1893 / 15 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 17 Jan 1893 18:00:01 GMT) scan diff

Waldeck und Pyrmont. Der Geburtstag Seiner Durchlaucht des Fürsten ist am 14. d. M. festlich begangen worden. Die Stadt Arolsen hatte wie dem „Hann. Cour.“ berichtet wird, reichen Flaggenschmuck angelegt. In den Schulen in Stadt und Land wurde in entsprechender Weise auf die Bedeutung des Tages hingewiesen, ebenso wurde der Tag durch mehrfache festliche Veranstaltungen

efeiert. Zahlreiche Glückwunschtelegramme aus dem Fürsten⸗ thum, von allen deutschen und vielen auswärtigen Höfen trafen im Laufe des Tages ein.

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Die Bürgerschaft hat, wie „W. T. B.“ meldet, in ihrer gestrigen Plenarsitzung beschlossen, behufs Abschlusses eines Staatsvertrages mit Preußen wegen des Elbe⸗ Trave⸗Kanals eine aus 15 Mitgliedern bestehende Com⸗

mission einzusetzen. 8 Deutsche Colonien.

Der Kaiserliche Gouverneur von Deutsch⸗Ostafrika Frei⸗ herr von Soden war nach einer telegraphischen Mittheilung krankheitshalber genöthigt, nach Bombay abzureisen, beabsichtigt jedoch, vor Antritt seines Urlaubs nach Europa noch . Dar⸗es⸗Salam zurückzukehren.

Oberst⸗Lieutenant von Schele ist in Ost⸗Afrika ein⸗ getroffen und hat eine Informationsreise in das Innere unter⸗ nommen.

Kamerun angetreten.

Der Kaiserliche Kanzler Leist hat nach Ablauf seines

Urlaubs die Rückreise na

Oesterreich⸗Ungarn.

Der Kaiser hat am Sonnabend Nachmittag den auf der Ruͤckreise von Sigmaringen in Wien eingetroffenen rumänischen Minister⸗Präsidenten Catargiu in längerer Privataudienz empfangen. Unmittelbar darauf stattete der rumänische Minister, wie die „Pol. Corresp.“ schreibt, dem Minister des Auswärtigen Grafen Kälnoky einen Besuch ab.

Ein Communiqué des „Fremdenblatt“ bestätigt vollkommen das gestern unter „Frankreich“ erwähnte offizielle Dementi, das die französische Regierung der Meldung des Pariser Correspondenten des „Budapesti Hirlap“ über die Haltung es Kaisers dem französischen Botschafter Decrais gegenüber rtheilte. Dem Correspondenten sei offenbar unbekannt, der Kaiser das diplomatische Corps bei Hofbällen neinem besonderen Salon empfange. So sei es auch diesmal ge⸗ chehen. Der Kaiser habe den französischen Botschafter Decrais, er sich am Wiener Hofe und in der Gesellschaft einer aus⸗ gezeichneten Stellung erfreue, sowie den französischen Militär⸗ Attaché Obersten du Forey mit einer längeren Unterredung beehrt, somit sei die Meldung des „Budapesti Hirlap“ unbe⸗ gründet. Die Erfindung bleibe bedauerlich, wenn ein mäßiges Ballgeschwätz genüge, Echlüͤsfe über die Beziehungen zweier großen Staaten daran zu knüpfen. Wie das ungarische Amtsblatt meldet, ist die auf eigenes Ansuchen erfolgte Enthebung des Staatssecretärs im Finanz⸗ Ministerium Ludwig Lang angenommen und ihm für die

hingebenden und treuen Dienste die Allerhöchste Anerkennung

ausgesprochen worden.

Iraunkreih.

Der „Nat. Ztg.“ wird aus Paris gemeldet: Obgleich jetzt

actenmäßig nachgewiesen ist, daß die gegen den Präsidenten Carnot voe brachien verleumderischen Behauptungen durchaus unbegründet sind, setzt die Hetzpresse den Feldzug gegen den Präsidenten der Republik fort, was aber auf den verschiedensten Punkten des Landes einen Sturm der Entrüstung erregt, dem bereits durch Ergebenheitsadressen der Gemeinde⸗ räthe Ausdruck gegeben wird.

In der gestrigen Sitzung der Deputirtenkammer richtete Millevoye, wie „W. T. B.“ meldet, an den Justiz⸗ Minister Bourgeois die Anfrage, wann Arton und Cor⸗ nelius Herz verhaftet werden würden. Herz sei ein Verräther, den man mit jedem rechtlich zulässigen Mittel verfolgen müsse. (Beifall auf der Linken.) Der Minister Bourgeois erwiderte, er könne sich Anklagen nicht anschließen, die gegen Personen erhoben würden, welche noch nicht verurtheilt seien. Gegen Arton sei ein Haftbefehl er⸗ lassen worden. Er (der Minister) habe am 7. Januar dem Rathe der Ehrenlegion die Angelegenheit des Cornelius Herz zur Prüfung vorgelegt. Letzterer sei zweimal geladen gewesen, an Stelle dieser einfachen Vorladungen sei am gestrigen Vor⸗ mittag die förmliche Anklage gegen ihn erhoben worden. (Beifall auf der Linken.) Sodann wurde die Berathung des Gesetzentwurfs bezüglich der Handelsflotte wieder aufgenommen. Die vorgeschlagene Prämie für Schiffe, die zwar für hee französischer Rheder, aber auf ausländischen Bau⸗ plätzen gebaut werden, wurde abgelehnt. Die Minister Sieg⸗ fried und Rieunier stimmten für den Regierungsvorschlag. Hierauf wurde eine Interpellation des Boulangisten Du⸗ monteil über das Verhalten der Polizei in der am Sonnabend in Tivoli⸗Vauxhall veranstalteten Versammlung auf einen Monat zurückgestellt. Auf eine Anfrage des Socialisten Lavy über

ie Ausweisung von fünf Nihilisten erwiderte der Minister⸗ Präsident Ribot, die Polizei habe seit der Bombenaffaire, die schon drei Jahre zurückliege, nicht nachgelassen, die Per⸗ sönlichkeiten ausfindig zu machen, die ihr gefährlich erschienen. Frankreich werde niemals dulden, daß Ausländer sich gegen benach⸗ barte Mächte Intriguen erlaubten, die Regierung werde nicht ögern, die nothwendigen Ausweisungen vorzunehmen. (Beifall.) Jourde (Socialist) beantragte, die Anfrage Lapy's in die Form einer Interpellation umzugestalten. Die Kammer beschloß mit 352 gegen 34 Stimmen, die Interpellation auf einen Monat zu vertagen. Dubost verlas sodann den Bericht über den Gesetzentwurf, wonach der Betrag, bis zu dem die Bank von Frankreich berechtigt sein soll, Noten auszugeben, auf 4 Milliarden erhöht werden soll. Die Berathung des Gesetzentwurfs wurde auf heute festgesetzt.

