1893 / 40 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 15 Feb 1893 18:00:01 GMT) scan diff

ich nicht theile; aber es ist Princip gegen Princip, und jedenfalls ist der Standpunkt weit erhaben über die agitatorische Kritik, welche gegenwärtig draußen im Lande ge⸗ trieben wird (sehr wahr! links), eine Kritik, die meint, mit allgemeinen Redewendungen, als da sind: die Regierung habe nicht mit gehöriger Umsicht oder Geschicklichkeit verfahren, man habe nicht alle Interessen gehörig gewahrt, ein Werk, wie die Handelsverträge dis⸗ ereditiren zu können. Wer nichts vorzubringen hat als diese Rede⸗ wendungen, der beweist nichts Anderes, als daß er etwas sagen möchte, aber nichts zu sagen weiß. Und vollends das beliebte Schlagwort von der Ungeschicklichkeit, mit der die Regierung verfahren sei, das Wort ist zu aller Zeit die Waffe derjenigen gewesen, bei denen das Be⸗ dürfniß des Tadels sehr groß und der Vorrath an sachlichen Argu⸗ menten sehr klein gewesen ist. Und wenn der Abg. Vopelius unter keinen Umständen eine Herabsetzung der landwirthschaftlichen Zölle haben will, dann hätte er viel einfacher sagen sollen: ich will über⸗ haupt keinen Tarifvertrag mit Oesterreich. Denn ein Tarifvertrag mit Oesterreich⸗Ungarn ist überhaupt nicht zu schließen auf einer anderen Grundlage, als daß wir in den landwirthschaftlichen Zöllen Con⸗ cessionen machen, Oesterreich⸗Ungarn seinerseits uns Concessionen be⸗ züglich der Industrie gewährt. Wir haben auf diesem Boden mit Oesterreich⸗Ungarn abgeschlossen im Jahre 1853. Wir haben damals die Zollfreiheit für Getreide gebunden, wir haben dieselbe Concession gemacht im Jahre 1865 und 1868. Im Jahre 1877 war die Zoll⸗ freiheit des Getreides die conditio sine qua non von Seiten DOesterreichs; eben deshalb kam ein Vertrag nicht zu stande. Ich erinnere mich sehr wohl, daß gerade aus der Reihe der Rechten da⸗ mals die Getreidezölle, und zwar in der Höhe von 1 damit be⸗ fürwortet sind, daß man sagte, das sei ein sehr gutes Compensations⸗ object bei einem Tarifvertrag mit Oesterreich und mit Rußland. Meine Herren, der Herr Vorredner will ein autonomes Schutz⸗ zollsystem haben. Ich gehe mit ihm soweit, als er von einem rationellen Zollsystem verlangt, daß es den inländischen Markt der inländischen Production in erster Reihe sichert; allein ich trenne mich von ihm, indem ich die Behauptung aufstelle: Jedes Schutzzollsystem in Deutschland hat seine naturgemäße Grenze in den Interessen der Ausfuhr. Ein Land, das, wie Deutschland, jedes Jahr für 3000 Millionen Rohstoffe einführen muß, und darunter für 1000 Millionen nothwendige Nahrungsmittel, muß exportiren, wenn nicht alle wirthschaftlichen Factoren Noth leiden sollen. Wenn der Herr Vorredner sich auf den Standpunkt stellt: eine kaufkräftige Landwirthschaft ist die Voraussetzung eines Gedeihens aller anderen wirthschaftlichen Factoren, so sage ich: ja, aber ich füge bei: der Gedanke, daß die Landwirthschaft Vortheil ziehen könnte von einem handelspolitischen System, welches mittelbar oder unmittelbar unsere Ausfuhr nachhaltig schädigt, enthält einen ungeheuren Irthum, und ich bedaure, sagen zu müssen, daß dem Anschein nach auch der geehrte Herr Vorredner in diesem Irrthum befangen ist. Daß ein Schutzzoll, wenn er eine gewisse Höhe erreicht hat, die Ausfuhr schädigt adurch, daß die Inlandspreise höher werden als die Weltmarktspreise, und damit der Wettbewerb im Auslande erschwert wird, das sollten doch am allerwenigsten diejenigen abreden, die sich heute so lebhaft für die Aufhebung des Identitätsnachweises interessiren. Denn dieser Wunsch beruht doch auf der Erwägung, daß durch die Getreidezölle die Ausfuhr on Getreide auf den Weltmarkt erschwert wird. 8 Es ist also ein eigenthümlicher Widerspruch, daß man in dem⸗ selben Augenblick, wo man eine Herabsetzung des Zolles gegen Ruß⸗ land von 5 auf 3,50 als eine Art von vaterlandslosem Be⸗ ginnen erklärt, sich bemüht für eine Maßregel, die darauf hinausgeht, ein gewisses Quantum russischen Getreides zollfrei bezw. zu 1,50 einzuführen. Ja, der Herr Abgeordnete Graf von Mirbach schüttelt das Haupt. Aber der Wunsch, den Identitätsnachweis aufzu⸗ heben, beruht doch darauf, daß infolge der Zölle die Landwirthschaft im Osten nicht mehr auf dem Weltmarkt concurriren kann, und man deshalb wünscht, in gewissem Umfang Getreide zollfrei aus Rußland einzuführen. Wie dieser Widerspruch zu erklären ist und wie insbesondere über diese Dinge das landwirthschaftliche Kränzchen in Unterfranken denkt, das wäre interessant zu erfahren. Sodann übersieht der Abg. Graf Kanitz, daß das entscheidende Moment am 1. Fe⸗ bruar 1892 das war, daß der Schutzzoll sich verallgemeinert hat und daß die Verallgemeinerung des Schutzzolls nothwendiger Weise der Regierung die Frage vorlegte: was ist angesichts dieser Erschwerung unserer Ausfuhr zu thun? Man hat den Versuch gemacht, die Dinge herumzudrehen. Ich lese da in einer angesehenen conservativen Zeitung: „Daß Rumänien, Spanien u. s. w. sich sehr autonome Tarife gaben, das war die einfache Folge der deutschen Schutzzollpolitik von 1891; man wollte für die bevorstehenden Tarifverhandlungen ein gehöriges Austauschmaterial in der Hand behalten.“ Also: die Staaten haben ihre Tarife erhöht, weil wir Tarifpolitik treiben wollten! Einige Daten mögen diese Behauptung beleuchten. Der neue schutzzöllnerische Tarif in der Schweiz beruht auf einem Bundesrathsbeschluß vom 20. Dezember 1888; die Vorlage erfolgte am 2. Mai 1890. Der neue schutzzöllnerische spanische Tarif beruht auf einem Beschluß vom 10. Oktober 1889, mit dem die Commission eingesetzt wurde, um einen schutzzöll⸗ nerischen Tarif auszuarbeiten. In Rumänien haben sich Parlament und Regierung bereits im Jahre 1883 vereinigt, nach Ablauf der Handelsverträge einen schutzzöllnerischen Tarif aufzustellen. In Frankreich hat der Conseil supérieur bereits im Juni 1890 die Beschlüsse gefaßt, nunmehr in intensiver Weise Landwirthschaft und Industrie zu schützen. Also die Sache verhält sich genau um⸗ gekehrt; denn unsere Absicht, Tarifverträge zu schließen, trat erst im Herbst 1890 in die Oeffentlichkeit. Wir waren gewiß, daß vom 1. Februar 1892 an nach Ablauf der Tarifverträge alle Exportstaaten wesentlich höhere Zölle erheben würden; und das war der Grund, warum wir den Weg der Tarifverträge gegangen sind. Man hat meine Behauptung bestritten, daß die Opposition gegen unsere Tarifverträge auf einer Verkennung unserer handelspoli⸗ tischen Situation beruhte. Ich darf wohl zur Bekräftigung meiner Behauptung einige Zahlen anführen über die Gestaltung unserer Handelsbilanz, namentlich deshalb, weil man die Handelsbilanz von 1892 vielfach als Sturmbock benutzt, um gegen die Handelsverträge vorzugehen. Im Jahre 1886 hatten wir noch eine active Handels⸗ bilanz, d. h. eine Ueberbilanz von 106 809 000 ℳ; dieselbe war 1887 herabgesunken auf 22 Millionen. Von 1888 an beginnt die Unter⸗ bilanz; dieselbe betrug 67 Millionen. Diese Unterbilanz ist 1889 bis auf 824 Millionen angewachsen und im Jahre 1891 auf 975 8 Millionen Mark. Um diesen Betrag hat 1891 die eeutschland die Ausfuhr aus Deutschland überwogen.

