1893 / 17 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 19 Jan 1893 18:00:01 GMT) scan diff

Nothfällen gestattet, eine in um bei plötzlichen Erkrankungen und ähnlichen unvorhergesehenen Ge⸗ legenheiten Eis kaufen zu können. Auf Grund derselben Erwägung haben wir für den Handel mit chirurgischen Instrumenten, Bruchbändern und dergleichen Heilmitteln die Zulassung von Ausnahmen auf Grund des § 105 e a. a. O. nicht für erforderlich erachtet.

4) Eure Excellenz wollen Sich ferner darüber äußern, ob ein Bedürfniß für den Verkauf von Zeitungen und Reiselectüre an Sonn⸗ und Festtagen auf den Bahnhöfen anzuerkennen ist.

5) Durch Ziffer 1V 2 unserer Ausführungsanweisung sind die unteren Verwaltungsbehörden ermächtigt worden, bei öffentlichen Festen ꝛc. und für Ortschaften, in denen durch Heendeacbesuh ein gesteigerter Verkehr veranlaßt wird, das Hausiren mit Blumen, Back⸗

waaren, geringwerthigen Gebrauchsgegenständen, Erinnerungszeichen und ähnlichen Gegenständen zuzulassen. Da sich ein gleiches Bedürfniß für Wurstwaaren, geräucherte Fische und Obst herausgestellt hat, so ermächtigen wir die unteren Verwaltungsbehörden hierdurch, unter den a. a. O. gedachten Voraussetzungen auch das Hausiren mit Obst, Wurstwaaren, Fischen und sonstigen Lebensmitteln zu gestatten.

Ob ein Bedürfniß sich geltend gemacht hat, den unteren Ver⸗ waltungsbehörden in noch weiterem Umfange die zur Zulassung von Ausnahmen von dem Verbote des § 55a der Gewerbe⸗ ordnung zu ertheilen, darüber wollen wir Eurer Excellenz gefälligen Vorschlägen ergebenst entgegensehen. 1 8“

Falls Eure Excellenz zur Erledigung dieses Erlasses die Anhörung Betheiligter für geboten halten, so wollen Sie gefälligst solche auch us den Kreisen der Handlungsgehilfen vernehmen lassen.

Die aus der dortigen Provinz hierher gelangten Eingaben und Berichte der Regierungs⸗Präsidenten über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe, soweit darauf ein Bescheid noch nicht ergangen ist, ibersenden wir Eurer Excellenz hierbei zur gefälligen Berücksichtigung

ei Erledigung dieses Erlasses. Für die Eurer Excellenz unter⸗

stehenden Regierungs⸗Präsidenten ist die erforderliche Zahl von Ab⸗

grücken des Erlasses beigefügt

Ein in Nr. 2 der „Amtlichen Nachrichten des Reichs⸗Versicherungsamts“ vom 15. Januar 1893. veröffentlichter Bescheid behandelt die Frage der Nach⸗ veisung derjenigen Löhne, die bei Montage⸗ Arbeiten an die Hilfsmannschaften gezahlt werden. Diese Löhne sind unter Umständen derjenigen Berufsgenossen⸗ schaft nachzuweisen, welcher der Maschinenfabrikant als Mit⸗ glied angehört.

Nr. 2 der Sonderausgabe der Amtlichen Nach⸗ richten, Invaliditäts⸗ und Altersversicherung, enthält ein Rundschreiben an die Vorstände der Invaliditäts⸗ und Altersversicherungs⸗Anstalten, betreffend die Nachweisung über ihre Geschäfts⸗ und Rechnungsergebnisse für das Jahr 1891 nebst zugehörigen Tabellen, sowie folgende bemerkenswerthe Bescheide:

Das Rechtsmittel des Widerspruchs nach § 160. Abs. 3 des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungs⸗ gesetzes dient nur dazu, die Richtigkeit bereits beigebrachter Arbeitsnachweise beziehungsweise die Rechtmäßigkeit der Be⸗ lastung auf Grund von solchen zu beanstanden. Die Möglich⸗ keit, das vorhandene Material⸗ durch anderweite Arbeits⸗ bescheinigungen zu vervollständigen, ist den betheiligten Ver⸗ sicherungsanstalten, soweit solches Material nicht bereits in den früheren Stadien des Verfahrens beigebracht ist, nur durch Geltendmachung des Vorbehalts nach § 160 Abs. 2 a. a. O. gegeben.

Der Umtausch verdorbener oder unbrauchbar gewordener Versicherungsmarken erfolgt nicht bei den Postanstalten auf den unmittelbar an sie ge⸗ richteten Antrag des Publikums. Vielmehr bedarf es auch in diesen Fällen ebenso wie in denjenigen, in welchen die umzutauschenden oder einzulösenden Versicherungsmarken aus anderen Gründen nicht verwerthbar sind stets eines Antrages an den Vorstand der Versicherungsanstalt, der nach

etroffener Entscheidung die Vermittelung der zuständigen Ober⸗ Postolrection zum Zwecke des Umtausches der verdorbenen oder unbrauchbar gewordenen Marken in Anspruch nehmen kann.

S. M. S. „Arcona“, Commandant Corvetten⸗Capitän Hofmeier, ist am 17. Januar in Port Said eingetroffen und beabsichtigt heute (am 19.) nach Aden in See zu gehen. S. M. Kreuzer „Bussard“, Commandant Corvetten⸗ Capitän Flichtenhöfer, ist am 18. Januar in Auckland

eingetroffken. 8

““ 6 Sachsen⸗Coburg⸗Gotha.

Ihre Hoheit die Herzogin hat sich, wie die „Cob. Ztg.“ meldet, gestern zu längerem Aufenthalt nach Nizza begeben. Heute sind Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz und die Prinzessin Ferdinand von Rumänien in Coburg ein⸗

getroffen.

1 Oesterreich⸗Ungarn.

Wie die „Wien. Ztg.“ mittheilt, wurde der Erzherzog Franz Ferdinand von Oesterreich⸗Este, der bei der An⸗ kunft in Bombay bereits an Bord vom Gouverneur be⸗ willkommnet worden war, bei seiner Landung durch die Salut⸗ schüsse des Geschwaders und der Landbatterien begrüßt. Die Landungsstelle und die Straßen waren festlich geschmückt; der Empfang war ein sehr herzlicher.

