1893 / 11 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 13 Jan 1893 18:00:01 GMT) scan diff

letzten Monaten gestaltet haben, so nehme ich an, daß wahrscheinlich dieser durchlaufende Posten sowohl im Activum als im Passivum für den Staat sich erheblich niedriger gestaltet. Wollen die Herren in Betracht ziehen, daß wir in den ersten Monaten bis einschließlich August vorigen Jahres auf Grund der Mißernte des Jahres 1890/91 noch sehr erhebliche, starke Importe hatten, die dann infolge der guten Ernte, als die Ernte zu Markte kam, in den späteren Monaten, sich fast um 50 % erniedrigten, so wird sich wohl auch bei dieser Gelegen⸗ heit nach eingehender Berathung in der Budgetcommission ergeben, daß die bei den Steuervorlagen veranschlagten 24 Millionen als dauernde Durchschnittseinnahmen aus den Ueberweisungen in keiner Weise zu niedrig gegriffen sind.

Meine Herren, was die Staatsverwaltungsausgaben betrifft, so sind hier Mehreinnahmen von 9 683 000 veranschlagt; dagegen betragen die veranschlagten Mehrausgaben 15 374 000 Die Mehr⸗ einnahmen resultiren hauptsächlich aus dem Polizeilastengesetz beim Ministerium des Innern im anschlagsmäßigen Betrage von 6 972 000 ℳ; dieser Mehreinnahme stehen aber schon jetzt und in Zukunft werden sie noch steigen Mehrausgaben im Betrage von 5 678 000 gegenüber. Insbesondere ist eine Mehr⸗ ausgabe für die Polizeiverwaltung in Berlin von 3 027 000 und in den Provinzen von 2 220 000 vorgesehen. Für die Land⸗ gendarmen und behufs deren Vermehrung sind 291 000 neu ein⸗ gestellt. Dabei ist allerdings zu bemerken, daß diese Ausgaben in diesem Jahre wohl noch nicht in vollem Maße platzgreifen werden. Es wird namentlich wohl kaum möglich sein, daß in allen Städten das Nachtwachtwesen schon jetzt auf den Staat übernommen und nach den Grundsätzen des Staats reorganisirt werden wird, wodurch erheb⸗ liche Mehrausgaben in Zukunft noch entstehen werden. Man wird sich darauf beschränken müssen, da, wo diese Ueberführung noch nicht möglich ist, in dem nächsten Etatsjahre den Städten diejenigen Kosten zu vergüten, die sie für das Nachtwachtwesen nach ihrer bisherigen Verwaltung verausgaben.

Bei der Justiz ist eine Mehreinnahme von 2 315 000 veranschlagt, dagegen eine Mehrausgabe von 3 060 000 Insbesondere sind Mehr⸗ ausgaben veranschlagt für Land⸗ und Amtsgerichte 2 249 991 und für die Ober⸗Landesgerichte rund 103 000 An neuen Stellen sind in den Etat aufgenommen bei den Ober⸗Landesgerichten ein Senats⸗Präsi⸗ dent, neun Räthe, eine Anzahl Gerichtsschreiber, Gehilfen und Kanz⸗ listen, bei den Land⸗ und Amtsgerichten 11 Directoren, 66 Land⸗ und Amtsrichter und eine sehr erhebliche Zahl Bureau⸗ und Kanzlei⸗ beamte. Meine Herren, wir haben trotz der Bedrängniß der Finanzen doch geglaubt, entsprechend den Erklärungen, die der Herr Justiz⸗Minister und ich selbst bei der vorigen Etatsberathung abge⸗ geben haben, das Bedürfniß der Justiz nach Vermehrung etatsmäßiger Richter, soweit das irgend möglich war, auch schon in diesem Etat zu befriedigen. Ob wir schon jetzt dem vollen Bedürfniß gerecht ge⸗ worden sind, lasse ich dahingestellt. Wir werden aller Wahrscheinlich⸗ keit nach in den nächsten Jahren hier noch weitere Vermehrungen ein⸗ treten lassen müssen.

Das Finanz⸗Ministerium verlangt eine Mehrausgabe von insge⸗ sammt 2 773 000 ℳ, darunter für Pensionen 1 500 000 und für Wittwen⸗ und Waisengelder 1 235 000

Das Handels⸗Ministerium erfordert mehr 465 000 Sie finden n diesem Etat eine Steigerung der Einnahmen sowohl als auch der Ausgaben für die Porzellanmanufactur, dann eine Steigerung der Ausgaben behufs weiterer Durchführung der Gewerbe⸗Inspection und für das gewerbliche Unterrichtswesen. Eine neue Ausgabe von 58 000 ist, um dies hier zu erwähnen, im Etat der Bergverwal⸗ tung für die Einrichtung von Bergwerksschiedsgerichten vorgesehen, also von Fachschiedsgerichten, wie sie das Gesetz über die Einführung von Schiedsgerichten vorsieht.

Die landwirthschaftliche Verwaltung hat ein Mehrerforderniß von 735 900 ℳ, wobei allerdings die vorher bezeichnete Uebertragung der Centralverwaltung der Domänen und Forsten mit in Betracht kommt. Insbesondere ist für die Vermehrung des Personals der General⸗Commissionen eine Mehrausgabe von 170 000 veranschlagt. Die General⸗Commissionen haben einen ganz neuen, sehr bedeutenden und in seinem Umfange wachsenden Verwaltungszweig übernommen: die gesammte Arbeit bei der Bildung von Rentengütern. Das Gesetz über die Bildung von Rentengütern hat eine überraschend große Wirkung gehabt schon in der kurzen Zeit, in welcher es in Geltung ist. Am 1. März 1892 und seitdem ist zweifellos noch eine erhebliche Steigerung eingetreten —, hatten die General⸗Commissionen sich schon mit der Bildung von Rentengütern aus einem Grundbesitz im Betrage von 120 000 ha zu beschäftigen. (Hört, hört!)