2

Unnd das, meine Herren, war die Entwicklung der Dinge angesichts der günstigen Exportbedingungen, die uns gewährt wurden, durch den unentgeltlichen Genuß aller der Tarifverträge, die mit dem 1. Februar 1892 abliefen. Wer für den 1. Februar kein anderes Remedium hatte, als Festhalten der Getreidezölle, Festhalten der autonomen Schutzzolltarife, der mußte gewärtigen, daß unsere Ausfuhr,

die an sich schon im Sinken war, in dem Maße rapid noch sinken

mußte, als durch Wegfall der Tarifverträge unsere Exportbedingungen erschwert wurden. Nun, meine Herren, hat man von der Währungs⸗ frage gesprochen als Remedium. Ich erkenne die Bedeutung der Währungsfrage vollkommen an, und ich persönlich bin überzeugt, daß allerdings unter der Silberentwerthung ein erheblicher Preis⸗ druck auf Getreide sich herausgestellt hat; darüber ist für mich kein Zweifel. (Sehr richtig! rechts.) Das ist meine persönliche Meinung. Aber die Lösung der Währungsfrage, auf die man uns so vielfach verweist, ist doch ein Wechsel auf sehr lange Sicht, von dem ich Zweifel habe, ob er jemals honorirt werden wird, während unsere Handelspolitik namentlich in den kritischen Augenblicken des 1. Fe⸗ bruar 1892 dringende Bedürfnisse der Gegenwart zu befriedigen hatte. Also mit der Vertröstung auf Lösung der Währungsfrage würden wir nicht einen Schritt vorwärts gekommen sein.

Man kann nun allerdings sagen: wenn die anderen Staaten ihre Zölle erhöhen, so können wir das gleiche thun. Gewiß, das können wir; wir können Repressalien üben und können dabei allmählich zu einem Zustand kommen, bei dem es darauf ankommt, wer kann es länger aushalten? Diesen Weg kann und muß man unter Umständen gehen, und ich bin heute noch nicht überzeugt, ob man nicht dem einen oder anderen Lande gegenüber dazu wird schreiten müssen, so weit unsere Thüren zu verschließen, als der andere Staat das gleiche thut. Ich bin der Ansicht, daß gegebenen Falls ein solcher Zollkrieg kräftig geführt werden muß, um ihn rasch zu beenden. Aber ein Zollkrieg kann doch niemals Selbstzweck sein, sondern nur Mittel zum Zweck; das Ende ist immer wieder der Friede, ein Tarifvertrag, nur mit dem Unterschiede, daß, wenn nach einem Zollkrieg der Friede ge⸗ schlossen wird, alle Welt zufrieden ist, während heute das nicht der Fall ist. Ich bin fest überzeugt, wenn wir die Handelsverträge nicht geschlossen hätten, wenn wir es hätten darauf ankommen lassen, in den Zollkrieg mit dem einen oder anderen Staat zu gelangen, daß alle Leute bei uns und auch die Landwirthschaft sehr zufrieden gewesen wären, wenn wir schließlich diesen Krieg mit unseren Tarifverträgen beendigt hätten.

Man hat außerhalb des Hauses von den Erfahrungen ge⸗ sprochen, die wir mit unseren Handelsverträgen gemacht hätten; die⸗ selben sind als ungünstig bezeichnet und gleichsam als Warnung bezüg⸗ lich der deutsch⸗russischen Verhandlungen aufgestellt worden. Nach meinem Dafürhalten kann von Erfahrungen in diesem Augenblick noch nicht gesprochen werden, weil die Wirkung der Verträge noch nicht zu übersehen ist, zumal in der Zwischenzeit eine so bedeutende Um⸗ wälzung wie der Ablauf aller Tarifverträge liegt. Aber ich habe gar keine Scheu, die Handelsbilanz des Jahres 1892 unter die Lupe zu nehmen, und Sie werden finden, daß, während unsere Handels⸗ bilanz sich von 1887 bis 1891 fortwährend verschlechtert hat, 1892 eine Art Stillstand eingetreten ist, und das wäre an sich schon ein recht erheblicher Erfolg. Die Einfuhr namentlich der Rohproducte hat sich 1892 vermehrt, und hier spielt wieder das Getreide die Hauptrolle. Wie ich bereits das letzte Mal sagte, ist für 1892 eine Mehreinfuhr von circa 88 Millionen Mark Weizen notirt als 1891, und diese Zahl wird sich zu Gunsten unserer Bilanz voraussichtlich noch erheblich vermindern bei der definitiven Statistik, weil vorläufig die hohen Preise des Jahres 1891 ein⸗ gesetzt wurden, nicht die weit niedrigeren Preise des Jahres 1892.

