—
Altona, in Wandsbek, in Harburg werden im allgemeinen wohl die höchsten Löhne bezahlt, die wir in Deutschland haben, jedenfalls höhere als hier in Berlin. Dasfelbe trifft für den größten Theil von Holstein zu. In Mecklenburg werden dagegen sehr niedrige Löhne bezahlt, auch seitens der Eisenbahnverwaltung.
Nun sind die Klagen, welche namentlich seitens der Landwirth⸗ schaft bereits seit mehreren Jahren hier im Hause erhoben werden und auch bei dem Minister vorgebracht sind, zum großen Theil darauf zurückzuführen, daß bei den Eisenbahnbauten die Unternehmer die Leute heranziehen müssen, wo sie sie bekommen können, und ge⸗ nöthigt sind, höhere Löhne zu zahlen, weil sie höhere An⸗ sprüche an die Leistungsfähigkeit dieser Leute stellen müssen. Die Ansprüche, welche die Eisenbahnverwaltung an die Streckenunterhaltungsarbeiter stellt, sind dagegen allerdings der Natur der Arbeit entsprechend in der Regel nicht gerade sehr hoch. Die Löhne sind aber auch dementsprechend niedrig. s sind der Staats⸗ eisenbahnverwaltung aus den Kreisen der Arbeiter und derer, die die Arbeiter glauben vertreten zu müssen, über die geringen Löhne dieser Arbeiter schon häufig sehr erregte Klagen zugegangen.
In der Budgetcommission ist meinerseits zugesagt, daß nicht nur die Lohnverhältnisse im Eisenbahn⸗Directionsbezirk Altona, sondern im ganzen Staatsbahnbezirk einer genauen Controle unterzogen werden sollen. Bezüglich Altonas sind die nöthigen Weisungen an die Direction ergangen. Ich bin aber zur Zeit noch nicht in der Lage, das Material vorzulegen.
Abg. Dr. Gerlich (freicons.) meint, man solle die Vorarbeiten schneller erledigen, damit die Unternehmer nicht gerade während der Zeit der Ernte die Arbeiter den Landwirthen wegnehmen.
Bei den Kosten der Züge weist
Abg. Broemel (dfr.) auf die Kohlenverkaufsvereinigung im Ruhr⸗ gebiet die mehr als die Hälfte der preußischen Kohlenproduction umfasse. Allerdings sollen die Kohlenpreise nur regulirt, nicht erhöht werden. Aber mit diesen Vorsätzen gehe es wie mit den Vor⸗ sätzen der Finanz⸗Minister; solche Regulirungen führten zu Erhöhungen. Der Leiter der Staatsbahnen werde sich demgegenüber wohl seiner Auf⸗ gabe bewußt sein. Aber es würde gut sein, wenn über seine Stellung von vornherein Klarheit geschaffen würde; wenn es feststände, daß die Staatseisenbahnverwaltung jeder unberechtigten Preiserhöhung im Interesse der Kohlenconsumenten entgegenzutreten bereit sei, als Wahrerin der Finanzinteressen des Staats und als Schützerin der wirthschaftlichen Verhältnisse. Hoffentlich werde die Verwaltung die Einfuhr fremder Kohlen durch Tarifermäßigungen erleichtern, wie die Marine sich fremde Kohlen verschafft habe, um den hohen inländischen Preisen sich zu entziehen.
Abg. von Tiedemann⸗Bomst (freicons.) glaubt, daß diese An⸗ gelegenheit mehr in die Berathungen über den Bergwerks⸗Etat ge⸗ höre, Wenn die ““ solche Luxuszüge, wie von Berlin nach Frankfurt (Main) und von Berlin über Hildesheim nach Köln, einrichte, dann sollte sie auch dafür sich mehr bezahlen lassen. Das Mehr von 1 ℳ reiche nicht aus; es müßten 3 ℳ, in der ersten Klasse vielleicht 5 ℳ erhoben werden.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Den Wünschen des Herrn Abg. von Tiedemann wird abgeholfen werden. (Heiterkeit.) Wenn für die Belegung und Benutzung der Plätze in den Durchgangswagen derartiger Züge nicht, wie der Herr Abg. von Tiedemann beantragt, 3 ℳ sondern nur 2 ℳ Zuschlag erhoben werden, so beruht dies auf einer Berechnung, die ergiebt, daß mit
den 2 ℳ Zuschlag die Verzinsung der gesammten Herstellungskosten
der betreffenden Züge nicht nur vollständig gedeckt wird, sondern dar⸗ über hinaus sich noch ein Ueberschuß als Unternehmer⸗ gewinn ergiebt. (Hört! hört!) Es ist uns nicht richtig er⸗ schienen, den Zuschlag noch höher zu normiren (sehr richtig!), weil wir von der Voraussetzung ausgegangen sind, daß ein höherer Zuschlag wahrscheinlich die Benutzung der Züge wesentlich einschränken würde (sehr richtig!) — ja, es giebt Leute, die zahlen nicht gern 3 ℳ über den gegenwärtigen Normaltarif (Heiterkeit) und — daß dann der finanzielle Effect jedenfalls geringer würde. Wir haben über diese Frage die sämmtlichen Eisenbahn⸗Directionen gehört, wir haben uns über diese Frage auch mit dem Herrn Finanz⸗Minister eingehend unterhalten. Der Herr Finanz⸗Minister hatte seinerseits auch den Wunsch, den Zuschlag auf 3 ℳ wenigstens für die ganze festzusezen; aber ich glaube, er hat sich nach unseren Ausführungen doch davon überzeugt, daß man nicht zu viel thun darf, wenn man den beabsichtigten Erfolg auch wirklich erreichen will. Es wird also vom 15. April ab in den Zügen, in denen sich diese Art von Durchgangswagen befinden, — von denen Herr von Tiedemann zu meiner Freude constatirt hat, daß sie allen berechtigten Ansprüchen genügen —, ein Zuschlag für jeden Platz von 2 ℳ erhoben, und zwar wird dieser Zuschlag erhoben werden für die Benutzung einer jeden Strecke, also beispielsweise sowohl für die ganze Tour von Köln bis Berlin als auch für einen Theil dieser Tour, etwa von Köln bis Magdeburg. Es wird diese Einrichtung auch dazu beitragen, die Züge von dem eigentlichen Localverkehr mehr zu befreien. Abg. Graf Kanitz (cons.): Ich kann heute noch kein so ab⸗ sprechendes Urtheil über das Kohlensyndikat abgeben, wie früher über das Kokssyndikat. Sollte das — dem letzteren nacheifern, dann würde ich dem Abg. Broemel zustimmen. Aber vorläufig ist die Praxis des Kohlensyndikats noch nicht bekannt, die Debatte ist noch verfrüht. 1