Die „Politische Correspondenz“ dementirt die von ver⸗ schiedenen Blättern gebrachte Meldung über den Rücktritt des General⸗Inspectors der Infanterie Freiherrn von König, sowie die an die Meldung geknüpften Combinationen über Veränderungen in den hohen Commandostellen.

In Budapest ist am 17. d. M. der Fünfzehner⸗ Ausschuß zur Berathung der Congrua und der katho⸗ lischen Autonomie zu seiner ersten Sitzung unter Vorsitz des Fürst⸗Primas Vaszary zusammengetreten. In der Eröffnungsrede führte, der „Wiener Presse“ zufolge, der Fürst⸗Primas hinsichtlich der Autonomie aus, seit dem Jahre 1848 hätten sich die politischen und die Religionsverhältnisse umgestaltet. Die Lage des Katholicismus habe sich bei der gesetzlich ausgesprochenen Gleichheit und Reciprocität der recipirten Confessionen verändert. Auf politischem Gebiet habe die Ständeverfassung einer verant⸗ wortlichen parlamentarischen Regierung Platz gemacht, welche letztere weder eine Staatsreligion, noch eine herrschende Religion anerkenne, und, da sie einer jeden der recipirten Confessionen gegenüber eine objective

r Regel genügende Handhabe bietet,

““

. einnehmen

müsse, könne die nunmehrige Regierung jene Rechts⸗ und Ver⸗ verehbhahe welche die Regierung des früheren Systems ausgefüllt habe, unter den veränderten Verhältnissen nicht aus⸗ füllen. Diese Umstände machten die katholische Autonomie zu einer Nothwendigkeit. Bei Verhandlung der Autonomie müsse aber einerseits die hierarchische Organisation der katholischen Kirche, andererseits das Patronatsrecht des apostolischen Königs im Auge behalten werden. Ferner seien die Intentionen der ungarischen Regierung in Betracht zu ziehen. Aus diesen Gründen müßten vorerst die Grundprincipien der Autonomie festgestellt werden und erst, wenn diese an competenter und competentester Stelle genehmigt seng würden, werde man zur Feststellung der Organisation elbst schreiten können.

Großbritannien und Irland.

Wie das ‚„Reuter'sche Bureau“ in Bestätigung ander⸗ weitiger Meldungen erfährt, begaben sich die Botschafter Rußlands und Frankreichs vorgestern nach dem Aus⸗ wärtigen Amt, um daselbst die Versicherung abzugeben, daß ihre Regierungen von den Vorgängen in Egypten nicht die geringste Kenntniß gehabt hätten. (Es war nämlich in englischen Blättern behauptet worden, der Ministerwechsel in Kairo sei auf den Einfluß Rußlands und Frankreichs zurück⸗ zuführen. D. Red.)

Dem „Daily Chronicle“ zufolge hat die Regierung die Errichtung eines Arbeits⸗Departements beschlossen, das sehr weitgehende Befugnisse besitzen und mit dem Handels⸗ Ministerium verbunden werden soll.

Frankreich.

In der Deputirtenkammer richtete gestern der De⸗ putirte Deloncle eine Anfrage an die Regierung wegen der Vorgänge in Egypten und beantragte die Absendung eines französischen Geschwaders dorthin. Der Minister des Auswärtigen Develle erwiderte, er habe den Botschafter Waddington in London beauftragt, von der englischen Re⸗ gierung Aufklärungen wegen des auf den Khedive aus⸗ geübten Drucks zu erbitten. Die französische Regierung werde mit der größten Ruhe darüber wachen, daß keinerlei Angriff auf die Selbständigkeit der egyptischen Regierung ge⸗ macht werde. Der Zwischenfall war damit erledigt.

Der Finanz⸗Minister Tirard empfing gestern, wie „W. T. B.“ meldet, eine Abordnung der Coulissiers, die das Ersuchen stellten, daß man ihnen gestatte, die geplante Börsensteuer unter demselben Titel zu zahlen wie die Wechsel⸗ makler, da sie sonst gradezu die Bediensteten der Wechselmakler würden. Eine solche Situation werde die Coulisse nicht an⸗ nehmen, das Verschwinden der Coulisse würde aber das von dem Pariser Markt auf 12 Millionen Francs veranschlagte Erträgniß der Börsensteuer beträchtlich vermindern.

Der Deputirte Delcasse hat das Amt des Unter⸗ Staatssecretärs der Colonien übernommen.

In dem Panama⸗Prozeß beendete gestern der General Staatsanwalt secin Plaidoyer. Er suchte 1 daß die vorgekommenen Betrügereien sämmtlichen Angeklagten, mit Einschluß Ferdinand von Lesseps', zur Last zu legen seien, und forderte eine strenge Bestrafung der Angeklagten. Eine Geld⸗ strafe würde ungenügend sein, die Gerechtigkeit fordere eine strengere Ahndung. Heute beginnen die Plaidoyers der Ver⸗ theidiger. Dem „Petit Journal“ zufolge würde der Untersuchungs⸗ richter Franqueville infolge des Ergebnisses des gestrigen Verhörs von Charles von Lesseps heute weitere zehn Deputirte vorladen lassen, die bisher in der Panama⸗ Affaire noch nicht beschuldigt waren.

Die Panama⸗Untersuchungs⸗Commission der Deputirtenkammer vernahm gestern einen Angestellten des Bankhauses Propper, der behauptete, nach dem Dictat Reinach's eine Liste derjenigen Personen geschrieben zu haben, die Panamagelder erhalten hätten. Reinach habe ihn auch eine Mittheilung zu Clémenceau tragen lassen, und es sei dies die⸗ selbe Mittheilung, die Andrieux der Commission übergeben habe. Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde Clémenceau ver⸗ nommen, der erklärte, er habe niemals eine schriftliche Mit⸗ theilung, wie die, von der der Beamte des Bankhauses Fren gesprochen, erhalten, und Reinach habe zu ihm niemals etwas von einer ähnlichen Note gesprochen. Der gedachte Beamte wurde nochmals vorgerufen, hielt aber seine Erklärungen auf⸗ recht. Er soll heute nochmals vernommen werden.