Was nun die Ausfuhr betrifft, so haben wir doch bezüglich ganz wichtiger Industriezweige recht erhebliche Mehrausfuhren zu ver⸗ zeichnen gegenüber dem Jahre 1891. Beispielsweise sind an Baum⸗ wollenfabrikaten 1892 ausgeführt worden mehr als 1891: 25 Millionen Mark, an Farbwaaren, Chemikalien 20 Millionen Mark, an Glaswaaren 1 ½ Millionen Mark, Kautschukwaaren 3 Millionen Mark, Kleider, Confection, Leibwäsche ca. 7 Millionen Mark, Papier 3 Millionen Mark, Wolle und Wollwaaren 8 ½ Millionen Mark, und dem steht gegenüber eine Minderausfuhr namentlich an Leder im Betrage von 15 Millionen Mark, von Holz im Betrage von 9 Millionen Mark, von Häuten und Fellen im Betrage von 7 Millionen Mark u. s. w. Also es ist jedenfalls eine Verschlechterung unserer Handelsbilanz durch unsere Handelsverträge vermieden worden, die zweifellos eingetreten wäre, wenn wir nach dem Princip des Herrn Abg. Grafen von Kanitz für den 1. Februar 1892 kein anderes Remedium gehabt hätten als den Schein unseres autonomen Zolltarifs.

Man hat ja auch von den politischen Erwägungen gesprochen, welche die verbündeten Regierungen veranlaßt hätten, die Tarifverträge, insbesondere mit Oesterreich⸗Ungarn und Italien abzuschließen; man will damit den Regierungen gleichsam mildernde Umstände gewähren. Das ist ja sehr schön, ich muß es aber doch entschieden ablehnen, daß die verbündeten Regierungen diese Verträge in einer politischen Zwangslage geschlossen hätten. Wenn so überwiegend wirthschaftliche Gründe für den Abschluß von Tarifverträgen sprechen, wie damals Ende des Jahres 1891, so konnte es für die Regierung nur erwünscht sein, wenn dieselbe verstärkt wurde durch die politische Erwägung, daß es die Bündnisse mit Oesterreich⸗Ungarn und mit Italien nur fördern kann, wenn wir auch wirthschaftlich mit ihnen im Frieden leben. Wir haben diese Tarifverträge geschlossen in erster Reihe aus wirthschaftlichen Gründen; aber allerdings auch die politische all⸗ gemeine Anschauung hat dabei vorgewaltet, daß, je mehr die Interessen der Nationen Europas durch solche Tarifverträge solidarisch werden, um so mehr sie sich hüten werden, in Streit und in Krieg einzu⸗ treten.

Ich refümire mich dahin, daß ich nach wie vor den Satz aufrecht erhalte: die Handelsverträge sind ein für Deutschland nützliches und wohlthätiges Werk gewesen; sachliche, stichhaltige Argumente sind bis jetzt nicht dagegen vorgebracht worden, und wenn auf die Stimmung und Verstimmung hingewiesen wird, die aus Anlaß der Tarifverträge in weiten Kreisen herrschen sollen, so kann ich ja die Thatsache nicht abreden; aber ich tröste mich mit der inneren Ueberzeugung, daß diese Stimmung und Verstimmung noch viel inten⸗ siver sein würde, wenn die Tarifverträge nicht zum Abschluß gekommen sein würden. (Sehr wahr! links.)

Abg. Dr. Barth (dfr.): Wie die Socialdemokraten haben uns auch die Agrarier im Unklaren über ihren Zukunftsstaat gelassen. Nur

das ist klar, daß es in diesem Zukunftsstaat nur einzige Sorte zu berücksichtigender Interessen giebt, Grpßgrundbesiher⸗ So nackt und bloß wie heute ist die noch niemals zum Ausdruck gekommen. Auch d Landarbeiter soll gezwungen werden, in einer schlechten Lebenslage 1 verharren, damit der Großgrundbesitzer billigere Arbeitskräfte hal Denn darauf laufen alle Vorschläge des Abg. Freiherrn von Man⸗ teuffel bezüglich der Freizügigkeit hinaus. Man wird dabei lebhaft an die hannöversche Domicilordnung von 1827 erinnert, wel die obrigkeitliche Erlaubniß, an einem bestimmten Orte zu wohnen für Handarbeiter und Tagelöhner nur dann ertheilt will, wenn sie tadellofe Führung am SOrte ihres fr Aufenthalts und Existenzmittel für längere Zeit nach⸗ weisen. Der Abg. Graf Kanitz will nicht bloß durch allerlei polizeiliche Chicanirungen die Leute an ihrem augenblicklichen Wohn⸗ ort festhalten, sondern auch im Wege der Eisenbahntarifpolitik indem den Arbeitern das Reisen vertheuert wird. Bei alle dem handelt es sich um Erschwerung des wirthschaftlichen Emporkommenz der ländlichen Arbeiter. Eine 1890 erschienene Schrift hat nachge⸗ wiesen, daß die Sachsengängerei zu einer Erhöhung der wirthschaft⸗ lichen Lage der betreffenden Arbeiter führt. Der agrarisch an⸗ gehauchte Verfasser setzt auseinander, von welcher eminenten Bedeutung für die sociale Hebung jener wandernden Arbeiter es ist, daß sie sich in anderen Gegenden einen höheren Lebenz⸗ stand angewöhnen und dadurch auch den der zurückgelasseng Genossen erhöhen. Diejenigen, welche dem freien Verkehr im Lanze Hindernisse in den Weg legen, handeln durchaus gegen das allgemeimne Interesse. Eine Erhöhung des Lebensstandes der landwirthschaftlichen Ar⸗ beiter liegt auch im Interesse der Entwicklung der Landwirthschaft. Die Frage muß endlich einmal principiell entschieden werden: ob der Großgrundbesitz in der That so werthvoll ist, daß man deswegen alr anderen Interessen der Bevölkerung zurückftellen muß. Die ganze Politik seit 1878 ist, um ein Wort des gemäßigten Volkswirths Roscher anzuwenden, nicht eine Schutzzollpolitik, sondern eine Gunst⸗ politik gewesen zu Gunsten des Großgrundbesitzes. Es ist irrig, an⸗ zunehmen, daß die Interessen der kleinen Besitzer und der Groß⸗ grundbesitzer identisch find. Man suchte die Lasten des Großgrund⸗ besitzes abzuschieben auf die Schultern anderer Bevölkerungekreis⸗ die letzten Ausläufer dieser Steuerpolitik zeigen sich jetzt in Preußen in der Abschaffung der Grundsteuer. Durch die landwirthschaftlichen Zölle besteuert man vorzugsweise die ärmeren Klassen der Bevölkerung mit jährlich über 100 Millionen zu Gunsten des Großgrundbesitzes. Den Landarbeiter will man in einer schlechten Lebenslage erhalten, und end⸗ lich stellt die ganze Bewegung gegen unsere Währung nichts anderes dar, als das Bestreben, die Schulden, die die Großgrundbesitzer Pe hacht haben, dadurch zu verringern, daß man das Geld entwerthet. iese ganze Interessenpolitik mischt sich obenein noch in unsere al—⸗ gemeine Politik. Dieselben Leute, die das Wort „königstreu“ immer im Munde führen, lassen einen Aufruf los, daß sie Socialdemokraten werden wollen, wenn es nicht nach ihrem Wunsche geht, und agitiren gegen den Handelsvertrag mit Rußland, obwohl die Verhandlungen darüber noch schweben. Alle Angriffe der Conservativen im Ab⸗ geordnetenhause und Reichstag richten sich gegen eine Regierung, die doch durch und durch conservativ und gewiß nicht freihändlerisch ist, sondern im großen und ganzen auf demselben Boden steht, wie Fürst Bismarck. Die Männer, die hier angegriffen werden, sind zum theil solche, welche auch die Politik des Fürsten Bismarck haben durch⸗ führen helfen. Alles, was seit 1849 im Wege der protecticnistischen Gesetzgebung geschaffen worden ist, ist eine Ungerechtigkeit und muß beseitigt werden. Der Großgrundbesitz kommt nicht vorwärts, weil der Grundbesitz häufig zu theuer gekauft ist, sehr häufig mit zu geringen Mitteln bewirthschaftet wird, weil die Herren zu hohe Ansprüche an das Leben stellen und in Bezug auf ihre landwirthschaftliche Ausbildung nicht genug fortgeschritten sind in dem, was die Zeit verlangt. Diese nicht leistungsfähigen Ele⸗ mente aus allgemeinen Mitteln zu erhalten, heißt, die beslehende Schäden in alle Ewigkeit verlängern. Es ist nothwendig, einen Zu⸗ stand der Gerechtigkeit wiederherzustellen, in welchem jeder die Früchte seines Fleißes und seiner Arbeit selbst erringt. Nach den Worte des Staatssecretärs Freiherrn von Marschall scheint die Regierum

