Bekanntmachung.
Nachdem am 5. d. M. die gesundheitspolizeiliche Ueber⸗ wachung der im Stromgebiet der Weichsel verkehrenden Fahr⸗ zeuge beendet gewesen ist, bringe ich hierdurch zur Kenntniß, daß während der Ueberwachungszeit überhaupt 26 885 Schiffe untersucht und 16 605 Schiffe desinficirt, 3138 Flöße unter⸗ sucht und 793 Flöße desinficirt, 186 760 Personen untersucht und dabei zwei Cholera⸗Verdachtsfälle und sechs Cholerafälle zur Kenntniß gelangt sind. —
Außerdem sind im Weichselgebiet noch 14 Cholerafälle und zwar in Kurzebrack, Kreis Marienwerder, Rothhof, Kreis Stuhm, und Kiewo, Kreis Kulm, festgestellt, ohne daß eine uunmittelbare Beziehung zum Strome nachgewiesen ist. Danzig, den 7. Dezember 1892.
Der Staatscommissar für das Weichselgebiet. HOber⸗Präsident, Staats⸗Minister von Goßler.
Preußen. Berlin, 9. Dezember.
8 Seine Majestät der Kaiser und König begaben Sich heute Mittag 12 Uhr 10 Minuten mittels Sonderzugs von Hannover nach Springe.
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Dem „Hannoverschen Courier“ entnehmen wir über den Aufenthalt Ihrer Kaiserlichen und Königlichen Majestäten in Hannover weiter
Gestern Morgen ließ Seine Majestät der Kaiser um 7 ½ Uhr Alarm blasen und begab Sich an der Spitze der Fahnen⸗Compagnie des Füsilier⸗Regiments Nr. 73 und der die Standarte führenden Ulanen⸗Abtheilung nach dem Welfenplatz, wo inzwischen die Truppen eingetroffen waren und Aufstellung genommen hatten. Nachdem Seine Majestät die Fronten abgeritten und die einzel⸗ nen Abtheilungen begrüßt hatte, wurde der Marsch nach dem Uebungsfelde bei Bothfeld angetreten. Der Kaiser hielt während der Uebung mit Seinem Stabe bei Lahe. Das militärische Schauspiel hatte eine große Menschenmenge hinaus⸗ gelockt. Vor und in Kl.⸗Buchholz überspannten an verschie⸗ denen Stellen Guirlanden mit Begrüßungsinschriften die Chaussee; in Kl.⸗Buchholz hatten der Kriegerverein, die Feuer⸗ wehr und die Schulen zur Begrüßung des Kaisers Auf⸗ stellung genommen. Nach Schluß der Uebung zum Welfenplatz zurückgekehrt, nahmen die Truppen daselbst zum Aufstellung, der bei der Infanterie in Compagniefront, bei der Cavallerie in Escadronfront und bei der Artillerie in Batteriefront erfolgte. Anschließend an die Königs⸗Ulanen folgten im Vorbeimarsch die zu der Unter⸗ offizier⸗Reitschule Commandirten. Nach der Parade setzte Sich der Kaiser wieder an die Spitze der Fahnen⸗Compagnie und ritt zum Schlosse zurück, in allen Straßen von der dicht Ferdrüngt Spalier bildenden Bevölkerung auf das lebhafteste egrüßt.
Um 5 Uhr nahm der Kaiser mit dem General⸗Adjutanten Grafen Waldersee im Offizier⸗Casino des Königs⸗Ulanen⸗ Regiments an dem Allerhöchstihm von den Offizieren dar⸗ gebotenen Festmahl theil. Der Regiments⸗Commandeur, Oberst⸗ Lieutenant von Bülow begrüßte an der Tafel Seine Majestät, worauf der Kaiser in längerer Rede in warmen, für das Regiment überaus gnädigen Worten Seinen Dank aussprach. Seine Majestät verweilte bei den Offizieren bis gegen 7 ½ Uhr; kurz vor dem Austritt aus dem Casino nahmen die Mannschaften des Regiments vor der Kaserne auf beiden Seiten der Straße Aufstellung. Bei Fackelbeleuchtung schritt der Kaiser die Front ab, bestieg hierauf den Wagen und fuhr unter dem Hurrah des Regiments nach dem Schloß zurück.
Ihre Majestät die Kaiserin besuchte im Laufe des Tages verschiedene wohlthätige Anstalten und Krankenhäuser in der Stadt, wie die Provinzial⸗Pflegerinnen⸗Anstalt Clementinen⸗ haus, die Kinderheilanstalt, das Henriettenstift, den Tabea⸗ Verein und Bethanien.
Am Abend erschien das Kaiserliche Paar wiederum im Königlichen Theater. Als Ihre Majestäten die große Hofloge betraten, wurden Allerhöchstdieselben vom Publikum mit einem dreimaligen Hoch begrüßt, für das die Majestäten freund⸗ lichst Sich verneigend dankten. Der Kaiser trug die Uniform Seines Ulanen⸗Regiments. Sobald das Kaiserpaar Platz genommen hatte, begann das Orchester die Ouverture zu „Leichte Cavallerie“ zu spielen, worauf das Lust⸗ piel „Großstadtluft“ seinen Anfang nahm. Die Aufführung, der die Majestäten bis zum Schlusse beiwohnten, dauerte bis gegen 11 Uhr.
Nach dem Theater nahmen die Majestäten im Hause des Commandeurs des Königs⸗Ulanen⸗Regiments, Oberst⸗Lieute⸗ nants von Bülow den Thee ein.
Auf heute früh um 9 Uhr war der Hannoversche Männergesangverein ins Schloß befohlen, um vor den Majestäten einige Gesänge vorzutragen.