Dem „Journal des Débats“ zufolge entdeckte ein Polizei⸗ commissar in dem Bankhause Offray, Rue Faubourg Poissonniére, 300 von Axrton ausgestellte und von bekannten Persönlichkeiten quittirte Checks. Gerüchtweise verlautet, diese Entdeckung werde eine zweite gerichtliche Untersuchung veran⸗ lassen, die getrennt von dem schwebenden Panama⸗Prozeß geführt werden solle.

Dem „Petit Journal“ zufolge ist vorgestern ein Vor⸗ führungsbefehl gegen Cornelius Herz erlassen worden. Dieser Befehl sei derart motivirt, daß die Auslieferung des Herz an die mit dem Mandat nach London abgereisten Agenten sofort erfolgen werde.

Der ausgewiesene Journalist Szekely ist gestern Nacht Polizeibeamten nach der Grenzstation Delle gebracht worden.

Spanien.

ehemalige Kammer⸗Präsident T. B.“ berichtet, gestorben.

Martos ist, wie

Die Regierung hat, wie der „Magd. Ztg.“ berichtet wird, gestern in der Kammer Gesetzentwürfe wegen Errichtung einer Staatspolizei in Brüssel und eines Verbots öffentlicher Kundgebungen in dem Stadttheile, in welchem sich das König⸗ liche Palais befindet, eingebracht.

Serbien.

Der Kriegs⸗Minister hat, wie „W. T. B.“ berichtet, eine Verordnung erlassen, nach welcher die Arbeiter und das A nshspersene von militärtechnischen Anstalten bei ihrem Dienstantritt einen Revers ausstellen müssen, sich jeder Theilnahme an politischen Vereinen, sowie an den Wahlen für die Skupschtin d für Gemeinde⸗ vertretungen zu enthalten. 8

Bulgarien. Der Unions⸗Club veranstaltete, einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge, zu Ehren des bisherigen deutschen General⸗Konsuls Fleuern von Wangenheim anläßlich dessen bevorstehender Abreise gestern ein großes Bankett, woran die Minister und das diplomati che Corps theilnahmer

Der Minister⸗Präsident Stambulow, der Minister des Aus⸗ wärtigen Grekow und der italienische Vertreter, General⸗ Konsul Graf Sonnaz, hielten dabei herzliche Ansprachen

Schweden und Norwegen.

Die Thronrede, die vom König gestern zur Eröffnung des Reichstags im Thronsaal verlesen wurde, besagt, einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge, daß die Beziehungen zu den auswärtigen Mächten fortdauernd die zufriedenstellendsten seien, erwähnt sodann besonders die freundschaftlichen Beziehungen zu Dänemark und kündigt an, daß dem Reichstage eine Vorlage über Geldbewilligungen zur Entwickelung der Marine und zum

Ausbau der Nord⸗Eisenbahn im Jahre 1894 zugehen werde. Bis zur Vollendung der Studien über Aufbringung der Steuern, die

durch die beschlossene Reform der nationalen Vertheidigung nothwendig geworden seien, wird vorgeschlagen, im Jahre 1894 zur Deckung der Mehrausgaben den Gewinn der Königlichen Bank und solche Steuerzuschläge zu verwenden, die entweder garnicht oder nur in sehr geringem Maße die niedrigst Be⸗ steuerten treffken. Der Ceremonie wohnten der Kronprinz und die Kronprinzessin von Dänemark bei. 1

Afrika.

In der Audienz, die der großbritannische Gesandte Lord Cromer gestern bei dem Khedive hatte, wies dieser nach einer Meldung des „Reuter’'schen Bureaus“ auf die un⸗ angenehme Lage hin, in die er versetzt werde, falls England auf der Wiedereinsetzung Fehmi Pascha’s zum Minister⸗Präsidenten bestünde. Der Khedive erklärte sich bereit, Riaz⸗Pascha wieder zum Minister⸗Präsidenten zu ernennen, und fügte hinzu, er wünsche innig, in vollem Einvernehmen mit England zu handeln und mit diesem die frreundschaftlichsten Beziehungen zu unterhalten. Er sei bereit, während der Occupation Egyptens durch die Engländer die Rathschläge Englands bei allen wichtigen Anlässen zu befolgen. Lord Cromer antwortete, es liege England fern, den Khedive in eine demüthigende Stellung deaee zu wollen; er erkenne den versöhnlichen Charakter des Vorschlags des Khedive an und übernehme die Verantwortung dafür, diesen anzunehmen, ohne vorher die englische Regierung zu befragen.

Die gestern mitgetheilte Nachricht der „Times“, daß mit der durch den Sultan von Marokko für die Ermordung des englischen Unterthanen zugebilligten Geldentschädi⸗ aung die Angelegenheit nicht beendet sei, bestätigt sich. Wie das „Reuter'sche Bureau“ aus Tanger meldet, sandte der englische Geschäftsträger Elliot Depeschen nach Fez, worin eine vollständigere Genugthuung ver⸗ langt wird. Das Gerücht, der Specialgesandte Sir W. Ridgeway werde dauernd in Marokko bleiben, ist unbe⸗ gründet. Seine Mission ist nur eine zeitweise und er wird nach England zurückkehren, sobald befriedigende Beziehungen zwischen England und Marokko wiederhergestellt sein werden.

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Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag.

Der Bericht über die 24. Sitzung vom 18. Januar be⸗ findet sich in der Ersten Beilage. 25. Sitzung vom 19. Januar, 1 Uhr. Der Sitzung wohnt der Staatssecretär Freiherr von Maltzahn⸗Gültz bei.

u Ehren des verstorbenen Abg. Goeser, Vertreters für XVII. Württemberg, erheben sich die Mitglieder von den Plätzen. 1 ö

Auf der Tagesordnung steht die erste Lesung der Novelle zum Börsensteuergesetz, welche die Stempelgebühr für Kauf⸗ und Anschaffungsgeschäfte durchweg verdoppeln und damit eine Verdoppelung der 8

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Einnahmen von 13 auf 26 Millionen Mark herbeiführen will.

