Wenn hier noch davon gesprochen worden ist, daß die Franzosen uns gegenüber das Prävenire gespielt hätten, indem sie, durch das Schwanken der Regierung veranlaßt, schnell zugegriffen und das Jahr 1900 als Ausstellungsjahr für sich in Beschlag genommen hätten, so glaube ich, daß diese Darstellung nicht vollständig den Thatsachen entspricht. Es ist mir auf das Bestimmteste versichert worden, und zwar zu einer Zeit, wo von der Berliner Ausstellung noch nicht die Rede war, daß man bereits bei der letzten Pariser Ausstellung an maßgebenden Stellen eine Wiederholung der dortigen Ausstellung nach zwanzig Jahren ins Auge gefaßt hat.
„Abg. Dr. Bamberger (dfr.): Ich habe mich heute hier geäußert, weil ich im Sommer bereits literarisch zu der Frage der Berliner Ausstellung mich geäußert hatte und hier heute entgegen⸗ gesetzte Meinungen zum Ausdruck kamen. Ich habe demgegenüber eine 1“ Meinung markiren wollen. Die Platzfrage spielt auch eine Rolle, und eine so große Ausstellung hätte der Stadt gewiß
mehr geschadet als genützt. ie Schattenseiten eines solchen Unter⸗
nehmens werden gar zu leicht und gar zu gern übersehen. 18
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.) äußert seine Freude über
die Stellung, welche der Abg. Dr. Bamberger der Frage gegenüber
eingenommen hat. Die preu ische Regierung und der Reichskanzler sind in der ganzen Angelegenheit so objectiv wie nur jemals vor⸗ egangen. Ich betheilige mich allerdings an der Ausstellung in hicago, aber erst nachdem ich nicht habe verhindern können, daß die Regierung dafür eintrat, daß Reichsmittel dafür bewilligt sind. Ich halte die Ausstellung noch heute für keinen Vortheil für unsere deutsche Industrie. 89 in Berlin handelte es sich darum, zu verhindern, daß die Ausstellung stattfindet, das ist für mich viel wichtiger.
Staatssecretär Dr. von Boetticher:
Dcer Herr Abg. Singer wird aus den Ausführungen meines
Herrn Collegen im preußischen Staats⸗Ministerium entnommen haben,
daß er sich in einem Irrthum befunden hat, wenn er der Reichs⸗
regierung den Vorwurf machte, daß sie von vorn herein gegen das
Project der Berliner Weltausstellung gewesen sei, und daran die Be⸗
schuldigung knüpfte, daß sie die Betheiligung der Großindustrie an
der Weltausstellung in Chicago mit dem Versprechen einer ablehnen⸗ den Haltung gegenüber dem Plan der Berliner Ausstellung er⸗ kauft habe.
Was der Königlich preußische Herr Handels⸗Minister über die Enquôte in Preußen berichtet hat, trifft in gleichem Maße auch für die übrigen Bundesstaaten zu. In jedem der einzelnen Bundesstaaten ist auf Anregung des Reichskanzlers — und der Herr Handels⸗Minister hat Ihnen bereits gesagt, daß diese Anregung durchaus objectiv und neutral gehalten war — eine Vernehmung der einzelnen Industrien vorgenommen, und auf Grund dieser Vernehmungen haben dann die
Regierungen sich schlüssig gemacht darüber, ob sie ihrerseits
für die Einrichtung einer Weltausstellung in Berlin stimmen wollten oder nicht. Das Ergebniß der eingelaufenen Aeußerungen ging dahin, daß mit Ausnahme sehr weniger Regierungen die über⸗ wiegende Zahl sich gegen das Project einer Weltausstellung in Berlin erklärt hat. Es würde der Standpunkt der Reichsregierung ein nahezu isolirter gewesen sein, wenn sie gegenüber diesen Stimmen das Project der Weltausstellung hätte durchdrücken wollen.
Im übrigen kann ich Herrn Singer nurpempfehlen, daß er seine sogenannten öffentlichen Geheimnisse künftig aus einer zuverlässigeren
Quelle bezieht, als diejenige gewesen ist, aus der er die Nachricht von einem widerstrebenden Einfluß der Reichsregierung geschöpft hat.
Abg. Speiser (Vp.): Die industriellen Kreise Süddeutschlands haben der Entscheidung der Frage einer Weltausstellung in Berlin mit großem Interesse entgegengesehen und haben den abweichenden Standpunkt der verbündeten Regierungen freudig begrüßt. Die Er⸗ fahrung hat uns gelehrt, daß mit derartigen Ausstellungen für die Aussteller Kosten verknüpft sind, die mit den Erfolgen in gar keinem
Verhältniß stehen. Der wahre Fortschritt der Industrie findet in diesen Ausstellungen nicht den wahren Ausdruck. Jeder In⸗ dustrielle wird das Neueste und für ihn Werthvollste niemals zur Ausstellung bringen, weil er wohl weiß, daß nur die Concurrenz davon Vortheil zieht. Im übrigen sage ich mit dem Abg. Dr. Bam⸗ berger: eine Weltausstellung in Berlin ist in absehbarer Zeit weder nothwendig noch nützlich.
Auf eine Anfrage des Abg. von Keudell (Rp.) er⸗ klärt der Staatssecretär Dr. von Boetticher:
Der Herr Vorredner hat ganz Recht, wenn er aus der Bemer⸗ kung in der Thronrede, mit welcher die Sitzung des Reichstags er⸗ öffnet worden ist, annimmt, daß das Trunksuchtsgesetz unter diejenigen Gesetze gerechnet werden muß, welche wegen Ueberlastung der gegen⸗ wärtigen Session mit anderen Aufgaben zurückgestellt worden sind. Es ist das in der That das Motiv gewesen für die Reichsregierung und den Bundesrath, den Entwurf eines Trunksuchtsgesetzes zur Zeit nicht zur Berathung vorzulegen, weil man es hat vermeiden wollen, auch dieses Gesetz noch in die Berathung des mit anderen Aufgaben sehr stark behelligten Reichstags aufzunehmen. Ich glaube annehmen zu sollen, daß im
nächsten Jahre ein gleiches Hinderniß, wie es diesmal der Vorlegung dieses Gesetzentwurfs entgegengestanden hat, nicht bestehen wird, und ich glaube daher in Aussicht stellen zu können, daß die Wünsche des Herrn Vorredners und seiner Hintermänner im nächsten Jahre ihrer Erfüllung entgegengeführt werden.