Der Bundesrath trat heute zu einer Plenarsitzung zu⸗ sammen. Vorher fand eine Sitzung der vereinigten Aus⸗ schüsse für das Landheer und die Festungen, für das See⸗ wesen und für Justizwesen statt. 8 8
8 8 Die Commission für die zweite Lesung des Ent⸗ wurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich setzte in den Sitzungen vom 5. bis 7. De⸗ fenber far. Berathung der Vorschriften über die Gemein⸗ aft fort. An Stelle des § 767 Abs. 2 Satz 1, der bestimmt, daß eine Vereinbarung, durch welche das Recht, die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, für immer oder für einen ngeren Zeitraum als dreißig Jahre ausgeschlossen wird, nach Ablauf von dreißig Jahren außer Kraft tritt, wurde die Aufnahme der Vorschrift beschlossen, daß, wenn durch Ver⸗ rag das Recht, die Aufhebung der Gemeinschaft zu
Bürgerlichen Rechts die
verlangen, für immer oder für bestimmte Zeit ausgeschlossen ist, die vorzeitige Aufhebung soll verlangt werden können, wenn ein wichtiger, sie rechtfertigender Grund vorliegt. Unter der gleichen Voraussetzung soll, wenn eine Kündigungs⸗ frist bestimmt ist, die Aufhebung ohne Einhaltung der Frist verlangt werden können. Eine Verein⸗ barung, welche das Recht, die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, diesen Vorschriften zuwider beschränkt, soll nichtig sein. Die weiteren Bestimmungen des § 767 Abs. 2 Satz 2 und des Abs. 3 über den Einfluß des Todes oder des Konkurses eines Theilhabers die Wirksamkeit einer das Recht, die Aufhebung der Gemeinschaft sn ver⸗ langen, beschränkenden Vereinbarung wurden sachlich ge⸗ billigt. Man war aber einverstanden, daß die den Konkurs be⸗ “ Vorschrift des Abs. 3 in die Konkursordnung zu ver⸗ weisen sei. Eine Ergänzung erfuhr der Entwurf durch die Vorschrift, daß eine Vereinbarung der vorbezeichneten Art sowie eine Vereinbarung, durch welche die Verwaltung und Benutzung des gemeinschaftlichen Gegenstandes geregelt wird, auch gegenüber den Sondernachfolgern der Theilhaber wirksam sein soll. Ein Antrag, die Wirksamkeit der Vereinbarung einem gutgläubigen Erwerber eines Antheils gegenüber aus⸗ zuschließen, wurde abgelehnt, vorbehaltlich der bei der Be⸗ rathung des Sachenrechts (§ 949) zu prüfenden Frage, ob in dieser Peziehtng eine Ausnahme zu Gunsten desjenigen gemacht 8 der bei thum stehenden rundstücke den Antheil eines Mit⸗ eigenthümers ohne Kenntniß der beschränkenden Ver⸗ einbarung erwirbt. Zu Gunsten der Gläubiger eines Theil⸗ habers wurde ferner die Vorschrift aufgenommen, daß ein solcher Gläubiger, wenn er die Zwangsvollstreckung in den Antheil seines Schuldners erwirkt hat, ohne Rücksicht auf eine entgegenstehende Vereinbarung die Aufhebung der Ge⸗ meinschaft verlangen kann, sofern der chuldtitel nicht bloß vorläufig vollstreckbar ist. Der die Unverzährbarkeit des Anspruchs auf Aufhebung der Gemeinschaft aussprechende § 768 wurde gestrichen, da die Vorschrift, soweit richtig, selbst⸗ verständlich sei. Die Vorschriften des § 769 über den Thei⸗ lungsmodus blieben im wesentlichen unbeanstandet. Der von der Naturaltheilung handelnde Abs. 1 erhielt den Zusatz, daß die Vertheilung gleicher Theile unter die Theilhaber durch Verloosung geschieht. Ein Antrag, die Zulässigkeit der Naturaltheilung gegenüber dem Entwurfe durch den Zusatz zu erleichtern, daß eine solche Theilung nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß zur Ausgleichung der Theile dem einen oder anderen Theilhaber geringe Geldleistungen auferlegt würden, fand keine Zustimmung, ebensowenig der Antrag, die Natural⸗ theilung dann auszuschließen, wenn dadurch berechtigte Interessen, insbesondere vom volkswirthschaftlichen Stand⸗ punkt aus, verletzt würden. Gegen den sachlichen Inhalt des § 770, welcher jedem Theilhaber das Recht giebt, zu verlangen, daß er wegen seiner auf die Gemeinschaft sich gründenden Forderungen gegen einen anderen Theilhaber bei der Auf⸗ hebung der ö“ aus dem Antheile seines Schuldners befriedigt werde, erhob sich kein Widerspruch. Hinzugefügt wurde, daß, wenn der gemeinschaftliche Gegenstand in Natur getheilt wird, der auf den Schuldner fallende Theil insoweit in Geld umzusetzen ist, als es zur Berichtigung der Schuld erforderlich ist; ferner der Satz, daß auf Ver⸗ langen eines Theilhabers solche Verbindlichkeiten, welche zu einem der in § 766 bezeichneten Zwecke eingegangen sind, sofern die Theilhaber als Gesammtschuldner haften, aus dem gemein⸗ schaftlichen Gegenstandezu berichtigen sind. Eine weitere Ergänzung erhielt der § 770 durch die Vorschrift, daß die dort bestimmten Rechte dem Theilhaber auch gegenüber einem Sondernachfolger des Schuldners oder einem Gläubiger desselben zustehen sollen, welcher die Zwangsvollstreckung in den Antheil erwirkt hat. Vorbehalten blieb auch hier die bei der Berathung des Sachen⸗ rechts zu prüfende Frage, ob bei der Sondernachfolge in den Antheil an einem gemeinschaftlichen Grundstücke das ge⸗ dachte Recht dem gutgläubigen Erwerber gegenüber von der Eintragung in das Grundbuch abhängig zu machen sei. Die Vorschrift des § 771 über die Gewährleistung bei der Theilung wurde sachlich von keiner Seite bekämpft. An⸗ langend den § 772, der unter gewissen Voraussetzungen einem jeden Theilnehmer das Recht auf Regelung der Verwaltun des gemeinschaftlichen Gegenstandes giebt, hatte der erste Satz durck eine zu § 765 beschlossene allgemeine Vorschrift bereits seine Erledigung gefunden. Der zweite Satz wurde seinem sachlichen Inhalt nach gebilligt. Den § 773, welcher die subsidiäre Geltung der Vorschriften über die Gemeinschaft für die gesell⸗ schaftliche Gemeinschaft zum Ausdruck bringt, hielt man mit Rücksicht auf die bei den Vorschriften über die Gesellschaft gefaßten Beschlüsse für entbehrlich; der § 773 wurde daher gestrichen.