Staatssecretär Freiherr von Maltzahn (wir werden diese Rede morgen im Wortlaut bringen): Die Steuererhöhung, welche das Bier und den Branntwein treffen würde, wird nach der Ansicht des Reichs⸗ tags vorzugsweise oder ausschließlich von den minder begüterten Klassen der Bevölkerung getragen. Von der Börsensteuer wird dies mit Recht nicht behauptet werden können, diese ist vielmehr ein Mittel, um auch die wohlhabenden Klassen zu einem Beitrag für die durch die Heeresvorlage erwachsenden Mehrkosten des Reichs heranzuziehen. Es handelt sich durchaus nicht um eine der Börse feindliche Maßregel, sondern einfach um ein finanzielles Erforderniß. Wir stehen vor der Nothwendigkeit, die Kosten für neue Reichsausgaben aufzubringen, und dazu soll auch die Börsen⸗ steuer einen Beitrag liefern. Diesem Bedürfniß gegenüber kann auch die Rücksicht auf den augenblicklichen Zustand des Börfenverkehrs, auf die vorhandene wirthschaftliche Degression nicht ausschlaggebend sein. Die Vorlage wird, auch wenn sie angenommen wird, keineswegs ihrem ganzen Effect nach sofort in Kraft treten, und niemand kann doch sagen, ob nicht in kurzem diese wirthschaftliche Deg ession und das augenblickliche Darniederliegen des Börsengeschästs einem neuen Auf⸗ schwung Platz macht. Wenn die Eingänge aus der Börsensteuer in den letzten Jahren thatsächlich zurückgegangen sind, so ist dies nicht eine Folge der Börsensteuer, sondern eben eine solche der allgemeinen ungünstigen Gestaltung der wirthschaftlichen Lage. Wenn wir jett die Sätze verdoppeln, so wird eben, wenn die Ursachen der wirth⸗ schaftlichen Degression und mit ihnen diese selbst verschwunden ist, das Einkommen aus der verdoppelten Steuer das oppelte sein. Man fürchtet auch eine Schädigung des Arbitragegeschäfts von der Vorlage. Eine Scheide⸗ grenze im Wege des Gesetzes läßt sich zwischen soliden und unsoliden Geschäften nicht ziehen. Die sonstigen Vorwürfe gegen die Ver⸗ doppelung sind ungefähr dieselben, beraz. schon bei der ersten Be⸗ rathung des Entwurfs eines Börsensteuergesetzes vorgebracht worden sind. Die Steuer wird auch nach der Verdoppelung nicht so hoch sein, daß der Verkehr sie nicht tragen könnte. Wenn behauptet wird, daß gerade diese Erhöhung des Stempels die Folge haben wird, daß das Geschäft an deutschen Plätzen, welches sich den bestehenden Verhältnissen anbequemt hat, in Zukunft nicht mehr leistungsfähig bleiben wird, daß der Verkehr in das Ausland, nach Paris, gedrängt werden wird, so weise ich darauf hin, daß im Moment auch in Frankreich eine Besteuerung der Börsengeschäfte in Höhe unseres Stempels geplant wird. 1 6

Abg. Dr. Siemens (dfr.): Wenn die Vorlage auch nur eine eventuelle ist, so muß ich doch näher auf dieselbe eingehen. Die Stel⸗ lung der Freisinnigen zur Börsensteuer ist ja bekannt. Wir haben immer den Satz vertreten, die wohlhabenden Kreise der Nation höher zur Besteuerung heranzuziehen als die minder wohlhabenden; wir haben aber für Verkehrsabgaben, welche die freie Thätigkeit, die Initiative des Einzelnen beschränken, niemals Sympathie gehabt. Heute vor zehn Jahren sprach Herr von Scholi hier aus, daß eine Schädigung dieser freien Thätigkeit des mobilen Kapitals von seiten der Regierung selbstverständlich nicht beabsichtigt sei. Die Begründung der heutigen Vorlage läßt davon nichts mehr merken. Ter Vertreter der verbünd ierungen führt im Gegentheil als Hauptgrmn

für die Vorlage das finanzielle Bedürfniß an. Gegenüber der Stimmung des Landes darf man sich aber Pdarauf nicht be⸗ schlänken. Die Vorlage ist außerordentlich leicht motivirt, und diese Leichtigkeit begründet sich in dem Gefühl der Sicherheit, daß die verbündeten Regierungen von einer sehr starken Volks⸗ strömung getragen werden. Dieser Irrthum ist weit verbreitet. Wir befinden uns in dem revolutionärsten Jahrhundert seit 2000 Jahren. Raum und Zeit sind durch Dampf, Bahn und Elektricität in ihrer begrifflichen Ausdehnun gänzlich verschoben. Wir befinden uns in einer thatfächlichen Revolution. Vor 120 Jahren waren 1000 Weber zur Herstellung eines Products nöthig, welches jetzt mit der Maschine von einem Weber hergestellt wird. Wenn dieses Gesetz weiter wirft, wenn es dazu geführt hat, die arbeitende Bevölkerung aus dem Land in die Stadt zu führen, dann ist es nicht zu verwundern, daß ganze Reihen von Bevölkerungs⸗ klassen dadurch in das höchste Erstaunen gesetzt sind. Die conservativen Parteien, welche sich im Grunde auf dem Grund⸗ besitz und dem Kriegsdienst im Sinne des Mittelalters aufbauen, sträuben sich begreiflicherweise gegen diese Entwickelung, ebenso die Socialdeme kraten, obwohl doch die erste Voraussetzung ihrer Existenz die Wiedereinführung der persönlichen Freiheit ist, die erst durch die In⸗ dustrie, durch das mobile Kapital gebracht wurde. Die Freiheit des Arbeiters ist ja noch nicht so groß, als es wünschenswerth ist, in dieser Be⸗ ziehung wird noch manches zu thun sein, aber wenn die Herren das mobile Kapital angreifen, dann sägen sie den Ast ab, auf dem sie selber sitzen. ihr tritt der Ausgleich ein zwischen den Creditbedürfnissen der verschiedenen Gegenden unter einander. Das augen⸗ blicklich liguide Kapital wird in den Engagements hin⸗ und her⸗ geschoben, es wird das Verhältniß der Valuten der verschiedenen Länder festgestellt. Alle diese Thätigkeiten werden durch die Steuer gehemmt, durch die Verdoppelung derselben natürlich noch weit mehr. Der steuerliche Effect der Vorlage wird sicherlich nicht erreicht werden, eine Schwächung des mobilen Kapitals aber auch nicht. Das mobile Kapital wird in seiner Beweglichkeit durch solche Erschwerungen seiner Thätigkeit behindert, und jede solche Behinde⸗ rung wirkt auch ungünstig auf andere Staatsverwaltungszweige zurück. (Schluß des Blattes.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

Der Bericht über die 17. Sitzung vom befindet sich in der Ersten Beilage.