. r eim nämlich die der

verhältnissen einmal geändert werden könnte. Schon Besorgniß davor könnte unsere wirthschaftlichen Verhältnisse schädige und ich wünsche, daß diese Besorgniß beseitigt würde. Daß dult die Silberentwerthung die Preise der landwirthschaftliche Producte gesunken sind, ist durchaus irrig. Das ist das Rückschrittliche in der agrarischen Politik, daß sie einen Zustand aufrecht erhalten will, der gegen die ganze Culturentwickelung geht; denn diese ber⸗ billigt alle schafft dadurch einen größeren Consumenten⸗ kreis und verbessert so die Lage der gesammten Bevölkerung. Die Möglichkeit einer Währungsänderung will man anscheinend wenigstens für eine späte Zukunft offen halten. Aber schon das erste Antasten unserer gesunden Währungsverhältnisse würde zu außerordentlichen Calamitäten für unsere gesammte Volkswirthschaft führen, so daß ich selbst das Coquettiren mit dieser entfernten Möglichkeit für bedenklich halte. Ich hoffe, daß diese Bemerkungen nur eine formale Höflichkeit gegen den Vorredner sein sollten. Auch die Bemerkung, daß, wenn es zu einem Zollkriege käme, man denselben mit aller Cnergie führen würde, ist bedenklich. Wer erst die Möglichkeit eines Zoll⸗ krieges erwägt, geht in seinen Maßregeln leicht weiter, als 1nc ist, um den Zollkrieg zu vermeiden. Die Zollkriege zwischen Oesterni

und Rumänien, Frankreich und Italien und Frankreich und der Schweiz zeigen, daß beide Theile von einem Zollkriege nur schweren Schaden haben und dies das ungeeignetste Mittel sh einen anderen Zollkriege rufen nur Bitterkeit hervor, aber keine Besserung. Einen Zollkrieg mit Rußland haben wir aus wirthschaftlichen und politi chen Gründen zu vermeiden. Zwiscchen uns und Rußland giebt es schon politische Reibungspunkte genug, um noch wirthschaftliche hinzuzufügen. e unausbleiblich, wenn es nicht zu einem Handelsvertrag kãme. Geling es den Agrariern, die Handelsvertragspolitik des Reichskangle Grafen Caprivi zu hintertreiben, so sind sie für die Zustände eine Zollkriegs verantwortlich. Viel mehr steht aber dabei für die gegen⸗ wärtige Regierung auf dem Spiele; wenn sie so schwach wäre, 1g vor den agrarischen Angriffen die Segel zu streichen, dann wüͤrdefst vor der ganzen Welt dastehen als eine durch und durch schwache ha- gierung, die in Zukunft überhaupt nicht mehr in der Lage 8c 8 Transactionen zwischen einzelnen Staaten mit Glück zum?

Staat zu überwinden.

luß zu bringen. Das wäre eine solche Schädigung der dg utorität unserer Regierung und der Macht des Deutschen Reichz⸗

vertrag mit Rußland zu Stande käme. w6. dr Abg. Freiherr von Pfetten (Centr.): Es freut mich ig der Staatssecretär Dr. von Boetticher den Nothstand der Landwirn schaft anerkannt hat; ich fürchte nur, diese Anerkennung bleibt . platonische. Die Klagen der Landwirthschaft gehen gleichmäßig 1 dem großen und kleinen Grundbesitz aus. d6 ne wohl daran gethan zu haben, für die Handelsverträge zu⸗ tim 5 Auch das Sinken der Getreidepreise kann ich nicht ausschlie püc ü die herabgesetzten Zölle zurückführen, denn dann müßte ich au 2 Consequenzen zugeben, daß hohe Zölle hohe Preiser bedingen; sin hohen Getreidepreise des vorigen Jahres haben der Landwir 9 den Nutzen nicht gebracht, den sie ihr hätten bringen müssen, sch diese Behauptung richtig wäre. Für die Ernährung des 1b Volkes kommt doch in erster Linie die deutsche Landwirthschaf 1g tracht. Ich bin überzeugt, es könnte auf deutschem 1. Menge Brotfrucht gebaut werden, welche nothwendig is 1 einzelnen bayerischen landwirthschaftlichen Besitzer rach behen Getreidepreise keine Mehreinnahmen, da fast Vrk weg 1891 eine Mißernte war. Nun gehen die 6 zurück. Die Ausgaben bleiben dieselben, seine Lage, img also nicht gebessert. Man muß dem entgegenkommen, welche heute erwähnt worden sind.