Die Berathung wandte sich sodann den Vorschriften über Vorlegung und Offenbarung (§S 774 — 777) zu. Der § 774, welcher die Potshe bestimmt, unter denen jemand die Vorlegung einer im Besitze eines Anderen befind⸗ lichen Sache verlangen kann, erfuhr keine Anfechtung. Dagegen wurde der von der Urkundenedition handelnde, auf die Vor⸗ schriften des § 387 der Civilprozeßordnung verweisende § 775 durch die Bestimmung ersetzt, daß derjenige, welcher ein Interesse daran hat, von einer in dem Besitz eines Andern befindlichen Urkunde Einsicht zu nehmen, von dem Besitzer die Gestattung der Einsicht verlangen kann, wenn die Urkunde in seinem Interesse oder in seinem und eines Anderen Interesse er⸗ richtet ist oder wenn in derselben gegenseitige nisse zwischen den Parteien oder zwischen der die Vorlegung verlangenden Partei und einem Dritten beurkundet sind. Ferner fan die Editionspflicht sich auch auf die über ein
echtsgeschäft zwischen den Parteien oder zwischen einer derselben und dem gemeinsamen Vermittler gepflogenen schriftlichen Verhandlungen erstrecken. Zugleich wurde beschlossen, an Stelle des § 387 der Civilprozeßordnung zu bestimmen, daß der Gegner des Beweisführers zur Vorlegung der Urkunde ver⸗ pflichtet ist, wenn der Beweisführer nach den Vorschriften des Herausgabe der Urkunde oder deren Vorlegung auch außerhalb des Prozesses verlangen kann. Die Vorschrift des § 776, nach welcher in den Fällen der §§ 774, 775 derjenige die Gefahr und die Kosten fn tragen hat, welcher die Vorzeigung oder Vorlegung ver⸗ angt, wurde durch den Zusatz ergänzt, daß der Besitzer die Vorzeigung oder Vorlegung verweigern kann, bis ihm die Kosten vorgeschossen sindund wegen der Gefahr Sicherheit geleistet ist. Weiter wurde hinzugefügt, daß die Vorzeigung oder Vor⸗ legung an dem Orte zu erfolgen hat, an welchem die Sache sich befindet, daß jedoch aus wichtigen Gründen sowohl von der einen als der anderen Partei ver⸗ langt werden kann, daß die Vorzeigung oder Vorlegung an
werden einem im Miteigen⸗
einem anderen Orte erfolge. § 777, welcher die privatrechtliche Verpflichtung zur Leistung des Offenbarungs⸗ eides regelt, waren von verschiedenen Seiten Anträge ge⸗ stellt, welche diese Verpflichtung über den Entwurf hinaus auch auf solche Fälle bezweckten, in denen jemand über seine J em Geschäftsherrn Auskunft zu er⸗ theilen, insbesondere Rechnung zu legen verpflichtet ist; die Berathung gelangte jedoch noch nicht zum Abschlusse.
Die Rangliste der Kaiserlich deutschen Marine
für das Jahr 1893, auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers und Königs redigirt im Marinecabinet, ist üe bei E. S.
Mittler u. Sohn erschienen. Die Rangliste ist am 30. No⸗ vember 1892 abgeschlossen, die Seedienstzeit bis zum 31. Ok⸗ tober 1892 berechnet.
Der Königlich sächsische Bevollmächtigte Staats⸗ und Kriegs⸗Minister Edler von hier angekommen.
zum Bundesrath, er Planitz ist
Das Kreuzer⸗Geschwader, bestehend aus S. M. Schiffen „Leipzig“ (Flaggschiff) und „Alexandrine“, Geschwader⸗Chef Contre⸗Admiral von Pawelsz, ist am 8. Dezember cr. in Colombo auf Ceylon eingetroffen und beabsichtigt, am 15. desselben Monats nach den Seychellen in See zu gehen.
S. M. S. „Arcona“, Commandant Corvetten⸗Capitän
Draeger, ist am 7. Dezember in Barbados angekommen.
Sachsen⸗Altenburg. Der Landtag hat nach der „Magd. Ztg.“ die Vorlage über die anderweite Regelung der Besoldungsverhält⸗
nisse der Landschullehrer einstimmig angenommen. Danach soll das Gehalt eines Landschullehrers zwischen 1050
und 1800 ℳ betragen. Das Höchstgehalt wird nach 30 Dienst⸗
8
jahren erreicht.
Der Prinz Ferdinand von Rumänien traf gestern in Wien ein und setzte nach kurzem Aufenthalt seine Reise nach London fort. —
Das Präsidium des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses Smolka eine P tition überreicht, worin um Verhinderung antisemitischer Aus schreitungen im Abgeordnetenhause gebeten wird. Smolka sprach sein Bedauern über das Benehmen der Antisemiten im Abgeordnetenhause aus, erklärte jedoch, daß die derzeitige Ge⸗ schäftsordnung dem Präsidenten leider nicht die Machtvoll⸗ 8 kommenheit biete, mit größerer Strenge einzuschreiten.