18. Sitzung vom 19. Januar. Der Sitzung wohnen der Finanz⸗Minister Dr. Miquel, der Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden und der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen bei.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Berathung des Antrages des Grafen Kanitz: „Die Königliche Regierung zu ersuchen, in den herkömmlichen Aufwendungen für die Erweiterung und Vervollständigung des Staatseisenbahnnetzes eine Beschränkung nicht eintreten zu lassen.“

N Graf von Kanitz (cons.) führt aus, daß die Einstellung des Ausbaues der Secundärbahnen die Privatindustrie erheblich schädigen würde. Wenn der Staat in schlechten Zeiten seine Thätigkeit so einschränken wolle, so gebe er den Privatindustriellen damit ein schlechtes Beispiel. Der Wunsch, der im Antrage enthalten ist, hätte im Laufe der Etatsberathung vorgebracht werden können. Aber dadurch würde die Abstimmung verzögert worden sein; deshalb sei der Antrag selbständig eingebracht worden, um möglichst bald eine Meinung des Hauses feestzu⸗ stellen und der Regierung Gelegenheit zu geben, mit Forderungen für Secundärbahnen an das Haus zu treten. Das Wort „herkömmlich“ habe Anstoß erregt, man habe ein besseres nicht finden können; wenn es gewünscht werde, könne es gestrichen werden. Diejenigen Eisenbahn⸗ bauten, welche bereits bewigigt, aber noch nicht in Angriff genommen

18. Januar

seien, sollten ebenfalls mögli schnell begonnen werden. Es handle sich hier um produetive Ausgaben, die man nicht einschränken sollte. Die Eisenindustrie befinde sich in einer schlechten Lage; der Verdienst sei gering, sodaß man 1 vielleicht an Lohnherabsetzung gedacht habe. Die englischen Werke böten ihre Schienen so billig an, g⸗ die deut⸗ schen Werke für Lieferungen nach dem Auslande ihte here e ebenfalls herabsetzen müßten. Für die deutschen Werke sei auch sonst der Export z. B. nach Rußland hin erheblich erschwert infolge der Münzverhältnisse. Die Berufung auf das Tertiärbahngesetz sei nicht maßgebend; das Gesetz sei noch nicht in Wirksamkeit getreten. Erst wenn ein Netz von Tertiärbahnen über das Land verbreitet sei, werde die Regierung den Bau von Secundärbahnen einschränken können. Das Staatsbahn⸗ system sei nun einmal angenommen, und so müsse der Staat für die währtschaftichen Bedürfnisse des Landes Sorge tragen. (Zustimmung rechts.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen: Die Eisenbahn⸗ verwaltung hält an der Ansicht fest, das Eisenbahnnetz zu erweitern. Die Projecte sind in Vorbereitung; wie weit sich die Vorlage aus⸗ dehnen wird, hängt nicht bloß von der Finanzlage des Staats ab, sondern auch davon, wie weit die einzelnen Projecte vorbereitet sind und wie weit die Bereitwilligkeit der Interessenten vorhanden ist, Zuschüsse zu diesen Bauten zu leisten. Die Vereinbarungen zwischen dem Finanz⸗Minister und mir haben dazu geführt, daß die Projecte technisch gründlicher vorbereitet werden als bisher. Ich hoffe, daß die Vorlage in den nächsten Monaten fertig gestellt und dem Hause vorgelegt werden kann. Die Vorlage wird allerdings wohl nicht einen solchen Umfang annehmen, wie dies in früheren Jahren der Fall gewesen ist. Der Regierung standen am 1. Oktober 1892 240 Millionen Credite zur Verfügung, und die Verwendung derselben wird in demselben Umfange wie früher erfolgen, die Eisen⸗ bahnverwaltung wird im Frühjahr eine lebhafte Thätigkeit entfalten können. Sobald die Vorbereitungen für die verschiedenen Hafen⸗ und Kanalbauten fertig gestellt sein werden, was möglichst beschleunigt wird, werden viele Tausende von Arbeitern beschäftigt werden können. Auch der Einfluß des Kleinbahnen⸗Gesetzes macht sich geltend. Ich hoffe, Ihnen in dieser Session eine Uebersicht vorlegen zu können über diejenigen Projecte, welche bereits in die Hand genommen worden sind. vadh z. B. verschiedenen Privateisenbahnunternehmungen die Concessionen zu Vorarbeiten für Erweiterungen ihrer Unter nehmungen bereits ertheilt worden. Die Lage der Walzwerke ist allerdings eine wenig erfreuliche, denn die Bestellungen der Staatsbahnen haben nicht ausgereicht, die Productionsfähigkeit der Werke zu erschöpfen. Es ist das Abkommen getroffen, daß die 8 alzwerke das Quantum Schienen, das bis zum 1. April 1894 stellt wird, für 111 die Tonne liefern; die Regierung hat sich nicht gebunden, ein bestimmtes Quantum zu bestellen, sondern sich vFrüher freie Hand vorbehalten. Die gesteigerte on eisernen Schwellen ist ebenfalls in Aussicht genommen. Abe diolzschwellen werden meist aus Rußland bezogen. värhh 8 Verwendung der eisernen Schwellen findet eine Schwierigkeit als d. die eisernen Schwellen, welche an sich 1 nicht mehr kosten n. wegen ihrer großen Schwere größere Frachtkosten, 2 r im Interesse der Sicherheit eine stärkere Befestigung und eine sehr gute Unterbettung erfordern. Wir haben aber nicht überall Leas. Kies zur Unterbettung. Es handelt sich dabei um eh Auerschwellen. Die Versuche mit Langschwellen haben 28 zu dne so 889 Ergebniß geführt, da Fauf ihre Verwendung weiter gerec i. weitere Caönn. Die Zeit der Versuche ist noch zu kurz, um daraufhin sint sg perignentz in größerem Umfange zu machen. Eiserne Schwellen namentli rectionsbezirken, wo gutes Bettungsmaterial zu finden ist, gebra hlich also im Westen, im Fhsgeren Maße in Anwendung

66 worden, so in den Bezirken Köln bei 60-68 % der Schienen. Las Land kann mit Ruhe der Leitung seines Eisenbahnwesens ver⸗

Verwendung

trauen.

