aber das kommt nur daher, daß die 1 Berliner Bankfirmen ihre Filialen en masse in alle kleinen Provinzstädte vor eschoben haben. Die Börsensteuer wird mit unserer Zustimmung ni t abge⸗ schafft, vielmehr muß die Börse, soweit es das legitime Geschäft nicht schädigt, noch weit mehr zu Steuerzwecken herangezogen werden. Von einer Auswanderung des Kapitals oder seiner Besitzer ist in irgend welchem größeren Maße nichts zu merken gewesen. ewisser internationaler Elemente sieht der Deutsche in seiner Mehr⸗ eit überhaupt nicht gern und hätte deshalb auch wohl nichts gegen das Wiederauswandern derselben einzuwenden. Nicht mit Unrecht
ht der Zug der Zeit dahin, daß das an Börsengeschäften betheiligte Kapital gegenüber dem mit Steuern überlasteten vS;. mehr als bisher zur Besteuerung herangezogen werde. Wie sehr sich das beweg⸗ liche Kapital bisher der Besteuerung zu entziehen verstand, dafür haben wir einen unerwartet großartigen Beweis in den Ergebnissen der ersten Ein⸗ schätzung zur neuen Einkommensteuer in Preußen. Danach betrug das Gesammteinkommen 1892 in Preußen eine Milliarde mehr als im Vor⸗ jahre. Die Vermehrung betrug 70 % bei den Einkommen aus gewinnbringender Beschäftigung, 56 % bei dem Renteneinkommen, 51 % bei dem Einkommen aus Handel und Gewerbe, und nur 6 ⁄10 % bei dem Einkommen aus Grundbesitz. Aus der ersten Klasse der Einkommen ist das letztere in die dritte gerathen, und obenan steht das Einkommen aus mobilem Kapital. Der Besteuerung waren bisher entzogen rund 60 % des Einkommens aus gewinnbringender Beschäftigung, 50 % des Renteneinkommens, 45 % des Einkommens aus Handel und Gewerbe, höchstens aber 4 % des Einkommens aus Grundbesitz. Ich persönlich habe als Sachse die Ueberzeugung, daß. je mehr die Kenntniß der Einschätzungsbehörden zunimmt und je mehr man sich an die Declaration gewöhnt, desto mehr werden sich die Ver⸗ hältnisse ändern, und zwar zu einem progressiven Resultat. Es wird also ein Act ausgleichender Gerechtigkeit erfüllt, wenn man das mobile Kapital ermittelt und durch Heranziehung der großen Börsengeschäfte für Steuer⸗ zwecke ergiebiger macht. Im übrigen trägt der Banquier garnicht die Kosten des Börsenstempels, da von der bisherigen Börsensteuer 98 % von den Auftraggebern und nur 2 % von den Banquiers aufgebracht wurden. Sie werden sich nicht nur der Steuer entziehen, sondern sogar noch einen Vortheil aus derselben ziehen, indem die Auftraggeber nicht nur den Stempel, sondern noch außerdem die Hälfte des Ausführungs⸗ stempels für die Abwickelung des Steuergeschäfts zahlen müssen. Ich habe im großen Publikum noch nie Klagen über das Verfen teuergeset gehört, wohl aber darüber, daß die Kunden bei der Ausführung der Aufträge mehr oder minder übervortheilt werden. Wenn wir im allgemeinen mit der Verdoppelung der Börsensteuer einver⸗ standen sind, so wäre es doch wohl empfehlenswerth, ge⸗ wisse Arten von Geschäften zu einer noch weessentlich höheren Besteuerung heranzuziehen. Wir würden nichts da⸗ gegen haben, wenn für reine Differenzgeschäfte eine zehnfache Er⸗ dobung der Stempelsteuer einträte. Die „Kölnische Zeitung“ hat vor einiger Zeit sogar eine hundertfache Erhöhung für berechtigt er klärt. Schon in dem ersten Antrag von Wedel⸗Malchow war eine höhere Besteuerung der Zeitgeschäfte gegenüber den Kassageschäften in Aussicht genommen; g Anträge von nationalliberaler Seite hatten dasselbe Ziel. Das alte Reichs⸗Stempelgesetz von 1881 hatte ja einen fünffachen Stempel für diese Göshöfe Frankreich zieht aus den Umsätzen der Kapitalien an der Börse eine wesentlich höhere Steuer als wir, und der jetzt eingebrachte Gesetzentwurf Tirard wird das Erträgniß weiter erhöhen. Frankreich zog aus seiner Börsensteuer 1886 57 Millionen, 1887 60 und 1888 62 Millionen, während die Erträgnisse in denselben Jahren in Deutschland 9 bezw. 12 und wieder 12 Millionen betrugen, also in Frankreich das Fünffache des Betrages wie bei uns. Wenn das in Frankreich möglich ist, warum sollte es nicht auch hier möglich sein? Wenn jene Gesellschaft wie die Reinach, Herz und Genossen, welche Jahre lang die Klinke der Gesetzgebung in der Hand gehabt haben, nicht einmal die Börsensteuer herab⸗ mindern konnten, so müßte das für uns ein Ansporn sein, die Börse stärker heranzuziehen. Eine klare, sichere Definition des Differenz⸗ geschäfts giebt es nicht. Meine Freunde würden geneigt sein, diejenigen
Geschäfte, die durch effective Lieferung ihre Erledigung finden,
einem wesentlich höheren „Preußischen Jahr⸗ nachgewiesen, des⸗ Die Umsätze in dem mehreren Jahren
ifferenzzahlungen, mit Satz heranzuziehen. Eschenbach hat in den büchern“ die Berechtigung dieser Forderung gleichen Professor Köhler, jetzt in Marburg. nicht effectiven Geschäft haben sich schon vor zu den Umsätzen im effectiven Geschäft verhalten wie 20 zu 1. Was in dieser Beziehung gesündigt worden E665 ja in Berlin aus den Prozessen der letzten beiden Jahre noch in frischer Erinnerung. Bei den Lotterieloosen geht sofort einschließlich des Reichsstempels ein Betrag von mindestens 20 % dem Spieler verloren, und dieser Abzug hat die Spielwuth nicht im geringsten vermindert. Weshalb sollte man nicht zu einem ähnlichen Mittel greifen gegenüber diesen Differenzgeschäften, mit welchem verglichen das Lotteriespiel doch noch ein ehrliches Spiel ist? Werden dadurch aber Viele vom Spiel abgeschreckt, so wäre dieser Erfolg im allgemeinen sittlichen socialen Interesse erst recht mit Freuden zu begrüßen. Da nun für Steuerzwecke nicht