbar, dadurch sei alles erlaubt gegen den, der einmal
in den Verdacht komme, Zuhälter zu sein, wenn er auch keine Ahnung habe, daß sein Mädchen 22 e; sei. Was Moral und Frei⸗ heit betreffe, so gehe es den Mädchen in den Toleranz⸗Häusern gerade am schlimmsten. Die Bordelle gewährten keineswegs die öͤffentliche Sittlich⸗ keit. Auch in Bezug auf die Sicherheit vor der Ausbreitund von Geschlechts⸗ krankheiten böten die Bordelle nicht Sicherheit. Nach § 184 seien auch Ausstellungen von an sich nicht unzüchtigen Abbildungen oder Darstellungen strafbat, wenn sie das Scham⸗ oder Sittlichkeitsgefühl zu verletzen geeignet seien. Nackte Bilder und Statuen in einem Museum aufzustellen, sei nach diesem Eegee. zulässig, die photographische Vervielfältigung, Ausstellung und der Ver⸗ kauf der Photographien aber nicht. Die Bestimmung, daß die im § 184 vorgesehene Strafe auch denjenigen treffen könne, der aus Gerichtsverhandlungen, für die wegen Ge⸗ fährdung der Sittlichkeit die Oeffentlichkeit ausgeschlossen gewesen sei, Mittheilung moche, halte er für überflüssig. Um diese Fälle zu treffen, reiche das bestehende Gesetz aus. Im übrigen könne gerade die Zulassung der Oeffentlichkeit in manchen Fällen besonders er⸗ wünscht sein, um moralisch abschreckend zu wirken. In diesem Sinne könne er das Vorgehen des Präsidenten im Heinze⸗Prozeß nur in Schutz nehmen. Auch die Bestimmüng, welche eine besondere Rohheit und Sittenlosigkeit des Thäters besonders hart strafen wolle, halte er für zu weitgehend. Was heiße überhaupt Rohheit und Sittenlosigkeit des Thäters? Wenn man von Rohheit sprechen wolle, dann möge man die Thierquälereien bei dem bekannten Distanzritt zwischen Berlin und Wien nicht außer Acht lassen. Die Bestimmungen, wie sie beispielsweise der § 362 enthalte, zur Verschärfung der Gefängnißstrafen halte er bei den gegenwärtig schon bestehenden Zuständen für überflüssig.
Staatssecretär des Reichs⸗Justigamts Hanauer:
Meine Herren! Nur eine kurze Berichtigung des Herrn Vor⸗ redners. Er ist im Eingang seiner Rede davon ausgegangen, daß aus der Bestimmung des Absatz 2 des § 180 zu folgern sei, von Seiten der verbündeten Regierungen wollten damit die Toleranzhäuser, Bordelle gebilligt werden und, wie er sagt, wiedereingeführt werden. Diese Bestimmung führe dazu, so hat er ausgeführt. Das ist nur ein Verkennen des Entwurfs. Der Entwurf läßt es bei der bis⸗ herigen Strafbestimmung in Absatz 1 des § 180, und fügt nur bei, daß das Vermiethen von Wohnungen an Weibspersonen ꝛc. straflos bleibt, wenn die polizeilichen Anordnungen dabei beobachtet werden.
Damit will der Entwurf gewissermaßen nur eine Erlänterung zum bisherigen § 180 geben dahin, daß die strengere Rechtsprechung zuweit geht, die allerdings zu der⸗Consequenz gelangt ist, aus dem § 180 auch eine Strafbarkeit des Hausbesitzers zu folgern, mit dessen Wissen von der Mietherin gewerbsmäßige Unzucht getrieben wird. Dies war wohl in der Absicht des Strafgesetzbuchs kaum gelegen; nachdem aber einmal die Gerichtspraxis zu dieser Auffassung gekommen war, haben die verbündeten Regierungen geglaubt, hier mildernd ein⸗ greifen zu sollen und eine Schranke zu errichten gegenüber der weit⸗ gehenden Interpretation des § 180. Aber daraus zu folgern, daß die verbündeten Regierungen auch das Halten von Toleranzhäusern straf⸗ los erachten wollen, geht doch schwerlich an; denn „wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittelung oder Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Un⸗ zucht Vorschub leistet, wird bestraft“. Also wer ein Haus der fraglichen Art absichtlich hält, unterliegt der Bestrafung nach wie vor. Nur das bloße Vermiethen einer Wohnung, wenn auch mit dem Wissen, daß da Unzucht getrieben wird, soll, falls die bezüglichen polizeilichen Anordnungen beobachtet werden, nicht strafbar sein, da bei solcher Sachlage für den Vermiether, insbesondere wenn er erst nachträglich den gedachten Umstand erfahren hat und nicht in der Lage ist, das Miethverhältniß alsbald auflösen zu können, eine allzu große Härte entstehen kann. Dem soll entgegengetreten werden, aber weiter nichts. Dies geht aus dem Vergleich der beiden Absätze meines Er⸗ achtens unwiderleglich hervor.