Abg. Dr. Krause Cfrh: Solche Anregungen, wie die des Abg. von Keudell, haben doch ihr sehr Bedenkliches. Keine Vorlage ist im ganzen Volke anstößiger empfunden worden, als diejenige gegen die Trunksucht. Das Volk erklärt gegenüber dieser Vorlage: Wir sind kein Volk von Gewohnheitstrinkern. 1“
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.) verlangt ein Trunksuchtsgesetz, um endlich dem Kleinhandel mit Branntwein und Spirituosen gründ⸗ lich zu Leibe gehen zu können. Dieser Wunsch werde sich aber auch auf dem Wege der Annahme der Centrumsanträge erfüllen, welche diesen Kleinhandel durchweg concessionspflichtig machen. Dringe dieser Antrag durch, dann brauche man ein Trunksuchtsgesetz nicht
so dringend. Hiernach wird ein Vertagungsantrag angenommen. Schluß 4 ½ Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 1 Uhr. (Etat
des Reichsamts des Innern.)
8 8
8 Preußzischer Landtag. b Haus der Abgeordneten. 23. Sitzung vom 28. Januar.
8 Fortsetzung der zweiten Berathung des Staats⸗ haushalts⸗Etats für das Jahr 1893/94 bei dem Etat des Bureaus des Staats⸗Ministeriums.
Ueber den Beginn der Sitzung ist bereits in der Nummer vom Sonnabend berichtet worden. Bei Tit. 3 (Gehalt für
drei vortragende Räthe) bemerkt 96 8 Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (cons.) Bei diesem Titel muß ich auf die Thätigkeit des „Reichs⸗ und Staats⸗Anzeigers“ ein⸗
Diese kurze Notiz des
. Es sind da in der letzten Zeit Publikationen erfolgt, die mir nicht dahin zu gehören scheinen. Das größte Aufsehen erregte die Veröffentlichung jener Depesche, die geeignet war, die gesellschaftliche Stellung des größten Mannes in Deutschland zu untergraben, einer Depesche, in welcher jeder Satz mit Frage⸗ und Ausrufungs⸗ zeichen zu versehen war. Ferner will ich erinnern an die Ver⸗ öffentlichung der Devpesche, die sich auf einen Frpeesange⸗ vübnh mit gefälschten Quittungen bezog. Es handelte sich um eine Sache, von der jeder sagen mußte, es war ein Schießen mit Kanonen nach Spatzen. Es konnte 28 nur um einen gemeinen
gehen.
Erpressungsversuch handeln. Der dritte Fall, den ich im speciellen Auftrage meiner politischen Freunde erwähne, bezieht sich auf eine Veröffentlichung des „Reichs⸗Anzeigers; vom 7. Dezember 1892. Es wurde da mitgetheilt, 8 der Minister des Innern Veranlassung genommen habe, dem Landrath des Friedeberger Kreises wegen Unterzeichnung eines Wahlaufrufs seine ernste Mißbilligung zu erklären. Ich betone vorweg, daß ich die That⸗ sache, daß dem Beamten die Ansicht der Regierung in einer mißbilligenden Weise mitgetheilt wurde, einer Kritik nicht unter⸗ ziehen will. Wir haben der Regierung jederzeit zugestanden, daß sie die Disciplinarmittel gegen die Beamten frei anwenden darf; eine starke Regierung muß das Recht dazu haben. Meine Partei hat auch in den letzten Jahren keine Fälle zur Sprache gebracht, in denen die Disci linargewalt benutzt worden ist, um repressiv gegen die politische T ätigkeit von Beamten vorzugehen. Aber in diesem Falle ist noch dazugekommen, daß dieser Verweis publicirt worden ist, und da dieses Disciplinarmittel gesetzlich nicht vorgesehen ist, so nehme ich für uns das Recht in Anspruch, diese, Sache zu kritisiren. Die Publikation hat zwei Seiten: Einmal die Verschärfung der Disciplinarmaßregel. Da muß ich sagen, daß nach unserem Gefühl diese Verschärfung einem tüchtigen alten Beamten gegen⸗ über nicht zu verstehen ist. Es hat in unserem Kreise verletzt und den Eindruck verstärkt, daß man glaube, als könne man Conservative exceptionell schlecht behandeln. Die Sache hat aber noch eine andere Seite. Die Veröffentlichung konnte die Bedeutung einer Stellungnahme der Regierung zu den politischen Wahlen haben, und da muß ich sagen, daß ich es nicht für richtig halte, wenn die Regierung in solchen Fällen bei der Wahl⸗ agitation gleich von oben herab mit solcher Entschiedenheit und in solcher Hast Stellung nimmt. Wie man zu diesen politischen Fragen stehen mag, die Meinung wird man wohl haben können, daß eine starke, selbstbewußte Regierung vollkommen in der Lage ist, die Dinge sich selbst abspielen zu lassen. Diese drei Fälle haben etwas Gemeinsames. Es macht den Eindruck, als ob man in den Fällen etwas hätte erreichen oder thun wollen, sie machen den Eindruck des nicht Ueberlegten, Nervösen, nicht dessen, was man von einer ruhigen selbstbewußten Regierung hätte erwarten können, die sich über ihre Kraft vollkommen klar ist. Ich darf wohl mein Bedauern über diesen Eindruck aussprechen. Die Sache hat doch nicht den Effect gemacht, den man gewünscht hat. Sie hat dem Ansehen und der Popularität des Mannes nicht geschadet, sondern Bedauern hervorgerufen. Ich habe den dringenden Wunsch, daß der „Reichs⸗ und Staats⸗Anzeiger“ ein Blatt sei, für das wir die Mittel bewilligen, damit die Regierung stark dastehe, nicht aber, damit es durch ungeschickte Verwerthung benutzt werde, die Regierung zu schwächen.
Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg:
Meine Herren! Zunächst kann ich dem Herrn Vorredner nur darin beistimmen, daß der „Staats⸗Anzeiger“ mit Vorsicht zu be⸗ nutzen ist, und zwar in den Fällen, wo eine Kundgebung der Staats⸗ regierung geboten oder dringend angezeigt ist, und daß diese dann mit voller Klarheit zu erfolgen hat. Ich hoffe auch auf sein Ein⸗ verständniß, wenn ich auf die beiden ersteren Fälle, die er in Bezug auf die Veröffentlichungen im „Staats⸗ Anzeiger“ angeführt hat, nämlich die Depeschen, welche den Fürsten Bismarck be⸗ treffen, und diejenigen, welche sich auf den Welfenfonds beziehen, — näher hier nicht eingehe; er weiß, daß dieselben von mir nicht aus⸗ gegangen sind, und er weiß, daß die richtige Beleuchtung dieser Verhältnisse nicht wohl von einem Andern erfolgen kann als von Dem, von dem diese Veröffentlichungen ausgegangen sind.
Um so nothwendiger und näher liegt mir aber die Antwort, ob auf die Anregungen, welche der Herr Vorredner hinsichtlich der Ver⸗ öffentlichung über die Wahl in Arnswalde⸗Friedeberg gegeben hat.
Nun, meine Herren, er hatzunächst gesagt, dergleichen Dinge wären ein Anzeichen von Nervosität, von Ueberhastung, von nicht vollständiger Ueberlegung! Ich muß sagen: mir ist es fremd, worauf diese Be⸗ hauptung begründet werden kann; sicher zunächst kann sie nicht be⸗ gründet werden auf die Form und den Inhalt dieser Erklärung. „Staats⸗Anzeigers“ hat folgenden Wortlaut:
Der Minister des Innern hat dem Landrath des Friedeberger Kreises wegen der Unterzeichnung eines Wahlaufrufs für den Rector Ahlwardt seine ernste Mißbilligung zu erkennen gegeben.
Ich glaube, kürzer und einfacher, ruhiger kann eine Aeußerung nicht sein. Wie ferner der Herr Vorredner dazu kommt, den Verdacht zu haben, daß die Regierung darauf ausgehen könne, die conservative Partei oder gar einen würdigen alten Beamten, wie den Landrath von Bornstedt besonders schlecht zu behandeln — ich muß sagen, das läßt sich vielleicht nur aus Erfahrungen erklären, die der Herr Vorredner selbst gemacht hat. (Große Heiterkeit. Sehr richtig! links.) Darum werden Sie mir erlassen, auf diese Seite der Sache weiter einzugehen, um auf die eigentliche Angelegenheit, um die es sich handelt, zu kommen. Ich habe durch Verlesung des veröffent⸗ lichten Satzes bereits betont, daß es sich nicht handelte und nicht die Absicht war nach dieser oder jener Richtung Partei zu nehmen, sondern es handelte sich um die Verurtheilung und Kennzeichnung einer Handlung, die diesem Candidaten gegenüber in dem Wahlkreise Arnswalde⸗Friedeberg erfolgt war; und wenn Sie sich vergegen⸗ wärtigen, meine Herren, was von diesem Mann in seinen Pam⸗ phleten gegen die Königliche Staatsregierung, gegen die Armee, gegen die gesammte Verwaltung veröffentlicht worden war, dann bin ich der Meinung, daß man nicht allein berechtigt war zu sagen, es sei für einen Beamten an der Spitze des Kreises nicht gehörig, für die Wahl eines solchen Mannes einzutreten (lebhafter Beifall links), sondern daß die Staatsregierung die Pflicht hatte, eine solche Aeußerung an die Oeffentlichkeit zu bringen (erneute Zustimmung links), denn die Königliche Staatsregierung darf dergleichen Dingen gegenüber sich nicht einer Zweideutigkeit aussetzen. Wenn sie den Angriffen, die in der Oeffentlichkeit von Herrn Ahlwardt gegen sie gemacht wurden, zu meinem Bedauern nach der Lage des Strafgesetzbuchs nicht die Möglichkeit hatte, schärfer zu begegnen, und es gleichzeitig hätte geschehen lassen, daß die Beamten der Regierung für dessen Wahl eintraten, dann wäre das Urtheil gerechtfertigt gewesen, daß sie nach zwei Seiten hin den Mantel trüge, und im stillen die Handlungsweise und die Agitation dieses Herrn nicht so mißbillige, wie sie es verdiente, gemißbilligt zu werden. (Sehr richtig! links.) Darum die Veröffentlichung; und ich kann hinzusetzen: Zu meinem Bedauern habe ich die Veröffentlichung veranlassen
Mann, der deshalb, weil er sich in einem Punkte einmal so ver⸗ halten hat, wie es nach meiner Ueberzeugung nicht richtig ist, noch nicht im übrigen das Vertrauen verlieren zu müssen braucht. Also, meine Herren, es war nicht gern geschehen, es war aber eine absolute Nothwendigkeit, und vorkommenden Falls wird es ganz gewiß wieder ebenso geschehen. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Hobrecht (nl.): Ich will nur auf die letzte Veröffent⸗ lichung eingehen. Die beiden anderen Dinge hängen damit nicht zu⸗ fammen. Der betreffende Landrath hat sich für Herrn Ahlwardt erklärt, mit Rücksicht auf die freisinnigen Agitationen. Ich habe diese Agitationen schon früher gekennzeichnet, ich finde die Erbitterung be⸗ greiflich. Aber die Schlußfolgerung, zu der man gekommen ist, war eine unrichtige. Herr Ahlwardt ist der Vertreter des Antisemitismus, und der Antisemitismus verdient nicht, mit irgend einer anderen Partei verglichen zu werden. Der Antisemitismus appellirt an die niedrigsten Instinkte und hat kein bestimmtes, verfolgbares Ziel; infolgedessen müssen da sehr rohe Excesse entstehen. Wir freuen uns, von dem Herrn Minister⸗Präsidenten gehört zu haben, daß die Staatsregierung der Gefahr entgegentreten will, um die es sich handelt. Wir müssen dafür sorgen, daß aus unseren Kreisen diese Bewegung keine Unterstützung und Förderung findet. Die Aufgabe aller Gebildeten aller Parteien muß es sein, der Aufreizung entgegenzutreten durch Beispiel und durch Wort. Wenn heute die Verfolgungen von Hexen bei den Gebildeten irgend welche Unterstützung fänden: aus einem Mangel an Zeugen und Anklägern würde das Anzünden von Scheiter⸗ haufen nicht unterbleiben. Das hatten die Conservativpen im Sinn, als sie im Programmentwurf den Satz von den Ausschreitungen des Antisemitismus aufnahmen. Der Satz hat an⸗ sich nichts zu bedeuten. Das ist richtig. Aber daß dieser Satz gestrichen worden ist angesichts des Prozesses Ahlwardt und unter der Begründung, daß man agita⸗ torischer, daß man demagogischer vorgehen müsse, das hat seine große Bedeutung. Die antisemitische Bewegung hat nichts zu thun mit irgend einem xeligiösen Ziel. Der Schutz des religiösen Lebens steht im inneren Widerspruch mit der Verunglimpfung einer Religion, an der doch nun einmal Tausende von unseren Mitmenschen hängen. Wenn Sie daran zweifeln, so wird die Sache aufgeklärt durch die Erklärung des Herrn Ahlwardt: Der getaufte Jude stehe ihm nicht näher, als der ungetaufte. Auf die Rasse kommt es an. Wenn der Satz „christliche Obrigkeit“ eine Bedeutung hat, so enthält er eine Scheidung vom verfassungs⸗ mäßigen Recht des Landes. Das thut mir leid, weil ich be⸗ daure, daß diese Wendung in der conservativen Partei eingetreten ist, von der ich gehofft hatte, daß sie nicht eintreten würde. Bei der Berathung des Justiz⸗Etats ist mir eine Broschüre von einem Pro⸗ fessor Strack übersendet worden mit der Bitte, doch zur Sprache zu bringen, daß ein Antrag auf strafrechtliche Verfolgung eines anti⸗ semitischen Pamphlets abgewiesen sei. Ich wollte diese Sache zur Sprache bringen, weil mir die Gründe der Ablehnung der gericht⸗ lichen Verfolgung nicht stichhaltig erschienen. Aber ich hatte das Gefühl, daß solche öffentlichen Verhandlungen mehr schaden als nützen, daß sie von der Agitation als Reclame und Propaganda benutzt werden. Der Inhalt dieses Pamphlets ist ein sogenannter; almudauszug. Wer die Dinge nicht kritiklos liest, muß zur Ueberzeugung kommen, daß es sich dabei nicht um eine getreue Uebersetzung handelt von jüdischen Gesetzesvorschriften, die noch heute gelten sollen; einem jüdischen Arzt soll es z. B. verboten sein, einen Nichtjuden zu heilen, selbst wenn er dafür bezahlt wird u. s. w. Daß das nicht wahr ist, wissen Sie wohl alle. Aehnliche Vorwüfe wie gegen die Juden sind in jedem wilden Fanatismus immer erhoben worden. Die chine⸗ sischen Gelehrten haben ja aus unserer Literatur Nhsche publicirt, um darzuthun, zu welchen Scheußlichkeiten die christliche Religion führt, und wenn dann die Ausschreitung eintritt,
dann zuckt der Mandarin die Achsel und sagt: daß ich die Ausschreitung des Antichristianismus nicht billige, ist ja bekannt. Daß eine Abneigung gegen die Juden weit verbreitet ist, will ich nicht leugnen. Ich habe diese Abneigung nicht. Eine Abneigung gegen gewisse Eigenschaften wird nicht überwunden durch die Anerkennung gewisser Vorzüge, und diese Abneigung wird verallgemeinert. Diese Abneigung sollte man sich bemühen innerlich zu überwinden und sie nicht zum Werkzeug äußerlicher Agitationen zu machen. Ich bin kein Antisemit. Ich habe treue Freunde unter den Juden gefunden. Wenn irgend ein Volk bestrebt ist, seine Fehler und Gebrechen zu heilen, so ist das bei den Juden der Fall. ie Juden haben sich dem deutschen Volke besonders warm angeschlossen. Denken Sie dabei, wie Sie wollen. Die antisemitische Bewegung, die hier gekennzeichnet ist, die wir vor uns haben und die den Anlaß zu dieser Discussion gegeben hat, hat damit gar nichts zu thun. Dieser Antisemitismus, von dem wir uns nicht schroff genug trennen können, ist nicht edel, ist nicht deutsch, ist
nicht christlich. — 8 Abg. Rickert (dfr.): Ich knüpfe an die letzten Worte des Vor⸗ redners, denen ich voll zustimme, an und möchte auch einige Worte über das schändliche und gemeine Flugblatt: „Der Talmudauszug“ sprechen das auch im Arnswalde⸗Friedeberger Wahlkampfe ver⸗ breitet wurde. Diesem Flugblatt gegenüber scheinen die Juden schutzlos zu sein, es stellt die Juden von Religionswegen als Verbrecher hin. Die Schrift des Professors Strack, der ein orthodoxer und streng con⸗ servativer Mann ist, kann man nicht ohne Benssc lesen. Die Conservativen beklagen sich nun, von der Regierung schlecht behandelt zu werden. Das ist wirklich die allergrößte Leistung. Sie haben alle Aemter inne, werden von der Regierung verzärtelt, und das ist ihnen noch nicht genug. Jetzt hat die Regsertng. den Dank dafür jetzt überlegt sie sich vielleicht, ob es richtig ist, so einseitig eine einzige Partei bei der Besetzung der Stellen im Staat zu bedenken. Vielleicht denkt sie jetzt auch mehr an andere monarchische Parteien. Wir Freisinnigen verzichten darauf. Wir verlangen freilich, daß man freisinnigen Männern nicht die Bestätigung bei der Wahl zu Communalämtern versagt, bloß weil sie freisinnig sind. Und in dieser Beziehung haben wir auch dem gegenwärtigen Herrn Minister Vor⸗ würfe zu machen. Die Rectification des Landraths des Friedeberger Kreises durch den Minister halten wir deshalb für vollkommen gerecht⸗ fertigt, weil er Wahlcommissar war. Sie haben gewiß das Recht, die Verfassung zu ändern. Wollen Sie das aber nicht, was soll dann die Hetze gegen die Juden? Ich frage Sie: Wollen Sie einen Antrag auf Aufhebung des Artikels 69 der Verfassung einbringen? Welche Consequenzen würde das haben? Der Bauernbund hat 23 Wanderredner angestellt, die im ganzen Lande herumreisen. Uns ist ein Formular dieses Bauernbundes in die Hände ge⸗ fallen, worin ein Vortrag eines solchen Wanderredners angekündigt ist, mit der Bemerkung, daß die Gemeindebehörde für die Hergabe des Versammlungssaales sorgen werde. Ferner habe ich hier ein Formular, eine Zuschrift an den Ortsvorsteher, in der er um Unterstützung und Empfehlung der Versammlung ersucht wird mit, ausdrücklicher Be⸗ rufung auf das Landrathsamt. Was sagt der Minister dazu? Und die Ortsbehörden thun das auch. ie diese Versammlungen verlaufen, geht aus einem 2 ericht der „Kreuzzeitung“ 1- er eine solche Versammlung hervor, worin es heißt: „Be⸗ sonderen Anklang fand das Wort eines alten Soldaten: „Nieder mit dem Freisimn und dem Judenthum!“ Und der Bericht fagt weiter: Als Vertreter der Regierung nahm der Geheime Ober⸗ Regierungs⸗Rath Thiel vom landwirthschaftlichen Ministerium theil. Was sagt der Minister dazu? Das stehende Thema, das in diesen anscheinend von hoher Stelle begünstigten Vereinen etrieben wird, ist die tollste Judenhetzerei. Ich frage den Minister: ist ihm das be⸗ bekannt? Und wenn nicht, würde er süc hier nicht darüber äußern⸗ Es liegt die Gefahr vor, daß durch dieses ungenirte öffentliche Ein⸗ treten 2 Behörden für diesen demegogischen staatsfeindlichen, Anti⸗ semitismus die Bepölkerung in den Glauben versetzt wird, die vn- gierung habe die Absicht, unseren jüdischen Mitbürgern ihre verfassungs⸗ mäßigen Rechte zu rauben. Gelingen wird Ihnen das ja nicht
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
8
müssen, denn ich habe bereits vorhin angedeutet, der Mann, den sie traf, der Landrath von Bornstedt ist ein würdiger und ehrenwerther
Zweite Beilage
s-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Montag, den 30. Januar
1893.
(Saus der Abgeordneten. (Schluß des Sitzungsberichts aus der Ersten Beilage.)
“ Abg. Freiherr von Min nigerode⸗Rossitten (cons.): Sobald die freisinnige Partei in Verlegenheit kommt, wendet sie sich an die Re⸗ gierung und ruft nach der Polizei! Ich will auf die meisten Dinge, die der Abg. Rickert vorgebracht, nicht eingehen, weil berufenere und rüstigere Hände das nach mir thun werden. Der Abg. Hobrecht hat den ganzen Antisemitismus in die Debatte gezogen; ich lehne deshalb die Verantwortung für diese Debatte ab. Die antisemitischen Bestrebungen sind sehr verschiedene, die sich durchkreuzen und zu ver⸗ schiedenartigen Erscheinungen Anlaß geben. Den Antisemitismus als solchen können Sie heute eigentlich noch gar nicht greifen und fassen. Das Streichen des Satzes über die Verurtheilung der Ausschrei⸗ tungen des Antisemitismus führt den Abg. Hobrecht zu dem Schluß, daß wir keine Grenze gegen den schrankenlosen Antisemitismus ge⸗ zogen hätten. Der Satz erschien uns lediglich überflüssig. Wie wir alle Ausschreitungen, z. B. auch die des Freisinns verurtheilen, so verurtheilen wir auch die Ausschreitungen des Antisemitismus; das ist selbstverständlich. In dem Antisemitismus, diesem schwankenden Be⸗ griff, Noll EE“ dr Religion liegen! Kann darin eine Verunglimpfung einer Religion liegen, daß wir auf das christliche Bekenntniß Werth. legen? Wer sein eigenes Bekenntniß achtet, der achtet auch das Bekenntniß anderer Leute. Es ist wunderbar, wenn solche Auslegungen hier vorkommen können. Der Abg. Rickert hat sich durch meine Ausführungen noch nicht befriedigt gefühlt. Wir verlangen eine christliche Obrigkeit in jeder Hinsicht; das ist doch klar und deutlich. Ich kann nicht annehmen, daß der Abg. Hobrecht im Namen seiner Freunde gesprochen hat. Ich möchte Ihnen rathen, in dieser Beziehung sehr vorsichtig zu sein. Der Antisemitismus ist in weiten Kreisen verbreitet, wo man ihn nicht vermuthet. Der Minister machte zum Ausgangspunkt seines Erlasses die ungebührliche Agitation der Antisemiten. Ich frage, ob dem Minister die Agita⸗ tionsweise der Freisinnigen, vielleicht aus früheren Wahlen schon be⸗ kannt war. Ich möchte sein Augenmerk darauf richten. Herr Ahl⸗ wardt war nicht der Candidat des Herrn von Bornstedt, es handelte sich um eine Stichwahl. Wenn Sie die wunderbare Parteigruppirung ei den Stichwahlen betrachten, dann kann die Entscheidung des Herrn von Bornstedt bei der Stichwahl nicht auffallen. Wir haben alles vermieden, was eine Kritik der Ausübung der Disciplinargewalt sein könnte, wir haben uns nur darüber beschwert, daß man die Form der Publikation, welche gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, also eine höchst ungewöhnliche Form gewählt hat einem Beamten gegenüber, dem der Minister selbst seine Anerkennung nicht versagt hat. Endlich bemerke ich dem Minister, und das habe ich schmerzlich bedauert, daß er sich berufen hat auf die schmerzliche Erfahrung des Abg. Grafen zu Lim burg⸗ Stirum. Wir haben dieses Vorgehen verurtheilt, aber wir haben es mit aller Höflichkeit kritisirt.
1 Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg:
Darüber, wo und ob ich zu schweigen habe oder nicht, muß ich das Urtheil für mich allein in Anspruch nehmen. (Lebhafter Beifall links.) So sehr ich die Ausführungen des Herrn Vorredners mit der schuldigen Achtung, die ich jedem Mitgliede dieses Hauses zu gewähren habe, angehört habe, so muß ich doch dergleichen Rath, ob und worüber ich zu schweigen habe oder nicht, bestimmt ablehnen. (Beifall links.) Meine Herren, ich habe, was diese ganze Angelegenheit anbetrifft — um dies gleich vorab zu erwähnen — auf das Lebhafteste bedauert, daß eine Aeußerung, die ich zu dem ersten Herrn Vorredner in vollkommen wohlwollender Absicht aussprach, dadurch, daß sie sehr gegen meine Absicht Heiterkeit erregte, vielleicht dazu beigetragen haben kann, ihm unangenehm zu sein. Mir hat nichts ferner gelegen. Aber, meine Herren, ich bitte Sie zu berücksichtigen, wenn mir hier vorgeworfen wird, daß es den Anschein habe, als ob die Regierung darauf ausginge, eine ganze große Partei des Landes und dieses Hauses schlecht zu behandeln, daß ich mich dadurch veranlaßt sehen muß, das auf das Bestimmteste zurück⸗ zuweisen, und da Thatsachen, welche nach dieser Richtung hin vorliegen, weder angeführt waren noch angeführt werden können, so lag in der That die Meinung sehr nahe, daß nur andere Gründe auf diesen Gedanken hätten bringen können. Dies aus⸗ zudrücken, war allein meine Ansicht in der Sache. Dann hat Herr von Minnigerode gesagt, ich hätte in meinen Ausführungen mich in Widersprüchen bewegt. Ich muß aufrichtig sagen: trotz des besten Willens wird es mir nicht klar, worauf sich diese Behauptung stützt. Wenn ich, wie ich gern anerkenne, die sonstige amt⸗ liche und außeramtliche Führung des Herrn Landraths von Bornstedt hier mit einigen Worten der Anerkennung bezeichnet habe, so folgt daraus weder, daß ich Alles, was er thut, billigen muß, noch auch was er in diesem speciellen Falle gethan hat, billigen kann.
Was nun die Veröffentlichung dessen betrifft, was ich genöthigt gewesen bin diesem Herrn zu eröffnen, so haben Herr von Minnige⸗ rode und Herr Graf von Limburg⸗Stirum mit vollem Recht gesagt, daß im Disciplinargesetz über eine derartige Veröffentlichung nichts steht. Sie ist nicht vorgeschrieben und auch keineswegs verboten, sie muß aber unter Umständen erfolgen, wenn sie erforderlich ist, um die Stellung der Regierung klar zu machen. Weit entfernt, um Herrn von Bornstedt etwas besonders Unangenehmes zu thun oder um die Mißbilligung, die ausgesprochen wurde, zu verschärfen, ist die Ver⸗ öffentlichung geschehen, sondern, wie ich ganz deutlich gesagt habe, lediglich deshalb, um die Stellung der Regierung in dieser Angelegen⸗ heit klar zu stellen; und ich wiederhole: die Regierung durfte sich nicht dem Vorwurf aussetzen, daß sie in irgend einer Weise Connivenz übe gegen die Wahl eines Mannes wie des Herrn Ahlwardt. Diese Ansicht ist nicht widerlegt worden, auch nicht einmal versucht worden, zu widerlegen. Das ist der Grund meiner Handlungsweise, und ich habe bisher nichts gefunden, was in mir hätte einen Zweifel erregen können, ob sie recht und zweckmäßig gewesen ist. (Bravo! links.)
Abg. von Waldow (cons.): Daß die freisinnige Agitation hier beleuchtet werden soll, schien vorher dem Abg. Rickert gar nicht angenehm. Wir sind keine Anhänger des Herrn Ahlwardt; bloß weil er der Gegner der freisinnigen Partei ist, die unsere größte Gegnerin im politischen Lehen überhaupt und in Arnswalde ins⸗ besondere ist, wurde er gewählt. Sobald eine Wahl bevorsteht, er⸗ scheint der reisinn bei uns; die Wanderreduer ziehen umher; sie werden theils angehört, theils auch rausgeschmissen. Da ist besonders der eine Wanderredner, Herr Buchholz, der überall. gehetht und über den schweren Steuerdruck geklagt hat, waͤhrend doch die ländlichen Ar⸗ beiter gar keine Steuern mehr zahlen. Redner verliest einen Bericht aus einer Versammlung. In einem Flugblatt wird der Bauer gegen
1“
die Junker gehetzt, welche weniger Steuern bezahlen und dabei Vor⸗ rechte beanspruchen, ihre alten Arbeiter auf die Bauern abwälzten u. s. w. Wenn auch die Partei nicht für alles verantwortlich ge⸗ macht werden kann, was in ihrer Presse geschrieben wird, für das „Deutsche Reichsblatt“ sind Sie (zu den Freisinnigen) ver⸗ antwortlich, denn es ist von Parteiwegen als Flugblatt vertheilt worden. In dem Meichsblatt“ wird von den Ritterguts⸗ besitzern gesprochen, die mehr oder wenig adelig, aber selten edel zu sein pflegen. Es wird behauptet, daß die adligen Rittergutsbesitzer ihre Arbeiter mit der Reitpeitsche prügeln, das sei der sittliche Einfluß der Gutsbesitzer. Wenn so etwas als Flug⸗ E wird, so verbittert das. Vor der Stichwahl erschienen 802 gitatoren im Wahlkreise; ich habe nicht Alle gesehen, aber die Juͤden leiteten die Agitation und aus dieser Quelle fließen die Mittel dazu. Wir gönnen ihnen die Gefolgschaft, aber verschonen Sie uns. Ein Agitator war mit Revolver und Patronen bewaffnet und schoß auf die Leute. Wie weit er dazu berechtigt war, werden die Ge⸗ richte entscheiden. Die Agitatoren berechtigten uns zu wünschen, einmal Hausrecht zu gebrauchen und uns von diefer Agitation zu befreien. Wir standen vor der Frage: Sollen wir den Vertreter einer Partei, gegen dessen Person wir nicht das Geringste einzuwenden haben, der aber eine Partei vertritt, die der Regierung grundsätzlich entgegentritt, wählen in einem Augenblicke, wo eine Hereege an den Reichstag kam, von der die Existenz des Reichs abhängt, gegenüber einem Manne, der monarchisch und christlich aufgetreten ist, der die Militärvorlage gebilligt hat? Wir haben uns entschieden aus Interesse für Thron und Altar für die Wahl des Gegners des Freisinnigen.
Abg. von Plötz (cons.): Weshalb geht der Abg. Rickert eigent⸗ lich gegen den Bauernbund vor? Ahnt er vielleicht, daß ihm die Bauern entgehen, daß diese sich mit den Großgrundbesitzern ver⸗ einigen, daß die Verhetzung nicht mehr möglich ist? Wir wollen auftreten gegen den Freisinn, der für alles stimmt, was der Land⸗ wirthschaft schadet. Was ist die Wahl in Arnswalde⸗Friedeberg anders als ein Ausbruch der Unzufriedenheit, die die Antisemiten sich dienstbar zu machen verstanden? Die Stimmen, die auf Herrn Ahlwardt fielen, galten nicht dem Verfasser der „Judenflinten“, son⸗ dern sie waren ein Aufschrei der Unzufriedenheit und des verletzten Rechtsgefühls. Sie werden in Liegnitz dasselbe oder ähnliches er⸗ leben! Wir werden von Etappe zu Etappe den Freisinn bekämpfen; dazu ist der Bauernbund da; er ist ein politischer, ein wirthschafts⸗ politischer Verein, der das Standesbewußtsein der Bauern heben soll. Wir wollen den Frieden zwischen Klein⸗ und Großgrundbesitz, den der Freisinn stören will, befestigen; wir wollen Bildung und Be⸗ lehrung den Bauernstand heben. Es würde uns wenn der Abg. Rickert einmal einen Vortrag halten wollte; ich schlage als Thema vor: Wie kann man Zucker⸗ rüben auf Sandboden bauen? Der Abg. Rickert sollte dem „Reichsblatt“ empfehlen, anständiger vorzugehen; es wird dadurch die Stimmung vergiftet und der kleine Besitzer und Arbeiter gegen den Großgrundbesitzer aufgehetzt. Der Abg. Rickert hat ein Formular verlesen, das “ richtig ist. Wie sollen wir denn auf das Land gehen? Wir können doch die Wanderlehrer nicht in die einzelnen Häufer schicken! Wir schicken die Briefe an die Gemeindevorsteher. An wen sollen wir sie denn schicken? An den Nachtwächter? Wir kennen doch keine Person in den vielen tausend Dörfern. Bedenklich soll nun der Satz sein: Der Landrath und der Amtsvorsteher sind verständigt. Dadurch soll nicht etwa der Verein als ein besonders begünstigter dargestellt werden, sondern wir befolgen die gesetzlichen Vorschriften, wir melden die Ver⸗ sammlung an beim Amtsvorsteher und Landrath. Daß die Wander⸗ lehrer manchmal auch große Dummheiten machen, gebe ich gern zu; das kommt überall vor. Daß wir uns des Antisemitismus bemächtigt haben, muß ich ablehnen. Wir kehren uns nur gegen die zersetzende Wirkung des Judenthums; daß dabei die Worte nicht auf die Waag⸗ schale gelegt werden, kann auch vorkommen. Wenn ein Gemeinde⸗ vorsteher einem freisinnigen Vereine oder der Judenschutztruppe die Wege geebnet hätte, würde der Abg. Rickert ihn hier auch an⸗ greifen? Man würde seinen Mannesmuth gelobt haben! Wenn ich des Freisinns hätte, würde ich glauben auf falschem Wege zu sein!
Abg. Rickert (dfr.): Der Minister weiß nun ja ganz genau um was es sich handelt. Der Bauernbund ist ein volllischer Berein, der das antisemitische, conservative Programm angenommen hat. Der Bauernbund wendet sich an die Ortsvorsteher, um die Versammlungen anzuberaumen und das Lokal zu besorgen. Die Herren wollen weiter damit fortfahren. Von dem Bau der Zuckerrüben auf Sandboden habe ich kein Wort gesprochen, da muß der Abg. von Plötz sich an eine andere Adresse wenden. Der Abg. von Plötz meint, der Freisinn schädige die Landwirthschaft. Das können Sie nur Bauern einer ge⸗ wissen geistigen Qualität vorreden. Wie haben Sie denn bei der Landgemeindeordnung die Interessen der Bauern wahrgenommen? Der Abg. von Waldow macht mich verantwortlich für das „Reichs⸗ blatt. Ich habe diese Verantwortung oft genug abgelehnt, weil ich das Blatt oft wochenlang nicht zu Gesicht bekomme. Die Flug⸗ blätter gegen uns habe ich nicht hier; da kommen noch ganz andere kräftige Stellen vor: die Freisinnigen und die Juden sollen die armen Leute auspressen. Im Kreisblatt stand, daß die Juden mich in corpore auf dem Bahnhofe empfangen und mir 700 ℳ gegeben hätten. Ich habe alles aus meiner Tasche bezahlt und bin nur von wenigen Personen empfangen worden. Giebt Herr von Bleichroeder nicht auch manchmal 10 000 ℳ in die cdon⸗ servative Parteikasse? Die Strousberg und Rothschild, die viel Geld hatten, saßen auf den conservativen Bänken als Abgeordnete. Unser Widerstand gegen die Militärvoͤrlage wird uns als mangelnde Königstreue ausgelegt. Wer ist denn. 1887 der Blamirte gewesen? Damals wurde das Septennat als nothwendig bezeichnet und heute kümmert sich niemand mehr darum. Der Abg. von Minnigerode war mir der werthvollste Redner. Nach Polizei habe ich nicht gerufen. Der Landrath konnte Ahlwardt wählen, aber als Wahl⸗ commissar soll er keine Wahlaufrufe unterzeichnen. Der Abg. von Minnigerode sagt: jede Obrigkeit soll christlich sein. Also jeder Schulze, jeder Amtsvorsteher, Landrath, Regierungs⸗Prälident, jeder Minister⸗Präsident, jeder Richter muß ein Christ sein. Das ist Ihre Meinung! Damit gehen Sie zurück hinter die Verfassung und selbst über den Standpunkt von Stahl hinaus, der sich der Ver⸗ fassung gefügt hat. Da müssen Sie aber erst dafür sorgen, daß Sie eine Mehrheit im Reichstage haben; das ist etwas schwieriger, als hier eine Mehrheit zu bekommen. Vielleicht kommt man auch wieder dazu, daß die Juden keine Rittergüter kaufen dürfen. Die „Kreuzzeitung“ ist ja empört darüber, daß die Juden zum theil die altadligen Geschlechter auskaufen. Wir bedauern die Thatsache auch; aber wenn sie es den Juden nicht gleich thun an Intelligenz, Fleis und Sparsamkeit, dann werden sie sie niemals überwinden. Ich reue mich, daß die Debatte von dem Abg. Hobrecht angeregt ist. Wir haben jetzt die Erklärung von der gesammten conservativen Partei, daß sie keinen Juden v. wolle bis zum Schulzen, ja bis zum Gendarmen und Nachtwaͤchter herunter. Da kommt man zur Conse⸗ quenz; keine lüdischen Offiziere und Befreiung der Juden vom Militärdienst. Ob das der Wuͤrde der Nation entspricht, welche 18690 das Gesetz für die Gleichstellung der Juden gemacht hat, bezweiste ich.
Abg. Stöͤcker (vons..): Der, Abg. Rickert sollte doch seine Studien über die conservativen Männer wie Stahl etwas vertiefen.
freuen,
Unterschied. zeichnen,
in Hesterreich, wo das die höchsten
SGelbhst wenn Sie die Sch
Stahl, hat jüdische Lehrer und Richter durchaus verworfen. Stahl war ein Jude, der durch eine ehrliche Taufe in die christliche und b deutsche Gemeinschaft aufgegangen war. Ueber solche Leute können wir uns nur freuen. Aber der Abg. Rickert machte geltend, daß die völlige Gleichstellung der Juden erst jetzt ihre Consequenzen gezogen habe. Wir sehen erst jetzt, was die Befreiung der Juden für die christliche Bevölkerung bedeutet nicht bloß in Deutschland, sondern in der , Welt. In der ganzen Welt ist die antisemitische Bewegung vor⸗ anden und es gehört ein Mangel an Verständniß dazu, um die Sache mit so ein paar Redensarten abzumachen. Die Sache paßt durchaus nicht in den Etat des Ministeriums. Die ist von großer Tragweite und verdient gründlicher erörtert zu werden als mahche andere Dinge. Damit ist es nicht ab emacht, daß man fragt: Wollt Ihr die Juden unterdrücken, die G eichstellung derselben abschaffen? Wir müssen fragen: Wie haben sich die Juden betragen? Die Gleich⸗ berechtigung fordert doch, daß man in das Wesen eines Volkes aufgeht. Soweit es ihnen nützlich ist für Erwerb, Cultur und Agitation, wollen die Juden in das deutsche Volksleben aufgehen. Sie wollen aber andererseits auch wieder jüdisch bleiben und wollen international unter sich vereinigt bleiben. Sie bleiben ein fremder Körper, der sagt, wie es ihnen paßt: ich bin ein Jude, oder:; ich bin ein Deutscher, und der in dieser Zwitterstellung unheilvoll wirkt. Es ist in der That nicht zu viel gesagt: Was uns noth⸗ thut, ist eine Befreiung der Christen von der Uebermacht der Juden, die Befreiung des Volkes von der Judenpresse, die unser Volk vergiftet! Wenn mit dem Judenthum eine Faries verbunden ist, die im Reichsblatte vertreten wird, so ist das eine Gefahr für Thron und Altar. Man wird sagen: das liegt an den mittelalter⸗ lichen Verfolgungen der Juden; dem gegenüber weise ich auf Frank⸗ reich hin, wo die Juden seit hundert Jahren emancipirt sind und trotzdem das Volk vergiften. Die Herren, welche nicht selber Juden sind, spielen eine wenig beneidenswert Rolle, wenn sie sich auf die Seite des Judenthumts stellem. Ich höre von den Abgg. Rickert und Hobrecht völlig vernichtend gegen den Antisemitismus sprechen. Die Herren haben kein Recht. gegen den Antisemitismus zu donnern; erst hätten sie ihr Volk schützen müssen gegen das Judenthum und gegen die Schädigung des 1 deutschen Volkes durch dasfelbe. Sonst sollten Ste schweigen! Ich bin der, der die Judenfrage aus dem literarischen Gebiet in die Volksversammlung und eine praktische Politik hineingeführt hat. Das war nöthig; denn die liberale Presse schnitt durch Todtschweigen jede Erörterung dieser Lebensfrage ab. Die schlimmsften Fälle von Wucher und Verbrechen waren durch ein stillschweigendes Uebereinkommen der jüdischen Presse geschützt. Ich halte es für eine Ehre für Berlin, daß von hier aus diese Ideen ausgegangen sind. Mit Bedauern kann ich feststellen, daß Ausschreitung und Verfolgung vorgekommen find. 1 Das Aufwerfen der Judenfrage halte ich für die Welt, für die europäischen Nationen für so nothwendig, daß, wenn ich diese Ver⸗ folgung vorausgesehen hätte, ich doch nicht davor zurückgeschreckt wäre weil diese Ausschreitungen nicht so große Bedeutung haben wie der Schaden, den es zu beseitigen gilt. Das Bedürfniß, sich an Natiunen . anzuschließen, ist ja recht gut; es kommt nur darauf an, zu welchem Zweck man das thut. Der Blutegel, der Parafit schließt sich auch ang an. Das Judenthum führt eine parasitische Existenz, nicht um Antheil zu nehmen an dem wirthschaftlichen und Geistesleben der Nation, sondern, um ohne Arbeit zu leben. Es giebt gewiß einen Anti⸗ semitismus, der weder edel, noch deutsch, noch christlich ist; aber im tiefsten Sinne des Worts ist der Antisemitismus, der Kampf gegen die aufgedrungene Herrschaft des Judenthums, edel und deursch, und wenn Sie das nicht verstehen, dann verstehen Sie das wahre Deutsch⸗ thum und Christenthum nicht. Die antisemitische Bewegung stammtt aus der Zeit nach dem franzöfischen Kriege. Die schumlose Unredlich⸗ keit des inderthums, an dem die Juden zu neun Zehnteln betheiligt waren, verbunden mit einem irreligiösen Preßtreiben und einem Abfall von der christlichen Kirche, das ist der Ursprung des Antisemitismus. Der Deutsche ist zu simpel, so daß er jetzt noch eine Schutztruppe für die Juden bildet. Man kann sonst auf der ganzen Erde umherlaufen, es wird sich niemand dazu hergeben, für ein fremdes Valk dem eigenen Volk gegenüber die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Dazu ist nur der Deutsche fähig und der Abg. Rickert! Deutsch ist aber: wie können wir uns dagegen wehren, wie können wir uns schützen? Schon zur Römerzeit hießeg die Juden das odium generis lurmani, doch nicht, weil wir sie 00 Jahre lang verfolgt haben. Die Herren vom Freisinn hätten sich auf die antisemitische Bewegung einrichten müssen, denn sonst könnten sie leicht noch mehrfach erleben, was sie in Friedeberg⸗Arnswalde erlebt haben und in Liegnitz wieder erleben werden. Der Antisemitismus ist auch christlich. Gegen die jüdische Religion giebt es nur die Mission. Die Juden sind nicht die Erfinder des atheistischen Unglaubens, aber sie sind damit hausiren gegangen und haben ihn verbreitet. Als der Kaiser nach Wittenberg ging zur Einweihung der Kirche, da schrirb die „Berliner Morgen⸗ 1 jeitung“, daß man an einen confessionellen Herrscher nicht gedacht habe. Ist eine solche Schamlosigkeit der Judenpresse zu ertragen“ Die Deutschen müßten kein Ehrgefühl haben, wenn Sie einer solchen Wirthschaft nicht entgegenträten. Ich habr es vermieden, den Talmud in die öffentliche Debatte zu ziehen. Dar Ahg. Hobrecht hat selbst erklärt, daß er davon nichts versteht. Dann hättr er aber auch nicht darüber sprechen sollen. Herr Delitzsch, der Freund der Inden. hat festgesteilt, daß sich durch den Talmud die Meinung hindurch⸗ zieht, daß kein Volk der Erde mit den Juden zu vergleichen
sei. Einem solchen Volke kann man doch die Gleichstelilung nicht
einräumen! Ich weiß nichts Edlares, als wenn ein Volk sich gegen fremde Einflüsse schützt. Jaden Volk hat eine Seele, und es ist zwischen einer deutschen Seele und einer jüdischen Seele ein großer Daß die Juden sich durch Talent aus⸗ 1 bestreite ich. Die Juden zeichnen sich in niedrigen Gebieten durch die ätzende Kritik aus, aber auf dem Gebiete der Vernunft, der Erfindung ꝛc. zeichnen sie sich nicht aus. Wenn Mr. Low schreiht: „Es giebt keine deutsche Eteratm mehr, sondern nur eine jüdische Literatur in deutscher Sprache“ so ist das zwar feuilletonistisch sagetgic aber hat doch einen tiefen Grund. 8* hen muß das Volk sich wehren, das muß aber init Mäßigung eschehen. Selbst die Bibhel hat die Sünden und Uebergriffe des
Ferrnäceme aufs äußerste zurüchgewiesen, und wir sollen das nicht 2 Es ist eine dentfen christliche, sittliche und edie Pflicht, den Einfluß
des Judenthums abzuschwächen. Das Judenthum hat auf das Geld.
und die Presse, auf die beiden Lebensadern des Volkes, seine Hände
gelegt; die Herren auf der Linken wissen, welche Schreckensherrschaft. von der 8 ischen Bevölterung geübt wird. Auf dem Gebiete des Erwerbslebens, da steht es den Herren nicht gut an, von unserem Fanatismus zu sprechen. Fanatismus ist auf der Seite des Juden⸗ thums vorhanden, wenn es gilt, die Gegner zu vernichten.
Wer den Verlockungen des Geldes nicht folgt, der wird durch die
Presse bedroht. Sie mögen das nicht mehr empfinden, es giebt ja
eine geneice Dickhäutigkeit, aber Thatsache ist es. Wir wollen das
Schicsal Oesterreichs und Frankreichs nicht theilen. Die Paozelse 8 füdische. Bestechungsgeldd biz am Beamten ging wo ein Menschenhandel, getrieben wunde, als waxen wir mitten in Afrikg, haben Sie diese, ver⸗ folgt? Sehen Sir nach Paris, wo Minister, Senatoren, Palitiben
der Bestechung zum Opfer gefallen sind, und. wer steht dahinker 8
Herz, Arton und Reinach.
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nnd das geschieht in einer Nöuhlik. en vor. Thron ugd Altar los geworden