Es hat sich auch ergeben, daß wenigstens in den meisten Landes⸗ theilen nicht bloß Angebot von Grundstücken behufs der Bildung von Rentengütern vorhanden, sondern auch eine recht bedeutende Nachfrage bestand, ja noch mehr, daß ein Theil derjenigen, welche solche Renten⸗ güter erwerben wollten, noch mit ziemlich erheblichen Kapitalien in diese Unternehmungen eingetreten und in der Lage war, wenigstens den größten Theil der Gebäudelast zu tragen. Der Rückgang der industriellen Verhältnisse in den westlichen Provinzen, die Vermin⸗ derung der Nachfrage nach Arbeitern in den westlichen Pro⸗ vinzen hat schon zu einer theilweisen Rückströmung der Arbeiter aus den westlichen Provinzen geführt, welche Ar⸗ beiter zum erheblichen Theil mit nicht unbedeutenden Ersparnissen in ihre alte Heimath zurückgekehrt sind und nun, überzeugt aus der 8 Erfahrung von der Unsicherheit ihrer Lebensverhältnisse in den Industriebezirken, es vorziehen, sichere wenn auch weniger einträgliche Landwirthschaft zu treiben und Rentengüter zu erwerben. Wir wollen hoffen, daß diese segensreiche Entwickelung vorwärts geht auch in Zukunft, und ich glaube, daß das fragliche Gesetz sich in jeder Weise bewährt hat. (Bravo!) Wir haben nur zu bedauern, daß ein erheb⸗ licher Mangel an Vermessungsbeamten besteht (Sehr richtig! rechts) und daß infolge dessen eine unliebsame Verzögerung in der Erledigung der Geschäfte vielfach eintritt, was namentlich bei der Bildung der Rentengüter sehr vom Uebel ist. Wir haben alles gethan, was man in dieser Beziehung thun kann. Wir erwarten auch, daß in den nächsten Jahren eine sehr erhebliche Vermehrung von Ver⸗

messungsbeamten wird zur Verwendung gelangen können, und daß die zweifellosen Uebelstände, die sich bisher ergeben und die noch ver⸗ größert sind durch die gleichzeitige Anspannung der Katasterbeamten bei der Neuveranlagung der Gebäudesteuer, in Zukunft sich werden beheben lassen. 8

Meine Herren, bei der Forstverwaltung möchte ich noch erwähnen, daß zwar der bisherige Etatsansatz von 1 Million für den Ankauf von

Forstgrundstücken und für die Aufforstung unverändert wieder bei⸗ behalten ist (Bravo!), daß aber auf Grund einer Vereinbarung des Finanz⸗Ministeriums mit dem Landwirthschaftlichen Ministerium eine Vermerkung im Etat sich findet, daß dieser Fonds sich erhöhen soll um denjenigen Betrag, welcher über den Betrag von 800 000 aus Veräußerungen und Verkäufen von Domänenbesitz ob eigent⸗ lichem Domänenbesitz oder Forstbesitz (sehr gut!) aus den westlichen Landestheilen sich ergiebt. (Bravo rechts.) Meine Herren, ich gehe davon aus, und mein Herr College, der Landwirthschafts⸗Minister, auch, daß dies nur ein erster Anfang sein soll. Wir müssen den ge⸗ sammten Staatsbesitz als einen einheitlichen Besitz verwalten. Es darf dies keine bloß erhaltende Registerverwaltung sein, sondern eine wirthschaftliche Verwaltung. Wir müssen uns fragen: wo ist ein finanzielles und sociales Interesse, den Besitz beizubehalten, und wo ist ein finanzielles und nationalökonomisches Interesse, den Besitz zu vermehren? Und da kann gar kein Zweifel sein, daß wir im Westen noch eine erhebliche Anzahl von kleinen Besitzungen haben, deren Beibehal⸗ tung in der Staatsverwaltung gar keinen inneren Grund hat, welche auch wahrscheinlich bei den Veräußerungen mehr Erträgnisse liefern werden, als bei der Beibehaltung gegenüber den erheblichen Ver⸗ waltungskosten, daß wir aber andererseits mit Vortheil, auf die Dauer auch mit finanziellem Vortheil, jedenfalls unter Verbesserung der socialen und wirthschaftlichen Verhältnisse, im Osten die Aufforstung von Oedländereien, die Melioration von Mooren, die Colonisation derselben werden betreiben können. Es ist nach der gegenwärtigen Finanzlage nicht möglich, aus den allgemeinen Staatsfonds in dieser Beziehung größere Mittel flüssig zu machen; die Verwaltungen müssen mehr und mehr sich selbst zu helfen sich gewöhnen, und die Domänen⸗ und Forstverwaltung sind auch dazu nach meiner Meinung sehr wohl in der Lage. Ich hoffe daher, daß Sie diese Aenderungen des Etats genehmigen werden.

Meine Herren, das Cultus⸗Ministerium endlich hat einen Mehr⸗ bedarf von 2 437 000 Für die höheren Lehranstalten sind mehr zu verwenden 329 000 und für die Elementarschulen 987 000 Der Patronats⸗Baufonds, der in den letzten Jahren niemals ausreichte, hat um 159 000 erhöht werden müssen, und 750 000 sind mehr eingestellt für die Entschädigungen wegen Aufhebung der Stolgebühren der evangelischen Kirchengemeinde, da wir ja diesen Gesammtbetrag auf 1 500 000 bemessen hatten, im Vorjahre aber erst die Hälfte davon einstellten, indem das Gesetz erst vom 1. Oktober vorigen Jahres in Kraft trat. Was den Fortgang dieser Frage, der Frage der Aufhebung der Stolgebühren bei der katholischen Kirche, betrifft, so ist ja hier schon zur Sprache gekommen, daß eine Einigung darüber mit den kirchlichen Oberen der katholischen Kirche noch nicht erzielt ist, dieselben vielmehr bisher abgeneigt waren, an eine Ablösung der Stolgebühren für die katholische Kirche heranzutreten. Die Verhand⸗ lungen in dieser Beziehung sind noch in der Schwebe, wie schon mein College, der Herr Cultus⸗Minister, mitgetheilt hat. Eine Ein⸗ stellung in den Etat ist daher dieserhalb naturgemäß nicht erfolgt.

Wenn Sie diese Zahlen in ihrer Gesammtbedeutung in Erwägung ziehen, so ist unzweifelhaft das Bild, das sich daraus ergiebt, ein durchaus nicht erfreuliches. Anderer⸗ seits habe ich aber schon hervorgehoben, daß die wesentlichen Gründe des Rückgangs unserer Finanzen doch vorübergehender Natur sein werden. Freilich, ich sage: nur die wesentlichen Gründe, denn es sind auch Gründe dauernder Natur vorhanden, welche unsere volle Auf⸗ merksamkeit in Anspruch nehmen, die Aufmerksamkeit nicht bloß der Finanzverwaltung, sondern auch der Landesvertretung. Ich habe schon oft ausgesprochen und kann es nur wiederholen, wie ich wünsche, daß diese Anschauung sich nicht bloß in der Landesvertretung und in den Organen der Verwaltung festsetze, sondern im ganzen Lande Zustim⸗ mung finde. Wir haben in den Vorjahren, namentlich bis zum Jahre 1890 unsern Ausgabe⸗Etat in einem zu starken Verhältniß zu den uns gesicherten festen Einnahmen gesteigert, und die Consequenzen dieser Thatsache haben wir in unserm gegenwärtigen Etat und in dem Rechnungsabschlusse des Jahres 1891/92 und dem muthmaßlichen Abschlusse für 1892/93 vor uns.