Frankreich. Die gestrige Sitzung der Deputirtenkammer fand
unter großem Zudrange des Publikums statt. Von dem Minister⸗Präsidenten Ribot wurde in der Kammer, von dem
Minister des Innern Loubet im Senat eine Erklärung
des Ministeriums verlesen, über deren Inhalt „W. T. B.“ Folgendes meldet: Die Regierung stelle sich der Kammer vor mit dem festen Willen, im Innern wie nach außen hin die Politik zu befolgen, welche nicht aufgehört habe, die Billigung des Parlaments zu finden. Die schweren von der Tribüne herab vorgebrachten Anschuldigungen berührten nicht nur die Ehre verschiedener Parlamentsmitglieder, sondern be⸗ zweckten sogar, Mißachtung gegen die ganze nationale Ver⸗ tretung hervorzurufen. Die Regierung sei davon überzeugt, daß das zwischen der Panama⸗Untersuchungscommission und der Regierung bestehende Einvernehmen die volle Ent⸗ hüllung der Wahrheit sichern werde. Ebenso sei es ihr nicht minder eifriger Wunsch, den Grundsätzen der Trennung der öffentlichen Gewalten, denen alle zugethan seien, treu zu bleiben. Die Fehler und Vergehen einzelner Persönlichkeiten dürften indessen nicht das öffentliche Leben zum Stillstand bringen. Die Erklärung weist sodann auf die Leistungen der Republik hin und namentlich auf das von der gegenwärtigen Kammer ausgeführte Werk; die Kammer müsse stolz auf dieses Werk sein und möge es weiter verfolgen. Es wird dann weiter ausgeführt, wie gefährlich es sei, allzuleicht sein Ohr Angebereien zu leihen, die bezweckten, der öffentlichen Meinung Schlingen zu legen, die man vermeiden bnehe Es sei nothwendig, daß die Kammer die provisorischen Zwölftel bewillige und sich mit der Prüfung der Reform der Getränkesteuer, sowie mit dem französisch⸗schweizerischen Abkommen beschäftige. Schließlich betont die Erklärung die Absicht der Regierung, das Parlament zu unterstützen, um in vollem Einvernehmen mit diesem ihre ufgabe zu einem guten Ende zu führen, zum Heile der Republik und Frank⸗ reichs. Der Schluß lautet wörtlich: „Seien wir streng gegen die begangenen Fehler, aber richten wir unsere Blicke nücht zu lange auf Kleinigkeiten und schreiten wir weiter vorwärts!“ Nach Beendigung der Verlesung der sehr beifällig auf⸗ nommenen Erklärung verlangte der Deputirte Hubbard, den Minister⸗Präsidenten über die Bedingungen zu interpelliren, unter denen die Regierung bereit sei, 1““ ihre Unterstützung zu gewähren. Der Minister⸗Präsident
Ribot forderte sofortige Discussion, während der Deputirte
Brisson diese bis heute vertagt zu sehen wünschte, um eine vorläufige Verständigung zwischen der Commission und der Re⸗ gierung herbeizuführen. Der Minister⸗Präsident lehnte die Vertagung ab und erklärte, das Cabinet müsse wissen, ob es das Vertrauen der Kammer Hierauf wurde die so⸗ fortige Discussion mit großer Majorität beschlossen. Der Deputirte Hubbard richtete nun die Anfrage an die Re⸗ ierung, ob sie die Acten über die Panama⸗Angele er Untersuchungscommission mittheilen werde. Der Pn tiz⸗ Minister Bourgeois antwortete, er habe die Obduction der Leiche des Barons Reinach für Sonnabend angeordnet und werde gewisse Actenstücke der Commission mittheilen; er hoffe, die Commission werde seine Erklärungen verstehen. Der Deputirte Brisson wünschte zwar ein Einvernehmen zwischine der Commission und der Regierung, machte jedoch Vorbehalte
in Betreff einer nur theilweisen Mittheilung der Acten. Eine von Hubbard eingebrachte Tagesordnung, worin die Mittheilung aller bezüglichen Actenstücke verlangt wird, wurde mit 308 gegen 230 Stimmen abgelehnt; eine von Felix Faure beantragte Tagesordnung, der die Re⸗ gierung zugestimmt hatte, wurde mit 306 gegen 104 Stimmen angenommen. Die Majorität bestand aus den verschiedenen Gruppen der Linken; ein großer Theil der Rechten und die äußerste Linke enthielten sich der Abstimmung. Die Minorität setzte sich aus den Boulangisten, der Arbeitergruppe und dem anderen Theile der Rechten zusammen. Ferner beschloß die
Kammer mit 432 gegen 89 Stimmen die Dringlichkeit für
einen von dem Deputirten Ramel (Rechte) gestellten Antrag, durch den die Inhaber von Schuldverschreibungen der Panama⸗ Gesellschast ermächtigt werden, ein Syndicat zu bilden, um diejenigen gerichtlich zu verfolgen, welche Eigenthum der Panama⸗ Gesellschaft veruntreut haben.
Der Minister⸗Präsident Ribot wird sich auf Brisson's Wunsch heute mit dem Justiz⸗Minister Bourgeois in die Panama⸗Commission begeben, um mit ihr über die Mit⸗ theilung der Panama⸗Untersuchungsacten an die Commission zu berathen.