Das mobile Kapital concentrirt sich an der Börse; an.

aber auch nicht blehne n

n. Schon beim Kleinbahnen⸗Gesetz habe ich erklärt, daß man nicht beabsichtige, den Bau von Secundärbahnen vollständig einzustellen, daß man sich aber der Hoffnung hingebe, daß die Verkehrswege, die eigetlich außerhalb des Staatseisenbahnnetzes liegen, mit Kleinbahnen versehen werden würden. 1

Abg. Dr. Lieber (Centr.): Ich bin ein Gegner der Vernaat⸗ lichung gewesen, und deren Wirkung hat mich nicht zu ihrem Freunde gemacht. Aber deswegen kann es mir nicht in den Sinn kommen, dem Ausbau der Secunderbahnen hindernd in den Weg zu treten. Der G will aber etw. 8 Anderes, als was die Regierung ausgeführt hat. Der Antrag will die Secundärbahnen in dem bisherigen Umfang gebaut sehen; anders kann ich das Wort „herkömmlich“ nicht auslegen. Es stehen der Regierung 240 Millionen Credite zur Verfügung. Darin liegt eine Art Reservefonds für die Beschäftigung der beim Eisen⸗ bahnbau betheiligten Industrien, der schneller oder langsamer ver⸗ wendet werden kann. Es wäre sehr dankenswerth, wenn der Finanz⸗Minister vielleicht Auskunft geben wollte, wieviel davon in dem Etatsjahr 1893/94 verwendet werden soll. Davor wird man sich allerdings hüten müssen, zu viel auf einmal zu bestellen, weil darin der Anreiz liegen würde, die Zahl der Betriebsstätten zu vermehren und zur Ueberproduction anzuregen. Bis jetzt kann man nicht von einem entmuthigenden Beispiele der Staats⸗ verwaltung auf diesem Gebiete sprechen. Das Abgeordnetenhaus hat früher seine Aufgabe, den G auf den Beutel zu halten, verstanden und erfüllt. Seit der Verstaatlichung der Eisenbahnen ist man davon etwas abgewichen. Der Finanz⸗Minister kann auf Sparsamkeit halten, aber das Abgeordnetenhaus darf ihm dabei keine Prügel zwischen die Beine werfen. Das würde aber durch den Antrag des Grafen Kanitz geschehen. Die Ueberschreitungen bei den Eisenbahnbauten haben dazu geführt, daß zwischen dem Finanz⸗Minister und dem Eisenbahn⸗Mimister eine über die gründlichere Vorbereitung der Eisenbahn⸗ projecte herbeigeführt ist, namentlich sollen auch gleich von vorn⸗ herein die Beiträge der betheiligten Kreise sicher gestellt werden. Daß die Regierung in Bezug auf die Ertheilung von Concessionen für Privat⸗Secundärbahnen keine großen Umstände mehr machen will, muß den Grafen Kanitz vollständig beruhigen; denn wenn noch irgend welche gewinnbringende Bahnstrecken vorhanden sind, so wird das Privatkapital sie sich nicht entgehen lassen. Ich bitte deshalb, den Antrag des Grafen Kanitz abzulehnen, weil er, in beschränkter Form verstanden, überflüssig, in der Ausdehnung, die ihm Graf Kanitz gegeben hat, aber gefährlich ist.

Abg. Schöller (freicons.) empfiehlt die Annahme des Antrages; es sei in früherer Zeit sehr intensiv am Ausbau der Secundärbahnen gearbeitet worden, sodaß eine Beschränkung sehr empfindlich sein würde.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel: Mit der Beschäftigung der

Industrie hat der Antrag nichts zu thun, denn ohne Neubewilligungen hat die Staatsregierung Mittel genug zur Disposition, um den Eisenbahnbau fortzuführen in dem Umfange, den Graf Kanitz wünscht. Es stehen der Regierung für Eisenbahn⸗ zwecke im ganzen noch 323 Millionen Mark zur Disposition. Ich hoffe, daß wir diese Credite Schritt vor Schritt vermindern. Ich fand bei meinem Eintritt in das Ministerium über 600 Millionen Credite und war stets bestrebt, sie zu vermindern. (Sehr richtig! links.) Das kann geschehen, ohne daß der Eisenbahnbau selbst beein⸗ trächtigt wird. Die Credite waren zum theil bewilligt auf Grund oberflächlicher Schätzung, ohne sie zu veranschlagen. Der Antrag des Grafen Kanitz würde für die augenblickliche Beschäftigung der Industrie gar keine Bedeutung haben. Der Staat hat die Pflicht, Bauten dann zu bewerkstelligen, wenn die Preise niedrig sind; ich hindere den Eisenbahn⸗Minister an der Erfüllung dieser Pflicht nicht, und ich halte es auch für nothwendig, daß der Staat den Ausbau der Bahnen fördert. Seit 1880 haben wir jährlich durchschnittlich über 100 Millionen für Eisenbahnzwecke verwendet: darunter befinden sich in allen Jahren zusammen 150 Millionen Mart für Betriebsmittel auf den alten Bahnen. (Hört! links.) Man⸗ kann also nicht sagen, daß die Eisenbahn die Landesmelioration ver⸗ nachlässigt hat. Beim Kleinbahnengesetz habe ich erklärt, daß der Staat sich seiner Aufgabe, Secundärbahnen zu bauen, nicht entziehen will, aber ich glaube, daß die Pflicht des Staats dazu vermindert ist. Wenn wir mehr als früher die Concessionen an Privatunternehmer geben, so kann manche Linie als Kleinbahn von Privaten besser ausgebaut werden als von Staats wegen. Der Staat muß sich aber, wie jeder Unternehmer, den Verhältnissen anpassen, namentlich auch denen des Geldmarktes. Auf dem Geldmarkte haben wir in letzter Zeit immer mit der Concurrenz des Reichs zu thun gehabt. Darauf wird auch der Landtag Rücksicht nehmen müssen. Deshalb bitte ich den Grafen Kanitz, seinen Antrag, der leicht zu Mißverständ⸗ nissen Anlaß geben könnte, mit Rücksicht auf die Erklärungen der Regierung zurückzuziehen, denn der Zweck des Antrags ist ja erreicht. (Sehr richtig! rechts.) Jedenfalls bitte ich das Haus, den Antrag nicht ohne weiteres anzunehmen, sondern vielleicht vorher der Budget⸗ commission zu überweisen. Abg. Dr. Sattler (nl.): Mit den Erklärungen des Ministers steht es nicht im Einklang, daß für gewisse Bahnstrecken die Con⸗ cession verweigert wird, trotzdem der Staat selbst die Linien nicht bauen will. Ich habe mich als Gegner des Antrages zum Wort gemeldet, aber ich bin ein freundlicher Gegner, freund⸗ licher als der Abg. Lieber, weil ich den Grundgedanken des Antrages billige. Es giebt gewisse Secundärbahnen, deren Ausbau aus wirthschaftlichen Gründen nothwendig ist, die aber so wenig Gewinn abwerfen, daß Privatunternehmer sich zum Bau nicht finden werden. Nach der Verstaatlichung der Bahnen ist daher der Staat verpflichtet, solche Bahnen zu bauen. Das hat die Regierung auch anerkannt. Wirthschaftlich richtig ist es auch, die Bauten vorzunehmen in wirthschaftlich schlechten Zeiten. Ich beantrage, den Antrag an die Budget⸗ commission zu verweisen, denn so wie er vorliegt, ist er nicht annehm⸗ bar. Was bedeutet denn herkömmlich? In den letzten fünf Jahren haben wir immer 50 Millionen für Betriebsmittel ausgegeben. Das ist doch nicht empfehlenswerth, wir wollen die Betriebsmittel aus den laufenden Mitteln beschaffen,

