1893 / 46 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 22 Feb 1893 18:00:01 GMT) scan diff

beeowilligt.

XIII. (Königlich Württembergisches) Armee⸗Corps. Offiziere, Portepee⸗Fähnriche ꝛc. Ernennungen, Beförderungen und Versetzungen. Im activen Heere. 17. Februar. Bruckmann, Major und Bats. Commandeur im Inf. Regt. Kaiser Wilhelm König von Preußen Nr. 120, mit Pension zur Disp. gestellt und zum Commandeur des Landw. Bezirks Mergentheim ernannt. . ¹ 8 e ebewilligungen. Im gactiven Heere. 17. Fe⸗ bruar. v. Bilfinger, Oberst und Abtheil. Chef im Kriegs⸗ Miinisterium, mit Pension und seiner bisherigen Uniform der Abschied

Im Sanitäts⸗Corps. 15. Februar. Dr. Wendel, Dr. Hocheisen, Studirende der militärärztlichen Bildungsanstalten zu Berlin, zu Unterärzten des activen Dienststandes ernannt: ersterer beim 4. Inf. Regt. Nr. 122 Kaiser Franz Joseph von Oesterreich König von Ungarn, letzterer beim Inf. Regt. Kaiser Friedrich König von Preußen Nr. 125 angestellt.

Deutscher Reichstag. 48. Sitzung vom Dienstag, 21. Februar, 1 Uhr.

Ueber den Beginn der Sitzung haben wir bereits in der

Dienstags⸗Nummer berichtet. Die zweite Berathung des Etats des Reichsamts des Innern wird fortgesetzt bei dem Ausgabekapitel „Reichs⸗ commissariate“, Titel 1 „Reichscommissar für das Aus⸗ wanderungswesen“.

Nach dem Abg. Dr. Lingens (Centr.) nimmt das Wort der

Staatssecretär Dr. von Boetticher: .“

Ein Vertreter von Hamburg ist augenblicklich nicht anwesend, kann also die von dem Herrn Vorredner gewünschte Auskunft nicht geben. Ich glaube aber, daß der Herr Vorredner auch mit dem, was ich über die Frage, die er gestellt hat, zu sagen weiß, wird zufrieden sein

können. Cholerafälle sind in den Baracken, die schon vor Beginn der Cvholera⸗Epidemie in Hamburg errichtet worden waren zur Aufnahme der Auswanderer, nicht vorgekommen.

Was dann die zweite Frage anlangt, die der Herr Vorredner gestellt hat, so habe ich darauf zu erwidern, daß die Maßregel der Errichtung von Baracken zur Ueberwachung der Auswanderer während einer bestimmten Zeit und zur Prüfung ihres Gesundheitszustandes meiner Meinung nach in künftigen Fällen ebenfalls als eine nützliche wird erkannt und zur Durchführung gebracht werden.

Woher die Cholera im vergangenen Jahre eingeschleppt worden

das wissen wir mit voller Sicherheit nicht; wir nehmen an, daß wir sie aus dem Osten bekommen haben, und lag, da der Strom der Auswanderer, der über Ham⸗ geht, auch vorwiegend aus dem Osten kommt, die Befürchtung nahe, daß unter diesen Auswanderern cholerainficirte Personen sich befinden könnten. Deshalb ist es eine von der Ham⸗ burger Behörde getroffene, sehr weise Maßregel, daß sie diese Aus⸗ wanderer zunächst isolirte: einmal zum Schutz gegen die Verbreitung des Cholerakeims innerhalb Deutschlands; sodann auch, um denjenigen Ländern, in welche die Auswanderer auswandern wollten, die Be⸗ ruhigung zu verschaffen, daß durch die in ihr Territorium geleitete Auswanderung die Gefahr der Uebertragung einer Cholera⸗Epidemie für sie nicht entstehen werde. Die Erfahrungen, die mit der Einrich⸗ tung und Benutzung der Baracken gemacht worden sind, sind durch⸗ aus günstige; und wenn ich auch glaube, daß durch die Absperrung von dem sonstigen Verkehr der eine oder andere Auswanderer sich un⸗ angenehm berührt gefühlt haben mag, so meine ich doch, daß die ihm auferlegte Beschränkung zum Nutzen des Gemeinwohls hat eintreten nüssen.

Abg. Dr. Hammacher (nl.) fragt, wann das Auswanderungs⸗

gesetz auf die Tagesordnung gesetzt werden wird. Präsident von Levetzow: Einstweilen ist der Reichstag von dringenderen Geschäften sehr in Anspruch genommen, auch hat sich auf keiner Seite eine Neigung für die beschleunigte Behandlung dieser Vorlage gezeigt. Indessen wird mit der Zeit auch die Zeit kommen,

dieses Gesetz in erste Berathung zu nehmen. ““ Abg. Dr. Barth (dfr.) bittet den Präsidenten, sich in dieser Be⸗

iehung nicht zu übereilen. Arbeiterstatistik sind

Für die Commission für 39 000 ausgeworfen.

Abg. Dr. Hirsch (dfr.): Zum ersten Mal hat der Reichstag Ge⸗ egenheit, sich über diese Commission auszusprechen. Gegenüber dem Regiment des früheren Reichskanzlers ist die Möglichkeit der Er⸗ richtung eines solchen Organs ein großer Fortschritt, trotzdem das er⸗ assene Regulativ sehr mangelhaft und verbesserungsbedürftig ist. Wenn die erreichten Resultate dementsprechend auch nur bescheiden sind, so sollte man doch nicht darüber ohne weiteres den Stab brechen, wie es von gewisser Seite geschieht. Die bisherige Thätig⸗