In parlamentarischen Kreisen tritt vorherrschend die Meinung zu Tage, daß die gestrige Kammersitzung die politische Lage nicht merklich geklärt habe. Nachdem die Regierung der Panama⸗Untersuchungscommission ihre Unter⸗ hnen in Aussicht gestellt habe, sei es für die Kammer schwer ge⸗ wesen, ihr nicht entgegen zu kommen. Der Justiz⸗Minister Bourgeois
werde heute von der Commission aufgefordert werden, sich über seine Absichten in einer mehr bindenden Form zu äußern. Sollten seine Erklärungen von der Commission für ungenügend erachtet werden, so würde die letztere ihm gegenüber voraus⸗ ichtlich das gleiche Verfahren anwenden, durch welches sie den Rücktritt von Ricard herbeigeführt habe. Die heutigen Morgenblätter äußern sich im allgemeinen über die ministerielle Erklärung zustimmend; die monarchistischen und einige radicale Organe sagen, die entscheidenden Erklä⸗ rungen würden erst heute zwischen der Panamacommission und der Regierung ausgetauscht werden.
Italien.
Die Deputirtenkammer setzte gestern die Berathung es Budgets fort. Gegenüber den Ausführungen des De⸗ utirten Lucifero über den Dreibund in der vorgestrigen e (siehe die gestrige Nr. des „R.⸗ u. St.⸗A.“) erklärte, dem. „W. T. B.“ zufolge, der Minister des Auswärtigen Brin, es
scheine, der Redner eine Verminderung der Intimität habe an⸗ deuten wollen, die ursprünglich die Beziehungen der Ver⸗
bündeten charakterisirt habe. Derartige Besorgnisse quälten Charakter der im Ein⸗
aur diejenigen, welche den erständniß mit den Verbündeten befolgten Politik miß⸗ eennen wollten. Die verbündeten Mächte, von der Politik des Friedens inspirirt, hätten den festen gemeinsamen Vorsatz, lles aufzubieten, um Zwistigkeiten auszugleichen resp. zu ver⸗ eiden und derart den Frieden zu gewährleisten. Dieser ichtschnur folgend, fühle sich Italien sicher, sich stets im Einklange mit seinen Verbündeten zu befinden und ihrer Politik die wirksamste und erwünschteste Unterstützung zu leihen. Bezüglich der Anwesenheit nur eines deutschen Kriegsschiffes bei der Columbusfeier in Genua erinnerte der Minister daran, daß Frankreich den Anlaß dieser Feier benutzt habe, um den König von Italien in Er⸗ widerung der dem Präsidenten der Französischen Republik in Toulon von der italienischen Marine dargebrachten Huldigung zu begrüßen. Die Ankunft des französischen Geschwaders in Genua habe “ einen besonderen Charakter gehabt, und, um diesen zu erhalten, hätten die Regierungen nach vorheri⸗ gem Einverständniß die Entsendung ihrer Kriegsschiffe ge⸗ regelt. Dieses Einverständniß ohne kleinliche Rivalität habe mächtig dazu beigetragen, der großen für Italien ehren⸗ haften Kundgebung den Charakter eines politischen Ereignisses von hoher friedlicher Tragweite zu geben. Niemand mehr als die Verbündeten Italiens hätten sich beeifert, ihre Genug⸗ thuung hierüber auszusprechen. Diejenigen irrten daher, welche eine exclusive unfreundliche Politik seitens Italiens für wünschenswerth hielten; vielmehr werde jedes Symptom einer Besserung der Beziehungen zu allen Mächten von Italien wie von dessen Verbündeten mit Genugthuung aufge⸗ nommen und als ein Erfolg der gemeinsamen Politik betrachtet. Somit sei es natürlich, daß die loyale, spontane, seit langen Jahren mit Ausdauer befolgte Politik Italiens Früchte zu tragen beginne, daß das Mißtrauen schwinde und daß die. Zwei⸗ deutigkeiten seltener würden. Aber nicht die Politik habe sich geändert, sondern die natürlichen, durch evidente Thatsachen hervorgerufenen Ueberzeugungen hätten hervorzutreten be⸗ Fnn. Für ebenso unbegründet erklärte der Minister die Annahme arzilai's, daß die italienische Politik in der Vergangenheit von minder friedlichen Ideen beseelt gewesen sei als gegen⸗ wärtig. Sowohl der Rath Lucifero's, auf die Politik der früheren Zeiten zurückzukommen, als die Aufforderung Bar⸗ zilai's, diesen Rathschlägen zu widerstehen, setzten eine Aende⸗ rung der Politik voraus, die nicht vorhanden sei. Italien muse alles aufbieten, um dazu mitzuwirken, daß die gegen⸗ wärtige Sachlage immer mehr befestigt werde. (Wiederholter lebhafter Beifall.) — Das Budget des Ministeriums des Aus⸗ wärtigen wurde hierauf angenommen.
Schweiz. Im Nationalrath will Gobat beantragen, dahin zu
wirken, daß im Kriegsfalle die Kirchen, Schulhäuser,
Museen und ähnliche öffentliche Gebäude unter den Schutz 8 Rothen Kreuzes gestellt werden, mithin als neutral gelten ollen. 8 Niederlande. Die Zweite Kammer hat, wie dem „Hamb. Corresp.“ berichtet wird, am 6. d. M. den Gesetzentwurf über die Reform der Grundsteuer mit 62 gegen 17 Stimmen an⸗
genommen und ist darauf in die allgemeine Debatte über das 8u
Staatsbudget eingetreten. .“
Luxemburg. “ E11A“*“ In der gestrigen Sitzung der Kammer erklärte der Finanz⸗Minister, daß der Plan einer Convertirung der 4 procentigen Staats⸗Anleihen von 1859 und 1863 in eine 3 ½ procentige gegenwärtig dem Staatsrath unterbreitet sei. Die durch die Conversion zu erzielenden Erharnis⸗ die sich bei einer innerhalb 55 Jahren stattfindenden Amortisirung der e auf 230 000 Fr. stellen würden, seien zur Aufbesser er Beamtengehälter bestimmt.