vorher fest⸗ gestellt werden kann, ob wirkliche Lieferung oder Differenzzahlung in Aussicht genommen ist, so müßte die Steuer bei der Abrechnung des Differenzgeschäfts erhoben werden. Die Absicht ist nicht controlirbar, wohl aber die vollzogene Thatsache. Der Unterschied zwischen dem legitimen Zeitgeschäft und dem reinen Spielgeschäft wird sich vielleicht nicht präcise formuliren lassen; sollte das der Fall sein, so würde ich persönlich auch nicht davor zurück⸗ schrecken, sämmtliche Differenzgeschäfte mit derselben höheren Steuer zu belegen, wie es bereits in anderen Steuern geschehen ist. Endlich müssen wir noch dem Wunsche Ausdruck geben, daß der Stempeltarif nicht vorbeigehen möge an der Einführung eines einigermaßen erhöhten Emissionsstempels für auswärtige Anleihen. Was ist auf diesem Gebiete in den letzten Jahren Alles geschehen! Man denke an Trans⸗ vaal, Chile, Serbien, Argentinien, Uruguay, Mexiko, Guatemala, Portugal! Wie viel kleine Leute haben nicht in diesen fragwürdigen Papieren, welche die deutschen Banken mit unterbringen halfen, öre gesammten Ersparnisse verloren! Der Export nach den Staaten, die uns diese Werthe geschickt haben, dürfte sür unsere Industrie wirklich nicht von Bedeutung sein. Das Interesse unserer heimischen Landwirthschaft wird andererseits dadurch direct geschädigt, daß wir durch die Hingabe des deutschen Geldes eine Anzahl exotischer Staaten zu unseren Schuldnern machen, die uns dann mit ihren Bodenproducten bezahlen müssen. Würde wirklich die Hälfte dieser Geschäfte an der Börse infolge der Verzehnfachung der Steuer unterbleiben, so würden doch 40 Millionen Mark herauskommen; von anderer Seite wird das Erträgniß sogar auf 70 Millionen berechnet. Im Publikum würde man es nicht verstehen, wenn das Bedürfniß einer so erheblichen Einnahmeerhöhung des Reichs nicht Gelegenheit geben sollte, auch die Börse stärker heranzuziehen. Das Treiben der Blumenfeld und Genossen muß im Volke die Meinung befestigen, daß an der Börse unendlich viel gesündigt und ges windelt worden ist, daß man sich den Lasten in überaus geschickter Weise zu entziehen verstanden hat. Darum auch die geringe Sympathie im Volke für die Börse. Hätte die Regierung bei Lancirung der Militärvorlage in die Oeffentlichkeit von vornherein gesagt, daß die Militärlasten hauptsächlich durch eine Erhöhung der Börsensteuer gedeckt werden sollen, ich bin über⸗ zeugt, der größte Theil der Nation würde der Militärvorlage mit ganz anderen Sympathien gegenüberstehen, als es gegenwärtig der Fall ist. Es ist in dieser Veriehung noch nicht zu spat⸗ aber die höchste Zeit. Wenn es ein eminent vaterländisches Werke Aat⸗ den Schutz des Reichs zu stärken und zu kräftigen, sollte die 2 örse sich nicht hinter die alten verbrauchten Cautelen stecken. Sie hat alle Veranlassung, uns vergessen zu machen, was sie in der Vergangenheit gefehlt hat. Es ist noch wohl bekannt, wie 1870 die Börse der deutschen Reichsanleihe nicht die Unter⸗ stützung gewährt hat, wie jeder Patriot es wohl erwarten konnte. Wiederholt hatte die Ausgabe einer Anleihe durch das Reich und e an der Börse eine Baisse, die durch Rußland eine Heus⸗ zur Folge. Als der Reichskanzler im vorigen Jahre die erste ittheilung von
sondern durch
Die Einwanderung⸗
der Börsensteuer machte, warf die Frankfurter Börse die 3 ½ % Fenlc Anleihe um 8 die Hamburger Börse um 1 %. Während der scharfen Zuspitzung der Beziehungen Deutschlands zu Rußland haben es die Anhänger der Börse nicht unterlassen können, in St. Petersbur⸗ Verbanbbungen anzuknüpfen und Paris zu reisen, um deutsches Kapital für die russischen resp. französischen Rüstungen herzuschaffen. Um uns derartige Dinge ein für alle Mal vergessen zu machen, hätte die Börse alle “ Einkehr zu halten und über ihren mannigfachen internationalen Ver⸗ pflichtungen nicht zu vergessen ihre nationalen Pflichten gegen das Vaterland.
Abg. Singer . Wir verwerfen die Börsensteuer, weil wir die Militärvorlage verwerfen, die wir für gefährlich halten. Der Vorredner weiß fihr gut, daß die Börsensteuer schließlich ab⸗ gewälzt wird auf das Publikum, auf die Committenten. Die Banquiers, die haute finance hat nicht den geringsten Nachtheil von der Börsensteuer. Wovor geschützt werden muß, sind die Magnaten der Börse, jene modernen Raubritter, welche das Publikum ausbeuten durch fallende oder steigende Curse. Wer die heutige Gesellschaft, die Herrschaft des schrankenlosen Individualismus als nothwendig und richtig anerkennt und sie nicht durch die Lleigqigtische Wirthschafts⸗ ordnung ersetzen will, hat kein Recht, auf die Börse zu raisonniren. Die Axt 9 an die Wurzel des Uebels gelegt werden. Das geschieht nicht mit der Verdoppelung der Börsensteuer. Die Börse ist nur ein Spiegelbild der heutigen Wirthschaftsordnung. Die Börsensteuer bietet keinen Schutz gegen die Auswüchse des Börsenspiels; den Giftbaum muß man abhauen und den Boden umpflügen, nicht aber kommt man ihm durch solche Palliativmittelchen bei. Das Verbot des Terminhandels verlangen Sie doch hauptsächlich darum, um den Preis für Getreide und Spiritus unter sich feststellen zu können. Das und nichts Anderes ist der Zweck dieser agrarischen Forderung. Die Börse verhindert bis jetzt gerade diese Ringbildung, welche den unteren Volksklassen die Ernährung unerträglich vertheuern würde. Gegen die Schäden des Terminhandels sind wir nicht blind, das zügellose Spiel mit Diffe⸗ renzen muß unterbunden werden. 