keit der Gentmtean hat sich erstreckt auf die Begutachtung von statistischen Erhebungen im Bäckerei⸗, Conditorei⸗ und Müllerei⸗ ewerbe. Sie hat das vorgelegte Material an Fragebogen genau die Fragen über die Arbeitszeit erweitert und genauer Die Bäckereistatistik ist bereits so weit ausgearbeitet, daß in umfangreiches Heft der Commission vom Statistischen Amt zu⸗ ist. Ein Theil der Presse hat darüber sehr abfällig ge⸗ etheilte für unbrauchbar erklärt. Die Com⸗ mission aber hat eingehender Berathung über die Bäckerei⸗ nquête einstimmig die Erklärung abgegeben, daß diese Erhebung als ine vertrauenswürdige Grundlage für die Reichsregierung zu be⸗ rachten sei. Befremdlich ist es daher, wenn der „Vorwärts“ vom 17. Februar von neuem in durchaus abfälliger Weise das Wirken der Commission beurtheilt. Es heißt da: „Die Bäckerenqubte ist in den Händen der Bureaukratie so gründlich mißglückt, wie es gründlicher nicht gedacht werden kann“, sie wird „ein reines Zerrbild“ genannt u. s. w. Zum Beweise werden aber lediglich einige Mißgriffe angeführt, welche n einigen kleinen Staaten bei der ersten statistischen Aufnahme ieser Art stattgefunden haben. Ich bitte den Reichskanzler, die Prgfotone det Commission dem Reichstage in größerer Zahl zugänglich zu machen; mit Recht macht der „Vor⸗ wärts“ darauf aufmerksam, daß hier ein Mangel vorliegt. Wenn aber schließlich der „Vorwärts“ behauptet, die Regierung fliehe ängstlich die Berührung mit Vertretern der Arbeiter, so ist das thatsächlich unwahr, da in der Commission doch früher der social⸗ emokratische Abg. Schippel, gegenwärtig der Abg. Molkenbuhr sitzt nd einträchtig mit den anderen Mitgliedern und den Vertretern der Kegierung zusammenarbeitet. Für die Fragebogen und wohl auch ür die Befragung von 10 % der bestehenden ereibetriebe hat der socialdemokratische Vertreter in der Commission mitgestimmt. Das verdienstvolle Büchlein des Abg. Bebel über die Arbeitszeit im Bäckcreigewerbe hat ja auch bloß die Verhältnisse in 600 Betrieben zur Grundlage. Bei der Commission herrscht durchweg die beste Absicht, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, und niemals haben bei ihr Parteirücksichten obgewaltet. Ihre Arbeiten sind gewiß nichts Vollendetes, aber sie werden sich vervollkommnen und zur Erkenntniß eer Zustände unserer Arbeiterwelt ihr werthvolles Theil beitragen.

Staatssecretär Dr. von Boetticher: 8 Meine Herren! Ich freue mich, daß das Urtheil des Herrn Vor⸗ redners über den Werth der Arbeiten der Commission für die Arbeiter⸗

verliert,

statistik vollkommen zusammentrifft mit dem Urtheil, welches auch ich durch die Beobachtung der Arbeiten dieser Commission gewonnen habe. Ich glaube, wir sind mit der Gründung dieser Commission auf dem richtigen Wege gewesen, um in der Erkenntniß der Verhältnisse der arbeiten⸗ den Klassen fortzuschreiten. Wenn der Herr Vorredner im Anfang seiner Betrachtungen als einen Wunsch, den er noch lieber verfolgt gesehen hätte, die Errichtung eines besonderen Reichsamts für Arbeiterstatistik bezeichnete, so glaube ich, daß es sehr vorsichtig gewesen ist, diesem Wunsche keine Folge zu geben, sondern zunächst einmal in der Form dieser Commission die Erörterung aller derjenigen Verhältnisse, die auf dem Gebiete der Arbeiterverhältnisse statistisch zu ergründen sind, zu versuchen.

Ich freue mich aber auch darüber, daß der Herr Vorredner so energisch die Kritik abgewehrt hat, die von socialdemokratischer Seite in der Presse gegen die Commission vorgebracht worden ist. Aber ich möchte den Herrn Vorredner bitten, sich in dieser Beziehung doch nicht zu ereifern. Jeder, der mit öffentlichen Dingen verantwortlich befaßt ist, befindet sich in der Lage, auf dem Gebiete seiner Beschäftigung con⸗ servativ zu werden, und ich finde diesen Satz durch die Ausführungen des Herrn Vorredners bestätigt, welche sehr bemerkenswerthe con⸗ servative Anklänge enthielten. (Heiterkeit. Hört! hört! bei den Social⸗ demokraten.)

Wenn der Herr Vorredner sich entrüstet über das socialdemokratische Urtheil zeigt, so tröste er sich damit, daß, was ihm als Mitglied der statistischen Arbeiterceommission im vorliegenden Fall passirt, der Re⸗ gierung alle Tage zu theil wird, ohne daß sie deshalb den Muth ruhig und sachgemäß weiter zu arbeiten. Der Herr Vorredner möge sich mit mir der Erwartung und Hoffnung hingeben, daß das gedruckte Wort nicht immer um deswillen, weil es gedruckt ist, den Eindruck der Wahrheit hervorrufen wird. In anderen Län⸗ dern ist man schon dahin gekommen, daß man dem gedruckten Wort keinen höheren Werth beilegt als dem gesprochenen. Der Artikel des „Vorwärts“ hat keinen Anspruch auf Beachtung; denn, wie gesagt, die Berathungen der Commission sind zur vollen Zufriedenheit aller Betheiligten und, soweit ich das überblicken kann, auch zu Nutz und Frommen der Arbeiterwelt geführt worden.

Der Herr Vorredner hat den Antrag gestellt, es möge dem Reichstag Mittheilung von den Verhandlungen der statistischen Com⸗ mission gemacht werden. Die Zusammenstellung, welche sich auf die Erhebungen im Bäckereigewerbe bezieht, ist dem Reichstag bereits zugegangen, sie stellt eine solche Mittheilung dar, und ich freue mich, daß diese hierher überwiesene Anzahl der Exemplare bereits vergriffen ist. Ich würde sehr gern bereit sein, noch weitere Exemplare dem Reichstag für diejenigen Mitglieder zur Verfügung zu stellen, welche sich über den Kreis der bisherigen Abnehmer hinaus für die Sache interessiren. Etwas Weiteres konnte bisher noch nicht mitgetheilt werden, weil die Protokolle über diejenigen Berathungen, welche in der letzten Tagung der Commission vorgenommen sind, erst heute Morgen den Druck verlassen haben. Es werden auch von diesem Protokoll dem Reichstag Exemplare zugehen, und ich werde es auch künftig so halten, daß der Reichstag in fortlaufende Kenntniß von den Arbeiten der Commission gesetzt wird. Ich kann, indem ich mich nicht darauf einlasse, auf die einzelnen Bemängelungen in dem „Vorwärts'⸗Artikel einzugehen, welche der Herr Vorredner schon ausreichend besprochen hat, mich zunächst auf diese Bemerkungen beschränken und werde abwarten, ob etwa von socialdemokratischer Seite noch Wünsche in Bezug auf die Thätigkeit der Commission geäußert werden.