ZI1I1¹“
Belgien
In der Deputirtenkammer richtete gestern, wie „W. T. B.“ berichtet, der fortschrittliche Depukirte für Lüttich Hanssens an die Regierung eine Interpellation wegen der Unterdrückung der in Tilleur vorgekommenen Unruhen. Der Minister des Innern De Burlet vertheidigte das von den dortigen Behörden und der Gendarmerie beobachtete Ver⸗ halten. Der Deputirte Woeste brachte hierauf eine Tages⸗ ordnung ein, worin dem Vertrauen der Kammer zur Re⸗ gierung Ausdruck gegeben wird. Neujean, gemäßigt⸗ liberaler Deputirter für Lüttich, erklärte, daß er das Ver⸗ halten der Regierung billige. (Lärm auf der äußersten Linken.) Die Deputirten der äußersten liberalen Linken legten gegen die Aeußerungen Neujean's Verwahrung ein. Die von Woeste beantragte Tagesordnung wurde darauf mit 81 Stimmen angenommen; 17 Deputirte enthielten sich der Abstimmung.
In der gestrigen Sitzung der internationalen Münz⸗ conferenz erklärte der russische Delegirte Raffalowitsch, er glaube nicht, daß bei der gegenwärtigen Lage der inter⸗ nationalen Angelegenheiten über die Festsetzung eines Werth⸗ verhältnisses zwischen Gold und Silber eine Verständigung möglich sei. 8 8 Rumänien.
Die Bureaux des Senats haben gestern einstimmig die Dotation des Prinzen Ferdinand genehmigt.
In der Deputirtenkammer widerlegte bei der Fort⸗ setzung der Adreßberathung der Minister⸗Präsident Catargiu den Vorwurf eines liberalen Redners, daß er seiner Zeit seine eigene Candidatur um den Fürsten⸗ thron gegenüber einem auswärtigen Prinzen aufgestellt habe. Der Minister des Auswärtigen Lahovary wies auf die Verdienste des Minister⸗Präsidenten Catargiu hin, in dessen Person die drei großen Epochen der rumänischen Zeitgeschichte vereinigt seien. Auf die auswärtige Politik über⸗ gehend, betonte der Minister die Erfolge der Conservativen bei⸗ den Handelsverträgen. Ferner erklärte er, eine Regierung, welche die siebenbürgische Frage ausbeuten wolle, sei unfähig und mache sich einer verbrecherischen Hand⸗ lungsweise schuldig, ebenso wie diejenige, welche die auswärtige Politik zur Parteisache machen würde. Er habe bereits einem ungarischen Deputirten gegenüber erklärt, daß er von dem Irredentismus nichts wissen wolle. Der Minister rechtfertigte sodann sein Verhalten in der Zappa’'schen Erb⸗ schaftsangelegenheit, wies bezüglich des Krieges von 1877 den Vorwurf zurück, daß die Conservativen Gegner seines Vaters gewesen seien, und erinnerte an die Conflicke der liberalen Re⸗ ierung mit Oesterreich⸗Ungarn, die zu Demüthigungen für as Land geführt hätten. Der Minister schloß mit der Ver⸗ sicherung, die Politik der conservativen Regierung sei eine loyale und freimüthige, eine Friedens⸗ und Freundschaftspolitik gegenüber den Freunden und eine Politik der Festigkeit gegen⸗ über denen, die die Rechte des Landes antasten wollten. (Wiederholter stürmischer Beifall.) Der Berichterstatter über die Adresse befürwortete diese und sprach unter lebhaftem Beifall den Wunsch aus, die Conservativen möchten an ihrer wichtigen Rolle festhalten und sie durch Ergebenheit gegenüber der Dynastie und durch Aufrechthaltung der politischen Continuität
sichern. Amerika.
Wie dem „Reuter'schen Bureau“ aus Buenos⸗Aires von gestern gemeldet wird, wäre gegenwärtig an dem Vor⸗ handensein einer Ministerkrisis, die auf das von Romero dem Präsidenten von Argentinien unterbreitete Finanz⸗Exposé zurückzuführen sei, nicht mehr zu zweifeln. Der Präsident habe gegenüber Romero erklärt, daß er mit dessen Darlegungen nicht ein⸗ verstanden sei; es verlaute, daß er ein Schreiben zu veröffentlichen beabsichtige, worin er sich gegen die Ausführungen des Finanz⸗ Ministers wende. Demselben Bureau zufolge hat der Kammer⸗ ausschuß in der Kammer einen Budgetvoranschlag ein⸗ gebracht, der die Einnahmen auf 19 Millionen Dollars Papier und 25 ¼ Millionen Dollars Gold, die Ausgaben auf 51 Millionen Dollars Papier und 13 ¼ Millionen Dollars Gold veranschlagt. In den Ausgaben sind die Kosten für Verzinsung und Tilgung der Morgan⸗ und Funding⸗Bonds mit einbegriffen. — Die Kammer der Provinz La Plata hat ein vierjähriges Moratorium für die Hypotheken⸗ bank genehmigt. Die Stimmung im Senat ist dieser Maß⸗ regel günstig.
Afrika.
Wie das ‚Reuter'sche Bureau“ erfährt, ist dem britischen Mi⸗ nisterium für auswärtige Angelegenheiten gestern ein Telegramm des General⸗Konsuls Portal in Sansibar zugegangen, das be⸗ sagt: nach den neuesten vom Kapitän Williams aus Uganda in Sansibar eingegangenen Nachrichten sei dieser allerdings krank gewesen, befoche ssch aber wieder besser und habe Uganda bis jetzt nicht verlassen. Er werde sofort nach dem Eintreffen des Majors Smith die Rückreise antreten. Der fragliche Brief von Williams scheine etwa Mitte Oktober geschrieben zu sein.
Parlamentarische Nachrichten.
Deutscher Reichstag. 1 11. Sitzung vom Freitag, 9. Dezember, 2 Uhr.