8 ge vor, einfach die Report⸗ geschäfte zu verbieten. Solche 118“ wie die der Firma Ritter und Blumenfeld wären nicht möglich ge⸗ wesen, wenn nicht Institute und Banken sich gefunden hätten, die den Speculanten die nöthigen Summen vorschossen, um die Ge⸗ schäfte von einem Monat zum andern zu schieben. Mit der Beseiti⸗ gung der Reportgeschäfte thun Sie einen guten Schritt vorwärts in der Eindämmung der Auswüchse der Börse. Müssen alle Käufe oder Verkäufe gegen Geld abgenommen oder geliefert werden, dann bleiben die bloßen Spieler der Börse fern, die ihre riesigen Käufe und Ver⸗ käufe gar nicht realisiren können, sondern nur die Differenz aus⸗ gleichen. Dann würden neun Zehntel aller Bedenken gegen das Börsen⸗ geschäft verschwinden. Ferner muß den Banquiers die einseitige Fest⸗ setzung der Geschäftsbedingungen zwischen Banquier und Publikum ent⸗ zogen werden. Der Banquier darf nicht als Selbstcontrahent auftreten, keinen Antheil an den Tagesschwankungen des Curses haben und davon nichts profitiren. Die Makler müssen sozusagen verstaatlicht, d. h. an⸗ estellte Beamte werden und dürfen nicht selbst von den Cursen, die e feststellen, profitiren. Auch die Geschäftsbedingungen über die Depots müssen anders festgestellt werden. Der Depotgeber muß da⸗ gegen gesichert sein, daß der Banquier die Depots für seine eigenen Geschäftszwecke und Speculationen verwendet. Allerdings muß man dabei die Depots einer Controle unterwerfen. Das ginge aber ebenso gut, wie öffentliche Fundhäuser controlirt werden. Die Verwaltung der Depots brauchte nur von den eigenen Geschäften der Banquiers vollständig getrennt werden, dann würde die Controle nicht in die Geschäftsgeheimnisse der Banquiers eindringen können. Das Wich⸗ tigste zur Sanirung der Berliner Börsenverhältnisse sind organi⸗ satorische Aenderungen. Vor allem muß das Aeltesten⸗ collegium in Berlin beseitigt werden, denn das ist nichts weniger als eine Vertretung von Handel und Industrie, son⸗ dern nur die Vertretung der einseitigsten Börseninteressen. Die Prospecte über neue Gründungen und Einführung neuer Werthe und die Erlanbniß zu Zeitgeschäften in diesen Werthen unterliegen einer Sachverständigen. Commission, deren Mitglieder, Directoren und Auf⸗ sichtsräthe derjenigen Gesellschaften sind, denen sie die betreffende Er⸗ laubniß zu ertheilen haben. Die Mitglieder dieser Commission sind fast ausschließlich selbst Gründer. Die riesigen Verluste im Differenz⸗ spiel sind nur bei Werthen erster Firmen und Banken entstanden. Die Berliner Handelsgesellschaft, deren Director Aeltester und Mit⸗ glied der Sachverständigen⸗Commission ist — oder jedenfalls bis vor kurzem war , hat die Bochumer Actien von Baare über⸗ nommen und an der Börse eingeführt zu einer Zeit, als ihr bereits bekannt war, daß das Savonawerk 5 Millionen verloren hat. Die Discontogesellschaft hat ihren Kunden Dortmunder Union als steigend und speculationsfähig empfohlen, als der Rückgang dieser Actien ihr bereits actenmäßig bekannt war. Die Bochumer Actien sind in einem Jahre um 180, Dortmunder Union um 100 % gefallen. Argentinier sind von der Discontogesellschaft eingeführt worden, Serben von der Handelsgesell⸗ schaft, Warschauer und Mendelssohn, Mexikaner von Bleichröder und von einer Bank, die sich vor kurzem einen stolzen Palast bier hat bauen lassen. Das Consortium der Handelsgesellschaft, Darmstädter Bank und Dresdner Bank, brachte Harpener Bergwerks⸗ actien zu 250 % an die Börse, die in einem Jahre um 150 % fielen. Die Nothwendigkeit einer organisatorischen Aenderung beweisen auch einige Fälle der Gründung und Einführung von Industriepapieren. Jedermann wußte z. B., daß es sich bei der Gubener Hutfabrik um ein Schwindelpavpier allerersten Ranges handelte, nur im Aeltesten⸗Collegium der Berliner Fondsbörse wußte man davon nichts. Um das Actienkapital dieses Unternehmens auf die vorgeschriebene Höhe zu bringen, ließen sich die Actieninhaber durch die Generalversammlung, also durch sich selbst bevollmächtigen, neue Anlagen zu machen und das Actienkapital auf die Million zu erhöhen, die nöthig ist, um das Papier an die Börse zu bringen. Die Actien gelangten zu 135 an die Börse zahlten vom Agio 9 % Dividende und wurden dann dem Publikum überliefert. Nach Ansicht des ver⸗ eidigten Taxators sollten Hunderttausende von Waaren vorhanden sein, die beim Brande verloren gingen. Die Feuerversicherung betrug 376 000 ℳ, die Versicherungsgesellschaft verdiente durch den Brand 35 000 ℳ Die Aetien gingen auf 5 zurück und erreichten damit ihren wahren Werth. Bei einigen der ältesten geprüften und vollführten Gründungen stellten sich im Laufe der Zeit die Curse folgendermaßen: Wellenblechfabrik Heine, Lehmann u. Co. wurden aufgelegt mit 164, stehen jetzt 68. Falken⸗ steiner Gardinen wurden 1889 aufgelegt mit 125, stehen jetzt 90. Tuchfabrik Aachen — ebenfalls eine Gründung eines Mit⸗ liedes des Aeltesten⸗Collegiums — wurde 1889 aufgelegt mit 133, stebt jetzt 35. Maschinenfabrik, aufgelegt mit 166, steht jetzt 85. Barmer Walzwerk, aufgelegt mit 156, steht 52. Concordia Bergwerk, aufgelegt mit 130, steht 72. Fabrik Dannenbaum, auf⸗ gelegt mit 135, steht jetzt 85. Die letzten beiden sind ebenfalls durch erste Firmen aufgelegt. Ist ernsthafte Neigung vorhanden, diese Dinge zu beseitigen, dann gehen Sie den Weg, den ich andeutete. Wir verurtheilen die Börse, erkennen aber an, daß sie ein noth⸗ wendiges Product der heutigen Gesellschaft ist. Unsere Verurtheilung der Vörse ist nicht stärker als unsere Verurtheilung der heutigen Gesellschaft.