Die erste Voraussetzung einer wirklichen dauernden Heilung ist eine völlige Klarheit der Anschauungen über die wirkliche dauernde Lage der preußischen Finanzen; jede Schönfärberei ist da vom Uebel, jede übertriebene pessimistische Anschauung ist ebenfalls vom Uebel, wir müssen den Dingen nüchtern und klar ins Gesicht sehen. Da allerdings muß man sagen, daß nicht bloß die Betriebsverwaltungen in ihren sehr bedeutenden Rückgängen, sondern namentlich auch die Verhältnisse zum Reich sehr erheblich mitwirken, um diese schwierige Finanzlage hervorzurufen. In einem Punkt gleichen sich in dieser Beziehung die Gründe und die Ursachen, nämlich in der Gefahr, die bei den Betriebsverwaltungen in den schwankenden Ueberschüssen steckt, und beim Reich in den schwankenden veränderlichen Ausgaben, die das Reich den Einzelstaaten auflegt. Jede plötzliche Vermehrung der Einnahmen hat immer die Gefahr, daß man sie leicht für eine dauernde ansieht und dauernde Ausgaben darauf baut, und es ist doch ein Zug, der in den Dingen liegt, stärker wie alle Grundsätze, der zu solchen Folgerungen führt. Was ist also zuerst die Aufgabe einer planmäßigen Finanzverwaltung? Die Schwankungen in den Ein⸗ nahmen sowohl wie in den Ausgaben an das Reich möglichst zu ver⸗ mindern. Wir werden Vorsorge treffen müssen durch organische Ein⸗ richtungen, welche wir allerdings gegenwärtig bei der heutigen Finanz⸗ lage mit Erfolg nicht durchführen können, daß die eigenen Einnahmen der Betriebsverwaltungen dauernd mehr zu Nutz und Frommen dieser Betriebsverwaltungen in einer Weise verwendet werden, daß die all⸗ gemeine Finanzverwaltung von den Schwankungen weniger beeinflußt wird. Das Gesetz von 1882 thut dies nicht, wie die Erfahrung be⸗ wiesen hat, und wir müssen aus dieser Erfahrung eine Lehre ziehen. (Sehr wahr, links.) Dann werden aber auch die Einzelstaaten selbst und das Reich ein großes Interesse daran haben, der Frage näher zu treten, ob nicht auch das finanzielle Verhältniß des Reichs zu den Einzelstaaten eine andere Gestaltung finden kann, ob man nicht auch in dieser Beziehung Fürsorge treffen kann, daß nicht von einem Jahr zum andern diese große Schwankung in den Anforderungen und Ueber⸗ weisungen stattfindet. Das wird eine Aufgabe des Reichs und der Einzelstaaten sein. (Ruf lints: Der Militärcommission!)

Meine Herren, es wird in Zukunft mehr als je erforderlich sein, daß die Finanzverwaltung planmüßig handelt auf Grund einer festen Anschauung über die dauernden Finanzverhältnisse des Staats, und daß sie dabei Unterstlitzung findet in der Landesvertretung, daß dieses fort⸗ währende Drängen auf Vermehrung von Ausgaben, welches ich darf wohl sagen, ohne Sie unangenehm zu berühren auch aus der Landes⸗

vertretung hervorgegangen (sehr richtig! rechts), endlich aufhört, daß wir zu den alten vorsichtigen Grundsätzen der Landesvertretung zurück⸗ kehren, ihre Aufgabe hauptsächlich in der Kritik der Ausgaben, aber nicht in dem Drängen nach Mehrausgaben zu sehen. (Sehr richtig! rechts.)

Aber, meine Herren, wenn auch die Finanzverwaltung und die Landesvertretung nach diesen Gesichtspunkten verfährt, so wird es da⸗ neben nothwendig sein, daß die einzelnen Ressortverwaltungen in dem⸗ selben Geiste handeln, nach oben und unten, im kleinen und großen, die alte preußische Tradition festgehalten wird, und daß man sich jede Ausgabe erst gründlich ansieht, ob sie nothwendig ist oder nicht. (Ruf links: Militär!) Meine Herren, nothwendige Ausgaben, wie z. B. Ausgaben für die Landesvertheidigung werden wir gewiß nicht ab⸗ lehnen, denn die erste Bedingung der Eristenz ist die Eristenz selbst, Unabhängigkeit und Ehre! (Bravo! rechts.) Meine Herren, sehen Sie sich den Etat an; Sie werden finden, daß die Ausgabesteigerungen nach Kräften vermieden sind; wo nicht rechtliche Verpflichtungen oder frühere Beschlüsse unmittelbar zu Ausgaben drängten, haben wir sie thunlichst zu vermeiden gesucht. Wir haben daher auch zu unserm schmerzlichen Bedauern verzichten müssen auf die Fortführung der Aufbesserung der Beamtengehalte. Dagegen haben wir gewünscht, doch dasjenige für die Beamten zu thun, was innerhalb der allgemeinen Finanzlage geschehen konnte. Infolgedessen haben wir die im vorigen Jahre begonnene Einführung des Dienstaltersstufensystemns nunmehr in diesem Etat auf die etatsmäßigen mittleren und Kanzleibeamten und diesen gleichstehenden Beamten ausgedehnt.

Meine Herren, das Dienstaltersstufensystem wird danach im ganzen 49 522 mittlere und 2909 Kanzleibeamte umfassen, ein⸗ schließlich darauf werde ich gleich zurückkommen der durch den Etat für 1893/94 neu zu beschaffenden etatsmäßigen Stellen für 3253 Subaltern⸗ und 293 Kanzleibeamte. Unter diesen aufgeführten mittleren und Kanzleibeamten befinden sich 31 044 mittlere und 1086 Kanzleibeamte der Eisenbahnverwaltung, bei welchen die Regelung der Dienstaltersstufen bereits stattgefunden hat. Die neue Regelung also wird sich beziehen auf 18 478 mittlere und 1823 Kanzleibeamte.

Meine Herren, eine Denkschrift wird Ihnen die Grundsätze, die dabei befolgt sind, wie im vorigen Jahre näher erläutern. Ich brauche nicht zu sagen, daß dabei irgend ein Vortheil für die Finanz⸗ verwaltung weder erzielt noch erreicht wird und daß die Behauptung der Presse, daß der Finanz⸗Minister dabei ein Geschäft im Betrage von 2 Millionen zu Lasten der Beamten mache, frivole Unwahrheit ist. Allerdings ist ja richtig, daß die Wirkung dieser Einführung der Dienstalters⸗ zulagen, der ersten Einführung der Dienstalterszulagen, auf die Beamten in den verschiedenen Kategorien und in den verschiedenen bisherigen Gehaltsgemeinschaften verschieden ist. In manchen war ja glücklicher⸗ weise ein rasches Aufsteigen, und es kann möglich sein, daß hier und da eine Verminderung der Aussicht auf rasches Aufsteigen der einzelnen Beamten eintritt. Im großen und ganzen aber brauche ich nicht zu wiederholen, daß diese Maßregel in dem dringenden Wunsch der ge⸗ sammten Beamtenschaft liegt, mit wenigen Ausnahmen, die vielleicht persönliche oder andere Interessen gerade in ihrer Gehaltsgemeinschaft hatten. Im großen und ganzen wird zweifellos der Erfolg der sein, daß unsere Beamtenschaft ihre Zukunft und ihre Gegenwart mit Sicherheit übersehen kann, nicht von Zufälligkeiten abhängt, nicht mehr zu warten braucht, bis ältere Beamten, sei es durch Pensionirung, sei es durch Todesfall, fortgehen. Die Beamten werden sicher sein, ohne Rücksicht auf die Schicksale ihrer Collegen all mählich in ihren Ge⸗ haltsbezügen aufzusteigen.

Meine Herren, aber noch nach einer anderen Richtung haben wir einen erheblichen Schritt zur Aufbesserung der Verhältnisse unserer Staats⸗ beamten gethan. Ich habe schon die Ehre gehabt, bei der vorigen Etatsberathung anzuerkennen, daß die Lage unserer dauernd beschäftigten Diätarien insofern eine vielfach drückende und schwierige war, als sie zu lange auf eine etatsmäßige Anstellung zu warten hatten und in⸗ folge dessen die Beruhigung, die ein dauernd beschäftigter Beamter haben kann, und deren Fehlen um so empfindlicher ist, nachdem wir für die ganze arbeitende Klasse das Invaliditäts⸗ und Alters⸗ versorgungsprincip eingeführt haben die Beruhigung, im Falle der Dienstunfähigkeit eine Pension zu erhalten und im Falle des Ablebens einiger Fürsorge für Wittwen und Waisen sicher sein zu können, ent⸗ behren mußten.

Die Staatsregierung hat sich nun entschlossen, Ihnen voörzr⸗ schlagen, die Stellen der etatsmäßigen Subaltern⸗ und Kanzlei⸗ beamten, und zwar die der ersteren um 3253 und die der letzteren um 293 zu vermehren, und die Wirkung wird die sein, daß in fast allen Verwaltungszweigen durchgängig, mit einzelnen Ausnahmen, die man ja beim Uebergang namentlich nicht vermeiden kann, die Diätarien nach einer vierjährigen Dienstzeit zur definitiven Anstellung gelangen. Es werden sogar in manchen Verwaltungszweigen diejenigen Diätarien, die aus Militäranwärtern hervorgegangen sind, in einer noch etwas kürzeren Zeit etatsmäßig angestellt werden können. Diese allerdings nur einmalige Maßregel wirt aber dauernd, darüber kann gar kein Zweifel sein, und wirt glauben, dadurch eine Quelle des Mißbehagens und der Un⸗ zufriedenheit dauernd verstopft zu haben. Auch in dieser Beziehung werden Ihnen die Grundsätze, nach denen dabei berfahren ist, ausführ⸗ lich mitgetheilt werden.

Wir haben die Absicht, demnächst das System der Gehalts regelung nach Dienstaltersstufen auch auf die höheren Beamten auszudehnen. Wir finden keine genügenden Gründe, von man Ausnahmen abgesehen, vor den höheren Beamten in dieser SHase stehen zu bleiben, wie ja eine Reihe von deutschen Staaten dasselbe System bereits auch bei den höheren Beamten eingeführt hat. 8

Meine Herren, indem ich Ihnen nunmehr die Beschlußfasan über die geschäftliche Behandlung der Vorlagen anheimgebe, hoffe 2 daß Sie dieselben von den gleichen Gesichtspunkten wie die regierung ansehen und behandeln werden. Können Sie in dem 8 noch wirklich entbehrliche Ausgaben finden, die ohne Gefährdung Landeswohlfahrt gestrichen werden können, so werden Sie mich einer geneigten Erwägung immer bereit finden. (Heiterkeit.)

& 2 89; 7 9 tjese Etats sich

Sie werden auch bei näherer Betrachtung dieses Etats 8. doch davon überzeugen, daß wir Ausgaben für Landesmeliorationen, Ausgaben, welche nicht vermindert werden können ohne bed wirthschaftliche Schäden hervorzurufen, keineswegs permindert haben⸗ haben geglaubt, daß gerade der Staat in einer Zeit, wo im großen ½ qstans

die industrielle und gewerbliche Entwickelung zu einem gewissen

werden? Am

gekommen ist, seinerfeits nicht Veranlassung geben darf, diesen Zustand noch zu verschlimmern (sehr richtig!), daß man vielmehr die Gelegenheit an manchen Stellen benutzen kann, Ausgaben, die man in den nächsten Jahren doch machen müßte, gerade auf diese Jahre zu verlegen, wo man damit der Bevölkerung eine Wohlthat erweist, andererseits aber mit geringeren Ausgaben vielleicht als in anderen Zeiten diese Unter⸗ nehmungen zur Ausführung zu bringen in der Lage ist. (Bravo!)

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Der Ausstand der Bergleute im Saarrevier scheint allmählich seinem Ende entgegenzugehen. Die Zahl der Aus⸗ ständigen hat sich wieder vermindert und heute waren 18 594 Mann an der Arbeit; auf vier Gruben: „König“ „Kohlwald“, „Wellesweiler“ und „Dillsburg“, arbeitete die ganze Velegschaft Es sind mit diesen Zahlen alle Besorgnisse wegen dieses Ausstandes gehoben, denn schon am vorhergehenden Tage wurde der „Köln. Ztg.“ aus dem Saarrevier geschrieben, daß mit der damals geringen Zahl der arbeitenden Bergleute 5 Betrieb in genügendem Umfange aufrecht erhalten werden önne.