Abg. Broemel (dfr.): Der Landtag ist doch nicht bloß dazu da, um sich mit der Noth der Landwirthschaft zu beschäftigen, er kann seine Aufmerksamkeit auch einmal den Kohlenconsumenten zuwenden. Heute beginnt das Syndikat seine Arbeit; jede Zeche soll Aufträge nur an das Syndikat abgeben, nicht selbst ausführen. Daß billige Verkäufe nach dem Auslande beabsichtigt sind, beweist die Bestim⸗ mung, daß Entschädigungen für billigere Verkäufe vorgesehen sind. Die Marineverwaltung hat dem Syndikat gegenüber Stellung ge⸗ nommen; der Landtag müßte die Erwartung aussprechen, daß die Staatsbahnverwaltung dies ebenfalls thut. 1
Abg. Graf von Kanitz (cons.): Das halte ich für selbst⸗ verständlich. Die Frage ist nur die, ob das Kohlensyndikat übermäßige Preise fordern wird. Dafür ist kein Beweis zu erbringen, denn das Statut des Syndikats ist noch nicht veröffentlicht. W1
Abg. Broemel (dfr.): Der Abg. Graf Kanitz zeigt in dieser Frage eine Harmlosigkeit, die sonst nicht seine Art ist. Wie wird man denn eine so große Actiengesellschaft gründen, um die Preise lediglich nach der Marktlage einzurichten? Die künstliche Preis⸗ steigerung wird man nicht in das Statut hineinschreiben.
Abg. Graf von Kanitz Lng); Der Vorredner stellt doch nur Vermuthungen auf, Beweise hat er nicht für seine Auffassung. Das Kokssyndikat habe ich verurtheilt, mein Käers tsfetteße gen verbietet mir aber, schon heute über das Kohlensyndikat abzuurtheilen.
Der Titel wird bewilligt und um 4 ½ Uhr die weitere
Berathung vertagt.
des Deutschen Kaiserlichen Gesundheitsamts⸗ mitgetheilt wird,
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗Maßregeln.
1 Nachrichten über die Verbreitung von Thierkrankheiten im Auslande.
Oesterreich.
Kronland
.„ 11“ “ Maul⸗ und Klauenseuche 57 “ — Maul⸗ und Klauenseuche Lungenseuche . .
Nieder⸗Oesterreich Ober⸗Oesterreich.
Böhmen 1““
Mã Maul⸗ und Klauenseuche
“ Hungenseuche e““ 9 8 8
Lb““ 8 Krain G“ “ Tirol⸗Vorarlberg Maul⸗ und Klauenseuche Galtzien “ Bukowina
. Januar.
Komitate: Orte: Maul⸗ und Klauenseuche 38 206 1 “ Lungenseuche 18 OI1I — Rußland. Rinderpest. Im Monat Oktober 1892.
Gouvernements: 8 des gefallenen
1 Viehs: Astrachan. Woronesch. Jekaterinoslaw Kur Poltawa S.S89291,H Charkow 1A“ Stawropol (Kaukasus) .. Gebiete: Srnh Kuban (Kaukasus) . “ Im Monat November 1892. Gouvernements: 144“ 1148 111144“* 8 140 Jekaterinoslaw . 1 372 ZZ“ 8 u 8 135 “ 123 Saratow . 16“ 1 1 3 — 49 -1.aeZ“ 1“ S 433 Staitropol (Kaukasus) . . . . .. 1 1091 Gebiete: 4*“ 292 5534 Kuban (Kaukasus) . vl TS Schweiz. und Klauenseuche. 1.— 15. Januar. 16.—31. Januar. Zahl der verseuchten Ställe: 1 Ställe: 8 4 4
Kantone: Orte: Appenzell a. Rh. Appenzell i. Rh. St. Gallen Graubünden . Aargau Thurgau E
Belgien.
Im Monat Dezember 1892. 1 Zahl der verseuchten Provinzen: Gemeinden: Ställe: Lungenseuche . 5* 2 12 “ 118 19
London. In England hatte, wie in den egefsentr.hunsn
ei der zweiten die Pockensterblichkeit eine beachtens⸗ werthe Steigerung erfahren. Während sie für London und die 32. anderen großen Städte, welche über die Sterbefälle allwöchentlich be⸗ richten, in dem vierwöchigen Zeitraum vom 11. Dezember v. J. bis 7. Januar d. J. achtzehn betragen hatte, bezifferte sie sich während der nächsten vier Wochen vom 8. Januar bis 4. Februar auf 57. Die dritte Januarwoche hatte die zahlreichsten Sterbefälle an Pocken aufzuweisen, neunzehn. Vom 5. bis 11. Februar starben zwölf, vom 12. bis 18. Februar nur noch fünf.
b Cholera.
Frankreich. In Marseille hat, wie in den „Veröffent⸗ lichungen des Deutschen Kaiserlichen Gesundheitsamts“ berichtet wird, die Gesammtzahl der täglichen Sterbefälle vom 10. bis einschließlich 15. Februar (tagweise geordnet) 54, 43, 35, 49, 36, 28 betragen, darunter wurden als „choleraverdächtig“ bezeichnet: 9, 6, 8, 0, 0, 0.
Ostindien. Dem Gesundheitsberichte für die Provinz Assam vom Jahre 1891 ist zu entnehmen, daß sich dieses Jahr infolge stärkeren Auftretens der Cholera durch eine hohe Sterblichkeit aus⸗ gezeichnet hat. Auf eine Bevölkerung von rund fünf Millionen sind 150 156 Todesfälle registrirt, etwa 29,9 auf je 1000 Bewohner. Allein der Cholera sind dort 23 882 Personen im Jahre erlegen (= 15,9 % aller Gestorbenen und 4,76 auf 1000 Einwohner berechnet), fast doppelt so viel wie im Durchschnitt der Jahre 1885 bis 1889 und ca. 8500 mehr als im Jahre 1890.