2

h den Gebich Landwirth Einseti Bevorzugung der Landwirthschaft zu fordern liegt mir sehr

sie so 6 nicht das Aschenbrödel des Reichs sein. G

agrarische

doch die Möglichkeit im Auge zu behalten, daß an unseren ie bloi

Der Zollkrieg wäre aber

daß ich es auf das Allertieffte beklagen würde, wenn jetzt kein Handel⸗—

Wir glauben immer noc

setzes, betreffend einige 2

vom 4. April 1874 (Reichs⸗Gesetzbl. S.

Gesetz über den Reichs⸗Invalidenfonds vom 11. Mai 1877

orderung des Abg. Freiherrn von Manteuffel, den Identitätsnachweis aufzuheben, muß 9 den entschiedensten Widerspruch 8 wir

unen schon für den Osten die angeblichen Vortheile dieser Auf⸗ hebung nicht einsehen, sind aber sicher, daß sie für den übrigen Theil Deutschlands schwer Nachtheile haben würde.

Abg. Graf Behr (Rp.): Alles, was heute hier geredet worden ist, hat mit dem Gehalt des Staatssecretärs gar nichts zu thun. Man hat sich in sehr ausgiebiger Weise mit der Noth der Arbeiter beschäftigt, heute ist einmal von der Noth der Landwirthschaft geredet worden. Ich bin der Ansicht, daß der Vorstoß, der im Abge⸗ ordnetenhause in dieser Frage stattgefunden hat, Veranlassung zu der heutigen Debatte gegeben hat. Man hat jenem Hause nicht allein die Ehre lassen wollen, diese Frage zu behandeln; das scheint mir schon daraus hervorzugehen, daß auch der Antrag Arendt hier in die Debatte gezogen ist. Es wurden von dem Abg. Freiherrn von Manteuffel verschiedene Vorschläge gemacht, um der Noth der Land⸗ wirthschaft abzuhelfen. Mit vielem bin ich durchaus einverstanden, sie sind auch nicht neu, wie z. B. der einer Abänderung des Unterstützungswohnsitzgesetzes von meiner bereits im Mai 1889 angeregt wurde. Hier liegt ein Bedürfniß vor. Ebenso habe ich kein Bedenken dagegen, daß das Freizügigkeitsgesetz vielleicht einer Abänderung bedarf, die aber jedenfalls nicht so weit gehen darf, das Princip der Freizügigkeit aufzuheben. Durchaus einverstanden bin ich auch mit der Aufhebung des Identitätsnachweises. Von freihänd⸗ lerischer Seite sind wieder die alten Gesichtspunkte ausgesprochen, aber nichts Neues vorgebracht. Eine Noth der Landwirthschaft existirt, aber wir haben kein Mittel, dieser schnell abzuhelfen. Daß alle Fractionsgenossen des Abg. Freiherrn von Manteuffel gegen einen Handelsvertrag mit Rußland stimmen werden, das zu bebhaupten, scheint mir nicht ganz richtig, da wir noch gar nicht wissen, wie der Vertrag gestaltet sein wird. Wenn der Getreidezoll noch unter 3 ½ ermäßigt werden sollte, so verstände ich diesen Widerstand; aber wir haben in diesem Fall kein Handelsobject für einen Handelsvertrag mit Rußland. Ich verstehe auch nicht, wie die Landwirthe auf die Zollermäßigung von 1 ½ einen so großen Werth legen. Es mag ja nicht gerade glücklich sein, aber unglücklich macht es auch nicht. Für ganz verwerflich halte ich es, wenn so scharfe Artikel, wie der heutige der „Kreuzzeitung“ gegen Rußland

eschrieben werden. Gegen Rußland so scharf vorzugehen, ist politisch ehr falsch. Wir haben allen Grund, uns möglichst freundschaftlich mit diesem Lande zu stellen. Auf die Dauer die Differentialzölle aufrecht zu erhalten, halte ich nicht für angängig. Jedenfalls wird der Osten durch die Differentialzölle geschädigt, denn nur, wenn er frei in seinem Verkehr mit Rußland ist, kann er prosperiren. Es wird immer gesagt: die Landwirthschaft wird von der Regierung schlecht behandelt, sie findet keine Unterstützung bei ihr. Das kann ich nicht zugeben. Die Landwirthschaft muß sich selpst zu helfen suchen, und zwar muß principiell und nach verschiedenen Richtungen vor⸗ gegangen werden. Dann wird eine Besserung eintreten. Ich glaube aber nicht, daß dieser demagogische Zug, der augenblicklich durch die he Leht⸗ zum . fährt. 9

g. von Komierowski (Pole): Daß ein demagogischer Zu durch die Landwirthschaft geht, muß ich in Abrede stellen. der Bug Verschuldung eine weitgehende ist, beweisen die vielen Subhastationen und das Zurückgehen der Pachtsummen. Der große Schaden für die Landwirthschaft waren auch die Polengesetze. Der polnische Arbeiter hätte gerade ansässig gemacht werden müssen. Bei dem öster⸗ reichischen Handelsvertrag haben wir ganz ausdrücklich erklärt: Wir stimmen dafür. Wenn uns aber die einzelnen Positionen des Tarifs vorgelegen hätten, so hätten wir einige Abänderungen gewünscht. Der Ientitätsnachweis ing ja für die süddeutschen Verhältnisse eine Berechtigung haben, aber die wirthschaftliche Lage bei uns im Osten läßt die Aufhebung desselben als vollständig gerechtfertigt erscheinen. Dem Abg. Rickert ich darin zu, daß die Ausweisung pol⸗ nischer Arbeiter eine Arbeiternoth in den östlichen Provinzen herbei⸗ geführt hat. Ich habe seiner Zeit selber auf diese Eventualität hin⸗ gewiesen. Es fällt uns gar nicht ein, das deutsche Element zu be⸗ kämpfen. Trotzdem haben wir gestern von dem preußischen Cultus⸗ Minister eine Rede gehört, die uns tief kränken mußte. Sonderbar: wir unterstützen die socialen und wirthschaftlichen Bestrebungen der ver⸗ bündeten Regierungen, und man nimmt unsere Mithilfe ehr gern in Anspruch, aber in dem Mitgenuß der bürgerlichen Rechte stellt man uns in die Kategorie der Staatsbürger zweiter Klasse.