In Bildstock fand gestern eine Versammlung des Rechts⸗ schutzvereins statt, die von etwa 8000 Personen besucht war. Wie „W. T. B.“ meldet, waren die Redner im allgemeinen be⸗ strebt, die Versammlung zum Ausharren und zum Festhalten am Strike aufzumuntern: die vielen Abkehrscheine würden die treuen Kameraden nicht entmuthigen. Mehrere Redner, unter ihnen Mohr und Schleg empfahlen, wenn die Abkehrscheine noch weiter, wie bisher, verabfolgt würden, so sollten die Betroffenen auswandern und der Gemeinde ihre Familien⸗ angehörigen zum Unterhalt überlassen. Wo solle denn das hinaus? Was solle denn aus den abgelegten Bergleuten nächsten Sonntag findet Nachmittag um 3 Uhr wieder eine Generalversammlung für das Saarrevier in Bildstock statt.

Weniger erfreulich hat sich die Lage im westfälischen Ausstandsgebiet entwickelt. Die Zahl der Ausständigen ist von vorgestern bis gestern Mittag erheblich angewachsen. Die Zahl der Zechen, auf welchen Theilausstände eingetreten sind, hat sich von 20 auf 31 vermehrt und die Zahl der Aus⸗ ständigen wird in der „Rhein.⸗Westf. Ztg.“ auf 20 656 Mann gegen 11 922 Mann am Vortage angegeben, aber andererseits wird auch schon von der Rückkehr Ausständiger zur Arbeit be⸗ richtet. So wurde der ‚Frkf. Ztg.“ gestern aus Dortmund telegraphirt, daß die Strikenden in Massen zur Arbeit zurück⸗ kehren und ein Wolff'sches Telegramm meldet gleichzeitig aus Gelsenkirchen, daß auf allen Zechen, auf denen bisher gestrikt wurde, eine fortdauernde Zunahme der Anfahrenden bemerkbar ist. (Vergl. weiter unten die Meldungen vom heuti⸗ gen Tage.) Ausschreitungen der Ausständigen werden auch heute aus verschiedenen Orten gemeldet. Aus Wanne berichtet die „Dortm. Ztg.“, daß drei Bergleute der aus⸗ ständigen Zeche „Unser Fritz“, die zur Arbeit anfahren wollten, in die Emscher geworfen wurden. Nur einem glücklichem Zufalle sei zu danken, daß sie gerettet wurden. Vor dem Hause eines Unternehmers in Herstal fand in der Nacht zum Donnerstag eine Dynamit⸗Explosion statt; Menschen sind, wie „W. T. B.“ meldet, nicht zu Schaden ge⸗ kommen, doch ist der materielle Schaden bedeutend. In Schalke wurde der „Dortm. Ztg.“ zufolge am Dienstag Abend eine Kiste mit Dynamitpatronen gestohlen. Versamm⸗ lungen wurden, wie dem Blatt aus Gelsenkirchen geschrie⸗ ben wird, infolge des Versammlungsverbots auf freiem Felde von 11 bis 1 Uhr Nachts abgehalten. Ueber die Wirkung des Ausstandes auf den Kohlenmarkt berichtet die „Köln. Ztg.“: Seit Beginn der Woche herrscht ein reger, vielfach sogar dringender vrgeht nach Kohlen; es macht sich eine allgemeine Preissteigerung bemerkbar, welche sich auf 1 bis 1 ½ pro Tonne beziffert. Ueber den Umfang des Ausstandes am heutigeh Morgen meldet „W. T. B.“:

Bei der heutigen Morgenschicht waren 16 500 Bergleute aus⸗ ständig, und zwar auf Grube „Carolus Magnus“ 388, „Christian Levin“ 380, „Neu⸗Köln“ 509, „Wolfsbank“ 839, „Gustav“ 212, „Hibernia“ 1220,Wilhelmine Victoria“ 1813, „Carolinenglück32,„Hein⸗ rich Gustav“ 1305, „Consolidation“1500, „Pluto“ 1341,„Unser Fritz“ 1031, „Glückauf Tiefbau“ 650, „Graf Beust’ 80, „Borussia 100, „Zollern“ 608, „Germania“ II 676 „Germania“ I 553, „Dorstfeld“ 232, „Nord⸗ stern“ 80, „Bickefeld 20, „Wiendahlsbank“ 210, „Kaiser Friedrich“ 186, „Luise Tiefbau“ 127, „Bismarck“ 950 und „Neuiserlohn“ 2306. Heute sind in den Strike neu eingetreten auf Grube „Gottes⸗ segen“ 56 Mann, Freie Vogel“ 220, „Lothringen“ 103, „Graf Schwerin“ 120, „Prosper“ 1600, „Caroline“ 37, „Freiberg“ 78 und „Schürbank“ 150. Zur heutigen Morgenschicht sind voll angefahren die Belegschaften der Gruben „Amalie“, „Friedrich“, „Ernestine“, „Königsborn“ und „Tremonia“.

Wir fügen hier folgende weitere Nachrichten aus dem westfälischen Ausstandsgebiet an:

Eine Bergarbeiterversammlung, die gestern in Essen stattfand, war nach der „Rh.⸗Westf. Ztg.“ im Vergleich zu den früheren auffallend schwächer besucht. Es waren nur etwa 400 Personen, darunter viele junge Leute. Eine Belegschaftsversammlung von Zeche „Herkules“ mußte nach kurzer Dauer wegen ruhestörenden Lärms aufgelöst werden. Beim Strikebeschluß wurden die 50 bis 60 Leute von „Herkules“ durch die etwa 300 Anwesenden von anderen Zechen überstimmt.

Aus Dortmund berichtet die „Rh.⸗Westf. Ztg.“, daß die „Union“ Actiengesellschaft für Bergbau, Eisen⸗ und Stahl⸗Industrie in Dortmund den Betrieb ihres Bessemerwerkes und ihrer Räderfabrik wegen Kohlenmangels eingestellt habe. Der Betrieb werde vorläufig bis Montag still stehen.8

Aus Gelsenkirch en meldet ein Wolff'sches Telegramm: Gegen

200 be der Grube „Hibernia“, die drei Schichten gefeiert

hatten, erhielten gestern Nachmittag die Abkehr.

Vom heutigen Tage liegen aus dem rheinisch⸗west⸗ fälischen Ausstandsgebiet folgende telegraphische Nach⸗ richten vor: 3 Bel in ün Boch n er Revier sind zur Frühschicht sämmtliche Belegschaften angefahren.

Auf des nwefabren „Wilhelmine“, „Bismarck“, „Con⸗ olidation“, „Unser Fritz“ sind heute insgesammt 1300 Berg⸗ sleute mehr angefahren als gestern.

Ueber die Lage im oberschlesischen Be rgwerks⸗ bezirk berichtet folgendes Breslauer Telegramm des Wolff schen Bureaus: Nach einer amtlichen Meldung des „Breslauer General⸗Anzeigers ist der Strike im Kohlenrevier beendet. Zur gestrigen Früh⸗ schicht waren alle Belegschaften angefahren. Zwischen der Verwaltung der Henckel⸗Donnersmarck'schen Gruben und den Bergleuten, finden Unterhandlungen statt.