Handel und Gewerbe.
Tägliche Wagengestellung für Kohlen an der Ruhr und in Oberschlesien. An der Ruhr sind am 1. März gestellt 9796, nicht rechtzeitig gestellt keine Wagen. In Oberschlesien sind am 28. v. M. gestellt 3104, nicht rechtzeitig gestellt keine Wagen. 1 Zwangs⸗Versteigerungen. Beim Königlichen Amtsgericht I Berlin stand am 1. März das Grundstück in der Pasewalkerstraße 4 belegene den Bauunternehmern Ferd. Dunkel und Carl Ber gehörig⸗ zur Versteigerung; Nutzungswerth 9920 ℳ; Mindestgebot 50 200 ℳ; für das Meistgebot von 140 000 ℳ wurde der Schriftsteller Dr. phil. Louis Bein, Wichmannstr. 11 a, Ersteher. — Der Aufsichtsrath der Halleschen Maschinenfabrik und Eisengießerei beschloß bei reichlichen Abschreibungen die Vertheilung einer Dividende von 35 % vorzuschlagen.
7. Januar.
Orte: Höfe: Orte: Höfe: Orte: Höfe: 160 63 166 51 128 — — — 16 9 16 5 6 Maul⸗ und Klauenseuche 8 9 767 35 114
1886
142 Ungarn.
13. Januar.
Komitate: Orte: Höfe: Komitate: Orte: Höfe: 184 1030 38 177 903 60 157 720 94 10 12 98 319 12 98 302
14. Januar. 21. Januar. Zahl der verseuchten
1 1
2675 375 2045 94 32 72 682 118 586
23
85
5
8
151 1148
5 21
+ = IgSES
8
1 6
180—
9
0 — ⸗.
19. Janugr. 26. Januar.
Zahl der verseuchten “ Komitate: Orte: Höfe:
—. Gestern fand in Dortmund die Feethecsärednchhg der Actionäre bezw. der Gründer des Kohlensyndikats sowie eine Aufsichtsrathssitzung des Syndikats statt. In letzterer beschloß der Aufsichtsrath, der „Rhein.⸗Westf. Ztg.“ zufolge, die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft von Bochum nach Essen. An Stelle der aus⸗ scheidenden vorläufigen Vorstandsmitglieder Director Pieper und General⸗Director Frielinghaus wurden Anton Unckel und Wilhelm Olf, bisher Directoren des Dortmunder bezw. Bochumer Kohlenverkaufsvereins zu Mitgliedern des Vorstandes gewählt. Der bisherige Director des Essener Kohlenverkaufsvereins Karl Hager wurde zum Procuristen gewählt.
Magdeburg, 1 März. (W . T) MFericht Kornzucker excl., von 92 % 15,15, Kornzucker excl., 88 % Rendement 14,50, Nachproducte excl., 75 % Rendement 11,95. Stetig. Brod⸗ raffinade I. 27,75. Brodraffinade II. 27,50. Gem. Raffinade mit Faß 28,00. Gem. Melis I. mit Faß 26,25. Ruhig. Rohzucker I. Product Transito f. a. B. Hamburg pr. März 14,02 ½ bez., 14,05 Br., pr. April 14,17 ½ bez., 14,20 Br., pr. Mai 14,32 ½ bez. u. Br., pr. Juni 14,42 ½ bez., 14,45 Br. Stetig.
Augsburg, 1. März. (W. T. B.) Gewinnziehung der Augsburger 7⸗Fl.⸗Loose. 6000 Fl. Ser. 1977 Nr. 9, 500 Fl. Ser. 1232 Nr. 44, Ser. 1246 Nr. 78, je 100 Fl. Ser. 478 Nr. 87, Ser. 538 Nr. 69, Ser. 858 Nr. 15, Ser. 1026 Nr. 45, Ser. 1845 Nr. 62, je 50 Fl. Ser. 311 Nr. 78, Ser. 347 Nr. 20, Ser. 478. Nr. 8, Ser. 858 Nr. 87, Ser. 1246 Nr. 84, Ser. 1845 Nr. 71, Ser. 1877 Nr. 30, Ser. 1899 Nr. 51, Ser. 1961 Nr. 22, Ser. 1977 Nr. 70, je 40 Fl. Ser. 23 Nr. 15, Ser. 311 Nr. 15, Ser. 311 Nr. 38, Ser. 311 Nr. 39, Ser. 811 No. 48, Ser. 311 Nr. 61, Ser. 311 Nr. 81, Ser. 347 Nr. 38, Ser. 478 Nr. 92, Ser. 538. Nr. 96, Ser. 761 Nt. 6R61 IN. . 888 Nr. 13, Ser. 914 Nr. 43, Ser. 1026 Nr. 14, Ser. 1239 Nr. 3, Ser. 1400 Nr. 15, Ser. 1400 Nr. 16, Ser. 1400 Nr. 17, Ser. 1400 Nr. 90, Ser. 1486 Nr. 28, Ser. 1845 Nr. 81, Ser. 1845 Nr. 66, Ser. 1877 Nr. 32, Ser. 1877 Nr. 50, Ser. 1877 Nr. 58, Ser. 1899 Nr. 13, Ser. 1961 Nr. 14, je 30 Fl. Ser. 311 Nr. 24, Ser. 311 Nr. 51, Ser. 478 Nr. 93, Ser. 538 Nr. 60, Ser. 761 Nr. 10, Ser. 791 Nr. 18, Ser. 914 Nr. 18, Ser. 914 Nr. 24, Ser. 914 Nr. 62, Ser. 914 Nr. 79, Ser. 1026 Nr. 6, Ser. 1026 Nr. 54, Ser. 1026 Nr. 71, Ser. 1239 Nr. 1, Ser. 1239 Nr. 20, Ser. 1239 Nr. 76, Ser. 1239 Nr. 87, Ser. 1246 Nr. 13, Ser. 1246 Nr. 36, Ser. 1246 Nr. 93, Ser. 1246 Nr. 94, Ser. 1400 Nr. 11, Ser. 1400 Nr. 64, Ser. 1486 Nr. 64, Ser. 1845 Nr. 5, Ser. 1859 Nr. 4, Ser. 1877 Nr. 18, Ser. 1877 Nr. 63, Ser. 1877 Nr. 69, Ser. 1899 Nr. 56, Ser. 1961 Nr. 69, Ser. 1961 Nr. 90, Ser. 1977 Nr. 10, Ser. 19775 Nr. 75.