Abg. Freiherr von Hammerstein (dcons.): Die Fiction des Abg. Dr. Barth, daß kleiner und großer Grundbesitz nicht identisch seien, nochmals zu widerlegen, habe ich in dieser späten Stunde keine Lust. Die nächsten Tage vielleicht werden Sie schon belehren, wie man in den Kreisen des kleinen Grundbesitzes über diese Frage denkt, bei einer etwaigen Auflösung wollen wir weiter darüber reden. Wenn ich recht unterrichtet bin, so sind die Freisinnigen nicht ohne ernste Besorgniß, daß bei einer etwaigen Auflösung die jetzt mit elementarer Gewalt sich geltend machende agrarische Bewegung und die ihnen an manchen Orten unbequeme antisemitische Bewegung für ihren Besitzstand an Mandaten nicht ohne Gefahr sein wird. Wenn der Abg. Dr. Barth ein hervorragender Kenner der wirthschaftlichen Literatur sein will, dann hätte er wenigstens, als er den Versuch machte, wenn nicht den kleinen gegen den großen Grundbesitz, so doch den ländlichen Arbeiter gegen die Arbeitgeber aufzuhetzen (Präsident von Levetzow rügt diesen Ausdruck als unparlamentaris ) ich nehme den Ausdruck zurück und sage: anzuregen dann haͤtte er die Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik hier nicht ganz unterdrücken sollen. Es wird dort festgestellt, daß da, wo die alten patriarchalischen Verhältnisse auf dem Lande noch in Blüthe sind, der standard of life, die ganzen äußeren Verhältnisse der Arbeiter die bei weitem besten in ganz Deutschland sind und den Vergleich aus⸗ halten mit den höher gelohnten Industriearbeitern. (Zuruf des Abg. Dr. Barth: Warum gehen sie denn fort?) Weil sie verleitet werden; weil sie von den Agenten aus den großen Städten in die Städte gelockt werden, wo sie sich nachher arbeitslos umhertreiben. Wenn eine kaufkräftige Landwirthschaft die Grundlage einer gedeih⸗ lichen Stkaatswirthf aft ist, wie sich der Staatssecretär aus⸗ drückte, dann verstehe ich nicht, warum die verbündeten Re⸗ gierungen 1887 eine Zollerhöhung auf 6 verlangten mit dem Hinweis, die Landwirthschaft dürfe nicht unter den Productionskosten verkaufen und könne ohne diesen hohen Zoll nicht existiren. Ist das richtig, dann muß die Herabsetzung des Zolles die Kaufkraft der Landwirthschaft verringern und die Landwirthschaft zu Grunde richten. Man mag für die Handelsverträge politische Gründe anführen, welche man will; aber man führt, wenn auch vielleicht mit dem größten Bedauern, so doch mit sehenden Augen den Ruin der Landwirthschaft herbei. Noch eine persönliche Be⸗ merkung: Ich bin nicht gewohnt, Aeußerungen der „Kreuzzeitung“ hier persönlich zu vertreten. Ich werde deshalb auf die Angriffe des Freiherrn von Marschall, welche er merkwürdiger⸗

weise als eine Antwort auf eine lange sachliche Rede meines Fractions⸗ genossen machte, nicht antworten. antworten.

Darauf wird die „Kreuzzeitung“

Gegen 5 Uhr wird die Weiterberathung auf Mittwoch

1 Uhr vertagt.

Der dem Reichstag sugegangene Entwurf eines Ge⸗

bänderungen und Ergänzungen der Militär⸗Pensionsgesetze vom 27. Juni 1871 und vom 4. April 1874, sowie des Reichs⸗Beamtengese es vom 31. März 1873 und des Gesetzes über den Reichs⸗

Invalidenfonds vom 11. Mai 1877, lautet:

Die Gesetze vom 27. Juni 1871 Heichs⸗Gesetzbl. S. 275) und

25), betreffend die Pensio⸗ nirung und Versorgung der Milikärpersonen des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine, sowie die Bewilligungen füͤr die Hinterbliebenen folcher Personen, und vom 31. März 1878 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 61), betreffend die Re ger ren der Reichsbeamten, sowie 58—

88 8

Gesetzbl. S. 495) werden durch nachstehende Vorschriften abgeändert

beziehungsweise ergänzt:

A. Offiziere und im SWWö stehende Militärärzte. rtikel 1.

An die Stelle der §§ 8, 16 des durch Artikel I des Gesetzes vom 21. April 1886 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 78) abgeänderten § 21 und des § 29 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 treten, unter Fortfall des § 3 des Gesetzes vom 4. folgende Vorschriften:

.

Die Offiziere und im Offizierrang stehenden Militärärzte des Beurlaubtenstandes, sowie die ohne Pension ausgeschiedenen, zum activen Militärdienst vorübergehend wieder herangezogenen Offiziere und im Offizierrang stehenden ilitärärzte erwerben den Anspruch auf eine Pension nicht auf Grund der Dienstzeit, sondern lediglich durch eine im Militärdienst erlittene Verwundung oder Beschädigung (§§ 2 und 3). Die Bewilligung ist nur statthaft, wenn der Anspruch inner⸗ halb sechs Jahren nach der Entlassung von der Dienstleistung, bei welcher sie die Verwundung oder Beschädigung erlitten haben, geltend gemacht wird 29). 9 16

1) Ein Anspruch auf die im § 12 aufgeführten Pensions⸗ erhöhungen ist nur vorhanden, wenn derselbe innerhalb sechs Jahren nach dem Friedensschlusse geltend gemacht ist und wenn derselbe daraufhin von der obersten Militärverwaltungsbehörde des Con⸗ tingents als begründet anerkannt wird.

.2) Die Bewilligung der im § 13 aufgeführten Pensions⸗ erhöhungen ist auch nach erfolgter Pensionirung zulässig, wenn die Verstümmelung oder Pflegebedürftigkeit in ursächlichem Zusammen⸗ hang mit der Dienstbeschädigung steht, welche die Invalidität bewirkt hat. Die Bewilligung unterliegt r Zeitbeschränkung.

Die Zeit, während welcher ein mit Pensionsansprüchen aus dem getiven Dienst geschiedener Offizier oder im Offizierrang stehender

ilitärarzt im Frieden wieder zum activen Militärdienst oder unter Beibehalt der Pension (an Stelle von Gehalt) zum Dienst in der Militär⸗ oder Marineverwaltung herangezogen worden ist und in einer etatsmäßigen Stellung Verwendung findet, begründet bei einer Ge⸗ sammtdienstzeit von mindestens zehn Jahren mit jedem weiter erfüllten Dienstjahre den Anspruch auf Erhöhung der bisher bezogenen Pension um ein Sechzigstel des derselben zu Grunde liegenden pensionsfähigen Diensteinkommens bis zur Erreichung des im § 9 Absatz 2 bestimmten

Höchstbetrages.

Findet eine Wiederheranziehung zum activen Militärdienst oder zum Dienst in der Militär⸗ oder Marineverwaltung aus Veranlassung einer Mobilmachung oder einer militärischen Action bei der Kaiserlichen Marine, und zwar mindestens in der Dauer von sechzig Tagen, statt, so tritt eine Erhöhung der Pension um ein Sechzigstel des pensionsfähigen Diensteinkommens innerhalb der gesetz⸗ lichen Grenze § 9 Absatz 2 auch dann ein, wenn durch die Zeit der Wiederverwendung ein Dienstjahr nicht vollendet ist.