In Mainz haben die Brauer von dem angedrohten Boycott gegen die Mainzer Actien⸗Bierbrauerei Abstand genommen (vgl.

Nr. 5 d. Bl.), obwohl, wie die „Frkf. Ztg.“ berichtet, die Wieder⸗ einstellung des entlassenen Brauers abgelehnt wurde. In der Ver⸗ Emmüun. in der dieser Beschluß gejae wurde, wurde ferner eine Commis jon von drei Mann gewählt, die bis zum Beginn der besseren Jahreszeit Forderungen auszuarbeiten hat, die für die gesammte Brauer⸗ schaft zur a gemeinen Forderung erhoben werden sollen, nämlich: 1) Zehn⸗ stündige Arbeitszeit, und zwar von 5 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends mit dreistündiger Pause; 2) Sonntagsarbeit von drei Stunden; Ueberstunden sollen Sonntags mit 50, Werktags mit 40 bezahlt werden; 3) anständige Behandlung durch die Vorarbeiter; 4) freies Coalitionsrecht und 5) einen we. vaaer. Minimallohn von 24 anstatt der seither üblichen monatlichen Lohnzahlung.

Aus Mons wird der „Köln. Ztg.“ unter dem 10. d. M. be⸗ richtet, daß auf der Zeche „Midi de Mons“ in Ciply ein Aus⸗ stand ausgebrochen ist.

In Manchester fand gestern eine Conferenz von Arbeit⸗ gebern mit den Delegirten der strikenden Spinner statt, die erfolglos blieb, da beide Theile an ihren bisherigen Forderungen fest⸗ halten. Die Conferenz beschloß indessen, während der Dauer des Konflikts alle 14 Tage wieder zusammenzutreten. Die Noth nimmt infolge des Ausstandes in großem Maße zu. Die Armenasyle sind mit Ausständigen angefüllt.

Kunst und Wissenschaft.

Physikalische Gesellschaft.

Sp. In der ersten Sitzung dieses Jahres, welche am 6. Januar stattfand, berichtete Professor Raoul Pictet über Versuche der Genfer Physiker Sarasin und de la Rive. Es handelte sich um die Frgge ob die durch Hers⸗ berühmte Experimente entdeckten elektri⸗ schen Wellen sich mit derselben Geschwindigkeit im freien Raume fort⸗ pflanzen, wie an Leitungsdrähten. Während die Lichtwellen, welche nach den heutigen Anschauungen in ihrem Wesen mit den elektrischen Wellen übereinstimmen, sehr klein sind, haben die Hertz'’schen Wellen beträchtliche Dimensionen; sie haben eine durchschnittliche Länge von mehreren Metern, und dieser Umstand erschwert die Anwendung der üblichen Untersuchungsmethoden in hohem Grade. Man bestimmt nämlich die Fortpflanzungsgeschwindigkeit einer Wellenbewegung in diesen wie in vielen anderen Fällen eine Messung der Wellen⸗ länge, und diese wiederum wird meßbar dadurch, daß man die be⸗ treffenden Wellen auf einen Spiegel fallen läßt, sodaß die directen und die zurückgeworfenen Wellen einander durchkreuzen. Man erhält dann vor dem Spiegel in regelmäßigen Zwischenräumen Punkte

stärkster und schwächster Wirkung, und findet somit die Lage dessen,

was bei Wasserwellen Wellenberg und Wellenthal heißt; damit ist aber dann die Wellenlänge gemessen. Für die kleineren der elektrischen Wellen liegen viele derartige Messungen vor. Bei den größeren besteht insofern eine Schwierigkeit, als ein Spiegel, welcher Wellen einer bestimmten Länge zurückwerfen soll, selbst von entsprechender Größe sein muß. Gllücklicherweise ist eine glatte Oberfläche bei solchen Spiegeln nicht erforderlich; die Un⸗ ebenheiten verschwinden gegenüber der Wellenlänge ebenso, wie etwa die Unebenheiten einer Felswand die Reflexion von Schallwellen, das Echo, nicht hindern. Sarasin und de la Rive benutzten bei ihren früheren Versuchen ebenso wie Hertz ein Zinkblech, welches etwa drei Meter breit und drei Meter hoch war. Neuerdings hat die Stadt Genf den beiden Forschern einen Raum zur Verfügung ge⸗ stellt, der wohl von keinem bisher benutzten Laboratorium an Größe übertroffen wird. Es ist dies eine geräumige Maschinenhalle, in welcher später große Turbinen aufgestellt werden sollen. Die eine Wand dieses Gebäudes ist mit einer großen Zinkplatte bedeckt, deren Breite sechzehn und deren Höhe acht Meter beträgt; das ist der für die elektrischen Strahlen bestimmte Spiegel. Die Beobachtungen erfolgen auf derjenigen Linie, die auf der Mitte dieses Spiegels senkrecht steht, also auf einer horizontalen, welche in einer Höhe von vier Metern parallel über dem Erdboden hinläuft. Diese Linie ist von einem Beobachtungstunnel umgeben, welcher neun Meter lang und so hoch ist, daß man sich bequem in ihm aufhalten kann. Zu seiner Construction mußte man Materialien benutzen, die für die elektrischen Wellen durchlässig sind. Dahin gehören alle Stoffe, die wir gewöhnlich als elektrische Nicht⸗ leiter bezeichnen, z. B. Holz und Papier. Man kann also den Tunnel vollständig einrichten wie eine photographische Dunkel⸗ kammer, was die Beobachtung der Wirkung der elektrischen Wellen, kleiner, unscheinbarer Fünkchen sehr erleichtert, ohne daß dadurch der Durchgang und die Reflexion der Wellen irgendwie beeinträchtigt würde. In noch größerer Entfernung von dem Spiegel, nämlich in einem Abstand von fünfzehn Metern, steht die Quelle der elektrischen Strahlen, ein sog. Inductionsapparat, welcher Funken zwischen zwei Metallkörpern überspringen läßt; es entspricht dies genau den Vor⸗ richtungen von Hertz; nur finden die Genfer Forscher, daß die Wir⸗ kung gleichmäßiger und kräftiger ist, wenn der Funke nicht in der Luft, sondern in einem Oelbad überspringt.

Die Resultate, welche mit diesem riesigen Apparat erhalten worden sind, entsprachen den Erwartungen. Wenn man an die Stellen der Wellenberge oder Wellenthäler einen kreisförmigen Draht mit einer kleinen Unterbrechung bringt, erhält man eben in dieser Lücke jene kleinen Fünkchen, welche das Vorhandensein derjenigen Schwingungen im Aether beweisen, die wir elektrische Wellen nennen. Solche Fünkchen zeigten sich in einem Falle in Abständen von je 2 m; es entspricht dies erst der halben Wellenlänge, sodaß die ganze Länge 4 m beträgt; der betreffende Drahtkreis hat hierbei einen Durchmesser von einem halben Meter. Dieselben Diete gsnten sind früher bei den viel einfacheren Untersuchungen über die Fortpflanzungsgeschwindig⸗ keit in Drähten erhalten worden, sodaß in dieser Beziehung eine völlige Uebereinstimmung heraght Die gesammte Untersuchung bildet einen neuen werthvollen Bele⸗ für die von dem großen Faraday sowie seinem Schüler Marxwell theoretisch erfaßten und von Hert so glänzend gerechtfertigten Anschauungen über den Zusammen⸗ hang der elektrischen Erscheinungen mit denjenigen des Lichtes.

Herr Pegfellen H. W. Vogel sprach über die neuesten Fort⸗ schritte im Naturfarbendruckverfahren. Wir behalten uns vor, auf diesen interessanten Gegenstand bei einer in Aussicht stehenden Gelegenheit zurückzukommen, wollen aber bemerken, daß das Wesentliche der von E. Vogel jun. gemachten Erfindung darin besteht, daß mit Hilfe von drei Aufnahmen eines Gegenstands und vermittels dreier auf mechanischem Wege hiernach bergetltten Platten das betreffende Bild in drei Farben gedruckt wird. Dabei treten durch Mischung dieser drei Farben alle Töne des Originals mit erstaunlicher Schönheit hervor. Die nach den Veröffentlichungen des vorigen Sommers ge⸗ fundene Neuerung liegt in der Anwendung auf den Buchdruck, durch welche die Erfindung einen viel größeren praktischen Werth erhält, als dies bei ihrer bisherigen Beschraͤntung auf den sog. Licht⸗ druck der Fall war. 1

††% Was bei der] Ausstellung der vierundzwanzig Münchener Künstler in ulte's Salon besonders wohl thuend ins Auge fällt, ist die durchgehends echemufte sichere Haltung und die damit eng verknüpfte Ausgeglichenheit fast aller hier ver⸗ einigten Leistungen. Aus jedem Bilde spricht ein klarer künstlerischer Wille, kein Tasten und Schwanken stört den Fa kaieg Eindruck der einzelnen Künstlerpersönlichkeit; und doch steht die Mehrzahl der Aussteller in verhältnißmäßig jugendlichem Alter. Freilich, Meister wie Fritz von Uhde und Bruno Piglhein blicken bexeits auf eine an glänzenden Erfolgen reiche Laufbahn zurück; sie dürfen als die Führer der jüngeren Schaar von Genossen betrachtet werden, ohne daß die von ihnen vertretene Malweise etwa von den übrigen gedankenlos nachgeahmt würde. Gemeinsam ist der ganzen Gruppe, die den Gegensatz zu der älteren Münchener Richtung auch äußerlich durch die Secession aus der dortigen Künstler⸗ genossenschaft manifestirt hat, das unbeirrte, vorurtheilslose Streben nach unmittelbarem Ausdruck lebensvoller Wahrheit, die selbstbewußte Wahrung persönlicher Eigenart und Beobachtung gegenüber der über⸗ kommenen akademischen Atelierschulung. Trotz der Verschiedenartig⸗ keit der hier vertretenen Talente giebt dieses Streben der Gesammt⸗

