Der Einwand nicht rechtzeitiger Anzeige von Hn ge⸗ lieferter Waaren (Art. 347 des Handelsgesetzbuchs) ist nicht statthaft.
21) Sicherheitsstellung, Bürge.
Bürgen haben nach dem Ermessen der Aufsichtsbehörde als Selbstschuldner in den Vertrag mit einzutreten. “
22) Sicherheitsstellung (Caution).
— Cautionen können in baarem Gelde, guten Werthpapieren,
Sparkassenbüchern oder nach dem Ermessen der Aufsichtsbehörde auch
in sicheren — gezogenen — Wechseln bestellt werden. Zur Bestellung
von Unternehmer⸗Cautionen für Lieferungen und Leistungen sind als eeignet anzusehen:
1) die Schuldverschreibungen, welche vom Deutschen Reich oder
von einem deutschen Bundesstaat mit gesetzlicher Ermächtigung aus⸗
gestellt sind,
2) die Schuldverschreibungen, deren Verzinsung vom Deutschen eich oder von einem deutschen Bundesstaat gesetzlich garantirt ist,
3) die Rentenbriefe der in Preußen bestehenden Rentenbanken, 4) die Schuldverschreibungen, welche von dentschen communalen Corporationen (Provinzen, Kreisen, Gemeinden ꝛc.) oder von deren Creditanstalten ausgestellt und entweder seitens der Inhaber kündbar sind, oder einer regelmäßigen Amoxtisation unterliegen.
5) die Sparkassenblcher von öffentlichen obrigkeitlich bestätigten Sparkassen und
6) sichere Hypotheken und Pfandbriefe.
Die Annahme von Wechseln erfolgt nur, wenn die Aussichts⸗ behörde solche für ganz zweifellos sicher erachtet.
Baar hinterlegte Cautionen werden nicht verzinst. Zins⸗ tragenden Werthpapieren sind die Anweisungen (Talons) und Zins⸗ scheine, insoweit bezüglich der letzteren in den besonderen Be⸗ dingungen nicht etwas Anderes bestimmt wird, beizufügen. Die Zinsscheine werden so lange, als nicht eine Veräußerung der Werth⸗ papiere zur Deckung entstandener Verbindlichkeiten in Aussicht ge⸗ nommen werden muß, an den Fälligkeitsterminen dem Unternehmer ausgehändigt. Für den Umtausch der Anweisungen (Talons), die Einlösung und den Ersatz ausgelooster Werthpapiere sowie den Ersatz abgelaufener Wechsel hat der Unternehmer zu sorgen.
Falls der Unternehmer in irgend einer Beziehung seinen Ver⸗ bindlichkeiten nicht nachkommt, kann die Behörde zu ihrer Schadlos⸗ haltung auf dem einfachsten, gesetzlich zulässigen Wege die hinterlegten Werthpapiere und Wechsel veräußern bezw. einkassiren.
Die Rückgabe der Caution, soweit dieselbe für Verbindlichkeiten des Unternehmers nicht in Anspruch zu nehmen ist, erfolgt, nachdem
der Unternehmer die ihm obliegenden Verpflichtungen vollständig erfüllt, ) g Pflichtung - v
hat und insoweit die Caution zur Sicherung der Haftverpflichtung dient, nachdem die Haftzeit abgelaufen ist. In Ermangelung ander⸗ weiter Verabredungen gilt als bedungen, daß die Caution in ganzer Höhe zur Deckung der Haftverbindlichkeit einzubehalten ist.
23) Uebertragbarkeit des Vertrages.
Ohne Zustimmung der Aufsichtsbehörde darf der Unterne 9 seine vertragsmäßligen Verpflichtungen nicht auf Andere übertragen.
Verfällt der Unternehmer vor Erfüllung des Vertrages in Konkurs, so ist diese Behörde berechtigt, den Vertrag mit dem Tage der Konkurseröffnung aufzuheben,
Bezüglich der in diesem Fall zu gewährenden Vergütung sowie der Gewährung von Abschlagszahlungen finden die Bestimmungen in 10 sinngemäße Anwendung.
Für den Fall, daß der Unternehmer mit Tode abgehen sollte, bevor der Vertrag vollständig erfüllt ist, hat die Behörde die Wahl, ob sie das Vertragsverhältniß mit den Erben desselben fortsetzen oder dasselbe als aufgelöst betrachten will. “
24) Gerichtsstand.
Für die aus dem Vertrag entspringenden Rechtsstreitigkeiten hat der Unternehmer — unbeschadet der in 25 vorgesehenen Zuständigkeit eines Schiedsgerichts — bei dem für den Ort der Bauausführung zuständigen Gericht Recht zu nehmen. b
25) Schiedsgericht.
Streitigkeiten über die durch den Vertrag begründeten Rechte und Pflichten, sowie über die Ausführung des Vertrages sind zunächst der Aufsichtsbehörde zur Entscheidung vorzulegen.
Die Entscheidung dieser Behörde gilt als anerkannt, falls der Unternehmer, welcher in der Entscheidung hierauf ausdrücklich hin⸗ zuweisen ist, nicht binnen vier Wochen vom Tage der Zustellung der⸗ selben der Behörde anzeigt, daß er auf schiedsrichterliche Entscheidung antrage. Die Fortführung der Bauarbeiten nach Maßgabe der von der Behörde getroffenen Anordnungen darf durch Anrufung eines Schiedsgerichts nicht aufgehalten werden. Die letztere ist ausgeschlossen, wenn Leistungen vom Garnison⸗Banbeamten den Bedingungen nicht entsprechend gefunden werden.
Auf das schiedsrichterliche Verfahren finden die Vorschriften der Deutschen Civilprozeßordnung vom 30. Januar 1877 §H§ 851 —872 Anwendung.
Falls über die Bildung des Schiedsgerichts durch die besonderen Vertragsbedingungen abweichende Vorschriften nicht getroffen sind, ernennen die Behörde und der Unternehmer je einen Schieddrichter. Dieselben sollen nicht gewählt werden aus der Zahl der unmittelbar Betheiligten oder derjenigen Beamten, zu deren Geschäftökreis die Angelegenheit gehört hat.
Wenn die Schiedsrichter sich über einen gemeinsamen Schieds⸗ spruch nicht einigen können, wird das Schiedsgericht durch einen Obmann ergänzt. Derselbe wird von den Schiedsrichtern gewählt, oder, wenn diese sich nicht einigen können, von dem Militär⸗Inten danten eines benachbarten Corpsbezirks ernannt. 3
Der Obmann hat die weiteren Verhandlungen zu leiten und darüber zu befinden, ob und inwieweit eine Ergänzung der bis⸗
herigen Verhandlungen (Beweisaufnahme u. s. w.) stattzufinden hat. Die Entscheidung über den Streitgegenstand erfolgt dagegen nach Stimmenmehrheit. Bestehen in Beziehung auf Summen, über welche zu entscheiden ist, mehr als zwei so wird die für die größte Summe abgegebene Stimme der für die zunächst geringere ab⸗ gegebenen hinzugerechnet. 1
Ueber die Tragung der Kosten des schiedsrichterlichen Verfahrens
entscheidet das Schiedsgericht nach billigem Ermessen. Wird der Schiedsspruch in den im § 867 der Eivilprozeßordnung bezeichneten Fällen aufgehoben, so hat die Entscheidung des Streitfalls im ordentlichen Rechtswege zu erfolgen. 26) Kosten und Stempel.
Briefe und Depeschen, welche den Abschluß und die Ausführung des Vertrages betreffen, werden beiderseits frankirt.
Die Portokoften für solche Geld⸗ und sonstigen Sendungen, welche im ausschließlichen Interesse des Unternehmers erfolgen, trägt der letztere.
Die Kosten des Vertragsstempels trägt der Unternehmer nach Maßgabe der gesetzlichen ö
Die übrigen Kosten des Vertragsabschlusses, d. h. der baaren Auslagen, fallen jedem Theil zur Hälste zur Last.
Bestimmungen für die Bewerbung um Leistungen für Garnisonbauten. 1) Persönliche Leistungsfähigkeit der Bewerber. Bei der Vergebung von Leistungen für Garnisonbauten hat niemand Aussicht als Unternehmer angenommen zu werden, der nicht für die tüchtige, üattlice und vollständige Ausführung derselben — auch in technischer Hinsicht — die erforderliche Sicherheit bietet.
2) Einsicht und Bezug der Verdingungsanschläge. Verdingungsanschläge, Zeichnungen, Bedingungen sind an den in der Ausschreibung bezeichneten Stellen einzusehen, Abschriften, Nachrisse werden erforderlichenfalls auf Ersuchen gegen Erstattung der Selbstkosten verabfolgt. v“ 1
3) Form und Inhalt der Angebotee.
Die Angebote sind unter Benutzung der etwa vorgeschriebenen Formulare, von den Bewerbern unterschrieben, mit der in der Aus⸗ schreibung geforderten Ueberschrift versehen, versiegelt und frankirt bis zu dem angegebenen Termin einzureichen.
Die Ungebote müssen enthalten: .
a. die ausdrückliche Erklärung, daß der Bewerber sich den Be⸗ dingungen, welche der Ausschreibung zu Grunde gelegt sind, unter⸗ wirft; 1 die Angabe der geforderten Preise nach Reichswährung, und zwar sowohl die Angabe der Preise für die Einheiten, als auch die Gesammtforderung; stimmt die Gesammtforderung mit den Einheits⸗ preisen nicht überein, so follen die letzteren maßgebend sein, — wenn Angebote nach Procenten der Anschlagssumme verlangt sind — diese Angebote; 3
c. die genaue Bezeichnung und Adresse des Bewerbers;
d. seitens gemeinschaftlich bietender Personen die Erklärung daß sie sich für das Angebot solidarisch verbindlich machen, und die Be⸗ zeichnung eines zur Geschäftsführung und zur Empfangnahme der Zahlungen Bevollmächtigten; letzteres Erforderniß gilt auch für die Gebote von Gesellschaften; .“
e. nähere Angaben über die Bezeichnung der etwa mit ein⸗ gereichten Proben. Die Proben selbst ebenfalls vor dem Bietungstermin eingesandt und derartig bezeichnet sein, daß sich ohne weiteres erkennen läßt, zu welchem Angebot sie gehören;
f. die etwa vorgeschriebenen Angaben über die Bezugsquellen.
Angebote, welche diesen Vorschriften nicht entsprechen, insbesondere solche, welche bis zu der festgesetzten Terminsstunde bei der Behörde nicht eingegangen sind, welche bezüglich des Gegenstandes von der Ausschreibung selbst abweichen, oder das Gebot an Sonderbedingungen knüpfen, haben keine Aussicht auf Berücksichtigung. I“
Es sollen indessen solche Angebote nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein, in welchen der Bewerber erklärt, sich nur während einer kürzeren, als der in der Ausschreibung angegebenen Zuschlagsfrist an sein Angebot gebunden halten zu wollen.
4) Wirkung des Angebots.
Die Bewerber bleiben von dem Eintreffen des Angebots bei der ausschreibenden Behörde bis zum Ablauf der festgesetzten Zuschlags⸗ frist bezw. der von ihnen bezeichneten kürzeren Frist (Nr. 3 letzter Absatz) an ihre Angebote gebunden.
Die Bewerber unterwerfen sich mit Abgabe des Angebots in Bezug auf alle für sie daraus entstehenden Verbindlichkeiten der Gerichtsbarkeit des Orts, an welchem die ausschreibende Behörde ihren Sitz hat.
5) Zulassung zum Eröffnungsterm in.
Den Bewerbern und deren Bevollmächtigten steht der Zutritt zu dem Eröffnungstermin frei. Eine Veröffentlichung der abge⸗ gebenen Gebote ist nicht gestattet.
6) Ertheilung des Zuschlags.
Der Zuschlag wird von dem ausschreibenden Beamten, oder von der ausschreibenden Behörde, oder von einer dieser übergeordneten Behörde entweder im Eröffnungstermin durch von dem gewählten Unternehmer mit zu vollziehende Verhandlung, oder durch besondere schriftliche Benachrichtigung ertheilt. 1
Letzterenfalls ist derselbe mit bindender Kraft erfolgt, wenn die Benachrichtigung innerhalb der Zuschlagsfrist als Depesche oder Brief dem Telegraphen⸗ oder Postamt zur Beförderung an die in dem An⸗ gebot bezeichnete Adresse übergeben worden ist. 8
Trifft die Benachrichtigung trotz rechtzeitiger Absendung erst nach demjenigen Zeitpunkt bei dem Einofimen ein, für welchen dieser bei ordnungsmäßiger Beförderung den Eingang eines rechtzeitig abgesandten Briefes erwarten darf, so ist der Empfänger an sein Angebot nicht mehr gebunden, falls er ohne Verzug nach dem verspäteten Einfreffen der Zuschlagserklärung von seinem Rücktritt L“ hat.
Nachricht an diejenigen Bewerber, welche den Zuschlag nicht er⸗ halten, wird nur dann ertheilt, wenn dieselben bei Einreichung des Angebots unter Beifügung des erforderlichen Briefgeldbetrages einen desfallsigen Wunsch zu erkennen gegeben haben. Proben werden nur dann zurückgegeben, wenn dies in dem Angebotsschreiben ausdrücklich verlangt wird, und erfolgt alsdann die Rücksendung auf Kosten des betreffenden Bewerbers. Eine Rückgabe findet im Falle der Annahme des Angebots nicht statt; ebenso kann im Falle der Ablehnung desselben die Rückgabe insoweit nicht verlangt werden, als die Proben bei den Prüfungen verbraucht sind.
Eingereichte Entwürfe werden auf Verlangen zurückgegeben.
Den Empfang des Zuschlagschreibens hat der Unternehmer um⸗ gehend schriftlich zu bestätigen.
7) Vertragsabschluß.
Der Bewerber, welcher den Zuschlag erhält, ist verpflichtet, auf Erfordern über den durch die Ertheilung des Zuschlags zu stande ge⸗ kommenen Vertrag eine schriftliche Urkunde zu vollziehen, welche jedoch nur die Bedeutung eines Beweismittels hat, sodaß von ihrer Er⸗ richtung der Beginn der Rechte und Pflichten aus dem Vertrage nicht bedingt wird.
Sofern die Unterschrift des Bewerbers der Behörde nicht bekannt ist, bleibt vorbehalten, eine Beglaubigung derselben zu verlangen.
Die der Ausschreibung zu Grunde liegenden Verdingungs⸗ anschläge, Zeichnungen, welche bereits durch das Angebot anerkannt sind, hat der Bewerber bei Abschluß des Vertrages mit zu unter⸗ zeichnen.
8) Sicherheitsstellung (Caution).
Wenn nichts Anderes durch die Ausschreibung bestimmt ist, hat der Unternehmer innerhalb acht Tagen nach der Ertheilung des Zuschlags die vorgeschriebene Caution zu bestellen, widrigenfalls die Behörde befugt ist, von dem Vertrage zurückzutreten und Schadensersatz zu beanspruchen.
9) Kosten der Ausschreibung.
Zu den durch die Ausschreibung selbst entstehenden Kosten hat der Unternehmer nicht beizutragen.
Vorstehendes wird erneut zur öffentlichen Kenntniß gebracht. Die Ziffern 7, 8, 9, 13, 22, 23 und 25 der Bedingungen und die Ziffer 7 der Bestimmungen sind gegenüber den früheren Veröffentlichungen abgeändert worden. Berlin, den 14. Februar 1893.
Intendantur des Garde⸗Corps.
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 10. Sitzung vom 25. Februar. Fortsetzung der zweiten Berathung des
Staats⸗ haushalts⸗Etats für 1893/94.
Ueber den ersten Theil der Sitzung, worin die Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen ꝛc. An⸗ gelegenheiten zu Ende geführt wird, ist bereits in der Nummer vom Sonnabend berichtet worden. Wir tragen hier nur noch die Reden des Ministers der geistlichen ꝛc. Angelegen⸗ heiten Dr. Bosse auf die an ihn gerichteten Anfragen der Abgg. Jerusalem und Tschocke im Wortlaut nach.
Dem Abg. Jerusalem (Centr.), der fragte, wie weit die Medizinalreform gediehen sei, erwiderte der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Der Gedanke einer organischen Reform der
Medizinalverwaltung — ich kann wohl sagen — an Haupt und
Gliedern, also einschließlich der Frage einer Abzweigung der Medizinal⸗ verwaltung vom Cultus⸗Ministerium, namentlich aber der Gedanke einer Reform der Medizinalverwaltung in ihren örtlichen Organen, den Kreisphysikern, ist seit Jahren im Cultus⸗Ministerium erwogen worden. Als ich in mein jetziges Amt eintrat, habe ich die Frage bereits in Fluß vorgefunden. Sie ist gewisserweise ein Schmerzenz⸗ ind des Cultus⸗Ministeriums. Auch für sie gilt, wie in so vielen Dingen meines Ressorts, der Satz: am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles. Aber Sie wissen alle, wie schwierig es unserer jetzigen Finanzlage gegenüber ist, erhebliche Mittel für an sich höchst wünschenswerthe Zwecke flüssig zu machen. Ich habe die Pflicht, und darin wird das hohe Haus mit mir einverstanden sein — auch meinerseits von vornherein Rücksicht auf das zu nehmen, was der Herr Finanz⸗Minister unter den jetzigen Umständen thun kann. Natürlich dürfen dadurch die Dinge selbst nicht wesentlich geschädigt werden. Und zu den dringenden Anträgen, mit welchen ich an die Finanzverwaltung herantrete, gehört auch die Frage einer Reform der Medizinalverwaltung. Meine Herren, im treten der Cholera ganz wie weit wir mit unseren
vorigen Jahre wies uns das Auf⸗ besonders darauf hin, zu erwägen, jetzigen Ortsorganen der Medizinal⸗ verwaltung den bedeutsamen Anforderungen, die an sie ge⸗ stellt werden, gerecht werden können. Die Antwort darauf konnte nicht zweifelhaft sein, daß für die abwehrenden Maßnahmen, zu denen wir verpflichtet waren, unsere Organe nicht voll ausreichen. Man hat mir gesagt, das wäre doch eigentlich ein recht beschämendes Ergebniß unserer Einrichtungen, und das ist bis zu einem gewissen Grade auch richtig. Auf der andern Seite aber muß ich hervorheben, daß die Organe unserer Medizinalverwaltung, namentlich auch die Ortsorgane sich mit einer Umsicht, Hingebung und Pflichttreue den ihnen gestellten schwierigen Aufgaben unterzogen haben, die vollste Anerkennung ver⸗ dienen. Es ist uns. in Preußen gelungen, wobei ich der außerordent⸗ lich entgegenkommenden Hilfe der Militärverwaltung dankend gedenken darf, im großen und ganzen die Cholera, wo sie sich zeigte, zu localisiren. Das ist ein großer Erfolg, den wir früher nicht erreicht haben, und der offenbar zusammenhängt mit dem Stande der bakteriologischen Forschung. Ueber diese Frage werden die Herren noch in einer besonderen Denkschrift Auskunft erhalten; ich werde heute darauf nicht näher eingehen. . Was unsere Physiker anlangt, so muß sich ja jedermann die Frage aufdrängen: wie kann man von Leuten, die mit einem nicht pensions⸗ fähigen Einkommen von 900 ℳ jährlich angestellt sind, angesichts der täglich wachsenden Aufgaben der prophylaktischen Medizinalverwaltung verlangen, daß sie allen Anforderungen ihres schwierigen und um⸗ fassenden Amts gerecht werden? Nun, meine Herren, die Frage hat sich auch die Medizinalverwaltung in der Centralinstanz längst vor⸗ gelegt. Aber so ganz einfach ist sie doch nicht zu entscheiden. Denn unsere Physiker sind nicht ausschließlich auf das Gehalt von 900 ℳ angewiesen; sie beziehen daneben für gewisse Amtshandlungen Gebühren, und diese sind in den verschiedenen Kreisen, ebenso wie Umfang und Art der Amtsgeschäfte selbst, ganz außerordentlich verschieden. Hier wird sich ein Ausgleich nicht leicht finden lassen. Dazu kommt die schwierige Frage, die ja auch der Herr Vorredner bereits berührt hat: wie weit sollen die Physiker ihre Praxis beibehalten dürfen und wie bisher auf ihre Praxis angewiesen sein? „Einerseits ist es wohl zweifellos, daß angesichts der oft sehr dringenden, sehr weitreichenden, sehr verantwortungsvollen Aufgaben, welche die amt⸗ liche Stellung den Kreisphysikern auferlegt, die Privatpraxis — ich will mich nur ganz milde ausdrücken — hindernd sein kann und letztere wohl auch die Stellung zu den nicht beamteten Aerzten mitunter in un⸗ erwünschter Weise erschwert. Andererseits hat die Privatpraxis auch wieder ihre Vorzüge, selbst nach der amtlichen Seite hin; sie erhält die Physiker in Zusammeuhang mit der praktischen Medizin, giebt ihnen eine engere Fühlung mit den Bedürfnissen des praktischen Lebens, ihnen mehr Gelegenheit, Einblick in die örtlichen Zustände und in die Lebensverhältnisse der Kreiseinwohner zu nehmen, sowie die dabei gesammelten Erfahrungen fruchtbringend zu verwerthen, als wemn sie ausschließlich auf die unmittelbaren Aufgaben ihres Amt beschränkt wären. Ich will alle diese Bedenken nur an gedeutet haben. Aber ich erkenne an, wie die Sache jetzt ist, wird s schwerlich auf die Dauer weitergehen. Ich habe auch sofort angesichte der Gefahr, die, wie erwähnt, im vorigen Jahr hervorgetreten it mich aufs neue und sehr dringend mit dem Herrn Finan⸗ Minister in Verbindung gesetzt. Es hat das den Erfolg gehabt, daß zunächst neue Ermittelungen angestellt worden sind über die jetzige Lage der Physiker, ihr Gehalt, ihre Be⸗ züge aus Amtsgeschäften und ihre Nebeneinnahmen als Impf⸗ ärzte, als Aerzte bei Krankenhäusern, Gefängnissen u. s. w. Die Ermittelungen sind noch nicht abgeschlossen; unmittelbar nach ihrem Abschluß werde ich die Frage weiter verfolgen und Vorschläge machen, wie die Organisation des Physikats künftig zu gestalten seir wird. Ganz leicht ist die Sache nicht; denn es handelt sich nicht blof um die Gehaltsfrage; es handelt sich dabei auch um die ganze Stellung der Physiker, um die Abgrenzung ihrer Obliegenheiten und Befugnisse, um Einreihung in die Organe der Verwaltung, die für die Gesundheitspflege zu sorgen haben. Also ich kann zur Zeit nicht ein bestimmtes Versprechen abgeben; ich kann nicht sagen: bis zu dem oder jenem bestimmten Zeitpunkte wird die Organisation fertig sein. Ich kann nur sagen: Seien Sie überzeugt, daß die Verhältnisse selbst uns drängen, und haben Sie das Vertrauen, daß wir den Ernst der Verhältnisse anerkennen und daß wir die Sache mit allem Ernst und mit aller Energie in die Wege leiten. Allerdings ist es ja auffallend, und mir persönlich ist es sehr auf⸗ fallend gewesen, ein wie großer Andrang auch unter den jetzigen ungünstigen Besoldungsverhältnissen zu jeder erledigten Phpysitats⸗ stelle bei uns stattfindet, und wie sehr die Aerzte sich auch zu der kleinen Einnahme aus dem Physikat drängen. In wie weit dies auf die ungünstigen Einnahmeverhältnisse der Aerzte über⸗ haupt zurückzuführen ist, will ich hier nicht weiter erörtern. Hervorheben muß ich aber, daß die Klagen über die im Verhältniß zu der Arbeitslast ungenügende Besoldung allgemein sind, und daß in nicht seltenen Fällen bald nach der Anstellung die Kreisphysiker auf ihr Amt verzichten oder Versetzung in ein besseres Physikat verlangen. Endlich fühle ich mich verpflichtet, ausdrücklich anzuerkennen, daß un⸗ geachtet dieser vielfach unzulänglichen Besoldung und ungeachtet der mannigfach verbesserungsbedürftigen Stellung dieser Beamten unsere Physiker Tüchtiges geleistet haben, daß sie mit einer Hingabe, mit
Handelskammern
einer Treue, mit einer Aufopferung die Geschäfte, die ihnen von amts⸗ wegen aufgetragen werden, erledigen, die ich nicht genug rühmen kann. Meine Herren, wir sind uns der großen Aufgabe, die wir auf diesem Gebiete haben, vollständig bewußt, und ich hoffe, demnächst in der Lage zu sein, dem hohen Hausce eine Vorlage in der Angelegenheit machen zu können. Jedenfalls kann die Frage nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden. (Beifall.) .
Auf die Anfrage des Abg. Tschocke (nl.) über eine anderweitige Regelung der Ferienordnung entgegnete der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. B osse:
Meine Herren! Auf die Lage des Friedrichs⸗Gymnasiums brauche ich wohl nach den freundlichen Worten des Herrn Vorredners nicht näher einzugehen. Ich hoffe, daß diese Bewilligung erfolgen wird.
Was die Ferienfrage anlangt, so fand ich, als ich in das Mi⸗ nisterium eintrat, eine Reihe von Anregungen vor, die Ferien an den höheren Unterrichtsanstalten zu verlegen, womöglich in den August hinein und zwar an das Ende dieses Monats. Die Anregungen waren sehr verschieden begründet, theils mit dem Interesse der Eltern, theils
mit dem Interesse der Kinder, und ich war sehr geneigt, für dieses.
Jahr wenigstens einen Versuch zu machen. Da aber jede Aenderung tief in den Unterrichtsbetrieb eingreift, so erforderte ich zunächst gut⸗ achtliche Berichte der Provinzial⸗Schulcollegien. Die Berichte gehen vollständig auseinander. In der einen Provinz ist man dafür, in der anderen hält man den Versuch für möglich, in der dritten für außer⸗ ordentlich schädlich. Außerdem ist mir noch eine Menge anderes Material zu dieser Frage zugegangen: theils von Eltern, theils von Lehrercollegien, theils von Gastwirthen in den Sommerfrischen, theils von Badeverwaltungen und anderen mehr. Ich habe einen ganzen Berg von Acten über die Ferienfrage; und da es wünschenswerthwar, wenigstens für dieses Jahr bald zu einer Entscheidung zu kommen, so habe ich zunächst davon Abstand genommen, in den bestehenden Zustand wesentlich ein⸗ zugreifen, und habe den Anfang der Ferien für dieses Jahr auf den 14. Juli festgesetzt, das ist acht Tage später, als gewöhnlich. Aber es ist doch keine wesentliche Veränderung; und man scheint, soweit ich bis jetzt Urtheile darüber zu Ohren bekommen habe, ganz zufrieden mit dieser Bestimmung zu sein. Vor ihrer endgültigen Entscheidung aber muß die Frage der Ferienverlegung an der Hand des ein⸗ gegangenen Materials nochmals eingehend geprüft werden; denn sie hängt in der That mit sehr wichtigen Fragen des Unterrichtsbetriebes zusammen. Die Vorschläge von sachverständiger Seite gehen zum theil außerordentlich weit auseinander. So wird von einer Seite die Ver⸗ legung der Ferien an den Schluß des Sommersemesters gewünscht. Dieser Vorschlag hat außerordentlich viel für sich. Andererseits würde die Aenderung der ganzen Semestereintheilung tief hineingreifen in den Unterrichtsbetrieb der Universitäten. Kurz, die Ferienfrage bedarf so vielseitiger Erwägungen, daß ich zu ihrer Lösung bisher noch nicht die Zeit gefunden habe; sie wird aber eingehend geprüft werden, und da sie tief in die Verhältnisse der Bevölkerung eingreift, so werde ich Gelegenheit nehmen, vielleicht im nächsten Jahre, Ihnen mitzutheilen, zu welcher Entscheidung wir kommen.
Es folgt der Etat des Ministeriums für Handel und Gewerbe.
Bei Tit. 1: Gehalt des Ministers, kommt
Abg. Pleß (Centr.) auf die vorjährigen Verhandlungen zurück, bei denen der Minister die Einrichtung von Handwerkerkammern in . 8 1 42½ 1. 84 ; Aussicht gestellt habe. Bisher sei das Versprechen aber noch nicht
erfüllt worden, während der Handel längst seine Handelskammern
habe, und es würden sogar die Handwerker gezwungen, zu diesen beizutragen, wenn sie einen gewissen Satz von Gewerbesteuer zahlten. Der Staat mache den Handwerkern Con⸗ currenz durch die Gefängnißarbeit, aber die Wünsche der Handwerker erfülle er nicht. Der Reichstag habe den Befähigungsnachweis für Handwerker gutgeheißen; aber die Negierung gewähre ihn nicht, trotz⸗ dem sie für ihre Beamten, für Rechtsanwalte u. s. w. den Be⸗ fähigungsnachweis vorschreibe. Die Regierung sei garnicht be⸗ strebt, ie Meinung der Handwerker kennen zu lernen. Warum gebe man ihnen denn nicht eine eigene Vertretung? Der Minister würde dann die Wünsche kennen lernen. Die Handwerker⸗ kammern dürften aber nicht die Mitglieder des kleinen Handels in sich aufnehmen. Die Handwerker hätten das Recht, sich zu vereinigen. Die Innungen könnten alles thun, was Geld und Mühe koste; aber Rechte hätten die Innungen nicht. Die Entscheidungen der einzelnen Behörden seien eine wahre Musterkarte. Der Regierungs⸗Präsident von Düsseldorf, der ja dem Minister bekannt sein dürfte, habe sich durch seine Entscheidung den Dank der Handwerker erworben.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr Berlepsch:
Ich glaube mich in Uebereinstimmung mit dem Herrn Vorredner u befinden, wenn ich die weitgehenden Fragen, die er in seiner Rede angeregt hat, nicht eingehend behandle. Es vergeht kaum eine Session n diesem hohen Hause wie im Reichstage — noch die letzte Zeit hat uns den Beweis gebracht —, wo die Handwerkerfrage nicht ihre Rolle pielt; ich würde nicht in der Lage sein, etwas wesentlich Neues aus⸗ zusprechen, wenn ich auf den Befähigungsnachweis heute näher ein⸗ gehen wollte. Ich werde mich daher darauf beschränken, dem Herrn Vorredner nur auf einige Bemerkungen zu antworten.
Er hat unter anderm auch von der Organisation des Handwerks gesprochen und bemerkt, daß man vor der Befürchtung stände, daß die Staatsregierung die Absicht habe, eine Reorganisation des Hand⸗ werks zu schaffen, die als eine solche nicht anzusehen sei, die wesentlich auch aus Mitgliedern der kleineren Handelsstände bestehen würde. Diese Absicht liegt nicht vor. Ich bin persönlich der Meinung — die Meinung der Staatsregierung und besonders des Bundesraths bleibt dabei vorbehalten ich bin persönlich der Meinung, daß, wenn man zu einer corporativen Organisation des Handwerks übergeht, man besser thut, dieselbe auf den Handwerker allein zu beschränken und nicht andere Erwerbsstände in diese Organisation mit hineinzuziehen.
Im übrigen erfülle ich die Erwartung des Herrn Vorredners und versichere, daß ich in der That durchaus von dem größten Wohl⸗ wollen für das Handwerk durchdrungen bin und mich in dieser Be⸗ ziehung in keiner Weise von dem früheren Regierungs⸗Präsidenten von Düsseldorf unterscheide.
Abg. Graf Strachwitz (Centr.) befürwortet eine Petition der Handelskammer von Oppeln, für die Fortbildungsschulen mehr Mittel in den Etat einzustellen, weil sonst diese Schulen von den kleinen Städten Oberschlesiens kaum aufrecht erhalten werden könnten.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr Berlepsch:
Meine Herren! Die Wünsche der Handelskammer in Oppeln sind die Wünsche einer großen Anzahl anderer Handelskammern im Lande. Ich halte sie für berechtigt, glaube aber, daß die Erörterung der Frage der Fachschulen für den Handelsstand sich besser bei der be⸗ treffenden Position des Etats vollzichen wird. Es wird sonst laum
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zu vermeiden sein, daß wir diese selben Fragen zweimal zur Erörterung bringen.
Vorläufig gestatte ich mir nur die kurze Bemerkung, daß die Neigung der Handels⸗ und Gewerbeverwaltung, das Fachschulwesen des Handelsstandes nicht nur in demselben Maße zu unterstützen, wie bisher, sondern ihm noch mehr Mittel zuzuwenden, durchaus vorhanden ist. Die Herren werden aber aus den Verhandlungen der Budget⸗ commission, soweit sie daran theilgenommen haben, erfahren haben, daß die gegenwärtige Finanzlage uns leider in unseren Wünschen außerordentlich eingeschränkt hat. Wir können deshalb leider zur Zeit nichts thun.
Abg. Rickert (dfr.): Wenn ein Handwerker in das Handels⸗ register eingetragen ist, wird er als Kaufmann behandelt und muß auch für die Handelskammer Beiträge zahlen. Wenn die Hand⸗ werker die Handwerkerkammern haben wollen, dann mögen sie sie haben. Aber wie soll es gemacht werden, daß neben den Hand⸗ werkerkammern die Innungen in poller Geltung bestehen bleiben? Darüber müßte der Abg. Pleß doch eingehendere Vorschläge machen. Daß der Handwerkerstand zu Grunde geht, wie die Socialdemo⸗ kraten behaupten, ist durchaus nicht wahr. Es liegt noch eine große Kraft in unserem Handwerkerstande. Aber der Staat allein kann nicht helfen. Wir wollen sonst alles geben, was mit den modernen Verhältnissen verträglich ist. “ 81
Abg. Pleß (Centr.): Wir wollen keine Staatshilfe, wir wollen uns auf eigene Kraft verlassen; dazu soll man uns eine Organisation geben. b 3
Der Titel wird genehmigt.
Zur Remuneration für Vorsitzende und stellvertretende Vorsitende der Schiedsgerichte für die Invaliden⸗ versicherung sind 223 000 ℳ ausgesetzt.
Abg. Dr. Friedberg (nl.) fragt, ob die Summe ausreichen
werde, und bittet um Auskunft, wie hoch die Remuneration im ein⸗ zelnen sein werde; man spreche davon, daß sie so niedrig sei, daß sie fast wie ein Trinkgeld aussehe. Unter. Staatssecretär Lohmann: Es handelt sich zunächst nur um einen Versuch. Die Remunerationen sollen nach der Zahl der Be⸗ rufungen an die Schiedsgerichte vertheilt werden. Es ist möglich, daß einzelne der Vorsitzenden nicht befriedigt sind. Die Sache wird erst später endgültig geordnet werden können.
Der Titel wird bewilligt.
Es folgt das Kapitel: wesen. 8 1
Abg. von Schenckendorff (nl.): Wir sind von der Budget⸗ commission sonst große Sparsamkeit gewöhnt; aber in ihren Verhandlungen hat man anerkannt, daß es sich auf diesem Gebiet um einen Nothstand handele. Wir sind zu einer wirthschaft⸗ lichen Entwicklung, aber noch nicht zu einer wirthschaftlichen Er⸗ ziehung gekommen. Wenn auch in dem jetzigen Etat 48 000 ℳ ausgeworfen sind, so muß doch bemerkt werden, daß für die Baugewerk⸗ schulen in Königsberg, Posen und Idstein 33 000 ℳ erforderlich sind; ferner über 8000 ℳ für die Fachschule in Dortmund, sodaß für die übrigen Fachschulen nur etwas über 6000 ℳ bleiben. Die Dentschrift, die wir 1891 erhalten haben, zeigt, wie viel Lücken wir auf diesem Gebiet haben; es fehlt sogar an einer regelmäßigen Beaufsichtigung der Fortbildungs⸗ und Fachschulen. Die Aufsicht kann nicht Kreis⸗ Schulinspectoren übertragen werden; die geborenen Aufsichtsbeamten sind die Directoren der Staatswerkstätten, die ein Verständniß für diese Dinge haben. Gegenüber England, Amerika und selbst gegen Oesterreich, und im Deutschen Reich gegen Baden und Württemberg sind wir sehr erheblich im Rückstande geblieben. Wir müssen jetzt ernstlich daran denken, unsere gewerblichen Erziehungen besser zu regeln.
Minister für Berlepsch:
Meine Herren! Die Handels⸗ und Gewerbeverwaltung befindet sich bei Berathung ihres Etats, soweit das Fach⸗ und Fortbildungs⸗ schulwesen in Frage kommt, in einer fast verzweifelten Lage, — ich spreche das offen aus, weil ich weiß, daß diese meine Auffassung in diesem Hause nicht mißverstanden werden wird — verzweifelt, weil wir Aufgaben nicht erfüllen können, deren Erfüllung wir für dringend nothwendig halten. Auch die Budgeteommission hat sich ja auf das allerentschiedenste auf den Standpunkt gestellt, daß eine sorgfältige Pflege des Fach⸗ und Fortbildungsschulwesens eine unerläß⸗ liche Pflicht des Staats ist. Die Budgetcommission hat ihr Bedauern ausgesprochen, daß die Finanzlage des Staats zur Zeit eine erhöhte Ausgabe nicht zuläßt, und sie hat die Erwartung ausgesprochen, daß, sobald die Finanzlage sich bessert, in erster Linie die Ausgaben für den Fach⸗ und Fortbildungsschulunterricht in unserem Staate mehr Berücksichtigung finden würden, als es leider in diesem Jahr möglich gewesen ist. Der Herr Vorredner hat einzelne be⸗ sondere Momente, die seiner Meinung nach einer Verbesserung be⸗ dürfen, hervorgehoben. Er nahm Bezug auf die kaufmännischen Fachschulen, die Herr Graf Strachwitz vorhin schon erwähnt hat; und ich kann nur meine bolle Zustimmung dazu erklären, daß auch die kaufmännischen Fortbildungsschulen bei uns erhöhter Pflege bedürfen. In der That hat sich nun in den wenigen Orten, wo sich eine freigebige Hand gesunden hat, wo die Vertreter der kauf⸗ männischen Corporationen geneigt sind, selbst größere Mittel auf⸗ zuwenden, ein leiser Anfang kaufmännischen Fachunterrichts gefunden.
Gewerbliches Unterrichts⸗
Handel und Gewerbe Freiherr von
Die Vervollkommnung dieses Unterrichts hat aber für uns eine große
Bedeutung, weil unsere Beziehungen zum Ausland von Jahr zu Jahr sich vergrößern, ausdehnen, vermehren Es ist eine bekannte Thatsache, daß der deutsche Kaufmann vermöge seiner Kenntnisse und seiner Geschicklichkeit heute schon in vielen Fällen einen Vorsprung vor den kaufmännischen Agenten anderer Länder hat. Diesen Vortheil gilt es zu bewahren und zu vergrößern.
Der Herr Vorredner hat ferner erwähnt, daß seiner Meinung nach eine Vermehrung und Verbesserung der Beaufsichtigung der Fort⸗ bildungs⸗ und Fachschulen nothwendig sei. Auch in dieser Beziehung bin ich mit ihm einverstanden; ich bin der Meinung, daß es richtiger ist, für das Fach ausgebildete Persönlichkeiten mit der Beaufsichtigung der technischen Schulen zu beauftragen und nicht auf die Kreis⸗Schul⸗ inspectoren zu recurriren. Allerdings wird der Staatsregierung, solange ihr nicht Mittel zur Verfügung gestellt werden, um diese technischen Personen zu besolden, nichts weiter übrig bleiben, als auf die Kreis⸗Schulinspectoren zu recurriren, die ja auch bereits in der Beaufsichtigung der Fach⸗ und Fortbildungsschulen Verwendung finden, und ich kann nur dankbar anerkennen, daß sie sich alle Mühe geben, um den ihnen gestellten Aufgaben neben ihren sonstigen viel⸗ fachen Aufgaben gerecht zu werden.
Wenn ich nun auch in diesen beiden Punkten mit dem Herrn Vor⸗ redner vollständig übereinstimme, so glaube ich allerdings, daß, wenn wir dazu gelangen werden, über mehr Mittel zu verfügen, als das bisher der Fall ist, vielleicht doch andere Aufgaben des Fach⸗ und Fortbildungs⸗ schulwesens diesen beiden voranzustellen sind. Mir scheint es die Pflicht der Staatsregierung zu sein, zunächst das, was sie hat, mög⸗ lichst auszubauen und zu vervollkommnen und erst dann an einen
weiteren Fortgang zu denken;
und da bin ich der Meinung, daß es vor allen Dingen eine dringende Aufgabe der Staatsregierung ist, die augenblicklich ganz unzulänglichen Gehälter der Fachschullehrer auf eine Höhe zu bringen, die es uns ermöglicht, auch die geeigneten Kräfte für den Unterricht zu gewinnen. Die zweite nächstliegende Aufgabe ist meines Erachtens die, diesen so besser bezahlten Beamten auch eine Pension zuzusichern für den Fall, daß sie nicht mehr im stande sind, ihren Ver⸗ pflichtungen als Lehrer nachzukommen. Wir sind augenblicklich in einer traurigen Lage: infolge der ungenügenden Besoldung, die wir den betreffenden Candidaten anbieten können, infolge der schlechten oder vielmehr ganz fehlenden Aussicht auf Pension sind wir nicht in der Lage, die geeigneten Kräfte für den Fachschulunterricht zu gewinnen. Es liegt ja auf der Hand, daß diejenigen Personen, die wir dazu gebrauchen können, wie z. B. die geprüften Baumeister, nur dann sich entschließen, in diese Carribre überzugehen und eine andere gewinnbringende Be⸗ schäftigung aufzugeben, wenn ihnen ein annäherndes Aequivalent dafür zugesichert wird. Dieses Aequivalent können wir ihnen heute nicht zusichern, und deshalb befinden wir uns in einer ständigen beängstigenden Noth, sobald es sich darum handelt, einen Lehrer für eine Fachschule aus den geeigneten Kreisen zu gewinnen.