Leipzig, 1. März. (W. T. B.) Kammzug⸗Termin⸗ handel. La Plata. Grundmuster B. per März 3,75 ℳ, per April 3,72 ½ ℳ, per Mai 3,75 ℳ, per Juni 3,80 ℳ, per Juli 3,82 ½ ℳ, per August 3,85 ℳ, per September 3,87 ½ ℳ, per Oktober 3,85 ℳ, per November 3,92 ½ ℳ, per Dezember 3,92 ½ ℳ, per Januar —, per F ruar —. Umsatz 50 000 kg.
raunschweig, 1. März. Serienziehung der Braun⸗ schweiger 20⸗Thlr.⸗Loose. 132 287 404 627 915 1193 1297 1513 1812 1871 2072 2241 2586 2676 3071 3215 33883 3753 4257 4561 4676 4707 4818 5085 5531 6151 6818 7395 7443 7871 7878 8161 8448 8633 9591.
Wien, 1. März. Gewinnziehung der österr. 1864er Loose. 150 000 Fl. Ser. 3498 Nr. 69, 20 000 Fl. Ser. 2723 Nr. 10, 10 000 Fl. Ser. 3729 Nr. 9, je 5000 Fl. Ser. 3616 Nr. 88, Ser. 3792 Nr. 12. Sonstige gezogene Serien 29 116 397 845 1032 1168 1278 1428 1450 1524 2435 2469 2529 2550 2592 2610 2649 3266 3348 3395 3538 3833.
Pest, 1. März. (W. T. B.) Productenmarkt. Weizen ruhig, pr. Frühjahr 7,35 Gd., 7,37 Br., pr. Herbst 7,49 Gd., 7,51 Br. Hafer pr. Frühjahr 5,54 Gd., 5,56 Br. Mais pr. Mai⸗Juni 4,72 Gd., 4,77 Br. Kohlraps pr. August⸗September 11,60 Gd., 11,70 Br.
London, 1. März. (W. T. B.) An der Küste 5 Weizen⸗ ladungen angeboten.
96 % Javazucker loco 16 ½ ruhig, Rüben⸗Rohzucker loco
14 ruhig. — Chile⸗Kupfer 45 ¾¼, per 3 Monat 46 ½. London, 2. März. (W. T. B.) (Telegramm des Reuter'schen Bureaus.) Die Peruanische Gesellschaft erhielt ein Telegramm, wonach die peruanische Regierung ihr 5000 Pfund als erste Rate auf die Annuität von 80 000 Pfund auszahlt. Die Gesellschaft beschloß, diese monatliche Zahlung entgegenzunehmen, bis die Frage wegen der Umwandlung der Steuern auf den Besitz der Gesellschaft gelöst sei. St. Petersburg, 1. März. (W. T. B.) Wie die „Nord. Telegr.⸗Ag.“ erfährt, eröffnet die Wolga⸗Kama⸗Bank in Tasch⸗ kent eine Filiale mit . in Kokand, Andischan und Chodjent, um in erster Linie Vorschüsse auf Baumwolle und Wolle zu geben und diese Artikel in Commission zu nehmen. Die Bank hat zu diesem Zweck die Firma Ponfick, Ahrens und Comp. als ihre Commissionäre für Central⸗Asien und Moskau installirt.
Amsterdam, 1. März. (W. T. B.) Java⸗Kaffee good
ordinary 55. — Bancazinn 55 ½.
New⸗York, 1. März. (W. T. B.) Die Börse eröffnete befestigt, war während des Nachmittags matt und schloß stetig. Der Umsatz der Actien betrug 497 000 Stück. Der Silber⸗ vorrath wird auf 550 000 Unzen geschätzt. Silberverkäufe fanden nicht statt. Die Silberankäufe für den Staatsschatz betrugen 719 000 Unzen zu 84. 3 b
Weizen eröffnete niedriger und ging den ganzen Tag infolge bedeutender Realisirungen der Haussiers noch weiter zurück. Schluß kaum behauptet. — Mais eröffnete etwas höher und war im Laufe der Börse mäßigen 1s unterworfen, da jede äußere An⸗ 1g fehlte. chluß matt, aber stetig. 1 6
Chicago, 1. März. (W. T. B.) Weizen setzte niedriger ein, wurde später etwas fester, mußte aber auf überseeische Nachrichten wieder nachgeben. Schluß kaum behauptet. — Mais anfangs niedriger, blieb während des ganzen Tages in lustloser Stimmung, auf welche auch inzwischen Deckungskäufe der Baissiers keinen Einfluß ausüben konnten. Schluß behauptet. 1S 1
—
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preuß
Berlin, Donnerstag, den 2. März
53.
Parlamentarische Nachrichten.
Der dem Reichstag vorgelegte Entwurf eines Gesetzes, betreffkend die Aenderung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz und die Ergänzung des Strafgesetzbuchs, hat folgenden Wortlaut:
Artikel 1. Das Gesetz über den Unterstützungsmwohnsitz vom 6. Juni 1870 (Bundes⸗Gesetzbl. S. 360) wird in nachstehender Weise abgeündert: '
Im § 10 und § 22 ist an Stelle der Worte: „nach zurück⸗ gelegtem vierundzwanzigsten Lebensjahre“ zu setzen: 1 „nach zurückgelegtem achtzehnten Lebensjahre“. T Dem § 28 wird folgender zweiter Absatz zugefügt:
„Der Anspruch auf Erstattung verjährt in zwei Jahren vom Ablauf desjenigen Jahres ab, in welchem die Leistung gewährt worden ist.“
I Im § 29 Absatz 1 ist in Zeile 2 hinter dem Worte: „Lehrlinge“ einzuschalten: 2 1 „land⸗ und forstwirthschaftliche Arbeiter“.
1v
E“
1) Im § 29 Absatz 1 Zeile 7 ist statt der Worte: „länger als sechs Wochen“ zu setzen: „länger als dreizehn Wochen“. 2) Daselbst Absatz 2 Zeile 2 wird das Wort: „sechswöchentlichen“ ersetzt durch das Wort: „dreizehnwöchentlichen“. 1“
1) Im § 30 Absatz 1 Litt. b Zeile 1 ist statt der Worte: „wenn Unterstützte keinen Unterstützungswohnsitz hat“ zu setzen: „wenn ein Unterstützungswohnsitz des Unterstützten nicht zu er⸗ mitteln ist. 2) Zwischen die Absätze 1 und 2 des § 30 ist folgender neuer
Absatz einzuschieben:
.Der Beweis, daß ein Unterstützungswohnsitz des Unterstützten nicht zu ermitteln gewesen ist, gilt schon dann als erbracht, wenn der die Erstattung fordernde Armenverband dargelegt hat, daß er alle diejenigen Erhebungen vorgenommen hat, welche nach Lage der Verhäͤltnisse als geeignet zur Ermittelung eines Unterstützungswohnsitzes anzusehen waren. Wird nach der Erstattung ein Unterstützungswohnsitz des Unterstützten nachträglich ermittelt, so ist der Armenverband, welcher die Erstattung vorgenommen hat, berechtigt, innerhalb zweier Jahre, vom Ablauf desjenigen Jahres ab, in welchem die Erstattung er⸗ folgt ist, von dem Armenverbande des Unterstützungswohnsitzes für die gewährte Unterstützung und für die durch nachträgliche Ermitte⸗ lungen entstandenen Kosten Ersatz zu beanspruchen.“
Artikel 2. In den § 361 des Strafgesetzbuchs wird hinter Nr. 5 folgende Nr. 5 a eingestellt:
„„5 a. Wer, obschon er in der Lage ist, diejenigen, zu deren Er⸗ nährung er verpflichtet ist, zu unterhalten, sich der Unterhaltpflicht trotz der Aufforderung der zuständigen Behörde derart entzieht, daß durch Vermittelung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen
werden muß;“
“ Artikel 3.
Dieses Gesetz tritt mit dem in Kraft
Der Reichskanzler wird ermächtigt, den Tert des Gesetzes vom 6. Juni 1870, wie er sich aus den Aenderungen durch gegenwärtiges Gesetz ergiebt, durch das Reichs⸗Gesetzbla kannt zu machen.
Die Begründung lautet: 8
Die Frage der Revisionsbedürftigkeit des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz ist in den gesetzgebenden Körperschaften des Reichs und der Bundesstaaten, von zahlreichen Vereinigungen, sowie von der Presse wiederholt und noch in der jüngsten Zeit erörtert worden.
Von fast allen Seiten wird eine Umgestaltung der Armengesetz⸗ gebung befürwortet; über die Grundsätze jedoch, nach welchen diese Reform erfolgen soll, gehen die Ansichten weit auseinander. In Norddeutschland, insbesondere in den östlichen Provinzen Preußens, erstrebt man eine strengere Durchführung des Princips des Unterstützungswohnsitzes, das heißt des Grundsatzes, daß durch den eine gewisse Zeit hindurch fortgesetzten Wohnsitz die Verpflichtung des Armenverbandes dieses Wohnorts zur Gewährung von Armenunterstützung begründet wird. Dagegen werden in anderen Staaten lebhafte Klagen über jenes Princip und über die Landarmen⸗ Institution erhoben und dringende Wünsche nach der Rückkehr zu dem dort vordem in Geltung gewesenen Heimathsystem laut, nach welchem die öffentliche Unterstützung eines Hilssbedürftigen regelmäßig und dauernd von der Heimathgemeinde zu gewähren war, der der Hilfs⸗ bedürftige durch Abstammung, Aufnahme oder Zuweisung angehörte. 1 Les so tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten ist zur Zeit keine Aussicht für eine umfassende Neugestaltung unseres Armenrechts vor⸗ handen. Um einen sicheren Boden für dieselbe zu gewinnen, ist es ferner erforderlich, daß die Wirkung, welche die socialpolitischen Ge⸗ setze auf die Höhe und die Vertheilung der Armenlasten ausüben werden, sich besser übersehen lassen, als dies zur Zeit möglich ist.
. Infolge dieser Gesetzgebung werden zahlreiche und besonders schwere Fälle der Armenunterstützung welche den Armenverbänden vorzugsweise Anlaß zu Klagen gegeben habe EEZ“ nlaß zu Klagen gegeben haben, beseitigt oder doch gemildert werden. Im Falle der Invalidität und hohen Lebensalters wird den Hilfsbedürf⸗ tigen eine Versorgung auf Grund des Gesetzes, betreffend Invaliditäts⸗ und Altersversicherung, vom 22. Juni 1889 zu theil und selbst die Fälle iner Unterstützung hilfsbedürftiger Wittwen und Waisen werden sich voraussichtlich vermindern, weil auch diesen auf Grund der Bestim⸗ mungen der Unfallversicherungsgesetze und des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes unter gewissen Voraussetzungen eine Für⸗ sorge oder doch Beihilfe gesichert ist. Es darf daher angenommen werden, daß die Beschwerden über eine zu hohe Belastung sich be⸗ trächtlich vermindern werden, wenn insbesondere das Invaliditäts⸗ versicherungsgesetz, auf Grund dessen in den Jahren 1891 und 1892 bereits 193 820 Personen in den Genuß von Renten gelangt sind, erst längere Zeit in Kraft gewesen sein wird. Auch von den zu dem Unterstützungswohnsitzgesetz erlassenen neueren Landesgesetzen, dem württembergischen vom 2. Juli 1889 — Regierungsbl. für das König⸗ reich Württemberg S. 217 — und dem preußischen vom 11. Juli 1891 — Preußische Gesetz⸗Samml. S. 300 — lassen sich wohlthätige “ Jöö erwarten. b 8 zie Frage, welchen Einfluß die Versicherungsgesetze auf die öffentliche Armenpflege ausüben, ist zwar schon negehs. so 1' den Verhandlungen des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohl⸗ thätigkeit vom September 1891, erörtert worden. Die Ergebnisse dieser G gestatten indessen noch keinen genügenden Ueber⸗ blick über das aß jener Einwirkung; vielmehr wird eine Vervoll⸗ ständigung des Materials durch längere Beobachtung erforderlich sein, bevor dasselbe für eine grundlegende Abänderung der Armen⸗ gesetzgebung als ausreichend angesehen werden darf. 2 Wenn es hiernach angezeigt ist, eine grundsätzliche Reform des rmenwesens vor der Hand noch auszusetzen, so erscheint es doch auf
der anderen Seite unbedenklich, schon jetzt einige Abänderungen des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz vorzunehmen, welche, ohne das Princip desselben zu berühren, kediglich einigen in der Praxis hervorgetretenen Uebelständen abzuhelfen geeignet sind.
Unter diesem Gesichtspunkt sieht der gegenwärtige Gesetzentwurf davon ab, eine Aenderung der für den Erwerb und Verlust des Unter⸗ stützungswohnsitzes bestehenden Fristen in Vorschlag zu bringen, be⸗ schränkt sich vielmehr darauf, einzelnen von denjenigen Wünschen ge⸗ recht zu werden, deren Berücksichtigung möglich ist, ohne daß dadurch der künftigen Umgestaltung der Armengesetzgebung nach irgend einer Richtung hin präjudicirt wird.
Im einzelnen ist Folgendes zu bemerken:
Zu Artikel I.
I. Das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz hat in den §§ 10. und 22 als Altersgrenze für die Fähigkeit zum selbständigen Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes das zurückgelegte vierund⸗ zwanzigste Lebensjahr festgesetzt, und zwar, wie der Bericht der be⸗ treffenden Commission des Reichstags des Norddeutschen Bundes — Nr. 139 der Drucksachen des Reichstags von 1870 S. 22 — und die Verhandlungen des Plenums — Stenographische Berichte über die Reichstagsverhandlungen von 1870 S. 916 ff. — erkennen lassen, zunächst weil dieses Jahr früher das in dem größeren Theil des Bundesgebiets geltende Majorennitätsjahr gewesen war, noch mehr aber um dessentwillen, weil es als durchschnittlich spätester Zeitpunkt für die Erlangung wirthschaftlicher Selbständigkeit erachtet wurde.
Diese Zeitbestimmung, welche bei der Berathung des Gesetzes sowohl in der Commission wie im Plenum von verschiedenen Seiten angefochten worden war, hat in Verbindung mit der weiteren Vor⸗ schrift, daß der Unterstützungswohnsitz durch eine zweijährige Abwesen⸗ heit verloren wird, zur Folge, daß die Armenlast hinsichtlich der vielfach schon im Alter von 16 Jahren aus der Heimath verziehenden Leute bis zu deren vollendetem sechsundzwanzigsten Lebenejahre dem Heimathsort verbleibt. Schon bald nach In⸗ krafttreten des Gesetzes, insbesondere nachdem infolge des großartigen Aufschwungs der Industrie ein Massenwegzug der ländlichen Arbeiter in die Industriebezirke stattfand, sind hierüber lebhafte Klagen von der Bevölkerung des platten Landes laut geworden. Im Reichstag kam man zum ersten Mal bei der Berathung über den Gesetzentwurf, betreffend das Alter der Großjährigkeit, auf die Sache zurück — Stenographische Berichte von 1874 S. 582 ff. — Es wurde bei dieser Gelegenheit hervor⸗ gehoben, daß, sobald das einundzwanzigste Lebenjahr allgemein als Groß⸗ jährigkeitstermin eingeführt sein würde, nothwendig auch die Alters⸗ grenze für den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes ent⸗ sprechend herabgesetzt werden müßte. Als später Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre nach dem Eintritt eines wirthschaft⸗ lichen Rückganges die Anforderungen an die öffentliche Armen⸗ pflege sich in einem ganz ungewöhnlichen Maße steigerten, entstand eine lehhafte Bewegung gegen die fragliche Gesetzes⸗ vorschrift; dieselbe hat bis in die neueste Zeit angehalten und in immer wiederkehrenden Petitionen, Vereinsbeschlüssen und Interpellationen ihren Ausdruck gefunden. In allen diesen Kund⸗ gebungen wird es als der Billigkeit widersprechend bezeichnet, daß der Arbeiter einen Unterstützungswohnsitz nicht schon von dem Zeitpunkt an erwerben kann, wo er zufolge des Grundsatzes der Freizügigkeit thatsächlich den Ort seines Aufenthalts und Erwerbes sich frei wählt.
Diesem Gedanken läßt sich die Berechtigung nicht absprechen. Ein Festhalten an der bisherigen Altersgrenze für den selbständigen Er⸗ werb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes würde nur dann begründet sein, wenn die Annahme zutrafe, daß die wirthschaftliche Selbständig⸗ keit des Individuums erst mit dem vierundzwanzigsten Lebensjahre einträte. Für manche Gesellschaftsklassen mag dies der Fall sein, nicht aber für die bei der Armenpflege hauptsächlich in Betracht kommende Arbeiterbevölkerung. Im Gegentheil, die Erfahrung des täglichen Lebens zeigt, daß der Arbeiter von dem ihm nach dem Freizügigkeitsgesetz zustehenden Recht, sich den Ort seines Aufenthalts und seinen Erwerb uneingeschränkt zu wählen, oft schon sehr zeitig, in manchen Landestheilen bald nach der Einsegnung, Gebrauch macht. Thatsächlich beginnt die wirthschaftliche Selbständigkeit, welche grundsätzlich für den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes maßgebend lin soll, in dem Arbeiterstand mit dem Eintritt in eine selbständige Arbeits⸗ thätigkeit (als landwirthschaftlicher oder Fabrikarbeiter, Dienstmagd u. s. w.); zu der Großjährigkeit oder gar zu dem vierundzwanzigsten Lebensjahre steht dieselbe in keiner Beziehung.
Es ist ein Mißstand, welcher von der Bevölkerung schwer ein⸗ pfunden wird, wenn eintretendenfalls für einen solchen Arbeiter die Heimathgemeinde bis zu seinem vollendeten sechsundzwanzigsten Lebens⸗ jahre aufkommen muß. Zumal diese Belastung sich nicht nur auf den Hilfsbedürftigen selbst bezieht, sondern auch auf dessen Ehefrau und Kinder, bei weiblichen Personen auf deren uneheliche Descendenz, da Ehefrauen und Kinder den Unterstützungswohnsitz des Ehe⸗ manns, beziehungsweise der Eltern theilen. Stirbt das Kind vor dem sechsundzwanzigsten Lebensjahre mit Hinterlassung von Kindern, so folgen letztere dem Unterstützungswohnsitz der Großeltern, wenn diese auch inzwischen bereits verstorben sein sollten. Es können dem⸗ nach Gemeinden in die Lage kommen, noch nach dreißig oder mehr Jahren nach dem Tode oder Abzuge eines Gemeinde⸗Angehörigen für Familienglieder desselben Armenunterstützung gewähren oder erstatten zu müssen, ohne daß sie diese Personen vielleicht jemals gesehen haben. Die Unterstützungen sind unter Umständen, namentlich wenn es sich um die Kosten langwieriger Krankheiten handelt, sehr erheblich.
Die daraus erwachsenden Unzuträglichkeiten werden zwar nicht ganz beseitigt, aber doch erheblich gemildert werden, wenn die Alters⸗ grenze für den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes herab⸗ gesetzt wird. Es kann hierbei in Frage kommen, ob entsprechend den aus den östlichen Provinzen Preußens geltend gemachten Wünschen das sechzehnte beziehungsweise achtzehnte, oder aber das einund⸗ zwanzigste Lebensjahr gewählt werden sollte.
„Der Entwurf hat sich für das erstere entschieden, weil erfahrungs⸗
mäßig mit diesem Alter die arbeitende Bevölkerung ihre wirthschaft⸗ liche Selbständigkeit durchweg erreicht hat. .e II. Es hat zu Unzuträglichkeiten geführt, daß die armenrechtlichen Ansprüche der Armenverbände, welche nicht durch Versäumniß der im — 34 des Gesetzes vom 6. Juni 1870 vorgeschriebenen sechsmonatlichen Anmeldung frtl verwirkt sind, so lange verfolgbar sind, als überhaupt nach der Gesetzgebung des betreffenden Bundesstaats Klagen erhoben werden dürfen, — daß also beispielsweise in Preußen solche Ansprüche erst in dreißig Jahren verjähren.
Die Einführung einer einheitlichen, kurz bemessenen Verjährungs⸗ frist erscheint daher angezeigt. Die Bestimmung in dem angezogenen § 34, betreffend die Anmeldung der Erstattungsansprüche binnen einer sechsmonatlichen Frist, wird hierdurch nicht berührt.
II1. und IV. Nach § 29 des Gesetzes vom 6. Juni 1870 hat der Armenverband des Dienstortes erkrankten Dienstboten, Gesellen, Gewerbegehilfen „und Lehrlingen während sechs Wochen Kur und Ver⸗ pflegung zu gewähren, ohne hierfür einen Ersatz von dem für den Unterstützungswohnsitz des Erkrankten zuständigen Armenverbande be⸗ anspruchen zu dürfen.
Diese Vorschrift entspricht dem Grundsatz der Wechselwirkung zwischen wirthschaftlicher Leistung und Unterstützungspflicht und verfolgt hauptsächlich den praktischen Zweck, in Betreff vee Bevölkerungs⸗ klassen, bei denen ein besonders häufiger Ortswechsel vorkommt, die
Streitigkeiten über Erstattung der Verpflegungskosten und die Ueber⸗ nahme Hilfsbedürftiger zu vermindern.
In zahlreichen Petitionen ist angeregt worden, eine gleiche Be⸗
stimmung bezüglich aller Lohnarbeiter zu treffen und die Fürsorge⸗ pflicht dem Dienstort für einen “ Zeitraum auf⸗ zuerlegen. Für die Fabrikarbeiter und ähnliche Kategorien von Lohnarbeitern ist ein Bedürfniß nach einer entsprechenden Aenderung des § 29 insofern nicht anzuerkennen, als die⸗ selben nach dem Reichsgesetz vom 15. Juni 1883 (Reichs⸗ Gesetzbl. S. 73) der Krankenversicherung unterliegen und demgemäß in Krankheitsfällen für mindestens 13 Wochen eine Fürsorge genießen, welche das Eintreten der öffentlichen Armenpflege regelmäßig entbehrlich macht. Für die land⸗ und forstwirthschaft⸗ lichen Arbeiter aber besteht die Krankenversicherungspflicht nicht all⸗ Chetsan sondern nur vereinzelt auf Grund statutarischer Anordnung. Es empfiehlt sich deshalb, für diese Personen eine gleichartige Für⸗ sorge zu treffen, wie sie nach § 29 des Unterstützungswohnsitz⸗ gesetzes für die Dienstboten begründet worden ist. Gleichzeitig war nach dem Vorbilde der Gesetzgebung über die Krankenversicherung die Dauer der Fürsorgepflicht des Dienstorts von sechs auf dreizehn Wochen auszudehnen.
Die Aenderung im Absatz 2 des § 29 ist lediglich eine Consequenz der letzerwähnten Aenderung.
V. Nach § 30 b des Gesetzes hat für einen Hilfsbedürftigen, welcher keinen Unterstützungswohnsitz hat, derjenige Landarmenverband einzutreten, in dessen Bezirk sich derselbe bei Eintritt der Hilfs⸗ bedürftigkeit befand. Hiernach muß der Ortsarmenverband der vor⸗ läufigen Unterstützung demjenigen Landarmenverband, von welchem er die Erstattung der aufgewendeten Kosten fordert, den Beweis erbringen, daß der von ihm Unterstützte einen Unterstützungswohnsitz nicht besitzt. Dieser Beweis der Negative ist nicht selten schwierig, insbesondere dann, wenn die Vernehmung des Unterstützten unmöglich ist, beispielsweise bei⸗ Kindern, bei schwerkranken, alsbald versterbenden Personen, bei ab⸗ geschobenen Idioten, Irren oder Taubstummen, sowie dann, wenn es sich um die Kosten der Beerdigung aufgefundener unbekannter Leichen handelt.
Bereits unter dem 8. Februar 1876 hat die Petitionscommission des Reichstags (Nr. 236 der Drucksachen) aus Anlaß einer Petition zweier oberschlesischer Armenverbände, in welcher über diesen Mißstand Klage geführt worden war, den Beschluß gefaßt:
die Petition dem Reichskanzler mit der Bitte zu überweisen, Material darüber zu sammeln, ob die bisher gemachten Er⸗ ahrungen nicht eine Abänderung des § 34 ssoll heißen 30) si Gesetzes vom 6. Juni 1870 wünschenswerth erscheinen assen. Irn dem Commissionsbericht wird ausgeführt, daß durch die Er⸗ schwerung der Wiedererlangung der Kosten für pflichtmäßig von den Ortsarmenverbänden geleistete vorläufige Unterstützungen dem Mißbrauch des Abschiebens Hilfsbedürftiger Vorschub geleistet werde; eine Beseitigung dieses Mißstandes werde gegen die feststehende Indicatur des Bundesamts für das Heimathwesen, nach welcher be⸗ wiesen werden müsse, daß ein Unterstützungswohnsitz nicht vor⸗ handen sei, nur dadurch sich erzielen lassen, daß — unter Ab⸗ änderung des § 30 des Gesetzes — ausgesprochen werde, „daß in Zu⸗ kunft die Fruchtlosigkeit der angestellten Ermittelungen in Bezug auf das Domizil des Unterstützten den Beweis der Landarmenqualität ersetzen solle“.
Nachdem aus diesem Anlasse das Bundesamt für das Heimath⸗ wesen zwar in eine erneute Erwägung der Angelegenheit eingetreten war, aber beschlossen hatte, an der bisher von ihm vertretenen Auf⸗ fassung festzuhalten, wurden die Bundesregierungen seitens des Reichskanzlers um eine Prüfung der Sache ersucht. Dieselben haben in großer Mehrzahl dem Vorschlage einer Abänderung im Sinne des Commissionsbeschlusses zugestimmt. ’1
In der Folge ist die Zweckmäßigkeit einer solchen Aenderung wiederholt anerkannt worden, so noch von der XI. Jahresver⸗ sammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit vom September 1890.
Durch die Aufnahme der Bestimmung, daß im Falle nachträg⸗ licher Ermittelung eines Unterstützungswohnsitzes dem Armenverbande, welcher die durch die Fürsorge entstandenen Kosten erstattet hat ein Regreßanspruch gegen den Armenverband des Unterstützungswohnsitzes zustehen soll, sucht der Entwurf die von einigen Seiten nach dieser Richtung hin erhobenen Bedenken zu beseitigen. Es liegt in der Billigkeit, daß, wenn dem Ortsarmenverbande der vorläufigen Unter⸗ stützung die Erlangung eines obsiegenden Erkenntnisses gegen den Landarmenverband wesentlich erleichtert wird, andererseits dem letzteren eine Hilfe zur Durchführung seines materiellen Rechts gegen eine frühere formale Verurtheilung gewährt wird. Insbesondere wird einem Landarmenverbande der Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache nicht entgegengestellt werden können, der auf Grund nachträglicher Ermittelungen denjenigen Ortsarmenverband auf Rückerstattung in Anspruch nimmt, welcher eine vorläufige Unter⸗ stützung geleistet und deswegen in einem früheren Prozesse gemäß der neuen Vorschrift gegen den Landarmenverband ein rechtskräftiges Urtheil erstritten hatte. Ein solcher Regreßanspruch wird übrigens nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen auch einem Landarmenverbande, der einen Hilfsbedürftigen unmittelbar unterstützt hat, gegenüber dem nachträglich ermittelten Armenverbande des Unterstützungswohnsitzes zustehen.
Man wird annehmen dürfen, daß eine beständige, den praktischen Lebensverhältnissen Rechnung tragende Rechtsprechung das Ueberhand⸗ nehmen von Kunstgriffen, welche eine unbeabsichtigte Belastung der Landarmenverbände zur Folge haben würden, zu verhindern wissen wird.
Zu Artikel 2.
Die Bestimmungen der §§ 361 Ziffer 5 und 362 des Straf⸗ gesetzbuchs, welche einen Schutz vor einer mißbräuchlichen Inanspruch⸗ nahme der Armenpflege gewähren sollen, haben sich nicht als aus reichend erwiesen. Verhältnißmäßig häufig wird es nothwendig, arbeits⸗ und erwerbsfähigen Personen oder deren Angehörigen Unter⸗ stützung zu gewähren, ohne daß ein Einschreiten auf Grund jener Be⸗ stimmungen erfolgen kann. Der Erlaß weiterer armenpolizeilicher Vorschriften ist daher wiederholt angeregt worden.
Nach den Bestimmungen in den Artikeln 11 bis 14 des preußi⸗ schen Gesetzes vom 21. Mai 1855 — Preußische Gesetz⸗Samml. S. 311 — hatte die Verwaltungsbehörde das Recht, Wohnungs⸗ ertrotzer und arbeitsscheue Personen, sowie pflichtvergessene Ehegatten und Familienväter unter gewissen Voraussetzungen in einem Arbeitshaus unterzubringen. Es erschien nicht empfehlenswerth, der Verwaltungs⸗ behörde diese Befugniß wiederum beizulegen, ohne zugleich eine Rechts⸗ controle zu schaffen. Der Entwurf hat daher in Ergänzung des Straf⸗ gesetzbuchs eine Strafbestimmung vorgesehen, welche die Entscheidung über das schuldvolle Verhalten der betreffenden Person in die Hand des Richters legt. Dem hervorgetretenen Bedürfniß dürfte hierdurch genügt werden. Die Einfügung der Bestimmung zwischen die Num⸗ mern 3 und 8 des § 361 des Strafgesetzbuchs sichert die Anwendung des § 362 ohne besonderen Hinweis.
Zu Artikel 3.
Die Aufnahme der Bestimmung, daß der Reichskanzler ermäch⸗
tigt sein soll, den neuen Text des Gesetzes vom 6. Juni 1870 im anzen bekannt zu machen, ist erfolgt, um den zahlreichen Vor⸗ Ftinden der kleineren Armenverbände die Handhabung des Gesetzes zu erleichtern.