Das Gesuch um Gewährung von Pension ö in dem Abschieds⸗ esuche enthalten und begründet sein⸗ eine nachträgliche Forderung von dension ist unzulässig; nur in dem Falle, daß die Art der Invalidität gleichzeitig den Anspruch auf Pensionserhöhung begründet, kann eine nachträgliche Bewilligung stattsinden, insofern eine solche innerhalb sechs Jahren nach der W h. wird.

Artikel 2.

An die Stelle der §§ 32, 33, des ersten Satzes des § 34, sowie an Stelle der §§ 35 und 37 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 treten folgende Vorschriften: 8

32.

Das Recht auf den Bezuͤg der Pension einschließlich der Pensions⸗ erhöhungen erlischt:

a. durch den Tod des Pensionärs,

b. durch rechtskräftige Verurtheilung wegen Hochverraths, Landes⸗ verraths, Kriegsverraths oder wegen eines der in den §§ 1 und 3 des Gesetzes gegen den Verrath militärischer Geheimnisse bezeichneten Verbrechen. 8

§ Das Recht auf den Bezug der eigentlichen Pension ruht:

a. wenn der Pensionär das deut etwaiger Wiedererlangung desselben;

b. mit der Wiederanstellung im activen Militärdienst während ihrer Dauer, in Höhe des gewährten Diensteinkommens;

c. wenn und solange der Pensionär im Reichs⸗ oder im Staats⸗ dienst ein Diensteinkommen bezieht, insoweit als der Betrag dieses Diensteinkommens unter Hinzurechnung der Pension, aus⸗ schließlich der Pensionserhöhungen, den Betrag des vor der Pensioni⸗ rung bezogenen vensteüheten Diensteinkommens übersteigt;

d. wenn gegen den Pensionär wegen Hochverraths, Landesverraths, Kriegsverraths oder wegen eines der in den §§ 1 und 3 des Gesetzes gegen den Verrath militärischer Geheimnisse bezeichneten Verbrechen vor einem Civilgericht die öffentliche Klage erhoben oder im militär⸗ gerichtlichen Verfahren die Einleitung der Strafverfolgung angeordnet ist, so lange der Pensionär sich im Auslande aufhält oder sein Auf⸗ enthalt unbekannt ist. Die einbehaltene Pension wird ausgezahlt, wenn der rechtskräftig freigesprochen ist oder dem straf⸗ gerichtlichen Verfahren wegen unzureichender Verdachtsgründe oder wegen mangelnder Strafbarkeit keine weitere Folge gegeben wird.

„Hat in den Fällen der Litt. c das vor der Pensionirung be⸗ zogene pensionsfähige Diensteinkommen nicht über 3000 jährlich betragen, so ruht das Recht auf den Pensionsbezug nur, insoweit das Civildiensteinkkommen unter Hinzurechnung der Pension, aus⸗ schließlich der Pensionserhöhungen, b Betrag übersteigt.“

34

(Erster Satz.) Das Recht auf den Bezug der Pensionserhöhungen (§§ 12 und 13)

ruht in den Fällen des § 33 unter a und d.

Erdient ein Militärpensionde im Reichs⸗ oder Staatsdienst eine Civilpension, so erhält derselbe an Stelle dieser Civil⸗ pension die ganze früher erdiente Militärpension sofern sie lebenslänglich zuerkannt war wieder aus Militärfonds und daneben den etwaigen Mehrbetrag der Civilpension aus dem betreffenden Civilpensionsfonds. Die gesetzlich zuständigen, im Militärdienst er⸗ worbenen Pensionserhöhungen (§§ 12 und 1 bleiben bei dieser Be⸗ rechnung außer Betracht und sind stets aus Militärfonds zahlbar.

Das gleiche Verfahren findet statt, wenn ein mit lebenslänglicher Pension aus dem Millitärdienst geschiedener, demnächst bei der Gendarmerie eines Bundesstaats oder El aß⸗Lothringens angestellter Offizier mit einer nach den für die Offiziere des Reichsheeres geltenden Vorschriften bemessenen Pension in den Ruhestand versetzt wird. Die zuständige Pensionserhöhung gemäß § 12 wird in diesem Falle nach der Gesammtpension ges gerr

Die Einziehung, Kürzung oder Wiedergewährung der Pension auf Grund der Bestimmungen in den §§ 32 bis 35 tritt mit dem Beginn desjenigen Monats ein, welcher auf das, eine solche Veränderung nach sich ziehende Ereigniß folgt.

Im Falle vorübergehender Beschäftigung im Reichs⸗ oder Staats⸗ dienst gegen Tagegelder oder eine anderweite Entschädigung wird die Pension für die ersten sechs Monate dieser Beschäftigung unverkürzt, dagegen vom siebenten Monat ab nur zu dem nach den vorstehenden Bestimmungen zulässigen Betrage gewährt.

b Artikel 3.

Die Vorschrift des § 36 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 tritt außer Kraft.

B. Wixie set sonen der Unterklassen. 8 rtikel 4.

BVei der Versorgung der Militärpersonen der Unterklassen

eine He Kriegsjahre nach Maßgabe des § 23, sowie

der Seereisen nach Vasgabe des durch Artikel I und II des Gesetzes vom 24. März 1887 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 149) abgeänderten § 50 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 statt.

che Indigenat verliert, bis zu⸗

89

Auusgeschlossen ist eine solche nur bei Berechnung der zwölfjährigen Dienstzeit behufs Gewährung des Civilversorgungsscheins an nicht invalide Unterofficiere gemäß § 10 Absatz 1 des Gesetzes vom 4. April

1874. Artikel 5. k 1

Die im § 71 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 bezeichnete Pensionszulage Kriegszulage wird auf 9 erhöht.

1 Artikel 6.

Die Vorschriften des § 75 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 finden nur auf die als dauernd versorgungsberechtigt anerkannten In⸗ validen Anwendung.

Artikel 7.

An die Stelle des § 76 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 und des § 11 des Gesetzes vom 4. April 1874 treten, unter Fortfall des § 12 des letzteren Gesetzes, folgende Vorschriften:

§ 76 des Gesetzes vom 27. Juni 1871. 88

Invalide, welche an der Epilepsie leiden, dürfen den Civil⸗ versorgungsschein nicht erhalten. . 1

Den zum Civilversorgungsschein berechtigten, aber wegen Epilepsie oder anderer körperlicher Gebrechen zur Verwendung im Civildienst untauglichen Invaliden wird für den Fall, daß die Unfähigkeit zur Verwendung im Civildienst in dem Zeitraum eines Jahres entweder nach der Anerkennung des Anspruchs auf den Civilversorgungsschein oder nach der erfolgten Aushändigung desselben sich ergiebt, an Stelle des Civilversorgungsscheins eine Pensionszulage von 12 monatlich (Zulage für Nichtbenutzung des Civilversorgungsscheins) ewährt.

