1893 / 10 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 12 Jan 1893 18:00:01 GMT) scan diff

Ueber den Besuch Seiner Majestät des Kaisers in Straßburg und in Karlsruhe entnehmen wir den Berichten des „Wolff'schen Telegraphen⸗Bureaus“ noch folgende Mit⸗ theilungen:

Seine Majestät trafen, von Sigmaringen kommend, gestern Mittag gegen 1 Uhr in Straßburg ein, begaben Sich vom Bahnhof zu Pferde auf die Hauptwache, alarmirten die Gar⸗ nison und ritten nach dem Militärlazareth und von dort nach dem Exercirplatz beim Polygon. Eine überaus zahlreiche Menschen⸗ menge bewegte sich durch die Straßen und begrüßte Seine Majestät mit jubelnden Zurufen. Gegen 4 ½ Uhr kehrten Seine Majestät an der Spitze des 138. Infanterie⸗Regiments vom Holagc in die Stadt zurück. Die Straßen, welche Allerhöchstderselbe durchritt, hatten mittlerweile reichsten Flaggenschmuck angelegt; in denselben harrte trotz der Kälte eine dichtgedrängte Volksmenge, alle Fenster waren besetzt. Von begeisterten Zurufen begrüßt, ritten Seine Majestät nach dem Palast des Statthalters. Um 7 ½ Uhr fand hier ein Abendessen statt, welches die Fürstin Hohenlohe in Ab⸗ wesenheit des bei seinem erkrankten Bruder, dem Herzog von Ratibor, weilenden Statthalters zu Ehren Seiner Maje tät des Kaisers veranstaltete, und zu dem etwa 25 Personen, darunter die Generale von Blume, Ziegler und Lademann, ferner der Staatssecretär von Puttkamer, die Unter⸗Staatssecretäre von Schraut und von Koeller, sowie der Bürgermeister Back ge⸗ laden waren. Seine Majestät sprachen dem Staatssecretär von Puttkamer Seine Anerkennung und Befriedigung aus über den herzlichen und glänzenden Empfang bei Seiner völlig unerwarteten Ankunft und beauftragten ihn, der Straßburger Bevölkerung dies amtlich mitzutheilen.

Heute Morgen um 8 ½ Uhr reisten Seine Majestät mittels Sonderzugs von Straßburg ab und trafen um 10 ¼ Uhr in Karlsruhe ein. Seine Majestät hatten die Absicht gehabt, unterwegs bei Ettlingen eine Truppenübung abzu⸗ halten; doch war diese Uebung wegen des inzwischen ein⸗ getretenen Glatteises abgesagt worden. Bei der Ankunft in Karlsruhe wurden Seine Majestät von Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog und den Prinzen empfangen und auf das herzlichste begrüůßt. Seine Majestät fuhren darauf in Begleitung des Großherzogs durch die reichgeschmückten Straßen nach dem Schloß, woselbst die Begrüßung Seiner Majestät von Seiten der Fürstlichen Damen erfolgte.

Zur Begrüßung Seiner Majestät schreibt die „Karlsruher Zeitung“:

Am Donnerstag trifft Seine Majestät der Kaiser zu einem Besuch des Großherzoglichen Hofs in Karlsruhe ein. Es ist kein officieller Besuch, den Seine Majestät abstattet; wir theilten bereits mit, daß Allerhöchstderselbe Seinem Hiersein einen privaten Charakter gewahrt sehen will. Gerade in dieser Form des Kaiser⸗ lichen Besuchs kennzeichnen sich die herzlichen Beziehungen zwischen dem Kaiserlichen Hause und unserem Großherzoglichen Hofe, das freundschaftliche Verhältniß zwischen Kaiser und Großherzog. Dieses herzliche und vertraute Verhältniß zwischen dem Träger der Kaiserkrone und unserem Großherzog beruht schon auf einer Tradition unseres neuen Deutschen Reichs; mit den freund⸗ schaftlichen Empfindungen für unseren Großherzog, die darin zum Ausdruck kommen, daß der Erlauchte Monarch den Rück⸗ weg von Sigmaringen nach Berlin über Karlsruhe nimmt und hier den Nachmittang und Abend des Donnerstag verlebt, knüpft Seine Majestät der Kaiser an Gesinnungen Seines in Gott ruhenden Kaiserlichen Großvaters und Seines hoch⸗ seligen Vaters an. Das badische Volk begrüßt den Kaiser bei Seinem Erscheinen auf dem Boden unseres Heimathlandes, die Einwohner⸗ schaft Karlsruhes bewillkommnet den Hohen Gast des Großherzog⸗ lichen Hauses bei Seiner Ankunft in unserer Stadt mit ehrerbietiger und freudiger Huldigung. Dankbaren Herzens sehen wir, mit welchem hohen sittlichen Ernst und mit welcher rastlosen Thatkraft Kaiser Wilhelm Sich Seinem verant⸗ wortungsvollen Füeler Beruf hingiebt, überall Seine ganze Persön⸗ lichkeit für die Aufgaben einsetzend, die es zu lösen giebt, mit hellem Blick für die Forderungen der Zeit und mit der männlichen Energie eines echten Hohenzollern. Dem Hohen Gast unseres ge⸗ liebten Landesherrn, dem Schirmherrn des Friedens und dem Beschützer unserer nationalen Errungenschaften ruft Badens Residenzstadt ein freudiges Willkommen entgegen. Im vergangenen Jahre war die Hoffnung, den Kaiser hier begrüßen zu können, durch drohende Epidemiegefahr, die eine Aenderung der Manöveranordnungen herbeiführte, unerfüllt geblieben. Wir haben auch in diesem Ent⸗ schlusse Seiner Majestät einen Beweis der Fürsorge Allerhöchst⸗ desselben für das allgemeine Wohl erhalten. Nun der Jahres⸗ chronik des badischen Landes für 1893 vorbehalten geblieben, auf ihrem ersten Blatte einen Besuch des Deutschen Kaisers am Großherzoglichen Hofe eintragen zu dürfen. Mit der Wärme patriotischer Begeisterung, die stets eine Heimstätte in der Residenzstadt unseres der nationalen Sache von ganzem Herzen ergebenen Großherzogs gefunden hat, und mit Ver⸗ ehrung der hohen persönlichen Eigenschaften und Herrschertugenden, die Kaiser Wilhelm zieren, heißen wir den Erlauchten Mong⸗ Karlsruhe willkommen. 8

Heute Nachmittag trat der Bundesrath zu einer Plenarsitzung zusammen. Vorher tagten die vereinigten Aus⸗ schüsse für das Landheer und die Festungen, für das See⸗ wesen und für Rechnungswesen, sowie der Ausschuß für Justizwesen. 8

In letzter Zeit ist die Befürchtung laut geworden, daß die Einfuͤhrung der mitteleuropäischen Einheitszeit für den Nahverkehr der größeren Städte (besonders den Schul⸗ und Arbeiterverkehr) Erschwernisse mit sich bringen möchte, wenn nicht zugleich die Fahrpläne der Eisenbahnen den ver⸗ änderten Verhäͤltnissen angepaßt werden. Demgegenüber können wir mittheilen, daß die Königlichen Eisenbahn⸗ Directionen schon vor längerer Zeit Weisung erhalten haben, die erforderlichen Aenderungen der Fahrpläne für den Vorort⸗ und Localverkehr der größeren Städte nach Benehmen mit den zuständigen Localbehörden zum 1. April d. J. vorzusehen.

8 1u“ Nach der im Reichs⸗Eisenbahnamt aufgestelten Nach⸗ weisung über die im Monat November v. J. auf deutschen Bahnen (ausschließlich der bayerischen) bei den ö“”“; Verspätungen haben auf 36 größeren Bahnen „bezw. Bahnnetzen mit einer Gesammtbetriebslänge von 36 984,35 km von den fahrplanmäßigen Zügen überhaupt sich ver⸗ spätet: 781. . 1334 eee und 412 zur ersonen⸗ sowie zur Güterbeförderung gleichzeitig dienende Fersh zusammen 2527. Von den fahrplanmäßigen Züßen mit Personenbeförderung wurden geleistet: 14 810 163 2 kilometer, 279 887 571 Achskilometer gegen 15 328 083 Zug⸗ und 295 110 621 Achskilometer im Vormonat und gegen 14 692 031 Zug⸗ und 279 737 465 Achskilometer

in demselben Monat des Vorjahres. Von den Ver⸗ pätungen wurden 838 durch das Abwarten verspäteter An⸗ chlußzüge veranlaßt, sodaß den aufgeführten mnen nur 1689 Verspätungen sur Last fallen, gegen 1387 im Vormonat und 2312 in demselben Monat des Vorjahres. Von den auf eigener Bahn vorgekommenen ZI“ entfallen auf 1 Million Zugkilometer 114, 1. Million Achskilometer 6, mithin 8 1 Million Zugkilometer 43 = 27 v. H. weniger als im Monat November des Vorjahres und 34 = 23 v. H. weniger als im Vormonat, und auf 1 Million Achskilometer 2 = 25 v. 9 weniger als im Monat November des Vorjahres und ebenfalls 25 v. H. weniger als im Vormonat. Infolge der Verspätungen wurden 1563 An⸗ chlüsse versäumt (gegen 2245 in demselben Monat des Vor⸗ jahres und 1920 im Vormonat). Bei 7 Bahnen sind Zug⸗ verspätungen und bei 9 Bahnen Anschlußversäumnisse nicht vorgekommen. In der Nachweisung sind die Bahnen, auf denen Zugverspätungen vorkamen, nach der Verhältniß⸗ ahl (geometrisches Mittel) zwischen der Anzahl der von den EEEö. der Personenbeförderung dienenden Zügen auf 1 Million Zugkilometer und der auf 1 Million Achs⸗ kilometer entfallenden eigenen Verspätungen Danach nehmen die Kiel⸗Eckernförde⸗Flensburger Bahn, die Neustrelitz⸗ Warnemünder Bahn und die Main⸗Neckar Bahn die un⸗ günstigsten Stellen ein. Wird die Reihenfolge der Bahnen statt nach der Anzahl der Verspätungen nach der Anzahl der Anschlußversäumnisse bestimmt, so treten die Neustrelitz⸗Warne⸗ münder Bahn, die Main⸗Neckar Bahn und die Bahnen im Bezirk der Königlichen Eisenbahn⸗Direction zu Erfurt an die ungünstigsten Stellen.

Nach der im Reichs⸗Eisenbahnamt aufgestellten Nach⸗ weisung der auf deutschen Eisenbahnen aus⸗ schließlich Bayerns im Monat November 1892 beim Eisenbahnbetriebe (mit Ausschluß der Werkstätten) vor⸗ gekommenen Unfälle waren im ganzen zu verzeichnen: 5 Entgleisungen und 4 Zusammenstöße auf freier Bahn, 20 Entgleisungen und 19 Zusammenstöße in Stationen und 241 sonstige Unfälle (Ueberfahren von Fuhrwerken und andere Ereignisse beim Eisenbahnbetriebe, sofern bei letzteren. Personen getödtet oder verletzt worden sind). Bei diesen Unfällen sind im ganzen, und zwar größtentheils durch eigenes Verschulden, 273 Personen verunglückt, sowie 12 Eisenbahnfahrzeuge erheblich und 114 unerheblich beschädigt. Von den beförderten Reisenden wurden 5 getödtet und 16 ver⸗ letzt, und zwar entfallen: zwei Tödtungen auf die Groß⸗ herzoglich badischen Staatseisenbahnen, je eine Tödtung auf die Königlich württembergischen Stantseisenbahnen und die Verwaltungsbezirke der Königlichen Eisenbahn⸗Directionen zu Köln (linksrheinische) und Magdeburg, je sechs Verletzungen auf die Main⸗Neckar⸗Eisenbahn und den Verwaltungsbezirk der Königlichen Eisenbahn⸗Direction zu Köln (links⸗ rheinische), je eine Verletzung auf die Großherzoglich badischen Staatseisenbahnen und die Verwaltungsbezirke der Königlichen Eisenbahn⸗Directionen zu Hannover, Magdeburg und Berlin. Von Bahnbeamten und Arbeitern im Dienst wurden beim eigentlichen Eisenbahnbetriebe 31 getödtet und 180 verletzt, von Steuer⸗ ꝛc. Beamten einer getödtet und einer verletzt, von fremden Personen (ein⸗ schließlich der nicht im Dienst befindlichen Bahnbeamten und Arbeiter) 17 getödtet und 22 verletzt. Außerdem wurden bei Nebenbeschäftigungen 39 Bahnbeamte und Arbeiter verletzt. Von den sämmtlichen Unfällen beim Eisenbahnbetriebe entfallen auf: A. Staatsbahnen und unter Staatsverwal⸗ tung stehende Bahnen (bei zusammen 34 320,25 km Betriebslänge und 987 881 970 geförderten Achskilometern)

262 Fälle, davon sind verhältnißmäßig, d. h. unter Berück⸗

sichtigung der geförderten Achskilometer und der im Betriebe

ewesenen Längen, bei der Main⸗Neckar⸗Eisenbahn und in 8 Verwaltungsbezirken der Königlichen Eisenbahn⸗Direc⸗ tionen zu Köln (rechtsrheinische) und Altona die meisten Un⸗ fälle vorgekommen. B. Privatbahnen (bei zusammen 2529,44 km Betriebslänge und 31 163 672 geförderten Achs⸗ kilometern) 27 Fälle, davon sind verhältnißmäßig bei der Hessischen Ludwigs⸗Eisenbahn, der Braunschweigischen Landeseisenbahn und der Werra⸗Eisenbahn die meisten Unfälle vorgekommen.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich sächsische Kriegs⸗Minister, General⸗Lieutenant von der Planitz ist hier eingetroffen. 8

Sigmaringen, 11. Januar. Der König von Rumänien sowie sämmtliche noch anwesende Fürstlich⸗ keiten nahmen laut Meldung des „W. T. B.“ Nachmittags 1 Uhr bei dem neuvermählten Paar in Krauchenwies das Frühstück ein. b

Württemberg.

Beide Kammern hielten gestern Sitzungen ab. Die Kammer der Standesherren wählte zum Vice⸗Präsidenten den Fürsten zu Hohenlohe⸗Langenburg, die Kammer der Abgeordneten zum Präsidenten den Abg. von Hohl.

Hessen.

Ihre Königlichen Hoheiten der Herzog und die Her⸗ zogin von Connaught sind der „Darmst. Ztg.“ zufolge gestern von Sigmaringen in Darmstadt eingetroffen. Ihre Königlichen und Kaiserlichen Hoheiten der Herzog und die Herzogin von Edinburg nebst den Prinzessinnen⸗Töchtern Victoria, Alexandra und Beatrice werden morgen erwartet. 1““

Sachsen⸗Meiningen. Der Landtag hat am 10. d. M. seine Sitzungen wieder aufgenommen

Oesterreich⸗Ungarn.

In der gestrigen Sitzung des ungarischen Unter⸗ hauses erklärte dem „D. B. H.“ zufolge der Minister des Innern Hieronymi mit Bezug auf die von mehreren Ab⸗ geordneten angeregte Parlamentsreform: Ungarn besitze bereits ein Normalbudget; das Gleichgewicht im Staatshaushalt sei hergestellt, die Budgetberathung, die Monate lang dauere, müsse daher verkürzt werden. Den Census von 1874 aufrechtzuerhalten, sei weder gerecht noch

zweckmäßig. Der Census müsse auf gleichmäßiger Basis fest⸗ gestellt werden, weshalb die Ungleichheiten behoben werden müßten. Zu diesem Zweck habe er bereits die Ausarbeitung einer Statistik der einschlägigen Verhältnisse angeordnet. Die Ansicht, daß auch politische Rücksichten bei Feststellung des Census, namentlich mit Bezug auf die Nationalitäten, maßgebend seien, konnte Redner nicht theilen; für die Regierung sei nur Recht und Gerechtigkeit richtunggebend. Die ungarische Nation und die ungarische Staatsidee würden dadurch nichts verlieren, denn der außerordentliche Fortschritt des Ungarthums werde eine derartige Zunahme der ungarischen Stimmen zur Folge haben, daß es stark genug sein werde, etwaige Gegenbestrebungen zu paralysiren. Der Abg. Eoetvoes forderte die Ausdehnung des Wahlrechts auf die Arbeiter. Der Abg. Beoethy sprach gegen die Herabsetzung des Census, weil das Land in der Hand der Mittelklasse bleiben solle.

Wie Wiener Blättern aus Prag gemeldet wird, wurde im Neutitscheiner Landgemeindebezirke statt des zurückgetretenen Abg. Nedella der deutschliberale Candidat Dr. Fux mit 20 Stimmen Majorität gewählt. Sein Gegencandidat war der Conservative Graf Stolberg.

Der langwierige, auch im Abgeordnetenhause erörterte Streit wegen der Aufschrift auf der Pohorelitzer Land⸗ wehrkaserne in Prag wurde in der Stadtrathssitzung vom 10. d. M. durch die Annahme des Antrags erledigt, die Kaserne ohne Aufschrift dem Militär⸗Aerar zu übergeben.

Die Gemeindevertretung von Wrschowitz hat, ent⸗ sprechend dem Beschluß vom 5. Dezember, mit dem 1. d. M. die Steuereinhebung im übertragenen Wirkungskreise ein⸗ gestellt.

Großbritannien und Irland.

Zu Ehren der Vermählung der Prinzessin Maria von Edinburg wurden, der „A. C.“ zufolge, vorgestern auf höheren Befehl die in Portsmouth, Spithead und Cowes befindlichen Kriegsschiffe mit Flaggen und Gewinden festlich geschmückt und ein Salut gefeuert.

In einer am vergangenen Sonntag in Newcastle ab⸗ gehaltenen Versammlung erklärte der Minister für die Colonien Marquis Ripon, daß kein Grund zur Entmuthigung vorhanden sei und daß die Anhänger des jetzigen Ministeriums vertrauensvoll der kommenden Session entgegensehen könnten. Er warne das Oberhaus davor, durch Widerstand gegen die beabsichtigten Maßregeln eine Opposition gegen sich zu ent⸗ fesseln. Die Regierung wisse, was sie für den Fall des Wider⸗ standes des House of Lords zu thun habe. Sie würde diesem das unconstitutionelle Recht, die Auflösung des Unterhauses zu verlangen, nicht zuerkennen und werde dann den Weg einschlagen, den sie im Interesse des Volks für den besten halte. Käme es aber soweit, daß schließlich doch wieder zur Entscheidung des englischen Volks zurückgegriffen werden müsse, so sei die Re⸗ gierung der Antwort sicher, welche dieses auf die Frage geben werde, ob es dem House of Lords gestatten wolle, sich zwischen den Willen des Volks und dessen Ausführung zu stellen.

Frankreich.

Das neue Ministerium ist noch nicht defintiv con⸗ stituirt, da einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge der Admiral Gervais die Uebernahme des Ministeriums der Marine abgelehnt hat. Im übrigen sind die Portefeuilles wie folgt vertheilt: Ribot Präsidium und Inneres, Develle Auswärtiges, General Loizillon, bisher commandirender General des I. Armee⸗Corps, Krieg, Bourgeois Justiz, Dupuy. Unterricht, Siegfried Handel, Viette öffentliche Arbeiten, Viger Ackerbau, Tirard Finanzen. Vorläufig wird Ribot auch das Marine⸗Ministerium übernehmen, das dem Com⸗ mandanten des Nordgeschwaders, Admiral Leféêvre angeboten worden ist, dessen Entscheidung aber noch aussteht. Das Unter⸗ Staatssecretariat der Colonien ist wieder dem Handels⸗ Ministerium unterstellt worden. M

Die neuen Minister waren gestern Nachmittag um 5 Uhr zu einer Sitzung versammelt. Der Präsident Carnot unterzeichnete die Ernennungsdecrete. Wie die Blätter melden, wird die Regierung eine Programm⸗ Erklärung in den Kammern nicht abgeben, sich vielmehr darauf beschränken, Aufschlüsse zu geben, wenn eine Inter⸗ pellation eingebracht werden sollte. Wie weiter ver⸗ lautet, will der Deputirte Hubbard sofort nach Con⸗ stituirung des neuen Cabinets dieses darüber inter⸗ pelliren, ob es nicht willens sei, den Termin zur Vornahme der allgemeinen Wahlen auf einen früheren Fühunft zu verlegen. Die Regierung wird die sofortige

erathung dieser Interpellation annehmen und erklären, daß die Auflösung der Kammer zu den Prärogativen des Senats gehöre. 1

Wie es heißt, hat Finanz⸗Minister Tirard einen Gesetz⸗ entwurf ausgearbeitet, durch den eine Steuer auf Börsen⸗ operationen gelegt wird, um durch deren Ergebniß den Ausfall der 22 Millionen zu decken, den die Reform der Ge⸗ tränkesteuer zur Folge hat.

Der Minister⸗Präsident Ribot empfing gestern Nach⸗ mittag den Besuch des britischen Botschafters Lord Dufferin, der erklärte, die Mission Sir West⸗Ridgeway's nach Marokko habe nicht den von der Presse behaupteten Charakter. Das englische Cabinet sei dabei von keinem, dem gemeinsamen Interesse nicht entsprechenden Gesichtspunkte ge⸗ eitet worden. in allen Europa interessirenden Fragen mit Frankreichs in Marokko zu verständigen.

Der Senat wählte gestern seine bisherigen Vice⸗Präsi⸗ denten und Quästoren wieder. Präsident Leroyer hielt eine kurze Ansprache, worin er erklärte, individuelle Vergehungen könnten nicht der Republik zur Last gelegt werden. b

Die Deputirtenkammer wählte drei bisherige Vice⸗ wieder und ersetzte Casimir Périer durch Felix

aure.

Wie nunmehr verlautet, Franqueville am vergangenen Sonntag Freycinet und Floquet als Zeugen vernommen. Gerichtshofes in dem Panama⸗Prozeß begann kurz nach 12 Uhr. Der Zuschauerraum war überfüllt. Der P verhörte Fontanes, der erklärte, er sei bis 1885 beauftrag gewesen, die Verbindungen der Panama⸗Gesellschaft mit der Presse zu unterhalten, von dieser Zeit ab sei er nur der Geheimsecretär von Lesseps gewesen. sicherte, er habe bis zum Jahre 1885 nur 60 000 Fr. an die Presse vertheilt. Cottu erklärte bei seiner Vernehmung, da er mit den äußeren Angelegenheiten der Panama⸗Gesellschaft nichts zu thun, sondern nur den inneren rein w.ee. Dienst zu versehen gehabt habe. Der Präsident vernahm sodann den Angeklagten Eiffel in Betreff der Summen von je

dem Vertreter

Ridgeway habe die Instruction erhalten, sich

hat der Untersuchungsrichter

Die gestrige Sitzung des

räsident Bernt;

Fontane ver⸗

zwei Millionen, welche er an den Director des „Temps“ Hebrard, an Reinach und an einen Unternehmer aus⸗ bezahlt habe. Eiffel antwortete, er habe des Einflusses und der Unterstützung dieser drei Personen, sei es als Unter⸗ nehmer, sei es als Banquiers, für das Gelingen des Unter⸗ nehmens bedurft. Wegen der 18 Millionen befragt, welche Eiffel für seine Arbeiten erhalten, die nicht vollständig aus⸗ geführt wurden, erwiderte er, er habe dieses Geld in Gemäßheit seines Vertrages und als Compensation für ganz zufällige, nicht vorherzusehende Ausgaben behalten. Der Präsident erklärte, ein Plcher Vertrag hätte annullirt werden müssen. Hierauf wurde zur Vernehmung der Zeugen geschritten. Der Experte Flory erläuterte sodann die Schlußfolgerungen seines Berichts dahin, daß Eiffel 33 Millionen auf seine be⸗ züglichen Unternehmungen in Föcbs h genommen, davon aber nur etwas über vier oder fünf Millionen auf Arbeiten und ebensoviel als Commission an seine Theilnehmer verwendet habe. Nach längeren Erörterungen zwischen dem Präsidenten und dem Experten über die Rolle der Unternehmer wurde die Sitzung 1 heute vertagt.

Die „Cocarde“ behauptet, Barhaut habe vor dem Unter⸗ suchungsrichter erklärt, daß er die Veröffentlichung des von dem Ingenieur Rousseau erstatteten Berichts auf den Rath des damaligen Finanz⸗Ministers Carnot verhindert habe. Dieser habe gesagt, die Veröffentlichung würde die Emission der Panamaloose unmöglich machen. Diese Erklärung Baihaut's sei, wie die „Cocarde“ hinzufügt, erst nach lebhafter Discussion protokollirt worden. Eine der „Agence Havas“ zur Verbreitung zugegangene Note erklärt diese Behauptungen für durchaus falsch. Carnot habe damals von dem Bericht Rousseau's nur dasjenige gekannt, was ihm davon durch Balhaut im Ministerrath mitgetheilt worden sei, und habe keinerlei Meinung über die Veröffentlichung dieses Documents abzugeben gehabt.

Die Panama⸗Untersuchungscommission beschloß, sich mit den Emissions⸗Syndicaten für die Panamaloose und mit den Machenschaften der Unternehmer zu beschäftigen, um festzustellen, ob Parlamentsmitglieder bei diesen Emissionen und diesen Machenschaften betheiligt gewesen seien.

Die „Union socialiste“ veröffentlicht ein in heftigen Ausdrücken abgefaßtes Manifest, worin es heißt, der Oppor⸗ tunismus gehe zu Grunde an dem in Fourmies vergossenen Blut und an den Panama⸗Bons, die das Vaterland und die Republik zu zerstören drohten. Rettung könne nur von den Arbeitern kommen und von der Organisation einer Volks⸗ regierung vermittels des allgemeinen Stimmrechts. Am nächsten Sonnabend soll ein großes Volksmeeting zur Ratifi⸗ cation dieses Manifestes stattfinden.

Ein Telegramm des Generals Dodds besagt, er habe einen Ausflug nach Groß⸗Popo unternommen und überall eine gute Aufnahme gefunden. Vier Agenten des Königs von Dahomey sind in Wyddah verhaftet worden. Aus der Umgebung des Königs verlautet, daß er über seine Heltung in nächster Zeit noch unentschlossen sei. Er habe nur mehr 2000 Personen in seiner Umgebung, unter denen nur eine kleine Anzahl Krieger seien.

8 B“

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v1““ 1“ 8 Der Ministerrath hat sich in seiner gestrigen Sitzung einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge mit der marokkanischen Frage beschäftigt und beschlossen, den Status quo energisch aufrecht zu halten. 1

Belgien.

Der Minister⸗Präsident Beernaert hat, der „Magd. Ztg.“ zufolge, in der gestrigen Sitzung des Perfasfunce⸗ ausschusses erklärt, die Regierung werde dem König die h,1. g des Parlaments vorschlagen, falls der von 5” egierung vorgelegte Wahlreformentwurf abgelehnt werden ollte.

Die Brüsseler liberale Vereinigung hat, wie „W. T. B.“ meldet, in einer vorgestern veranstalteten allge⸗ meinen Versammlung, in der die Anträge der Regierung über die Verfassungsrevision geprüft wurden, einstimmig cec Resolution angenommen: Die Vereinigung hält dafür, daß die Vorschläge der Regierung als Grundlage für ein patriotisches Einvernehmen zwischen den Parteien nicht in Erwägung gezogen werden können. Sie sind offenbar aus der Feindschaft gegen den demokratischen Libera⸗ lismus entsprungen und müssen daher durch die verschiedenen, für diese politische eintretenden Organe mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der Propaganda und Polemik bekämpft werden.

Der bisherige Staatssecretär des Finanzamts des Congo⸗ staats Camille Janssens hat, wie die „Köln. Ztg.“ er⸗ fährt, die vor längerer Zeit 8S. Entlassung erhalten; der Staatssecretär des Innern Van Eetvelde übernimmt vorläufig die Leitung des Finanzamttes. 8

Serbien.

Anläßlich der in Semendria und Zajecar bei den Wahlen vorgekommenen Ruhestörungen ssiehe die gestrige Nummer des „R.⸗ u. St.⸗A.“) sind dem „W. T. B.“ zufolge zahlreiche Verhaftungen vorgenommen worden.

Amerika.

Auf Grund des vom Senat angenommenen Gesetzent⸗ wurfs über die Quarantäne werden, wie „W. T. B.“ aus Washington berichtet, alle Konsuln in den vom Schatz⸗ secretär zu bezeichnenden Häfen und Städten angewiesen werden, wöchentlich über den Gesundheitszustand dieser Städte Bericht zu erstatten.

„„ Die Commission des Repräsentantenhauses

über den Gesetzentwurf wegen Verminderung resp. Auf⸗

hebung der m onatlichen Silberankäufe ihrerseits einen zustimmenden Bericht erstattet. Die Bill wurde auf die Tages⸗

ordnung gesetzt.

Der „Times“ wird aus Philadelphia gemeldet, der Ge⸗ sezentwurf wegen Verbots der Einwanderung auf ein Jahr sei aufgegeben worden.

8 Nach einer Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ aus

Buenos⸗Aires hat der als Vermittler zwischen den Auf⸗

kändischen und den Gouverneurtruppen nach der Provinz

Lorrientes entsandte Avellaneda den Kämpfen bei Santa Lucia ein Ende gesetzt und das Commando der

Cruppen des Gouverneurs übernommen. T

1 in (Eh 1b Bei San Totome bell ein Gefecht zwischen der Bundescavallerie und den Re⸗ B b 8 statt. Letztere wurden mit einem Verlust von 50 Mann an Todten und Verwundeten aus ihrer Stellung vertrieben.

Afrika. b

Das „Reuter'sche Bureau“ meldet aus Tanger, daß drei maurische Nachtwächter der Ermordung des englischen Unterthanen Trinidad beschuldigt und gestern Abend durch den Bascha von Tanger bis zum Ein⸗ treffen weiterer Instructionen aus Fez in Haft genommen worden sind. Die „Times“ sieht dies als den ersten Erfolg der von Lord Rosebery gegenüber Marokko angenommenen entschiedenen Haltung an und bemerkt, der englische Specialgesandte Ridgeway werde auf seiner Reise nach Tanger von einem ausreichenden Aufgebot an Seemacht begleitet sein; andernfalls würden die Mauren gleich anderen im Niedergang befindlichen Völkerschaften sich einbilden, England beabsichtige keine ernstlichen Schritte zu thun. Dieses Aufgebot an Seemacht werde jedoch keinen dauernden Charakter haben. Bei den Unterhandlungen mit dem Sultan von Marokko werde Ridgeway nicht die Initiative ergreifen, sondern die Anerbietungen des Sultans abwarten. Die letzteren würden angesichts des entschiedenen Vorgehens Englands nicht auf sich warten lassen.

Parlamentarische Nachrichten

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w“ Deutscher Reichstag. 8 3 Der Bericht über die 18. Sitzung vom 11. Januar be⸗ findet sich in der Ersten Beilage.

19. Sitzung vom Donnerstag, 12. Januar, 1 Uhr.

Der Sitzung wohnen bei der Reichskanzler Graf von Caprivi sowie die Staatssecretäre Dr. von Boetticher, Freiherr von Marschall und Freiherr von Berlepsch.

Auf der Tagesordnung steht die Interpellation der Abgg. Singer und Auer (Soc.):

„Welche Maßregeln haben die verbündeten Regierungen ergriffen oder gedenken sie zu ergreifen, um dem notorisch vorhandenen Noth⸗ stande entgegenzuwirken, welcher infolge andauernder Arbeitslosigkeit, vielfach vorgenommener Herabsetzung der Arbeitslöhne sowie der all⸗ gedrückten Erwerbsverhältnisse in den weitesten Volkskreisen herrscht?“ 1

erklärt Staatssecretär Dr. von Boetticher sich sofort zu beantworten.

Zu ihrer Begründung erhält das Wort der

Abg. Liebknecht (Soc.): Ich habe wohl nicht nöthig, für die Begründung der Interpellation einen längeren Vortrag zu halten. Der Nothstand besteht, er ist notorisch, und wenn auch an einigen Stellen behauptet ist, unsere Interpellation habe lediglich den Zweck, neue Gelegenheit zur Erzeugung von Unzufriedenheit und zur Agitation zu geben, so hat doch der größte Theil der Presse in diesen Ton nicht ein⸗ gestimmt. Ich erwähne bloß, daß etwa zwölf größere deutsche Communen sich entschlossen haben, außerordentliche Mittel zu ergreifen, um der Noth der Arbeitslosen zu steuern; ich weise hier auf die zahllosen Versammlungen von Arbeitslosen aller Orten, auf den ganz beträchtlichen Rück⸗ gang des Fleischconsums und des Consums zahlreicher sonstiger Volks⸗ nahrungsmittel, während der Genuß minderwerthigen Fleisches gleich⸗ zeitig zugenommen hat. Diesem Nothstand abzuhelfen, sind alle öffentlichen Körperschaften berufen und verpflichtet; wie die Communen wenigstens zum theil das Ihrige thun, so werden es auch die einzelnen Staaten und so muß es auch das Reich; nicht bloß als Arbeitgeber, sondern auch als politische Potenz. Wir haben es nicht mit einer deutschen, sondern mit einer internationalen Erscheinung zu thun, nicht nur mit vorübergehenden, sondern mit Ver⸗ hältnissen, welche sich ganz gleichmäßig in allen Cultur⸗ staaten und zwar seit geraumer Zeit geltend machen.

Es handelt sich auch nicht um zufällige, sondern um aus dem gegen⸗ dwͤrtigen wirthschaftlichen Organismus mit Nothwendigkeit hervor⸗ gehende Erscheinungen. Darum hat das Reich die Pflicht, bei der Abhilfe die Initiative zu ergreifen. In England haben Arbeitslosen⸗Versammlungen stattgefunden, so groß und größer als bei uns; ebenso in Amerika, in Spanien, in Portugal u. s. w. Diese Zustände hat die heutige bürgerliche Gesellschaft erzeugt. Niemand kann sagen, wann diese letzte wirthschaftliche Krisis angefangen hat oder wann sie enden wird; sie ist eben eine chronische Gesellschaftserscheinung geworden. Die freie Concurrenz hat eine geordnete Production unmöglich gemacht; statt dessen haben wir den Kampf Aller gegen Alle, die Vernichtung des kleinen Kapitals durch das Großkapital, die Vernichtung auch des ittel⸗ standes. Die vollkommensten Maschinen leisten jetzt un⸗ endlich mehr mit weniger Arbeitern, als früher mit viel Arbeitern geleistet wurde. Die Vervollkommnung der Ma⸗ schinen macht immer neue Arbeiterschaaren brotlos. In Deutschland giebt es zur Zeit 400 000 Schuhmacher; wenn die in Amerika schon in Gebrauch befindlichen Maschinen zur Schuhfabrikation hinüber⸗ gekommen sein werden, werden von dieser Zahl in zehn Jahren drei Viertel entbehrlich geworden sein. Dasselbe gilt von der Entwickelung der Baumwollenindustrie in England Wie dieser Prozeß der Vernichtung des Mittelstandes und des 1en- Gewerbes durch Großkapital und große Betriebe auch von deutschen gut conservativen Ie danacn zugestanden wird, dafür brauche ich bloß auf die „Leipziger Zeitung“ zu verweisen. (Redner citirt die betreffenden Ausführungen.) Wenn man demgegenüber behauptet, die Verbilligung der Elektrizität werde auch dem kleinen Manne ermöglichen, sich emporzu⸗ arbeiten, so ist das ein sehr großer und verhängnißvoller Irrthum, der auch schon Geltung hatte, als die Nähmaschine erfunden wurde, die nicht zum Emporarbeiten, sondern bloß zu weiterer Ueberproduction geführt hat. Dieser Vernichtun sprozeß macht sich auch in der Landwirth⸗ schaft ganz bedeutend fühl bar; eine große Zahl von kleineren Bauern⸗ gütern ist im Laufe der letzten zehn Jahre verschwunden, und die Zahl der Arrondirungen nimmt täglich zu, ein immer größeres Areal concentrirt sich in den Händen weniger Großgrund⸗ esitzer. Die noch selbständigen kleineren Güter befinden s. in den Händen der Hypothekengläubiger. Die amerikanische Statistik ergiebt, daß sich die Hypothekenschulden der Farmer auf zehn Millionen Dollars belaufen, eine Thatsache, welche denjenigen zu denken geben wird, welche immer behaupten, in Deutschland sauge der Jude die Bauern aus. (Schluß des Blattes.)

Preußischer Landtag. 8

HSHaus der Abgeordneten.

Der Bericht über die 12. Sitzung vom 11. Januar befindet sich in der Ersten Beilage.

13. Sitzung vom Donnerstag, den 12. Januar.

Der Sitzung wohnen der Justiz⸗Minister Dr. von Schelling, der Finanz⸗Minister Dr. Miquel und der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse bei.

Auf der steht zunächst die Entgegen⸗ nahme von orlagen der Königlichen Staats⸗ regierung. Der Finanz⸗Minister Dr. Miquel über⸗ reichte dem Hause die allgemeine Rechnung für 1889/90, die Uebersicht der Einnahmen und Aus⸗ gaben für 1891/92, den Gesetzentwurf, betreffend die Deckung der Ausgaben des Jahres 1891/92 und die beiden

bereit

Gesetzentwürfe, betreffend die Feststellung des Staats haushalts⸗Etats für 1893/94 und betreffend die Er⸗ gänzung der Einnahmen in diesem Etat. (Die Rede des Ministers, mit der er die Vorlagen einbrachte, werden wir morgen im Wortlaut wiedergeben; eine Uebersicht des Etat veröffentlichen wir in der Ersten Beilage dieser Nummer auf der vierten Seite.)

Alsdann wurde auf Antrag des Abg. Stengel (freicons. an Stelle des verstorbenen Abg. von Meyer⸗Arnswalde der Abg. von Manteuffel zum Mitgliede der Statisttischen Central⸗Commission gewählt.

Die Vorlage wegen Aufhebung der Stolgebühren im Bezirke des Consistoriums Cassel wurde in dritter Be⸗

rathung endgültig und darauf noch die Vorlage über den Vorsitz im Kirchenvorstande der kathölischen Kirchen⸗ gemeinden in dem Geltungsbereiche des rheinischen Rechtes in zweiter Berathung genehmigt... 88

Schluß 1 ½ Uhr. Nächste Sitzung Freitag, 11 Uhr Auf der Tagesordnung stehen: die dritte Berathung des Ge setzes über den Vorsitz im Kirchenvorstande der katholischen Kirchengemeinden in dem Geltungsbereiche des rheinischen Rechts und die erste Berathung des Gesetzentwurfs über Aenderung des Wahlverfahrens.

Die Militärcommission des Reichstags trat, wie wi einem Bericht der „N. A. Z.“ entnehmen, sesterm Abend unter den Vorsitz des Abg. Freiherrn von Manteuffe zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Mit dem Reichskanzler Grafen Caprivi waren die Staatssecretäre Dr. von Boetticher und Freiherr von Marschall, der preußische und der sächsische Kriegs⸗Minister der bayerische Militärbevollmächtigte, sowie zahlreiche Offiziers und Commissarien des Bundesraths erschienen. Auf Vor⸗ schlag des Vorsitzenden wurde beschlossen, zwei Lesungen abzuhalten und zunächst in eine Generaldiscussion einzutreten. Die Sitzung wurde ganz durch einen Vortrag des Reichskanzlers ausgefüllt. Freitag Abend soll die Berathung fortgesetzt werden. 1

Die VIII. Commission des Reichstags zur Vor⸗ berathung des Entwurfs eines Gesetzes über Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, des Gerichtsver⸗ fassungs⸗Gesetzes und des Gesebes vom 5. April 1888, betref⸗ fend die unter Ausschluß der Oeffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlungen besteht aus folgenden Mitgliedern: Rintelen (Vorsitzender), Dr. Giese (Stellvertreter des Vorsitzenden), Bebel, Dr. Endemann, Gröber (Schriftführer), Baron von Gustedt⸗ Lablacken, Haußmann (Schriftführer), Dr. Höffel, von Holleuffer (Schriftführer), Dr. Horwitz, Letocha, Munckel, Dr. Pieschel,. Dr. Porsch, Fürst Radziwill, Schröder, Spahn, Stadthagen (Schrift⸗ führer), Dr. Stephan, Stöcker, Traeger.

„— In der Budgetcommission des Reichstags wurde heute zunächst das Extraordinarium des Etats des Reichsamts des Innern durchweg nach den Ansätzen der Regierungsvorlage ge⸗ nehmigt. Demnächst stand der Etat des Auswärtigen Amts zur Berathung.

Der Präsident des Herrenhauses Herzog von Ratibor war bereits im Herbst an einer Lungenentzündung erkrankt. Nach eingetretener Besserung erlitt er im Dezember einen Rückfall. In der letzten Woche hatte sich sein Befinden derart verschlimmert, daß seine Kinder und Brüder an das Krankenlager berufen werden mußten: doch ist, wie die „Bresl. Ztg.“ erfährt, seit Sonntag eine merkliche Wendung zum Bessern eingetreten. 1

Steuerreformcommission des Haufes der Abgeordneten setzte gestern Abend die Berathung des Gesetz⸗ entwurfs über Aufhebung directer Staatssteuern fort. § 1 wurde ohne Debatte gegen eine Stimme (Dr. Meyer, dfr.) angenommen. Bei § 2 (Aufhebung der Bergwerksteuer) entspann sich eine längere Debatte darüber, ob nicht auch die privaten e aufzuheben seien. Schließlich wurde die Regierungsvorlage angenommen mit einem Amendement von Zedlitz, welches den Ehagehs des Paragraphen so formulirt: „Ferner werden außer Hebung gesetzt“, statt der Worte der Regie⸗ rungsvorlage: „Aufgehoben werden“. Ein von den Abgg. von Eynern, Dr. Friedberg und Genossen neu beantragter § 2a, der be⸗ zweckt, die im Einkommensteuergesetz geschaffene Doppelbesteuerung des Einkommens aus Actien zu beseitigen, wurde nach sehr langer Debatte, in welcher der Vorschlag durch den Finanz⸗Minister Dr. Miquel bekämpft wurde, gegen die Stimmen der Nationalliberalen und Freisinnigen abgelehnt. Die §§ 3 und 4 der Regierungsvorlage (Fortführung der Veranlagung der Grund⸗, Gebäude⸗ und Gewerbesteuer) blieben unverändert Heute Abend wird die Berathung fortgesetzt. 1

Kunst und Wissenschaft.

Der Humorist Daniel Spitzer ist nach M B.“ gestern in Meran gestorben. g

Theater und Musik.

8 Wallner⸗Theater.

Als Gastvorstellung des Lessing⸗Theaters wurde gestern Abend das Lustspiel „Der Probepfeil“ von Oskar Blumenthal gegeben und fand eine recht freundliche Aufnahme. Das ge⸗ schickt angelegte Stück ist von dem Verfasser mit soviel Geist und Humor ausgestattet, daß es bei erträglichem Spiel seinen Eindruck nie verfehlen wird. Die Hauptwirkung des Werks liegt bekanntlich in dem Kampf, den der Baron von der Egge, der das Glück seines Neffen durch eine Verbindung mit der Comtesse Beate Dohnegg begründen will, gegen die intrigante Hortense von Walnack, die den jungen Mann in ihren Schlingen festzuhalten sucht, siegreich durchführt. Herr Waldow gab den ältlichen welterfahrenen Baron mit dem ihm eigenen Anstand. Bei aller Schärfe des Kampfes läßt er sich doch nie einen Verstoß gegen die Pflichten der Höflichkeit zu schulden kommen und auch, wenn er im Kampfe zu unterliegen fürchten muß, bewahrt er seine überlegene Ruhe. Hortense von Walnack wurde von Fräulein Detschy dargestellt. Sie betonte vielleicht die Intrigantin zu Ungunsten der Dame von Welt etwas zu sehr, fand sich aber sonst sehr geschickt mit der Rolle ab. Das junge Paar wurde von Fräulein Wagen und Herrn Prechtler gegeben. Wenn man auch die Leistung des Fräulein Wagen nicht als eine her⸗ vorragende bezeichnen kann, weil es ihr zur Darstellung einer solchen Rolle an Wärme der Empfindung fehlt, so kann man ihr doch die Anerkennung nicht versagen, daß sie im Ensemble des Lessing⸗Theaters bereits viel zugelernt hat und darum zu der Hoffnung auf weitere Vervollkommnung berechtigt. Der Pianist Krasinsky, der als schwindel⸗ hafter Komödiant nach der Hand der wohlhabenden Comtesse strebt. fand in Herrn Schönfeld einen sehr humorvollen Vertreter. Herr Eckert zeigte in der Aufgabe als Rittmeister a. D. von Deden⸗ roth, großes Talent, konnte aber aus dieser vom Verfasser mehr als Karikatur gezeichneten, einem Offizier sehr unähnlichen Gestalt kein natürliches Bild schaffen, ebensowenig wie Herr Kriete aus der gleichfalls verfehlten Gestalt des Majors von Lankwitz. Das unter⸗ haltende Lustspiel erhielt die zahlreichen Zuschauer in Spannung bis zum Schluß und wurde durch lebhaften Beifall ausgezeichnet.

Kroll's Theater. Ddie stets gern gehörte Coloratur⸗Sängerin Fräulein Louise Heymann trat gestern als Rosine in Rossini's Oper „Der Barbier von Sevilla“ auf, eine Rolle, die ihrem Naturell ganz besonders zusagt. Hatte die Künstlerin anfänglich auch mit einer leichten In⸗

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