Hierauf wird die weitere Berathung auf Dienstag 1 Uhr vertagt. Vorher werden die Interpellationen der Abg. Hitze und Genossen, betreffend den Schutz des Handwerks und be⸗ treffend die Abzahlungsgeschäfte, zur Verhandlung kommen.
Schluß 4 ¼ Uhr.
8 Statistik und Volkswirthschaft.
Die überseeische Auswanderung 8—
aus dem Deutschen Reich über deutsche Häfen, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam belief sich nach den Zusammenstellungen des Kaiser⸗ lichen Statistischen Amts in den Monaten Januar bis Sep⸗ tember 1892 auf 92 956 Personen. Hiervon kamen aus der Provinz Posen 13 567, Westpreußen 11 229, Pommern 8468, aus Bayern rechts des Rheins 6736, der Provinz Hannover 5905, Brandenburg mit Berlin 5449, aus dem Königreich Württem⸗ berg 4802, der Provinz Rheinland 4699, aus dem Königreich Sachsen 4155, der Provinz Schleswig⸗Holstein 3397, dem Großherzogthum Baden 3289, der Provinz Schlesien 2664, Westfalen 2342, Hessen⸗Nassau 2278, Provinz Sachsen 1954, Ostpreußen 1634, aus der Rhein⸗ pfalz 1519, dem Großherzogthum Hessen 1406, Oldenburg 1102, Mecklenburg⸗Schwerin 803. Der Rest von 5558 Personen ent⸗ fällt auf die übrigen Gebietstheile des Reichs. An der Be⸗ förderung dieser Auswanderer sind die deutschen Häfen mit 75 417 Personen betheiligt, und zwar gingen über Bremen 49 373, Hamburg 24 480, Stettin 1564. Von Antwerpen reisten 14 147, von Rotter⸗ dam und Amsterdam 3392. Ueber deutsche Häfen wurden außer den 75 417 Deutschen noch 140 945 Auswanderer aus fremden Staaten, und zwar über Bremen 61 258, Hamburg 78 551, Stettin 1136 be⸗ föordert. 1
8
Len 8r —— 889
Schulbildung der Rekruten.
Ueber die Ergebnisse der Rekruten⸗Prüfungen im Deutschen
Reich enthält das soeben ausgegebene vierte Heft der Vierteljahrshefte
zur Statistik des Deutschen Reichs Nachweise für das Ersatzjahr 1891/92. Danach hatten von den 184 382 Rekruten, welche’ in die Armee und Marine Fngehgh wurden, 179 886 Schulbildung in deutscher Sprache, 3672 Schulbildung nur in fremder Sprache und 824 waren ohne Schulbildung, d. h. solche, welche in keiner Sprache genügend lesen, oder ihren Vor⸗ und Familien⸗Namen nicht leserlich schreiben konnten. In Procenten der Gesammtzahl aller Eingestellten betrugen die⸗ jenigen, welche weder lesen, noch ihren Namen schreiben konnten, im Ersatzjahre 1881/82 1,54 1885/86 1,08 V 1889/90 0,51
2 1882/83 1,32 1886/87 0,72 1890/91 0,54
8 1883/84 1,27 1887/88 0,71 V 1891/92 0,45 „ „ 1884/85 1,21 1888/89 0,60 Sctellt man für die Bezirke, von welchen die meisten Mann⸗ schaften ohne Schulbildung gestellt wurden, das erste und das letzte der vorstehend genannten Jahre gegenüber, so kamen Analphabeten auf je 100 eingestellte Rekruten in den Regierungsbezirken:
1881/92 1891/92 o6. 1“ ““ . 2,85
Oppeln. 1“ 2,09 öö1“ 1 1,82 Königsberg 1“ 1,42 Bromberg E. 1,33
121ueeeeööö“; 1,24
„Meberall ist also eine sehr bedeutende Besserung zu bemerken; am stärksten ist die Verminderung der Eingestellten ohne Schulbildung in Posen und Gumbinnen. 8 11ö1.“
1 Rübenzucker⸗Fabriken