Abg. Dr. von Marguardsen (nl.): Wir haben es doch hier im Reichetage nicht mit einem moralischen Reichs⸗Gesundheitsamt zu thun. ie Vorlage hängt mit den andern Steuergesetzentwürfen so⸗ weit zusammen, daß auch sie bestimmt ist, die Mittel für die Militär⸗ vorlage mit herbeischaffen zu helfen. Wenn man auch gegenüber den neuen Froßen Forderungen für die Landesvertheidigung das Beschreiten neuer Wege durch ein reformatorisches Steuerprogramm hätte wünschen können, so kann man doch bei der Dringlichkeit der Sache der Re⸗ gierung nicht zumuthen, daß sie nach einem völlig neuen Steuer⸗ programm suchte. Die 8 ist von den drei Vorlagen jedenfalls diejenige, welche vor dem Volke am meisten vertheidigt und vertreten werden kann. Wir sind mit den Grundzügen derselben einverstanden und werden unsere Bemühungen vor allem darauf richten, das
Arbitragegeschäft 8 vor Beeinträchtigung durch die Steuer⸗ erhöhung zu schützen. Wir beantragen die Verweisung der Vorlage an die Militärcommission.
Ein Vertagungsantrag wird angenommen.
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
18. Sitzung vom 19. Januar. 8
Ueber den Beginn der Sitzung, in der der Antrag des Abg. Grafen von Kanitz: eine Beschränkung in den herkömmlichen Aufwendungen für die Erweiterung und Vervollständigung des Staatseisenbahnnetzes nicht eintreten zu lassen, auf der Tagesordnung stand, ist bereits in der Nummer vom Donnerstag berichtet worden. Der Antrag selbst wurde, na dem noch die Abgg. Graf zu Limburg⸗Stirum und Rickert gesprochen, von dem Antragsteller zurückgezogen.
Wir tragen hier nur noch den Wortlaut der im Laufe der Debatte von dem Finanz⸗Minister Dr. Miquel und dem Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen gehaltenen Reden nach.
Nach der Begründung des Antrags durch den Abg. Grafen von Kanitz führte der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen aus:
Meine Herren! Die Staatsregierung hält an der bereits in der Eröffnungsrede des Landtags angekündigten Absicht fest, das Staats⸗ eisenbahnnetz zu ergänzen, zu vervollständigen und besser auszurüsten und Ihnen dahin gehende Vorschläge demnächst nach ertheilter Aller⸗ höchster Genehmigung zu unterbreiten, wenn auch, wie der Herr Graf Kanitz bereits angeführt hat, in einem durch die Finanzlage des Staats beschränkten Umfang. Ueber den der Vorlage zu gebenden Umfang finden zur Zeit zwischen den betheiligten Ressorts Verhandlungen statt. Es ist hierbei nicht nur die allgemeine Finanzlage des Staats in Er⸗ örterung gezogen worden, sondern es hat gleichzeitig dabei berück⸗ sichtigt werden müssen, in welchem Stadium der Vorbereitung die be⸗ treffenden Projecte, welche seitens der einzelnen Landestheile gewünscht werden, sich befinden, in welchem Stadium bezüglich der technischen Ermittelungen und in welchem Stadium bezüglich derjenigen Bereit⸗ willigkeit zu Zuschüssen, welche herkömmlich — hier darf ich das Wort wohl gebrauchen von Seiten der Betheiligten gefordert worden sind.
Meine Herren, der zwischen dem Herrn Finanz⸗Minister und mir vereinbarte, durchaus gerechtfertigte und vortheilhaft einwirkende Grundsatz, daß wir nicht Vorlagen dem hohen Hause unter⸗ breiten, die bezüglich ihrer finanziellen Tragweite unsicher sind, hat naturgemäß zur Folge gehabt, daß die technischen Ermittelungen viel sorgfältiger ausgeführt werden, als dies bisher üblich gewesen ist, und daß daher das Vorbereitungsstadium sich einigermaßen ausgedehnt hat. Wir hoffen, im Laufe des nächsten Monats die Verhandlungen zum Abschluß zu bringen und demnächst mit einer Vorlage an den Landtag heranzutreten. Diese Vorlage wird allerdings voraussichtlich nicht den Umfang erreichen, den sie in den Vorjahren gehabt hat; allein es wird immerhin doch ein ziemlich erheblicher Betrag für eine derartige Erwei⸗ terung, Vervollständigung und bessere Ausrüstung der Staatseisenbahnen Ihnen vorgeschlagen werden. Auch wir erachten bei der gegenwärtigen wirthschaftlichen Lage des Landes es als eine Pflicht der Staats⸗ regierung, die staatlicherseits auszuführenden Arbeiten nicht mehr ein⸗ zuschränken, als dies aus zwingenden Gründen sich als nothwendig ergiebt. Es ist aber dabei zu berücksichtigen, daß bezüglich der aus⸗ zuführenden neuen Bahnlinien noch sehr erhebliche Credite der Staats⸗ Eisenbahnverwaltung zur Verfügung stehen. Die Summe dieser Credite belief sich am 1. Oktober vorigen Jahres, 1892, noch auf 240 543 000 ℳ, abgesehen von denjenigen Cre⸗ diten, die zur besseren Einrichtung und Ausrüstung der sich bereits im Betriebe befindlichen Bahnen bewilligt worden sind. Nun sind regelmäßig in den letzten Jahren ich habe hier eine Nachweisung, von 1888 anfangend bis zum 1. Oktober 1892 — durchschnittlich etwa zwanzig Millionen im Semester für Neubauten ausgegeben worden. Daß wir in der letzten Zeit hinter diesem Durchschnitt nicht zurückgeblieben sind, geht daraus hervor, daß noch im Semester Oktober⸗März 1891/92 20 799 000 ℳ und im ersten Semester April⸗September 1892 20 811 000 ℳ ausgegeben worden sind. Meine Herren, meinerseits ist angeordnet, daß alle Vor⸗ bereitungen, welche nothwendig sind, um mit der Wiedereröffnung der Bauthätigkeit in erhöhtem Maße vorgehen zu können, mit thunlichster Beschleunigung getroffen werden. Es sind sowohl die technischen Er⸗ mittelungen mit aller Macht gefördert worden, als auch thunlichst diejenigen Hindernisse weggeräumt worden, welche bei einzelnen Bahn⸗ bauten noch entgegenstanden. Es ist daher zu hoffen, daß im Gebiet der Staats⸗Eisenbahnverwaltung im Frühjahr eine lebhafte Thätigkeit wird entfaltet werden können. Dieselben Vorbereitungen sind auch in der allgemeinen Bauverwaltung getroffen worden; es sind dort die Vorarbeiten für die verschiedenen Kanalbauten, für die Hafenbauten, Fluß⸗ Correctionen, Hochbauten u. s. w. so gefördert worden, daß mit dem Frühjahr auch dort eine erhebliche Thätigkeit begonnen werden kann.
Meine Herren, auch der Einfluß des Kleinbahnengesetzes macht sich, wein naturgemäß auch noch im verhältnißmäßig geringem Grade, doch bereits geltend. Ich hoffe, in der Lage zu sein, im Laufe der Landtagsverhandlungen Ihnen noch eine Nachweisung vor⸗ legen zu können über diejenigen Projecte,, welche auf Grund des Gesetzes vom Juni 1892 in die Hand genommen worden sind und Aussicht auf Verwirklichung haben. Daneben hat sich in verschiedenen Theilen des Landes eine ziemlich lebhafte Thätigkeit entwickelt für Erweiterung oder den Neubau von Privateisenbahnen, die dem Klein⸗ bahnengesetz nicht unterstellt werden sollen. Es hat von mir in einer Reihe von solchen Fällen die Concession zur Vornahme von Vor⸗ agbeiten ertheilt werden können, auf Grund deren es sich hoffentlich wird ermöglichen lassen, demnächst auch die definitive Concession zu gewähren. Es hat sich infolge dessen auch innerhalb der Industrie des Landes die Hoffnung in steigendem Maße bereits jetzt eingebürgert, daß die Aussicht, welche der Industrie aus der Thätigkeit des Staats sowohl als aus der privaten Thätigkeit bezüglich des Bahnbaues erwächst, immerhin die Zukunft etwas rosiger erscheinen läßt. Die augenblickliche Lage der Eisenindustrie, nament⸗ lich der Eisenwalzwerke, ist vom Herrn Grafen Kanitz richtig ge⸗ schildert worden. Die Lage ist zur Zeit eine sehr wenig erfreuliche⸗ Die Bestellungen, die seitens der Staatseisenbahnverwaltung den Eisenwalzwerken gemacht worden sind und noch gemacht werden
jönnen, haben naturgemäß die colossale Production, über welche diese Walzwerke verfügen, nicht völlig ausnutzen können. Es ist das immerhin ein beträchtlicher, aber doch gegen die Productionsfähigkeit der Walzwerke nicht durchschlagender Factor.
Was die Schienen anbetrifft, so ist meinerseits mit den Walz, werken ein Abkommen dahin getroffen worden, daß die Walzwerke sich bereit erklärt haben, den gesammten Bedarf der Staatseisenbahn⸗ verwaltung, der bis zum 1. April 1894 angemeldet wird, zum Preise von 111 ℳ pro Tonne der Staatseisenbahnverwaltung zu liefern.
Die Staatseisenbahnverwaltung hat sich ihrerseits nicht verpflichtet,
ein bestimmtes Quantum abzunehmen, sondern sie ist in der Lage, je nach Bedarf ihre Bestellungen zu erhöhen oder zu ermäßigen. Gleich⸗ zeitig ist, worauf meinerseits besonderes Gewicht gelegt werden mußte, die Qualität der Stahlschienen insofern verbessert, als ver⸗ einbart ist, daß die Festigkeit, die bisher mit 50 Kilo pro Quadratcentimeter seitens der Staatseisenbahnverwaltung gefordert wurde, auf 55 erhöht worden ist. Ferner sind Erhebungen darüber angestellt worden, ob es nicht möglich ist, in größerem Umfange als bisher eiserne Schwellen anstatt der hölzernen zu verwenden. Der Herr Abg. von Eynern hat gestern ganz richtig ausgeführt, daß die Holz⸗ schwellen, welche die Staatseisenbahnverwaltung in den letzten Jahren verwendet, zum weitaus größten Theile, etwa zu 90 %, aus dem Aus⸗ lande bezogen werden mußten, weil das Inland nicht in der Lage war, den Bedarf zu decken, und zwar nicht nur nicht den Bedarf an eichenen Schwellen zu decken, sondern auch den Bedarf an kiefernen Schwellen. Nun liegt es ja nahe, daß man, anstatt dem Ausland für die Holz⸗ schwellen kolossale Summen zu zahlen, lieber der inländischen Eisen⸗ industrie die Lieferung der Schwellen überträgt. Allein, meine Herren, es bestehen eigenthümliche Schwierigkeiten, in dieser Beziehung den Wünschen der Eisenindustrie in vollem Maße zu entsprechen, und zwar liegen diese Schwierigkeiten zunächst auf der finanziellen Seite. Es ist in einzelnen Theilen des Landes schon allein mit Rücksicht auf die Frachtkosten nicht möglich, ohne große Mehrausgaben eiserne Schwellen statt der hölzernen zu verwenden. Die eiserne Schwelle steht zur Zeit an und für sich zwar nicht erheblich höher im Preise als die Eichen⸗Schwelle, obwohl allmählich das Gewicht der eisernen Schwelle von etwa 32 auf 58 kg aus Gründen der Sicherheit und Stetigkeit des Betriebes und der Oekonomie der Unterhaltung erhöht worden ist. Allein die eiserne Schwelle fordert leider sehr erhöhte Ausgaben einmal für das nöthige Befestigungsmaterial zwischen Eisen und Schienen und zweitens sehr erhöhte Kosten für die Unterbettung. Die eiserne Schwelle ist nur mit Vor theil zu verwenden in einer tadellosen Unterbettung. Nur da, wo guter Kleinschlag oder Kies zu billigen Preisen beschafft werden kann, sind mit Vortheil eiserne Schwellen zu verwenden. Nun trifft dies leider für einen großen Theil unseres Landes nicht zu. Namentlich im Osten haben wir nur ausnahmsweise solch gutes Unterbektungsmaterial, daß wir die eisernen Schwellen dort mit Vor⸗ theil verwenden können. Es wird daher die Staatseisenbahnverwal⸗ tung aus ökonomischen Gründen gezwungen sein, im Osten nach wie vor einestheils wegen des billigen Preises der Holzschwellen, weil die⸗ selben dort die Flüsse herauftransportirt werden bis in die Impräg nirungsanstalten, und zweitens wegen der mangelhaften Beschaffenheit des Unterbettungsmaterials, die Holzschwellen in erster Linie zu ver⸗ wenden und die eisernen Schwellen nur ausnahmsweise.
Unter eisernen Schwellen verstehen wir zur Zeit eigentlich fast ausschließlich die Querschwellen. Die Versuche, welche mit Lang⸗ schwellen gemacht worden sind, wenigstens mit denen der bisherigen Systeme, haben nicht zu einem Ergebniß geführt, welches ermuthigen könnte, die Langschwellen in größerem Maße weiter zu verwenden. Es finden allerdings zur Zeit Versuche mit anderen Systemen von Lang⸗ schwellen statt; ich nenne hier insbesondere das sogenannte Haarmann'sche Schwellenschienensystem. Allein so gut anscheinend die Ergebnisse dieser Versuche bis jetzt sich gestalten, so haben wir nach den bösen Erfahrungen, die hinter uns liegen, doch die Ueberzeugung gewinnen müssen, daß der gegenwärtige Zeitraum der Verwendung der Haar⸗ mann’schen Schwellenschienen oder anderer Systeme noch zu kurz ist, um ein definitives Urtheil darüber zu gewinnen und das Experiment zu machen, in großem Umfang mit diesem neuen System vorzugehen.