anderen

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leistung einen zgeprägten einheitlichen Charakter. Fr Uhde darf unbestritten als die bedeutendste Persönlichkeit unter den Münchener Secessionisten den ersten Platz beanspruchen. Sein Doppelporträt zweier Mädchen in einer Gartenlaube beweist gufs neue, über welche Fülle von glücklicher Beobachtung und frischem Ferbensinn der Meister gebietet, wie ernst und gewissenhaft er jede einer Aufgaben auffaßt. Die Abwerthung der blauen und violetten Töne der Gewänder, auf denen das durch die Laubmassen fallende Sonnenlicht spielt, das feine physiognomische Leben in den Köpfen, die Natürlichkeit der Haltun und die trotz aller Unbefangenheit der Darstellung erzielte volle Stimmung des Ganzen machen dies Bild zu einem der reizvollsten, die aus der Werkstatt Uhde's hervorgegangen sind. Frisch und gesund ist auch das Bildniß eines kleinen, anspruchslos gekleideten Kindes mit seiner Wärterin, ein Cabinetstück zarter Farbenstellung und luftiger Tiefe das Pastell: die „Familie des Holzhauers vor einer Waldhütte.“ Auch Bruno Piglhein leistet nach wie vor sein Bestes im Pastell⸗ porträt; die nervös abgespannten Züge einer brünetten Dame weiß er mit flüchtiggeistreichem Stift festzuhalten und für unsere Einbildungs⸗ kraft zu beleben, wie es nur ähnlich vermag. Sein in Bel gemaltes Breitbild, ebenfalls das Porträt einer jugendlichen Dame, bleibt hinter jenem flott hingeworfenen Pastell an Wirkang etwas zurück. Auch Schlittgen, der geistreiche Zeichner der „Fliegenden Blätter“, leistet hervorragendes in der Pastelltechnik; freilich vermag die verblüffende Sicherheit der Zeichnung und Farbenandeutung mit der Lüderlichkeit seines Sujets nicht zu versöhnen. Sehr fein gefühlt ist die abendliche Strandscene mit der von einem bunten Lampion ausgehenden Beleuchtung; ohne die Gestalten scharf zu accentuiren, vermag er sie doch vortrefflich von dem zurücktretenden Meereshintergrund loszu⸗ lösen und fest in den Raum zu stellen. Baron von Haber⸗ mann, der sonst gleich Schlittgen und Piglhein besonders in der Darstellung moderner Gesellschaftstypen neue pikante Efferte sucht. überrascht diesmal durch ein im Stil Ribera's stes männlüches Bildniß, das an Lenbach's Versuche, der Malweise der altspanischen Meister sich anzunähern, erinnert und durch seine brefte Pinsel⸗ führung und kraftvolle Ausprägung der ersönlichkeit große Wirkung erzielt. Wilhelm Trühbner, der schon unlängst bei Schulte eine Sonderausstellung veranstaltet hatte, wandelt in einem sehr charakter⸗ vollen kleinen Bildniß in Velazquez; Bahnen, während. seine groß⸗- zügigen Landschaftsbilder vor der Selbständigkeit seiner Auffassung Respect einflößen. Ihm schließt sich ein junger Münchener Maler, Ernst Oppler, in dem feingestimmten Doppelporträt eimes Ehe⸗ paars in der Tracht der dreißiger Jahre eng an, zugleich zeigt er sich aber mit dem Interieur einer nordischen Schüfferhütte auch im dem Sattel modernen Impressionismus fest und ocht. Im der letzteren Richtung wagt den kühnsten Vorstoß der in Paris gebildete Louis Corinth, der zwei Kunstgenossen im verqual⸗ Zuimmer am Trinktisch schildert, während im Vordergrunde der Malerfpitz denn Beschauer entgegenknurrt. Die rauchgeschwängerte Atmosphäne des durch ein Fenster im Hintergrunde erhellten Raumes und die dunch fie bedingte Umwerthung der Localtöne ist Corinth gut „wenäger die Gestalt des rechts sitzenden Malers, dessen Kopf nicht recht plastisch wirkt. Von dem großen coloristischen Geschick des Künstlers lagt das leider recht hh gehängte Interieur eines Fleischerladens beredtes Zeugniß ab. Mit Corinth's Malweise; t die meiste Ver⸗ wandtschaft Charles Vetter, der wohl ebenfalls in Paris seine E gemacht hat. Recht farbenprächtig und pastos find auch die landschaftlichen Studien Hans Borchardt's und Adalbart Niemeyer'’s gehalten, von denen der erstere in einem weihlüchhem Bildniß überdies große Begabung für die Wieder vom Luftt und Licht im geschlossenen Raum beweist. In dem Bestreben, seinem Bilde eine vornehme zarte Gesammthaltung zu geben, geht R. Lep süms, der Bildnisse des Archäologen Curtius und eimer Dame ausgestellt hat, vielleicht etwas zu weit, sodaß in der Verblasemnheit das filllen⸗- grauen Colorits alle schärfere Charakteristik, jeter kräftügere Aocdunt verloren geht, während Curt Herrmann sein enengisches Müännen⸗ bildniß durch das einseitige Festhalten eimes rothbraunem Grundtons um die lebendige Wirkung bringt. Jofef Block, der dumchh seeim novellistisch pointirten Scenen aus dem modernemn Leben duüe Auf⸗ merksamkeit auch der Berliner Kunstfreunde zu fesseln gemwuft hatt. bringt diesmal eine vielleicht allzu theatralische oder vielmehr schau⸗ spielerhaft ansgefahe Ehestandsscene, die ihm Gelegenheit zn coloristischen Experimenten bietet, über deren ingen sich wohl nur bei günstigerer Beleuchtung des Bildes, das auf Seitenlücht berechnet ist, urtheilen läßt. Schließlich seien noch die feinen, als Holzschnittrvorlagen sedachten Grisaillen von F. Wehle und die etwas reichlichem Land⸗ chaften von Benno Becker genannt. Das in all diesen Leistumgem vertretene Talent giebt von dem gegenwärtigen Stande der Malerei in München, wie gesagt, die günstigste Vorstellung. Aber auch die Sculptur, welche in Berlin als die traditionelle Hauptstärke des künstlerischen Schaffens gilt, hat in München jetzt bedeutend jümgerr Kräfte aufzuweisen. Ganz besonders gilt das von Aler Oppler, dem Bruder des oben genannten Malers. Seine Büste des Thier⸗ malers Hubert von Heyden verdiente freilich eine der witzigen Auf⸗ fassung besser entsprechende flotte Behandlung, dagegen ist Kopf des genialen jungen Zeichners und Lithographen Otto Greiner bedingungslos als Meisterleistung zu nehmen. Feinheit der Charakteristik und vornehme Formgebung streiten hier um die Palms. während in der Gruppe des mit Bacchanten daherstürmenden Herkules ganz besonders die Frische der Erfindung und die Kraft des ausdruckee⸗ vollen Humors zur Geltung kommen. So hinterläßt diese erste Aus⸗ stellung der Münchener Secessionisten die denkbar vortheilhaftestem Eindrücke und verdient ungetheilte dankbare Anerkennung aller für Kunst interessirten Kreise unserer Reichshauptstadt.

Noch kurz vor seinem Tode hat Paulus Cassel den ersten Band seiner gesammelten Schriften vollendet und in Berlin bet R. Boll herausgegeben. Wie uns die Verlagsbuchhandlung mittheilt. wird die Fortsetzung der gesammelten Werke von etlichen F des Verstorbenen geplant und werden weitere Nachrichten darüber in Kürze veröffentlicht werden.

Nach einer Meldung der „Presse“ aus Belgrad wurde bei der Wahl eines Mitgliedes der Akade mie der Wissenschaften Garaschanin mit zehn gegen vier Stimmen gewählt.

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Ernteaussichten in Chile. (Vergl. auch R.⸗Anz. Nr. 300 vom 19./12. 92.)

„Machrichten aus Concepeion zufolge waren Ende November v. J. im Süden Chile;s die Aussichten für die je nach der Lage in den Monaten Dezember bis März erfolgende Weizenernte fast durch⸗ weg vorzügliche, da nicht nur das Getreide überall sehr gut stand, sonderm auch besonders große Aussaaten stattgefunden hatten. Ob diese Aussichtem sich verwirklichen werden, muß Nerdings dahingestellt bleiben. Die Erfahrung vieler früheren Jahre hat jedenfalls gelehrt, daß auch bei dem besten Stande im November infolge des Ausbleibens oder späten Eintretens von Regen das Ernteergebniß schließlich schlechtes war.

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Ernte⸗Aussichten in Australien.

„Nach dem „Melbourne Argus“ vom 30. November v. J. ver. spricht man sich in den Colonien Vietoria und Neu⸗Süd⸗Wales eine ausnahmsweise gute Ernte. Dasselbe Blatt stellt auch eine Beo⸗ rechnung der in Süd⸗Australien zu erwartenden Ernte auf, welche von der im „Reichs⸗Anzeiger“ Nr. 3 vom 4. d. M. veröffentlie ebenfalls auf Zeitungsnachrichten beruhenden Schätzung nicht um lich abweicht. Nach dieser neueren Notiz soll die angehaute Fli nicht 1 500 000, sondern 1 750 000 Acker betragen und der Dumch. schnittsertrag an Stelle von 7 auf 8 ½ Bushel für den Acker zen de⸗ rechnen sein. Der Bedarf für Saatzwecke und den Verbrauch miud dagegen nur auf 3 150 000 Bushel geschätzt, sodaß demnach 11 729000h. Bushel oder 314 062 englische Tonnen zum Export gelangem küönmten. wozu noch etwa 20 000 englische Tonnen an alten hanzu⸗ treten würden.