waren im Betriebsjahre 1891/92, wie aus den im neuesten Viertel⸗ jahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs veröffentlichten Nach weisungen über die Production des Rübenzuckers sich ergiebt innerhalb des deutschen Zollgebiets 403 im Betriebe (1890/91 406) die zusammen 9 488,002 t (1890/91 10 623 319 t) an Rüben ver arbeitet und 1 144 368 t (1890/91 1 284 485 t) Rohzucker aller Producte gewonnen haben. Unter der letzteren Menge ist auch der Zucker enthalten, der in den Fabriken mit Rübenverarbeitung durch Ent⸗ zuckerung der Melasse (eigener wie angekaufter) erzielt worden ist, nicht aber der in selbständigen Melasse⸗Entzuckerungs⸗Anstalten und Raffinerien ohne Rübenverarbeitung aus der Melasse gewonnene Zucker. Daß erheblich weniger Rüben zu Zucker verarbeitet worden sind als 1890/91 erklärt sich daraus, daß die Rübenernte infolge der köhlen und regnerischen Witterung im Frühjahr und in der ersten Scöhnerhälft 1891 der Menge nach nur gering ausgefallen, theilweise sogar miß⸗ rathen war. Dagegen waren, weil im August und September an⸗ haltend warme Witterung geherrscht hatte, die geernteten Rüben von guter Beschaffenheit und konnten, da auch das Ausroden, das Ein⸗ mieten und die Anfuhr zur Fabrik im allgemeinen gut von statten
ing, leicht und schnell verarbeitet werden. In einer 12 stündige Arbeitsschicht sind durchschnittlich an Rüben verarbeitet worden 145 t gegen 134 t im Betriebsjahre 1890/91. Berechnet man das Verhältniß der verarbeiteten Rüben zum Zuckergewinn, so waren 1891/92 zur Herstellung einer Tonne Rübenzucker erforderlich 8,29 t Rüben, 1890/91 8,27 t. Ausgeführt aus dem Zollgebiet wurden 436 672 t (1890/91 488 240 t) Zucker der Vergütungsklasse a (Rohzucker und raffinirter Zucker unter 98 % Zuckergehalt), 224 186 t (1890,91 230 548 t) der Vergütungsklasse b (Kandis⸗, Brot⸗ und krystallisirter Zucker von mindestens 99,5 % Zuckergehalt) und 6411 t (1890/91 5211 t) der Vergütungsklasse c (anderer harter Zucker). Der Verbrauch ist für 1891/92 zu 476 265 t Consumzucker oder 9,5 kg auf den Kopf der Bevölkerung ermittelt gegen 8,6 kg für den Durchschnitt der Betriebsjahre 1886/87 bis 1891/92.
Ueber die Bergwerke, Salinen und Hütten im Deutschen Reich und in Luxemburg — veröffentlicht das vierte Heft des Jahrgangs 1892 der Vierteljahrs⸗ hefte zur Statistik des Deutschen Reichs die endgültigen Nach⸗ weisungen für das Jahr 1891. In diesem Jahre hat die Förderung des Deutschen Reichs und an Mineralkohlen und Bitumen im ganzen einen Werth von 645,5, an Mineralsalzen einen Werth von 21,0 und an Erzen von 109,2 Millionen Mar gehabt gegen 589,7, 19,1 und 116,8 Millionen Mark im Voejahre. Salze aus wässeriger Lösung sind im Werthe von 42.6 Millionen Mark, im Vorjahre im Werthe von 41,8 Mark 8 Beim Hüttenbetrieb betrug der Werth des erzeugten Roh eisens 1891: 232,4 Millionen Mark gegen 189e 2676 Millione Mark, der Sbes Edelmetalle 67,6 Millionen Mark gege 1890: 61,3 Millionen Mark und der übxigen Hütten⸗Erzeug nisse 140,9 Millionen Mark gegen 1890: 143,5 Millionen Mark. Endlich ergiebt die Zusammenrechnung der nachgewiesenen Pro ducte aus der Roheisenverarbeitung für Eisengußwaaren zweite Schmelzung, Schweißeisen und Schweißstahl, Fluß eisen und Flußstahl einen Werth von 709 Mi en Mark 1890: 749,8 Millionen Mark.
u““ bWG1““ Eint
„Aus einer im 4. Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reichs veröffentlichten Nachweisung über den Tabackbau Lenesch Tabackernte ergiebt sich, daß im deutschen Zollgebiet 1891 162 84.3 (1890 180 200) Pflanzer 229 913 (1890 257 356) Grundstücke in Flächeninhalt von 18 546 ha (1891 20 114 ha) mit Taback be pflanzt haben. Der Rückgang des Tabackbaus, der aus diesen Zahlen hervorgeht, hat sich 1892 fortgesetzt, denn nach einer vor läufigen Angabe, die an gleicher Stelle veröffentlicht ist, waren in diesem Jahre nur 14 735 ha mit Taback bebaut. Die Tabackernt des Jahres 1891 ist nicht so reichlich ausgefallen wie die des Jahre 1890, denn es wurden nur 34 814 t Taback (in dachreifem Zustande) oder durchschnittlich 1877. kg auf 1 ha geerntet gegen 1890 42 372 t oder 2107 kg auf 1 ha. Auch der Preis des im Jahre 1891 ge ernteten Tabacks war mit durchschnittlich 74,46 ℳ auf 100 kg dach⸗ reifer Blätter etwas geringer als der des 1890 er Tabacks mit durch⸗ schnittlich 75,80 ℳ
1 Seachsengängerei.
Die sogenannte Sachsengängerei hat im Regierungsbezirk Gum⸗ binnen in der letzten Zeit in geringerem Umfange als bisher statt⸗ gefunden; mehrere Familien sind bereits aus dem Westen zurück⸗ ekehrt, was freilich zum theil auch auf die in Hamburg aufgetretene Cholera zurückzuführen ist. 1
„Invaliditäts⸗ und Altersversicherung.
Bei der Versicherungsanstalt Baden sind im Monat November 64 neue Altersrentengesuche eingegangen. Von diesen und von den 35 vom Oktober übertragenen sind 51 durch Rentenbewilligung, 9 durch Ablehnung und 7 auf andere Weise erledigt worden. Insgesammt sind bis jetzt, wie die „Bad. Corr.“ erfährt, 4162 Altersrentengesuche erhoben worden (1891 = 3248 und 1892 = 914). Es kamen 3318 Altersrenten zur Bewilligung; 778 Gesuche wurden abgelehnt, 42 anderweit erledigt und 32 auf den Dezember übertragen. Ven den 778 abgelehnten Ansprüchen fanden 81 im Berufungsverfahren Gewährung, für 22 Berechtigte kam die Altersrente infolge Bewilligung der Invalidenrente in Wegfall. Ferner kamen im November 76 Invalidenrentengesuche ein. Für diese neuen Gesuche, für 46 vom Oktober übernommene und für 5 früher ab⸗ elehnte, nunmehr aber wieder aufgegriffene Gesuche wurden 72 entenbewilligungen ertheilt; 19 Gesuche wurden abgelehnt und 36 blieben unerledigt. Im ganzen sind seit November 1891 976 In⸗ validenrentengesuche erhoben worden (1891 = 17 und 1892 = 959). Es kamen 587 Invalidenrenten zur Bewilligung; 336 Gesuche wurden abgelehnt, 27 sonst erledigt und 36 blieben unerledigt. Von den 336 abgelehnten Gesuchen konnten 26 im Berufungsverfahren meist nach weiterer Ergänzung der Nachweise die Invalidenrente erhalten. An Anträgen auf Gewährung von Renten sind bei der han⸗ seatischen Versicherungsanstalt eingegangen: an Alters⸗ renten: seit Beginn des Jahres 1891 bis Ende November 1892 1472, an Invalidenrenten: bis Ende November 163, mithin an Rentenanträgen überhaupt 1635. Von diesen entfallen auf das Gebiet der freien Hansestadt Lübeck 290, Bremen 374, Ham⸗ burg 971. Von den eingegangenen Anträgen sind bis Ende No⸗ ber erledigt 1443 Anträge auf Altersrente und 139 Anträge auf Invalidenrente und zwar 1347 durch Rentengewährung und 235 durch Ablehnung. Die Jahressumme der bis jetzt gewährten Renten macht insgesammt 209 200 ℳ aus. Nach den Berufszweigen vertheilen sich die 1347 Rentenempfänger auf folgende Gruppen: Landwirthschaft und Gärtnerei 94, Industrie und Bauwesen 561, Handel und Verkehr 210, sonstige Berufsarten 113, Dienstboten ꝛc. 369 Rentenempfänger.
Das soeben vom Kaiserlichen Statistischen Amt herausgegebene vierte Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reichs (erster Jahrgang, 1892) enthält eine Nachweisung der Berg⸗ werke, Salinen und Hütten während des Jahres 1891, ferner eine solche über die Verunglückungen deutscher Seeschiffe in den Jahren 1890 und 1891 und eine Aufzählung der Schiffsunfälle an der deutschen Küste während des Jahres 1891. Es folgt das Ergebniß der bei der Einstellung im Ersatzjahr 1891/92 stattgehabten Ermittelung der Schulbildung der Rekruten, sodann die vorläufige Mittheilung der
Criminalstatistik für das Jahr 1891 mit den Zahlen für die fünf Vor⸗