Die Bedeutung dieses Unterrichts sämmtlichen Herren Vorrednern hervorgehoben worden. ich habe es nicht nöthig, zu versichern, daß auch im Ressort der Handels⸗ und Gewerbeverwaltung die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit dieses Unterrichts im allerhöchsten Maße vor⸗ handen ist. Ich scheue mich nicht, die Ueberzeugung auszus örechen, daß, wenn wirklich der preußische Staat genöthigt würde, mehrere Jahre hintereinander den Fach⸗ und Fortbildungsunterricht so knapp zu dotiren, wie die augenblicklichen Finanzverhältnisse es erfordern, eine höchst bedenkliche Schädigung unserer allgemeinen staatlichen Interessen eintreten würde. Es kann nicht ausbleiben, daß wir dann nicht nur auf dem Standpunkt stehen bleiben, auf dem wir sind, sondern zurück⸗ gehen. In diesen Fragen bedeutet jedes Jahr Stillstand einen Rück⸗ schritt. Das geht schon aus der Erwägung hervor, daß die Zahl der Schüler, die alljährlich für die Aufnahme in diese Schulen vorhanden sind, alle Jahre größer wird. Wenn wir in einem Jahre nicht mehr aufwenden können wie in dem vorhergehenden, so liegt darin aus⸗ gesprochenermaßen ein Rückschritt.
Ich will ferner daran erinnern, wieviel schwieriger sich von Jahr zu Jahr unsere Exportverhältnisse nach dem Auslande gestalten. Wir können nur dann erwarten, unseren Export zu erhalten und weiter auszudehnen, wenn die technische Befähigung auch der in den Fa⸗ briken beschäftigten mittleren und unteren Beamten und Arbeiter stetig fortschreitend eine höhere und vollkommenere wird. Wir werden uns darauf gefaäßt machen müssen, daß mehr und mehr diejenigen Artikel, die dem großen Massenconsum dienen, nich mehr in dem Maße wie bisher Absatz im Auslande finden. Es voll⸗ zieht sich nach meiner Meinung von Jahr zu Jahr mehr der Umschwung dahin, daß das Ausland — herinnere besonders an Amerika — die Waaren, die für den Massenconsum bestimmt sind, selbst producirt, und daß diejenigen Länder, die Export nach solchen Ländern suchen, genöthigt sein werden, sich auf die Herstellung eines feineren Fabrikats zu legen. Das kann aber mit Erfolg nur dann geschehen, wenn unsere Ingenieure, unsere Werkmeister, unsere Vorarbeiter und unsere Arbeiter in den Fabriken selbst ihre technischen Fähigkeiten ver⸗ vollkommnen, und das können sie wiederum nur dann, wenn der Staat das Fach⸗ und Fortbildungsschulwesen in kräftiger Weise in die Hand nimmt und nach Möglichkeit dafür sorgt, daß jedes größere Gewerbe einen ausreichenden Fachunterricht hat, und daß außerdem in Fort⸗ bildungsschulen die allgemeine Ausbildung zum Gewerbebetrieb, namentlich durch Zeichenunterricht, in weitere Kreise getragen wird als es bisher möglich ist.
Ich möchte noch auf ein anderes Moment aufmerksam machen, was meines Erachtens die dringende Verpflichtung der Staatsregierung mit sich bringt, für diesen Unterricht mehr zu sorgen, als es bisher der Fall gewesen ist. Es ist eine mit Recht immer wieder betonte Klage, daß unter unsern jugendlichen Arbeitern eine immer mehr zunehmende Verrohung bemerkbar wird. Wohe kommt das? Das kommt sicher wenigstens mit daher, daß heute vom 14., 15. Lebensjahr an ein junger Mensch in die Fabrik tritt und dort bald einen Lohn von 1, 1 ½ und 2 ℳ bezieht. Er ist losgelöst von den Eltern, vom Elternhaus und jeder erziehenden Autorität. Wenn wir dann nicht wenigstens in der Lage sind, wöchentlich einige Stunden ihm Ordnung, Disciplin und geistig Beschäftigung zu bieten, so tragen wir mit die Schuld daran, wenun diese Verrohung immer mehr zunimmt. (Sehr richtig!) Wi müssen es diesen Erwägungen gegenüber auf das leb⸗ hafteste beklagen, daß wir nicht in der Lage sind, für das Fach⸗ und Fportbildungsschulwesen mehr zu thun, als es der vorliegende Etat bringt. Der Herr Finanz⸗Minister theilt dieses Bedauern mit mir. Ich habe mich aber, wie alle meine Herren Collegen, seinen Erwägungen fügen müssen, daß es für dieses Jahr nicht möglich sei, eine größere Summe für das Fach⸗ und Fort⸗ bildungsschulwesen in den Etat einzustellen. Ich theile mit Ihnen, meine Herren, die Hoffnung, daß im nächsten Jahre ein besseres Loos uns beschieden sein möge. (Bravo!) 3
Abg. Jürgensen (nl.) tritt an den Navigationsschulen mit den anstalten ein.
Abg. Wallbrecht (ul.) hält die Erhaltung des Bürgerstandes für nothwendig; man solle ihn schützen durch Unterdrüe ung des Hausirhandels u. s. w. Man köͤnne aber auch hier in Preußen etwas thun durch bessere Ausbildung der Handwerker und gewerblichen Ar⸗ beiter; denn nur wenn wir geschmackvoller und kunstvoller arbeiten, können wir unseren Export aufrechterhalten. Redner empfiehlt namentlich die Ausgestaltung der Baugewerkschule. Hoffentlich werde es gelingen, in den nächsten Etat größere Summen einzustellen.
Minister für Handel und Gewerde Freiherr von Berlepsch:
Den Herrn Vorredner darf ich wohl auf die allgemeinen Aus⸗ führungen, die ich vorher gethan habe, verweisen. Ich theile die Auf- fassung, daß es wünschenswerth ist, unsere Baugewerkschulen zu ver⸗ mehren. Das Nähere über meine diesdezüglichen Anschauungen finden Sie in der Druckschrift vom vorigen Jahre niedergelegt.
Dem Herrn Abg. Juürgensen möchte ich mir erlauben, ganz hurg zu erwidern, daß ich seiner Anregung, die Gehälter der Lehrer am den Navigationsschulen zu verbessern, und hwar sofort zu verbessern, mit der größten Freude folgen würde, wenn mir die Mittel dazu zu Gebeote ständen. (Heiterkeit.) Ich habe mir gestattet, hereits in voricen
im allgemeinen ist von den Ich glaube,
für die Gleichstellung der Lehrer S.r 5 3 eeg- Lehrern an den höheren Lehr⸗