Abg. Möller (nl.): Der Abg. Dr. Hirsch hat als Vater der Commission alle Ursache, ihre Arbeiten in Schutz zu nehmen, und ist mit Recht empfindlich über die Kritik des „Vorwärts“. Wir sind aber derartige Kritiken gewöhnt; ich nehme sie nicht übel. Ich be⸗ schränke mich auf den Ausdruck meiner hohen Befriedigung über die Leistung und den Fortgang der Arbeiten in der E11“ die von dem Abg. Siegle in der Commission beantragte Aufnahme einer Statistik über die Löhne und die Arbeitslosigkeit kann auch ich nur dringend wünschen. Durch eine solche Statistik wird sich höchst werthvolles Material erlangen lassen, um Behauptungen entgegen⸗ zutreten, welche hier mehrfach aufgestellt worden sind und bisher nicht sofort widerlegt werden konnten, auch wenn sie als böswillig erkannt wurden.

Abg. Bebel (Soc.): Der „Vorwärts“ hat den angegriffenen Artikel von einem auswärtigen Mitarbeiter übernommen; er ist eine Meinungsäußerung eines einzelnen Genossen und vertritt nicht die Meinung der Partei. Es ist überhaupt ganz falsch, anzunehmen, daß jeder Artikel partei⸗officiell sein muß, wenn es sich um ein officielles Parteiorgan handelt. Als Mitglied der Commission aus der social⸗ demokratischen Partei trat zuerst der Abg. Schippel ein; dieser sitzt aber schon seit Monaten im Gefängniß, und der Abg. Molkenbuhr ist erst vor kurzem für ihn eingetreten. Wir müssen vor allem verlangen, daß dem Reichstage nicht bloß in einigen wenigen Exemplaren, sondern da⸗ jedem Mitgliede die Arbeiten und Protokolle der Commission übermittelt werden. Der Abg. Dr. Hirsch war heute sehr schlecht auf uns zu sprechen, und er hat auch allen Grund dazu, nachdem gestern bei den Berliner Gewerbegerichtswahlen seine Gewerkvereinler durch⸗ gefallen sind. enn er sich das Verdienst zuschreibt, dieses neue Organ geschaffen zu haben, so kann ich dem nicht bei⸗ stimmen. Wenn wir nicht immer und immer fort gebohrt hätten, wäre es sehr fraglich, ob andere Parteien sich überhaupt zur Stellung von Anträgen dieser Art entschlossen hätten. Mit der Organisation, wie sie die Commission sich gegeben hat, ist die Frage: wie gearbeitet und was praktisch gethan werden muß, nicht gelöst. Wir haben seiner Zeit Arbeitskammern und ein Reichs⸗Arbeitsamt verlangt, welches natürlich auch mit einer Abtheilung für Arbeitsstatistik hätte ausgestattet werden müssen. Ich meine noch jetzt, daß wir ohne ein solches Reichs⸗Arbeitsamt nicht auskommen. Heute sind lediglich die Polizeiorgane vorhanden, um solche Erhebungen anzustellen. Gerade die Ergebnisse der Ermittelungen aus dem Bäckereigewerbe zeigen, wie nothwendig eine andere Form der Erhebung ist. Die Commission hat nicht durch Beschluß sich mit den Ergebnissen und der Art der Aufnahme der Bäckereistatistik einverstanden erklärt; sie hat sie nuxp als ausreichende Grundlage zur Vornahme weiterer Erhebungen bezeichnet. Die Art aber, wie die Auswahl der Betriebe getroffen ist, wie die Fragebogen ausgetheilt sind, ist so unzweckmäßig wie möglich. Vielfach haben die Feeh und Polizeiofficianten die Statistit selbst aufgenommen, sie erschienen in voller Uniform bei dem Arbeiter, der bei dem Meister wohnt und unter dessen beständiger Aufsicht steht und nun unbe⸗ fangene Aussagen über Arbeitszeit und Arbeitsdauer machen soll! Unter den 2800 Fragebogen, welche von Gehilfen ausgestellt sind, befinden sich danach noch nicht hundert, welche ohne Aufsicht der Meister ausgefüllt wurden. Der Tadel dieses Verfahrens im „Vor⸗ wärts“ ist durchaus berechtigt. Werth haben nur die Aussagen, welche unabhängig vom Unternehmer abgegeben wurden. Bei der von mir seiner Zeit veranstalteten Enquête ist dieser Fehler nicht gemacht worden. In den kleinen Landstädten ist die Arbeitszeit verhältnißmäßig kurz; aber gar nicht angegeben ist bei diesen Betrieben die andere Arbeit, es die Gehilfen dort neben und nach ihrer Bäckereiarbeit vollziehen müssen, nämlich die Landarbeit. Daher treten denn diese enormen Unterschiede hervor, die in den Ergebnissen der Enqubte so frappiren. Die ganze Methode muß eine andere werden, wir müssen

zur englischen Manier, zum contradictorischen Verfahren überge Manche Fragen des Fragebogens können die Arbeiter gar nicht worten; würden sie aber vor einer unabhängigen Commission San hört, so würde das Verfahren sehr vereinfacht und das Resultat sehr viel zuverlässiger. In zahlreichen Bäckereien bestehen scheußliche Zustände. Sehr häufig müssen die Gesellen in den Backräumen schlafen, in den Backräumen ihre Mahlzeiten einnehmen; ihnen fehlt jede Möglichkeit, für die Reinigung ihres Körpers zu sorgen; sie trocknen ihre schweißigen Hände an den Semmeltüchern ab, und no ekelerregendere Vorgänge sind an der Tagesordnung. Die En uête hätte auch auf alle diese Dinge ausgedehnt werden müssen. Die Com⸗ mission hat allerdings nachträglich beschlossen, auch in diesem Sinne Untersuchungen anzustellen. Kurz, es muß durchaus nach neuen Grundlagen für die Aufnahme einer wirklichen Arbeiterstatistik ge⸗ sucht werden.

Abg. Dr. Hirsch (dfr.): Der Abg. Bebel hat heute den Artikel des „Vorwärts“ preisgegeben (Abg. Bebel: Gar nicht!) Ja, e hat ihn als Privatarbeit ohne partei⸗officiellen Charakter hingestellt Ich habe auch nicht aus Parteipolitik dagegen gesprochen, sondern ich mußte aus Interesse an der geschichtlichen Wahrheit diesen tendenziösen Entstellungen entgegentreten. Ich habe mich auch keinet⸗ wegs auf den Standpunkt gestellt, den der Abg. Bebel mir hier in den Mund gelegt hat. Wenn die Gesellen vollständig von den Meistern beherrscht gewesen wären, würden sie auch dieselben Antworten gegeben haben wie diese. Das ist aber nach der auf⸗ genommenen Statistik nicht der Fall.

Abg. Roesicke (b. k. F.) geht näher auf die Frage der von dem Abg. Siegle in der Commission angeregten Lohnstatistik und die bezügliche Verpflichtung der Berufsgenossenschaften zur Aufstellung von Lohnnachweisungen ein. Diese Lohnnachweisungen hätten nach dem Unfallgesetz die Berufsgenossenschaften sämmtlich zu erbringen und hätten es zum theil schon gethan. Auf die Dauer könnten diese auch ohne solche speciellen Nachweisungen garnicht durchkommen. Seien die Nach⸗ weisungen bei sedhüreichen vorhanden, dann werde die Commission für Arbeiterstatistik auch dahin kommen, dieses Material zu sichten und zu verwerthen. Redner tritt bei dieser Gelegenheit dem Abg. Grillenberger entgegen, der die Höhe des Durchschnittelohnes für Brauergehilfen in Berlin von 1504 bezweifelt habe. Wenn man das Freibier abziehe, verblieben noch 1382 ℳ, und wenn man bloß von Brauergehilfen in engerem Sinne spreche, stelle sich der Durchschnittslohn sogar auf 1750 nebst freier Wohnung und Ftb bis zu 6 Litern täglich.

Abg. Bebel (Soc.): Den Vorschlag des Abg. Roesicke, die Lohn⸗ nachweisung der Berufsgenossenschaften zu Grunde zu legen, ver⸗ werfe ich, und auch die Commission hat, wie ich höre, dagegen erhebliche Bedenken gehabt. Mit Genugthuung constatire ich ferner, daß die Commission auch schon der Hausindustrie näher getreten ist. Der Abg. Dr. Hirsch weist auf die Differenz zwischen den Aus⸗ sagen der Arbeiter und Arbeitgeber hin, die eine Beeinflussung der Arbeiter durch die Unternehmer nicht erkennen lasse. Die Betrachtung trifft nicht die Sache; die Frage ist vielmehr, ob nicht die Aussagen der Arbeiter noch viel ungünstiger ausgefallen wären, wenn sie sie fre und unbeeinflußt hätten machen können. Den Artikel des „Vorwärts“ habe ich keineswegs preisgegeben, sondern nur erklärt, daß er nicht als parteiofficiell zu betrachten sf

Nachdem noch der Abg. Dr. Osann (nl.) im Sinne des Abg. Möller gesprochen, wird die Position bewilligt.

Bei der Ausgabe für das Ober⸗Seeamt bemerkt

Abg. Schwartz (Soc.): In der seemännischen Bevölkerung macht sich seit längerer Zeit eine Bewegung für eine Abänderung der Seemannsordnung bemerkbar; nicht bloß die Matrosen, sondern auch zum großen Theil die Offiziere erkennen das Bedürfniß dafür an. Die geltende Seemannsordnung besteht seit zwanzig Jahren, seitdem sind ungeheure Aenderungen im Betriebe eingetreten, welche allein schon eine Aenderung begründen. Die Zahl der Segelschife ist gegen die der Dampfer zurückgegangen. Die mittleren Schiffsbau⸗ größen sind fast ganz verschwunden, die größeren Schiffstypen sind in der Ueberzahl. Die Zollpolitik hat den deutschen Handel aus dr Ostsee vertrieben. Die Lage der Ostseeschiffer hat sich infolge dieser Veränderung verschlechtert. Ihre Zahl ist aber nicht geringer, sondern größer geworden. Vor einigen Tagen ist das Bremer Schj „Marie Rickmers“, ein ganz neuer Schiffstypus mit fünf Masten, weil es bloß 38 Mann Besatzung hatte, mit Mann und Maus zu Grunde gegangen. Nur das Sparsystem, welches der Concurrenzkampf nothwendig machte, hat dieses Unglück herbeigeführt. Mit steigendem Nachdruck fordert man in den Seemannskreisen die Reform der Seemannsordnung, um diesem Concurrenzkampf seine Auswüchse zu nehmen. Die Vorschriften der See⸗Unfall⸗ Berufsgenossenschaft über die Seetüchtigkeit der Schiffe sind ja ganz bestimmt und zweckentsprechend. Aber wer controlirt sie? Da liegt die Sache im Argen. Das bestgebaute Schiff nützt nichts, wenn nicht die Besatzung zulänglich und tüchtig ist. Das minder⸗ werthige Menschenmaterial, welches heute 8 den Schiffen ver⸗ wendet wird, sorgt nicht einmal für die Ordnung, welche auf dem Schiffe, wie jeder wirkliche Seemann weiß, vorhanden sein muß. Deshalb kommen heute Fälle von Verstößen gegen die Disciplin auf den Schiffen vor, wie sie fruüͤher unerhört waren. Wenn die Seeleute davon überzeugt sind, daß Disciplin herrschen muß, können sie aber auch verlangen, daß sie nicht miß⸗ braucht wird. Betrübend ist es, daß jetzt wieder auf Hamburger Schiffen geschlagen wird, nachdem das Prügeln schon längst auf den deutschen Schiffen nicht mehr Sitte gewesen ist; und noch betrü⸗ bender ist es, daß das Hamburger Gericht entschieden hat, es darf zwar nicht geprügelt werden, aber Prügel könnten als Strafe ver⸗ hängt werden. Wenn von Unbotmäßigkeit u. s. w. gesprochen wird, so darf doch andererseits nicht übersehen werden, daß auch die Schiffsführer nicht immer diejenigen sind, welche Disciplin zu halten vermögen. In den „Hamburger Nachrichten“ befindet sich der Jahresbericht über das Seemanns⸗Krankenhaus für 1892; nach diesem Bericht sind nicht weniger als 8544 an Straf⸗ geldern erhoben worden! Den einzelnen Seemannzsämtern, welche als Reichsbehörden zu organisiren wären, müßte ein Ober⸗Seemanns⸗ amt als zweite Instanz übergeordnet werden. Auch in zahlreichen an⸗ deren Punkten ist die Seemannsordnung reformbedürftig, so in den Pn ten des Wachtdienstes. Es haben schon verschiedene

ersammlungen der Seeleute stattgefunden, die schließlich mich beauftragt haben, die Anregung zur Abänderung der Seemannsordnung in die en zu nehmen und Vorschläge dazu zu machen. Ich werde

eine entsprechende Vorlage demnächst an das Haus bringen und hoffe, sie wird hier die erforderliche Beachtung finden. Abg. Jebsen (nl.): Die Seemannsordnung ist zwar in manchen

Punkten nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, aber im ganzen ind wir sehr mit ihr zufrieden. Die Dampfschiffsrhederei hat sich mit den Mängeln auch schon befaßt und einige Aenderungen in dem Sinne vorgeschlagen, wie sie der Abg. Schwartz vorgeführt hat. Wenn. er auf den Untergang des Bremer Schiffes verweist, so ist ja schon möglich, daß das Schiff schwach bemannt gewesen ist; aber im all⸗ gemeinen ist dieser Umstand für eine Schiffskatastrophe nicht vper⸗ antwortlich zu machen. Wie die iffe bemannt werden sollen: nach der Größe, nach dem Quadratmeter Segelfläche, nach dem Tonnengehalt, das 9 eine sehr difficile Frage. Der Abg. Schwartz stellt nun ganz abweichend von seinen Genossen den Satz auf:⸗ Autorität muß sein! Er will Disciplin auf dem Schiffe haben und meint nun, daß die Seemannsordnung in dieser Beziehung zu weit geht. Ich glaube das nicht. Ausnahmefälle, wo einmal geprüge wird, wenn einem Schiffsführer, der sich nicht chikaniren lassen will, einmal die Geduld reißt, werden immer vorkommen. Die Seemanns⸗ ämter urtheilen unpartelisch, ganz gleich, ob es sich um Matrosen oder Capitäne handelt. 1 1

Abg. Bebel (Soc.): Der nautische Verein in Hamburg, ein ist auch bereits mit Vorarbeiten für die Ab⸗ änderung der Seemannsordnung beschäftigt, die aber natürlich ganz anders ausfallen werden, als das, was der Abg. Schwartz Ihnen vor⸗ geschlagen hat. Wenn der Abg. Schwartz Autorität auf den S iffen

Diese Fälle sind keineswegs vereinzelt.

Fßportsetzung der zweiten Berathung des Staats⸗

für nöthig hält und ich jede Autvrität geleugnet habe, so wird der Abg. Jebsen darin wohl kaum einen wirklichen Widerspruch sehen. Nicht nur eine Abänderung der Seemannsordnung, sondern auch eine Ergänzung des Strafgesetzbuchs ist nothwendig. Der Untergang der „Marie Rickmers“ zeigt, daß jedes Schiff, bevor es in See geht, gründlich fachmännisch untersucht werden muß. Der § 47 der Seemannsordnung reicht in keiner Weise aus. Die Mannschaft kann solche Untersuchung nicht beantragen, zumal ihr nach § 94 auch noch die Strafe der eilfertigen Anzeige droht. In hohem Grade scheint auch in Deutschland der schauderhafte Zustand vorhanden zu sein, welchen schon vor 20 Jahren Herr Plimsoll im englischen Parla⸗ ment brandmarkte, daß gewissenlose Rheder seeuntüchtige Schiffe an⸗ kauften, hoch versicherten, dann hinausschickten und mit Mann und Maus untergehen ließen. Der Vorfall mit dem Rheder Schiff in Elsfleth zeigt, daß bei uns ganz ähnliches vorgeht. „Leider ist die Mannschaft gerettet“, schreibt bekanntlich der Mann an seinen Freund; natürlich, der Transport der Leute hat dem Herrn Schiff 9000 ge⸗ kostet, welche ihm von der Assecuranzsumme verloren gegangen sind, welche er sich im übrigen „freut, eingeheimst zu haben“. eswe Derselbe Schiff in Els⸗ leth hat kurz darauf ein drittes Schiff in der Südsee ver⸗ oren, welches mit 65 000 versichert, aber nur 25 000 werth war. Das passirte also einem einzigen Rheder in einem ein⸗ igen Jahre, und da entsteht denn doch der dringende Verdacht, er die Schiffe absichtlich dem Untergange preisgegeben habe. Un: ieser Mann war bis jetzt außerordentliches Mitglied des Reichs⸗ Versicherungsamts für den Vorstand der See⸗Berufsgenossenschaft. Die Berichtigung, welche Herr Schiff vornahm, kann niemand ernst nehmen und auch nicht die Ehrenerklärung, welche 70 Honoratioren von Elsfleth ihm angedeihen ließen. Warum hat der Herr nicht in „Vorwärts“ verklagt? Der hatte ihn direcet als Mörder be⸗ eichnet; er wäre einer hohen Strafe nicht entgangen, wenn die An⸗ klage falsch war. Hier muß das Strafgesetz eingreifen. Nach meiner Ueberzeugung war der Fall, wie er hier vorlag, kaum geeignet, vom Staatsanwalt zur Untersuchung gezogen zu werden. § 265 ist nicht nwendbar, weil das Sinken nicht von dem Unternehmer veranlaßt war. Es muß also eine Bestimmung ad hoc neu in das Strafgesetz⸗ buch aufgenommen werden. Wichtig wäxe mir zu erfahren, warum Herr Schiff jetzt nicht mehr dem Reichs⸗Versicherungsamt angehört.

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Die Angelegenheit Schiff hat mich beschäftigt. Als ich Kenntniß von dem Briefe des Herrn Schiff erlangte, habe ich vom Reichs⸗ Versicherungsamt Bericht eingefordert und habe erfahren, daß Herr Schiff seine Stelle als nichtständiges Mitglied des Reichs⸗Ver⸗ sicherungsamts niedergelegt habe. Das ist gewesen im Verlauf des verflossenen Jahres (Zuruf von Seiten der Socialdemokraten), unmittelbar nachdem die Sache in der Presse besprochen war; also Herr Schiff ist nicht mehr ständiges Mitglied des Reichs⸗Versiche⸗ rungsamts.

Im übrigen kann ich, was den Gegenstand der Debatte anlangt, mittheilen, daß bisher Anregungen auf Revision der Seemanns⸗ ordnung von keiner Seite bei uns eingegangen sind. Ich gebe in⸗ dessen zu, daß seit Erlaß der Seemannsordnung die Verhältnisse der Schiffahrt sich doch so wesentlich geändert haben, daß es gut und nützlich sein kann, die Seemannsordnung einer Revision zu unterziehen; und wenn der Herr Abg. Schwartz mit Vorschlägen in dieser Be⸗ ziehung hervortreten will, so können wir das um so dankbarer an⸗ erkennen, je weniger wir ja bei der Länge der Debatte über den Etat des Reichsamts des Innern in der Lage sein werden, in absehbarer Zeit an eine solche Revision heranzugehen. (Heiterkeit.)

Abg. Metzger (Soc.): Auf den verschiedenen Seemannsämtern sind in den letzten Jahren nicht weniger als zehn Fälle von Mißhandlungen zur Verhandlung gekommen, welche zu Selbstmord eführt haben. Der Reichscommissar bei dem Seeamt in Bremer⸗ aven hat erklärt, daß jetzt Fälle von Mißhandlungen mit solchem Ausgange viel häufiger vorkommen, es aber ungemein schwer sei, den Zusammenhang zwischen beiden festzustellen, weil die Mann⸗ schaften sehr schwer für die Aussagen zu haben seien. Die Gerichte erklären nun wunderbarer Weise eine generelle Anweisung, Wider⸗ spenstige zu prügeln, für nicht strafbar; und weil dies also doch nach der Seemannsordnung zulässig sein muß, darum eben verlangen die Seeleute die Abänderung der Seemannsordnung. Diese Miß⸗ handlungen von Seeleuten auf deutschen Schiffen müssen aufhören. Wir werden nicht aufhören, dafür zu wirken, auch wenn man uns noch so sehr socialistischer Umtriebe beschuldigt.

Abg. Jebsen (nl.): Ich kann mir garnicht erklären, daß man, was Herr Schiff geschrieben hat, auf Absicht zurückführt. Ich für meine Person glaube daran nicht. Die Bill Plimsoll war vor 20 Jahren vielleicht ganz angebracht; heute sieht es anders aus. Im großen und ganzen können wir uns nur freuen, daß unsere Kauf⸗ fahrteimarine noch so beschaffen ist, wie sie ist.

Abg. Bebel (Soc.): Die zu hohe Versicherung der Schiffe ist noch immer im Schwunge. Die Unfallverhütungsvorschriften be⸗ stehen zwar; aber ihre Ausführung wird nicht controlirt, wenn das Schiff in See geht. Im Interesse des Renommées der deutschen Schiffsrheder sollte der Abg. Jebsen selbst die obligatorische Untersuchung aller in See gehenden Schiffe fordern. Der Umstand, daß Herr Schiff nicht zur Klage geschritten ist, daß er sein Ehrenamt niedergelegt hat, beweist für mich, daß Herr Schiff ein Massenmörder ist.

Das Kapitel wird bewilligt und darauf um 5 ¼ Uhr die Fortsetzung der Etatsberathung auf Mittwoch 1 Uhr vertagt.

Preußzischer Landtag. Haus der Abgeordneten 35. Sitzung vom 21. Februar.

haushalts⸗Etats für 1893/94 und bei dem Etat des Ministeriums der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten.

Ueber den Beginn der Sitzung ist bereits in der Nummer vom Dienstag berichtet worden. Wir tragen daraus hier nur die von dem Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bos c gehaltenen Reden im Wortlaute nach.

Auf den von dem Abg. Damink ausgesprochenen Wunsch, daß bei Besetzung der Lehrstellen auf Universitäten das re⸗ formirte Bekenntniß berücksichtigt werden möge, erwiderte der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ja, meine Herren, wir haben elf reformirte Professoren, und ich glaube, daß die reformirten Theologen auch schon jetzt Gelegenheit haben, an den Universitäten Kenntniß zu nehmen von derjenigen Lehre, die ihrem Bekenntniß entspricht. Ich bin auch gar nicht zweifelhaft darüber, daß, wenn neue reformirte Prediger⸗Seminare gegründet werden, wir sie unterstützen werden. Wir haben sogar in in den bisherigen Prediger⸗Seminaren Vorsorge getroffen, daß dort die reformirten Candidaten Gelegenheit haben, sich über den Gebrauch des Heidelberger Katechismus einigermaßen zu informiren. Also ich stehe den Anträgen des Herrn Vorredners durchaus wohlwollend gegenüber, bin aber nicht in der Lage, für einzelne Anstalten bestimmte Zusicherungen zu geben.

Dem Abg. Dr. Porsch, der es tadelte, daß atheistische

könnten, entgegnete der Mini egeistli ꝛc 2 1 1; 8 der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegen⸗

Meine Herren! Bei diesen Erörtrungen kann ich unmöglich schweigen; es ist meine Pflicht, die Stellung der Cultusverwaltung zu diesen Fragen klarzustellen. Ich beginne damit, daß ich zunächst das ausscheide, was der Herr Abg. Dr. Porsch in Bezug auf die religiöse Stellung der Gymnasiallehrer gesagt oder vorgelesen hat. Er hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, der Meinung Ausdruck gegeben, daß bei den Gymnasiallehrern nach ihrer religiösen Stellung überhaupt nicht gefragt würde. Daran ist soviel wahr, daß die Schulverwaltung ganz außer stande ist, etwa mit jedem Gymnasiallehrer, der Lateinisch, Griechisch, Mathematik oder sonst etwas lehren soll, vorher noch ein besonderes Examen auf seinen religiösen Glauben anzustellen. (Hört, hört!) Damit erkenne ich ausdrücklich an ich behaupte, daß der Religionsunterricht auch auf unseren höheren Unterrichtsanstalten confessionell gegeben wird, und es wird auch Herrn Abg. Dr. Porsch bekannt sein, daß den kirchlichen Organen nach dieser Seite hin eine Kenntnißnahme, eine Revision eingeräumt ist und daß davon auch Gebrauch gemacht wird sowohl von katholischer als evangelischer Seite.

Im übrigen sind wir ja hier bei dem Titel von den Univer⸗ sitäten, und ich will, was die höheren Unterrichtsanstalten, die Gymnasien u. s. w. anlangt, nur noch bemerken, daß es nicht der Absicht der Unterrichtsverwaltung entspricht, unsere jungen Leute dort zum Indifferentismus zu erziehen.

Was nun die Universitäten anlangt, so darf ich wohl vor allen Dingen annehmen, daß es nicht die Absicht des Herrn Abg. Dr. Porsch gewesen ist, gegen die bestehende verfassungsmäßige Lehrfreiheit der Universitäten zu Felde zu ziehen. Ich habe schon neulich mich unzweideutig darüber ausgesprochen, daß ich das Verlangen des Herrn Abg. Dr. Porsch, daß Licht und Schatten auch an unseren Hoch⸗ schulen in Bezug auf die verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen, auf die kritischen und die positiven, möglichst gleichmäßig vertheilt werde, daß unsere Studenten Gelegenheit bekommen nach beiden Richtungen hin sich diejenigen Professoren zu wählen, auf deren Boden, nach deren Anleitung sie die Wahrheit suchen und wissenschaftlich er⸗ forschen wollen, daß ich dieses Verlangen nicht nur als vollkommen berechtigt anerkennen muß, sondern zu jeder Zeit, auch jetzt, im Be⸗ griff bin, danach zu handeln.

Was nun aber die Meinung betrifft, daß unsere Universitäten im ganzen und großen als Stätten der Gottlosigkeit und des Un⸗ glaubens bezeichnet werden, so hat ja heute der Herr Abg. Dr. Porsch seine dahin zielende neuliche Bemerkung bereits auf ein engeres Maß eingeschränkt. Ich habe die Bemerkung neulich nicht überhört, aber es war in später Stunde, und ich bekenne, daß ich damals vergessen habe, sie zu erwähnen und zu ihr Stellung zu nehmen. Ich will das nachholen. Ich muß hervorheben, daß nach meiner persönlichsten Kenntniß der Verhältnisse dieser Vorwurf in diesem Umfange voll⸗ kommen unberechtigt ist. Meine Herren, ich habe dafür ganz be⸗ stimmte Anhaltspunkte. Die Reden, die an unseren Universitäten bei festlichen Gelegenheiten gehalten werden, und zwar von Professoren aller Facultäten, werden mir fast ohne Ausnahme zugänglich gemacht, und ich habe aus Anlaß der Bemerkung des Herrn Abg. Dr. Porsch neuerdings mir vergegenwärtigt, was ich denn im Laufe des Jahres, während dessen ich an der Spitze der Unterrichtsverwaltung stehe, in dieser Beziehung zu lesen bekommen habe, und da kann ich nur sagen, daß alle diese Reden mit tiefem Respect vor der christlichen Religion erfüllt sind, daß keine von ihnen irgend einen Angriff auf christliche Wahrheiten enthält, und daß ich daraus den Schluß ziehe, daß im großen und ganzen an unseren Universitäten, in unseren akademischen Kreisen noch ein großes und reiches Maß tiefen religiösen Sinnes herrscht. Ich verkenne nicht, meine Herren, ich weiß wohl, daß einzelne Ausschreitungen vorkommen, wenn auch nicht gerade an preußischen Universitäten, von denen sie mir nicht gerade bekannt geworden sind. Nun muß ich doch aber sagen: Der Zusammenhang, den der Herr Abg. Dr. Porsch zwischen der ab⸗ fälligen Aeußerung eines Professors über den Culturwerth des Christenthums und zwischen der Aufgabe, die dem Staat obliegt gegenüber den Dissidentenkindern, zu construiren versucht hat, dieser Zusammenhang scheint mir in der That ein überaus loser zu sein. Es mag ja einzelne Vertreter der Wissenschaft geben, die aus⸗ sprechen, daß kein persönlicher Gott sei; das sind aber Ausnahmen, und diese Ausnahmen, diese Einzelheiten finden durch die Berufs⸗ genossen und durch die Wissenschaft ihre beste Correctur. Denn, meine Herren, die wahre Wissenschaft wird immer wieder auf die christliche Wahrheit zurückkommen; sie wird sich nicht auf die Dauer mit der christlichen Wahrheit in Gegensatz setzen, und wer an das Christenthum glaubt, der soll auch an diese siegreiche Macht der christlichen Wahrheit glauben. Mit polizeilichem Zwange brauchen wir die christliche Wahrheit nicht aufrecht zu erhalten; sie wird sich schon von selbst durchringen. (Sehr gut!)

Meine Herren, dazu kommt, daß im allgemeinen den meisten akademischen Lehrern ganz außerordentlich selten Gelegenheit geboten wird, religiöse Fragen in ihren Collegien zu besprechen. Die Juristen, die Mediziner, die Mathematiker haben dazu fast gar keine Ver⸗ anlassung; es bleiben übrig die Philosophen, die naturwissen⸗ schaftlichen Fächer, selbstverständlich die Theologie. Meine Herren, auch da bleibt, wenn man sorgfältig prüft, nach dem Zeugniß competenter Beurtheiler und namentlich auf positivem Grunde akademischer Lehrer von dem Vorwurf außerordentlich wenig übrig. Ich bin vielmehr der Ueberzeugung, daß in den akademischen Kreisen Deutschlands noch ein so lebhaftes religiöses Interesse herrscht, daß dieser weitgehende Pessimismus, wie ihn Herr Dr. Porsch uns dargestellt, und den er aus Einzelerscheinungen zu einem Ge⸗ sammtbild zusammenzufassen gesucht hat, nicht begründet ist, daß wir vielmehr alle Ursache haben, auf die wissenschaftlichen Bestimmungen unserer Universitäten stolz zu sein. Ich wüßte nicht, daß irgend eine Nation uns und unsere Universitäten an religiösem Sinn und an Respect vor der kfreligiösen Wahrheit übertrifft; ebenso wenig, wie ich weiß, daß irgend eine Nation unsere Universitäten an wissenschaftlichem Sinn übertrifft. Ich habe dafür hier ein Zeugniß von einem Franzosen in einem Werke, das in Paris bei W. Welter erschien von F. Lot: „L'enseignement supérieur en France. Ce qu'il est ce qu'’il devrait 6tre.“ Der sagt ich darf wohl mit Erlaubniß des Herrn Präsidenten die paar Worte vorlesen —:

In dem Maße, in welchem ich die Organisation der französischen

Lehrkräfte sich ungehindert in den Universitäten entfalten

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meinden bei der Unterhaltung der zu wollen. anstalten, sodaß sie ganz auf den Staatshaushalts⸗Etat übernommen werden müßten; aber sie haben doch eine Bedeutung, die weit über die Mauern des Städtchens hinausgeht, in dem sich die Anstalt befindet. Deshalb sollte an die Stelle des jetzigen undurchsichtigen und zu Will⸗ kürlichkeiten führenden Systems der Unterstützungen ein System der festen Unterstützung treten, durch Fahlung bestimmter Summen für jede Lehrstelle. empfiehlt die Gleichstellung im Gehalt für die Lehrer der höheren Lehr⸗ anstalten mit den Richtern erster Instanz und tadelt es, daß zu wenig Lehrer angestellt sind, sodaß 2 Marximalstunden herangezogen Anforderung an die Kraft der Lehrer ist.

für die Lehrer ist auf 24 festgesetzt; L

Etat beschlossen, daß die Directoren der in ihrem Gehalt mindestens so gestellt werden sollen, wie sie als

der deutschen Universitäten verglich, hat sich mir die trostlose Gewiß⸗ heit unserer Schwäche und die niederschmetternde Ueberlegenheit Deutsch⸗ lands nach und nach aufgedrängt. Die wissenschaftliche Hegemonie Deutschlands in allen Zweigen der Wissenschaft ohne Ausnahme ist gegen⸗ wärtig von allen eivilisirten Völkern anerkannt. Es ist ein notorisches Factum, daß Deutschland allein wissenschaftlich mehr producirt als der ganze übrige Rest der Welt. Seine Ueberlegenheit in den Wissenschaften bildet das Pendant zu der Englands auf den Ge⸗ bieten des Handels und der Seefahrt. Vielleicht ist sie verhältniß⸗ mäßig noch größer.

Nun, meine Herren, das ist doch auch ein Zeugniß für unsere Universitäten, das wir uns wohl gefallen lassen können.