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen: Es ist der Wunsch ausgesprochen worden, zu erfahren, welche Gelder in der nächsten Zeit verwendet werden. Für das Eisenbahn⸗Ressort kann ich das augen⸗ blicklich nicht angeben. Aber für die Bauverwaltung kann ich mit⸗ theilen, daß im nächsten Jahre voraussichtlich ausgegeben werden sollen: für den dortmund⸗Emskanal 24 Millionen, für die Verbesserung der Schiffahrtsstraße der Oder 3 Millionen, für Regulirungen der Weichsel und Nogat 5 Millionen und für kleinere Bauten etwas über eine Million. Auch die Eisenbahnverwaltung ist in der letzten Zeit sehr energisch in Thätigkeit gewesen.

Abg. Gerlich (freicons.) bittet den Grafen Kanitz seinen an⸗ trag aufrecht zu erhalten und empfiehlt dem Hause, denselben an die Budgetcommission zu verweisen. Ueberflüssig ist der Antrag nicht, denn der Ausbau von Secundärbahnen ist erheblich zurück⸗ gegangen und wird nach den des Ministers noch mehr zurückgehen. Die Unternehmungslust ist ja durch das Kleinbahnengesetz angeregt. Der Wille ist da, aber wer wird bauen können? In den westlichen Provinzen ist das Kapital dazu vorhanden, im Osten ist es nicht vorhanden, weder in den Kreisen, noch in den Gemeinden, noch bei den Gutsbesitzern. Wenn ein Landwirth in einem Jahre einmal schlechte Geschäfte gemacht hat, so soll er nicht aufhören, Meliorationen zu machen. So Uiegt es auch hier bezüglich des Staats. Die Wirkung der Handelsverträge ist, daß die Landwirthschaft geschädigt und der Industrie kein Nutzen erwachsen ist.

Abg. Dr. Freiherr von Heereman (Centr.): Ich halte die Ein⸗ bringung des e- für zweckmäßig, weil er der Regierung Gelegen⸗ heit giebt, ihren Standpunkt kundzugeben, und dem Hause, seine Wünsche auf diesem Gebiete zu bekunden, denn im Lande ist man wohl allgemein dagegen, daß der Secundär⸗ bahnbau eingeschränkt wird. Unser Kapital ist davon ent⸗ wöhnt worden, sich dem Eisenbahnbau zuzuwenden, weil die frühere Leitung der Eisenbahnen alle Concessionen verweigerte. Den An⸗ trag des Grafen Kanitz kann ich nicht annehmen, ich möchte ihn l dies auch nicht der Stimmung des

Hauses entsprechen würde. Am allerwenigsten kann lich aber die Verweisung an die Budgetcommission empfehlen, ich kann mir nicht denken, was diese mit ihm anfangen soll. Der Zweck des Antrages ist durch die Erklärungen der Minister und die Debatte im Hause erreicht. Deshalb bitte ich den Antragsteller, seinen Antrag zurückzuziehen.

Bei Schluß des Blattes nimmt der Abg. Graf zu Lim⸗ burg⸗Stirum das Wort.

Im Reichstage ist von dem Abg. Rintelen (Centr.) folgender Antrag eingebracht: Der Reichstag wolle bschllcent dee. stehenden Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung zu ertheilen: Dem § 69 des Strafgesetzbuchs für das Dentsehe Reich wird folgender zweiter b beigefügt: „Die Verjährung ruht während der Zeit, in welcher auf Grund des Gesetzes eine Strafverfolgung nicht begonnen oder nicht werden kann. Das Fehlen des in den Straf⸗ gesetzen selbst vorgeschriebenen Erfordernisses des Antrags auf Straf⸗ verfolgung oder der Ermächtigung zu derselben hindert nicht den Beginn der Verjährung.“

Die Wahlprüfungs⸗Commission des Reichstags beantragt, die Wahl des Abg. von Reden (nl.) im 9. Senaen Wahlkreise wegen der dabei vorgekommenen Wahlbeeinflussungen für ungültig zu erklären.