Der Sitzung wohnte der Staatssecretär Dr. von
Boetticher bei.
In dritter Berathung wird der von allen Parteien be⸗ antragte Gesetzentwurf wegen Einführung des § 75 a des Krankenversicherungsgesetzes unverändert angenommen.
Es folgt die Verlesung der Interpellation Hitze und Genossen. 8 8
1) Welche gesetzgeberische Maßnahmen sind bezüglich der Rege⸗ lung der Fbaberaesche ee und des Gewerbebetriebes im Umherziehen (Hausirhandel) .. .. entsprechend der Erklärung des Vertreters der verbündeten Regierungen in der Sitzung vom 24. November 1891 . von Seiten der verbündeten Regierungen beabsichtigt? 8 “
2) Wird eine bezügliche Vorlage in dieser Session voraussichtlich dem Reichstag zugehen ?.
Abg. Dr. Schaedler (Centr.): Wir schließen uns mit unserer Interpellation lediglich an die Erklärung des Staatssecretärs Dr. von Boetticher im vorigen Jahre an. Wir halten die Frage des Hausir⸗ handels durchaus nicht für den Kernpunkt der Handwerkerfrage, aber die zahlreichen Petitionen der Handwerker beweisen, welche schwere Schädigung ihnen der Hausirhandel zufügt. Der Hausirhandel nimmt stetig zu, und damit wachsen auch die Gefahren, die der Hausirhandel mit gich bringt, für die Betheiligten. Denn unter dem Deckmantel des zusirhandels verstecken s8 auch andere Dinge. Durch die
J]] Ramschwaaren, welche die Hausirhändler vertreiben, wird die gute
Waare des Handwerkers verdrängt; der letztere muß auf die Güte seiner Waare Rücksicht nehmen, weil er eine feste Kundschaft hat, wäh⸗ rend der Hausirer keine Verantwortung hat, denn er wechselt seine Kundschaft, und er kann sich freier bewegen. Der seßhafte Stand wird dadurch, und weil der Hausirer weniger Unkosten für Geschäfts⸗ localitäten hat, arg geschädigt. Das Publikum wird von Hausir⸗ händlern, die sich Detailreisende nennen, überlaufen; es werden auch Colonialwaaren aller Art nach Proben geliefert; das Publikum ist aber Fene im stande, die Güte der Waaren zu prüfen. Hier muß eine
inschränkung eintreten, nicht zur Hemmung der frreien Bewegung der einzelnen Person, sondern zur Vorbeugung gegen größere Schädigung. Namentlich müßte man untersuchen, ob weib⸗ lichen Personen der Hausirhandel gestattet werden kann, und ob nicht der Hausirhandel innerhalb der Wohnsitzgemeinde dem außerhalb dieser Gemeinde gleichgestellt werden muß. Die Klagen über die Sonntagsruhe Feir fen nicht die Sonntaggeuhe selbst, sondern sie betreffen die Ausführungsbestimmungen, die Kühin geführt haben, daß ein Theil des früheren Sonntagsgeschäfts jetzt dem Hausir⸗ handel an den Wochentagen zufällt. Durch Wanderlager, ander⸗ auctionen und Abzahlungsgeschäfte wird ebenfalls der Vertrieb minder⸗ werthiger Waaren gefördert. Wenn man die Wanderlager und Wander⸗ auctionen nicht verbieten kann, so sollte man sie erheblich beschränken. Die Abzahlungsgeschäfte verlocken durch übermäßige Anpreisungen die Arbeiter zu Ankäufen über ihre Verhältnisse hinaus; die verkaufte Waare ist eine minderwerthige und übermäßig theuere. Der Arbeiter wird von solchen Geschäftsleuten ausgebeutet. Deshalb ist eine Regelung der Verhältnisse dieser Geschäfte dringend nothwendig, und ich kann die Regierung nur bitten, die Vorlage möglichst zu “
Staats secretär Dr. von Boetticher: Ich kann mich auf meine Erklärung vom 24. November 1891 beziehen, worin ich mitgetheilt habe, daß ein Gesetzentwurf über die Abzahlungsgeschäfte auf⸗ gestellt sei. Der Entwurf ist dem Reichskanzler vorgelegt, Wund es ist eine Ausschußberathung darüber bereits an⸗ beraumt. Es ist anzunehmen, daß die Vorlage bald dem Reichstage zugehen wird. Welche Ansicht die verbündeten Regierungen über diese Frage haben, weiß ich noch nicht, da sie noch keine Gelegenheit gehabt haben, sich zu äußern. Ueber den Hausir⸗ handel sind Untersuchungen angestellt, aber noch nicht voll⸗ ständig abgeschlossen. Die baverische Regierung hat dem Bundes⸗ rath unter dem 7. November den Entwurf eines Gesetzes vorge⸗ legt, der eine Abänderung der Bestimmungen über den Hausirhandel anregt. Damit ist die Sache in Fluß gekommen und wird wohl einen guten Verlauf nehmen. Etwas Weiteres will ich nicht sagen, um mich nicht wieder dem Vorwurfe auszusetzen, daß ich eine uferlose Berathung angeregt hätte. b
Auf Antrag des Abg. Biehl (Centr.) tritt das Haus in die Besprechung der Interpellation ein. .