Ich wiederhole, daß ich bereit bin und mich für verpflichtet halte, dafür zu sorgen, daß nicht einseitige wissenschaftliche Richtungen nur einseitig in den Universitäten zum Ausdruck kommen. Ich werde dafür sorgen, daß die verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen vertreten sind, und zwar von tüchtigen wissenschaftlichen Vertretern, soweit sie überhaupt wissenschaftlich legitimirt sind; das ist meine Pflicht und Schuldigkeit. Im übrigen aber habe ich das Vertrauen zu unseren Universitäten, daß sie unsere Jugend nicht schädigen, sondern unsere Jugend anleiten, die Wahrheit selbständig zu erforschen; und wenn sie das thun, so wird unsere Jugend auch dahin kommen, den ewigen Gehalt der christlichen Wahrheit zu erkennen und dafür einzutreten. (Bravo!) 8

Bei der weiteren Berathung des Antrags des Abg. Dr. von Jazdzewski auf Streichung des Dispositionsfonds zu Unterstützungen und Stipendien „für Studirende deutscher Herkunft zum Zwecke späterer Verwendung der⸗ selben in den Provinzen Westpreußen und Posen, sowie für Studirende aus dem Regierungsbezirk Oppeln“ nimmt nach dem Ministerial⸗Director Dr. Kuegler, dessen Rede bereits h v . 8

g. Motty (Pole) und bezeichnet es als ungerecht, daß solche Staatsfonds, zu denen die Polen beisteu ü - 92 heünsten vermegehen söhn nur zu Gunsten Dr. doDn Ia ewski 5 veni Worte Jhbeutscher H unfr- zu gteicheh 8 bie Spitze gegen die Polen zu nehmen.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ich bitte Sie dringend, diesen Fonds nicht zu streichen. Ich finde es ja begreiflich, daß diese Fonds den Polen unbequem sind. Aber die Deutung, daß in einem Rechtsstaat diese Fonds nicht be⸗ rechtigt seien, ist nach meiner Ueberzeugung ganz unbegründet. Meine Herren, wir haben gewisse Bezirke, in denen die Deutschen in der Minorität und die Polen in der Majorität sind, und in diesen Bezirken müssen wir die Deutschen stützen. Nur zum Schutze und zur Stütze der Deutschen sind diese Fonds bestimmt, und dazu können wir sie nicht entbehren. Wir haben andere Fonds, die zugleich für die Polen bestimmt sind, ohne derartige Be⸗ schränkungen, und sie werden den Polen nicht vorenthalten werden; sollte darin bisher irgendwo gefehlt sein, so bitte ich, mir die einzelnen Fälle zu melden. Ich werde dafür sorgen, daß auch in dieser Beziehung Gerechtigkeit waltet (Zuruf des Abg. Dr. von Jazdzewski) auch in Bezug auf den Alumnatsfonds bei dem Marien⸗Gymnasium. Wenn wir aber nicht polnische Schüler genug haben, dann bleibt nichts Anderes übrig, als die freien Mittel auch Deutschen zuzuwenden, und eine Beschränkung findet in dieser Beziehung nicht statt.

Kurz ich resümire mich dahin: von einer Verletzung des Rechts⸗ staats kann bei diesem Fonds gar keine Rede sein. Wir brauchen die Fonds zum Schutze des deutschen Elements, da wo es in der Minorität ist, und ich bitte Sie, zu diesem Zwecke diese Fonds zu bewilligen. 1 Abg. Szmula (Centr.) verlangt eine Nachweisung über die Verwendung des allgemeinen Fonds, damit man sehen könne, ob eine richtige Vertheilung stattgefunden habe.

Ministerial⸗Director Dr. Kuegler erklärt, daß die Vertheilung der Fonds bei den Ober⸗Präsidenten und den Provinzial⸗Schulcollegien ruhe; nach dem Klang der Namen der Stipendiaten aber müsse man annehmen, daß gleichmäßig vertheilt worden sei.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (cons.) erklärt, daß seine

Freunde für die Fonds stimmen würden, weil diese bestimmt seien

zur Unterstützung der Deutschen, die sich der polnischen Mehrheit gegen über in der Abwehr befänden. Wenn die Wirkung der Maßregel von 1885 eingetreten sein werde, dann könnten die Fonds vielleich dufg. werden. 8 g. Dr. von Jazdzewski (Pole) bestreitet jede aggressive Tendenz der Polen. 8 Abg. Gi meint, daß in Oberschlesien die Arbeiter und Bauern doch wo aum eine aggressive Tendenz gegen di 11 ggteffe Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (cons.): In Bezug auf Oberschlesien habe ich meine Bemerkung nicht gemacht: a. i es für Oberschlesien nicht ausgeschlossen, daß der Fonds auch an Schüler polnischer Sprache gegeben wird. Gegen die Stimmen des Centrums und der Polen wird darauf der Fonds genehmigt. Beim Kapitel: „Höhere Lehranstalten“ bittet Abg. Dr. Schultz⸗Bochum (nl.) die Regierung, die Ge⸗ 1 Lehranstalten besser unterstützen Die höheren Lehranstalten sind allerdings keine Landes⸗

etwa ebenso wie bei den Volksschulen Redner

die vorhandenen Lehrer überall zu den werden müssen, was eine zu große

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Bohtz weist darauf hin, daß die

Communen vielfach höhere Lehranstalten eingerichtet haben, nachdem ihnen der Staat ausdrücklich die Verrflichtungs habe, 88 sie für die steigenden Ausgaben selbst eintreten müßten. Da kann der Staat nachher nicht ohne weiteres eintreten und die Last der Gemeinden übernehmen. da hilft der Staat. Daß dabei einige

Wo die Feftingemmfäcgegtet der Gemeinden erwiesen ist, Ungleichmäßigkeiten vorkommen,

st vielleicht möglich. In Bezug auf die Rangverhältnisse sind die

Lehrer den Richtern allerdings insofern nicht gleichgestell ʒ 1 1b Wrerz - 8 n nicht gleichgestellt, als nur ein Drittel der wissenschaftlichen Lehrer in die vierte Rangklasse dommt,

nicht die Hälfte. Aber die Lehrer kommen dafür auch einige Jahre rüher in ihr Amt als die Richter. Die Zahl der Maximalstunden st o für die Oberlehrer, jetzt für die ehrer, welche die Zulage erhalten, auf 22 Stunden wöchentlich.

Abg. Dr. Kropatscheck (cons.): Das Haus hat beim Normal⸗ Fniglichen Lebranstalten

Facultäten genauer studirte, und sie mit der der fremden, namentlich

Oberlehrer stehen würden. Dieser Beschluß ist doch nur sehr langsam ausgeführt worden. de

Belaß Trotz der großen elastung de