Daß wir aber doch nicht müßig gewesen sind bezüglich der Ver⸗ wendung von eisernen Schwellen, dafür darf ich mir wohl erlauben, Ihnen einige Zahlen vorzutragen. Im Directionsbezirk Elberfeld liegen zur Zeit 68 % der Geleise in eisernen Schwellen. Im Directionsbezirk Köln (linsrheinisch) liegen 66 % des Geleises zur Zeit in eisernen Schwellen — fast ausschließlich bei beiden Directionsbezirken in Querschwellen. Es liegen im Directionsbezirk Köln (rechtsrheinisch) 35 % des Oberbaues Erfurt 20 %, Hannover 20 %, im Bezirk Berlin auch ungefähr 20 %, Magdeburg 10 %, Breslau 6 %, in Bromberg 8 % und Altona 1,8 % des Oberbaues in eisernen Schwellen. Aus den großen Unter⸗ schieden in der Verwendung des eisernen Oberbaues in den einzelnen Bezirken ergiebt sich der Beweis für meine Ausführung, daß es im wesent⸗ lichen darauf ankommt, ob man in der Lage ist, gutes Bettungsmaterial billig beschaffen zu können. Dort, wo Kleinschlag billig zu haben ist, wie in den Directionsbezirken Elberfeld, Erfurt, Frankfurt, ist von den eisernen Schwellen im großen Maße Anwendung gemacht worden. Ebenso steht es beispielsweise bei den Reichseisenbahnen, wo auch eisernen Schwellen liegen, und bei den badischen Bahnen, wo 50 % in eisernen Schwellen liegen. Da⸗ gegen hat die sächsische Staatsbahn keine eisernen Schwellen. die württembergische 33 %, die bayerische 15,7 %. Es sind nun meinerseits Ermittelungen angestellt worden, in welchem Umfange gerade mit Rücksicht auf die Nothlage der Eisenindustrie eiserne Schwellen verwendet werden können. Diese Ermittelungen haben er geben, daß wir allerdings in erhoͤhterem Maße, als bisher vorgesehen worden ist, eiserne Schwellen werden ohne finanzielle Nachtheile ver⸗ wenden können, wenn die Walzwerke sich zu entsprechenden Preisen derstehen. Wenn wir aber grundsätzlich eiserne Schwellen verwenden völlten, auch dort, wo die übrigen Voraussetzungen nicht zu⸗ beffen so würde das beispielsweise im Directionsbezirk 9 romberg allein eine Mehrausgabe gegen die dort natur⸗ gemäß sehr billigen Holzschwellen von 2 800 000 ℳ für den Bedarf des nächsten Etatsjahres ausmachen; und daß wir dazu nicht übergehen können, selbst auch nicht aus Rücksicht auf die nothleidende ssenindustrie, bedarf wohl weiter keiner Ausführung⸗
8 Nehme ich nun alle Momente zusammen, so glaube ich, daß das Land mit Ruhe der weiteren Entwickelung seines Eisenbahnwesens
uch in Bezug auf die G rweiterung und Vervollständigung des Netes
52 % in
entgegensehen kann. Bereits bei Einbringung des Kleinbahnengesetzes ist von verschiedenen Vertretern der Staatsregierung der Grundsatz ausgesprochen worden, daß man nicht beabsichtige, nunmehr den staatlichen Bau von Nebenbahnen vollständig auszusetzen, daß man sich aber der Hoffnung hingebe, daß ss Kleinbahnengesetz die private Initiative anregen würde, diejenigen Ver⸗ kehrswege auszuführen, die eigentlich außerhalb der Aufgaben der Staatseisenbahnverwaltung liegen. Nach den Nachrichten, soweit sie mir vorliegen, kann ich annehmen, daß diese Aussicht sich verwirklichen wird, daß sowohl eine lebhafte Thätigkeit in Bezug auf Bauten, die dem Kleinbahnengesetz unterstellt werden, zu erwarten ist, wie auch eine erhöhte private Thätigkeit bezüglich solcher Bahnen, für die ein Be⸗ dürfniß, sie aus staatlichen Mitteln herzustellen, nicht anzuerkennen ist.
Die Rede des Finanz⸗Ministers Dr. Miquel lautete:
Meine Herren! Gestatten Sie mir um so mehr auch meiner⸗ seits einige Worte zu diesem Antrage zu sagen, als man ja vielfach angenommen hat, daß nicht der Minister der öffentlichen Arbeiten, sondern der Finanz⸗Minister allzuweit in diesen Ersparungen geht, und nicht genügend die allgemeine wirthschaftliche Lage des Landes berücksichtigt.
Herr Graf Kanitz hat seinen Antrag wesentlich mit der augen⸗ blicklichen Lage der Eisenindustrie und der damit verbundenen sonstigen Industrien begründet. Nun hat schon Herr Dr. Lieber mit Recht darauf hingewiesen, daß der Antrag mit der Frage der augenblicklichen Beschäftigung der großen industriellen Werke kaum in einem Zu⸗ sammenhange steht. Wenn mein Herr College, der Minister für öffentliche Arbeiten, soeben gesagt hat, wie viel Credite für Eisenbahn⸗ Bauzwecke die Staatsregierung noch gegenwärtig zur Disposition stehen, so ergiebt sich schon daraus, daß auch ohne Neubewilligungen für die nächsten Jahre die Staatsregierung Mittel genug zur Dis⸗ position hat, um den Eisenbahnbau, soweit er bereits bewilligt ist, in dem „vollen Umfange“ des Herrn Grafen Kanitz weiter fortzuführen. Ich möchte dies durch einige Zahlen noch näher darlegen.
Meine Herren, es stehen der Staatsregierung für Eisenbahnzwecke augenblicklich im ganzen noch 323 Millionen Mark zur Disposition. (Hört! hört! links.) Es ist dies allerdings noch sehr viel, und ich hoffe, daß wir die Summe der ausstehenden Credite in Zukunft noch Schritt für Schritt weiter vermindern. Ich will gleich sagen, in welchem Sinne.
Ich fand, als ich in das Staats⸗Ministerium eintrat, an aus⸗ stehenden Crediten über 600 Millionen Mark vor. (Hört! hört!) Ich habe das immer für einen großen Uebelstand gehalten. (Sehr richtig! links.) Ich brauche die Gründe nicht näher zu entwickeln. Vielfach sind, wie der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten schon angedeutet hat, die Credite bewilligt lediglich aus Ueberschlägen und nicht nach detaillirt aufgenommenen und veranschlagten Projecten. Ich habe mich bemüht, schrittweise diese Eredite zu vermindern und ich hoffe auch noch damit fortzufahren. Das beweist aber noch nicht entfernt, daß damit eine entsprechende Verminderung der Gesammtzahl Kilometer und sonstiger Bauten verbunden ist. Es handelt sich nur, auch im Sinne des Herrn Grafen Kanitz, um eine andere und nach unserer Ueberzeugung gerade für den Landtag erheblich günstigere Methode.
Es sind verbraucht worden von diesen Crediten im Jahre 1891/92 137 Millionen, im Jahre 1892/93 sind in Aussicht genommen nach dem Arbeitsplan, den der Herr Minister für öffentliche Arbeiten dem Finanz⸗Ministerium mitgetheilt hat, 125 Millionen, und im Jahre 1893/94 117 Millionen Mark. (Hört! hört!) Daraus ergiebt sich ganz klar, daß der Antrag des Herrn Grafen Kanitz, mag das Haus ihn zu dem seinigen machen oder nicht, keine praktische Be⸗ deutung hat für die augenblickliche Beschäftigung der Industrie. Ich stehe ganz auf dem Boden und ich bin in dieser Beziehung in vollem Einklang mit den Auffassungen meines Herrn Collegen — daß der Staat, wenn der Staatsregierung genügende Credite zur Dis⸗ position stehen, ebenso wie jeder andere verständige Wirthschafter das thut, Zeiten für seine Bauten vorzugsweise auszuwählen hat — auch abgesehen von anderen Rücksichten auf die Beschäftigung der In⸗ dustrie —, in welchen diese Bauten besonders billig beschafft werden kämen. Das ist ganz selbstverständlich, und ich hindere den Herrn Minister in keiner Weise, nach diesem System zu handeln ich unterstütze ihn darin sehr gern. Daneben bin ich allerdings auch der Meinung, daß der Staat, soweit das mit seinen Interessen irgendwie in Einklang zu brigen ist, die Aufgabe hat, nachdem einmal die Ver⸗ staatlichung der Eisenbahnen durchgeführt ist, auch der privatindustrie⸗ ellen Thätigkeit in dieser Beziehung thunlichst Vorschub zu leisten.
Wir sind also in dieser allgemeinen Auffassung völlig miteinander einverstanden.
Nun wird es vielleicht den Herren von Interesse sein, mit Rück⸗ sicht auch auf die Beurtheilung der Frage, was denn nun die Ver⸗ staatlichung des Eisenbahnwesens geleistet hat, einige Zahlen zu hören über das, was seit dem Jahre 1880 in dieser Beziehung geschehen ist. Wir haben aus Anleihen, also abgesehen von dem, was aus dem Etat geleistet war, durchschnittlich seit dem Jahre 1880 in 11 Jahren für Eisenbahnzwecke nicht weniger als jährlich 100 600 000 ℳ verwendet (Hört, hört! links); darunter befinden sich — und das ist eine Zahl, die auch für die gesammte Lage unseres Eisenbahnwesens nicht ohne Interesse ist — nicht weniger als 152 Millionen für Betriebsmittel auf den alten Bahnen. (Hört! hört! links.) Durchschnittlich sind also für Vermehrung der Betriebsmittel auf den alten Bahnen jähr⸗ lich (in den 13 Jahren) 11 700 000 verwendet worden. Meine Herren, für neue Bahnen seit dem Jahre 1880 bis zum Jahre 1891 sund 702 Millionen Credite bewilligt worden, also für Neubahnen durchschnittlich 54 Millionen Credite für das Jahr.
Es ergiebt sich hieraus, daß allerdings die bei der Verstaatlichung der Eisenbahnen in Aussicht genommenen Landesmeliorationen durch Vermehrung der Bahnlinien, namentlich in solchen Gegenden auch, deren Linien nicht so zweifellos eine Rente lieferten, seitens der Eisen⸗ bahnverwaltung in hohem Grade geleistet worden sind. Nun geht aber der Antrag Kanitz, dem ich, wie gesagt, eine materielle Bedeu⸗ tung nach Maßgahbe der Begründung, die der Herr Graf Kanitz dem Antrag gegeben hat, kaum zusprechen kann, — wie der Herr Abg. De. Lieber richtig hervorgehoben hat, dahin: es soll die Staatsregierung aufgefordert werden, in dem bisherigen Umfang das Kleinbahnensyftem fortzufetzen. Ich habe bei der Berathung des Kleinbahnengesetzes ausdrücklich ausgesprochen und ich kann das nur wiederholen —, daß durch die Einführung dieser Kleinbahnen der Staat sich seiner Aufgabe, auch noch neue Bahnen zu bauen, nicht
entziehen kann und nicht entziehen will. Allerdings glaube ich, daß das Bedürfniß des unmittelbaren Einschreitens des Staats bei Neben⸗ bahnen durch eine richtige Entwickelungldes Kleinbahnensystems ver⸗ mindert wird. Ich glaube, wenn wir seitens der Staatsregierung geneigter sind, gegenwärtig mehr als früher Concessionen für derartige Linien zu gewähren, wenn wir nicht, möchte ich sagen, die Hand auf alle möglicherweise ausgebaut werden könnenden Linien seitens des Staats legen dem Privatunternehmungsgeist einen größeren Raum gewähren, daß dann allerdings in Zukunft manche Linie viel zweck⸗ mäßiger als Kleinbahn ausgebaut werden kann, die bisher miz sehr viel größerem Kostenaufwand als Nebenbahn ausgebaut wird. Daraus ergiebt sich schon von selbst die Hoffnung, daß das Bedürfniß des unmittelbaren Einschreitens mit Staatsmitteln auf diesem Gebiete in Zukunft bei einer angemessenen Entwickelung des Privatunter⸗ nehmungsgeistes sich vermindern dürfte.