Abg. Möller (nl.) weist darauf hin, daß der Hausirhandel für gewisse Gegenden eine Nothwendigkeit sei. Der Abg. Holtzmann telegraphire ihm, er möge sich doch der Tausende von Hausirern seines Wahlkreises, des Annaberger Wahlkreises, ännehmen. Aehnliche Verhältnisse seien vielfach in ärmeren Gegenden vorhanden. Aber in einem Punkte müsse etwas geschehen, das sei in Bezug auf die Sonntagsruhe. Das Gesetz selbst sei ein sehr wohlthätiges; die Kaufleute seien dankbar für die ihnen endlich gegebene Sonntagsruhe. Aber die Ausführungsbestimmungen, die der preußische Handels⸗ Minister erlassen habe, seien ungünstiger als die aller an⸗ deren Regierungen. Redner theilt mit, daß er wegen der Cigarren⸗ geschäfte eine Untersuchung angestellt habe, und er habe da erfahren, daß einzelne Geschäfte durch die Beschränkung des Sonntagsverkaufs sehr erhebliche Ausfälle, bis zu Dreiviertel ihres Umsatzes erlitten hätten. Der preußische Handels⸗Minister werde in dieser Beziehung im wirthschaftlichen Interesse eine Aenderung eintreten lassen müssen. Die Detailreisenden seien eine durchaus berechtigte Einrichtung; hier⸗ bei müsse er seinen Heimathbezirk Bielefeld in Schutz nehmen. Die Detailreisenden sähen immer zuerst nach den Verlobungsanzeigen und sen⸗ deten den Familien, in denen ein solches Ereigniß eingetreten sei, ihre Cirku⸗ lare zu. Sie lieferten gutes Leinen, denn sie rechneten darauf, daß eine Hausfrau sie der anderen empfehle. Die Abzahlungsgeschäfte bildeten auch einen berechtigten Zweig des Handels. Die Nähmaschinen würden zumeist auf Abzahlung verkauft, und auf diese Weise werde den Frauen, den Wittwen und den alleinstehenden Mädchen die Möglichkeit eines ehrlichen Erwerbes geschaffen. Daß die Miethsverträge der Abzahlungsgeschäfte schlimme Bestim⸗ mungen enthielten, sei richtig; es werde sich aber fragen, ob das ge⸗ ändert werden könne. Ueber solche Einzelheiten könne man streiten, wenn die Vorlagen der verbündeten Regierungen bekannt geworden sein würden.
Abg. Ackermann (deutscheons.) bedauert, daß der Staats⸗ secretär Dr. von Boetticher die Vorlage nicht schon für diese Tagung in Aussicht gestellt und daß er keine Einzelheiten angegeben habe. Er wünscht eine möglichste Beschleunigung der Vorlage. Die Handwerker wünschten meist die vollständige Beseitigung der Abzahlungsgeschäfte, weil sie minderwerthige Waare lieferten und die Leute veranlaßten, über ihre Verhältnisse Luxusgegenstände anzuschaffen. Der Hauptvorwurf gegen die Abzahlungsgeschäfte sei die Verfallclausel ihrer Verträge, wonach bei nicht pünktlicher Abzahlung die Waaren wieder in den Besitz des Geschäftsinhabers zurückfielen. Diese Härte müsse beseitigt werden, aber seine Partei sei durchaus nicht dafür, daß die Abschlags⸗ geschäfte verboten würden.
(Schluß des Blattes.)
— Im Reichstage hat der Abg. Graf Mirbach (deutschcons.), unterstützt von 33 Abgeordneten, folgende Interpellation eingebracht: 8
„Billigen es die verbündeten Regierungen, de die deutschen⸗ Delegirten — nach den durch die Presse verbreiteten Mittheilungen — bei der Münzconferenz in Brüssel sich den auf die Bekämpfung der Silberentwerthung gerichteten, nahezu einmüthigen Bestrebungen aller auf der Conferenz vertretenen Staaten gegenüber ablehnend verhalten?“ 8 .“ G;
Eine Denkschrift über die Cholera ist heute dem Reichstag zugegangen.
— Im 1. Frankfurter Wahlbezirk (Arnswalde⸗ Friedeberg) ist bei der am 5. d. M. abgehaltenen Stichwahl der Recktor Ahlwardt in Berlin (Antisemit) mit 11 206 Stimmen gegen 3306 Stimmen, welche der Rittergutsbesitzer Drawe (dfr.) erhielt, zum Mitglied des Reichstags gewählt worden.
— In der Steuerreformcommission des Hauses der Abgeordneten stand heute, bei Fortsetzung der Berathung des Ergänzungssteuergesetzes, zunächst der Antrag des Abg. Dr. Bachem (Eentr) zur Discussion, W“ § 31 b im ersten Absatz folgende Fassung erhielt: „Zur Vermögensanzeige für Personen, 1 unter väterlicher Gewalt, Pflegschaft oder Vormundschaft stehen, sind deren gesetzliche Vertreter befugt.“ Abs. 2 blieb der Regierungsvorlage gemäß unverändert und lautet: „Für Personen, welche abwesend oder sonst verhindert es die Ver⸗ mögensanzeige selbst abzugeben, kann solche durch Bevollmächtigte er⸗ folgen.“ Bei § 34 bemängelt der Abg. von Eynern (natlib.), daß trotz der Declaration noch Zeugen und Sachverständige sollen vernommen werden können. Der G Ober⸗ Finanz⸗Rath Wallach vwiderspricht dessen Ausführungen; gerade bei einer Schätzung seien solche Bestimmungen nicht zu entbehren. Ein Antrag des Abg. von Eynern auf Streichung des bezüglichen Absatzes wurde abgelehnt. Zwischen Absatz 2 und 3 will der Abg. Freiherr von Zedlitz (freicons.) einen Antrag einschalten, wonach die Veranlagungscommission befugt sein soll, unter gewissen Umständen von den Steuerpflichtigen in Bezug auf Grundstücke Angaben über Lage, Beschaffenheit, Aufwendungen ꝛc., bezüg⸗ 8 nlage⸗ und Betriebskapital Bücherauszüge ꝛc. zu verlangen. Abg. von Eynern sieht in diesem Antrage die Wiedereinführung der obli⸗ gatorischen Declaration. Abg. Freiherr von Zedlitz führt dagegen