In der heutigen Sitzung der Deputirtenkammer wird der Minister⸗Präsident Ribot einen Gesetzentwurf einbringen, wonach Vergehen gegen fremde Souveräne und die bei dem Präsidenten der Kepublik beglaubigten Gesandten an die Zuchtpolizeigerichte verwiesen werden.

Die Budgetcommission hat im Princip den Gesetz⸗ entwurf über die Steuer auf Börsengeschäfte ange⸗ nommen.

Der Minister des Auswärtigen Develle hat, wie der „Agenzia Stefani“ gemeldet wird, an den italienischen Bot⸗ schafter Reßman ein Schreiben gerichtet, worin mit⸗

getheilt wird, daß Charles Lesseps und dessen Mitangeklagte

dem Untersuchungsrichter gegenüber in der formellsten Weise die Erklärung abgegeben hätten, daß sie niemals, weder direct noch indirect, dem ehemaligen italienischen Botschafter Grafen Menabrea Geldbeträge uͤbermittelt hätten.

Der Polizeicommissar hat gestern Vormittag dem Correspon⸗ denten mehrerer italienischer Blätter Richard Alt einen Ausweisungsbefehl übermittelt. Alt ist ebenso wie dem deut⸗ schen Correspondenten von Wedel eine achtundvierzigstündige Frist für die Abreise bewilligt worden.

Die Panama⸗-⸗Untersuchungs⸗Commission verhörte gestern den Redacteur der St. Petersburger „Nowoje Wremja“, Suworin, der gegen die von Delahaye in der Kammer er⸗ hobenen allgemeinen und beweislosen Anschuldigungen der russi⸗ schen Presse Verwahrung einlegte und verlangte, daß die An⸗ gelegenheit vollständig aufgeklärt werde. Der russische Journalist Tatistschew, der darauf vernommen wurde, äußerte sich im nämlichen Sinne und hob hervor, wie wenig die gegen die russische Presse gerichtete Anschuldigung begründet sei. Er habe sich fragen müssen, ob nicht etwa hierbei eine aus⸗ wärtige Intrigue vorliege. Die 95 Journalisten würden sämmtlich die Commission bei der Aufklärung der Angelegen⸗ heit unterstützen.

Rußland.

Der Emir von Buchara ist mit seinem Sohn Tjura⸗ Dshan⸗Mir⸗Alun und seinem Gefolge am 13. d. M. in St. Petersburg eingetroffen.

Italien.

Der russische Minister von Giers ist nicht, wie „W. T. B.“

gestern gemeldet hatte, in Rom, sondern in San

getro ffen. 11““ fransstr.

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In dem der Deputirtenkammer gestern vorgelegten Budget wird der Notenumlauf der Bank von Portugal auf 72 000 Contos Reis erhöht werden. Hinsichtlich der Einstellung der Amorti⸗ firung der Tabackgesellschaft ist keine Vorlage gemacht.

Dänemark.

In der gestrigen Sitzung des Folkethings forderte der Berichterstatter des Finanzausschusses den Minister des Aus⸗ wärtigen auf, sich über eine angebliche Aeußerung des deutschen Reichskanzlers Grafen Caprivi, welche im Lande allgemeine Unruhe erregt habe, zu erklären: es müsse bei allen Parteien Unruhe und in ganz Europa Argwohn erregen, wenn gesagt werde, daß Dänemark als drittes Glied in eine Coalition mit Frankreich und Rußland eintreten oder sich überhaupt auf Berechnungen hinsichtlich der großen Politik einlassen wollte.

Der Minister des Auswärtigen Baron von Reetz Thott antwortete hierauf: Die Aeußerungen des Reichskanzlers Grafen Caprivi seien in einer Commissionssitzung gefallen und lägen authentisch nicht vor. Die deutsche Regierung habe die erste mögliche Gelegenheit ergriffen, um zu erklären, daß die Mit⸗ theilungen der Zeitungen theils irreleitend, theils entstellt seien und nicht den wahren Ausdruck der Aeußerungen des Reichskanzlers bilden. Schon an demselben Tage, an welchem die ersten Nachrichten hier eingetroffen, habe der deutsche Gesandte am dänischen Hofe erklärt, man müsse diese Referate als übertrieben ansehen und es könne ihnen eine weitere Be⸗ deutung nicht beigelegt werden. Am Tage darauf habe sodann der Gesandte sich an ihn, den Minister, gewandt und erklärt, die deutsche Regierung könnte die der Zeitungen als den Ausdruck der Aeußerungen des Reichskanzlers nicht an⸗ sehen, umsoweniger, als die Beziehungen der deutschen zur dänischen Regierung vollkommen freundschaftlich seien und man deutscherseits nur diese freundschaftliche Situation zu bewahren wünsche, auch keinen Grund habe, anzu⸗ nehmen, daß man dänischerseits andere Anschauungen hegte. Der Minister schloß: „Ich benutze die Gelegenheit, um zu wiederholen, was die Regierung schon öfter erklärt hat, daß die Aufgabe der Regierung nur darin besteht, dahin zu arbeiten, daß das Land in allen etwaigen Differenzen der fremden Mächte eine durchaus neutrale Stellung einnehme. Ein kleines Land, wie das unsrige, kann nur zum Spielball der größeren Mächte dienen, wenn es an den großen europäischen Conflicten leichtsinnig theilnehmen würde.“

Nach einer Erwiderung des Deputirten Korsgard er⸗ klärte der Minister, es sei ihm nicht bekannt, daß man die Maßregeln, die Dänemark zu seiner Vertheidigung treffe, im Auslande als etwas anderes auffasse, wie als eine Stütze der Neutralität. Der Deputirte Harald Holm sprach dem Minister für dessen Erklärungen seinen Dank aus, besonders für diejenigen hinsichtlich der Neutralität Dänemarks, und gab dem Wunsch Aus⸗ druck, daß es gelingen möge, den entstandenen Argwohn zu beseitigen. Das Folkething hätte stets geltend gemacht, man wünschte außerhalb aller europäischen Conflicte zu stehen. Es sei eine Freude, daß sich die Regierung selber in diesem Sinne geäußert habe. Der Deputirte Brandes hob hervor, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Däne⸗ mark seien eine Lebensbedingung für Dänemark. Der Deputirte Hauptmann Dinesen erklärte die Ausführungen des Ministers des Auswärtigen für vollkommen beruhigend, bedauerte aber ganz im allgemeinen, daß die fortwährenden Versicherungen, die freundschaftlichen 2e. zu Deutschland seien eine Lebensbedingung für Dänemark, wie ein factisches Vasallen⸗ verhältniß zu Deutschland aussähen.