Andererseits ist aber gar nicht zu. leugnen, daß doch auch der Staat wie jeder andere große Unternehmer nach den Umständen han⸗ deln muß, seine eigene Lage zu berücksichtigen hat, sich fragen muß, ob es gerathen ist, die Credite in ungemessener Weise zu vermehren und in einer zu starken Weise den Geldmarkt des Staats von Jahr zu Jahr in Anspruch zu nehmen. Für Preußen ist diese Rücksicht um so wichtiger, als wir ja immer bei der Inanspruchnahme des Geldmarktes zugleich die Concurrenz des Reichs in den letzten Jahren gehabt haben; und daß diese finanziellen Gesichtspunkte doch auch für den Landtag von Bedeutung sein müssen, das kann doch wohl keinem Zweifel unter⸗ liegen, umsomehr, wenn, wie ich gezeigt habe, die Frage der Vermeh⸗ rung der Credite für Nebenbahnen mit der augenblicklichen Beschäf⸗ tigung der Privatindustrie und der Verbesserung der Lage in einem unmittelbaren Zufammenhang nicht steht.
Ich möchte glauben, daß es für den Landtag überhaupt schwierig ist, einen solchen Antrag anzunehmen, dessen Bedeutung leicht miß⸗ verstanden wird und dessen Wirkung störend sein kann für eine plan⸗ mäßige Handhabung des ganzen Finanzwesens des Landes, von dem der Herr Dr. Lieber mit Recht gesagt hat, daß vor allem der Finanz⸗ Minister dafür verantwortlich sei.
Unter diesen Umständen möchte ich dem Herrn Grafen Kanitz vielleicht anheimgeben, ob er nicht seinen Antrag nach den Erklä⸗ rungen des Herrn Minifters der öffentlichen Arbeiten zurückziehen könnte; der wesentliche Zweck ist ja erreicht, unbegründete Beunrubi⸗ gungen und verkehrte Auffassungen im Lande find waßl beri tigt. Jedenfalls möchte ich eventuell das Haus bitten, den Autrag nicht ohne weiteres anzunehmen, sondern ihn an die Buegetcommission zu verweisen.
Nach der Rede des Abg. Dr. Sattler erklärte der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Der Herr Abg. Dr. Sattler hat vorhimn an⸗ geführt, daß auch in Bezug auf die Wasserbauvorlage noch sehr erheb⸗ liche Credite ausständen, und daß nicht mit der nöthigen Energie auf die Erledigung dieser Credite, das beißt auf die Ausfübrung dieser Arbeiten hingedrängt würde. Mir liegen zwar die Zahlen für die⸗ jenigen Ausgaben, welche im vorigen Jahre geleistet worden sind innerhalb dieses Ressorts, nicht vor; dagegen. glaube ich, wird es zur Beruhigung des hohen Hauses beitragen, wenn ich diejenigen Zahlen mittheile, die voraussichtlich im Etatsjahre 1898/94 mur Verwendung kommen werden. Es sind das für den Bau des Kamals uun Dortmund nach den Emshäfen voraussichtlich 24 Mrllionen. zur Verbefferung der Schiffahrt auf der Oder von Breslau bis Pofen etwa 9 Milliwnen, zur Regulirung der Stromverhältnisse auf der Weichsel und Nagat über 5 Millionen, und für sonstige kleinere Bauten noch ernmm 5 Mil⸗ lionen. Es geht daraus hervor, daß seitens der Bauverwaltung in ein sehr arbeitsreiches Jahr einzutreten sein wird, und ich hoffe⸗ duñ Witterung und andere Verhältnisse in dieser Beziezung ung beo⸗ günstigen.
Dann möchte ich mehr ergänzend und berichtügend zu den Aus⸗ führungen des Herrn Abg. Dr. Sattler mir gestatten, einige Jaslen zu geben, aus denen hervorgeht, daß die Thätigkeit der Staacs⸗ eisenbahnverwaltung in den letzten Jahren doch eime sehr rege gerefer ist, und daß in dieser Beziehung wesentliche Umterschiede umn iee vereinzelt auftreten. Es sind im Jahre 1888/S eröffm̃at murden 555 km neuer Nebenbahnen, 1889/90 683 krn. 1890 t vc km. 1891/92 302 km, 1892/93 wieder 401 km, und es mird beasschrgt. im Jahre 1893/94 380 km zu eröffnen.
Sie sehen daraus, daß ziemlich regelmäßig die Thüttigktit dm Staatseisenbahnverwaltung in der Ergänzung des Mazus furg⸗ geschritten ist.
Das Haus trat darauf in die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1893,94, und zwar zemteckhst des Etats der Domänenverwaltung, ein.
Bei den Einnahmen aus den Domänenvorwerken moft
Abg. Freiherr von Erffa (cons.) darauf dimn. da der Domänen⸗Etat ein Bild der schlechten Lage der ““ Die Ursache liegt in den schlechten Getreidepreisen. Der Abd Mrer bestreitet allerdings die Nothlage der Landwirthschaft. 1. die Leute im Osten, die keine Buchführung haben, klagen sendern die Leute in Sachsen, welche gute Buchführung baben. Und nicht auch die Rieselfelder der Stadt Berlin nur wendg über wa Ertrag? Freilich sind deren Preise auch sehr hoch gemwes Du Ursachen der niedrigen Preise sind eine Folge des — Handelsvertrages, und es zeigt sich jetzt, wie Festlegung esselben auf 12 Jahre ist. Die 8. kann si durch Arbeiterentlassungen helfen; der Landwietb. der seinen Boden nicht unter beständiger Arbeit bat. ruinirt ihn. Eine große Beunruhigung kam in der Landwirthschaft, als vom Abschluß eines Handele land und Rumanien die Rede war. Allerdings hat man neulch gef Verhandlungen darüber an dieser Stelle seien akademisch. We ff denn die vreanfäsche Landwirthschaft ihre Wünsche vorbri xvxenx nicht im preußischen „Abgeordnetenhause, wo wir den tnisd namentlich dem Landwirthschafts⸗Minister, gegenüberstehen, von mels letzteren wir allerdings eine kräftige Vertretung der landwirtzich lichen Interessen erwarten. Nur auf Kosten der Landwirtbschar ein Vertrag mit Rußland geschlossen werden; das würde aber dic marto⸗ nales Unglück sein. Gründe der hohen Politik, wie hei dem ösbep⸗ reichischen Vertrage, können doch nicht maßgebend seimz dee Judustrie hat allerdings an gleichmäßigen treidepreisen ein Interesse, aber ist — wenn Boͤrsenmanöver nicht treten — nicht dafür gesorgt, daß diese s übermäßig steigen? Können nicht alle Länder ihr Getreide uns absetzen zu den billigen Tarifen? Rußland hat seldst in dem Jahre, wo ein Nothstand herrschte, große M. Getreide bei une abgesetzt; wie soll es erst werden, wenn die Sk auch für Nusland herabgesetzt werden, namentlich in Anbetracht der VBalutaver Auch der Vertrag mit Rumänien ist beden c schranken gegen Rußland hat. Rußland so dem eine Convention über die Wiehf⸗ à. wer
1“
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vertrag auch