Neben einer auf Grund des § 72 zuständigen Verstümmelungs⸗ zulage ist die Zulage für Nichtbenutzung des Civilversorgungsscheins nur im Betrage von 9 monatlich zu gewähren. 1“

§ 11 des Gesetzes vom 4. April 1874.

Ganzinvpaliden, deren Invalidität durch eine in dem Kriege v 1870/71 erlittene Dienstbeschädigung herbeigeführt worden ist und welche auf den Civilversorgungsschein haben, wird nach ihrer Wahl an telle des Civilversorgungsscheins eine Pensionszulage von 6 monatlich gewährt (Anstellungsentschädigung). 1

Das Recht zur Wahl erlischt ein Jahr nach der erfolgten An⸗ erkennung der Invalidität, beziehungsweise durch Annahme des Civil⸗ berse ie gesc f vor Ablauf dieser Frist.

Die Anstellungsentschödigung und die Zulage für Nichtbenutzung des Civilversorgungsscheins dürfen nicht nebeneinander bezogen werden.

In dem Falle des § 74 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 ist die I chädigung beziehungsweise die Zulage für Nichtbenutzung des Civi dergerda ehern⸗ neben einer dem gesammten Dienstein⸗ kommen gleichkommenden Pension zahlbar.

Artikel 8.

Die Vorschrift des § 80 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 tritt außer Kraft.

Artikel 9.

Die nachstehend bezeichneten Fristen werden wie folgt erweitert:

1) die des § 82 des Gesetzes vom 27. i 187

unter B auf sechs Jahre,

unter C auf ein Jahr, . .“ 2) die des § 83 jenes Gesetzes, sowie 1 3) die des § 13 Absatz 1 des Gesetzes vom 4. April 1874

auf je sechs Jahre.

Artikel 10. .

1) Die auf Grund erlittener Dienstbeschädigung 59 des Ge⸗ setzes vom 27. Juni 1871) als versorgungsberechtigt anerkannten Invaliden erhalten bei späterer in ursächlichem Zusammenhange mit der Dienstbeschädigung stehender Steigerung ihrer Invalidität be⸗ ziehungsweise Erwerbsunfähigkeit die dem Grade derselben entsprechende Pension ohne Einschränkung auch dann, wenn die Steigerung erst nach der im Artikel 9 dieses Gesetzes festgesetzten Fristen eintritt.

Bezüglich der übrigen als versorgungsberechtigt anerkannten In⸗ validen ist eine Steigerung der Pensionsgebührnisse nach der Ent⸗ lassung aus dem activen Dienste ausgeschlossen.

2) Die Vorschriften der §§ 84, 85, 86 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 treten außer Kraft.

Artikel 11.

An die Stelle der §§ 100, 101, 103 und 106

27. Juni 1871 treten folgende

Das Recht auf den Bezug der Pe zulagen erlischt:

1) durch den Tod,

2) im 8. temporärer Anerkennung welche die Bewilligung erfolgt war,

3) sobald das Gegentheil der Voraussetzungen erwiesen ist, unter denen die Bewilligung der Competenz stattgefunden hat,

4) durch rechtskräftige Verurtheilung wegen Hochverraths, Landes⸗ verraths, Kriegsverraths oder wegen eines der in den §§ 1 und 3 des Gesebes gegen den Verrath militärischer Geheimnisse bezeichneten Ver⸗ 8

rechen.

des Gesetzes vom

Das Recht auf den Bezug der Invalidenpension einschließlich sämmtlicher Zulagen ruht:

a. wenn der Pensionär das deutsche Indigenat verliert, bis zu etwaiger Wiedererlangung desselben;

. b. mit der Wiederanstellung im activen Militärdienst während ihrer Dauer;

c. wenn gegen den Pensionär wegen Hochverraths, Landes⸗ verraths, Kriegsverraths oder wegen eines der in den §§ 1 und 3 des Gesetzes gegen den Verrath militärischer Geheim⸗ nisse bezeichneten Verbrechen vor einem Civilgericht die öffent⸗ liche Klage erhoben oder im militärgerichtlichen Verfahren die Ein⸗ leitung der Strafverfolgung angeordnet ist, solange der Pensionär im Auslande aufhält oder sein Aufenthalt unbekannt ist. ie einbehaltene Pension wird ausgezahlt, wenn der Pensionär rechtskräftig freigesprochen ist oder dem strafgerichtlichen Verfahren wegen unzu⸗ reichender Verdachtsgründe oder wegen mangelnder Strafbarkeit keine weitere Folge gegeben wird.

Cerzicht. das Diensteinkommen eines im Civildienst angestellten oder beschäftigten Pensionärs nach Abzug des etwa miteinbegriffenen Betrages zu usgaben für Dienstbedürfnisse nicht den doppelten Be⸗ trag der Invalidenpension, ausschließlich der Pensions⸗ und Ver⸗ stümmelungszulagen, oder

a. hei einem lbwebhel nicht 1200 ℳ,

. .“ ergeanten oder Unteroffizier nicht. . . 750 8112 G29 15 a5. 11111““ d. einer Militärperson des Unteroffizierstandes,

welche sich mindestens 12 Jahre im activen Militär⸗

dienst befunden hat, nicht 46“

so wird dem Pensionär, je nachdem es günstiger für ihn ist, die Pension bis 88 Erfüllung des Doppelbetrags oder bis zur Erfüllung jener Sätze belassen. Unter Civildienst im Sinne des vorstehenden Paragraphen jeder Dienst beziehungsweise jede 68 eines Beamten zu ver⸗ stehen, für welchen ein Entgelt (die Naturalien nach ihrem Geld⸗ werth gerechnet) aus einer öffentlichen Reichs⸗ oder Staatskasse direct oder indirect gewährt wird; ferner der Dienst bei solchen Instituten, welche gans oder zum theil aus Mitteln des Reichs oder Staats hee - 8 M b Eigenschaft

1 ienstverrichtungen, in welchen dem Pensionär die Eigen 8 eines Beamten nicht beigelegt ist, gegen stückweise Bezahlung, gegen Boten⸗, Tage⸗ oder oder bloßen Copialienverdienst gehören nicht hierher.

Artikel 12.

An die Stelle des ersten Absatzes des § 77, sowie an die Stell der §§ 107 und 108 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 treten, unter

Frgfal des § 16 des Gesetzes vom 4. April 1874, folgende Vor⸗ riften: