Die 31 Stellen, so weit sie auch in Einzelheiten au stimmen darin überein, daß der gegenwärtige Zustand der Ausbildung ein unbefriedigender, ungleichmäßiger, für die Kräfte des Ausbildungs⸗ personals erschöpfender ist — über die Frage ist kein Zweifel. Dann kommen 10 Stellen, die suchen Abhilfe dieser geschilderten Umstände in der vollen Durchführung der dreijährigen Dienstzeit bei gleichzeitiger Verstärkung der Armee — zweifellos militärisch das wünschens⸗ wertheste Ziel, finanziell, werden Sie sagen, und habe auch ich ge⸗ sagt, nicht erreichbar. Dann kommen 21 Stellen, die geben die Möglich⸗ keit der Durchführung der zweijährigen Dienstzeit unter bestimmten Voraussetzungen zu. Zu diesen Voraussetzungen rechnen sie die Ver⸗ mehrung des Ausbildungspersonals, die Erhöhung der Etatsstärke, Entlastung von Commandos, Arbeitsdienst und noch eine Menge anderer Kleinigkeiten. Also die Behauptung, daß die vorgesetzten Instanzen nicht gehört worden wären und sich abfällig geäußert haben, ist nicht richtig. Factisch liegt die Sache so: 10 Stellen von den 31 haben Unmögliches verlangt, und 21 Stellen haben sich im wesentlichen mit dem Ihnen jetzt Vorgelegten einverstanden erklärt.
Ein zweiter Einwand, der vom Herrn Vorredner gemacht wird
und auch in diesem Hause schon von anderen vorgebracht worden ist, ist auf die Behauptung gestützt, uns mangle es an Offizieren und Unteroffizieren, um die geplante Verbesserung durchzuführen. Daß wir im Augenblicke nicht die nöthige Zahl Offiziere und Unteroffiziere haben, um eine so erhebliche Verstärkung der Armee damit zu ver⸗ sehen, ist zweifellos; ebenso zweifellos ist aber auch, daß wir in kurzer Zeit in den Besitz dieses Materials kommen werden. Wie war es denn im Jahre 18612 Da wurde nicht bloß die Infanterie der preußischen Armee einfach verdoppelt, sondern auch bei den anderen Waffen traten ähnliche Erhöhungen ein: und es fand sich in kurzer Zeit das Material an Offizieren und Unter⸗ offizieren, um dieser Verdoppelung zu genügen. Wenn die Herren die Güte haben wollen, alte Ranglisten nachzusehen, so werden Sie sich von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugen können. s fehlte Jahr und Tag noch an Offizieren; erst allmählich completirten sie sich; aber ein Hinderniß ist dadurch der Durchführung dieser Maß⸗ regel nicht erwachsen. Im Augenblick liegt die Sache bei uns nun so, daß wir an Offizieren bei einer Waffe übercomplet sind, bei einer complet und bei der wichtigsten, bei der Infanterie, um die Zeit, wo die gewünschte Reform in Kraft treten wird, also am 1. Oktober 1893, in der Lage sein werden, nicht allein den gegenwärtigen Etat voll zu haben, sondern auch einen Ueberschuß über diesen Etat. Wir können ferner durch die Zahl der Avantageure, die wir gegenwärtig besitzen, der Anmeldungen, die wir haben, mit Sicherheit feststellen, daß sich der Beruf des Offiziers eines Zulaufs erfreut, der jeden Zweifel in dieser Beziehung ausschließt. Was nun die Unteroffiziere angeht, so behaupte ich, daß keine Armee der Welt ein so gutes Unteroffiziercorps haben kann, wie die deutsche; nur muß die Möglichkeit gegeben werden, für die Ver⸗ werthung seiner Kräfte auch entsprechende Aequivalente zu haben. In dem gegenwärtigen Etat haben wir — und das möge auch in Bezug auf die Offiziere zur Beruhigung dienen — mit Genehmigung dieses hohen Hauses eine Be⸗ stimmung, daß, wenn bei den Fußtruppen Second⸗Lieutenants mankiren, für zwei Drittel der mankirenden Stellen Feldwebel geführt und gelöhnt werden können. In diesen Feldwebeln findet der Offizier bis zu einem gewissen Grade seinen Ersatz, und der Abg. Richter würde mit Befriedigung constatiren, daß auch Zugführer aus dem Unteroffizierstande nicht ganz selten sind. Wenn in der That sich herausstellen sollte, — eine Voraussetzung, für die jede Basis fehlt —, daß wir mit den Offizieren unter Erhaltung unserer Ansprüche nicht weiter kommen könnten, als wir jetzt gekommen sind, so würde daran nun und nimmermehr die Vermehrung unserer Wehrkraft scheitern können, wir würden dann nach anderen Mitteln suchen müssen. Es ist nicht möglich, von der deutschen Nation zu behaupten: wenn auch die Franzosen ein viel zahlreicheres Offizier⸗Corps aufbringen, so können das die Deutschen nicht. Wir würden dann in der Ausbildung der Institution der Vice⸗Feldwebel, die man nicht zu Offizieren machen, sondern als Unteroffiziere weiter verwerthen würde, ein Mittel finden, um den Offizier zu entlasten, ein Mittel, zu dem wir vielleicht auch ohnehin werden greifen müssen, selbst wenn das ganze Offiziercorps complet wird, weil ein Theil unserer unteren Offizierchargen factisch überlastet ist. Wenn man durch solche älteren Unteroffiziere im stande ist, im Frieden einen erheblichen Theil des Dienstes dem Offiziercorps abzunehmen, kann die Frage aufgeworfen werden: würden diese Unteroffiziere, die dann schon hier und da in für den Unteroffizierstand ältere Jahre gekommen sind, im stande sein, auch im Kriege den Offizier zu ersetzen? Dessen aber bedarf es nicht; wir verfügen über ein Offiziercorps des Beurlaubten⸗ standes, ich glaube nicht zu viel zu sagen, wie es in der Welt kein zweites giebt. Und dieses Offiziercorps bringt Eigenschaften mit, die gerade für den Krieg die werthvollsten sind. Derselbe Offizier des Beurlaubtenstandes würde ja ungleich mehr leisten, wenn er mit zwanzig Jahren activer Offizier geworden und geblieben wäre. Er wird nicht den Grad technischer Ausbildung haben, den er haben würde, wenn er Berufsoffizier wäre. Aber das, was der Krieg vom Offizier in den niederen Graden in erster Linie fordert: die Vater⸗ landsliebe und das Ehrgefühl, das haben unsere Offiziere des Beur⸗ laubtenstandes in einem Grade, der jeden Einwurf schweigen macht. (Bravo! rechts.)
Es ist also nicht die mindeste Besorgniß da, daß wir durch die beabsichtigte Vermehrung der Armee in Bezug auf unsere Offiziere und Unteroffiziere irgend eine Schwierigkeit haben werden.
Ein anderer Einwurf, der gemacht worden ist, war der: Warum will man die jetzige Reform auf einmal durchführen, warum nicht nach und nach? Man hat sich dabei auf den vorigen Kriegs⸗Minister berufen. Ich fürchte fast, ich wiederhole mich, wenn ich sage, daß die Pläne des früheren Herrn Kriegs⸗Ministers viel weiter gingen als der jetzige Plan, und daß sie auf einmal überhaupt nicht durchführbar waren. Das hätte allmählich geschehen müssen. Der beschränkte Plan, wie wir ihn jetzt vorlegen, kann in 2 bis 3 Jahren — das letzte daraus vielleicht unter Hinausschiebung um weitere 2 Jahre — vollkommen durchgeführt werden. Der Plan, wie er Ihnen vorliegt, geht aus auf die Durch⸗ führung der allgemeinen Wehrpflicht. Ich wüßte nicht, warum man die allgemeine Wehrpflicht jetzt erst partiell einführen sollte; warum man etwa die Grenzprovinzen noch mehr dadurch drücken sollte, daß man ihnen die allgemeine Wehrpflicht auferlegte, während man sie den inneren noch nicht auflegt.
andergehen,
Es ist für die Militäwerwaltung sogar wünschenswerth, es er⸗ leichtert die Durchführung, wenn sie hintereinander — etwa in zwei Rekruteneinstellungen, die erste im Oktober 1893, die zweite vielleicht im April 1894 oder Oktober 1894, — ich weiß nicht, was die Militärverwaltung beabsichtigt — hintereinander erfolgt. Wir haben also nicht allein keinen Grund, in Perioden zu parzelliren, sondern wir haben militärische Gründe, die die Ausführung auf einmal wünschenswerth machen, und den politischen Grund, daß, wenn wir einmal erkennen, unsere Lage ist so, daß hier im Laufe der Jahre eine Abhilfe geschaffen werden muß, wir besser bei Zeiten anfangen, weil alle diese Maßregeln, um wirksam zu werden, einen längeren Zeit⸗ raum bedürfen.
Nun hat, soweit ich bis jetzt sehe, das, was für die Infanterie geplant ist, die meisten Bedenken hervorgerufen. Zwei Dinge will man für die Infanterie. Man will die bestehenden Etats, die mitt⸗ leren, erhöhen, und man will daneben besondere Truppenkörper schaffen, die man vierte Bataillone genannt hat. 3
Was die Etatserhöhungen angeht, so sind sie bei den kleinen Bataillonen, die einen Etat von 560 Köpfen haben, eine unumgäng⸗ liche Voraussetzung der Einführung der zweijährigen Dienstzeit. Wir würden, wenn wir bei diesen Bataillonen die Hälfte des Etats in Rekruten und die andere Hälfte in alten Leuten haben, während der Winterszeit über weniger alte Leute verfügen als jetzt. Wir würden auf Schwierigkeiten in der Durchführung des Dienstes stoßen und vor allen Dingen dem Mann nicht mehr das Gefühl erhalten können, daß er in einer Truppe dient; er würde sich isolirt fühlen, es würde ihm das Truppengefühl abgehen, eines der Imponderabilien, die nicht zu schildern sind, aber ein wesentliches, erziehliches Moment für den Mann sind: ein Moment, was um so nesentlicher wirkt, wenn er nicht mehr drei Jahre dient, sondern wenn dieses Truppenbewußtsein nur zwei Jahre auf ihn einwirkt.
Wenn das bei Truppen mit kleinen Etats so ist, so kommt bei den Truppen mit mittleren, mit einem Etat von 600 Gemeinen, der Umstand hinzu, daß diese Truppen sich wesentlich an solchen Orten dislocirt befinden, wo ein plötzlicher Gebrauch dieser Truppen nach außen wahrscheinlicher ist als an anderen Stellen. Also auch hier würde eine Beibehaltung der jetzigen Friedenspräsenzstärke den plötz⸗ lichen Gebrauch des Truppentheils gefährden, weil er mit einer geringeren Stärke ausgerüstet sein würde.
Nun aber das Wesentlichste: die Mobilmachung. Ich habe mir schon, als ich das erste Mal über die Vorlage vor dem hohen Hause zu sprechen die Ehre hatte, erlaubt, darauf hinzuweisen, wie schwierig eine Mobilmachung für die Infanterie ist, wie wenig von einer Friedens⸗Compagnie übrig bleibt und auf die Kriegs⸗Compagnie über⸗ geht, und ich möchte mir für diesen Gegenstand Ihre Aufmerksamkeit wiederum erbitten; denn das ist ein Moment, was dem Laien sehr wenig zugänglich ist. Es ist ja in unserer Nation durch die allge⸗ meine Dienstpflicht ein hoher Grad von militärischer Detailkenntniß verbreitet; aber von dem jetzt lebenden Geschlecht haben viele keine Mobilmachung mit durchgemacht, oder wer sie durchgemacht hat, der ist als Reservist eingezogen, gekommen, auf seinen Fleck gewiesen worden, es ist ihm gesagt worden, was er zu thun habe; aber wie eine Mobilmachung auf eine Truppe wirkt, das wissen im wesentlichen doch nur Berufsoffiziere. Und ich sage, sie wirkt vollkommen zer⸗ setzend.
Ich habe schon einmal hier die Aeußerung gethan, daß von unserer Armee, die wir im Kriege aufstellen wollen, etwa sieben Achtel das sind, was der Soldat als Neuformationen bezeichnet, also für sieben Achtel von der Armee, mit der wir vor den Feind zu kommen, unsere Festungen zu vertheidigen gedenken, fehlt es im Frieden überhaupt an Stämmen. Soll ihnen — und das ist nur bei den jüngsten Theilen von diesen Neuformationen möglich — ein Stamm gegeben werden so kriegen sie zwei, drei Offiziere, sechs, acht Unteroffiziere für das Bataillon von irgend einem der Linien⸗Regi⸗ menter, eine Maßregel, die aber immer auf Kosten des Linien⸗Regi⸗ ments geht.
Wie sieht es aber bei unserer Feld⸗Infanterie im Augenblick der Mobilmachung aus?
Drei Dinge machen das Wesentliche der Kraft der Truppe aus: die Zahl, die Ausbildung und der Geist. Ich habe Ihnen hier ein Beispiel angeführt und ich will es noch einmal wiederholen, weil es drastisch ist, obschon es exceptionell ist: daß mir der Fall vorgekommen ist, wo bei einer Mobilmachung für eine Friedenscompagnie ein Offizier und 19 Mann übrig blieben, aus denen sich nun eine Compagnie von 250 Mann bilden sollte. Daß das auch schließlich nur Neuformationen sind, liegt auf der Hand. Nun mag aber die Zahl stärker sein, lassen Sie 30, 40, auch 50 Mann in der ungünstigen Jahreszeit aus der Friedenscompagnie in die Kriegscompagnie übergehen, was ist das auf 250 Mann, und wie sieht der Rest der 250, die zu diesen 50 hinzugekommen, aus? Wir sind durch die Forderung, schnell mobil zu machen, und durch Freizügigkeit in die Nothwendigkeit gesetzt worden, die Truppentheile in ihrer überwiegenden Mehrzahl so zu ergänzen, daß ihre Com⸗ pletirungsmannschaften am nächsten Orte, unmittelbar bei der Gar⸗ nison genommen werden ohne Rücksicht darauf, ob der Mann in demselben Infanterie⸗Regiment oder in einem anderen ge⸗ dient hat. Wir können also nur zu einem minimalen Theile die Hoffnung haben, daß die Friedenstruppentheile, nachdem sie Abgaben gemacht haben, nachdem sich ihre Zahl verringert hat, nun durch Leute ergänzt werden, die in demselben Truppentheile gedient haben. Ist also für eine Mobilmachung schon die Zahl der Menschen, die wir aus dem Friedens⸗Etat in den Kriegs⸗Etat der Truppe überführen, zu gering, so ist die Zersetzung noch empfindlicher in Bezug auf die Ausbildung der Leute. Der Hauptmann kann im Schweiße seines An⸗ gesichts sich die beste Compagnievorstellung erarbeitet haben und wenn die Mobilmachung kommt, ist alles, was er gethan hat, weg: die Leute gehen ihm unter der Hand fort, er kommt aus einem anderen Truppentheil zum Ersatz⸗Bataillon, zum Reserve⸗Regiment, seine Unteroffiziere werden ihm genommen und er steht am zweiten, dritten, vierten Tage der Mobilmachung vor 250 Mann, von denen er so gut wie nichts weiß, die von seiner Ausbildung nichts an sich haben.
Und nun endlich der Geist des Truppentheils, ein Factor, den ich sehr hoch schätze und von dem ich annehme, daß die Herren von der Linken auch geneigt sein werden, ihn hoch zu schätzen. Zu allen Zeiten haben die Leistungen einer Truppe im Kriege von ihrem Geiste abgehangen. Diesen Geist im Frieden zu erziehen, ist eine unendlich schwierige Aufgabe. Das wesentlichste Mittel dazu liegt aber in dem
Verhältniß des Vorgesetzten zum Untergebenen, und auch dieses Ver⸗
1.
hältniß wird bei der Mobilmachung verändert. Es ist ein alter militärischer Satz, Id aß die Geschichte die Truppentheile trägt. Ein Truppentheil mit einer guten alten Geschichte giebt ohne weiteres die Erwartung auch zu neuen guten Leistungen in einem höheren Grade, als ein Truppentheil ohne Geschichte. Wie soll aber die Geschichte eines Truppentheils auf ihn einwirken, wenn er sich im Mobilmachungsfall bunt aus den verschiedensten Elementen zusammen⸗ setzt! Ich möchte also darauf hinweisen, daß diese Zersetzung, dieser Häutungsprozeß der Truppen im Mobilmachungsfall, eine so bedenk⸗ liche ist, daß unter ein gewisses Maß der Friedensstärke der Truppen⸗ theil nicht heruntergehen kann, ohne die Leistungsfähigkeit der Feld⸗ truppen zu gefährden. .
Ist also eine Etatserhöhung der Infanterie im Frieden er⸗ forderlich, so halten wir für die zweite Compensation die Schaffung der vierten Bataillone. Diese vierten Bataillone sind zunächst in ihrem Namen bemängelt worden. Man hat gesagt: warum nennt man das „Bataillon“? Und es ist vollkommen zutreffend, daß dieser Torso, der da errichtet wird, kein Bataillon ist; aber ich glaube, wir werden schließlich auf den Namen nicht viel Werth zu legen haben. Wir haben bis vor einigen Jahren das, was jetzt Bezirks⸗Commando heißt, Landwehr⸗Bataillon genannt, und das bestand auch nur aus zwei Offizieren und ein paar Leuten. Was soll nun das vierte Bataillon? Man hat gesagt: das ist eine Schöpfung, die miß⸗ lingen wird; das soll man erst probiren. Ich begreife in der That nicht, was hieran mißlingen soll. Zunächst sind die vierten Bataillone ein unumgängliches Complement für die zweijährige Dienstzeit. Denn wir können die zweijährige Dienstzeit bei unseren Feldtruppen nur annehmen, wenn wir die Möglichkeit haben, die Feldtruppen in den zwei Jahren intensiver auszubilden als bisher, sie also innerlich und äußer⸗ lich mit zweijähriger Dienstzeit zu dem zu machen, was man früher von der dreijährigen Dienstzeit forderte. Wir müssen das Bestreben haben, eine ganze Reihe von Dienstzweigen, vor allem aber auch manche Arbeiten, von den Feld⸗Bataillonen abzunehmen und auf diese vierten Bataillone zu übertragen. Wir können das ohne Schaden, weil diese vierten Bataillone nicht bestimmt sind, in der Form, wie sie im Frieden existiren, vor den Feind zu rücken. Sie sind im Frieden Depots, die allerlei Dienst übernehmen, und im Kriege bleibt ein Rest von ihnen, hauptsächlich von Offizieren und Unteroffizieren — wie viel, wird von der Jahreszeit abhängen — welche in die neuen Formationen über⸗ geführt werden. Sie sollen also die Friedenstruppentheile theilweise entlasten, eine bessere Ausbildung ermöglichen und zugleich für den Kriegsfall das geben, was uns, namentlich aber auch im Vergleich mit den Franzosen, fehlt, Cadres, auf die wir unsere Neufor⸗ mationen gründen wollen. Es ist neulich vom Herrn Abg. Freiherrn von Huene geäußert worden, man habe die Besorgniß, daß diese Truppentheile sich zu Regimentern auswachsen könnten, und daß dadurch Mehrkosten entstehen würden. Ich halte diese Besorgniß für ganz ausgeschlossen, denn, wenn das geschähe, so würden wir eben nicht in der Lage sein, diese Bataillone zur Durchführung eines intensiveren Dienstes bei den drei Feld⸗Bataillonen zu benutzen. Denn diese vierten Bataillone haben einen anderen Charakter, als die, welche vor einigen Jahren in neue Regimenter zusammenstießen. Wenn ich die zweijährige Dienstzeit nehme, so bedarf ich des Complements der vierten Bataillone, wie sie jetzt geplant sind. Weise ich denen eine andere Bestimmung zu, so geht es eben mit der zweijährigen Dienstzeit nicht. Nun hat man auf diese Bataillone einen Ausdruck angewandt, auf den ich mich aus meiner Jugendzeit entsinne. Man hat sie „Schwamm“ genannt. (Heiterkeit.) Wir hatten in Preußen eine Einrichtung: officiell hießen sie combinirte Reserve⸗Bataillone, und sie haben bis in die fünfziger Jahre bestanden. Diese combinirten Reserve⸗Bataillone hatten vier, später glaube ich, zwei Compagnien, die regimenterweise aus demselben Corps gebildet wurden. So stand in Spandau ein combinirtes Reserve⸗Bataillon, die erste Compagnie vom 1. Garde⸗Regiment, die zweite vom 2. Garde⸗Regiment, die dritte vom Regiment Alexander, die vierte vom Regiment Franz. Aehnlich war das Verhältniß in anderen Corpsbezirken. Was war nun die Folge? Diese Bataillone wußten, daß sie im Kriege aufgelöst werden sollen, und man kann nicht erwarten, daß ein Truppentheil, der allein in der Welt steht, ohne Anlehnung an andere, und der weiß, er wird im Kriege auf⸗ gelöst, einen selbständigen Geist haben soll. Die Truppen⸗ theile waren zur Auflösung bestimmt und kein Mensch wollte bei ihnen dienen, um so mehr, als man vorher wußte, die Offiziere, die da stehen, kommen im Kriegsfalle zu Ersatz⸗ Bataillonen. Also dadurch, daß man für einen bestimmten Zweck Truppentheile gebildet hatte, die nicht im Anschluß an bestimmte Regimenter sich befanden und im Kriegsfalle der Auflösung ausgesetzt waren, hatte man eine Schöpfung gemacht, von der man, ich glaube zuletzt im Jahre 1859, erklärte, daß es nicht möglich wäre, sie bei⸗ zubehalten. Diese Truppentheile hatten im Lieutenantsmunde den Titel „Schwamm“. Damit hat aber die jetzige Organisation gar nichts gemein. Diese vierten Bataillone stehen im Rahmen ihrer Regi⸗ menter, werden von den Offizieren ihres Regiments besetzt, welche wechseln, je nachdem es dem Commandeur gut scheint. Der Com⸗ mandeur, der die Verantwortung für die drei Feldbataillone hat, trägt auch die Verantwortung für das vierte Bataillon. Ich sehe also nicht den mindesten Grund, der zur Besorgniß Veranlassung geben könnte, daß diese vierten Bataillone sich nicht bewähren würden. Es sind also die Etatserhöhungen und die vierten Bataillone direct eine Folge der Annahme der zweijährigen Dienstzeit. Das sind Compen⸗ sationen, Modalitäten, die uns die Annahme der zweijährigen Dienst⸗ zeit möglich machen. Die übrigen Forderungen haben den Charakter nicht in der gleich directen Weise. Die sind bestimmt, nur auf den Krieg zu wirken und mehr die Reserve⸗Divisionen, die wir im Kriege aufstellen müssen, zu stärken, in eine bessere Verfassung zu bringen.
Ich habe mir schon einmal erlaubt, auszuführen, die Infanterie dieser Reserve⸗Divisionen besteht aus Landwehrleuten. Wir können selbst in einem Kriege mit einer Front es nicht umgehen, diese Divisionen, wenigstens zum größten Theil, in erster Linie zu ver⸗ wenden. Wir haben also das Interesse — nicht wir, die Militär⸗ verwaltung — Deutschland hat das Interesse, daß diese Divisionen leistungsfähig aufgestellt werden. Um dies zu können, wollen wir sie in erster Linie verjüngen. Eine Reserve⸗Division, die mit den Infanterie⸗Divisionen gleichzeitig und in gleicher Linie gebraucht werden soll, bedarf einer guten Infanterie. Und nun komme ich hier auf Erwägungen, die dem Laien auch nicht so ganz geläufig sind, wie dem Berufssoldaten. Der Laie ist sehr vielfach geneigt, die Ausbildung, Erziehung eines Infanteristen für
leicht zu halten und seine Leistungen im Kriege verhältnißmäßig gering anzuschlagen. Wenn eine Batterie auffährt, das macht einen großen Ein⸗ druck. Wenn der erste Schuß fällt, so pflegt man im Gefecht ein gewisses Gefühl der Erleichterung zu haben; jetzt ist die Artillerie da; da wird die Sache weiter gehen! Man entsinnt sich aber im Frieden nur zu wenig, daß im Kriege die Infanterie nicht allein den schwersten Dienst hat, sondern daß von ihren Leistungen auch in erster Linie die Entscheidung abhängt. Die Infanterie hat den beschwerlichsten Dienst. Es ist schwerer, mit dem Tornister auf dem Rücken im Schweiße seines Angesichts in der Hitze, im Staub von hier nach Paris zu
marschiren, als auf der Lafette oder einer Protze zu fahren, oder als
zu reiten.
Wie weit die Leistungen der Infanterie im Kriege von Werth sind, mag Ihnen vielleicht am anschaulichsten daraus werden, wenn ich in Bezug auf den letzten Krieg anführe, daß, soweit die Statistik, die unsere Militär⸗Medizinalbehörden aufgestellt haben, zutreffend ist, von den Verwundungen, die im Kriege hervorgerufen sind, 80 % auf Infanteriefeuer gekommen sind, 18 % auf Artilleriefeuer und 2 % auf die blanke Waffe. Ich führe das an, um zu zeigen, daß man der Organisation der Infanterie der Reserve⸗Divisionen nicht Aufmerksam⸗
keit genug zuwenden kann, und ich möchte Sie bitten, es deshalb mit
der Verstärkung, der Verjüngung und dem Schaffen von Cadres für die Infanterie nicht leicht zu nehmen.
Die Reserve⸗Divisionen bestehen aber nicht allein aus Infanterie, sie bestehen auch aus Artillerie. Für diese Artillerie haben wir bis jetzt ebenso wenig etwas im Frieden vorbereitet, wie für die Infan⸗ terie. Wir müssen die Reserve⸗Batterien, die mit diesen Divisionen ins Feld gehen sollen, aus Abgaben unserer Feldbatterien entnehmen. Das schwächt die Feldbatterien. Das wird immer schwerer, je schneller die Mobilmachung vor sich geht, und wenn ich eine solche Kriegs⸗ batterie lediglich zusammensetze aus eingezogenen Mannschaften und Pferden und diese am dritten oder vierten Mobilmachungstage vor 6 Kanonen, so und so viel Munitionswagen, einen Haufen Geschirr und Munition stelle, so kann ich mir nicht einbilden, daß ich hiermit eine leistungsfähige Batterie habe. Nun ist aber bei der Artillerie an sich die technische Leistungsfähigkeit von ungleich größerem Werth als bei einer anderen Waffe. Schon ein Umstand, der Ihnen vielleicht am ersten in die Augen springt: ein Granatschuß kostet das Hundert⸗ fache von dem, was ein Infanterieschuß kostet. Geht der Granatschuß vorbei, so habe ich um so viel mehr Kapital in die Welt verknallt ohne jeden Nutzen. Aber auch der militärische Effect fehlt: wo ein⸗ mal mit Artillerie geschossen wird, muß der Erfolg da sein. Und wenn die Rolle unserer Infanterie im ganzen auch im Kriege dieselbe bleiben wird — denn ich muß zunächst immer, wenn ich siegen will, das Bestreben haben, heute Abend auf dem Fleck zu sein, wo der Feind heute früh war, und um den Weg zu ebnen, muß ich zuletzt immer mit der Infanterie herangehen — wenn das auch bleibt, so wird die Infanterie mehr erleichtert werden müssen durch die Wirkung der Artillerie; die Artillerie ist aber nur wirksam, wenn sie trifft; der bloße Schreck stumpft sich bald ab, das wissen die Herren, die 1870 mit waren, sie wissen, daß die Truppen über die Wolke der französischen Shrapnels, die da oben crepirten und keinem Menschen Schaden thaten, lachten. Ein nicht wirksamer Artillerieschuß ist schlechter wie gar keiner. Also auch für die Artillerie brauchen wir eine Vermehrung, um Cadres für den Kriegsfall zu haben, und das ist der Grund, aus dem diese Batterien hier von Ihnen erbeten werden, ausgenommen die sechs Batterien — ich glaube, mehr sind es nicht — die für das XVI. Armee⸗Corps gefordert werden Alle diese Batterien sollen Stämme abgeben für die Reserve⸗Divisionen. Wenn Sie die Reserve⸗Divisionen so formiren, wie wir es wünschen, werden Sie eine taugliche Infanterie bekommen, eine leistungsfähige Infanterie, Sie werden auch eine leistungsfähige Artillerie bekommen. Kein Truppentheil bedarf aber einer leistungsfähigen Artillerie so, wie gerade die Reserve⸗Truppentheile. Wenn man auch die höchste Meinung von ihrer Leistungsfähigkeit hat, so werden ihre Be⸗ wegungen doch immer langsam sein im Vergleich zu denen der Linie; und das, was der Infanterie an Beweglichkeit fehlt, soll durch das Feuer der Artillerie ersetzt werden, um die Infanterie zu schützen.
Ueberdies will ich mir die Bemerkung erlauben, daß, wenn wir nun etwa zwei Reserve⸗Divisionen zu einem Armee⸗Corps zusammen⸗ fassen, diese noch immer schwächer werden müssen als unsere Feldcorps, weil sie keine Corps⸗Artillerie haben; wir werden selbst nach dem, was wir jetzt fordern, diese Divisionen nur mit Divisions⸗Artillerie aus⸗ rüsten können.
Nun ist auch für die Cavallerie — abgesehen von den drei Königlich bayerischen Schwadronen, die eine organisatorische Nothwendigkeit sind — die Schöpfung von Stamm⸗Escadrons erbeten worden, deren Pferde im Kriegsfalle gebraucht werden sollen. Es ist hier neulich doch ein nicht ganz zutreffendes Urtheil insofern ausgesprochen worden, als auf das jetzige Project ein Schluß gezogen wurde durch einen Ver⸗ gleich mit der hannöverschen Cavallerie. Die Einrichtungen in Han⸗ nover waren vollkommen anders, da ging der Mann mit seinem Pferde auf Urlaub und rückte mit seinem Pferde wieder ein. Hier soll das Pferd an Menschen gegeben werden, die in ihrem Berufe Pferde ge⸗ brauchen, das Pferd soll eingezogen werden. Daß man kranke Pferde nicht einziehen kann, ist ebenso selbstverständlich, als daß man kranke Menschen nicht einzihht. Und wenn dann von der hannöverschen Cavallerie gesagt worden ist, ihre Pferde wären zu dickleibig gewesen, so möchte ich doch unsere Gegner von Langensalza in Schutz nehmen; die hannöversche Cawallerie hat bei Langenfalza Attacken geritten, die sich sehen lassen konnten. Wir verlangen nun von der Cavallerie unserer Reserve⸗ Division in erster Linie nicht, daß sie Attacken reitet, sondern daß sie zum Ordonnanzdienst, zum Sicherheitsdienst, der bei solchen⸗Divisionen so gut vorkommt wie bei anderen, verwendbar ist. Dazu gehört aber doch, daß der Mann mit seinem Pferd dahin kommt, wo er hin⸗ kommen soll, und auch das ist in Frage gestellt, wenn Sie ihm am dritten, vierten Mobilmachungstage ein beliebiges Pferd geben, das vielleicht noch keine Kanthare getragen hat und das die Sporen noch nicht verträgt. Der alte General Marwitz, der 1813 die Kurmärkische Landwehr⸗Brigade zu commandiren hatte, stellte sie auf dem Platze, wo jetzt das neue Reichstags⸗ gebäude steht, dem König Friedrich Wilhelm III. vor, und er hatte die Dreistigkeit, eine Attacke zu reiten; wie das aus war, sagte der alte König in seiner knappen Form: „Es war doch gut, daß die Stadtmauer da war.“ (Heiterkeit.) Daß aber auch die Reserve⸗ Cavallerie⸗Regimenter in die Lage kommen können, eine Attacke zu reiten, das hat das Littauische Dragoner⸗Regiment, wenn ich nicht
irre, bei St. Quentin in einer glänzenden Weise bewiesen. Ich will aus diesem Glanz aber doch nicht schließen, daß jede Attacke so ab⸗ geht. Uebrigens war das eine Attacke, die nach monatelangem Feld⸗ zug geritten ist, und dann ist nicht jeder Reiter ein Littauer.
Endlich möchte ich noch auf ein Bedenken kommen, was hier ausgesprochen ist, daß namentlich das platte Land von den neuen Maßregeln zu leiden habe. Ich gebe zu, daß das bis zu einem gewissen Grade richtig ist. Ich möchte aber da doch einer Ueber⸗ schätzung entgegentreten. Gerade die Seite, von der das neulich be⸗ tont wurde, interessirt sich dafür, daß das Freizügigkeitsgesetz ge⸗ ändert werde, weil man annimmt, daß jetzt zu viele junge Leute, ehe sie das militärpflichtige Alter erreichen, in die großen Städte aus⸗ wandern. Man will die Grenze des Alters, mit welcher die Fähig⸗ keit zum Erwerb des Unterstützungswohnsitzes beginnt, auf 18, ich weiß nicht, vielleicht 16 Jahre herunterdrücken. Daraus folgt, daß man annimmt, es wandern sehr viele junge Leute, schon ehe sie ins militär⸗ pflichtige Alter kommen, vom platten Lande in die Städte. Nun geht aber gerade das Gesetz über die Ersatzvertheilung, welches wir Ihnen vorgelegt haben, darauf aus, daß das Land nicht noch einmal dadurch geschädigt wird, daß, nachdem ihm erst die jungen Leute weg⸗ gelaufen sind, ihm noch das volle Contingent auferlegt wird, sondern wir wollen eine Aenderung in der Ersatzvertheilung einführen, welche die großen Städte mehr heranzieht und das platte Land mehr erleichtert. .
Nun ist doch früher auch von dieser Seite, und ich glaube, mit vollem Recht, der erziehende Einfluß der militärischen Dienstzeit betont worden. Diesem erziehenden Einfluß wird eine größere Anzahl junger Leute, auch der Landbevölkerung, jetzt unterworfen, aber nur auf zwei Jahre und nicht mehr auf drei Jahre; und ich möchte glauben, daß daher der Einwand, der früher häufig gemacht worden ist, daß, wenn die jungen Leute von der Truppe auf das Land zurückkämen, sie die schwere Arbeit verlernt hätten, mit der Abkürzung der Dienstzeit doch auch an Schwere verliert. Also Sie schicken die Leute voraussichtlich nicht in einer neesentlich stärkeren Zahl künftig vom platten Lande zur Truppe wie bisher, die Truppe behält sie aber in der Hauptsache statt drei Jahre nur zwei Jahre. Es ist ja, wenn man das Wort „Feriencolonie“ gebraucht hat, dies eine rhetorische Hyperbel gewesen; daß aber im allgemeinen der militärische Dienst den jungen Männern nützlich sein kann, auch jungen Städtern, auch jungen Industriearbeitern, das habe ich nicht allein von hervorragenden Industriellen gehört, die mit einer großen Anzahl von Arbeitern in Beziehung stehen, sondern diese Ueberzeugung gewinne ich auch auf einem anderen Wege. Ich behaupte noch heute: in den jungen Socialdemokraten steckt in der Mehrzahl ein kleiner Militärmoloch, sie dienen alle viel lieber, als sie selber denken. Das ist noch heute so, davon bin ich fest über⸗ zeugt. Meine eigenen Erfahrungen sprechen dafür. Ich habe unter meinem Befehl Truppentheile gehabt, von denen ich mit mathematischer Gewißheit beweisen konnte, ihrer Herkunft nach: der ganze Truppen⸗ theil muß socialdemokratisch gewesen sein. Aber wenn mir in diesen Jahren auch nur so viel vor Augen gekommen wäre! Im Gegentheil, die Leute dienten mit einer Freudig⸗ keit, sie hatten einen schweren, zum theil dem Tode sehr nahen Dienst, und sie haben den Dienst immer gleichmäßig und correct erfüllt. Ich habe daraus geschlossen: diese jungen Leute dienen gern, und daraus habe ich weiter geschlossen: da sie nun durchtränkt mit Ansichten her⸗ kommen, die eigentlich das Gegentheil von ihnen verlangen, so müssen sie instinckiv gefühlt haben, daß ihnen, die das ganze Leben in der staubigen, ungesunden Werkstätte zubringen, diese Dienstzeit wie eine Erholung erscheint. Ich möchte also bitten, auch nach dieser Seite die Wirkung dieser Maßregel mindestens nicht zu schwarz darzustellen. (Beifall rechts.)
Abg. Bebel (Soc.): Er habe keine Veranlassung, auf die sehr ausführlichen, aber sehr ins militärische Detail gehenden Ausführungen des Reichskanzlers einzugehen. Nur auf die Schlußworte komme er zurück, in denen der Reichskanzler besonders hervorgehoben habe, daß die socialdemokratischen Rekruten mit voller Lust und Freude ihren militärischen Verpflichtungen obgelegen hätten. Das wundere ihn (den Redner) gar nicht und beweise nur, daß die Herren von
der Rechten und von der Rezierung von der Tüchtigkeit der Socialdemokraten eine falsche Anschauung hätten. Er glaube sogar, daß die Bereitwilligkeit, mit der gerade seine Partei⸗ genossen sich der vorschriftsmäßigen Disciplin gefügt hätten, ein Aus⸗ fluß der Disciplin sei, die ihnen das Leben beibringe. Die Social⸗ demokratie sei also gewissermaßen eine Vorschule für den Militarismus. Seine Partei stehe ja auf dem Boden, daß jeder, der die physischen Kräfte dazu habe, Soldat werden solle. Wenn seine Partei sich gegen die Vorlage erklärt habe, so sei das aus voller Ueberzeugung ge⸗ schehen; wenn die ersten Nachrichten falsch gewesen seien, so seien sie von Organen in die Oeffentlichkeit getragen, von denen man angenommen habe, daß sie genaue Nachrichten brächten. Wenn jetzt jemand über das Schicksal der Vorlage ein klares Bild geben wollte, so wäre er dazu gänzlich außer stande. Der Abg. Dr. von Bennigsen habe mit so begeisterten Worten auf die Vorzüge der Vorlage hingewiesen, auf den großen Werth der zweijährigen Dienst⸗ zeit, auf die Vortheile der Verjüngung der Armee, daß es schließlich ganz befremdlich gewesen sei, zu hören, daß er eigentlich nicht geneigt 8 der Vorlage zuzustimmen, wenigstens nicht in ihrem vollen Um⸗ fang. Nur der Abg. Freiherr von Stumm habe klar und nett aus⸗ gesprochen, daß er und seine Freunde bereit seien, Kleinigkeiten abgerechnet, der Vorlage voll und ganz zuzustimmen. Bei der Nothwendigkeit, die Vorlage anzunehmen, schienen ihm (dem Redner) doch nicht so sehr die militärtechnischen und die finanzpolitischen Gesichtspunkte in Betracht gezogen zu sein als die rein politischen Gesichtspunkte. Die Armee solle die Aufgabe haben, die Integrität und die Machtstellung des Deutschen Reichs nach außen unter allen Umständen zu wahren. Man sei dabei aber in sehr einseitiger Weise verfahren und habe seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Frankreich gerichtet. Zwar nach außen hin habe sich die deutsche Macht bedeutend gesteigert, aber ebenso sei die fortwährende Bedrohung des Friedenszustandes ge⸗ wachsen und die ganze Steuerkraft des Landes werde von militärischen Rüstungen verschlungen. Erst die Annexion von Elsaß⸗Lothringen habe die schwierige politische Stellung Deutschlands in Europa verschuldet; daher die Möglichkeit eines Krieges mit doppelter Front. Seine Partei habe nie von einer nackten Zurückgabe der Reichslande gesprochen; immer habe sie eine Verständigung mit Frankreich für nöthig erklärt. Aber das wolle man nicht und müsse daher die Consequenzen tragen. habe alles auf⸗ geboten, um Rußland für Deutschland freundlich zu stimmen, um diese Coalition Frankreichs mit Rußland zu verhindern, aber alle seine Anstrengungen hätten nicht ausgereicht, er habe den Dreibund schaffen müssen, der seine Spitze gegen Rußland richte. Man spreche immer von Frankreich und seinen Revanchegelüsten; aber es könne doch nicht bestritten werden, daß ein großer Theil der dortigen Bevölkerung anders denke und auch der Präsident Carnot sich in ganz friedlichem Sinne geäußert habe. In Frankreich glaube man, daß Deutschland nur auf den Augenblick warke, um Frankreich zu überfallen und voll⸗ ständig zu vernichten. Neben dem linken Rheinufer ständen gerade die Ostprovinzen auf dem Spiel bei einem unglücklichen Krieg. Das
riesige Rußland sei naturnothwendig auf das Mittelmeer, das Schwarze Meer und die Ostsee hingewiesen, und es folge dieser Weisung mit großer Energie; man brauche ja nur zu sehen, wie es sich Dänemarks für seine künftige Herrschaft in der Ostsee ediene. Der Reichskanzler habe gesagt: „Rußland ist gewöhnt, seine politischen Ziele in langsamem Tempo zu erreichen und den günstigen Moment abzuwarten, genau so in militärischen Dingen. Es hat sein Eisenbahnnetz nach dem Westen ausgebaut, seine ungeheuren Armeen nach dem Westen vorgeschoben, um im gegebenen Moment, wenn auch erst nach Jahren, vollkommen gerüstet dazustehen.“ Liege die Sache so, dann sei es vom Standpunkt der Regierung vollkommen gerecht⸗
fertigt, daß die Regierung mit Anforderungen komme, wie in dieser
Vorlage. Der Reichskanzler habe in seiner Rede vom Sonnabend von der Million waffenfähiger junger Leute gesprochen, die im Fall eines Krieges hinter dem Ofen blieben. Aber auch nach Annahme dieser Vor⸗ lage würde eine halbe Million noch hinter dem Ofen bleiben. Die vollständige Verwirklichung der allgemeinen Wehrpflichz. die auch seine Partei für nothwendig halte, sei in dieser Vorlage nicht gegeben, dennoch erfordere sie kolossale Ausgaben. Wenn sie voll bewilligt werde, wachse der Militär⸗Etat im ganzen auf 703 ½ Millionen Mark, dazu kämen die Marineausgaben, Pensionen und Zinsen der zur Ver⸗ vollständigung der Kriegsrüstungen aufgenommenen Gelder sowie der Reichs⸗Invalidenfonds, sodaß die Gesammtsumme auf 913 Millionen steige. Das seien Ausgaben, welche die Nation nicht tragen könne, ohne schon in Friedenszeiten sich aufs äußerste zu verbluten. Nach den früheren Verdy'schen Plänen komme man jetzt mit einer Abschlagszahlung und werde bei späterer Gelegenheit das Ganze fordern, werde mit Forde⸗ rungen kommen, die ungefähr noch einmal so hoch seien wie die gegen⸗ wärtigen. Auch nach dieser Vorlage blieben jährlich 57 — 60 000 waffenfähige Mannschaften unausgebildet. Auch das sei nicht richtig, daß die Vorlage in hohem Grade dazu beitrage, größere Gleichheit in der Ausübung der Dienstpflicht herbeizuführen. Auch nach dieser Vorlage werde man Soldaten haben, die drei Jahre, die zwei Jahre, und die ein Jahr dienten. Die Cavallerie und reitende Artillerie werde auch fernerhin drei Jahre dienen, das Privilegium der Ein jährig⸗Freiwilligen aber bleibe auch bei der Cavallerie und Artillerie bestehen. Darüber werde es nicht an Mißstimmung fehlen, und diese Mißstimmung werde gerade durch Einführung der zweijährigen Dienstzeit besonders verstärkt. Sei es möglich, daß Söhne privilegirter Eltern in einem Jahre ihre Dienstpflicht erfüllten und dann noch Lieutenants würden, dann werde man keinem Menschen klar machen, daß er, weil er das Unglück habe, als Sohn eines kleinen Mannes geboren zu sein, nun zwei oder drei Jahre dienen solle. Der Klassengegensatz bleibe bestehen, und hätten die bevorzugten Klassen nicht das Privilegium des einjährigen Dienstes, dann würden sie energischer für die zweijährige Dienstzeit auch bei der Caval⸗ lerie und Artillerie eintreten. Die Ersatzreserve, die jetzt im ganzen zwanzig Wochen übe, lasse man fallen, weil auf diese Art der Soldat nicht kriegsbrauchbar ausgebildet werden könne. Dabei habe jedoch Hauptmann Miller in Württemberg in seiner Broschüre be⸗ kundet, daß in Offizierskreisen, obwohl man es nicht öffentlich aus spreche, die Leistungen der zehn Wochen gedrillten Leute als über⸗ raschend gute gälten. Der Hinweis auf die Verjüngung der Armee sei nur eine captatio benevolentiae, ini Ernstfalle sei garnicht daran zu denken, daß auch nur ein kriegstüchtiger Mann zu Hause bleibe. Im Falle einer Kriegserklärung werde auch der letzte Mann heran⸗ gezogen werden. Die Nachbarstaaten hätten zu diesem Zweck schon eine Organisation eingeführt. Wenn man innerhalb fünf Jahren einen Krieg bekomme, so würden allerhöchstens 300 000 Mann mehr als gegenwärtig ins Feld geführt werden. Die kämen bei der kolossalen Masse, die man bei einem Kriege nach zwei Fronten ins Feld stelle, garnicht in Betracht. Man habe 1888 die Landwehr zweiten Aufgebots und den Landsturm organisirt, weil die französische
und russische Armee ähnliche Organisationen ins Leben gerufen hätten. Die neue militärische Organisation, nach welcher auch der letzte Mann herangezogen werde, gehe von einem Manne aus, der in seinen jüngeren Jahren nie eine Flinte getragen habe, nämlich von dem bürgerlichen französischen Kriegs⸗Minister Freycinet. Die Politik der Regierung habe Deutschland in eine außerordentlich gefahrdrohende Lage gebracht, und Deutschland müsse beim Ausbruch eines europäischen Krieges mit Aufbietung aller Kräfte kämpfen, wenn es in der Reihe der selbständigen Völker bleiben wolle. Nach Annahme dieser Vorlage könne man aber nicht die gesammten Kräfte der Nation heranziehen, auch nicht vom finanziellen Standpunkt. Wenn Deutschland in die Lage kommen solle, für den Fall der Gefahr mit den nöthigen Mitteln ausgerüstet zu sein, müsse es in der Friedenszeit seine Mittel nach Möglichkeit schonen. Diese Schonung sei aber nur möglich, wenn der alte Scharnhorst'sche Gedanke in vollem Umfange verwirklicht werde, und zwar auf derselben Basis, wie sie Scharnhorst habe durchführen wollen. Der Gedanke sei übrigens nicht dem Kopfe Scharnhorst's ent⸗ sprungen. Er sei schon vorhanden und praktisch durchgeführt gewesen in dem großen amerikanischen Befreiungskampf, sowie in dem Kampfe der jungen Französischen Republik fast gegen alle europäischen Staaten. Bei Durchführung des Scharnhorst'schen Gedankens seien alle drei Monate neue Rekruten eingezogen und dadurch Preußen in die Lage versetzt, im Kriege 1813 die entscheidende Rolle zu spielen. Preußen habe durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auch die anderen Staaten Europas gezwungen, sie einzuführen. Heute habe Deutsch⸗ land in dieser Beziehung keinen Vorsprung mehr; es bestehe nur noch ein quantitativer Unterschied in den Armeen. Wenn Deutschland wiederum einen wirklichen Vorsprung vor allen übrigen Staaten Europas haben solle, dann bleibe nichts Anderes übrig, als den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht in vollem Umfang zur Durchführung zu bringen und ein allgemeines Volksheer, eine Volksbewaffnung durchzuführen, wie seine Partei sie wünsche. Die Schweiz habe das Milizsystem, aber nicht die allgemeine Volksbewaffnung. Dennoch sei die schweizerische Wehrkraft von 408 000 Mann auch so schon höchst achtung⸗ ebietend. Es sei nothwendig, daß von frühester Jugend an die inder zu militärischen Uebungen in Verbindung mit den Turn⸗ übungen herangezogen würden. Auch in der bekannten Broschüre „Videant consules“ werde gesagt, daß der Gamaschendienst in hohem Grade eingeschränkt werden müsse, und es unterliege keinem Zweifel, daß dies möglich sei, wenn militärische Jugend⸗ erziehung eingeführt werde. Auch die Wirkungen in pdyläscher Hinsicht sprächen unter dem gegenwärtig herrschenden Riesen⸗ system gegen die Vorlage. Die Landbevölkerung stelle im Verhältniß etwa 3 ½ mal so viel zur Armee als die städtische. Dieser Zustand werde in demselben Maße ungünstiger werden, wie das Land sich immer mehr entvölkere und die Vndustriebevöerung zahlreicher werde.
Es sei dringend nothwendig, für eine gesunde physische Entwickelung
der Bevölkerung zu sorgen. Man brauche nicht nur gesunde Männer, sondern auch gesunde Frauen, die gesunde Kinder zur Welt bringen könnten. Eine gründliche, tief eingreifende Arbeiterschutzgesetzgebung müsse geschaffen und in höherm Grade für den Schutz der Arbeiter⸗ frau gesorgt werden. Man brauche ein kräftiges Geschlecht nicht nur zur Fortentwickelung des Staats, sondern für die Wehrfähigkeit der Nation, damit man im gegebenen Falle den äußersten An⸗ forderungen gerecht werden könne. Das sei aber bei dem gegen⸗ wärtigen System unmöglich. Die deutsche Bevölkerung sei um 12 Millionen größer als die Frankreichs und auch die Vermehrung der deutschen Bevölkerung sei verhältnißmäßig. Aber was Deutsch⸗ land vor Frankreich voraushabe, um das stehe es hinter Rußland zurück. Es bleibe nichts übrig, als zu dem Reservoir von Kräften zu greifen, das in der vollen allgemeinen Wehrpflicht liege, um so mehr, als das gegenwärtige Reservoir bei der Landbevölkerung immer mehr und mehr abnehme. Von den 65 000 Mann, die neu gefordert würden, werde wenigstens 45 — 50 000 Mann das platte Land zu stellen haben, den Rest die städtische Bevölkerung. Auch dieses Moment sollte Veranlassung sein, um einen Wandel von Grund aus herbeizuführen. Immer neue Lasten würden der Nation auferlegt, und dabei zeige eine Statistik der jüngsten Zeit, daß die Consumtionsfähigkeit und damit die Leistungsfähigkeit der Nation bedeutend abnehme. Für München ergebe diese Statistik, daß von 1889,91 die Zahl des verbrauchten Rindviehs um 18 000, der Kälber um 14 000, der Eier von 38 auf 36 Millionen gefallen sei, dagegen seien statt früherer 989 gegenwärtig 1755