Hie Reichstagscommissio n zur Vorberathung der sogenannten lex Heinze setzte heute die Berathung des neu vor⸗ geschlagenen § 180 Abs. 2 fort, welcher lautet: „Die Vermiethung von Wohnungen an Weibspersonen, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt sind, bleibt straflos, wenn sie unter Beobachtung der hierüber erlassenen polizeilichen Vor⸗ schriften erfolgt. Der Regierungsvertreter, Geheime Ober⸗ Justiz⸗ Rath Lucas entwickelte auf Befragen die Absicht der Vorlage dahin, daß nicht nur das sozusagen fahrlässige Vermiethen straffrei bleiben, sondern auch der Polizei eine größere Localisirung als bisher ermöglicht werden solle. Auch die Abgg. Gröber (Centr.), Stöcker (cons.) und Endemann (nl.) entwickelten ihren Stand⸗ punkt zu der Frag. im wesentlichen die Ausführungen im Plenum bestätigend. Die Berathung wird morgen fortgesetzt.

In der Budgetcommission des Reichstags wurde heute die Berathung des Extraordinariums des Post⸗Etats fortgesetzt.

Die Steuerreformcommission des Hauses der Abgeordneten trat gestern Abend in die Berathung des Communalabga bengesetzes ein und genehmigte dessen erste beide Paragraphen (Allgemeine Bestimmungen) in der Fassung der Regierungsvorlage. 8

Bem Hause der Abgeordneten ist eine Denkschrift, be⸗ treffend die in der Zeit vom 1. April 1891 bis zum 31. März 1892 erfolgten Bauausführungen an denjenigen Wasserstraßen, über deren Regulirung dem Landtage besondere Vorlagen gemacht worden sind, zugegangen. 16

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ 1 Maßregeln.

Cholera. „Halle a. S., 19. Januar. Durch die bakteriologische Unter⸗ suchung der in der Irrenanstalt zu Nietleben vorgekommenen Erkrankungs⸗ und Todesfälle ist gestern Abend festgestellt worden, daß wirklich Cholera asiatica vorliegt. Amtlicher Mittheilun zu-. folge sind seit dem Beginn der Epidemie in der Irrenanstalt in Nietleben 27 Erkrankungen und fünfzehn Todesfälle an Cholera fest⸗ gestellt. Seit gestern scheint die Krankheit an Heftigkeit zu verlieren. In der „Halleschen Zeitung“ veröffentlicht der Landrath des Saal⸗ kreises die Bekanntmachung von dem Auftreten der Cholera asiatica.

Glauchau, 18. Januar. Das Lehrerseminar zu Walden⸗ burg ist laut Meldung des „W. T. B.“ wegen der daselbst epidemisch aufgetretenen Influenza geschlossen worden. 8

Verkehrs⸗Anstalten.

Bremen, 18. Januar. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd. Der Schnelldampfer „Ems“ hat am 16. Januar Nach⸗ mittags die Reise von Neapel nach Alexandrien fortgesetzt. Der Postdampfer „Gera“, vom La Plata kommend, ist am 17. Januar Nachmittags in Antwerpen angekommen. Der Reichs⸗Postdampfer „Neckart hat am 17. Januar Morgens die Reise von Genua nach Port Said fortgesetzt. .

19. Januar. (W. T. B.) Der Schnelldampfern „Elbe“ Mum 17. Januar Morgens von New⸗York via Southampton nach her Weser abgegangen. Der Reichs⸗Postdampfer „Oldenburg“, von Australien kommend, ist am 18. Januar Vormittags in Colomb angekommen. Der I eng e „Karlsruhe“, von Australiern kommend, hat am 18. Januar Nachmittags die Reise von Sou thampton nach Antwerpen fortgesetzt. Der Postdampfer Frank⸗ furt“ hat am 18. Januar Mittags die Reise von Antwerpen nach Corunna fortgesetzt. Der Postdampfer „Berlin“ ist am 18. Ja nuar von Bahia nach Bremen in See gegangen. Der Postdampfe „Graf Bismarck“, von Brasilien kommend, ist am 18. Januar Nachmittags in Antwerpen angekommen.

Hamburg, 18. Januar. (W. T. B.) Hamburg⸗Ameri kanische Packetfahrt⸗Actien⸗Gesellschaft. Der Post dampfer „Dania: ist, von New⸗York kommend, heute Morgen au der Elbe eingetroffen.

London, 18. Januar. (W. T. B.) „Anglian“ ist heute auf der gegangen.

19. Januar. (W. T. B.) Der

Dunottar Castle“ hat gestern auf der Ausreise M

Der Union⸗Dampfe Ausreise von Lissabon ab

Castle⸗Dampfe

Theater und Musik.

8 Königliches Schauspielhaus. „Franz Grillparzer's Trauerspiel„Des Meeres und der Liebe Wellen⸗ ging gestern Abend neu einstudirt in Seene Das tragische Geschick des berühmten Liebespaares der griechischen Sagenwelt, der Priesterin der Aphrodite, Hero, und ihres bis in den Tod getreuen Leander hat auf die künstlerische Phantasie seit all den Jahrhunderten eine große Anziehungskraft ausgeübt; man findet diese Liebesgeschichte ebenso auf Münzen und geschnittenen Steinen ab⸗ gebildet, wie auf der Leinewand des Malers wiedergegeben; wie in alter Zeit Musäus, hat sie in der Neuzeit Schiller in einem Gedicht, einer Ballade, besungen, und Grillparzer hat für die Begebenheit die dramatische Form gefunden. Es strahlt ein eigenartiger Reiz schon von dem antiken Stoff aus, ein tieferer Zauber aber liegt in der jarten poetischen Bearbeitung. Grillparzer hat die Gestalten seiner Liebenden aus der Antike uns in menschlich rührender Gestalt vor die Augen gerückt; er bringt keine gottähnlichen Idealgestalten auf die Buühne, sondern ein ursprüngliches, einfaches Mädchen und einen schlichten Jüngling, in denen stark und unbewußt in einem schicksalsschweren Augenblick die heiße Liehesleidenschaft erweckt wird, welche die Liebenden schuldig werden läßt und sie gleicham wie am grausen Abhang spielende Kinder in den TDod stürzt. Der Frau von Hochenburger war die Rolle der Hero zugefallen: sie gab sich in den ersten Scenen klar und einfach, eine. keusche Priesterin der Aphrodite, eine unberührte Mädchenknospe.