Im Anschluß an diese Aeußerungen sprechen sich heute, wie „W. T. B.“ meldet, sämmtliche Kopenhagener

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Blätter für die Nothwendigkeit aus, unter allen Umständen

die Neutralität Dänemarks aufrechtzuhalten.

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Afrika. ““ 5 Der gestern gemeldete Wechsel im egyptischen Mi⸗ nisterium scheint in England auf Opposition zu stoßen. Ueber die Stimmung, welche der Ministerwechsel bei der egyp⸗ tischen Bevölkerung hervorgerufen hat, liegen widersprechende Nachrichten vor. Wir stellen im folgenden die hierauf bezüg⸗ lichen Depeschen zusammen: Eine Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ aus Kairo besagt, die eingeborene Bevölkerung scheine von der Wahl der neuen Minister durchaus nicht befriedigt. Die Unzufriedenheit sei eine so große, daß das Deecret über die Ernennung wahrscheinlich noch zurückgehalten werde und daß das Eintreten von Aenderungen hinsichtlich der Cabinetsbildung nicht unwahrscheinlich sei. 1. Die „Daily News“ melden aus Katro, von den englischen Bebörden werde den neuen Ministern bis jetzt die Anerkennung ver⸗ sagt. Ein zweiter Berichterstatter der „Daily News“ meldet, die Be⸗ ziehungen des Khedive zu den englischen Behörden seien seit einigen Tagen gespannte. Der Khedive allein habe die Minister ausgewählt und beharre auf seinem Rechte, dies zu thun, ohne England ““

um Rath zu fragen. Der Khedive habe dadurch an Popularität 8

unter den gebildeten Klassen der Eingeborenen gewonnen und f. entschlossen, nicht nachzugeben. b Der „Times“ wird aus Kairo berichtet, der Staatsstreich des Khedive sei von besonderer Bedeutung für die Eingeborenen. Die Opposition Englands sei mehr eine principielle als eine auf persön 1 liche Gründe zurückzuführende. Die drei entlassenen Minister hätten die englischen Reformen unterstützt und anerkannt, daß eine zeitweise Leitung Englands für die Autonomie Egypptens erforderlich sei. Di „Times“ macht den Khedive darauf aufmerksam, daß er Gefahr laufe, dasselbe Loos zu finden, wie der Khedive Ismail. 8

Nach einer Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ an Tanger hat der Sultan von Marokko sich bereit er klärt, die von der englischen Regierung verlangte Genugthuung wegen der Ermordung des englischen Unterthanen Namens Juan Trinidad zu geben.

Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag.

Der Bericht über die 22. Sitzung vom 16. Januar be⸗ findet sich in der Ersten Beilage.

23. Sitzung vom Dienstag, 17. Januar, 1 Uhr.

Der Sitzung wohnen bei der Staatssecretär Freiherr von Maltzahn, der Bevollmächtigte zum Bundesrath Königlich

bayerische Staats⸗Minister der Finanzen Dr. Freiherr von

Riedel und der Bevollmächtigte zum Bundesrath Königlich

württembergischer Gesandter Staatsrath von Moser.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Interpellation

Abänderung des amtlichen

Broemel (dfr.) wegen Inter⸗

Waarenverzeichnisses zum Zolltarif. Die

pellation ist von Mitgliedern der Freisinnigen, Volks⸗ und

nationalliberalen Partei unterstützt, und hat folgenden

Wortlaut:

Sind seitens der verbündeten Regierungen Maßnahmen be⸗

absichtigt, um die neuerdings in Aussicht genommene Abänderung des amtlichen Madrenvenee centss zum Zolltarif vor ihrer end⸗ gültigen Feststellung in solcher 2

können?

Staatssecretär Freiherr von Maltzahn erklärt sich bereit,

die Interpellation sofort zu beantworten. b Zu ihrer Begründung erhält darauf das Wort der Abg. Broemel (dfr.). Er führt aus, daß die in der Inter⸗

pellation erhobene Forderung wiederholt schon im Reichstage erhoben Die frühere Art der Publikation habe vielfach die dadurch überrascht und geschädigt, daß einem Die daraus hervor⸗ gegangenen Nachtheile hätten durch frühere Veröffentlichung sehr gut Manche Geschäftszweige seien durch die

worden sei. gewerbetreibenden Kreise gewisse Waaren durch andere Klassifizirung bedeutend höheren Zollsatze herangezogen wurden.

plötzlich zu

vermieden werden können. veränderte Klassification der betreffenden Waaren und die durch den höheren Zollsatz herbeigeführte Vertheuerung direct ruinirt werden. Es brauchte sich garnicht um den ganzen Entwurf, auch nicht um alle Einzelheiten zu handeln, es würde vollkommen genügen, wenn die wichtigsten der beabsichtigten Abänderungen im Reichs⸗Anzeiger in einer Folge ver⸗ öffentlicht würden, daß die interessirten Kreise sich orientiren und evenkuell ihre Gegenvorstellungen noch anbringen könnten. Hoffentlich werde der Bundesrath der Berechtigung dieser Forderung seine Augen nicht verschließen. Die Interpellation soll nur dem Wunsch Ausdruck geben, daß die verbündeten Regierungen die Hand bieten, die aus der bisherigen Praxis hervorgetretenen Uebelstände möglichst zu mildern.

Staatssecretär Freiherr von Maltz ahn (wir werden diese Rede morgen im Wortlaut bringen): Die neue Ausarbeitung des amt⸗ lichen Waarenverzeichnisses beruht auf einem Beschluß des Bundes⸗ raths vom 28. Januar 1892. Die neue Redaction soll erst er⸗ folgen, nachdem die Bundesstaaten mit eigener Zollverwaltung sich zur Sache geäußert haben. Ein neues Verzeichniß war nach Abschluß der Handelsverträge nothwendig gemacht worden. Der Entwurf ist zur Zeit fast fertig und wird vielleicht noch im Laufe dieses Monats, jedenfalls aber im Februar an den Bundesrath gelangen. Die Bundesregierungen sind zunächst ersucht worden, ihre Wünsche in Bezug auf die Abänderung des Waarenverzeichnisses zur Kenntniß des Reichskanzlers zubringen. Die entsprechenden Aeußerungen sind im Laufe des Sommers eingegangen. Auf Grund des sehr um⸗ fangreichen gesammelten Materials ist ein vorläufiger Entwurf der Waarenverzeichnisses im Reichs⸗Schatzamt aufgestellt und im August vorigen Jahres den Blundesregierungen abermals zugestellt worden mit dem Ersuchen, ihre etwaigen Wünsche dem Reichskanzler mitzutheilen. Auch hierauf sind die Antworten eingegangen. Ueber einige Punkte hat sich eine eingehende, zeitraubende Correspondenz entwickelt, und deshalb ist die Fertig⸗ stellung verzögert worden. Von den verschiedenen Regierungen in Deutschland sind unzweifelhaft schon die Wünsche der betheiligten Kreise, der Producenten und Consumenten im Lande ge⸗ Zört worden. Ob dies überall in der Form geschehen ist, daß man die Handelskammern befragte, entzieht sich meiner Kenntniß. Nun wünscht die Interpellation, daß der dem Bundesrath vorzulegende Entwurf noch einmal zur öffentlichen Kenntniß gebracht werden möchte; es sollen wenigstens die wichtigsten Bestimmungen des neuen Entwurfs veröffentlicht werden. Ich trage Bedenken, diesen Weg zu empfehlen; es würde sehr schwierig sein, das⸗ jenige aus diesem umfangreichen Verzeichniß herauszufinden, was von allen Seiten als das Wichtigste angesehen wird. Die Publikation des vollständigen Entwurfs hat gewisse Bedenken, ich will nicht darauf Gewicht legen, daß dadurch der Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten und der definitiven Feststellung so lang werden würde, daß er die vom Gesetz für Tarifänderungen vorgesehene Zeit überschreitet, aber zwei andere Schwierigkeiten liegen in der rein mechanischen Aufgabe ein Werk von so großem Umfang zweimal drucken zu lassen, und in dem Bedenken, daß die Publikation von Vorlagen an den Bundesrath den auf die Verfassung gegründeten Ge⸗ wohnheiten nicht entspricht, vielleicht sogar widerspricht. „Es kann der Zweck der Interpellation aber auch auf andere Weise erreicht werden; der. Reichskanzler theilt den Wunsch der Interpellanten, den be⸗ theiligten Kreisen die erbetene Möglichkeit zu gewähren, und er will emnersests dahin wirken, daß die Beschlußfassung über den Entwurf soweit hinausgeschoben wird, daß den einzelnen Regierungen genügende Gelegenheit gegeben ist, ihre Handelskammern und ähnliche Körper⸗ schaften über etwaige Wünsche noch zu befragen. 8

Abg Brömel verzichtet nach den letzten Erklärungen des Schatz⸗ secretärs, durch welche ihm der Zweck der Interpellation erreicht er⸗

scheint, auf ihre Besprechung ““

Der Gegenstand ist damit erledigt. (Schluß des Blattes.) Preußischer Landtag. 8 8 8 Haus der Abgeordneten. 16. Sitzung vom 17. Januar. 8 Der Sitzung wohnen der Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg, der Justiz⸗ Minister Dr. von Schelling, der Minister für Handel und

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Gewerbe Freiherr von Berlepsch, der Dr. Miquel, der Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden

tstel geise, zur öffentlichen Kenntniß zu bringen, daß die daran vornehmlich interessirten gewerbetreibenden Kreise ihre gutachtlichen Aeußerungen darüber rechtzeitig abgeben

Finanz⸗Minister

und der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen bei.

Das Haus überweist zunächst die allgemeine Rechnung über den Staatshaushalts⸗Etat für 1888/89 an die Rechnungscommission.

. Die Uebersicht der Staatseinnahmen und Ausgaben für 1891/92 beantragt Abg. Dr. Hammacher (nl.), nicht wie sonst der Rechnungs⸗ sondern der Budgetcommission zu überweisen, weil es sich dabei um erhebliche Ueberschreitung der Ausgaben der Eisenbahn⸗ verwaltung und den Fehlbetrag handelt, dessen Deckung eine wichtige

finanzielle Aufgabe des Landtags sei, der man nur im Zusammenhang mit dem vorliegenden Etatsentwurf gerecht werden kann.

Abg. Dr. Meyer⸗Berlin (dfr.) widerspricht dem Antrag, der in einem früheren Falle entschieden zurückgewiesen worden sei. Die Mit⸗ glieder der Budgetcommission könnten ja das Material der Vorlage für ihre Z wecke benutzen.

Abg. Francke⸗Tondern (nl.) empfiehlt in diesem besonderen Falle die Sache der Budgetcommission zu überweisen, weil der Betriebsbericht der Eisenbahnverwaltung der Budgetcommission

erwiesen werde. Er behandele dieselbe Materie, die be⸗ züglich der Eisenbahnverwaltung bei der Uebersicht in Betracht komme. Er beantrage, die Ausgaben und Einnahmen der

Eisenbahn aus der Uebersicht der Budgetcommission zu über⸗ weisen und diese für diese Berathung um sieben Mitglieder zu ver⸗ karde der Rest der Uebersicht soll an die Rechnungscommission gehen. ü .

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (cons.): Dieser Antrag hat ein anderes Gesicht als der des Abg. Hammacher. Die ganze Ueber⸗ sicht kann die Budgetcommission nicht mit der Gründlichkeit prüfen wie die Rechnungscommission; sie würde dadurch überlastet werden; aber eine Verstärkung der Budgetcommission wird nicht noth⸗ ü 8

g. Dr. Lieber (Centr.) erklärt sich für den ganzen Antrag Francke, auch für die Verstärkung der Commission.

Abg. Rickert (dfr.) hält eine Verstärkung der Budgetcommission für überflüssig, weil dadurch nur eine Verzögerung herbeigeführt verde. Im übrigen ist er mit dem Antrag Francke einverstanden.

Abg. Freiherr von Minnigerode⸗Rossitten (cons.) spricht sich ebenfalls gegen die Verstärkung der Budgetcommission aus.

Abg. Francke zieht seinen auf die Verstärkung bezüglichen An⸗ rag zurück; der übrige Theil des Antrages wird angenommen.

Die Vorlage des Gesetzentwurfs über die Deckung von Ansgaben des Rechnungsjahres 1891/92 wird der Rechnungscommission überwiesen.

Es folgt die erste Berathung des Staatshaushalts⸗ Etats für 1893/94 und des dazugehörigen Anleihe⸗ gesetzes.

Abg. von Strombeck (Centr.): Das Deficit bedeutet eine sehr beträchtliche Erhöhung unserer ohnehin schon sehr hohen Schulden. Der Finanz⸗Minister hat davor gewarnt, die Finanzlage allzu pessimistisch anzusehen; er hat darauf hingewiesen, daß in dem Deficit von 59 Millionen Mark 20 Millionen Mark stecken, die zur außerordentlichen Schuldentilgung verwendet worden sind. Er hätte auch noch anführen können, daß noch weitere 17 Millionen Mark zur Schuldentilgung verwendet sind. Um diese 37 Millionen Mark vermindert sich also das Deficit. Die Ueberschüsse aus der Einkommensteuer sollen zur Deckung des Defieits dienen; damit wird der § 82 des Einkommensteuergesetzes durchbrochen. Ein solches Verfahren muß das Vertrauen in die Stetigkeit der Gesetzgebung erschüttern. Wenn die Einkommensteuer zur Deckung des Deficits verwendet wird, dann wird man die Steuern noch erhöhen müssen, und dagegen müssen wir ganz energisch Protest erheben. Besser wäre es, wenn man andere Fonds zur Deckung des Defizits verwendete. Bei der Seehandlung befindet sich ein Fonds von 23 Millionen Mark Effecten; wenn dieser entbehrlich ist, könnte er zur Deckung des Fehlbetrages verwendet werden. Mein Suchen nach Ersparnissen im Etat ist von sehr geringem Erfolg gewesen. Nur im Ertraordinarium können vielleicht einige Bauten erspart werden. Redner spricht seine Freude darüber aus, daß die Dienstaltersstufen eingeführt werden für die Unterbeamten, und hofft, daß die weitere Ausbildung des Systems erfolgt. Ob die Dienstaltersstufen eine Verschlechterung der Ein⸗ nahmebezüge mit sich bringe, müsse die Budgeteommission prüfen. Es ist von einer Gehaltserhöhung der Beamten gesprochen worden. Aber da eine Gehaltserhöhung doch mindestens 10 % be⸗ tragen müßte, so ist den Beamten zu rathen, die Regierung mit ihren dahin gehenden Wünschen nicht zu behelligen, denn die Finanzlage ist nicht derartig, daß eine Mehrausgabe von 26 bis 30 Millionen Mark getragen werden könnte. Die Beseitigung der schwankenden Eisenbahn⸗ öö“ soll herbeigeführt werden; wie soll das geschehen? Will man einen Theil der Eisenbahneinnahmen festlegen? Dann wird der Etat manch⸗ mal nicht die nöthigen Mittel zur Deckung nothwendiger Ausgaben bieten. Wir müßten dann Schulden machen und das muß unter allen Um⸗ ständen vermieden werden. Der Redner schließt mit der Hoffnung, daß die Unzufriedenheit in den unteren Schichten der Bevölkerung verschwinden werde. 8

Abg. Freiherr von Minnigerode⸗Rossitten (cons.): Die Ver⸗

hältnisse des Etats sind durchaus keine erfreulichen, aber sie sind er klärlich aus den thatsächlichen Verhältnissen, namentlich aus den großen Ansprüchen des Reichs, die zu erheblicher Abnahme der Ueberweisungen geführt haben. Daneben wächst die Verzinsung unserer Schulden von Jahr zu Jahr. Die Ueberschüsse aus der Einkommensteuer bleiben formell vollständig thesaurirt und über ihre Verwendung wird später zu beschließen sein. Die Signatur für die Finanz⸗ verwaltung ist die Beschränkung des Errtraordinariums. Eine Einnahmevermehrung ist bei der Lotterieverwaltung ein⸗ getreten. Die Budgetoommission wird diese Frage genauer prüfen nüssen; der Finanz⸗Minister hat wohl mit Recht auf Braunschweig, Hamburg und Mecklenburg hingewiesen und sich darauf berufen, daß ein gewisses Spielbedürfniß im Volke vorhanden ist, sodaß wir die Sache nicht a Umine abweisen können. Die Polizei in den Städten muß verbessert werden, und namentlich muß der Staat auch das Nachtwachwesen übernehmen; die dafür erforderlichen Ausgaben werden wir bewilligen. Die Vermehrung der etatsmäßigen Stellen für Diätarien entspricht einem langjährigen Bedürfniß, dessen Vor⸗ handensein das Haus immer anerkannt hat; ohne finanzielle Opfer wird diese Maßregel allerdings nicht durchzuführen sein. In der landwirthschaft⸗ lichen Verwaltung befindet sich eine Ausgabe von 300 000 zur Förderung der Landwirthschaft in den östlichen Provinzen. Es ist anzuerkennen, daß die Regierung diesen F2 b früher ver⸗ dorxpelt hat. Erfreulich ist die vom Finanz⸗Minister angedeutete Verwendung der Einnahmen aus den Veräußerungen von Domänen und Forsten, welche bisher einfach im Etat verschwanden, und jetzt zu Anforstungen und Moorculturen verwendet werden sollen. Allerdings soll nur der Betrag verwendet werden, der über 800 000 hinaus⸗ geht. Nun hat sich der Verkauf aber in der letzten Zeit immer jährlich in der Höhe von 700 000 bewegt. Es mnuß also erwartet werden, daß die Verkäufe gesteigert wer⸗ den über 800 000 hinaus, und dadurch das fiscalische Land in Rentengüter verwandelt wird. Diese Art der Anfseglung ist wirthschaftlich durchaus zu billigen. Die Schwierigkeiten der Finanz⸗ lage liegen bei den Betriebsverwaltungen. Eine nachhaltig. Besserung ist auf diesem Gebiete nicht zu schnell zu erwarten Für das laufende Jahr waren besonders ungünstige Verhältnisse vorhanden: die schlechte Ernte und die Choleragefahr; aber es sind doch auch dauernde Gründe maßgebend. Die Ausgaben der Eisenbahnverwaltung sind seit ihrer Verstaatlichung erheblich gewachsen, ohne daß die Tarife erhöht worden sind, die Personentarife sind sogar erheblich erleichtert worden. Es wäre daher wohl angebracht, entsprechend dem Einnahmeausfall die Personentarife mäßig zu erhöhen. (Zustimmung rechts.) Die Freisinnigen haben durch den Abg. Rickert eine Reform der Per⸗

sonentarife verlangt selbst noch beim Etat für 1891/92. Erst im nächsten Jahre lug die Windfahne um, als die Einnahmen zurückgingen. ir können daraus lernen, daß wir gute Einnahmen nicht verwenden, um neue Ausgaben und neue Bedürfnisse zu schaffen, sondern um unsere Po⸗ sition zu befestigen. Bei den Bergwerken ergiebt sich auch eine Mindereinnahme von drei Millionen Mark. Auch hier ist eine sehr schnelle Besserung nicht zu erwarten. Eine Mehrausgabe ist eingestellt für die Bergwerksschiedsgerichte. Ich möchte hierbei an die Regierung die Aufforderung richten, ihre Autorität den Arbeitern gegenüber vollauf zu wahren und dadurch den anderen Betrieben mit einem guten Beispiele“ voranzugehen. (Zustimmung rechts.) Eine Mehr⸗ ausgabe ist entstanden für die wachsende Verzinsung der Schulden. Durch die Zunahme der Schulden hat sich ein Sinken der Curse bemerkbar gemacht, und es liegt die Gefahr nahe, daß wir in Abhängigkeit gerathen von internationalen Geldmächten. (Hört! rechts) Wir geben uns der Erwartung hin, daß alle Luxusbauten vermieden werden. Wir Fapeg aber nicht allein mit uns selbst, sondern auch mit dem Reich zu rechnen, von welchem wir geringere Ueberweisungen und höhere Matrikularbeiträge zu erwarten haben. Die Abhängigkeit vom Reich ist um so drückender, weil das Reich das Monopol der indirecten Steuern besitzt. Deshalb müssen wir verlangen, daß das Reich diese Steuer⸗ quelle in stärkerem Maße für sich und für die Einzelstaaten in Anspruch nimmt. Es ist leichter im Reichstag Ausgaben zu bewilligen als bei uns, weil die Schwierigkeiten durch die Erhöhung der Matrikular⸗ beiträge leicht beseitigt werden können, während bei uns der hinkende Bote immer sofort nachkommt. Dabei hat die Reichs⸗Finanzver⸗ waltung nicht die Selbständigkeit, welche der preußische Finanz⸗Minister mit Recht für sich in Anspruch nimmt. Dazu kommt ein dritter Punkt: die Trennung der Stellung des preußischen Minister⸗Präsidenten vom Reichskanzleramt. Durch die Vereinigung dieser Aemter in einer Person wurden die preußischen und die Reichsinteressen gemeinsam gewahrt, wäh⸗ rend dem Reichskanzler jetzt die preußischen Angelegenheiten ferner liegen. Ein idealer Zustand wäre, daß der preußische Finanz⸗Minister zu⸗ gleich Reichs⸗Schatzsecretär wäre (Zuruf Rickert’s: Wir haben gar⸗ nichts dagegen!). Das weiß ich; aber die anderen deutschen Einzel⸗ staaten würden damit vielleicht nicht zufrieden sein. Die allgemeine Finanzlage wird sich nur langsam bessern, weil keine schnelle Besserung der wirthschaftlichen Verhältnisse zu erwarten ist. Daraus folgt

für uns, entsprechend der Meinung des Finanz⸗Ministers, große Ent⸗

sagung in Bezug auf alle Wünsche. Aber wir werden uns hüten, dringende und productive Ausgaben ohne Noth zu unterlassen. Unter diesem Gesichtspunkte ist der Antrag des Grafen Kanitz auf⸗ zufassen, der in der Entwickelung des Secundär⸗Eisenbahnwesens keinen Stillstand eintreten lassen will, wenn ja auch, nachdem so viel neue Secundärbahnen gebaut und die Ausführung von Tertiär⸗ bahnen angeregt ist, eine gewisse Einschränkung eintreten muß. Die kritische Lage der Landwirthschaft ist noch nicht vorüber; sehr hohe Preise wollen die Landwirthe nicht, sie wollen mäßig hohe Preise, bei denen eine Verzinsung des angelegten Kapitals eintritt. Solche Mittelpreise herrschen aber jetzt nicht. Man spricht von der großen Ernte, während eine solche nur für manche Gegenden und manche Erzeugnisse vorhanden war. Das Getreide ist billiger geworden, aber das Brot ist nicht entsprechend größer geworden. Selbst wenn aber das Brot riesengroß wäre, wo ist denn die Kaufkraft? In der Begründung der Handelsverträge ist die Nothwendigkeit anerkannt worden, dem Consumenten billige Preise zu gewähren. Danach sollte man glauben, daß Deutschland nur aus Consumenten besteht. Bei den niedrigen Brotvpreisen kann man verhungern, während man meinen sollte, daß bei niedrigen Preisen von Noth überhaupt keine Rede ist. Wer will die Handelsverträge heute noch, d. h. innerhalb der produ⸗ cirenden Stände? Die Landwirthschaft nicht: von keiner Industrie habe ich die Sehnsucht nach denselben aussprechen hören. Die Handels⸗ verträge sind ein nationales Unglück mit der Krönung einer zwölf⸗ jährigen Bindung. Dadurch ist eine große Beunruhigung des Volks über die weitere Entwickelung der Dinge gegeben; denn die Frage der geschützten Production auf dem Lande ist eine Eristenzfrage für viele Tausende. Was der Blutumlauf im Körper ist, das ist der Geld⸗ umlauf in der Volkswirthschaft, und wenn für die Land⸗ wirthschaft, für dieses michtigfte Glied der Volkswirth⸗ schaft, nicht die Leistungsfähigkeit erhalten wird, dann krankt der ganze Körper. Die einseitige Entwickelung zum Industrie⸗ staägte würde für Preußen und das Reich ein Unglück sein. Der ein⸗ seitige Industriestaat mit seinen Krisen und Wechselfällen mag uns erspart bleiben. Wenn von der Gefahr des russischen Handelsver⸗ trages die Rede ist, dann müssen wir besonders der Gefahr der Ein⸗ schleppung der Viehseuchen gedenken. Wir haben die Thore nach Oester⸗ reich hin weit genug aufgemacht; wir sollten die Gefahr der Seuchenein⸗ schleppung von Rußland aus nicht vermehren. Die neue Branntwein⸗ steuer wird wiederum die Landwirthschaft schädigen. Wenn der Ver⸗ brauch zurückgeht, wäre ja wohl eine Verminderung des Contingents angebracht, wobei man die kleineren Brennereien aber berücksichtigen sollte. Aber angesichts der jetzigen Verhältnisse ist eine Steuererhöhung bedenklich, die Consequenzen derselben könnten auf die Brenner zurückfallen. Jedenfalls wird das der Fall sein in Bezug auf den uncontingentirten Spiritus; die Kartoffeln werden gar nicht mehr nutzbringend ver⸗ wendet werden können. Freilich sagen dann hoch begabte Literaten, denen das Wohl des Vaterlandes am Herzen liegt: Baut doch lieber Zuckerrüben als Kartoffeln. Sie verdienten, einmal vor die Egge gespannt zu werden, um zu erfahren, was die Land⸗ wirthschaft bedeutet. (Zustimmung rechts.) Die Aenderung des Unterstützungswohnsitzgesetzes haben wir oft genug verlangt, und die Regierung hat ja auch erfreuliche Zusicherungen gegeben bei der Be⸗ rathung des Invalidenversicherungsgesetzes. Wir hoffen, daß der Minister⸗Präsident die Interessen der Landwirthschaft mit fester Hand wahren wird. (Beifall rechts.) 8 1 11 Es sind inzwischen zwei Anträge über die geschäftliche Behandlung des Etats eingegangen; ein von allen Parteien gestellter Antrag will einen großen Theil des Etats der Zubgeicvmträssstoß überweisen, während ein Antrag der Abgg. Lieber, Franke und Genossen die Budgetcommission für die Berathung des Eisenbahn⸗Etats um sieben Mitglieder verstärken will. (Schluß des Blattes.)

Steuerreformcommission des Hauses der

gestern die Berathung des ihr über⸗ Gesetzes über die Verbesserung des Volksschulwesens und des Diensteinkommens der Volksschullehrer fort. Das Gesetz nimmt seinen Ausgang von § 82 des Einkommensteuergesetzes, insoweit als die Ueber⸗ schüsse dieser Steuer die Grundlage der Aufbesserung des Diensteinkommens der Lehrer und der Zuwendungen für Volksschul⸗ bauten bilden sollen. Abg. von Jagow (cons.) beantragte: I. dem § 1 des Volksschulgesetzes folgende Fassung zu geben: „Aus den im § 82 des Einkommensteuergesetzes vom 24. Juni 1891, bezw. § 51 b des Ergänzungssteuergesetzes bestimmten Ueber⸗ schüssen sind für die Etatsjahre 1893/94 und 1894/95 je zwei Millionen Mark zu Beihilfen an Schulgemeinden oder Schulverbände zu Volksschulbauten wegen Unvermögens bereit zu stellen.“ II. a. dem § 51 Absatz 3 des Ergänzungssteuergesetzes folgende Fassung zu geben: „Bleibt das Veranlagungssoll des Jahres 1895/96 hinter dem Be⸗ trage von 35 Millionen Mark um mehr als 5 % zurück, so findet, insoweit der Ausfall nicht durch einen Mehrertrag der Einkommen⸗ steuer für das Jahr 1895/96 über die Summe von 135 Millionen Mark und durch die Zinsen der in § 51b dieses Gesetzes bestimmten Ueberschüsse gedeckt wird, in gleicher Weise eine entsprechende Er⸗ höhung der im § 18 dieses Gesetzes bestimmten Sheuerlsge statt. Diese Erhöhung wird durch Königliche Verordnung für die Folgezeit wieder außer Kraft gesetzt, wenn das Veranlagungssoll der Ergänzungs⸗ steuer den Betrag von 35 Millionen Mark zuzüglich einer Steigerung von 4 % für jedes auf 1895/96 folgende Steuerfahr erreicht.“ b. Fol⸗

HDBie Abgeordneten setzte wiesenen § 1 des

genden § 51 b in dem Cegeanggeseee en einzufügen: „Soweit die Einnahmen an Einkommensteuer für das Jahr 1892/93 den Betrag von 80 Millionen Mark und für die folgenden Jahre einen um s 4 % erhöhten Betrag übersteigen und, soweit über diese Ueberschüsse nicht durch das Gesetz, betreffend die Verbesserung des Volksschul⸗ wesens, bereits Verfügung getroffen ist, sind diese Ueberschüsse und deren Zinsen bis zum Etatsjahre 1894/95 einschließlich zu einem besonderen, von dem Finanz⸗Minister zu verwaltenden Fonds ab⸗ zuführen. Sofern oder soweit die Zinsen dieses Fonds nach dem Bestande vom 1. April 1895 zu der im § 51. Abs. 3 dieses Gesetzes bezeichneten Deckung nicht Verwendung finden, ist über die Ver⸗ wendung derfelben zu Beihilfen für Volksschulbauten oder zu ander⸗ weiten Beihilfen an Schulverbände wegen Unvermögens durch den Staatshaushalts⸗Etat Bestimmung zu treffen. Der Fonds selbst ist am 1. April 1895 zu den allgemeinen Staatsfonds zu vereinnahmen. Die §§ 82 84 des Einkommensteuergesetzes treten mit der Ver⸗ kündung dieses Gesetzes außer Kraft.“ Abg. Dr. Meyer (dfr.) stellte den Antrag: „unter Ablehnung des § 1 des Schul⸗ gesetzes die Regierung aufzufordern, noch in dieser Session einen Nachtrags⸗Etat vorzulegen, welcher die in der Vor⸗ lage bezeichneten, als Wenrzsch öbker zu betrachtenden Be⸗ dürfnisse der Schulverwaltung durch eine Anleihe deckt. Nach langer Debatte wurden sowohl die Regierungsvorlage wie der Antrag Meyer gegen 4 Stimmen abgelehnt. Dagegen wurde der Antrag von Jagow ad 1 mit 18 gegen 8 Stimmen, ad II mit 23 gegen 3 Stimmen, mit unwefentlichen Abänderungen angenommen. Dem Plenum wird Bericht erstattet werden. Die Commission ging alsdann über zu dem Antrage von Eynern, welcher an Stelle der Ergänzungssteuer die Erhöhung der Erbschaftssteuer setzen will. Der Vorschlag, den Antrag einer Subcommission zu überweisen, wurde gegen 8 Stimmen abgelehnt, ebenso der Antrag selbst und schließlich auch der Antrag Würmeling, wel er allgemein eine fundirte Ein⸗ kommensteuer vorschlägt. Die nächste Sitzung der Commission ist auf Mittwoch Abend anberaumt; zur Verhandlung steht das Com⸗ munalsteuergesetz. 8

Dem Hause der Abgeordneten ist der nachstehende A trag der Abgg. Graf von Kanitz und Gen. zugegangen:

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, in den herkömmlichen Aufwendungen für die Erweiterung und Vervollständigung des Staatseisenbahnnetzes eine Beschränkung nicht eintreten zu lassen.

Ferner ist dem Hause der Abgeordneten ein Bericht über die Verhandlungen des Landes⸗Eisenbahnraths im Jahre 1892 zugegangen.

Theater und Musik.

8 Thomas⸗Theater.

Auf die Vorstellungen der „Fliegenden Fee“ Preciosa Grigolatis ist das Gastspiel des Wiener Possen⸗Ensembles unter Leitung des Herrn Franz Josef Graselli gefolgt, der noch von seinen im vorigen Jahre im Adolph Ernst⸗Theater veranstalteten Aufführungen in gutem Andenken steht. Eröffnet wurde das Gastspiel gestern Abend durch die wohlbekannte Posse: „Die Gigerln von Wien“, die auch diesmal wieder dem Publikum gefiel und durch ihre derbkomischen Scenen sehr erheiternd wirkte. Die Hauptrollen wurden von denselben Personen dargestellt wie früher. Frau Menzel gab die Kaffee⸗ schwester mit vielem Humor, Fräulein Jolly ebenso die böse Sieben. Den Hauptgigerl spielte Herr Graselli in vorzüglichster Laune und den auf das Lotterieloos im Hutfutter Jagd machenden Hutmacher Herr Müller „ganz vortrefflich. Da auch die übrigen Rollen gut besetzt waren und das flotte Zusammenspiel nichts zu wünschen übrig ließ, unterhielten sich die Zuschauer auf das Beste und spendeten den Wienern lebhaften Beifall.

Philharmonie.

Das Concert des Philharmonischen Chors, das am Mon tag unter Leitung des Herrn Siegfried Ochs stattfand, war eines der hervorragendsten dieser Saison. Der Kaisermarsch von R. Wagner, an den sich der Chor „Heil, Heil dem Kaiser“ anschließt, eröffnete den Abend; ihm folgte eine Weihnachtshymne für Alt⸗Solo, Chor Orgel und Orchester: „Gruß an die heilige Nacht“ von M. Bru mit Text von R. Prutz, ein Werk, das, sehr würdig und stimmungsvoll gehalten, zuglei melodische Erfindung un wirkungsvolle harmonische Gestaltung mit der diesem Com⸗ ponisten eigenen Beherrschung der Mittel vereinigt mit großem Beifall des zahlreich erschienenen Publikums auf genommen wurde. Der Componist dirigirte sein Werk selbst. Die Ausführung von Seiten des Chors und der Solistin Frau Professor Bruch, welche für das erkrankte Fräulein Kloppenburg eingetreten war, brachte diesen Hymnus in vorzüglicher Weise zur Geltung. Den Beschluß des Abends machte die von S. Ochs mit gewohnter Sicherheit und Energie geleitete neunte Symphonie Beethoben’s, in welcher Fräulein Clara Nittschalk das Alt⸗Solo übernommen hatte. Der Chor ließ wieder seine stets anerkannte Präcision in der Zusammenwirkung und die jugendliche Frische seines Stimmenklangs in glänzendstem Lichte er⸗ scheinen. Selbstverständlich führten auch Frau Schmidt⸗Köhne Herr von zur Mühlen und Herr Staudigl die ihnen zugetheilten Soli in lobenswerthester Weise aus. Schließlich erwähnen wir noch die sehr diseret ausgeführte Orgelbegleitung des Herrn Dr. Reimann.

Saal Bechstein. Das durch seine pianistischen Leistungen hier bereits vortheilhaft bekannte Künstlerpaar Herr Louis Rée und Frau Susanne Rée der Familie des in Kopenhagen als Lehrer und Componist leb Anton Rée angehörig, gab gestern ein Concert, das nur aus Vor trägen auf zwei Flügeln bestand. Nach zwei klassischen Werken von Bach und Clementi kamen auch neuere Compositionen von Grieg, Mendelssohn, Saint⸗Saëns und anderen zur Ausführung, in denen besonders das liebliche Spiel der Pianistin im Ciegizen gste Licht erschien. Das Ensemble war tadellos, was umsomehr anzuerkennen ist, als alles auswendig gespielt wurde, wobei selbstverständlich jeder auch des anderen Klavierstimme genau zu memoriren hat. Lebhafter un wohl 1

A

verdienter Beifall folgte jedem Musikstücke.

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8HIn. der sechsten Symphonie⸗Soirée der Königlichen Kapelle im Königlichen Opernhause am Freitag gelangt zum ersten Mal eine Symphonie H-moll des russischen Componisten Boralin (gestorben 1887) zur Aufführung. Eine mit Noten versehene Analyse des Werks ist in der Hof⸗Musikalienhandlung von Bote u. Bock und am Concert⸗ abend an der Kasse zu haben. Den übrigen Inhalt des Concerts bilden Wagner'’'s o le⸗DMerker Haydn’'s Symphonie in G-dur und die Huverture zu Nicolai's Oper „Die lustigen Weiber“. Morgen geht nicht, wie irrthümlich gemeldet, „Der Wildschütz“, sondern „Der Waffenschmied“ in Scene. .

In dem im Königlichen Schauspielhause wieder auf⸗ genommenen G. von Moser'’schen Schwank „Das Stiftungsfest“, dessen Aufführung am Donnerstag stattfindet, sind neu Fräulein Abich als Bertha, Frau Conrad als Ludmilla, Herr Hertzer als Steinkirch. Die übrige Besetzung ist die bekannte.

Ludwig Barnay wird in Leipzig am 28. d. M. gelegentlich des Stadttheater⸗Jubiläums den Orest in Goethe's „Iphigenie“ darstellen, zugleich mit der die Titelrolle spielenden Clara Ziegler. Gewisser⸗ maßen als Vorläufer zu dieser Aufführung soll nun im Berliner Theater am nächsten Montag eine „Iphigenie“⸗Aufführung statt⸗ finden, worin Ludwig Barnay zum ersten Male und voraussichtlich hier auch einzigen Male den Orest spielen wird; Anna Haverland

wird an diesem Abend die Ivhigenie darstellen.

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